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Cover

Band 25 – Zielpunkt Arkon

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Prolog

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Epilog

Band 26 – Planet der Echsen

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Band 27 – Das Gespinst

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Band 28 – Flucht ins Dunkel

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Epilog

Band 29 – Belinkhars Entscheidung

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Band 30 – Hort der Weisen

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Band 31 – Finale für Snowman

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Band 32 – Der schlafende Gott

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Band 33 – Dämmerung über Gorr

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Band 34 – Die Ehre der Naats

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Band 35 – Geister des Krieges

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Band 36 – Der Stolz des Imperiums

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Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Band 25

 

Zielpunkt Arkon

 

von Leo Lukas

 

 

 

Januar 2037: Vor einem halben Jahr wagten Perry Rhodan und seine Gefährten die Reise zum Mond – dabei trafen sie auf die menschenähnlichen Arkoniden. Jetzt steht eine viel größere Reise bevor: Rhodan möchte nach Arkon vorstoßen, ins Zentrum einer alten Zivilisation, die mehrere tausend Sonnensysteme umspannt.

Auf der Erde wächst währenddessen Terrania, die Stadt der geeinten Menschheit – trotz politischer Gegner sowie Machtgruppen, die ihren eigenen Interessen folgen. Gleichzeitig beginnen die Menschen damit, die Planeten des eigenen Solsystems zu erforschen. Auf dem Mars stoßen die Wissenschaftler auf ein faszinierendes Geheimnis.

Davon weiß Perry Rhodan nichts. Mit der TOSOMA, einem zehntausend Jahre alten Raumschiff, rasen er und seine Begleiter hinaus ins Sternenmeer der Milchstraße. Doch dann kommt es zu einer verheerenden Katastrophe – und ein grausiger Tod bedroht die Menschen an Bord ...

Wir Erdlinge haben ein Talent dafür, große, schöne Dinge kaputt zu machen.

Ray Bradbury, »Die Mars-Chroniken«

 

»Dies ist das Leben, das wir wählen. Das Leben, das wir führen.

Und eins ist sicher: Keiner von uns wird in den Himmel kommen.«

Max Allen Collins, »Road to Perdition«

 

»Pluspunkte für Geschwindigkeit, Minuspunkte für die Kochkünste.«

ebenda

 

 

Prolog:

Der Start

 

Du glaubst nicht, was mir heute passiert ist.

Bevor du gleich losschimpfst – ja, es hat mit einem Mann zu tun. Aber: Nein, ich habe keine Dummheit gemacht. Hoffe ich; zumindest keine, die sich nicht im letzten Moment hätte bereinigen lassen.

Na, neugierig geworden? Du klingst ziemlich verschlafen. Entschuldige, falls ich dich geweckt habe. Obwohl, um drei Uhr nachmittags sollte das selbst an Neujahr gestattet sein. Unter Freunden. Und du bist nun mal mein bester Freund, Tibor, und verstehst am meisten von Männern, viel mehr als ich und die anderen Mädels, und überhaupt muss ich diese Geschichte jetzt sofort loswerden, sonst platze ich.

Bist ein Schatz. Danke, dass du mir zuhörst.

Also. Gestern war bekanntlich Silvester. Wie du weißt, hasse ich diesen Tag. Ich bin nun wirklich keine Spaßbremse, aber organisierte Fröhlichkeit ist nicht mein Ding. Zwang zu guter Laune bewirkt bei mir genau das Gegenteil.

Okay, Schlag Mitternacht mit dem Partner zu tanzen fände ich ja möglicherweise romantisch – wenn ich einen Partner hätte. Da dem jedoch nicht so ist beziehungsweise war, ähem, bot sich mir nur die Wahl, mich entweder allein zu Hause einzubunkern oder wenigstens das Unangenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. Soll heißen: etwas gegen die gähnende Leere in meiner Geldbörse zu unternehmen. Irgendwie will sich mein Schuhgeschmack partout nicht mit meinem Lohnzettel vertragen.

Jedenfalls, ich hatte einen Job als Aushilfskellnerin angenommen, im Stardust Hotel, beim ersten offiziellen Silvesterdinner der Terranischen Union. Nein, Perry Rhodan war nicht anwesend. Administrator Homer G. Adams schon, aber den findest du ja nicht halb so schnuckelig ... Von den Reden und sonstigen Darbietungen bekam ich kaum etwas mit. Bei solchen Festivitäten langweilen sich vielleicht die geladenen Gäste, jedoch garantiert nicht das Servierpersonal. Wir haben ganz schön Kilometer abgespult, das kann ich dir sagen.

Um ein Uhr morgens war zum Glück Feierabend für die Aushilfskräfte. Trinkgeld gab's reichlich, und obwohl ich hundemüde war, habe ich mir einen Schlummertrunk an der Bar gegönnt. »White Russian«, richtig geraten. Ich mag das Zeug halt.

Jetzt pass auf. Kaum hat der Barkeeper das Glas vor mir abgestellt, werde ich auch schon vom Nebenmann angequatscht.

»White Russian«, sagt er. »Aber oje, ich fürchte, in ganz schlechter Qualität.«

Nach sieben Stunden Dauerlauf habe ich absolut keinen Bock auf spätnächtliches Geplänkel. Außerdem ist der Kerl so was von überhaupt nicht mein Typ: klein, dick, glatzköpfig; um die fünfzig, schätze ich, also mindestens zehn Jahre zu alt ... Zu allem Überdruss trägt er eine abgewetzte Armeejacke, vorne offen, sodass ein weißes Feinripp-Unterhemd herausleuchtet. Na ja, leuchtet; eher speckig schimmert.

Ich überlege noch, ob ich ihm kurz und schonungslos beibringen soll, dass er definitiv nicht in mein Beuteschema passt, oder mich nicht doch besser tot stelle und so tue, als hätte ich nichts gehört – da greift er sich mein Glas und trinkt daraus!

»Auweia. Weit vorbei ist auch daneben«, sagt er danach mit Leidensmiene. »Erstens, Eiswürfel geht schon mal gar nicht. Zweitens, Strohhalm ist ebenso verboten. Weil, bei einem klassischen White Russian gehören zwar Wodka und Kahlúa tüchtig verrührt, hingegen achtet man darauf, dass sie sich nicht mit der Sahne vermischen. Die dickflüssig geschlagene Sahne wird nämlich nur vorsichtig aufgegossen; floaten heißt der Fachausdruck. Deswegen trinkt man auch direkt aus dem Glas. Erst im Mund vereinen sich die Bestandteile, und nur dann entfaltet sich die volle cremige, leicht süßlich-herbe Note des Getränks.«

Wie gesagt, er ist alles andere als mein Typ, äußerlich. Und überschlaue Belehrungen kann ich normalerweise auch nicht leiden. Aber der Glatzkopf mit den buschigen Augenbrauen und der keineswegs aparten Zahnlücke schafft es irgendwie, nicht aufdringlich oder besserwisserisch rüberzukommen. Vielmehr erweckt er den Eindruck, die Sache wäre ihm ein echtes Anliegen. Als habe er unbedingt eingreifen müssen. Er wirkt ... fürsorglich, verstehst du? Umsichtig. Verantwortungsbewusst. Nein, nicht väterlich! Davon bin ich geheilt.

