Zwei Krimis: Durchsiebt & Amok-Wahn

Alfred Bekker

Published by Alfred Bekker, 2016.

Inhaltsverzeichnis

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Zwei Krimis: Durchsiebt & Amok-Wahn

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Zwei Krimis: Durchsiebt & Amok-Wahn

von Alfred Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht  200 Taschenbuchseiten.

Dieses Buch enthält folgende  Krimis:

Alfred Bekker: Durchsiebt

Alfred Bekker: Amok-Wahn

Krimis der Sonderklasse - hart, actionreich und überraschend in der Auflösung. Ermittler auf den Spuren skrupelloser Verbrecher. Spannende Romane in einem Buch: Ideal als Urlaubslektüre.

Mal provinziell, mal urban. Und immer anders, als man zuerst denkt.

––––––––

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.

Durchsiebt

von Alfred Bekker

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

1

Mein Mörder war plötzlich da.

Ich hatte nicht einmal gehört, wie er durch die Tür gekommen war.

Schritte.

Ich wartete.

Ich sah seine Silhouette.

Die große, kühne Nase - so gerade und lang wie ein Pistolenlauf.

Ich sah die Entschlossenheit in denn Linien seines Gesichts. Mir war dieser Ausdruck vertraut. Es war der unbedingte Wille zu töten.

Der Mann hielt eine automatische Pistole in der Hand. Mit Schalldämpfer - damit es nicht so einen Krach machte, wenn er mich umbrachte.

Denn genau das hatte er vor.

Mich umbringen.

Einen anderen Grund, in meine Wohnung einzudringen konnte ich mir nicht vorstellen.

Ich kenne mich ganz gut mit Waffen aus. Aber das Fabrikat konnte ich trotzdem nicht genau erkennen. Spätestens, wenn er damit einen Schuss abgab, würde sich das ändern. Nur war es dann vielleicht für mich zu spät.

Der Mann kam noch etwas näher. Wie er in meine Wohnung gekommen war, hatte ich nicht mitbekommen. Wie auch? Ich hatte geschlafen.

Ein Luxus, den man sich besser nicht gönnen sollte.

Ich blieb ganz ruhig. Die entsicherte Waffe hielt ich in der Rechten.

Als er mich sah, war er überraschter als ich. Vor allem wohl deshalb, weil er ein paar Kugeln in den Bauch bekam. Ich gab ihm keine Chance, auch nur einmal abzudrücken. Immer wieder drückte ich ab. Sein Körper zuckte. Das Gesicht wirkte wie ein Fleisch gewordenes Fragezeichen, während sich sein Hemd blutig färbte. Die Projektile traten aus seinem Rücken wieder aus und schlugen in die Wand. Ein Spiegel dahinter wurde blind.

Der Kerl sackte in sich zusammen. Ein einziger Schuss löste sich doch noch aus seiner Waffe, ging aber in den Boden.

Als ich ihn ausgestreckt vor mir liegen sah, atmete ich tief durch.

Ich steckte die Waffe ein. Ich hatte Durst, ging in die Küche, nahm mir ein Glas Mineralwasser und trank es leer.

Und dann hörte ich auch schon die Polizeisirenen. Ich sah aus dem kleinen Fenster in der Küche. In New York sind die Mieten hoch und jeder Quadratmeter ist kostbar. Die Küche war dementsprechend eng. Um ehrlich zu sein, ich hatte sie kaum je benutzt. In meiner Zeit bei der Legion habe ich zwar gelernt, wie man kocht. Notfalls auch mit sehr einfachen Mitteln. Im Tschad gab es nicht immer gleich ein gutes Restaurant oder wenigstens eine McDonald-Filiale um die Ecke. Und ich habe Dinge zu essen gelernt, die andere Leute nicht einmal anfassen würden. Aber wer alles isst, kann überall überleben. Wie auch immer. Ich sah aus dem Fenster und dachte: Gleich werden die Cops hier sein. Irgendwie hatte ich es in den Eiern, dass die Sirenenwagen meinetwegen unterwegs waren.

Und ich hatte auch das Gefühl, dass da jemand was ziemlich geschickt gedreht hatte.

Verdammt, dachte ich.

