Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
Prolog
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
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10.
11.
12.
Epilog
Glossar
Impressum
PERRY RHODAN – die Serie
Nr. 2440
Armee der Schatten
Countdown für das Hantelschiff – der Freiheitskampf der SOL beginnt
Leo Lukas
Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt
Im Frühjahr 1346 Neuer Galaktischer Zeitrechnung steht die Menschheit vor der größten Bedrohung ihrer Geschichte. Die Terminale Kolonne TRAITOR hat die Milchstraße besetzt und alle bewohnten Planeten unter ihre Kontrolle gebracht.
Die gigantische Raumflotte steht im Dienst der sogenannten Chaotarchen. Deren Ziel ist, die Ressourcen der Milchstraße auszubeuten, um die Existenz der Negasphäre in Hangay abzusichern: einem Ort, an dem gewöhnliche Lebewesen nicht existieren können und herkömmliche Naturgesetze enden.
Als Atlan, der unsterbliche Arkonide, eine Expedition nach Hangay führt, weiß er, dass dort bereits der legendäre Generationenraumer SOL verschollen ist. Seine Überraschung ist umso größer, als er das Schiff unversehens wiedertrifft: in der Hand des Gegners, gesteuert vom designierten Piloten jenes Chaotenders, der aus den Ressourcen der Lokalen Gruppe entstehen soll. Noch gibt es allerdings eine Chance für die SOL – und diese ist die ARMEE DER SCHATTEN …
Ronald Tekener – Der Smiler sinkt in der Achtung seiner Mannschaft.
Benjameen da Jacinta – Der Zeroträumer muss ungeahnte Torturen auf sich nehmen.
Silathe – Die Kalbaron soll dem Progress-Wahrer eine spezielle Morgengabe überbringen.
Sinco Venethos, Trest Harkanvolter, Yalp und Gurli Grushgelaard – Die Mom’Serimer wachsen über sich hinaus.
Pfui, Narbengesicht!
3. September 1346 NGZ
Sitzt du gut auf deinem Thron, Ronald Tekener?
Weich gepolstert ist er ja, der Sessel des Expeditionsleiters, in dem du lässig ruhst, erhaben, abgehoben, mehrere Meter hoch über dem Bodenniveau der Hauptleitzentrale. Der Schalensitz passt sich deiner Figur perfekt an – grade so biegsam und gefügig, wie auch du dich den neuen Herren der SOL anpasst und unterwirfst.
Hast du’s bequem, Ronald Tekener?
Nach deiner Körpersprache zu schließen, scheint dich nicht zu bekümmern, was ringsherum vorgeht. Du wirkst entspannt, ungerührt; bewegungslos liegen die Unterarme auf den Lehnen.
Nur dein rechter Zeigefinger klopft einen langsamen Rhythmus, wieder und immer wieder: Tap-tap … tap-tap … tap-tap …
*
Dein Gesicht ist maskenhaft starr. Du zeigst deine Gefühle nicht, niemandem. Aber wie sieht es tief in dir drinnen aus, Tekener?
Lässt es dich tatsächlich kalt, dass du nach Dao-Lin-H’ay, deiner Lebensgefährtin für mehr als ein Jahrhundert, nun auch dein Schiff eingebüßt hast? Und zwar nicht irgendein Schiff, sondern die SOL?
In knapp drei Wochen, am 22. September, wird sich der Tag der Schande zum ersten Mal jähren: der Tag, an dem das legendäre Fernraumschiff der Menschheit vom Feind eingefangen und aufgebracht wurde. Der Tag, an dem die SOL der Terminalen Kolonne TRAITOR in die Hände fiel.
Tap-tap … tap-tap …
Kirmizz, der designierte Pilot des Chaotenders VULTAPHER, hatte euch eine Falle gestellt, und prompt seid ihr hineingetappt. Dass er, dank seiner Psi-Gabe der Mental-Dislokation, über Millionen Kilometer hinweg eine Vielzahl von Bewusstseinen zu unterjochen und kontrollieren vermag, konntest du nicht wissen.
Aber trifft dich nicht trotzdem ein gewisses Maß an Mitschuld? Du hast keineswegs leichtfertig gehandelt, oh nein; jedoch hättest du sicherlich noch vorsichtiger sein können, noch abgefeimter, noch ausgefuchster.
Immerhin sagt man dir genau diese Eigenschaften nach, nicht wahr, »Smiler«?