Wie auch immer, ich verzichte darauf, ihm den Rest des Cocktails ins Gesicht zu schütten. Stattdessen sage ich, relativ perplex: »Klassisch oder nicht, mir genügt's.«

»Unsinn, junge Dame. Was ist das für eine Einstellung? Die Menschheit greift nach den Sternen, und ein zu Höherem bestimmtes Wesen wie Sie gibt sich mit so einem üblen Gesöff zufrieden? Nicht in meiner Gegenwart!«

Wie ein Kugelblitz zischt er hinter die Bar und fängt an herumzufuhrwerken. Der Barkeeper, ein Han-Chinese vom Format eines Basketball-Centers, lässt ihn erstaunlicherweise gewähren, obwohl er eigentlich beleidigt sein sollte. Er reicht ihm sogar beflissen die Zutaten.

»Hier bitte«, sagt der Glatzköpfige, während er die Gläser austauscht. »Das ist ein White Russian. Wohl bekomm's!«

»Danke!« Ich nehme einen Schluck, und was soll ich sagen? »Hmmm.«

Schon sitzt er wieder neben mir und strahlt mich an. Sagt aber nichts.

Jetzt will ich doch nicht unhöflich sein und frage: »Sind Sie Barmixer?«

»Nein. Koch. Aber fast ein ›White Russian‹. Ukrainer. Geboren in Kiew. Von da ist es nicht weit nach Weißrussland. Ich heiße Rinat Ugoljew.« Er reicht mir die Hand. »Meine Freunde nennen mich Rhino, wegen meiner eleganten Erscheinung.«

Immerhin besitzt er Selbstironie und einen speziellen Charme, so rau wie sein Akzent.

»Renate van Zutphen«, stelle ich mich vor. Im letzten Moment verkneife ich es mir, hinzuzufügen, dass ich gebürtige Dänin und nach Terrania gekommen bin, weil ich noch einmal ganz von vorne anfangen wollte. Letzteres trifft schließlich auf so gut wie alle Bewohner dieser blutjungen Stadt zu.

Rhino verbucht einen weiteren Pluspunkt, weil er meinen Namen nicht kommentiert. Weder fragt er nach meiner Herkunft, noch versucht er aus dem Anklang von Renate und Rinat eine Gemeinsamkeit zu konstruieren.

Dies ist der Moment der Entscheidung, ob ich meine Ruhe haben oder mich auf ein Gespräch mit ihm einlassen will. Einen White Russian lang, maximal. Ich weiß nicht recht. Seltsamerweise zögert er ebenfalls.

Der Barkeeper bricht das Schweigen: »Noch ein Bierchen, Rhino?«

»Nein. Muss morgen fit sein. Hunger hätte ich allerdings.«

»Meine Speisekarte umfasst Erdnüsse mit Salz oder Erdnüsse ohne Salz.«

»Klar.« Rhino breitet die Arme aus, wobei die Jackenärmel zurückrutschen. Seine Unterarme sind stark behaart und blassblau tätowiert. »Wie immer wird das nichts, außer ich mache es selber. Hast du auch noch Hunger, Renate?«

Überrumpelt bejahe ich wahrheitsgemäß. Vom uns zustehenden Personalessen habe ich nicht mehr als ein paar Happen abbekommen, buchstäblich zwischen Tür und Angel. Keine Zeit, sich hinzusetzen, geschweige denn mitzukriegen, wie es geschmeckt hat.

»Ich koche auf jeden Fall noch was«, sagt Rhino und leckt sich über die Lippen, »oben in meinem Zimmer. Aber lieber für zwei. Leistest du mir Gesellschaft? Ich hole nur schnell ein paar Sachen.«

Ohne meine Antwort abzuwarten, düst er davon, in Richtung der Hotelküche.

Grinsend beugt sich der hünenhafte Barkeeper über den Tresen. »Weißt du, dass viele Leute Unsummen dafür zahlen würden, von Rhino persönlich bekocht zu werden?«

»Nein ...?«

»Er ist der aktuelle Superstar der Edelgastronomie. Die Reichen und Berühmten liegen ihm zu Füßen. Einen Tisch im Nautilus, seinem Moskauer Restaurant, musste man Monate vorab reservieren. Nicht einmal der Zar konnte einfach auf gut Glück dort aufkreuzen.«

»Musste? Konnte?«

»Rhino hat alles, was er sich in Jahren aufgebaut hatte, hingeschmissen – für Rhodan. Die Speisenfolge des Silvesterdinners wurde nach seinen Vorgaben zusammengestellt und ausgeführt. Mir sind keine Klagen zu Ohren gekommen, ganz im Gegenteil. Alle meine Bargäste haben in höchsten Tönen geschwärmt.«

Ich ertappe mich dabei, dass ich unwillkürlich einspeichle. Mein Magen knurrt. Um mich abzulenken, leere ich das Cocktailglas. Als ich aufblicke, steht Rhino vor mir, in jedem Arm einen Korb voller Lebensmittel.

»Nichts Großartiges«, sagt er. »Bloß drei Gänge. Ein kleines gemischtes Carpaccio, eine relativ fade, gesunde Gemüsesuppe und zum Abschluss ein winziges, scharf gebratenes Stück Languste. Was Leichtes, wir wollen schließlich beide gut einschlafen können, ohne dass der Magen revoltiert. Bist du dabei?«

 

Über den Rest der Nacht wirst selbst du von mir keine Details erfahren, lieber Tibor. Aber sei versichert: Es war aller Ehren wert. Der Barkeeper hatte nicht zu viel versprochen. Das betrifft übrigens nicht allein die Kulinarik.

Ja, ich blieb bei Rhino. Zum einen, weil es spät beziehungsweise sehr früh war und ohnedies nur ein einsames, wesentlich kälteres Bett auf mich wartete; zum anderen, weil Rhino sich durchaus als Gentleman erwies. Er drängte mich nicht. Er erlaubte mir, jeden Schritt selbst zu bestimmen.

Natürlich ist er ein ausgemachtes Schlitzohr, keine Frage. Trotzdem, er spielt mit offenen Karten. Die Tricks, die er benutzt – und er kennt einen Haufen Tricks –, die sagt er vorher an. Er täuscht weder sich noch anderen etwas vor. Er verwendet nicht einmal ein Deodorant. Rhino ist, wer und was er ist.

Nie hätte ich gedacht, dass ich mich mit einem scheinbar so unattraktiven Mann wie ihm einlassen könnte. Aber nun ja, es ist geschehen.

Und es war ... hmmm.

Ein fernes Donnern weckte uns.

Rhino fuhr hoch. »Wie spät ist es?«

»Keine Ahnung«, grummelte ich. »Mit Sicherheit zu früh zum Aufstehen. Gib Frieden, Schätzchen, ja? Um diese Jahreszeit kommen in der Gobi recht häufig Gewitter vor, habe ich mir sagen lassen.«

»Der Wecker«, insistierte Rhino aufgeregt. »Hat der Wecker schon geläutet?«

»Kann sein.« Dunkel erinnerte ich mich, dass ich ein lästiges Geräusch mit einem gezielten Hieb zum Verstummen gebracht hatte. Irgendwann, mitten in der Nacht.

Slawische Flüche von sich gebend, katapultierte Rhino sich aus dem Bett und rannte pudelnackt zur Fensterfront. »Die TOSOMA!«, rief er. »Sie wird jeden Moment starten!«

Ich und mein Glück, dachte ich schlaftrunken. Kaum haben wir uns kennengelernt, ist auch schon der Name einer anderen Frau im Spiel.