Aber jetzt musste ich da wohl durch.

Ich nahm mir eine Tasse Kaffee aus der Thermoskanne. So viel Zeit musste sein.

2

„Machen Sie die Tür auf! Hier spricht das NYPD!”

„Ja, sicher”, sagte ich. „Einen Moment.”

Ich öffnete die Tür.

Ein Cop in Zivil hielt mir seine Marke unter die Nase. Er faselte etwas davon, dass Schüsse zu hören gewesen wären und jemand die Polizei alarmiert hatte.

Gut möglich, dass jemand gehört hatte, was hier geschehen war. Schließlich hatte ich ja keinen Schalldämpfer benutzt.

„Lieutenant Rigder, New York Police Department”, sagte er.

„Er liegt im Wohnzimmer. Ich habe ihn erschossen, nachdem er hier eingedrungen ist und mich umlegen wollte.”

Rigder machte seinen Kollegen ein Zeichen. Sie gingen an mir vorbei. Ein kleiner dicker Mann mit riesigen Ohren tastete mich nach Waffen ab.

„Bin kitzlig”, sagte ich. „Und wenn Sie meine Knarre suchen, dann sollten Sie in der Küche nachsehen. Sie liegt auf der Anrichte mit der Schublade für das Besteck.”

„Sie wissen, dass die Waffengesetze von New York recht streng sind.”

„Ich darf eine Waffe besitzen, sie aber nicht in der Öffentlichkeit mit mir herumtragen”, sagte ich. „Aber das hier sind meine vier Wände. Nicht groß, aber hier darf ich bewaffnet sein. Und wäre ich es nicht gewesen, hätte dieser Kerl mich umgelegt!”

„Gut, wir werden Ihre Aussage zu Protokoll nehmen.”

„Hören Sie...”

„Auf unserem Revier. Sie stören hier ohnehin nur, wenn die Spurensicherung kommt.”

Ich knurrte etwas vor mich hin. Ich hoffte nur, dass es nichts Deutsches und nichts Französisches war. Jeder Hinweis auf meine wahre Nationalität und meine Herkunft konnte mich in Schwierigkeiten bringen. Und dasselbe galt für jeden Hinweis darauf, dass ich mal in der französischen Fremdenlegion gewesen war. Besser, man wusste nichts über mich. Ein Phantom mit Jedermann-Identität. So hatte ich die letzten zwei Jahrzehnte zugebracht, seit ich in Tanger beinahe von ein paar sehr unangenehmen Zeitgenossen durchsiebt worden war.

New York, Singapur, Kapstadt, Nairobi, Buenos Aires, Amsterdam, Frankfurt, Berlin... Es waren so viele Stationen gewesen, an denen ich mich mehr oder weniger lang aufgehalten hatte. Ich hatte es aufgegeben, sie zu zählen. Ich merkte sie mir nicht einmal mehr bewusst.

Und dasselbe galt für all die Namen, die ich seitdem getragen hatte

Ich wartete immer noch auf den Tag, an dem ich gezwungen war, zuerst in meinen gegenwärtigen Pass zu sehen, um mich korrekt vorstellen zu können.

Und dann auch bitteschön ein Blick in den richtigen Pass, denn ich hatte natürlich mehrere davon.

Ich war allerdings nicht so dämlich, die kostbaren Dokumente in meiner Wohnung aufzubewahren.

Aus Schaden wird man klug.

So etwas konnte mir inzwischen nicht mehr passieren.

Da sicherte ich mich gerne doppelt und dreifach ab.

Tendenziell eher dreifach.

3

Der Kaffee bei den Cops war dünn.

Zu dünn.

Die Geschichte, die ich dem Lieutenant erzählt hatte, wohl auch.

Und dann gibt es da eine unselige Erfindung, die es einem wie mir im Verlauf der letzten zwanzig Jahre immer schwerer gemacht hat, ein Phantom zu bleiben.

Ich spreche vom Computer. Vom Internet. Von riesigen Datenbanken, die die Polizeibehörden in aller Welt inzwischen für ihre Ermittlungen nutzen können.

Aber was soll’s?

Habe ich vielleicht eine andere Wahl?

