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Nr. 2920

 

Die besseren Terraner

 

Sie sehen sich als wahre Menschheit – hundert Millionen Lichtjahre fern der Milchstraße

 

Leo Lukas

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog: Das Ende einer Jagd

1. Der Informant

2. Ulviks Traum

3. Gegenseitiges Misstrauen

4. Die große Reise der CISTERNE

5. Die Aufnahmeprüfung

6. Eine Raumschlacht, fast wie früher

7. Das Camp der Auserwählten

8. Der Schiffsgeist

9. Das Versteck im Reitstall

10. Das Paradies der Veteranen

11. Ein Tratsch mit dem Doppelgänger

12. Der Einbruch

13. Der Katzentrick

14. Zwei auf der Suche

15. Das Schloss

16. Die Entscheidung

Epilog: Konfetti für alle!

Report

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Wir schreiben das Jahr 1551 NGZ, gut dreitausend Jahre vom 21. Jahrhundert alter Zeitrechnung entfernt. Nach großen Umwälzungen in der Milchstraße haben sich die Verhältnisse zwischen den unterschiedlichen Sternenreichen beruhigt; im Großen und Ganzen herrscht Frieden.

Vor allem die von Menschen bewohnten Planeten und Monde streben eine positive Zukunft an. Tausende von Welten haben sich zur Liga Freier Galaktiker zusammengeschlossen, in der auch Wesen mitwirken, die man in früheren Jahren als »nichtmenschlich« bezeichnet hätte.

Trotz aller Spannungen, die nach wie vor bestehen: Perry Rhodans Vision, die Galaxis in eine Sterneninsel ohne Kriege zu verwandeln, scheint sich langsam zu verwirklichen. Man knüpft sogar vermehrt Kontakte zu anderen Galaxien. Gegenwärtig befindet sich Rhodan selbst im Goldenen Reich der Thoogondu, die ebenfalls eine Beziehung zur Milchstraße aufbauen wollen.

Die Thoogondu waren einst angeblich ein Lieblingsvolk von ES, ehe die Superintelligenz sie verbannte. Nun beherrschen sie seit Jahrzehntausenden die Galaxis Sevcooris und werden dabei unterstützt von einem zweiten Imperium, das deutlich jünger ist, keine zweitausend Jahre alt: das Imperium der Gäonen im Orionsland. Und diese betrachten sich als DIE BESSEREN TERRANER ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Terraner geht auf eine heikle Undercover-Mission.

Ulvik Gallodoro – Der Gäone verfügt über ein sehr spezielles Talent.

Xi Traicass – Die Glossnerin setzt große Hoffnungen auf den Kontakt mit dem Zweiten Solaren Imperium.

Splendin Arangelis – Der Siganese möchte nicht als Fälscher bezeichnet werden.

Gi Barr – Der Elitesoldat steht seinem ehemaligen Idol distanziert gegenüber.

»Über den Kalifen Harun ar-Raschid wird in den Märchen von Tausendundeiner Nacht erzählt, er habe sich öfters, verkleidet als einfacher Händler, unter sein Volk gemischt. Auf diese Weise erfuhr er, was seine Untertanen wirklich von ihm dachten.

Diese Geschichten sind unwahr. Sie haben kein historisches Vorbild.

Der echte Harun ar-Raschid war ein hinterlistiger Tyrann und Meuchelmörder, dessen Grab später von der Bevölkerung aus gutem Grund wenig gepflegt wurde. Das Positivste, was man über ihn sagen kann, ist, dass er Karl dem Großen, dem fränkischen Kaiser, einen Indischen Elefanten geschenkt hat.«

(Aus einem gäonischen Schulbuch)

 

 

Prolog

Das Ende einer Jagd

14. November 1551 NGZ

 

Strahlschüsse fauchten durch die Nacht.

Der Verdächtige hielt trotzdem nicht an. Er bewegte sich schnell und geschickt.