»Was willst du von dieser dings, Torosa oder wie sie heißt?«, fragte ich.

»Mitfliegen! Die TOSOMA ist Rhodans Raumschiff. Ich hätte um zehn Uhr an Bord sein sollen. Welche Uhrzeit haben wir?«

Unter dem Bett fand ich den Wecker. »Acht Minuten vor Zwölf.«

»Der Start ist auf Punkt zwölf Uhr Mittag angesetzt. Die sind im Zeitplan. Hörst du denn nicht, dass bereits die Triebwerke warm laufen?« Während er wie ein Rohrspatz zeterte, schlüpfte er hektisch in seine Kleidung. »Hast du ein Fahrzeug, Renate?«

»Einen Elektro-Flitzer, ja.«

»Zweisitzer?«

Abermals bejahte ich. »Er parkt vor dem Hotel.«

»Worauf wartest du noch? Zieh dich an, flott! Das Flugfeld liegt einige Kilometer außerhalb der Stadt. Zu Fuß schaffe ich das auf keinen Fall. Du musst mich hinbringen. Beeil dich bitte, ich flehe dich an!«

Wie gesagt, er hatte mich wenige Stunden zuvor nach allen Regeln der Kunst verwöhnt. Ich war ernstlich gefährdet, mich in ihn zu verknallen. Frische Verliebtheit dauert nur ein paar Monate lang, aber mit zwei Kochplatten und kaum Geschirr ein Fünfsternemenü zaubern können, das hält an ... Insofern war ich hin und her gerissen. Einerseits wollte ich ihm helfen; andererseits behagte mir der Gedanke nicht sehr, dass ich Rhino noch dabei unterstützte, auf und davon zu fliegen.

Ein Teil von mir, der selbstsüchtige und faule, wäre gern der Verlockung erlegen, so lange zu trödeln, bis auch die letzte Chance dahin war, das Raumschiff rechtzeitig zu erreichen. Der andere, bessere Teil hingegen sah ein, dass ich immer Zweite hinter der TOSOMA sein würde – ganz egal, ob Rhino noch an Bord kam oder nicht.

Wir warteten nicht auf den Lift, sondern stürmten die Nottreppe hinunter, zwei Stufen auf einmal nehmend. Draußen war es wieder einmal saukalt. Klimatisch gesehen hatte Perry Rhodan sich einen lausigen Ort für die neue Weltmetropole ausgesucht. Da hätte es nun wirklich angenehmere Gegenden gegeben als die Wüste Gobi ...

Mein kleines Elektro-Auto, fast schon ein Kuriosum, weil nicht aus den Beständen der ehemaligen chinesischen Belagerungsarmee, war zwischen zwei schweren Geländewagen eingekeilt, mit nicht mehr als drei Fingerbreit Abstand zu den Stoßstangen. Zum Glück lassen sich die Räder bis zu neunzig Grad drehen, sodass ich trotzdem ausparken konnte.

»Kannst du nicht anrufen, dass sie auf dich warten?«, fragte ich, während wir durch die Peripherie Terranias rasten. Die Äußere Stadt war nach dem Ende der Belagerung entstanden und wuchs rasch – wenngleich nicht ganz so schnell, schien es, wie der Stardust Tower im Zentrum der Stadt förmlich in den Himmel schoss. Hier gab es, im Gegensatz zur Inneren Stadt, breit angelegte Ausfallstraßen. Aber wegen der zahlreichen Baustellen musste ich immer wieder Absperrungen umkurven.

»Sehr witzig. An Bord sind insgesamt zweitausendzweihundert Personen. Glaubst du, Kommandantin Thora da Zoltral unterbricht die Startvorbereitungen, bloß weil einer der Köche verschlafen hat?«

»Der Chefkoch, nehme ich doch an.«

»Ein Titel ohne Wert. Die Kollegen sind auch keine Stümper. Vor allem aber hat man uns vorgestern bei der Instruktion unmissverständlich eingeschärft, dass absolute Pünktlichkeit geboten ist. Wie schon der selige Gorbatschow sagte: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.«

Das Chronometer am Armaturenbrett zeigte drei Minuten vor zwölf, als wir die letzten Ausläufer der Stadt hinter uns ließen. Nun eröffnete sich der freie Blick auf die Wüstenlandschaft der Gobi und die Piste, die sie zerschnitt. Sie verlief kerzengerade auf das Monstrum zu, das sich vor den Hügeln am Horizont erhob und diese surreal erscheinen ließ, als wären sie nicht echt, sondern Kulisse eines Modellbau-Dioramas.

Die TOSOMA war nicht riesig, sie war gigantisch. Obwohl noch mehrere Kilometer entfernt, wirkte sie auf mich erdrückend in ihrer stählernen Wucht.

Selbstverständlich kannte ich aus den Nachrichtensendungen Bilder des arkonidischen Schlachtschiffes, das Rhodans Leute auf dem Grund des Atlantischen Ozeans gefunden hatten. Aber weder Filmaufnahmen noch schematische Darstellungen vermochten die Relationen annähernd so überwältigend wiederzugeben, wie sie sich dem freien Auge darboten. Und schon gar nicht die phantastische Geschichte dahinter: Die TOSOMA war vor zehntausend Jahren ins Meer gestürzt, abgeschossen in einer Schlacht, die den Kontinent Atlantis im Ozean hatte versinken lassen.

»Wahnsinn«, flüsterte ich.

»Nicht wahr?«, gab Rhino zurück. Mit feierlichem, fast singendem Unterton zählte er auf: »Sie durchmisst genau achthundertdrei Meter und achtundsiebzig Zentimeter. Sechzehn Impulstriebwerke im äquatorialen Ringwulst beschleunigen die TOSOMA mit maximal fünfhundert Kilometern pro Sekundenquadrat; das heißt: binnen zehn Minuten bis zur Lichtgeschwindigkeit!«

»Ich kann mir schwer vorstellen, dass dieser Koloss überhaupt vom Boden abhebt.«

»Du wirst es erleben. In ...« Rhino blickte auf die Uhr. »Nicht mal neunzig Sekunden. Pisdez! Gib Gas, mein Täubchen!«

Ich verzichtete darauf, ihm zu erläutern, dass mein Flitzer weder mit Gas noch mit Flüssigtreibstoff fuhr. Ohnehin holte ich das Letzte aus dem kleinen Wagen heraus. Wir rasten auf den Kugelraumer zu, der sich, je näher wir ihm kamen, nur immer noch gewaltiger auftürmte, ein Berg aus Stahl, auf zwölf vergleichsweise fragilen Teleskoplandestützen ruhend.

Im Abstand von etwa einem Kilometer umgab ein Drahtzaun das provisorische Flugfeld, dessen wie glasierter Boden an eine flirrende, spiegelnde Wasserfläche erinnerte. Zahlreiche Fahrzeuge waren vor dem Zaun geparkt; verschiedenste Privatautos, aber auch viele Busse mit Schaulustigen. Eine Schranke quer über die Piste sperrte die Zufahrt ab. Daneben standen etwa zwei Dutzend Uniformierte.