Ich habe vor langer Zeit eine furchtbare Fehler gemacht und nun muss ich mich wohl für den Rest meiner Tage damit abfinden, dass ich dafür zu bezahlen habe. Ein Leben in geordneten, friedlichen Bahnen ist für mich wohl nicht mehr möglich. Das ist nunmal so. Wer einmal die Aufmerksamkeit so mächtiger Leute erregt, wie es mir leider passiert ist, für den gibt es keinen Frieden mehr. Nie mehr.

Der Lieutenant nippte an seinem Kaffee.

Und er schien ihm ebenso wenig zu schmecken wie mir.

Immerhin, das war schonmal ein Trost.

„Also, Sie behaupten, den Mann in Notwehr erschossen zu haben...”

„Ja, sicher”, sagte ich. „Zum dritten oder zwanzigsten Mal. Der Kerl wollte mich umnieten und ich bin ihm zuvorgekommen. Wollen Sie jetzt aus mir den Täter machen oder weshalb sitze ich eigentlich noch hier?”

„Immer schön ruhig bleiben”, riet mir der Lieutenant. „Es steht Ihnen jederzeit frei, einen Anwalt zu rufen.”

„Heißt das, ich sitze hier als Beschuldigter?”

„Nein, dann hätte ich Ihnen schon Ihre Rechte vorgelesen. Auf so etwas achte ich immer peinlich genau.”

„Na, das beruhigt mich ja.”

„Genau das war die Absicht.”

„Wie?”

„Sie beruhigen.”

Er fand das witzig. Ich konnte aber nicht darüber lachen.

Der Lieutenant stand von seinem Platz auf. „Sitzenbleiben”, fuhr er mich barsch an, als ich dasselbe tun wollte. Er setzte sich mit seinem fetten Arsch auf die Schreibtischkante und kam mir auf eine Weise nahe, die die Aggressionsdistanz in jedem Fall unterschritt.

Sein Blick fixierte mich.

Er hatte irgendeine Unregelmäßigkeit in seinen Pupillen.

Es soll Leute geben, die aus so etwas herauslesen können, was für Krankheiten jemand hat oder sogar welche er mal bekommen wird. Ich verfügte leider nicht über solche Fähigkeiten. Es hätte mir in diesem Fall auch schon völlig gereicht, wenn ich gewusst hätte, was er eigentlich von mir wollte.

Irgend etwas stimmte hier nicht.

Ich hatte in all den Jahren als unsichtbares Phantom eine Art sechsten Sinn dafür bekommen, so etwas zu erkennen.

Hier stank etwas ganz gewaltig.

Er las  mir ein paar Namen vor, die er sich auf einen Zettel notiert hatte.

„Sind Sie eine dieser Personen?”

„Was soll das jetzt?”

„Dann will ich Ihnen mal auf die Sprünge helfen: Sie sind alle diese Personen.”

„Ich dachte, es geht hier um den Kerl, der mich umnieten wollte! Vielleicht kümmern Sie sich mal darum, herauszufinden, wer den geschickt hat oder so!”

„Sie hatten vor 25 Jahren eine Schießerei in Tanger, Marokko.”

Ich war perplex.

Wie kann er das wissen?, ging es mir durch den Kopf. Schon diese Zusammenstellung von Namen war erstaunlich gewesen. Aber von der Sache in Tanger, so dachte ich, wusste niemand. Zumindest hier, auf der anderen Seite des großen Teichs nicht.

„Na?”, fragte er.

Ich sagte nichts.

Es hatte mir buchstäblich die Sprache verschlagen. Was die Schießerei in Tanger anging, konnte ich nicht einmal abstreiten, daran beteiligt gewesen zu sein. Die Narben an meinem Körper legten davon ein mehr als beredetes Zeugnis ab. Ich hatte damals einiges abbekommen. Aber diejenigen, die versucht hatten, meinem Leben ein Ende zu setzen noch mehr.

Ich weiß nicht, ob von den Bastarden damals jemand überlebt hatte. Ich erwachte in einer Klinik in Tanger und musste mir von der dortige Polizei eine Reihe von Fragen gefallen lassen, die ich allesamt nicht beantwortete. Angefangen von der Frage nach meinem Namen.

