Cover

Kinderärztin Dr. Martens
– 63 –

Unser kleiner Prinz

Aber Danny war lange Zeit nicht glücklich

Britta Frey

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74096-204-3

Weitere Titel im Angebot:

Weitere Titel im Angebot
Weitere Titel im Angebot

»Hier muß es sein«, sagte Heinz Breuer und nickte nachdrücklich, so als müsse er sich selbst von der Richtigkeit seiner Behauptung überzeugen.

Seine Frau Monique sah ihn von der Seite wortlos an. Dafür war ihr Blick außerordentlich beredt, sprach sozusagen Bände.

Gott, signalisierte ihre entsetzte Miene, laß ihn weiterfahren, mach bitte, daß es dieser Hof nicht ist.

Ein selbst aus der Entfernung ausgesprochen heruntergekommen wirkendes Fachwerkbauernhaus duckte sich windschief mit einem reichlich zerfransten Schilfdach und zerborstenen Fensterscheiben unter mächtigen Eichen.

Zwei magere Hühner scharrten unzufrieden gackernd im dürren Gras, kümmerten sich nicht um den Wagen, der im Schneckentempo am blatternnarbigen Gartenzaun vorüberfuhr.

»Doch«, sagte Heinz Breuer, diesmal noch entschlossener, »das ist er, der Menckenhof. Ich erkenne ihn jetzt wieder. Allmächtiger, hat sich das hier alles verändert!«

Monique Breuer, geborene Tallien, wandte den Kopf zur Seite und ließ sich herab, einen ungnädigen Blick auf das einsame Gebäude jenseits der holprigen Straße zu werfen, die eigentlich nicht viel mehr als ein Sandweg war.

Und eine Herausforderung für einen schicken Wagen, der es gewohnt war, über schnurgerade, asphaltierte Stra­ßen zu flitzen.

Monique hatte mit einem Gutsgebäude im Stil eines stolzen Herrenhauses gerechnet, schön gelegen inmitten eines gepflegten Parks. Auch gegen ein malerisches Bauernhaus, eingebettet in einen herrlich blühenden Bauerngarten, hätte sie keine Einwände erhoben. Sogar ein schmuckes Fachwerkhaus wäre ihr willkommen gewesen.

Ihre Träume zerstoben angesichts der jämmerlichen Bauernkate in alle vier Himmelsrichtungen.

»Mais non, ’einz!« stieß die elegante Monique entsetzt hervor, »aber nein, das kann nicht sein deine Mencken’of, dieser fürchterliche Bruchbüde! Das sein eine Unterkünft für die Tiere, aber nicht für Menschen. Oh, ’einz, du mußt dich irren!«

Sie hatte ja recht, es handelte sich bei dem von ihm daheim in Düsseldorf so großspurig annoncierten Gutshaus um eine heruntergekommene Klitsche von Bauernhaus.

Er fühlte sich jedoch aus einem erstaunlicherweise sehr starken Gefühl von Solidarität heraus verpflichtet, den Hof seiner Großeltern vor seiner Frau in Schutz zu nehmen.

»Bei euch in Frankreich sehen die Bauernhäuser auch nicht viel besser aus«, stellte er fest und trat die Flucht nach vorn an. »Nun mal ganz ruhig, Moni, laß uns sehen, wie’s drinnen ausschaut, ja? Als ich ein Junge war, habe ich mich bei meinen Großeltern auf dem Menckenhof immer sehr wohl gefühlt.«

»Isch glaube, isch ’aben noch nie gesehen eine so gräßliche Schüppen. Und das du nennst eine traumhafte Bauern’aus, ’einz?«

Sie war begreiflicherweise aufgeregt und sprach wieder mit sehr starkem Akzent. Normalerweise hörte sich das reizend an, doch im Augenblick ging ihm ihr französischdeutsches Kauderwelsch schwer auf die Nerven.

Und wenn er gereizt war, wurde er rücksichtslos.

Er bremste unsanft ab und parkte den eleganten Wagen direkt vor dem nur noch in den rostigen Angeln hängenden Gartentor.

Bei dem Wagen handelte es sich natürlich um ein Modell der Sonderklasse, es war mit allen Schikanen ausgerüstet und nahm sich in der stillen, ländlichen Umgebung etwa so seltsam aus wie ein Marsmännchen auf dem Wiener Opernball.

Ungern kletterte Monique Breuer aus dem Wagen, in dem sie sich sicherer fühlte als auf dem Land, das ihr plötzlich so feindselig vorkam, obwohl es doch ihr gehörte.