Während ich die Geschwindigkeit reduzierte, sagte Rhino mit rauer Stimme: »Keine Zeit für langwierige Verhandlungen. Ich habe zwar einen Ausweis, aber die lassen mich garantiert nicht mehr rein. Schafft dein Flitzer die Schranke?«

»Was?«

»Ob wir den Balken rammen und durchbrechen können.«

»Spinnst du? Keine Chance. Dies ist ein leichtes Stadtgefährt mit Plastikkarosserie, kein Bulldozer.«

»Das habe ich befürchtet. Umfahr den Parkplatz! Rechts einschlagen! Los, runter von der Piste! Mach schon!«

Er musste verrückt geworden sein. Aber ich auch, denn ich befolgte seine Anweisungen. Mit gut sechzig Kilometern pro Stunde holperten wir über den unebenen Untergrund aus Sand und Geröll. Die Fahrgastzelle schepperte, dass mir beinahe Hören und Sehen verging. Nur mit Mühe hielt ich das Lenkrad fest.

»Wohin?«

»Zum Zaun, was sonst!«

»Rhino, das ist sinnlos. Komm zur Vernunft! Den Drahtzaun überwinde ich vielleicht mit viel Schwung, aber da drinnen werden wir geröstet, wenn das Raumschiff startet. Wir verglühen mitsamt der Karre!«

»Das weiß ich auch. Bring mich nur bis zum Zaun!«

»Was hast du vor?«

Er gab keine Antwort, sondern kaute angespannt auf der Unterlippe. Mittlerweile waren die Polizisten auf uns aufmerksam geworden. Zwei Geländewagen nahmen die Verfolgung auf. Trotz ihrer weit besseren Bereifung und Motoren verringerte sich unser Vorsprung nur allmählich.

»Du fährst übrigens erstklassig«, lobte Rhino. »Falls ich jemals einen Fluchtfahrer für einen Banküberfall benötige ...«

»Nein danke, dieser Irrsinn hier reicht mir.« Insgeheim freute ich mich, dass sich der kürzlich absolvierte Schleuderkurs bezahlt machte.

Die letzten abgestellten Fahrzeuge lagen hinter uns. Ich steuerte den Zaun an, schlug in voller Fahrt hart ein und zog die Handbremse. Der E-Flitzer schlingerte, drohte sich zu überschlagen und kam einen Meter vor dem Maschengitter zum Stehen, umgeben von einer Staubwolke.

»Wir sehen uns wieder, Renate!«, rief Rhino, griff sich seinen Seesack und hechtete hinaus. Flinker und geschickter, als ich es ihm zugetraut hätte, erkletterte er den Zaun und sprang auf der anderen Seite hinunter. Mit beiden Armen winkend, machte er drei Schritte in Richtung des Riesenschiffes ...

Und die TOSOMA startete.

 

»He!« Rhinos verzweifeltes Brüllen übertönte sogar das Getöse der Triebwerke. »He! Blin!, ihr könnt mich doch nicht zurücklassen. Wer soll euch den besten Borschtsch der Galaxis kochen?«

Wenige hundert Meter vor uns gerieten die Elemente in Aufruhr. Der arkonidische Kugelraumer hob ab, keineswegs ruckartig, sondern so scheinbar mühelos, als wäre er plötzlich leicht wie eine Feder. Ohne das geringste Schwanken gewann er rasch an Höhe.

Rhino ließ die Arme sinken und die Schultern hängen. Er hatte alles versucht und war doch gescheitert. Dieses Abenteuer, wahrscheinlich, nein: mit Sicherheit das größte Abenteuer in der gesamten bisherigen Geschichte der Menschheit, würde ohne ihn stattfinden.

Der kleine, dicke Mann knickte ein. Langsam sank er auf die Knie.

Ein Teil von mir, der moralisch hochwertigere, empfand Mitleid. Und Reue: Ich war ja nicht ganz unschuldig daran, dass Rhino den Abflug verpasst hatte. Die andere Renate hingegen – ich gebe es zu – frohlockte. Der ukrainische Küchenmeister mochte keine Schönheit sein. Aber er hatte das Herz und noch das eine oder andere sonstige Organ am rechten Fleck.

Ich begann zu überlegen, wie ich ihn trösten könnte, da geschah etwas Ungeheuerliches.

Auf einmal schwebte Rhino, nach wie vor in kniender Haltung, einen halben Meter über dem Boden. Als habe ihn eine unsichtbare Riesenhand erfasst, wurde er in die Luft gehoben. Und jählings nach oben gerissen, hin und her geworfen wie von Sturmböen. Erst jetzt kam mir zum Bewusstsein, dass ein Orkan über das Flugfeld heulte, ohrenbetäubend laut. Auch stank es nach verbrannter Erde und Ozon.

Rhino entschwand in den Himmel. Mir fiel ein, dass die Arkoniden über energetische Zugvorrichtungen verfügten, die Traktorstrahlen genannt wurden. Ein solch unsichtbarer Strahl zog Rhino zur TOSOMA hinauf wie eine Mücke zu einem in eine blendend helle Feuerlohe gehüllten Tennisball.

Er hatte es doch noch geschafft, im allerletzten Moment. Ich freute mich für ihn und empfand zugleich Trauer, weil ich ihn verloren hatte. Wir hatten uns nicht einmal zum Abschied geküsst.

Tja. So war das, Tibor.

 

Die Polizisten nahmen mich natürlich fest und ließen mich aber nach einem kurzen Verhör wieder laufen. Kann sein, dass ich eine Verwaltungsstrafe aufgebrummt bekomme, meinten sie, wegen Beihilfe zum unerlaubten Betreten einer Hochsicherheitszone. Aber sehr viel wird mir wohl nicht passieren. Terrania ist noch jung. Wir haben zwar schon Polizei, aber ein Gefängnis fehlt uns einstweilen noch. »Da drohen dem Teufelskerl, den Sie hierher gefahren haben, vermutlich weit schlimmere Gefahren.«

Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. »Die TOSOMA hat einen weiten Weg vor sich«, sagte ich leise.

»Allerdings. Es handelt sich um die erste interstellare Fernexpedition der Menschheit«, sagte die Polizeioffizierin. Sie reichte mir meine Ausweispapiere. »Ihr rundlicher Freund, Perry Rhodan, Reginald Bull und all die anderen an Bord begeben sich auf eine unvorstellbar weite Reise. Das Ziel heißt Arkon.«

»Ja.« Ein Schauder lief mir den Rücken hinab. »Das Ziel«, wiederholte ich, »heißt Arkon.«

1.

Die Ankunft

 

»Furcht und Schrecken«, sagte die Navigatorin, eine gedrungene, milchkaffeebraune Kubanerin namens Celia Cienfuegos.

»Wie bitte?«

»Die Monde. Phobos und Deimos.« Sie zeigte auf einen der Außenbeobachtungsschirme, wo zwei kleine, unregelmäßig geformte Himmelskörper zu erkennen waren. Wenn man sehr genau hinschaute. »Die Bezeichnungen sind ursprünglich altgriechisch und bedeuten Furcht beziehungsweise Schrecken.«

»Ah. Verstehe. Ich wusste nur, dass der Planet Mars nach dem römischen Kriegsgott benannt wurde.«

»Dachte, Sie sind Historiker.«

»Aber kein klassischer Altphilologe«, sagte Cyr Aescunnar. »Im Übrigen ist die angeblich dokumentierte Vergangenheit ein Konstrukt der Gegenwart, löchriger als ein Emmentaler Käse. Mein Interesse gilt mehr der Prä-Astronautik. Lange verlacht, seit Entdeckung diverser arkonidischer Artefakte mit einem Male hoch im Kurs.«

»Haben Sie auch den Mars in Verdacht?« Cienfuegos lächelte spöttisch. »Ich meine, vermuten Sie auf dem Roten Planeten irgendwelche mysteriösen Hinterlassenschaften?«

»Warum nicht? Erde, Pardon: Terra und Venus waren den Arkoniden wichtig genug, dass sie dort Stützpunkte errichteten.«

»Vom Mars ist nichts dergleichen bekannt.«

»Noch. Wir werden sehen.«

Auf dem anderen Schirm wuchs der Rote Planet kaum merklich, aber stetig an. Eigentlich war er vorwiegend orangefarben, aufgrund des in der Atmosphäre und überall auf der Oberfläche reichlich vorhandenen Eisenoxidstaubs. Einige hellblaue Wolkenbänder, vor allem an den Polregionen, sorgten für Kontrast.