Das ließ auf eine fundierte militärische Ausbildung schließen. Er nutzte jede sich bietende Tarnung und schlug immer wieder Haken.

Mehr als einmal wäre es ihm beinahe gelungen, seinen Verfolger abzuschütteln. Aber der war ebenfalls durch eine harte Schule gegangen und verfügte über die bessere Ausrüstung.

Schließlich beging der Verdächtige den Fehler des Ortsunkundigen und landete in einer Sackgasse, wo der Verfolger ihn stellen konnte. Mit vorgehaltenem Handstrahler fragte er ihn, wie er heiße und was er im Schilde führe.

»Glaub mir, ich hege keine bösen Absichten«, sagte der Verdächtige und hob die Arme. »Sieh her, ich bin unbewaffnet.«

Er war von schlanker, fast schon hagerer Statur, hatte dunkelblonde Haare, einen ebensolchen, buschigen Schnurrbart und graublaue Augen. Auf dem rechten Nasenflügel zeichnete sich eine kleine, weiß verfärbte Narbe ab.

»Wenn du nichts zu verbergen hast, warum bist du dann vor mir davongelaufen?«

»Weil ich sehr wohl ein Geheimnis habe, das ich so lange wie möglich wahren wollte. Allerdings ist es nicht so wichtig, dass jemand von uns deswegen zu Schaden kommen sollte.«

»Trakkod! Der Einzige von uns, dem etwas Fatales zustoßen könnte, bist du. Und das kann sehr schnell passieren, falls du mir nicht endlich deine Beweggründe und deinen Namen nennst.«

»Na schön. Ich nehme an, du hast ihn schon einmal gehört und kennst auch das Gesicht dazu.« Der Verdächtige zog die Kapuze zurück, trat näher ans Licht der Laterne und riss sich den Bart von der Oberlippe, dass es schnalzte. »Ich bin Perry Rhodan.«

Der Verfolger, der einen halben Kopf größer und etliche Kilogramm schwerer war, lachte schallend auf. Dann entsicherte er seine Strahlwaffe. »Ja, klar. Und ich bin der Gondu des Goldenen Reiches.«

Er visierte die Stirn des Verdächtigen an, den Punkt zwischen den Augen. Langsam krümmte er den Zeigefinger um den Abzug.

1.

Der Informant

zwei Wochen zuvor

 

Am 1. November 1551 NGZ erreichte der Omniträger-Fernraumer RAS TSCHUBAI, eines der mächtigsten Schiffe, das die Menschheit je gebaut hatte, den Randbereich des Orionslandes. Dabei handelte es sich um einen Kugelsternhaufen, der etwa 10.000 Lichtjahre oberhalb der Hauptebene der Galaxis Sevcooris lag.

Unverzüglich nahm die Ortungsabteilung ihre Arbeit auf. Die ersten Messergebnisse trafen ein.

Ihre Auswertung ergab, dass die Angaben des Informanten stimmten: Das Orionsland durchmaß rund 150 Lichtjahre und enthielt circa 75.000 Sonnen.

»Weitgehend leer«, sagte Perry Rhodan, nachdem er sich einen raschen Überblick verschafft hatte. »Kaum hyperenergetische Aktivitäten, die auf hoch entwickelte Zivilisationen hindeuten.«

»So ist es«, bestätigte Oberstleutnant Olwar, der Cheforter der RAS TSCHUBAI. »Anders ausgedrückt: weit und breit wenig Betrieb. Um nicht zu sagen, fast nix los. Auch diesbezüglich scheint dein neuer Freund, der Supersoldat, die Wahrheit gesagt zu haben.«

»Ob er tatsächlich unser Freund ist und bleibt, wird sich herausstellen.« Rhodan vertiefte sich in die Analysen, die im Sekundentakt aktualisiert wurden. »Sieht nicht so aus, als gäbe es irgendwelche Barrieren, die uns am Einflug hindern könnten, hm?«

»Nein. Offenbar reichen der erhebliche Abstand zur galaktischen Hauptebene und das Verbot des Gondunats aus, Neugierige abzuhalten.«

»Insofern ein nahezu ideales Versteck.«

»Allerdings.«

Offiziell war der Kugelsternhaufen ein Protektorat des Goldenen Reiches der Thoogondu und Sperrgebiet für die anderen Völker von Sevcooris. Die Begründung lautete: Zurzeit stünden die wenigen Zivilisationen dieser kosmischen Region erst an der Schwelle zur Raumfahrt.