Nun ja, das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Der Menckenhof mitsamt den Gebäuden und dem dazugehörigen Land gehörte ihrem Mann, er hatte es kürzlich von seinen Großeltern geerbt. Von seiner Großmutter Albertine vielmehr, denn die hatte den Großvater Heinrich Joost um ein halbes Jahr überlebt.

Wenn es nach Monique gegangen wäre, so hätte die Reise in die Lüneburger Heide nie stattgefunden. Gestern abend noch hatte sie mit allen Mitteln, die ihr zur Verfügung standen – und das waren nicht wenige, versucht, ihren Mann von der Reise abzubringen.

Sie wäre ja viel lieber in die Karibik geflogen. Oder hätte einen schicken Kurzurlaub in Kalifornien verbracht. Auch Honolulu hätte sie interessiert. Ihre Freundin Kiki war kürzlich dort gewesen und war ganz begeistert zurückgekommen. Die Wassersportmöglichkeiten sollten auf Hawaii sagenhaft sein, schwärmte Kiki.

Aber nach Monique ging’s leider nicht, in der Breuerschen Ehe gab Heinz den Ton an. Was nicht allein am bemerkenswerten Altersunterschied der Eheleute lag, sondern auch an seinem autoritären Wesen. Heinz war einfach nicht der Mann, der sich unterordnete.

Und auf den Gedanken, seiner Frau zuliebe auf etwas zu verzichten, wäre er bestimmt nie gekommen. Er war ein leidenschaftlicher Verfechter der guten alten Feudalherrschaft, war in seinem Betrieb die unumschränkte, unangefochtene Nummer eins und schwang auch in seinem Privatleben das Zepter.

Seine Frau Monique, die übrigens seine dritte war, nannte er, war er guter Laune, Püppi. Und das sagte ziemlich viel, wenn nicht sogar alles über die Breuersche Ehe.

Jetzt war Heinz Breuer nicht guter Laune, er war es nicht, seit man Düsseldorf verlassen hatte, um sich den Menckenhof anzusehen, das Erbe seiner Väter.

Mit reichlich gemischten Gefühlen hatte Breuer seinem Betrieb den Rücken gekehrt, denn wie alle unumschränkten Alleinherrscher war er der Meinung, ohne ihn müsse alles zusammenbrechen wie ein Kartenhaus.

Außerdem machte er sich Sorgen, denn er hatte seinem Sohn aus erster Ehe, dem Herbert, die Regie übergeben, vorübergehend, wie gesagt, das hatte er ausdrücklich betont, damit der Junge sich nicht einbildete, er könne den ganzen Laden gleich übernehmen.

So weit war’s noch lange nicht, sagte sich Breuer mit Genugtuung und einer gehörigen Portion Argwohn, denn wie alle Tyrannen dieser Welt mißtraute er den Menschen in seiner Umgebung.

An sich war der Herbert ja ein ordentlicher Junge, fand Breuer senior in einem seltenen Anfall von Großmut, er würde sich auf der Brücke sicherlich machen, es gab immerhin eine gut aufeinander eingespielte Crew, die dem Herbert im Notfall unter die Arme greifen würde.

Andererseits war die Kapitänsuniform ihm ein paar Nummern zu groß, womöglich wurde der Junge größenwahnsinnig und vermasselte ihm die besten Verbindungen, junge Leute schießen ja oft über das Ziel hinaus, richten in ihrem Eifer mehr Schaden als Nutzen an…

Ach was, dachte Breuer, wird schon schiefgehen. Ich rufe ihn nachher mal an und lasse mir berichten, was sich seit gestern getan hat, wenn ich das hier erledigt habe.

Monique Breuer stieg also ungern aus dem Wagen, denn sie wollte sich nicht die schicken Schuhe ruinieren.

Da ihr auch nicht daran lag, sich seinen Zorn zuzuziehen – und ihr Heinz brauste schrecklich schnell auf und konnte dann entsetzlich böse sein, verschanzte sie sich hinter ihrem Sohn Danny.

Sie lenkte geschickt von sich ab, indem sie sich umwandte und auf den kleinen fünfjährigen Buben wies, der auf der Rückbank lag und fest schlief. Seit geraumer Zeit schon und zum Verdruß seines Vaters, der ihm gern die Gegend gezeigt und erklärt hätte.

»Und, Danny?« fragte sie, betonte den Namen auf der zweiten Silbe, was sehr französisch klang. »Wir ihn können unmöglich ’ier lassen, ’einz!« erklärte sie mit dem Lächeln einer Madonna.