»Der populärste Planet unseres Sonnensystems«, kommentierte die Navigatorin, »in literarischer Hinsicht. Und dabei der zweitkleinste. Sein Durchmesser ist mit knapp sechstausendachthundert Kilometern etwa halb so groß wie jener von, äh, Terra. Sein Volumen beträgt nur etwas mehr als ein Siebentel des Erdvolumens.«

»Dennoch faszinierend«, gestand Cyr seine nicht gelinde Erregung ein.

Die Raumfahrt war ihm nicht mehr gänzlich unvertraut. Er war mit einem arkonidischen Aufklärer quer durch das Sonnensystem geflogen, hatte zusammen mit Eric Manoli und dem überaus merkwürdigen, kleinwüchsigen Außerirdischen, der sich Gucky nannte, den Saturnmond Titan besucht. Aber die jetzige Reise gestaltete sich ungleich urtümlicher; bodenständiger – so paradox der Begriff anmutete, da sie die unendliche, vollkommen bodenlose Weite des Weltalls umgab.

Verglichen mit besagtem Arkonidenschiff, stellte die SCHIAPARELLI XVII ein offenes Wikingerboot im Gegensatz zu einem Luxuskreuzer dar. Sie war ein Hybridraumer, im Übereifer des Aufbruchs zu den Sternen zusammengestoppelt aus menschlichem Ingenieursgeist und altbewährter ferronischer Technik. Himmelweit der von den Arkoniden ganz selbstverständlich angewandten Technologie unterlegen, aber im Augenblick verfügte die Menschheit nur über zwei überlichtschnelle Raumschiffe: die in ihrer Monstrosität einzigartige TOSOMA und den kleineren, ungleich schwächeren ehemaligen topsidischen Aufklärer NESBITT-BRECK, den Perry Rhodan und Reginald Bull vor einigen Monaten zusammen mit dem Ferronen Chaktor von der Oberfläche des Höllenplaneten Gol im Wega-System geborgen hatten.

Irgendein Designer hatte sich bemüßigt gefühlt, bei der SCHIAPARELLI, die rund 45 Meter maß, zusätzlich topsidische Stilelemente aufzugreifen und »originell« zu variieren. Deswegen bestand sie aus zwei durch einen deutlich schlankeren Zylinder verbundenen Kugeln.

Eine Hantel, dachte Cyr Aescunnar. Eine Hantel, wie sie Gewichtheber verwenden, in der Schwerelosigkeit des Alls. Welch unpassendes Konzept!

Wie auch immer, der missglückte Entwurf würde bald der Vergessenheit anheimfallen. Nach der Landung auf dem Mars – falls sie gelang – hatte das Versorgungsschiff seine Schuldigkeit getan. Es würde zerlegt werden, ausgeschlachtet und das Material einer anderen Nutzung zugeführt.

»Ares«, sagte Cyr. »Das wäre der griechische Name, nicht wahr?«

Die Navigatorin, die von Hauptberuf Biologin war, ignorierte ihn. Sie widmete nun ihre ganze Konzentration dem Anflugmanöver. Celia hatte erzählt, dass sie eine echte Guantánamera war, denn sie stammte aus der Provinz Guantánamo, die um die Jahrtausendwende traurige Berühmtheit wegen des dort angesiedelten, US-amerikanischen Gefangenenlagers erlangt hatte.

Unwillkürlich summte Cyr die simple und doch so eingängige Melodie vor sich hin, die er damit assoziierte, einen Evergreen der terranischen Musikgeschichte ... »Guan-tána-mera«, sang er im Geiste, »Guajira Guantánamera ...«

Dann sackte das Schiff durch, rüttelnd und schüttelnd. Sämtliche Schirme leuchteten in schlierigem Grellorange. Die Oberfläche schien ihnen entgegenzuspringen. Gleich darauf gaben die Triebwerke so hart Gegenschub, dass Cyr ums Haar das ohnehin gräuliche Bordessen hochkam.

Ein Ruck, der schmerzte, als würde Cyr entlang seines Steißbeins gepfählt. Dann noch einer und noch einer.

»Wir sind da«, sagte Celia Cienfuegos lapidar.

»Fertigmachen zum Aussteigen!«, befahl der Schiffskommandant.

 

Sie betraten Marsboden.

Unwirklich langsam senkte sich der aufgewirbelte rötliche Sand. Auch die zehn Gestalten in ihren klobigen Raumanzügen bewegten sich wie in Zeitlupe. Die Fallbeschleunigung auf der Marsoberfläche betrug nicht einmal vierzig Prozent der irdischen; die Schwerkraft war sogar noch geringfügig niedriger als auf dem kleineren, aber dichteren Merkur.

Im Gänsemarsch, mit komisch anmutenden, wiegenden Schritten, stapften sie vom Landeplatz der SCHIAPARELLI zu einer dreißig Meter hohen, etwa vierhundert Meter durchmessenden, transparenten Kuppel. Das üppig wuchernde Grün dahinter wirkte fehl am Platz, verloren, chancenlos gegen die umgebende gelbrote Einöde.

Eine winzige Insel der Hoffnung inmitten lebensfeindlicher Wüste, das war Bradbury Base, die Hauptstation auf dem Mars. Ihr Standort in einem der Valles Marineris war einem Kompromiss geschuldet: Am Grund des gigantischen, bis zu sieben Kilometer tiefen und Hunderte Meter breiten Canyons herrschte der höchste Luftdruck auf dem Planeten; dafür nahm man den Nachteil etwas geringerer Sonneneinstrahlung in Kauf.

Cyr Aescunnar und seine Begleiter drängten sich in eine Luftschleuse an der Basis der Kuppel. Nachdem Atemluft eingeströmt war, öffnete sich ein Schott. Sie traten hindurch und nahmen mit einem kollektiven Aufseufzen die Helme ab.

Eine hochgewachsene, schlanke junge Frau erwartete sie. Der Kurzhaarschnitt und die saloppe Kleidung deuteten darauf hin, dass sie wenig Wert auf modische Äußerlichkeiten legte. Sie trug keinen Schmuck und war ungeschminkt, jedoch keineswegs ein graues Mäuschen. Die graublauen, funkelnden Augen verrieten Durchsetzungsvermögen und eisernen Willen.

