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Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Aufnahmeprüfung

Erste Lektion

Zweite Lektion

Dritte Lektion

Vierte Lektion

Fünfte Lektion

Sechste Lektion

Siebte Lektion

Achte Lektion

Neunte Lektion

Zehnte Lektion

Elfte Lektion

Zwölfte Lektion

Dreizehnte Lektion

Vierzehnte Lektion

Abschlussprüfung

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 2059

 

Die Astronautische Revolution

 

Ein Sambarkin folgt dem Ruf der Sterne – und bringt sein Volk in große Gefahr

 

von Leo Lukas

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

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Ein ungewöhnliches Schicksal verschlug zwei junge Mutanten von der Erde in eine fremde Umgebung: Der Teleporter Startac Schroeder und der Morkhero-Spürer Trim Marath verschwanden am 25. Dezember 1303 Neuer Galaktischer Zeitrechnung aus Para-City, der Stadt der Monochrom-Mutanten.

Sie materialisierten auf dem Planeten Chirittu, einer Welt, auf der man offensichtlich noch nie etwas von der Erde, der Milchstraße oder anderen bekannten Begriffen gehört hat. Vor allem aber ist Chirittu eine Welt, die umkämpft wird.

Trim und Startac werden Zeuge erbarmungsloser Schlachten, bei denen aber anscheinend nur Roboter eingesetzt und Industrieanlagen zerstört werden. Die eine Seite in diesem Konflikt wird als »die Legion« bezeichnet, bei der anderen handelt es sich um Angehörige der Astronautischen Revolution.

Immerhin machen die beiden die Bekanntschaft eines seltsamen Wesens, das ihnen zur Flucht von dem umkämpften Planeten verhilft. Dieses Wesen ist Keifan, ein Druide vom Planeten Couxhal. Gemeinsam gehen sie auf eine Reise durch die verschiedenen Portale. Und langsam erfahren sie wertvolle Hintergründe über DIE ASTRONAUTISCHE REVOLUTION …

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Ruben Caldrogyn – Ein Sambarkin folgt dem Ruf der Sterne.

Vismar Elonkun – Der Diagonaldenker fördert Caldrogyn auf sehr spezielle Weise.

Ydene Caldrogyn – Rubens Mutter kann bei all ihren Fähigkeiten auch anstrengend sein.

Trim Marath – Der junge Mutant erfährt mehr über eine fremde Galaxis.

Startac Schroeder – Der Terraner lässt sich auf ein waghalsiges Unternehmen ein.

Warum ich?

fragte der Frosch.

Geschmackssache,

sagte der Storch.

(Ruben Caldrogyn, Kozmotische Aphorismen)

 

 

Aufnahmeprüfung

Trim Marath

 

An den Tunnelwänden waren Leuchtkörper montiert, doch gut die Hälfte funktionierte nicht.

Trübe Schwaden von Dampf oder Gas entwichen aus undichten Leitungen und verteilten sich als feiner Nebel aus Tausenden von Kügelchen. Die sehr schlechte Sicht machte die Orientierung in der Schwerelosigkeit jedenfalls nicht einfacher.

Trotz seiner Angespanntheit musste Trim schmunzeln, als er beobachtete, wie Startac Schroeder seine langen Gliedmaßen verrenkte, um die Richtung seines Schwebefluges zu korrigieren. Nein, elegant sah das keineswegs aus, was sein Freund da aufführte – eher unfreiwillig komisch.

Da der Abstand zwischen den beiden Raumfahrzeugen nicht vollkommen stabil gehalten werden konnte, schlängelte sich der etwa drei Meter durchmessende Schleusentunnel mal mehr, mal weniger in alle Richtungen verdreht auf das kleine Raumboot zu. Oben und unten, vorne und hinten wechselten ständig.

Startac fuchtelte entnervt mit den Armen, wodurch er prompt noch stärker zu rotieren begann. Nach mehreren clownesken Pirouetten erwischte er endlich einen der Griffe. Er blickte zu Trim, öffnete den Mund hinter der Sichtscheibe seines Helms zu einem stummen Schrei, verdrehte die Augen nach oben. Können die nicht einfach andocken?, schien die Grimasse zu bedeuten.

Trim Marath zuckte mit den Schultern. Ganz offensichtlich konnten sie nicht.