Darf sich ein biologisch unsterblicher Zellaktivatorträger mit über zweieinhalb Jahrtausenden Lebenserfahrung derart übertölpeln lassen? Oder ist nicht dieses Versagen, diese totale und daher besonders bittere Niederlage der endgültige Beweis dafür, dass dein Charisma dahinschwindet? Dass deine Führungsstärke erlahmt, dein Glück dich verlässt, so, wie dich Dao-Lin verlassen hat?
Tap-tap … tap-tap …
Schockierend mühelos nahm Kirmizz sich die SOL, praktisch ohne Gegenwehr, binnen weniger Minuten des 22. September 1345 NGZ. Seither, seit fast einem Bordjahr, gehört der goldene Hantelraumer den Mächten des Chaos.
Die meiste Zeit davon hat Kirmizz die SOL als eine Art Privatjacht benützt und mit ihr eine ausgedehnte Rundreise durch die Galaxis Hangay absolviert. Er wollte sich mit eigenen Augen einen Eindruck vom Entwicklungsstand der künftigen Negasphäre verschaffen. Mehrere Proto-Chaotische Zellen habt ihr angeflogen; desgleichen beide Grenzwälle, sowohl den äußeren als auch jenen nach innen, zur Kernzone hin, zu welcher der Zutritt sogar dem Piloten der Chaotarchen verwehrt blieb.
Was Kirmizz alles andere als amüsierte …
Man kann nicht sagen, dass diese galaktische Tour nicht auch der terranischen Expedition beträchtlichen Erkenntnisgewinn gebracht hätte. Beispielsweise studiertet ihr die Auswirkungen Entropischer Zyklone.
Und gemeinsam, zu zweit, nur du, Tek, und das mit überragenden, übermenschlichen, buchstäblich mörderischen Fähigkeiten ausgestattete Kunstwesen, besuchtet ihr MINATERG, das bereits fertig montierte Herz des projektierten Chaotenders VULTAPHER!
Ein außergewöhnlich interessantes Erlebnis, gewiss. Aber war es wert, sich dafür knechten zu lassen, Ronald Tekener? Knie und Nacken zu beugen, sich den Schergen des Chaos auszuliefern, ja regelrecht anzubiedern?
*
Tap-tap … tap-tap …
Vor zwei Wochen schließlich kam es zu einer erstaunlichen Begegnung. Im Sektor Kuma-Saka, wo kurz zuvor ein Entropischer Zyklon gewütet hatte, sichtete die SOL ein Raumschiff, welches eindeutig weder zur Terminalen Kolonne noch hierher nach Hangay gehörte: kugelförmig, 2500 Meter durchmessend, mit einem auffälligen Ringwulst am Äquator …
Zum Glück verzichtete Kirmizz darauf, die fremde Einheit zu verfolgen. Oder hättest du, nur um deinem blauhäutigen Meister zu gefallen, sogar einen terranischen Kugelraumer gejagt, Tek?
Wenig später wurde der hünenhafte Pilot ins Tir-Na-Tir-System berufen, wo MINATERG zwischengelagert worden war. Ein Terminaler Herold übergab Kirmizz die Koordinaten für den endlich festgelegten Ort, an dem der Chaotender VULTAPHER errichtet werden soll.
Der Bauplatz ist geheim, obwohl es einen ganz und gar beunruhigenden Hinweis auf seine Position gibt. Jedenfalls befindet er sich außerhalb Hangays. Dort eignen sich gewöhnliche Traitanks besser zur Fortbewegung als die SOL, deren Hypertakt-Triebwerk ihr nur innerhalb der Proto-Negasphäre einen Vorteil verschafft.
Kirmizz ging daher gestern von Bord. Ohne Verabschiedung, wie stets; Höflichkeit ist eher nicht sein Ding.
»Ich werde das Hantelschiff wie angekündigt stilllegen lassen«, lauteten seine letzten Worte an dich, »zur späteren Verwendung durch andere Kolonnen-Einheiten; und empfehlen, sich dabei der eingesessenen Besatzung zu bedienen. Euer weiteres Schicksal liegt jedoch nicht mehr in meinen Händen.«
Sprach’s, drehte sich um und stapfte grußlos davon.
Nachdem er Richtung Kolonnen-Fähre abgeflogen war, erwachten zahlreiche Besatzungsmitglieder, insbesondere solche mit Arbeitsplatz in den verschiedenen Leitständen des Schiffes, wie aus einem viele Monate langen Dämmerzustand. Sie hatten fast ein ganzes Jahr unter Kirmizz’ mentaler Überwachung zugebracht, mal mehr, mal weniger strikt im Zaum gehalten.