In ihrem Entwicklungsprozess sollten sie nicht durch einen Kulturschock beeinträchtigt werden. Einen solchen würde ein zu früher Außenkontakt unweigerlich mit sich bringen, hieß es.

In Wahrheit diente, laut des Informanten, die Sperrung dazu, ein Geheimnis zu wahren. Ein Geheimnis von nachgerade galaktischen Ausmaßen, das Rhodan unbedingt lüften wollte.

Denn angeblich existierte im Orionsland ein Zweites Solares Imperium ...

 

*

 

»Was wirst du nun tun, Großadministrator?«, fragte Gi Barr.

»Ich führe, wie du weißt, diesen Titel schon lange nicht mehr. Gleichwohl. Um die nächsten Schritte zu überlegen, bin ich zu dir gekommen.«

Barr musterte sein Gegenüber. Der Mann sah aus wie Perry Rhodan, klang wie Perry Rhodan, war Perry Rhodan.

Trotzdem kämpfte Gi Barr immer noch gegen den Impuls an, sich zu kneifen; um sicherzugehen, dass er nicht träumte. Er sprach mit einer lebenden Legende, mehr noch: einem Idol.

»Was gibt es da groß zu überlegen?« Er räusperte sich. »Ich meine ... Du fliegst mit deinem Ultraschlachtschiff auf geradem Wege nach Gäon, oder? Schnurstracks. Übernimmst dort das Kommando, wie es dir zusteht, und führst uns heim in die Milchstraße.«

»So einfach ist das nicht.«

»Einfach!« Barr spie das Wort aus wie einen Fluch. »Als hätten dich mindere Schwierigkeiten jemals daran gehindert, dein Ding durchzuziehen!«

»Die Sachlage ist komplex.«

Gi Barr verkniff sich eine harsche Erwiderung. Sachlage? Komplex?

Wieder einmal fragte er sich, was aus Rhodan geworden war. Gab er sich, trotz des Zellaktivators, der ihn biologisch unsterblich machte, der Altersmilde hin?

Hatte Perry Rhodan, der größte Held der Menschheit, der Mann, der die Terraner zu den Sternen geführt hatte, im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende letztlich doch seinen Schneid verloren? War er ... verbraucht? Ermüdet?

»Ich tendiere dazu«, sagte Rhodan halblaut, jedoch mit klarer, fast überdeutlicher Betonung, »eines unserer Großbeiboote zu benutzen und damit den Sternhaufen vorerst verdeckt zu erforschen. Meines Erachtens ist es zu früh, auf die Pauke zu hauen.«

Gi Barr verbarg seine Enttäuschung nicht. »Was heißt das für mich?«

»Ich lade dich ein, mit mir zu kommen.«

»Unter welchen Bedingungen?«

 

*

 

»Du bist unser Gast«, sagte Perry Rhodan. »Kein Gefangener.«

Er log nicht. Seit der Gäone an Bord war, hatte kein Verhör stattgefunden; jedoch mehrfach ein fairer Austausch von Informationen.

»Aber ich unterliege Einschränkungen meiner persönlichen Freiheit.« Gi Barr hob die markanten, schwarzen Augenbrauen.

Der Elitesoldat war ein mittelgroßer Terraner mit milchkaffeefarbener Haut. Sein kahles Haupt überzogen graublau-metallisch schimmernde Kontaktplatten.