Die Raumschiffe der Astronautischen Revolution machten den Eindruck, als wären sie eher am Schrottplatz entstanden denn auf einer Werft. Nichts passte wirklich zusammen.

Keifan Sogho Nirwai'Mangolem, souverän wie immer, bemerkte Startacs Nöte. Er packte den schlaksigen Terraner am Kragen und bugsierte ihn langsam, aber sicher vor sich her. Klar, der Druide kannte die Umstände an Bord dieser Schiffe, und Hilfsbereitschaft war sowieso sein zweiter Name. Na gut, der fünfte, korrigierte sich Trim.

Nachdem sie die Schleuse endlich erreicht hatten und Keifan signalisierte, dass der Druckausgleich erfolgt war, schälten sie sich erleichtert aus den plumpen, stickigen Vakuumanzügen und verstauten die Monturen und Helme in der Kammer.

Startac wischte sich ärgerlich den Schweiß von der Stirn. »Sehr revolutionär ist das nicht gerade.«

Bevor Trim antworten konnte, glitt mit einem schmatzenden Geräusch das Verbindungsschott auf. Keifan ging voran.

Nach wenigen Metern endete der enge Korridor vor einer Tür, die hier völlig fehl am Platz wirkte. Geschmückt mit Einlegearbeiten aus verschiedenen Hölzern, hätte sie eher zu einer Residenz gepasst oder zu einem Ballsaal.

Keifan klopfte allen Ernstes an. Und eine Stimme sagte tatsächlich: »Herein.«

Das Zimmer – die Steuerzentrale! – war mit Teppichen ausgelegt, und zwischen den Monitoren an den Wänden hingen Bilder. Doch Trim hatte nur Augen für die Gestalt, die hinter einem wuchtigen, ausladenden Schreibtisch stand, leicht vorgebeugt, die Arme lässig auf die glänzende Holzplatte gestützt.

Der Mann war groß, fast um einen Kopf größer noch als Keifan. Also etwa zwei Meter dreißig und humanoid. Ein langgezogener Schädel, haarlos, gemasert wie Marmor. Zwei ovale, hochkant stehende Augen. Schielte er? Nein, die hellen Augäpfel waren anscheinend unabhängig voneinander beweglich.

Eine interessante Optik musste das ergeben … Trim hatte das beunruhigende Gefühl, der Unbekannte würde ihn und Startac mit seinen Blicken rösten. Aus der Stirn ragten zwei fingerlange, daumendicke Hörner, deren filigraner Schimmer Trim an Perlmutt denken ließ. Das rechte Horn war um etwa eineinhalb Zentimeter kürzer, als ob die Spitze mit einer scharfen Klinge abgeschnitten worden wäre – vielleicht erst vor kurzem, denn die »Bruchstelle« war sehr hell und wirkte feucht und frisch.

Eine Art Kopfschmuck, ein Reif aus Metall, dessen Oberfläche von zahllosen feinen und feinsten Strukturen durchzogen wurde, umgab den kantigen Schädel knapp oberhalb der Ohren. Deren Läppchen waren lang und gesplittet, zweigeteilt, geformt wie kleine Finger und in ständiger Bewegung.

Auf dem Bruststück der mattsilbernen Montur prangte unverkennbar das Symbol der Astronautischen Revolution, ein weißer, nach oben gerichteter Pfeil auf schwarzem Grund.

»Wir sind …«, setzte Keifan zum Sprechen an, doch der Gehörnte brachte ihn mit einer winzigen, lässigen Kopfbewegung zum Verstummen.

»Vergib mir, ehrenwerter Druide«, sagte er, wobei in seinem breiten, lippenlosen Mund zwei Reihen dreieckiger Zähne aufblitzten wie die Schneidflächen einer Säge, »aber du bist mir kein Unbekannter. Andererseits, wen oder was deine beiden Begleiter darstellen, weißt wahrscheinlich nicht einmal du.«

Er sprach Do'Esanom, die Verkehrssprache dieser Galaxis. Die Armband-Translatoren der beiden Terraner hatten keine Probleme, nahezu zeitgleich zu übersetzen. Obwohl Trim noch nie einen Angehörigen dieses Volkes gesehen hatte, interpretierte er den Ausdruck, der um den Mund des Fremden – und seine Ohrläppchen! – spielte, unwillkürlich als charmantes, verschmitztes, zugleich melancholisches Lächeln.