»Willkommen in Bradbury Base«, sagte sie mit leichtem französischem Akzent. »Ich bin Louanne Riembau, die Interimskommandantin der Mars-Mission, und überaus erfreut über den Nachschub von der Erde.«

Cyr war der Letzte, den sie per Handschlag begrüßte. Als sie seine Hand nahm, zögerte sie, sah ihn prüfend an und sagte: »Sie sind nicht Professor Hennings.«

»Nein. Hennings erkrankte unglücklicherweise kurz vor dem Abflug. Ich bin sein Ersatz, Cyr Aescunnar.«

Riembau zog die Stirn kraus. »Wieso hat man mich nicht informiert?«

»Sie wissen ja, in Terrania geht es drunter und drüber, zum Jahreswechsel noch mehr als sonst. Hinzu kam der Aufbruch der TOSOMA ...«

»Ein Funkspruch wäre trotzdem nicht zu viel verlangt gewesen. – Sie sind ebenfalls Hydrologe, nehme ich an?«

»Äh, nein. Historiker.«

Der Stationskommandantin fielen fast die Augen aus den Höhlen. »Ein Historiker? Auf dem Mars? Hat Terrania endgültig den Verstand verloren?«

»Darüber zu urteilen steht mir nicht zu. Administrator Adams war der Ansicht ...«

»Adams also«, unterbrach Riembau ihn brüsk. »Ein Günstling. Prima. Genau, was wir hier am dringendsten brauchen.«

»Ich glaube, Sie verstehen nicht ...«

»Ich verstehe sehr gut. Wei Si Ping!«

Ein drahtiger Asiat, der sich unauffällig im Hintergrund gehalten hatte, kam herbeigeeilt. »Ja, Kommandantin?«

»Stecken Sie unseren heiß ersehnten Neuzugang zu Hetcher.« Ohne ein weiteres Wort wandte sie sich ab und ließ Cyr stehen.

 

»Das war, würde ich meinen, eher kein optimaler Einstand«, sagte Cyr zu dem Asiaten, der ihn auf verschlungenen Pfaden durch die Gartenanlage führte.

»Nehmen Sie es ihr nicht krumm«, sagte Wei Si Ping versöhnlich. »Louanne hat eine Menge Stress, und das Schicksal ihres Vorgängers geht ihr zu Herzen. Aber sie ist eine propere Person und als Wissenschaftlerin spektakulär erfolgreich. Mit der Zeit werden Sie beide schon zurechtkommen.«

»Was ist ihr Fachgebiet?«

»Geologie. Auch das meine übrigens. Sie sind mit dem Auftrag der Mars-Stationen vertraut?«

»Forschung mit der Hauptstoßrichtung, die Möglichkeit eines Terraformings für den Mars auszuloten?«

»Richtig. Dankenswerterweise greifen uns die Ferronen, die über reichhaltige Erfahrung mit lebensfeindlichen Planeten aus ihrem Heimatsystem verfügen, unter die Arme. Ihre Technologie stellt eine solide Grundlage für unsere Arbeit dar, wenngleich sie weit entfernt von der Märchentechnik der Arkoniden ist. Davon können wir hier nur träumen.«

Der Garten unter der Kuppel, erläuterte Wei Si Ping, diente der Sauerstoff- und Lebensmittelversorgung von Bradbury Base. Die Station strebte höchstmögliche Autarkie an. Ein Feld von Solarmodulen unweit der Kuppel lieferte die benötigte Energie. Zusammen mit den Neuankömmlingen bestand die Besatzung nun aus 196 Personen, fast ausschließlich Wissenschaftler mit astronautischer Vergangenheit.

»Verstehe. Ich werde mich wohl mit meiner Rolle als hässliches Entlein abfinden müssen«, sagte Cyr, ungebrochen guter Laune. Immerhin war er heil ans Ziel gelangt.

Wei Si Ping geleitete ihn in den Untergrund, wo sich die Wohnquartiere und weiteren Einrichtungen der Station befanden. Sie waren allesamt aus zylindrischen, etwa fünf Meter durchmessenden und fünfzehn Meter langen Containermodulen errichtet worden.

Der Geologe blieb vor einer Tür stehen, an der ein Schild mit der Zahl 78 angebracht war. »Da sind wir. Hier ist Ihre Kabine. Erholen Sie sich erst mal von den Strapazen der Anreise. Hetcher wird Sie in Ruhe lassen. In vier Stunden hole ich Sie ab und führe Sie auf Bradbury Base ein.«

»Vielen Dank für Ihre Bemühungen.«

»Gern geschehen.« Wei Si Ping deutete eine Verneigung an und entschwand federnden Schrittes um die Gangbiegung.

Cyr klopfte an, ein Gebot der Höflichkeit gegenüber seinem unbekannten Mitbewohner. Keine Reaktion. Er klopfte ein zweites, ein drittes Mal, erntete jedoch weiterhin keine Reaktion.

Schließlich fasste er sich ein Herz und öffnete die Tür.

 

Der Mann, der am Tisch der engen Kabine gesessen hatte, fuhr erschrocken hoch, wobei sein Stuhl umfiel. Er war klein, untersetzt und hatte blaue Haut – ein Ferrone. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er Cyr an.

»Ich bitte vielmals um Pardon, dass ich unaufgefordert eindringe. Sie ... sind Hetcher?«

Der Ferrone antwortete nicht. Sichtlich rang er um Fassung.

»Mein Name ist Cyr Aescunnar. Die Stationskommandantin hat befunden, dass wir uns in nächster Zeit diese Kabine teilen sollen. Mir scheint, Sie wurden nicht davon unterrichtet?«

Sein Gegenüber öffnete den Mund, aber kein Laut kam über seine Lippen. Stattdessen fuchtelte er wie wild mit den Armen.

»Ha... habe ich etwas Falsches gesagt?« Allmählich wurde Cyr die Situation unheimlich. War der Mann psychisch beeinträchtigt? Aber dann hätte Wei Si Ping ihn doch gewiss vorgewarnt, oder nicht?

Der chinesische Geologe schien ein recht netter Kerl zu sein. Andererseits, bei wissenschaftlichen Koryphäen wusste man nie ... Manche waren lebensfremd und permanent zerstreut, andere wie große Kinder, die Neulingen leidenschaftlich gern dumme Streiche spielten. Mit Grausen dachte Cyr an einen Plasmaphysiker vom California Institute of Technology in Pasadena, den er bei einem interdisziplinären Kongress kennengelernt hatte. Der Mann war hoch qualifiziert, aber auch eine unglaubliche Nervensäge. Das eine schloss das andere keineswegs aus.

Sein ferronischer Zimmergenosse stellte das Gefuchtel ein. Nun presste er beide Arme gegen den Schädel, schnitt eine Grimasse und verdrehte die Augen.

»Falls es sich um eine Art Aufnahmeritual handelt«, sagte Cyr, nach wie vor verbindlich, »so ersuche ich Sie, den Scherz zu beenden. Ich würde gern den Raumanzug gegen bequemere Kleidung tauschen und mich dann ein wenig hinlegen.«

Der Ferrone glotzte ihn verständnislos an. Dann fiel ihm offensichtlich etwas ein. Er bedeutete Cyr, sich zu gedulden, schnappte sich einen Notizblock und kritzelte darauf. Schließlich riss er den Zettel ab und reichte ihn Cyr.

In krakeliger Schrift stand auf Englisch zu lesen: »Guten Tag. Ich bin Hetcher. Meine Ohren und meine Zunge sind kaputt.«

2.