„Mir reicht es jetzt”, sagte ich. „Ich will einen Anwalt.”

„Ganz, wie Sie wollen!”

„Okay!”

4

Der Anwalt, den ich anrief, war gut. Aber auch einschlägig bekannt. Er hatte sich dadurch einen Namen gemacht, dass er Gangster und Mafiagrößen aus den Fängen der Justiz freipaukte. Sein Name war Myers. Und sein Vorname auch. Myers F. Myers. Wofür das F. stand, wusste ich nicht. Vielleicht für Forget it.

Ich hatte Myers in einem Club in Alphabet City kennengelernt. So nennt man den Bereich um die Avenues A,B,C und D in Manhattan. Es gibt dort viele Clubs und in einem war ich Türsteher. Aus illegalen Sachen habe ich mich seit der Sache damals in Tanger weitgehend herausgehalten. Zumindest habe ich es versucht. Aber das ist leichter gesagt als getan.

Letztlich landet man doch immer wieder bei ähnlichen Tätigkeiten, mit denen man versucht, sich seine Brötchen zu verdienen.

Töten bei der Fremdenlegion.

Unangenehme Gäste aus Clubs in Alphabet City werfen oder jemanden verprügeln, der auf Ärger aus ist.

So weit ist das nicht auseinander.

Aber wie gesagt. Es gibt da eine sehr feine Grenze. Die Grenze zwischen dem, was mein persönlicher Codex noch zulässt und was nicht. Und der Grenze zwischen dem, was jemand wie ich tun sollte und dem, was einfach nur dämlich ist.

Ich weiß, dass ich vorsichtig sein muss.

Myers kam in das Police Precinct. Er trug seinen Diplomatenkoffer, von dem ich wusste, dass nur ein Flachmann drin war. Manchmal auch genug Koks, dass man ihn als Dealer hätte festnehmen können. Aber Myers war kein Dealer. Er verteidigte nur Dealer. Er kokste selbst, stopfte es sich in die Nase oder machte sonstwas damit. Manche nehmen Drogen, um in eine bessere Welt zu entfliehen. Andere, weil sie glauben, dass sie dadurch ihre Leistung - auf welchem Gebiet auch immer - steigern zu können. Sind beide im Irrtum. Aber das sehen die meisten erst ein, wenn es zu spät ist.

Mich hat das nie gereizt. Aber das ist ein anderes Thema.

„Mann, was machen Sie für Sachen”, sagte Myers.

Wir waren allein.

Und nun wollte er wissen, was eigentlich los sei.

Ich konnte es ihm nicht sagen.

Ich wusste es nämlich selbst nicht.

Und bei dem bisschen, was ich mir zusammenreimen konnte, war ich mir letztlich nicht so ganz sicher, ob es eigentlich klug war, mit Myers darüber zu sprechen.

„Bringen Sie mich einfach so schnell wie möglich hier raus”, sagte ich.

„Das will ich ja”, sagte er.

„Na also, dann machen Sie es doch einfach.”

„Dann erzählen Sie mir etwas über den Mann, den Sie erschossen haben.”

„Das ist nicht möglich. Ich kenne ihn nicht. Und ich habe auch keine Ahnung, weshalb er mir eine Kugel in den Kopf jagen wollte. Und an seiner Absicht kann man ja wohl nicht im ernst zweifeln”

Er wollte, dass ich ihm nochmal die Geschehnisse in allen Einzelheiten schilderte. Das machte ich.

„An der Sache selbst scheint auf den ersten Blick alles klar zu sein”, sagte Myers.

„Und warum sitze ich dann immer noch hier? Warum muss ich einen Anwalt bemühen?”

„Es geht um Ihre undurchsichtige Vergangenheit. Das ist der eine Punkt, der den Ermittlern Kopfzerbrechen macht.”

„Diese Vergangenheit steht in keinem Zusammenhang zu dem, was sich in meiner Wohnung ereignet hat!”

„Das sagen Sie”, hielt Myers mir entgegen. „Aber die Ermittler sehen das anders. Sie vermuten, dass Sie ein Gangster sind und suchen jetzt nach Anhaltspunkten und Verbindungen. Und der zweite Punkt, der ihnen aufstößt, soweit ich das auf die Schnelle mitbekommen konnte, ist der Umstand, dass dieser Killer, wie Sie ihn nennen, einen Schlüsselchip hatte.”