Als sie sich orientiert hatten, warfen etliche Männer und Frauen der Zentrale-Crew dir scheele Blicke zu …
Dass du, deutlich sichtbar für jedermann, mit dem blauen Monster gemeinsame Sache gemacht hast, werden die meisten deiner Leute noch nachvollziehen können. Der Pilot der Chaotarchen hatte schon bei seinem ersten Auftreten zweifelsfrei klargestellt, nur relativ kurzfristig an der SOL interessiert zu sein.
Falls deren Führung und Besatzung anstandslos kooperierten, erklärte er, so würde er ihre Leben schonen. Erwiesen sie sich jedoch als Belastung, und sei es nur in geringstem Ausmaße …
Du musstest mitspielen, Tek, um dir, der Mannschaft und dem Schiff eine Chance zu bewahren.
Aber jetzt, da Kirmizz weg ist und aller Wahrscheinlichkeit nach nie mehr zurückkehren wird?
*
Nach seinem recht hastigen Aufbruch haben die Mor’Daer das Kommando übernommen.
Zirka 1500 der schlangenköpfigen, schwer bewaffneten Soldaten, schätzt du, sind über die neuralgischen Zonen des Schiffes verteilt. Ihrer Anführerin, der Kalbaron Silathe, liegen präzise Befehle vor: Sie hat die Dienstburg SIRC am Sammelpunkt Talsadaar anzusteuern, im Sektor Elgas nahe der Kernzone Hangay.
Der von zwei Traitanks eskortierte Flug dorthin wird bei einem realistisch angesetzten Überlicht-Faktor von 950.000 etwa 23 Tage dauern. Danach soll die Verwaltung der Dienstburg – also in höchster Instanz der Progress-Wahrer Terkan von Voosar – über die weitere Verwendung der SOL entscheiden.
Na, dann viel Glück!
Glaubst du wahrhaftig, Tek, dass man in SIRC dem Hantelraumer und seiner Mannschaft irgendeinen Nutzen, irgendein Recht auf Leben oder Fortbestand zubilligen wird? Terkan von Voosar hat den unvermittelt in seinem Revier wildernden Piloten Kirmizz bei jeder Gelegenheit abblitzen lassen. Da soll er ausgerechnet das von diesem erbeutete und für persönliche Zwecke genutzte Fremdschiff langwierig umrüsten und einer gehobenen Verwendung zuführen?
Nein. Entweder presst man die Mannschaft in den Kolonnen-Dienst, oder wenn das zu aufwendig erscheint, wovon realistischerweise auszugehen ist, steht ihr ebenso wie der SOL die Terminierung bevor.
Das bedeutet: Um Schiff und Besatzung zu retten, verbleiben noch maximal 22 Tage.
Warum also rührst du nach wie vor keinen Finger, Ronald Tekener – außer diesem einen ständig pochenden, der seit geraumer Zeit allen anderen in der Zentrale furchtbar auf die Nerven geht?
Tap-tap … tap-tap …
So mancher unterstellt dir, längst die Seiten gewechselt zu haben. Weil du keinerlei Anstalten machst, gegen die Besetzer vorzugehen. Stattdessen hast du ausdrücklich Order an alle Stationen erteilt, weiterhin jeglichen Widerstand, und sei es gewaltloser, rein hinhaltender, tunlichst zu unterlassen.
Viele wollen nicht wahrhaben, dass du das ernst meinst. Aus sämtlichen Bereichen des insgesamt achttausend Meter langen, dreiteiligen Trägerraumschiffs treffen Anfragen bei dir ein, mehr oder weniger verschlüsselt: wann du loszuschlagen gedenkst und wie.
Keine einzige davon beantwortest du. Erneute Botschaften derjenigen, die dir offen deine willfährige Untätigkeit vorgeworfen haben, weist du zurück.
Da ist es kein Wunder, dass du dich von Stunde zu Stunde mehr Anfeindungen ausgesetzt siehst!
Willst du es denn nicht wahrhaben, Smiler, dass dich inzwischen Hunderte, bald wohl Tausende verwünschen, wann immer sie klarer Gedanken fähig sind? Was Wunder, dass mehr und mehr Besatzungsmitglieder sich ungläubig die Haare raufen, sich und vor allem dir ein ums andere Mal dieselbe verzweifelte Frage stellen:
»Weshalb, bei allen Sternenteufeln, unternimmt Ronald Tekener nichts?«
*
Freilich weiß jeder, dass die Herrschaft TRAITORS über die SOL nicht allein von den eineinhalbtausend reptilienhaften Mor’Daer-Kriegern abgesichert wird.