Bull zweifelt

 

»Im Großen Imperium«, sagte Thora da Zoltral, »würde eine derartige Unbotmäßigkeit niemals geduldet werden.«

»Und dennoch«, stichelte Perry Rhodan, »haben Sie höchstpersönlich unseren Chefkoch per Traktorstrahl an Bord geholt ...«

»Weil ich am besten damit umgehen kann.« Bevor er einwenden konnte, dass diese Erklärung unbefriedigend sei, fuhr sie fort: »Womit ich nichts gegen unsere Besatzung sagen möchte. Die Leute schlagen sich wacker. Sie haben den uralten Raumer schon bemerkenswert gut im Griff.«

Tatsächlich wirkte die aus den verschiedensten Nationen der Erde stammende Crew in der Zentrale hervorragend eingespielt. Sie strahlte gelassene Professionalität aus – was im Übrigen auch für Thora galt, die das Kommando innehatte. Die Aggregate des Schiffs wurden mittels holografischer Elemente bedient, gesteuert und überwacht. Es gab Konsolen; aber sie dienten lediglich zur Erzeugung der Holo-Batterien, welche die einzelnen Missionsstationen hufeisenförmig umschlossen.

Derzeit nahm die TOSOMA Fahrt auf für die erste Transition. Mindestens fünfzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit waren zum Eintritt in den Hyperraum nötig, deutlich mehr waren erwünscht. Mit der Eintrittsgeschwindigkeit stieg nicht nur die Reichweite, sondern sank auch der Energieaufwand.

Das Wunder der überlichtschnellen Raumfahrt musste teuer erkauft werden. Die einzig bekannte Methode, eben die Transition, verbrauchte ungeheure Mengen an Energie. Zudem nahmen Überlichttriebwerke enorm viel Platz ein, den Großteil des Schiffsvolumens. Die TOSOMA war in drei Kugelschalen aufgebaut. In der inneren, hundert Meter durchmessenden Kugel befanden sich Zentrale, Mannschaftsquartiere und Lazarett, umfangreiche Vorratslager sowie die Andruckabsorber und zwei Fusionsreaktoren. Alles war darauf ausgelegt, der Besatzung im Unglücks- oder Gefechtsfall das Überleben zu sichern.

Die mittlere Kugelschale, sechshundert Meter dick – drei Viertel des Gesamtdurchmessers – enthielt das Transitionstriebwerk, welches seinerseits zu neunzig Prozent aus leerem Raum bestand. Die restlichen zehn Prozent wurden von den wie Nadeln in ein Stopfkissen gesteckten Strukturfeldkonvertern ausgefüllt.

In der äußeren, wiederum rund hundert Meter dicken Kugelschale waren Schutzschirmgeneratoren, diverse nicht vitale Einrichtungen und nicht zuletzt die Offensivbewaffnung untergebracht: je zwölf überschwere Geschütze an beiden Polen, jeweils zur Hälfte Desintegratoren und Thermokanonen. An der gepanzerten Außenhülle aus Arkonstahl gab es außerdem 24 Schächte für Raumtorpedos. Diese standen freilich ebenso leer wie die zahlreichen Beiboothangars und die im Ringwulst vorgesehenen Stellplätze für die 60-Meter-Beiboote, die Thora und Crest als »Korvetten« bezeichneten.

Die Lebenserhaltungssysteme und Unterkünfte waren auf maximal 5100 Personen ausgelegt. Über »kurze« Strecken wie von der Venus zur Erde oder auch für den Sprung zur Wega genügte eine Mindestbesatzung von 130 Personen. Arkon hingegen lag im 34.000 Lichtjahre entfernten Kugelsternhaufen M 13, weshalb die TOSOMA auf volle Mannschaftsstärke von vierhundert aufgestockt worden war.

Hinzu kamen 1800 Passagiere: Wissenschaftler, Gelehrte, Techniker, Künstler, Wirtschaftsleute – allesamt herausragende Persönlichkeiten, von denen sich Perry Rhodan Unterstützung erhoffte, wenn es darum ging, auf Arkon Eindruck zu schinden. Es war ihre einzige Hoffnung. Technologisch gesehen standen sie im Vergleich zu den Arkoniden als bessere Steinzeitbewohner da.

Er verließ Thora da Zoltral, die sich auf das Einleiten der Transition konzentrierte, und ging zu Reginald Bull, der soeben die Zentrale betreten hatte. »Ich nehme an, du hast Rinat Ugoljew eine ordentliche Kopfwäsche verpasst?«

»Allerdings. Unser Rhinozeros ist momentan zum Seepferdchen geschrumpft.« Grinsend hob Bull die Hand, mit einer Lücke von wenigen Millimetern zwischen Daumen und Zeigefinger: »So klein mit Hut. Er hat hoch und heilig geschworen, dass derlei nie wieder vorkommen wird, und versprochen, beim nächsten Zwischenstopp alle Register seiner Kunst zu ziehen.«

»Na immerhin.«

Sie ließen sich in die Kontursessel nieder. Eine Weile hingen sie ihren Gedanken nach.

Inzwischen war Crest an den Kommandostand getreten und hatte Thora in eine leise Unterhaltung verwickelt. Wieder einmal fiel Perry Rhodan auf, wie sehr sich der Arkonide verändert hatte, seit seine Suche nach dem ewigen Leben von Erfolg gekrönt worden war. Crest sprühte vor Energie. Er wirkte um Jahre, nein, Jahrzehnte verjüngt. Die straffe Haltung signalisierte Kompetenz und Abgeklärtheit, zugleich ungekannte Unternehmungslust. Auch seine ganze Art hatte sich gewandelt: Statt wie früher meist Zurückhaltung zu üben, mischte Crest sich jetzt ungleich öfter in die Abläufe der Schiffsführung ein.

»Wir zwei sind zwar kein altes Ehepaar«, raunte Reginald Bull, »und wir liegen auch nicht im Bett. Trotzdem muss ich dich fragen: Was geht dir gerade durch den Kopf? Bereust du, dass du die Unsterblichkeit zugunsten von Crest ausgeschlagen hast?«

»Nein. Wirklich nicht. Für ihn war es die letzte Chance zu überleben. Ich und du, wir sind jung und gesund. Wir haben Zeit, ergo keinen Grund, eine dermaßen gravierende Entscheidung zu übereilen. Ich bin überzeugt, die Unsterblichkeit immer noch erlangen zu können. Falls ich sie überhaupt will.«

»Und falls ES mitspielt.«

ES – so hatte sich das rätselhafte Wesen genannt, das auf seiner seltsamen, halbierten Welt namens Wanderer Perry Rhodan das ewige Leben angeboten hatte. »Natürlich. Aber bis zu diesem hypothetischen Punkt bleiben wir unabhängig und frei.«

»Crest ist es nicht mehr, meinst du?«

»Das wird sich zeigen. ES hat keine Bedingungen gestellt. Zumindest keine, von denen ich weiß ...«

 

Die TOSOMA passierte, wie den Holos zu entnehmen war, gerade die Marsbahn. »Nur noch wenige Minuten bis zum Sprung«, sagte Rhodan.

»Mhm.« Bull war sichtlich nervös. Immer wieder strich er sich über das Haar.

»Alles in Ordnung mit dir?«

»Klar. Sicher.« Sein Blinzeln strafte ihn Lügen.

