Götter und Göttinnen wachsen aus uns wie Bäume aus der Erde. Auch Engel, Dämonen, Geister und Elben. Es gibt vielerlei Erden. Fruchtbare, Wüsten, Moore. Und in allen gedeihen andere Früchte.
Woraus wachsen wir? Wir wissen es nicht. Und weil wir es nicht wissen, unterscheiden wir gehorsam zwischen Richtig und Falsch.
Gibt es falsche Bäume? Falsche Götter? Gibt es Engel, Dämonen, Geister und Elben? Gibt es alles und nichts?
Das vermute ich. Und weil das Zentrum jedes Mythos, jeder Religion der Tod ist, soll er auch das Zentrum dieses Buches sein. Nicht der Tod als Gegensatz des Lebens, sondern als seine ständige Verwandlung.
Wir sind, sagt die Religion der Physik, Quanten. Teilchen und Welle. Materie und, wie man es seit Jahrtausenden nennt, Seele. Aber beide sind, so viel wir auch forschen, Geheimnisse geblieben.
In dieser Welt fressen wir, um zu leben, uns gegenseitig auf. Tiere, Pflanzen, Menschen. Auch Sterne. Und Teilchen. Kannibalismus scheint unsere Natur zu sein, auch wenn wir sie kaum mehr wahrnehmen.
Fressen die Götter einander ebenfalls auf? Ja, das tun sie. Und wir Menschen helfen ihnen gründlich dabei. Mit Glauben und Gewalt.
Nach unserer Vorstellung hat Jahwe die Welt erschaffen, eine der grausamsten Gestalten, die aus uns wuchsen.
Aber wurde sie überhaupt erschaffen? Oder erschuf sie sich selbst? Wir sind Sternenstaub. Kinder der Sterne, und Gaswolken sind unsere Ahnen. Wir sind kosmische Prozesse, ineinander verflochten wie himmlisches Haar. Und ineinander verflochten ist alles. Menschen und Milchstraßen, Schwarze Löcher und Weiße Riesen, Vergangenheit, Zukunft, Leben und Tod: das Gewebe der Welt. Ein Gewebe aus Erscheinungen, die sich fortwährend ineinander verwandeln, schrecklich und wunderbar.
Ob Leben der einzige Zustand der Existenz ist? Wir könnten uns auch fortpflanzen wie das Licht und Liebe nicht als Trieb, sondern als geistigen Zustand erfahren. Was die Physik Frequenzen nennt, schließt vielleicht verschiedene Grade der Wahrnehmung ein, in denen Schamanen und Magier vergangener Kulturen andere Wirklichkeiten erfahren wurden.
»Es gibt«, sagt Sir Karl Popper, »keine Theorie über die Wirklichkeit, die absolut und jederzeit gültig wäre.« Und da kann man ihm kaum widersprechen. Denn sie verändert sich mit dem Raum und der Zeit, in der sie erscheint, und wir nehmen sie unterschiedlich wahr. »Wie wirklich«, fragt Paul Watzlawik, »ist die Wirklichkeit?«
Wahrscheinlich ist sie die Übersetzung eines uns unbegreiflichen Seins in so viele Sprachen oder auch Dialekte, als es Individuen gibt. Wobei die Sprachen, wie die Individuen, einander ähnlich sein können oder auch nicht. Es gibt also keine verbindliche Wirklichkeit, obwohl sie uns alle verbindet. Und manchmal auch trennt.
Ist Wirklichkeit weniger wirklich, wenn sie in uns – statt außerhalb von uns – erscheint? Die Grenze zwischen Innen und Außen wurde noch von jeder Kultur anders gezogen, und von manchen überhaupt nicht. Sie ist willkürlich oder unwillkürlich, je nachdem, wie man eine Kultur definiert.
Ob wir der Erde nicht ähnlicher sind, als wir glauben? Geformt nach ihrem Bild. Ihr Kern ist aus Nickel und Eisen, mit einem Feuermantel darüber. Und über dem Feuer Wasser, Erde und Luft. Der Mensch ist, sagen wir, irdisch. Sollten wir nicht auch unsere feurigen, flüssigen und luftigen Zustände haben?