Da sind auch noch die Ganschkaren, rund dreihundert dürre, vogelähnliche Gestalten, allesamt hervorragende Wissenschaftler und Techniker, die ihren terranischen Pendants pausenlos buchstäblich über die Schultern blicken. Argwöhnisch von Natur aus, würden sie selbst die kleinste Abweichung von der Routine entdecken. Schon vor über sechzig Millionen Jahren, heißt es, haben ihre Vorfahren für die Terminale Kolonne TRAITOR gearbeitet und reibungslose interne Abläufe gewährleistet.
Nicht unwesentlich unterstützt werden sie von vier »Mobilen Rechenhirnen«, welche den Bordcomputer SENECA überwachen und gegebenenfalls korrigieren beziehungsweise blockieren können. Dabei handelt es sich um Konglomerate aus je acht annähernd würfelförmigen, dunkelgrauen Elementen von zirka 160 Zentimetern Kantenlänge. Die daraus zusammengesetzten Kuben verfügen an der Außenseite über Schaltelemente unter einer beweglichen Verschalung.
Jene Rechenhirne beflügeln die Phantasie der Möchtegern-Guerillakämpfer in den diversen Sektionen des Schiffs am allermeisten. Allein in der letzten halben Stunde sind über siebzig kaum kaschierte Vorschläge eingetroffen, wie die vier TRAITOR-Rechner und ihre ganschkarischen Bedienungstrupps auszuschalten wären – eine Idee abstruser als die andere.
Mit einer realistischen Erfolgschance durchführbar ist kein einziger dieser Pläne. Sie alle würden am wichtigsten und leider durchschlagskräftigsten Disziplinierungsmittel scheitern, das die Chaostruppen an Bord der SOL besitzen: rund tausend Kolonnen-Motivatoren.
*
Allein in der Hauptzentrale halten sich ständig einige Dutzend von ihnen auf: neblige Gebilde von unbestimmbarer, veränderlicher Form, meist zirka zwei Meter groß und immer in sachter, wallender Bewegung. Sie schlucken das Licht. Ihre bloße Anwesenheit genügt, die Helligkeit zu dämpfen, aufzusaugen, zu ersetzen durch rötliches Wabern, sodass ein düsteres Glühen den gewaltigen, kreisrunden, 180 Meter durchmessenden Saal erfüllt.
Hast du dich so sehr daran gewöhnt, Ronald Tekener, dass du dich gar nicht mehr nach dem taghell erleuchteten Normalzustand sehnst? Bist du vielleicht schon selbst Teil dieser ewigen dunkelroten Nacht geworden?
Tap-tap … tap-tap …
»Umnachtung«, das ist es, was die Kolonnen-Motivatoren verbreiten: allgemeine Ergebenheit und Mutlosigkeit.
Diese Wesen kommunizieren auf keine bekannte Weise; keins ihrer Opfer kann einzelne Sätze oder Wörter verstehen, die sie ihm zuflüstern. Dennoch vermögen sie individuell auf Personen einzugehen.
Seit Kirmizz das Schiff verlassen hat, umschwirren zum Beispiel den Haluter Blo Rakane permanent sechs der wallenden Nebelgebilde. Offenbar fürchten sie die analytische und planerische Kapazität seiner beiden Gehirne.
Wie auch immer sie es anstellen, sie lähmen Rakane höchst effektiv. Stundenlang steht er regungslos da, zur Statue erstarrt. Wenn er spricht oder sich bewegt, dann wie in Zeitlupe, lethargisch, ganz im Gegensatz zur bekannten geistigen und körperlichen Agilität seines Volkes.
Anzunehmen, dass die Kolonnen-Motivatoren auch viele andere Personen der Führungsebene beeinflussen. Um alle 5144 Mitglieder der terranischen Besatzung pausenlos unter Kontrolle zu halten, reicht ihre Zahl zwar nicht aus; sehr wohl aber, um ständig einen großen Prozentsatz davon zu belauern.
Deshalb bist du zur Passivität verdammt, Tek, obwohl du dich selbst deswegen hasst: Für die Kalbaron Silathe bist du nur von Wert, solange du ihr überzeugend den handzahmen Opportunisten vorgaukelst.
Die Mentalstabilisierung im Zusammenspiel mit dem Zellaktivatorchip schützt deine wahre Persönlichkeit, deine wahren Gedanken bis zu einem gewissen Grad vor den nebelhaften Psycho-Wächtern. Würde Silathe jedoch argwöhnisch und ließe sie dich von einer größeren Gruppe Motivatoren ins Visier nehmen, steht zu befürchten, dass sie deine geistige Abschirmung durchdringen.