Wie Perry mittlerweile wusste, waren die Haarwurzeln entfernt worden. Dies ermöglichte eine ungestörte, unmittelbare Verbindung zum Helm der gäonischen Kampfrüstung.

Momentan trug Gi Barr eine dunkelblaue Standard-Bordkombination der RAS TSCHUBAI, ohne Rangabzeichen. Er kniff die dunklen, mandelförmigen Augen zusammen. »Du wirst mir einen Aufpasser zur Seite stellen, richtig?«

»Richtig.« Nicht zum ersten Mal verspürte Rhodan gleichzeitig Empathie und Abscheu; sogar fast so etwas wie ... Beklemmung.

Er hatte oft mit Fremdwesen kommuniziert; meist mithilfe von leicht zeitverzögerten Translatoren. Rhodan hielt sich zugute, dass er trotzdem recht flott Zugang zu seinen Gesprächspartnern fand, mochten sie noch so exotisch sein und denken.

Gi Barr jedoch war kein Fremder, zumindest nicht im herkömmlichen Sinn. Sie beide trennte eine Distanz von über hundert Millionen Lichtjahren und eine Zeitspanne von mehr als zwei Jahrtausenden. Dennoch hätte der Gäone äußerlich als stinknormales Besatzungsmitglied der RAS TSCHUBAI durchgehen können. Aufgrund seiner Intelligenz und seines Selbst- wie auch Pflichtbewusstseins, seiner Tapferkeit und Integrität hätte ihm wohl eine große Karriere offengestanden.

Andererseits kannte er Rhodan besser und wusste ungleich mehr über ihn als Perry umgekehrt von den versprengten Terranern, die im Orionsland eine neue Heimat begründet hatten. »Du hast recht. Falls du einwilligst, wird dich ein Sicherheitsfachmann begleiten. Mit ihm zusammen kannst du dich frei an Bord des MARS-Kreuzers bewegen.«

»Frei? Ich stünde permanent unter Aufsicht.«

»Was soll daran schlecht sein? Du bekommst einen Partner zugeteilt, mit dessen Hilfe du dich besser ins Bordleben integrieren kannst.«

»Vertrauen ist gut«, sagte Gi Barr süffisant. »Kontrolle ist besser. – Einer deiner prägnantesten Sprüche.«

»Hier irrst du. Das Zitat stammt nicht von mir, sondern von ...« Rhodan verstummte, dachte nach und kam zu keinem Ergebnis. »Ehrlich gesagt, weiß ich nicht mehr, wer diese Redensart als Erster geprägt hat. Jedenfalls, ich war's nicht.«

»Oder doch? Wie behält jemand wie du eigentlich seine Erinnerungen beisammen? Ich meine, sollte dein Schädel nicht längst geplatzt sein, vor Überfüllung?«

»Es gibt«, sagte Rhodan schmunzelnd, »die Gnade des Vergessens.«

Der Gäone verzog ebenfalls den Mundwinkel. Er wirkte dabei nicht sonderlich amüsiert. »Meine Kampfrüstung und der zugehörige Quintstrahler. Was passiert damit?«

»Was wünschst du?«

»Sie sollen ebenfalls an Bord des Beiboots gebracht werden.«

»Gewährt«, sagte Perry Rhodan, ohne lange zu überlegen. Dass Barr seinen wertvollsten Besitz zumindest in der Nähe wissen wollte, leuchtete ein. »Allerdings darfst du Rüstung und Waffen nicht tragen und wirst auch keinen direkten Zugriff darauf haben.«

Er sah dem Soldaten an, dass ihm das nicht behagte. Aber letztlich fügte er sich in sein Schicksal und ging auf Rhodans Angebot ein.

 

*

 

Wenig später lernte Gi Barr seinen künftigen Bewach..., pardon: Partner kennen.

Der Mann war ihm auf den ersten Blick unsympathisch. Es handelte sich um ein Kraftpaket mit fast quadratischem Umriss: nicht viel mehr als eineinhalb Meter groß, jedoch ebenso breit. Das galt nicht bloß für die Schultern, sondern für den gesamten, extrem muskulösen Körper.