»Komm schon, raus mit der Sprache. Du hast ein ungutes Gefühl bei der Sache, ich weiß.«

»Wie auch nicht! Dieser Kahn ist zehntausend Jahre alt. Er lag zehn Jahrtausende lang auf dem Grund des Atlantiks.«

»Arkonidische Wertarbeit hält das aus.«

»Mir brauchst du darüber nichts zu erzählen.« In der Tat hatte sich wohl kein Mensch so intensiv mit der greifbaren Technologie der Arkoniden befasst wie Reginald Bull. »Ich weiß, was die TOSOMA draufhat; aber auch, dass sie laut Thora hoffnungslos veraltet ist, technisch keineswegs auf der Höhe der Zeit.«

»Müssen wir das zum hundertsten Mal durchkauen? Wir haben kein anderes Fernraumschiff.«

»Versteh mich nicht falsch, Perry, ich liebe die TOSOMA. Das alte Mädchen hat uns schon unerhört wertvolle Dienste geleistet. Immerhin konnten wir damit die topsidische Invasion der Wega abwehren. Aber der Vorstoß nach Arkon kommt meines Erachtens einfach zu früh. Vierunddreißigtausend Lichtjahre! Selbst wenn alles ohne Komplikationen verläuft, sind wir mindestens anderthalb Monate unterwegs.«

»Wie längst besprochen: Wir müssen nicht ganz so weit fliegen. Bis zu den ersten Vorposten des Imperiums genügt. Dann sehen wir weiter.«

»Toller Plan. Und wenn wir im Nirgendwo stranden? Was dann?«

»Pessimismus steht dir nicht zu Gesicht, Reg.«

»Was du Pessimismus nennst, nenne ich Besonnenheit.«

»So kenne ich dich gar nicht. Ausgerechnet du, der mit nicht viel mehr als einem Triebwerk unterm Hintern zum Mond und zurück geritten ist ...«

»Da hatte ich keine Wahl. Das musste sein. Aber diese Expedition, die muss eben nicht sein. Nicht schon jetzt, so überhastet. Nicht mit einer fliegenden Antiquität.«

»Die TOSOMA ist einsatzbereit. Die Autoreparaturroutinen des Schiffs haben wahre Wunder vollbracht.«

»Sagt wer?«

»Die Positronik der TOSOMA.«

»Eben. Das Schiff selbst behauptet, es sei okay. Wir hingegen haben kaum eine Möglichkeit, diese Aussage auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen, außer in der praktischen Anwendung.« Reginald Bull schlug mit der flachen Hand auf die Armlehne. »Ich bleibe dabei – dieser Flug ist praktizierter Wahnsinn.«

Rhodan, dem klar war, dass sein bester Freund hauptsächlich Dampf ablassen wollte, erwiderte beschwichtigend: »Wahnsinn vielleicht, jedoch notwendig. An Arkon führt kein Weg vorbei.«

»Nackter Wahnsinn«, beharrte Bull. »Was wollen wir auf Arkon? In Wahrheit wissen wir fast nichts über das Große Imperium. Crest hält sich immer noch bedeckt. Er schwafelt bloß von diesem ominösen Regenten und dass Arkon ausgerechnet ihn, Crest da Zoltral, dringend braucht. Aber sehen diejenigen, die auf Arkon an der Macht sind, das auch so?«

»Ich vertraue ihm. Und Thora.«

»Mann, ich unterstelle den beiden ja nicht, dass sie uns hintergehen oder unsere Gutwilligkeit für ihre Zwecke ausnutzen wollen. Ich habe keine Ahnung von Politik, schon gar nicht von arkonidischer. Aber meiner bescheidenen Einschätzung nach hat Crest den Status eines Flüchtlings, wenn nicht eines Exilanten. Auf Arkon hält man ihn bestimmt für tot und ist froh darum. Und plötzlich kommt er zurück? Mit einem seit einer halben Ewigkeit verschollenen Schlachtschiff und zweitausendzweihundert ›Barbaren von Larsaf III‹ im Schlepptau? Na, wenn das nicht nach Ärger riecht ...«

»Niemand hat behauptet, dass es ein Spaziergang wird. Aber davon abgesehen, was wäre denn die Alternative? Vogel-Strauß-Taktik? Den Kopf in den Sand stecken?«

Reg schnaubte. Passivität lag ihm genauso wenig wie Perry.

»Wir hatten Besuch von den Fantan«, setzte Rhodan fort, »mussten gegen die Topsider kämpfen, alles innerhalb weniger Monate. Terra ist nicht länger ein weißer Fleck auf der galaktischen Sternkarte; falls es das überhaupt jemals war. Früher oder später wird unweigerlich das Imperium der Arkoniden auf uns aufmerksam werden. Es ist uns unendlich überlegen. Es könnte uns jederzeit vernichten, mit einem Fingerschnipsen.«

»Deshalb fliegen wir hin, in unserem einzigen nennenswerten Kampfschiff – um ihnen den weiten Weg zu ersparen? Die werden Danke schön sagen und uns kalt lächelnd ausknipsen, mitsamt der lendenlahmen TOSOMA. Oder sie nehmen uns den Kugelraumer ab, der schließlich streng genommen ihnen gehört, werfen uns in den tiefsten Kerker und lassen uns dort vergammeln.«

»Hör auf, den Teufel an die Wand zu malen!« Langsam wurde Perry ärgerlich, weil die Diskussion sich im Kreis drehte. Alle diese Argumente hatten sie schon des Öfteren gewälzt. »Die Hände in den Schoß zu legen wäre mit Sicherheit fatal. Unsere einzige Chance liegt in der Flucht nach vorne: Wir stellen den Kontakt her, nicht andersrum. Wir müssen nach Arkon, basta!«

»Crest muss, offensichtlich. Und du willst unbedingt dabei sein. Warum eigentlich? Wegen Thora?«

Rhodan warf dem Freund einen scharfen Blick zu. »Wegen Terra. Mit Crest da Zoltral und seiner Ziehtochter hat die Menschheit zwei wertvolle Fürsprecher, die zweifellos über einen gewissen Einfluss verfügen. Etwaige Wirren der Vergangenheit werden sich aufklären, Animositäten oder Missverständnisse ausräumen lassen. Wir fliegen schließlich ins Zentrum einer viele Jahrtausende alten Hochzivilisation.«

»Oder ins Verderben.«

Perry Rhodan war dankbar, dass eine Warnsirene die unmittelbar bevorstehende Transition ankündigte und dem fruchtlosen Dialog ein Ende setzte. Er wäre sonst ernstlich in Rage geraten. Reg Bull als Schwarzseher, das hielt der geduldigste Mensch nicht aus.

Bildete er es sich ein, oder flackerten ein ganz klein wenig die Lichter in der Zentrale, als die TOSOMA zum Hyperraumsprung ansetzte?

3.

Kolonie in Nöten

 

Cyr Aescunnar hatte versucht zu schlafen, jedoch nicht mehr als ein unangenehmes, nervenaufreibendes Driften zwischen Wachen und Dösen zustande gebracht. Der schlimmste Jetlag war ein Klacks gegen die körperlichen Umstellungen, die der Raumflug in dem vergleichsweise primitiven Einweg-Versorgungsschiff und die Ankunft in der Marsstation mit sich brachten.

Wie angekündigt holte ihn Wei Si Ping nach vier Stunden ab. Natürlich klopfte er exakt in dem Moment, in dem Cyr endlich richtig eingeschlummert wäre.

»Nur herein«, krächzte er, »es ist offen.«

»Sie sehen nicht besonders ausgeruht aus«, sagte der chinesische Geologe.

»Ich gratuliere Ihnen zu Ihrer scharfen Beobachtungsgabe.«