Ich sah ihn wohl ziemlich perplex an.

„Muss nachgemacht gewesen sein.”

„Oder er hat den Chip von Ihnen.”

„Nein, bestimmt nicht!”

„Die Ermittler denken, dass Sie den Mann, der sie umbringen wollte, kennen, das aber nicht zugeben wollen. Und ich habe es im Gefühl, dass die noch irgendwelche Trümpfe in der Hinterhand haben.”

„Was sollte das sein?”

Myers zuckte mit den Schultern. „Irgendeine Information, durch die sie uns in die Falle locken wollen. Ich würde an Ihrer Stelle höllisch aufpassen. Die haben Sie im Visier!”

„Wer sind die?”

„Ich dachte, Sie könnten mir das vielleicht sagen.”

„Sehen Sie einfach zu, dass ich hier rauskomme. Dann kriege ich den Rest auch ohne Sie hin, Myers.”

Er sah mich mit einem skeptischen Blick an. „Ganz wie Sie wollen”, knurrte er.

5

Myers konnte mich tatsächlich loseisen. So verwunderlich war das im Nachhinein betrachtet auch nicht. Sie hatten schließlich nichts gegen mich in der Hand. Mit Marokko hatten die USA noch nicht einmal ein Auslieferungsabkommen. Was hatte es da den Lieutenant einer Homicide Squad in New York zu interessieren, was vor mehr als zwei Jahrzehnten in Tanger geschehen war?

Ich schwieg und ließ Myers reden und seinen Job machen. Reden konnte der Kerl einfach besser als ich und zwar so, dass es auf die Cops wirklich Eindruck machte.

Fast zehn Stunden Vernehmungen lagen hinter mir, als ich wieder wieder den gewohnt bleihaltigen Smog des Big Apple in mich hineinsog, der allein schon gesundheitsgefährdender als jede filterlose Zigarette sein dürfte.

„Die Sache ist für Sie noch nicht ausgestanden, glaube ich.”

„Wenn ich Sie wieder brauche, rufe ich Sie an, Myers.”

„Tun Sie das.”

Ich sah ihm einen Augenblick lang nach. Er ging zur Tiefgarage, wo er vermutlich die S-Klasse abgestellt hatte, die ihm Klienten aus dem Drogenmilieu finanziert hatten. Er hatte auch einen original hergerichteten 54er El Dorado mit Hörnern auf der Kühlerhaube. Aber der passte in keine Parkgarage. Der Platz, den man den Blechkarossen zubilligte, hatte sich im letzten halben Jahrhundert drastisch reduziert. Das haben Autos mit Kindern gemeinsam.

Ich begab mich zur nächsten Subwaystation.

Die insgesamt doch ganz schöne Zeit im Big Apple neigte sich für jetzt wohl dem Ende zu.

Ich konnte hier nicht bleiben. Zelte abbrechen und fort.

Irgendjemand hatte mich auf dem Kieker.

Vor langer Zeit hatte ich einen großen Fehler gemacht, als ich einen Mordauftrag annahm und dachte, ich könnte einfach mit der Anzahlung verschwinden, ohne den Auftrag ausführen zu müssen. Ich kann so etwas niemandem empfehlen. Aber wie heißt es so schön, ich war jung und brauchte das Geld. Die Sache hat einigen Menschen das Leben gekostet und die Kugeln, die seit der Schießerei in Tanger bei mir ihre Narben hinterlassen haben, erinnern mich jedes Mal, wenn ich morgens beim Waschen in den Spiegel sehe an meine eigene Dummheit.

Aber man lernt ja dazu.

Ich nahm die Subway und fuhr etwas herum, das ist immer die beste Methode, um sich lästige Verfolger vom Hals zu halten. Ich war mir sicher, dass man mir folgen würde. Und ich war mir auch sicher, dass meine Wohnung von jetzt an überwacht wurde. Der Killer, das frühe Eintreffen der Polizei, die offenbar bestens darüber informiert gewesen war, dass ich etwas mit einer lange zurückliegenden Schießerei in Tanger zu tun hatte... Das waren alles keime Zufälle. Da steckte mehr dahinter.