»Ach was«, schmetterte er ihren Einwand barsch ab, »dem Jungen passiert schon nichts. Daniel ist hier so sicher wie in Abrahams Schoß. Nun komm schon, Moni, ich mag nicht länger warten.«

Ja, das kannte sie. Ihr Heinz war ein entsetzlich ungeduldiger Mann. Daheim in Düsseldorf, wo man in einer eleganten Villa residierte, fürchteten sich sogar die Nachbarn vor Heinz Breuers cholerischen Ausbrüchen. Jedermann ging ihm aus dem Weg.

Früher war Monique ein bißchen stolz auf ihren erfolgreichen Mann gewesen, es hatte sie immer mit Genugtuung erfüllt, die Frau eines Mannes zu sein, vor dem halb Düsseldorf in die Knie ging.

Neuerdings jedoch hatte Monique die unberechenbaren Stimmungen ihres Mannes fürchten gelernt. Unter denen nicht sie allein, sondern vor allem der Junge zu leiden hatte.

Danny Breuer war ein zartes, gefühlvolles Kind, das nachts nicht immer gut schlief, sich vor dem Alleinsein und der Dunkelheit fürchtete und am liebsten bei seiner Mama war und mit ihr zärtlich schmuste.

Monique fand ihren hübschen kleinen Sohn wohlgelungen. Doch dem Herrn Papa waren all die Talente, die ihr Freude machten, ein Dorn im Auge. Wenn sie die musische Begabung Dannys lobte, so tat Heinz Breuer sie als läppisch ab. Hing sich Monique die Zeichnungen ihres kleinen Dannys, die tatsächlich ein gewisses beachtliches Talent verrieten, in ihr Schlafzimmer, so riß Heinz Breuer sie prompt wieder ab.

Nein, er wollte keinen Sohn haben, der hübsch zeichnete und bemerkenswerte Fortschritte im Klavierunterricht machte, nichts dagegen hatte, wenn die Mama ihn niedlich anzog.

Heinz Breuer hatte sich einen kräftigen Sohn gewünscht, einen der gern raufte, sich wüste Streiche ausdachte und ständig über die Stränge schlug, der mit den Nachbarskindern laut brüllend Indianerüberfall spielte und Räuber und Gendarm.

Heinz Breuer fand es unmännlich, wenn sein Sohn gern am Klavier saß und verträumt irgendwelchen Tonfolgen nachhing.

Auf besonders gutem Fuß stand Heinz Breuer also nicht mit dem kleinen Danny, der sich, wie es nicht anders zu erwarten gewesen war, vor seinem riesengroßen, stattlichen Papa fürchtete.

Und das brachte Heinz Breuer noch mehr gegen den Sohn auf. Ein richtiger Junge, so pflegte der erfolgreiche Unternehmer immer zu betonen, mit grollender Stimme, versteht sich, fürchtete sich vor nichts.

Kein Wunder, daß sich der kleine Danny mit den schwarzen Locken stets mehr oder weniger auf der Flucht vor seinem Papa befand. Wie ein Häslein schlug er Haken und gab Fersengeld, hörte er nur die dröhnende Stimme Breuers. »Die Hitze macht ihm zu schaffen«, seufzte Monique und strich dem schlafenden Danny das feuchte Haar aus der Stirn. »Oh, er ist so ’eiß, der Kleine.«

»Ach was«, wetterte Breuer, »das bißchen Sonne!«

»Vielleicht er ’at Fieber, ’einz«, gab sie zu bedenken. »Isch glaube, isch bleibe besser ’ier bei Danny.«

»Der Junge soll sich nicht so anstellen, Moni. Er ist ja kein Baby. Nun komm schon, ihm fehlt sicher nichts. Mir ist auch heiß. Das ist ganz normal bei der Wärme.«

»Ist es ’ier, in die Lüneburger ’eide, immer so ’eiß, ’einz?«

»Keine Ahnung«, murrte er und wischte sich mit seinem Taschentuch über die Stirn, wandte dem flimmernden Licht den Rücken zu.

»Aber du müßt es wissen, denn du warst doch früher ’ier.«

»Damals war ich ein Kind, Moni. Was ist denn nun, kommst du?«

Sie fügte sich seufzend, weil ihr keine Wahl blieb. Zärtlich strich sie über den kleinen Kinderkörper. »Isch bleibe nicht lange fort, bestimmt nicht, Danny, schön brav schlafen, oui?«

*

»Sehr ’übsch«, murmelte Monique Breuer vorsichtig, als sie sich in der großen Küche umsah. Wobei sie sich bemühte, über die Löcher im Linoleum hinwegzusehen. Insgeheim stand ihr Urteil natürlich längst fest: Sie fand den Menckenhof schäbig, direkt peinlich verwahrlost und verlottert.

