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Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Erste Attraktion

Zweite Attraktion

Dritte Attraktion

Rückblende

Vierte Attraktion

Fünfte Attraktion

Sechste Attraktion

Siebente Attraktion

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 2284

 

Die Fliegenden Rochettes

 

Gon-Orbhons Herrschaft über Terra – Widerstand scheint aussichtslos

 

Leo Lukas

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

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Der Sternenozean von Jamondi und der Arphonie-Sternhaufen sind in den Normalraum zurückgekehrt. Anders, als es die von Perry Rhodan angeführte Allianz der Moral angenommen hatte, stellen sich die Kräfte des Feindes aber nicht zum Entscheidungskampf. Stattdessen flieht Tagg Kharzani mit seinen Kybb-Titanen aus dem Sternhaufen und reist auf direktem Kurs zur Erde.

Dort befindet sich mittlerweile am Vesuv der »Tempel der Degression«, das Zentrum jener Macht, die mit dem selbst ernannten Gott Gon-O identisch ist. Tagg Kharzani hat sich mit Gon-Orbhon verbündet – um die Unsterblichkeit zu erlangen, die ihm versprochen wurde.

Während der erst vor kurzem erwachte »Gott« versucht, sich des Psi-Potenzials zu bemächtigen, das im Inneren der Sonne schlummert, weitet er seinen Einfluss auf die Erde und ihre Bewohner aus. Noch weiß keiner, welche Verwendung er für die Menschheit haben wird.

In dieser düsteren Stunde Terras tritt eine Artistengruppe auf den Plan: DIE FLIEGENDEN ROCHETTES ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Matti di Rochette – Der Zirkusdirektor reitet ein ungewöhnliches Steckenpferd.

Babett Bündchen – Die Hochseilartistin wagt viel.

Sirene di Rochette – Mattis Ehefrau hat schon bessere Zeiten gesehen.

Carlosch Imberlock – Gon-Os Prediger will seinem Gott ein Volk schenken.

Homer G. Adams – Der Halbmutant ist plötzlich Staatsfeind Nummer eins.

Mondra Diamond – Die Staatssekretärin wird von ihrer Vergangenheit eingeholt.

Erste Attraktion

Einmarsch und Große Parade

13. März 1333 NGZ

 

1.

 

»Der Pinguin hat Durchfall.«

Matti reagierte nicht. Er saß über seinen Schreibtisch gebeugt, den Rücken krumm wie ein Seilhaken, die zusammengekniffenen Augen so nahe am Bildschirm, als wolle er hineinkriechen.

Oje, dachte Babett. Ganz schlechter Zeitpunkt: Matti kämpft mit dem Erzfeind.

Babett räusperte sich. »Ich belästige dich ungern, aber ...«

Nur ein grimmiges, kaum merkliches Kopfschütteln zeigte ihr, dass er sie gehört hatte. Seine sehr hohe Stirn – Böswilligere hätten »Halbglatze« dazu gesagt – war von Falten zerfurcht. Lautlos mümmelten die Wulstlippen; lange, fleischige Finger kreisten über der Tastatur, um plötzlich wütend auf den Ziffernblock einzuhacken.

Die ganze Truppe wusste, dass Matti di Rochette nichts so sehr verabscheute wie diese allmonatliche Tortur – und ganz besonders, seit er dabei auf die Unterstützung eines einfühlsamen Syntrons verzichten musste. Zehnmal lieber hätte Babett den bissigen alten Krokogator bei der Mittagsfütterung gestört als Matti bei der Buchhaltung.

Aber leider konnte sie es sich nicht aussuchen.

»Der Pinguin ...«, begann sie erneut.

Matti explodierte. Er sprang auf, raufte sich den buschigen, knallroten Haarkranz und schnitt eine verzweifelte Grimasse, derentwegen jedes Publikum in Begeisterungsstürme ausgebrochen wäre.

Babett hingegen verzog keine Miene. Sie kannte Matti seit Jahren. Der Besitzer des »Circus Rochette« war schon rein optisch der geborene Clown; er benötigte weder Perücke noch Schminke. Abseits der Manege jedoch hasste er es, ausgelacht zu werden.

»Pinguin, Pinguin! Was kümmert mich der Pinguin?«, dröhnte er. »Du siehst doch, dass ich mit Wichtigerem beschäftigt bin und keine Zeit für den vermaledeiten Streichelzoo habe. Geh zu Sirene!«

»Die hat mich geschickt. Du sollst auf der Stelle mit dem Vetkit antanzen, hat sie gesagt, sonst ... Das möchte ich lieber nicht wiederholen.«

Matti, eben noch ein vor Energie strotzender Kugelblitz, ließ die Schultern fallen. Er seufzte leise, doch Stein erweichend.