Ich hoffte nur, nicht das, was ich befürchtete.

Ich fuhr in die Neununddreißigste. Dort hatte ich ein Schließfach. Es war nicht das einzige, aber das mit der Waffe drin. Und im Moment fühlte ich mich einfach nackt ohne Schießeisen.

Also steckte ich mir die Automatik ein.

Wenn mich irgendein Cop damit erwischte, war ich natürlich geliefert und es gab für die Justiz einen Vorwand, um mich zumindest vorübergehend festzusetzen.

Und vorübergehend konnte für mich eine Ewigkeit sein. Denn wenn ich erstmal festsaß, dann musste ich damit rechnen, dass sie mich kriegten.

Sie.

Die Leute, die seit über zwanzig Jahren hinter mir her waren.

Der Arm dieser ORGANISATION reichte weit. Wie weit, das hatte ich damals in Tanger gemerkt. Aber die Sache sah ich aus dem Abstand der Jahre inzwischen etwas gelassener.

Jemanden damit durchkommen zu lassen, dass er einen Mordauftrag annimmt und dann einfach mit der Anzahlung verschwindet, kann sich wohl niemand leisten.

Sonst gibt es sehr schnell Nachahmer.

In so fern hatte ich ein gewisses Verständnis für die andere Seite.

Weniger Verständnis hatte ich dafür, dass sie offenbar immer noch hinter mir her waren, anstatt mich nach all den Jahren einfach in Ruhe zu lassen.

Ich hätte doch ohnehin keiner Fliege mehr was zu Leide getan. Aber eigenartigerweise hielt man mich für gefährlich. Für so gefährlich, dass meine Liquidation auch jetzt noch hohe Priorität zu haben schien.

Ich hatte mir immer eingebildet, nur ein kleines Rädchen im großen Getriebe der Geheimdienste, Dunkelmänner und Kriminellen gewesen zu sein. Aber anscheinend war das nur Wunschdenken.

Ich schloss das Schließfach wieder und steckte vorher auch noch genügend Munition in meine Jackentasche.

Besser, ich war auf alles gefasst.

6

Ich traf in Alphabet City ein und musste mir Mühe geben, mich nicht andauernd umzudrehen. Das war in Reflex. Ein Reflex, der im Dschungel von Guyana sicher ganz hilfreich war, damit man nicht plötzlich irgendeine Giftschlange im Nacken hatte. Aber hier, in der sogenannten Zivilisation, fiel man damit nur auf. Und auffallen war nun wirklich etwas, was ich unter allen Umständen vermeiden musste.

Ich verließ also die Subway und fragte ich, ob mir nicht doch jemand gefolgt war. Diese Paranoia, die lange Zeit mit mir herumgetragen habe, hatte sich in den letzten Jahren etwas verloren. Ich war ruhiger geworden. Vielleicht aber auch weniger wachsam.

Das sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Aber niemand kann ewig in einem immerwährenden Alarmzustand leben. Man braucht Ruhepausen im Überlebenskampf, sonst verschleißt man zu schnell. Man wird zermürbt. Und ich erinnere mich an mehr als eine Situation, in der ich über diesen Punkt vielleicht schon hinaus war.

Aber das war lange her.

Ich ging ein Stück die Straße entlang. Schließlich erreichte ich einen Club mit dem Namen BUENA SUERTE. Latino-Pop wurde da gespielt. Der Besitzer hieß Ricky Mendoza und er war mir noch mehr als einen Gefallen schuldig.

Der Haupteingang war abgeschlossen. Um diese Zeit war da schließlich auch noch nichts los.

Ich klingelte.

An der Sprechanlage meldete sich Teresa.

„Ich bin’s”, sagte ich, so als wäre das eine Erklärung für irgend etwas.

„Du willst Ricky sprechen?”

„Ja - und zwar dringend.”

Teresa schloss mir die Tür auf. Sie war dunkelhaarig und zierlich. Aber ein Energiebündel. Ich hatte oft das Gefühl gehabt, dass sie eigentlich den Laden schmiss und nicht Ricky Mendoza, dieses Großmaul. Aber Ricky Mendoza hatte das Geld und bestimmte die Richtung. In der Wirtschaft nennt man das wohl ‘die strategischen Entscheidungen treffen’. Und Teresa war dann wohl für das ‘oprative Geschäft’ zuständig.- Man konnte auch sagen: Fürs Grobe.