»Hm«, machte Heinz Breuer, was alles mögliche bedeuten konnte. Er stieg über einen umgefallenen Küchenhocker, dachte selbstverständlich nicht daran, ihn anzufassen und richtig hinzustellen.

Er war nicht der Mann, der freiwillig aufräumte. Dafür hatte er seine Hilfskräfte. Heinz Breuer ließ aufräumen.

Monique hätte sich gern die Nase zugehalten. Ihrer Meinung nach roch es in der Küche sehr unangenehm abgestanden-muffig.

Natürlich unterließ sie es mit Rücksicht auf die Stimmung ihres Mannes. Heinz Breuer machte ein unergründliches Gesicht, was immer ein ungutes Zeichen war, wie sie wußte.

Stand er kurz vor einem seiner berüchtigten Wutausbrüche?

Vorsichtshalber brachte sie sich in Sicherheit und trippelte auf ihren hohen Absätzen in den angrenzenden Raum. Hier roch es geradezu unbeschreiblich, wie sie angewidert feststellte.

Heinz Breuer folgte ihr und ließ das vergilbte Rollo hochschnalzen, stieß das einzige Fenster auf. »Bäh«, machte er und schüttelte sich, »was stinkt denn hier so gräßlich?«

»Hü!« schrie sie schrill auf und deutete auf die Maus, die ihr soeben über die Schuhe flitzte, jetzt in wilder Flucht quer durch den Raum die Küche ansteuerte. »Eine Maus, ’einz, oh, rette mir! Das ist ja… abscheulich!«

Sie klammerte sich an ihren Mann, der sie um Haupteslänge überragte, auch ansonsten das Format eines Kleiderschranks besaß.

Doch er zitterte ebenfalls, zu ihrer Überraschung, am ganzen Körper. Sollte Heinz, ihr großer, stattlicher Mann, womöglich Angst vor einer kleinen grauen Maus haben?

Eine absurde, despektierliche Vorstellung, fand Monique, die trotzdem amüsiert kicherte. Hinter der vorgehaltenen Hand.

»Mäusedreck«, stieß er wütend hervor und kickte einen Putzeimer um. »Das war mal Großmutters Speisekammmer, Moni. Du kannst dir nicht vorstellen, wie herrlich es hier drinnen roch. Nach Honig und selbstgekochter Marmelade, nach Schinken und Würsten und Speck, Puddingpulver und Äpfeln…«

Während er in seinen Jugenderinnerungen schwelgte, sah sie aus den Augenwinkeln, wie sich die hintere Wagentür langsam öffnete. Ein Kinderbein schob sich heraus, dann zeigte sich Danny in voller Lebensgröße. Er blinzelte schlaftrunken in die Sonne und gähnte herzhaft nach Art possierlicher Löwenbabies.

Sie lachte. »Der Danny ist aufgewacht«, erzählte sie ihrem Mann. »Soll ich ihn ’errufen?«

»Lieber nicht, das hier ist kein Platz für kleine Kinder.« Er sah sich kopfschüttelnd um. »Meine Güte, was ist aus dem Haus geworden? Ein Jammer, finde ich. Früher war hier immer etwas los, die Küche war das Herz des Hauses, und Großmutter war eine fleißige Frau, sie hatte von morgens bis abends zu tun.«

Selbst schuld, dachte Monique und hütete sich, irgend etwas anzufassen. Bei jedem Schritt wirbelte Staub auf, die Dielen knarrten unheimlich unter ihren Sohlen.

»Mama«, rief Danny und versuchte, sich an der Fensterbank hochzuziehen. »Bist du da drinnen?«

»Loslassen, Danny!« Monique machte sich Sorge um seine Sicherheit.

»Warum?«

»Darum«, sagte Breuer grob. »Geh spielen, Daniel. Deine Mutter und ich müssen etwas besprechen.«

»Es ist so langweilig«, beschwerte sich Danny.

»Meine Güte, als ich in deinem Alter war, habe ich mich gewiß niemals gelangweilt!« rief Breuer kopfschüttelnd aus. »Wie kann man nur so einfallslos sein. Sieh dich doch mal richtig um, Junge, hier kann man überall prächtig spielen.«