»Ich bitte, Platz zu nehmen.« Die Lappfinger an den Ohren schienen einladend zu gestikulieren, auf mehrere dicke, über den Raum verteilte Polster zu deuten. Sie setzten sich zögernd, zuletzt ihr Gastgeber.

Dann erklang seine leise, doch schneidende Stimme erneut. »Euch erscheint der Standard unserer Raumflotte möglicherweise … bemitleidenswert«, sagte er, an Startac und Trim gerichtet.

Je ein Auge fixierte einen von ihnen, und die Ohrläppchen unterstrichen und akzentuierten alles, was er sagte, ähnlich wie die fließenden Fingerbewegungen eines Gebärdensprache-Dolmetschers. Ein kaum wahrnehmbarer Geruch ging von ihm aus; irritierend, da Trim nicht hätte sagen können, ob er ihn als Parfüm oder Gestank empfand: am ehesten wie eine Mischung aus Kokos und verbranntem Plastik …

»Ihr solltet jedoch bedenken, dass wir auf diesem Gebiet erst ganz am Anfang stehen. Anderswo sind wir bedeutend weiter.«

Täuschte es, oder lenkten die Lappfinger unwillkürlich Trims Aufmerksamkeit auf den Stirnreif?

Noch immer hatte keiner von ihnen gesprochen, nur der fremde Mann mit den Hörnern und dem breiten, wie aus Marmor gemeißelten, von einem Knochenschild verstärkten Kiefer, der sich jetzt – lächelnd? – näher zu Trim und Startac beugte. Langsam, geduldig, weich, wie wenn man etwas nur ein einziges Mal klarstellen möchte:

»Ich hasse Herumgerede. Und Unaufrichtigkeit. Ihr behauptet, ihr kämt aus einer anderen Galaxis. Das ist eine Lüge und eine dumme dazu. Gerade ihr müsstet wissen, dass niemand einfach so von außerhalb zu uns kommen kann. Deshalb betrachte ich dieses plumpe Täuschungsmanöver als stillos, um nicht zu sagen als persönlichen Affront.«

Er räusperte sich, wirkte mit einemmal erschöpft.

»Womit ihr nicht gerechnet haben dürftet: Wir können psionische Aktivitäten inzwischen sehr genau messen. An Bord der CIKEBO, des Schiffes, das ihr gerade verlassen habt, wurden solche Psi-Aktivitäten geortet, mindestens eine als Teleportation und eine andere sogar mit einer bislang nicht für möglich gehaltenen Feldstärke. Daraus ergeben sich für mich drei Schlussfolgerungen.«

Er lehnte sich zurück. Seine Augen hielten Trim Marath und Startac Schroeder gefangen. Das äußerst linke Ohrläppchen richtete sich anklagend auf sie.

»Ihr seid Spione der Ritter von Dommrath.«

Das zweite Läppchen kam dazu. »Und ihr seid Mutanten.«

Und das dritte: »Ihr seid tot.«

Erste Lektion

Die Schule der Schnitzer

 

Wir legten die Entfernung zwischen Ratsgebäude und Raumhafen schweigend zurück und bogen gerade in den nach Vismar Elonkun benannten Platz ein, als sich einer der Zierbüsche neben dem Gehweg plötzlich verwandelte.

Aus dem blauschwarzen, etwa zwei Mannslängen hohen Gewächs wurde ein riesenhafter Sambarkin – kein besonderer Trick, tausendmal gesehen. Jeder etwas schlauere Halbwüchsige konnte so etwas programmieren.

Doch war mir nichts von einer geplanten Gambia-Vorführung bekannt. Wie auch, mein Volk hatte derzeit fraglos Wichtigeres zu tun; und deshalb reagierte ich, zu meiner eigenen Überraschung, sehr schnell, warf mich zur Seite, und das Geschoss verfehlte mich knapp.

Ein großer Teil des Elonkun-Monuments hinter mir glühte grellrot auf und verging in flirrender Schwärze, noch ehe der Knall der Implosion meine Ohren erreichte.

Der Attentäter schrie auf. Er ließ den eigentlich für die Großwildjagd bestimmten Implo-Werfer fallen, hatte anscheinend nur eine einzige Ladung zur Verfügung gehabt. Schon wie er zu der Waffe gekommen war, würde Gegenstand peinlichster Untersuchungen an der Waidmännischen Hochschule sein müssen.