Vielleicht sind wir, wenn wir träumen, in unserem flüssigen Zustand. Wir fließen, wie auch die Träume es tun, und verwandeln uns in jede Gestalt. Sind Träume wirklich? Ebenso gut könnten wir fragen, ob Wasser wirklich ist. Nur gelten dort andere Gesetze als auf der Erde, und wieder andere gelten im Feuer oder der Luft.
Feuer ist der Tod. Feuer ist die Auferstehung. Feuer verwandelt uns in Asche und Licht.
Den Text von Lotte Ingrisch mit Faszination lesend, verbleibt mir als Naturwissenschaftler nur zu versuchen, einige Aspekte aus dieser Gedankenwelt einzubringen. Dabei geht es um genauere Begriffsbestimmungen und um die Wiederholbarkeit von Ereignissen, also um die Verifikation von gemachten Aussagen. Wir können nur Aussagen tätigen, sofern wir für die Objekte der Aussagen geeignete Antennen haben, um zumindest Teilaspekte in unser Bewusstsein aufnehmen zu können. Als derartige Antennen können unsere Augen, Ohren, Geruchs- oder Tastsinne gelten, aber auch alle von Menschen geschaffenen Antennen, seien es Radio- oder Fernsehantennen, Teleskope oder Mikroskope zur Erforschung der Makro- oder Mikrowelt, oder aber die riesigen Teilchendetektoren beim CERN. Wir erkennen daher nur diese Teile der uns umgebenden Natur, für die wir Antennen verfügbar haben, wobei wir im Bereich der Naturwissenschaft zusätzlich die Einschränkungen machen, dass die jeweiligen Antennen für alle Menschen eine vergleichbar gleiche Information liefern.
Für viele von Lotte Ingrisch angeführte Phänomene haben wir zumindest bisher keine den naturwissenschaftlichen Kriterien adäquate Antennen, was aber nicht bedeuten soll, dass es diese Phänomene nicht gibt und diese nicht von Person zu Person verschieden wahrgenommen werden. Sehen wir uns in diesem Zusammenhang das Phänomen Traum an. Auch diesem ist Realität zuzuordnen, zumal im Bewusstsein verschiedene Vorgänge aktiviert werden, die es gestatten, den Traum zu erleben und diesen zumindest teilweise abzuspeichern, und so gibt es zahlreiche Phänomene, die Personen individuell wahrnehmen, die aber nicht den Kriterien der Wiederholbarkeit entsprechen.
Wir können daher als Conclusio festhalten, dass wir nur einen sehr beschränkten Zugang zu den wahren Vorgängen der Natur haben, sei es wegen der fehlenden, der zu geringen Empfindlichkeit der uns zur Verfügung stehenden Antennen.
Während im naturwissenschaftlichen Bereich die Antennen Messresultate liefern, die alphanumerisch oder grafisch dargestellt werden können, gibt es im Bereich vieler mentaler Wahrnehmungen diese Möglichkeit nicht. Selbst bei verbalen Beschreibungen bleibt die Bedeutung der verschiedenen Worte und deren Zusammenhänge der individuellen Interpretation der Individuen vorbehalten. Noch viel stärker ist diese an das Individuum gekoppelte Wahrnehmung bei Phänomenen wie Trauer, Freude, Gefühl, Liebe usw. Gemeinsam haben jedoch heuristische und naturwissenschaftliche Beobachtungen, dass sie nie vollständig sein können und Platz für neue Erkenntnisse lassen. Wie tief neue Erkenntnisse in das Meer des Unbekannten vordringen, hängt von der Qualität der Antennen ab; sie werden jedoch nur einen winzigen Teil des Unbekannten aufklären können. Das Individuum, das heißt der Beobachter, spielt dabei eine essentielle Rolle, wodurch sich ein direkter Zusammenhang mit der Quantenphysik ergibt.