Odin Goya – mit diesem Namen stellte er sich vor, ohne einen militärischen Rang zu nennen – stammte vom Planeten Epsal in der Milchstraße. Wegen der dortigen, mehr als doppelt so hohen Schwerkraft hatten seine Vorfahren die charakteristische, gedrungene Gestalt entwickelt.

Kurze Säulenbeine von enormem Umfang mündeten in einen annähernd würfelförmigen Leib. Die Hände glichen mächtigen Schaufeln. Der bullige Kopf schien halslos direkt aus dem stark gewölbten Brustkorb zu wachsen.

Gi Barr bemühte sich, nicht allzu aufdringlich zu glotzen. Die Existenz zahlreicher verschiedener Arten von Terraner-Abkömmlingen, die sich an die Umweltbedingungen ihres jeweiligen Siedlungsplaneten angepasst hatten, war ihm prinzipiell bekannt.

Theoretisch. In der Praxis hatte er erst durch sein Zusammentreffen mit Perry Rhodan und der RAS TSCHUBAI mit ihnen zu tun bekommen.

Seltsam, eigentlich ...

Es lag nahe, dass auch unter der Besatzung der ORION, die von den Thoogondu aus höchster Lebensgefahr gerettet und nach Sevcooris verbracht worden war, Umweltangepasste gewesen waren. Schließlich hatten Epsaler, Oxtorner oder Ertruser wegen ihrer phänomenalen Reaktionsschnelligkeit und überaus widerstandsfähigen Konstitution nicht selten das Rückgrat terranischer Raumschiffsbesatzungen und Kampftruppen gebildet.

In der Geschichtsschreibung des Zweiten Solaren Imperiums wurden sie durchaus erwähnt, wenngleich nur als Randnotiz. Verdutzt bemerkte Gi Barr, dass er sich darüber zum ersten Mal Gedanken machte:

Wieso gibt es in der Raumflotte und im gesellschaftlichen Leben des ZSI so gut wie keine derartigen Mutanten oder sonstige Abweichler von der Norm?

2.

Ulviks Traum

Lenleys Welt, 5118–5133 n. Chr.

 

Seit er denken konnte, war Ulvik Gallodoro sicher, ein Glückskind zu sein.

Seine Eltern, Verwandten und die Freunde der Familie bestätigten ihn darin von klein auf. »Na, du bist ja ein Glückskind!«, hörte er immer wieder.

Beispielsweise, als der mühsam ersparte Urlaub abgebrochen werden musste – weil sich der sechsjährige Ulvik just den einzigen Krankheitserreger eingefangen hatte, für den es am Ferienort kein Gegenmittel gab.

Oder als er mit neun die Evakuierung der gesamten Satellitenstadt notwendig machte – nachdem er beim Versteckspiel ein aufgelassenes, geheimes Untergrund-Labor gefunden und versehentlich reaktiviert hatte.

Oder als er mit dreizehn am »Tag der offenen Tür« den Flottenstützpunkt in Aufruhr versetzte – weil er sich an einem halben Dutzend Info-Terminals vertippte. Und zwar derart, dass Geheimkodes ausgelöst wurden, die beinahe zur Selbstvernichtung geführt hätten.

»So etwas schafft nicht jeder«, sagten die Autoritäten hinterher. »Die Wahrscheinlichkeit tendiert gegen null. Dafür muss man schon ein ganz spezielles Glückskind sein!«

Bei dieser und vielen anderen, ähnlichen Gelegenheiten war Ulvik Gallodoro recht stolz auf sich.

 

*

 

Freilich entging ihm nicht, dass ihn manche Mitmenschen etwas weniger schätzten.

Die meisten Lehrer würdigten seine oft originelle Auslegung von Aufgabenstellungen nicht. Ja, sie behaupteten, er habe gar nicht verstanden, was von ihm verlangt wurde!