Ich kam wieder auf die Knie, aus verständlichen Gründen ein wenig wacklig. Die drei Gardisten, die meine Eskorte gebildet hatten, lagen bewusstlos in den Trümmern, die von der Statue des Diagonaldenkers übriggeblieben waren.

Ehe ich mich vollends aufrichten konnte, stieß der geheimnisvolle Angreifer ein tierisches Gebrüll aus und stürmte mit gesenktem Kopf auf mich los, die Hörner zum Kerr-Winnuck bereit.

Kerr-Winnuck! Lächerlich, in diesen Zeiten, doch deshalb nicht weniger letal. Ein Traditionalist also? Und ich war überzeugt gewesen, ich hätte diese Typen unter Kontrolle …

Was einem in einer solchen Situation durch den Kopf geht! Ich trug keine Waffe bei mir, natürlich nicht; hätte im Übrigen auch nicht besonders viel damit anzufangen gewusst. Und ich kniete, kämpfte noch mit dem Gleichgewicht!

Der mörderische Stoß würde von oben kommen …

 

*

 

»Gegen einen Stoß von unten schützt die Kieferplatte«, dozierte Hajita Lönker.

Ihre Lappfinger vibrierten vor Sendungsbewusstsein, während sie die Standard-Verteidigungshaltung vorführte. »Ihr müsst also danach trachten, immer höher als der Gegner zu sein, damit er nicht von oben die Schädeldecke oder von hinten das Genick durchstoßen kann – denn in diesem Fall würde es sehr rasch sehr finster.«

Sie blickte über die Runde, ob auch alle Schüler den markigen Spruch registriert hatten. »Aber ihr dürft nicht zu steif stehen dabei, und natürlich müsst ihr die Arme richtig halten, falls er fintiert hätte und euch in Wirklichkeit an die Nieren will. – Alles klar? Jetzt ihr! Du fängst an, Caldrogyn!«

Ruben rührte kein Läppchen. Nicht, dass er Hajita Lönker von seiner Matratze stoßen würde, wenn sie sich jemals freiwillig darauf niederließe. Der Gedanke an ihre Figur hatte ihm schon oft beim Einschlafen geholfen. Aber die Selbstverteidigungsstunden gingen ihm seit langem auf die Nerven – und dann erst dieser ganze Kerr-Winnuck-Schwachsinn!

Vielleicht mochten die Vorfahren der Sambarkin irgendwann in der trostlosen Frühgeschichte des Planeten wirklich ihre Revierstreitigkeiten mit den Hörnern geregelt haben – was ging das ihn an?

»Ruben Caldrogyn! Brauchst du eine schriftliche Einladung?«

Und dann Meldungen wie diese! Selbst Wickelkinder gähnten nur mehr, wenn sie das hörten, und er war bitte schön fast acht! Widerwillig stand er auf und strich sich das Beinkleid glatt, bevor er in einer arroganten Geste den Kopf zu Hajita hob.

Eines der Mädchen lachte leise. Bewundernd, wie er annahm. Das stachelte ihn auf. »Ein einziger Gedanke kann stärker sein als alle Hörner dieser Galaxis«, sagte er, ohne das Kauholz aus dem Mund zu nehmen. »Vismar Elonkun, Yezzikische Stanzen, zweites Buch, neunzehnter Vers.«

»Ja, aber man muss diesen Gedanken erst einmal haben«, konterte Hajita. »Während aus deinem Schädel, wenn ihn das Kerr-Winnuck träfe, nur Luft entweichen würde!«

Die dummen Bratvögel in der ersten Reihe kicherten pflichtbewusst. Hajita sonnte sich in ihrem Erfolg. »Nebenbei, von Elonkun hat man viele Dommzehnte nichts mehr gehört.«

»Weil er alles gesagt hat, was zu sagen ist!«, rief Ruben hitzig, lauter, als er es eigentlich gewollt hatte.

Jetzt gab es kein Zurück mehr. Er durchtrennte das Kauholz mit einem einzigen Biss und spuckte es der Lehrerin vor die Füße. »Und weil Blindschleicher wie du trotzdem mehr als ein Leben brauchen würden, um ihn zu kapieren!«

Er wartete ihre Antwort nicht ab – »… ein ernstes Wörtchen mit deiner Mutter reden …« würde garantiert ein Teil davon sein –, sondern rannte hinaus und knallte das Tor des Saals hinter sich zu.