Das ist der Grund, warum dich schon jede leiseste Andeutung einer widersetzlichen Einstellung vorzeitig das Leben kosten kann. Und warum du die Motive für dein Verhalten unmöglich öffentlich klarstellen darfst, sosehr du deine Mitstreiter durch dein Schweigen auch enttäuschst.
Mehr noch, du musst Auseinandersetzungen und Diskussionen mit ihnen geflissentlich aus dem Weg gehen – zu ihrem eigenen Schutz. Würde sich jemand im direkten Kontakt mit dir zu besonders heftiger Kritik an deiner Untätigkeit hinreißen lassen und sich damit als potenzieller Anstifter einer Rebellion zu erkennen geben, könnte dies sein Todesurteil bedeuten, falls Silathe davon erfährt. Mor’Daer-Kalbarone sind leicht reizbar und fackeln nicht lange.
Daher mimst du nach außen nicht nur den Kollaborateur, sondern überdies den Feigling, der das offene Wort scheut. Was nicht weiter schlimm wäre – du hast bei unzähligen Einsätzen als USO-Spezialist recht häufig widerliche Charaktere verkörpert –, gäbe es nicht stündlich mehr Besatzungsmitglieder, die dir deine Rolle glauben! Das ist es, was dich wirklich schmerzt. Dass du mit deiner Täuschung erfolgreich bist.
Tap-tap … tap-tap …
Sitzt du bequem auf deinem hohen Thron, Ronald Tekener? Und nächtens, in deiner Kabine, schläfst du gut, soll heißen: Kannst du denn überhaupt schlafen?
Und wenn, Tek – wie süß sind deine Träume?
Glückskind
»Schön, Leute, ihr wisst, was auf dem Spiel steht. Haltet euch so genau wie möglich an den Zeitplan! Am allerwichtigsten ist, was auch geschieht, Ruhe zu bewahren und unter gar keinen Umständen die Nerven zu ver… Moment mal, was willst du denn hier?«
Mit zwei raschen Sprüngen war Sinco Venethos beim Vorhang, dessen Schlitz sich bewegt hatte. Er zog den Stoff zur Gänze auseinander.
Ein Jugendlicher kam zum Vorschein, etwa sechs, maximal sieben Jahre alt, auf jeden Fall noch nicht geschlechtsreif: Beide Kopftentakel, die der Ertappte verlegen krümmte, waren gleich dick und noch nicht zur vollen Länge ausgewachsen.
»Hast du gelauscht?«, fragte Sinco alarmiert. »Wie lange stehst du schon da? Was hast du mitgehört?«
»Alles«, murmelte das Nochkind leise, den Blick nach wie vor zu Boden gesenkt.
»Alles?« Sinco drehte sich zu Gurli Grushgelaard um. »Du sagtest, ihr hättet unmittelbar vor der Unterredung den Raum durchsucht!«
»Haben wir auch. Penibelst! Da war der Knilch sicher noch nicht da.«
»Ich glaube, ich kenne ihn«, mischte sich Gurlis Bruder Yalp ein. »He, bist du nicht einer von den Harkanvolters?«
»Stimmt.« Jetzt hob er zum ersten Mal den Kopf. Trotziger Stolz schimmerte in den hellbraunen, grün gesprenkelten Mandelaugen. »Ein Urururururenkel des berühmten Lord-Eunuchen Crom Harkanvolter, der unser Volk aus der NACHT in die Weiten des Weltschiffs geführt hat.«
»Ehre seinem Angedenken. – Wie heißt du mit Vornamen?«
»Trest.« Selbstsicherer geworden, deutete er grinsend hinter sich. »Ich bin durch den Lüftungsschacht hochgeklettert.«
»Verstehe. Aber … woher wusstest du, dass wir uns hier treffen?« Sinco missfiel die ganze Sache sehr. Erstens wurde sie immer mysteriöser, und zweitens drängte die Zeit. Ihre Vierte musste jeden Augenblick hier sein.
»Wusste ich gar nicht. Nur, dass etwas Geheimes, mächtig Tolles abgeht und dass Gurli Grushgelaard dabei ist. Drum bin ich ihr gefolgt, raus aus der Scherbenstadt.«
Abermals sah Sinco die ansonsten recht Gewissenhafte tadelnd an. Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn, obwohl es in der Abstellkammer empfindlich kalt war.