Babett litt mit ihm.

So ein reizender, liebenswürdiger Mann, dachte sie. Herzensgut, immer auf das Wohl der anderen bedacht, nebenbei ein echtes Genie ...

Aber alle trampelten auf ihm herum, als wäre er hier nicht der Direktor, sondern der Schuhabstreifer. Und am ärgsten trieb es seine Frau Sirene, diese grässliche Furie!

Matti schlurfte zu einem der Einbauschränke des Wohnschwebers und kramte, Unverständliches murmelnd, nach dem Veterinär-Köfferchen. Babett trat hinter ihn. Sanft legte sie ihm die Handflächen auf den Rücken.

Er zuckte zusammen, drehte sich weg. »Bitte, Babettchen. Lass das.«

»Es ist einfach nicht fair, wie sie mit dir umspringt. Du hättest Besseres verdient.«

Matti grinste müde. »Sei nicht albern, Mädel. Und foppe auch mich alten Narren nicht. Ich bin schon lächerlich genug.«

»Du bist überhaupt nicht lächerlich! Und ich meine es ernst.«

Er ging nicht darauf ein. »Muss mich sputen«, sagte er, klemmte das Vetkit unter den Arm und schob sich an ihr vorbei zur Tür. »Du hast ja gehört, was die Herrin befohlen hat.«

 

 

2.

 

Mattis Angetraute empfing ihn mit einer Tirade der Stärke sieben Komma drei auf der nach oben offenen Rochette-Skala. Selbstverständlich gab sie ihm die Schuld an der Diarrhöe des Imperatorpinguins oder – wie er ihn wissenschaftlich korrekt nannte – Sphericus gaumaroli.

»Kein Wunder, dass die Tiere krank werden«, zeterte Sirene, »bei dem billigen Syntho-Müll, den wir an sie verfüttern müssen. Aber das bisschen Geld, das wir einnehmen, wird ja sofort für den Krempel in Schweber Zwölf hinausgeworfen!«

Matti überhörte die ungerechtfertigte Unterstellung. Seine Göttergattin wusste so gut wie er, dass er sich jeden Galax, den er in sein Hobby investierte, vom eigenen, ohnehin sehr bescheiden bemessenen Gehalt absparte. Buchstäblich vom Mund: Manchmal würgte er dasselbe Syntho-Zeug hinunter wie der Pinguin und die anderen Viecher.

Er verzichtete auch auf das Argument, dass er den Streichelzoo nie gewollt hatte. Schon als Junge hatte er immer von einem »klassischen« Zirkus geträumt, von der traditionellen, uralten, puren Artistenkunst. Technischen Schnickschnack lehnte er in diesem Zusammenhang ebenso ab wie tierquälerische Dressurnummern. Doch gegen den Streichelzoo, mit dem ihn Sirene eines Tages überrumpelt hatte, stand Matti auf verlorenem Posten.

Ihn schauderte, als er an das Zwischenergebnis der Buchhaltung dachte.

Unglaublich, aber leider wahr: An manchen Tagen brachte die peinlich winzige Menagerie mehr ein als beide Vorstellungen zusammen. Stadtkinder liebten nun mal kleine, knuddlige Tiere, und trotz seines Widerwillens musste Matti zugeben, dass Sirene ausgesucht originelle Exemplare erworben hatte. Sogar der senile, cholerische Mini-Krokogator – Caiman peymanensis, natürlich – fand seine hysterisch grölenden, halbwüchsigen Fans. Und jedes Mal wieder, wenn sie in eine neue Stadt kamen, stürzten sich die Medienleute nicht etwa auf den Jongleur, die Equilibristen oder den weltweit einzigartigen Trapezakt, sondern auf das Lötiparden-Baby – Hybridus schicho –, das so schrecklich entzückend gähnen konnte.

Banausen.

»Hörst du mir eigentlich zu, Matti di Rochette?«

»Aber natürlich, Liebes.«

»So. – Was habe ich gerade gesagt?«

»Öhm ... Dass alles halb so schlimm wäre, wenn ich endlich einmal meinen schlaffen Hintern in Bewegung setzen und mit mehr Nachdruck Sponsoren keilen würde?«

Sirene beäugte ihn misstrauisch.