 

*

 

Seiner Mutter Ydene, die sofort spürte, dass wieder einmal etwas vorgefallen war, wich er für den Rest des Abends aus.

Als er endlich im Bett lag, kam sie, um ihre Hörner an den seinen zu reiben, wie sie es getan hatte, seit er denken konnte. Diesmal aber drehte er sich weg, rollte sich ein und tat, als schliefe er bereits, bis sie mit schleppenden Schritten aus dem Zimmer ging.

Sie weinte lange. Erst als es still geworden war im Nebenraum und er ihre tiefen Atemzüge hören konnte, stand er auf und schlich, sorgfältig darauf bedacht, kein Geräusch zu verursachen, auf die Terrasse.

Ihr Haus war eines der höchstgelegenen auf dem Sommerhügel. Unter ihm, bis hinab ins Karge Tal, waren nur noch wenige vereinzelte Lichter zu sehen. Praktisch die ganze Schule schlief.

Ruben schnaubte verächtlich. Morgen würden sie wieder aufspringen, schon zeitig bestens gelaunt, eines ihrer verlogenen Lieder singen und sich dann, selig grinsend wie die Idioten, an ihre Werkbänke setzen. Und bis zum Abend kitschige Souvenirs schnitzen für die Geschäftsleute und Touristen, die noch schnell ein Mitbringsel suchten für »ihre Liebsten daheim«, bevor sie erleichtert durchs Portal verschwanden …

Und sie würden sich Geschichten erzählen, die Idioten vom Sommerhügel, oder vielleicht ehrfürchtig erschauern bei der Vorführung eines schwülstigen Gambia-Kunstwerks oder ihre glorreiche Vergangenheit beschwören mit Buddo-Tänzen und Kerr-Winnuck und all dem anderen geistlosen Schwampf …

Manchmal, in Momenten wie diesen, war sich Ruben Caldrogyn hundertprozentig sicher, dass er nur aus Versehen hier sein musste, vielleicht aufgrund eines besonders perfiden kosmischen Irrtums. Genau, er war nicht der Sohn dieser Frau. Sondern adoptiert, oder er war ein Roboter, nur so raffiniert getarnt, dass niemand es merkte, nicht einmal er selbst!

Er gehörte nicht hierher, nicht in die Schule der Schnitzer vom Sommerhügel, sicherlich nicht.

Sein Blick wanderte vom Kargen Tal den Hügel herauf und höher, zu den Schmerzpalmen, die den Festsaal der Schnitzmeister umstanden. Einmal im Dommjahr wurde hier das Wissen von Generationen an jeweils nur eine auserwählte Person weitergegeben – mit dem Schnitzmesser, in Form von tiefen Einschnitten, deren Narben später voll Stolz zur Schau getragen wurden.

Welch perverse, pathetische Dummheit! Und wofür?

Für Händlerinnen und Müßiggänger, die ihren Mann oder ihre Ehefrau einlullen wollten, ablenken vom durchaus begründeten Argwohn, sie könnten vielleicht in den Kado, in denen sie nicht zu Hause waren, noch durch ganz andere Portale gegangen sein …

Rubens Faust hatte sich so fest um das Geländer geschlossen, dass er sie fast nicht mehr lösen konnte. Idiotie, Dummheit und Ignoranz, das musste er täglich atmen, und er erstickte nahezu daran!

War er wirklich der einzige auf dem Sommerhügel, auf dem Kontinent, ja dem ganzen Planeten, der denken konnte? Schlimmer, war er der Klügste im ganzen Land Dommrath und versauerte hier unter hirnlosen Hornknopfschnitzern?

Er gehörte woanders hin. Ganz woanders.

Höher wanderte sein Blick und höher. In den Himmel. Zum Licht.

Zu den Sternen.

Ein Schauder lief seinen Rücken hinab. Wind rauschte in den Bäumen. Regentropfen fielen auf sein Gesicht, doch er ignorierte sie, starrte nach oben, nach oben.

Und Ruben Caldrogyn erkannte, achtjährig, in diesem unendlich langen Augenblick, in dieser Nacht auf dem verfluchten Sommerhügel, wofür er bestimmt war.

Zweite Lektion

Der Flug des Königsdrachen