„Komm rein”, sagte sie.

„Danke.”

„Du bist in Schwierigkeiten?”

„Ach, hat sich das schon herumgesprochen.”

„Nein, das sehe ich dir schon an der Nasenspitze an. Schon wie du so aus der Wäsche guckst, ist da ziemlich aufschlussreich.”

„Ich dachte immer, ich sei ziemlich gut darin, Geheimnisse für mich zu behalten.”

„Nein, bist du nicht. Jedenfalls nicht, wenn ich dich ansehe.”

„Dann kann ich ja wohl froh sein, dass du nur hier in diesem Schuppen was zu sagen hast und nicht in irgendeiner Behörde oder bei den Cops oder irgendwo anders, wo du mir Schwierigkeiten machen kannst.”

Sie führte mich zum Tresen und holte zwei Gläser hervor. Sie stellte sie auf den Tisch. Ziemlich grob, ohne Rücksicht auf das Furnier. So war sie nunmal. Dann goss sie irgend etwas hinein. Ich schaute nicht genau hin. Bei ihr konnte man sich darauf verlassen, dass es in jedem Fall schmackhaft war.

Sie prostete mir zu, nahm einen Schluck und leerte dann das ganze Glas in einem Zug.

„Wir sind heute mal wieder ganz Dame, was?”

„So groß”, fragte sie.

„Was?”

„Deine Schwierigkeiten?”

„Wieso?”

„Weil du sonst nicht so übel drauf wärst.”

„Hör mal...”

„Nein, hör du. Nimm deinen Drink endlich und zwar alles, was im Glas ist, damit du etwas lockerer wirst und dann hör mir gut zu.”

Ich nahm den Drink. Vielleicht hatte sie recht. Locker war was anderes als das, was ich im Moment war.

„Wie gesagt, eigentlich wollte ich zu Ricky”, sagte ich.

„Ricky will nicht mit dir sprechen.”

„Was?”

„Du bist doch deswegen hier, oder?”

Sie langte in eine Schublade, holte ein Kuvert hervor und legte es auf den Tresen.

Ich nahm es, sah hinein. Ein Satz neuer Papiere. Reizend, dachte ich. Deswegen war ich tatsächlich hier. Denn nichts brauchte ich im Moment so dringend, wie das hier.

Aber eine Sache machte mich dann doch misstrauisch.

Wieso wollte Ricky nicht mit mir sprechen?

Er war eine feige Sau, das war mir wohl bekannt. Man kann das auch Vorsicht nennen und eine Überlebensstrategie darin sehen. Die Tatsache, dass Ricky noch lebte, sprach in diesem Fall dafür, dass er es richtig gemacht hatte.

Diese Sache hier stinkt, dachte ich.

„Wer hat dir gesagt, dass ich auftauchen würde?”

„Das hat mir niemand gesagt.”

„Ach, Teresa!”

„Das hat mir niemand gesagt”, wiederholte sie. „Das brauchte mir auch niemand zu sagen, denn es war klar, dass du hier irgendwann auftauchen würdest.”

„Und Ricky? Wieso verpisst der sich?”

„Ich wünsch dir alles Gute”, sagte Teresa. Und ich hatte sogar das Gefühl, dass sie das ernst meinte. Dass sie zumindest in diesem einen Punkt ehrlich war. Was soll’s?, dachte ich. Es kam wohl nicht mehr so sehr darauf an.

Ich sagte im Ton einer Feststellung: „Es war jemand hier, oder?”

Sie atmete tief durch. „Kann sein. Aber die Papiere sind sauber, du wirst keine Schwierigkeiten bekommen. Und damit Ricky auch keine bekommt, ist er nicht hier...”

Wieder das operative Geschäft. Das ließ er eben andere machen.

Ich steckte den Umschlag ein.

Und dann brach die Hölle los.

7

Ein Fußtritt öffnete die Tür.

Sie flog regelrecht zur Seite.