Er hatte also richtig geraten. Nun, in der letzten Woche waren ihre drei derzeitigen Lieblingsthemen im prozentualen Verhältnis von 43 zu 36 zu 21 durchgekaut worden, und er hatte auf die höchste Wahrscheinlichkeit gesetzt.

»Ganz genau«, keifte sie weiter. »Wie oft soll ich es noch sagen? Um mehr Publikum anzulocken, müssten wir mehr Werbung machen – wofür uns das Geld fehlt, weil zu wenig Leute kommen!«

Circulus vitiosus, dachte er automatisch. Der alte Teufelskreis, der noch jedem Schausteller zugesetzt hat.

Sirenes Mandelaugen funkelten. Sie war immer noch hübsch, nur sehr verhärmt. Und frustriert, weil aus ihrem gemeinsamen Traum ein bitterer Kampf ums tägliche Überleben geworden war.

Vielleicht hatte sie ja sogar Recht, wenn sie ihm vorwarf, dass er neben dem Zirkus einer zweiten Leidenschaft frönte. Obwohl er das von Anfang an klargestellt hatte.

»Herr Matti aber«, schimpfte sie prompt, »trifft sich ja lieber mit anderen Spinnern als mit potenziellen Geldgebern. Und er steuert Wien an und nicht etwa Moskau, wo sie verrückt nach Zirkus sind. Weil sich in Wien besonders viele von diesen Spinnern herumtreiben!«

Nun widersprach er doch. »Wir sind hierher gereist, weil die Bewohner der Mittelmeer-Region circensische Vorführungen mindestens so sehr lieben wie die Menschen in Asien. Wien lag ganz einfach auf dem Weg – und wir sparen Geld.«

»Sparen Geld, sparen Geld! Pah! Allein, dass unsereins keine Subventionen mehr erhält – ha! Was ist denn das für ein Gemeinwesen, das nur noch gemein ist und nicht mehr den Gemeinsinn fördert, sprich: uns?«

»Homer G. Adams hat die Subventionen zeitlich befristet ausgesetzt, um Kapazitäten frei zu haben, die nach der Hyperimpedanz-Krise gesamtwirtschaftlich sinnvoller eingesetzt werden konnten«, erklärte Matti zum exakt 27. Mal.

»Hör mir auf mit diesem Adams! Sinnvoller Geld einsetzen als durch LFT-Förderungen? Was denkt sich dieser Residenz-Terminator?«

»Koordinator, nicht Terminator. Residenz-Koordinator für Wirtschaft, Finanzen und Strukturwandel.«

»Papperlapapp! Monatelang hast du im Wiederaufbau geschuftet, freiwillig und unbezahlt, den Zirkus sträflich vernachlässigt, und was ist der Dank? Der hässliche, hinkende Gnom setzt dir die Subventionen ab!«

»Weil es eben wichtigere Projekte gibt«, entgegnete Matti lahm, während er dem erbärmlich fiependen Pinguin die von der Diagnose-Positronik des Vetkits vorgeschlagenen Medikamente einflößte.

In Wahrheit hatte Sirene, zielsicher wie immer, Salz in eine offene Wunde gestreut.

Bei allem Verständnis für in Umbruchzeiten wie diesen notwendige, drastische Maßnahmen fühlte sich Matti wieder einmal nicht ausreichend gewürdigt. Nicht von der LFT-Führung und insbesondere nicht vom so genannten Finanzgenie Homer G. Adams. Der Mehrwert, den Matti durch seine ehrenamtlichen technischen Hilfseinsätze geschaffen hatte, überwog die LFT-Förderungen für den Circus Rochette bei weitem.

»Was ich immer sage – diese Aktivatorträger richten à la longue mehr Schaden an als Nutzen.« War Sirene einmal in Fahrt, konnte man sie ungefähr so leicht stoppen wie einen Haluter in voller Drangwäsche.

»Wenigstens hätten sie dir einen Orden umhängen können. ›Matti di Rochette, nützlicher Idiot‹. Wobei das noch schmeichelhaft ist: ›Unnützer Idiot‹ träfe es besser.«

Nachdem sie ihm diesen letzten Pfahl ins Fleisch getrieben hatte, ging Sirene ihrer Wege.

Vor der Wahl stehend, das grauenhaft stinkende Freigehege zu putzen oder erneut die Buchhaltung zu attackieren, entschied sich Matti für den Pinguin-Kot.