Bloß, weil Ulvik manchmal die Fächer durcheinanderbrachte, am Sporttag mit Abendgarderobe erschien und umgekehrt zum Tanzkurs mit Schwimmsachen, gaben sie ihm schlechte Noten. Vom geliebten Nahkampf-Unterricht wurde er sehr bald suspendiert; laut Rektorat »aufgrund mehrerer Vorfälle, die zu teilweise erheblichen Verletzungen bei Teilnehmern wie auch Ausbildnern führten«.

Trotzdem verlor er nie seinen Optimismus. Unverdrossen hielt er am Glauben fest, unter einem Glücksstern geboren worden zu sein. Da konnten sich manche Mitschüler noch so sehr über ihn lustig machen.

Am letzten Schultag wurden die Diplome überreicht. Traditionell gab man dabei bekannt, welche Laufbahn man einzuschlagen gedachte.

Als Ulvik Gallodoro an der Reihe war, verkündete er, sobald das etwas zu heftig zurecht gerückte Mikrofon wieder funktionierte: »Ich gehe erst mal zur Flotte. Aber langfristig möchte ich zum Geheimdienst.«

Er erntete Gelächter, das minutenlang über den Festplatz hallte. Danach klopfte ihm eine Kommilitonin – sogar die attraktivste des ganzen Jahrgangs – auf die Schulter und sagte: »Bester Spruch aller Zeiten, Ulvik! Danke, Mann. Du hast meinen Tag geadelt!«

Und da sollte er sich nicht als Glückspilz fühlen?

 

*

 

Zur Feier des Anlasses donnerten vier Schlachtschiffe in enger Formation über den Himmel. Obwohl sie nur daumennagelgroß erschienen, also viele Kilometer weit entfernt sein mussten, spürte Ulvik deutlich die Erschütterung durch die Druckwelle.

Als die Zeremonie vorüber war, gesellte er sich zu seinen Eltern und Geschwistern und ließ sich von ihnen in die Arme schließen. Zusammen schlenderten sie zu einem der zahlreichen, umliegenden Restaurants, wo sie einen Tisch reserviert hatten.

»Du hast das ernst gemeint, nicht wahr?«, fragte Maddie, die jüngste Schwester.

»Was?«

»Das mit der Flotte und dem Geheimdienst.«

»Selbstverständlich.«

»Aber weißt du denn nicht ...?« Sie verstummte. Die Mutter hatte ihr unauffällig ein Handzeichen gegeben, still zu sein und das Thema nicht weiter auszuwalzen.

Ulvik, dem die Geste nicht entgangen war, sagte fröhlich: »Ich bin kein Idiot. Mir ist schon klar, dass ich aufgrund meines Zeugnisses nur sehr geringe Chancen habe. Aber wenn ich nicht an mich glaube, wer sonst?«

Im System von Lenleys Stern wurden, wie auch in allen anderen bewohnten Sonnensystemen des Zweiten Solaren Imperiums, höhere Studien- oder Ausbildungsplätze nach dem am Ende der Pflichtschulzeit erzielten Notendurchschnitt vergeben.

Das lief recht fair und simpel ab: Die besten Schüler konnten sich aussuchen, wohin sie sich wendeten. Die schlechtesten mussten nehmen, was übrig blieb.

Nicht alle Lehrfächer erbrachten gleich viele Punkte. Was direkt oder zumindest indirekt mit militärischem Nutzen zu tun hatte, wurde signifikant höher bewertet als Schöngeistiges wie Philosophie, Historische Sprachen oder gar Kunst.

Der Musterschüler von Ulviks Jahrgang zum Beispiel, ein gewisser Tysper Tauschlag, hatte sowohl in diversen sportlichen Disziplinen reüssiert als auch in Mathelogik, Gondunatskunde sowie Strategie & Taktik. Ergo: nahezu Höchstpunktzahl.

