Unsere aktuelle Regierung besteht also aus lauter Expertinnen und Experten. Noch dazu jeweils zur Hälfte aus Frauen und Männern. Höchste Zeit, sagen die meisten. Und vor allem, was ist, wenn diese Experten das besser machen als die sogenannten Berufspolitiker? Für mich ist es nur in der Politik neu, dass Experten unser Leben steuern, denn überall sonst im Leben wimmelt es ja nur so davon. Nicht umsonst gibt es Hunderttausende Ratgeberbücher und sogenannte Life Coaches, die genau den Weg versprechen, der uns zu gesünderen und glücklicheren Menschen macht.
Vor allem im Bereich der Ernährung gibt es mittlerweile mehr Konzepte als Lebensmittel, sodass ich mir schon die Frage stelle, wie die Menschheit bisher überhaupt so alt werden konnte. Vegetarisch, Vegan, Paleo, Pescetarier, Low-Carb, Zero-Sugar, die Möglichkeiten zur kulinarischen Selbstoptimierung werden stündlich mehr. Doch damit nicht genug. Es geht nicht mehr nur darum, was wir essen sollen, sondern auch wann. Intervallfasten liegt hier voll im Trend. Acht Stunden am Tag essen, danach 16 Stunden lang fasten. Ein umgekehrter Ramadan: mit Wassertrinken und ohne Gebetsteppich also. In einigen österreichischen Gasthäusern ist die Wartezeit zwischen Suppe und Hauptspeise oft so lang, dass ich mich hier durchaus frage, ob ich diesen Zeitraum auch schon als Intervallfasten verbuchen kann?
Es gibt mittlerweile vor allem so viele Studien, dass man sich nicht mehr auskennt. Beim Kaffee hat jetzt eine Studie ergeben, dass fünf Tassen pro Tag ok sind. Und eine weitere Studie hat ergeben, dass man bei zu viel Kaffee, also bei mehr als diesen fünf Tassen, nicht schlafen kann. Ich warte nur noch auf die Studie, die herausfindet, dass man, während man schläft, keinen Kaffee trinken kann.
Doch nicht nur das richtige Essen und Trinken ist wichtig. Auch die richtige Bewegung will wieder gelernt werden. Sitzen ist das neue Rauchen. Es wird nicht mehr lange dauern, da wird auch der Ratgeber kommen: Rauchen ist das neue Sitzen. Doch man braucht nicht unbedingt einen Personal Coach, um seinen Allerwertesten vom Sofa wegzubewegen, es tut auch eine Uhr oder eine App. Die tägliche Schrittanzahl wird getrackt, damit die Tagesaktivität von 100 % erreicht wird, um wenigstens einmal am Tag den Satz zu lesen oder zu hören: Du hast dein Ziel erreicht. Diese modernen Hilfsmittel motivieren und verblöden zugleich. Ich habe ja auch so eine Uhr, die das kann, und ich habe mich schon des Öfteren dabei ertappt, dass ich knapp vor Mitternacht bei 98 % Tagesaktivität noch ein paar Schritte in der Wohnung herumgegangen bin. Weil wenn ich die 100 % nicht erreiche, dann habe ich eventuell so ein schlechtes Gewissen, dass ich nicht schlafen kann, und wenn ich nicht schlafen kann, komme ich vielleicht auf die blöde Idee, einen Kaffee zu trinken, und dann kann ich erst wieder nicht schlafen, weil es jetzt die 6. Tasse des Tages war. Sie merken, ein Teufelskreis!
Allerdings, wenn man nicht schläft, hätte man auch Zeit, um aufzuräumen. Doch auch das schaffen wir mittlerweile nicht mehr ohne Expertin. Nein, nicht die Mama, weil wenn die sagt: »Räum dein Zimmer auf!«, wird sie im besten Fall überhört. Wenn dagegen die Japanerin Marie Kendo dasselbe sagt, verdient sie Millionen damit, weil ihre Fans ihr folgen, wie es kleine Kinder nie machen. »Magic Cleaning« heißt ihre Methode, und eine ihrer Haupttheorien ist, dass man zum Beispiel das ganze Gewand auf einen Haufen schmeißen soll, um jedes einzelne Teil hochzuheben und zu fragen: Macht mich das wirklich glücklich? Nur die Sachen im Haushalt sollten aufbewahrt werden, die einen wirklich glücklich machen. Diese Methode hat angeblich schon zu sehr vielen Scheidungen geführt. Da wurde mit den alten Jeans gleich der Göttergatte, der sie anhatte, mitentsorgt.
Natürlich sagt uns der Hausverstand, dass es sich in einer aufgeräumten Bude besser lebt, ein leichter Salat mit einem Soda-Zitrone ein angenehmeres Mittagsmenü ist als ein Schweinsbraten mit Sauerkraut, Knödeln und zwei Bier dazu, und dass Bewegung noch nie jemandem geschadet hat. Aber nachdem wir ja diesen Hausverstand einem Supermarkt gegeben haben, müssen halt jetzt die vielen Ratgeber uns das Leben scheinbar wieder beibringen.
Dabei muss man ja nicht alles gleich auf einmal schaffen, denn wie hat schon Konfuzius oder sonst wer gesagt: »Selbst der längste Weg beginnt mit dem ersten Schritt am Schrittzähler.« Täglich besser scheitern ist also ein gutes, fast zen-buddhistisches Motto. Passend höre ich soeben im Ö3-Frühjournal, dass selbst die Expertinnen und Experten unserer Bundesregierung Zeit brauchen, um sich einzuarbeiten. Aber irgendwo in den Ministerien liegen sicher Ratgeberbücher dafür rum.