 

 

3.

 

Ein sich rasch näherndes Geräusch ließ ihn von seiner herkulischen Arbeit aufblicken.

Aus Richtung der LFT-City kam ein Polizeigleiter geflogen, Blaulicht und Folgetonhorn aktiviert. Matti hatte kaum Zeit, aufzustehen und sich die Hände notdürftig an einem Fetzen abzuwischen, da war der Gleiter, ein Modell der neuen, adaptierten SW-USH-1333-Serie, auch schon neben dem Streichelzoo gelandet. Ein langer Dürrer und ein kleiner Dicker (hier traten Polizisten praktisch immer in dieser Kombination auf – das schien Tradition zu haben) stiegen aus und kamen auf Matti zu.

Der Kleine schleppte einen voluminösen Karton. Der Große trug offenbar die Verantwortung, denn er fragte: »Wo finde ich den Direktor?«

»Ihr habt ihn bereits gefunden.« Man stellte sich gegenseitig vor und reichte einander – nach kurzem Zögern von Seiten Mattis – die Hände. »Was gibt's?«

»Wir bringen euch PsIso-Netze. Die sind ab sofort ständig zu tragen. Anweisung aus Terrania, vom Residenz-Koordinator persönlich.«

»Verstehe. Wird denn ein geistiger Angriff von Gon-O erwartet?«

Matti kümmerte sich normalerweise nicht um Politik. Aber dass der »Gott«, dessen Ankunft dieser obskure Carlosch Imberlock verkündet hatte, inzwischen leibhaftig auf den Plan getreten war, hatte sogar er mitbekommen.

»Keine Ahnung«, antwortete der dünne Polizist achselzuckend. »Wir führen nur aus, was man uns sagt. Vorschrift ist Vorschrift.«

»Da drin sind dreihundert Stück«, keuchte der Dicke hinter dem Karton hervor. »Reicht das für euch und euer heutiges Publikum?«

»Ich fürchte, ja.« Ihr Zelt fasste zwar fünfhundert Personen, doch ausverkauft waren sie schon lang nicht mehr gewesen. »Wirken die Netze denn überhaupt?«

Abermals Achselzucken. »Uns darfst du nicht fragen. Das heißt, fragen darfst du, aber ...«

»Nutzt's nix, so schadet's nix«, sagte der Kleine gewichtig. »Damals, gegen SEELENQUELL, haben sie geholfen. Also. Wohin mit den Dingern?«

Matti half ihm, den Karton zum Zelteingang zu tragen. Er versprach, sofort seine Truppe zusammenzurufen und die Netze zu verteilen, dann gab er den Polizisten je zwei Freikarten für die Abendvorstellung. Sie bedankten sich artig und flogen ab.

 

 

4.

 

»Damit ruiniert man sich ja die ganze Frisur!«, nörgelte Sirene. »Auf die Bedürfnisse von uns Frauen wird wieder einmal keine Rücksicht genommen. Typisch für Adams und die ganze Unsterblichen-Bagage!«

»Wäre es dir lieber, dieser ekelhafte Gott kann mit deinem Hirn anstellen, was er will?«, versetzte Babett.

Matti schauderte. Ihn graute beim Gedanken, mental versklavt zu werden.

Es muss furchtbar sein, wenn eine fremde Macht von einem Besitz ergreift und man nur mehr willenloses Werkzeug ist, entrechteter Spielball weit höherer Interessen.

»Der fährt sowieso Schlitten mit uns, wie er's braucht. Und was unternehmen unsere tollen Aktivatorträger? Sie geben Fersengeld. Feige abgehauen ist der feine Herr Rhodan, mitsamt der ganzen Heimatflotte. Und sein Kumpel Bull treibt sich weiß der Geier wo herum. Dafür schikaniert uns Adams ...«

»He, mach mal halblang! Was hätte Perry Rhodan tun sollen?«, unterbrach Picco, der Jongleur und Messerwerfer, Sirenes Wortschwall. »Gegen diese 49 Riesenraumer hätte die Flotte keine Chance gehabt.«

»Kybb-Titanen«, warf Gertraudis ein, die ertrusische Fängerin des Piedestal-Trios. »So werden sie genannt. Kam in den Nachrichten. Jeder davon durchmisst mehr als sechzehn Kilometer und verfügt über ungeheure Feuerkraft.«

»Eben. Die sind unseren Schiffen himmelhoch überlegen. Hätte der Resident Tausende und Abertausende Raumsoldaten in den sicheren Tod schicken sollen? Hätte dir das besser gefallen, Chefin?«

Sirene zog einen Schmollmund und streifte sich mit spitzen Fingern das PsIso-Netz über.