Sein Weg war praktisch vorgezeichnet, perfekt ausgeschildert und hindernisfrei planiert: Flottenakademie, gehobener Dienst, schließlich Beförderung in eine der sagenumwobenen Spezialeinheiten.

Niemand zweifelte daran, dass Tysper irgendwann in der Leibwache des Gondus brillieren würde. Oder dass er, falls er doch der Heimat den Vorzug gab, nach einigen Jahrzehnten in die Fußstapfen von Sternenadmiral Arbo Perikles Dannan treten würde. Der überaus gut aussehende Kerl, nach dem sich sämtliche Mitschülerinnen und nicht wenige Mitschüler verzehrten, hatte ganz einfach das Zeug dazu.

Ulvik Gallodoro hingegen war es mit Müh und Not gelungen, rund ein Fünftel der Punkte von Tauschlag zu sammeln. Ihm prophezeiten selbst die Wohlmeinendsten maximal eine Stelle auf einem der Außenposten an der Peripherie des Lenleysystems; idealerweise an einem einsamen, abgelegenen Ort, wo er nur sich selbst gefährden konnte, jedoch sonst niemand.

»Ich freue mich«, sagte sein Vater, »dass du trotz allem, was geschehen ist, die Zuversicht bewahrst. Nein, wirklich! Immerhin hast du das letzte Jahr ohne größere chirurgische Eingriffe überstanden. Und ohne dass uns existenzbedrohende Schadenersatzklagen ereilt hätten.«

Er hielt der Mutter galant die Eingangstür auf. »So, und jetzt wollen wir die Vergangenheit ruhen lassen, die Gegenwart feiern und frohgemut in die Zukunft blicken!«

 

*

 

Das Restaurant war beileibe kein Nobellokal. Ein solches hätten sich die Gallodoros niemals leisten können, schon gar nicht in der Hauptstadt und an einem Tag wie diesem.

Jedoch sah es nicht übel aus. Zwar war von den künstlichen Kerzen in den Lüstern gut ein Drittel ausgebrannt und verschmort; einige weitere flackerten, mutmaßlich in letztem Aufbegehren. Die Wandmalereien jedoch ließen an Buntheit und Üppigkeit wenig zu wünschen übrig.

Außerdem roch es äußerst appetitlich. Fleisch, Gemüse und Grillkäse brutzelten auf einer Fülle von Kochflächen. Aus verborgenen Lautsprechern erklang geschmackvoll neo-klassische Musik.

Vor allem aber behandelten die Kellner Familie Gallodoro sehr zuvorkommend. Selbst, nachdem Ulvik mit einer Verkettung harmlos wirkender Fehlleistungen die Hinterfront des Lokals lichterloh in Brand gesetzt hatte.

»Wir kommen für den Schaden auf«, sagte der Vater, sobald die Feuerwehren wieder abgezogen waren. »Keine Sorge, wir sind ausreichend versichert.«

»Das«, erwiderte die Geschäftsführerin trocken, »wäre ich an eurer Stelle wohl auch.«

 

*

 

Sie bekamen Getränke serviert, dann in rascher Folge eine Fülle von kalten und warmen Vorspeisen, dargereicht als winzige Portionen auf kleinen, dünnen Porzellantellern. Von denen Ulvik, zur allgemeinen Verwunderung, volle neunzehn Minuten lang keinen einzigen zerbrach.

»Ich bitte um Vergebung, dass ich eure intime Feier störe«, sagte der hochgewachsene, ältere Herr, der plötzlich wie aus dem Boden gewachsen an ihrem Tisch stand.

Er trug eine Galauniform mit Kordeln und Epauletten. Einige Orden klirrten leicht, als er eine Verneigung andeutete. »Gestatten, Srdan Münzer, emeritierter Raumadmiral zur besonderen Verwendung.«

Vater Gallodoro sprang auf und salutierte. »Zu Diensten, Herr Admiral! – Was immer mein Sohn angestellt hat, wir werden das bereinigen. Irgendwie.«