»Ich jedenfalls möchte nicht in Rhodans Haut stecken«, sagte Babett. »Vor der Übermacht sang- und klanglos kapitulieren zu müssen ... Ich kann mir nicht vorstellen, dass er Terra leichten Herzens aufgegeben hat. Und ich bin überzeugt, ihm wird etwas einfallen, wie er Gon-O wieder vertreiben kann.«

»Dein Wort in Gottes Ohr.« Gertraudis feixte. »Aber nicht in das dieses Gottes.«

»Was will der Kerl überhaupt von uns?«, fragte Fryzzil, der Kapellmeister. »Eine Vernichtung der Erde hätte er leichter haben können. Es hätte ihn nicht mehr gekostet als ein paar Feuerstöße aus dem Orbit.«

»Richtig.« Picco rülpste und stellte sein Bier ab. »Also hat er etwas mit Terra und den Terranern vor. Aber was?«

Matti sah gar nicht gern, dass der Plophoser wieder trank. Ein Messerwerfer mit einem Alkoholproblem ...

Andererseits, in Zeiten wie diesen konnte man es ihm schwer verübeln. Alles ging drunter und drüber. Erst gestern Nachmittag – in Terrania war es bereits Nacht gewesen – war ein ganzer Sternensektor von etwa 65 Lichtjahren Durchmesser in der Milchstraße materialisiert, mit ähnlichem »Donnergetöse« an gewaltigen Hyperstürmen wie damals beim Sternenozean von Jamondi. Die so genannte Paukenwolke enthielt 120.000 Sonnenmassen. Das musste man sich einmal vorstellen!

Was kommt als Nächstes?, dachte Matti bang. Am liebsten hätte er mit all dem nichts zu tun gehabt. Der Kiwibis oder auch Hagedasch haurakii im Streichelzoo hat's gut, der kann seinen Kopf in den Sand wühlen. Manchmal würde ich gern mit ihm tauschen.

 

 

5.

 

Die Nachmittagsshow war gar nicht so schlecht besucht, wenngleich überwiegend von Schulklassen mit ermäßigten Karten. Die Kinder führten sich auf wie üblich, falteten Flieger aus den Programmfolien und bewarfen damit die Artisten.

Matti machte das inzwischen nichts mehr aus; er hatte sogar eines seiner Clown-Intermezzi darauf aufgebaut, dass er sich von den Wurfgeschossen jagen ließ und dabei durch sämtliche Logen im ersten Rang stolperte. Großes Gelächter, starker Applaus.

Auch sonst war es eine gute Vorstellung. Nach einer kurzen Gewöhnungsphase ließen sich die Zuschauer bereitwillig in den Bann der für sie exotischen, weil eigentlich anachronistischen Vorführungen ziehen. Sie gingen mit, von Nummer zu Nummer faszinierter, und das übertrug sich reziprok auf die Artisten.

Matti beschrieb das in seinen – leider spärlichen – Medien-Interviews immer als »eine Art Welle. Wenn die aus dem Auditorium kommt, dann können wir uns darauf legen, quasi darauf surfen. Dann, nur dann entsteht der ›Zauber der Manege‹. Eine Gemeinsamkeit, eine ganz besondere Qualität. Ohne Publikum wären wir nichts, bloß zwei Hand voll Verrückter, die es sich in den Kopf gesetzt haben, mit ihren Körpern weit über jedes gesunde Maß hinaus Schindluder zu treiben.«

Der Mensch ist schon ein seltsames Wesen, dachte Matti, während er sich für seine Taschendieb-Nummer umzog. Wenn die Leute sich nicht von unserem Enthusiasmus anstecken lassen, wird das Ganze eine nicht enden wollende Qual, und jeder Muskel im Leib schmerzt. Aber wenn sie klatschen und johlen, tut unversehens nichts mehr weh, und man ist zu den unglaublichsten Leistungen fähig ...

An Vorstellungen wie dieser richtete er sich auf. Aus solchen Stunden zog er die Kraft, weiterzumachen, trotz aller Widrigkeiten; die Gewissheit, sein Leben nicht zu vergeuden; und die Hoffnung, dass sie, »Die Fantastischen Fliegenden Rochettes«, zusammen die Talsohle überwinden würden.

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