Brauche ich in Rom Wissen, Kenntnisse? Der Himmel hier, die Ruinen, die Natur lösen in ihrer glühenden Beredsamkeit Welträthsel. Die Steine predigen, ich höre Psalmen und das hohe Lied der Liebe, der Schönheit; beides ist eins. Offenbarung ist die Pracht des Südens. Die Tempel springen auf. Ich trete in ein Allerheiliges. Das Mal auf meiner Stirn, es ist kein Kreuz, es ist ein Stern.

 

Lieber, lieber Arnold, bitte sage nicht, daß, was ich da schreibe, geschraubt ist, unnatürlich. Man kann nicht schlicht und verständig bleiben, wenn über uns der Himmel mit seinem singenden, siegenden Blau alles verseligt, wenn der Duft des Lorbeers, der Limonen- und Orangenblüthen uns hochzeitlich umweht.

Ach, laß mich in Bildern reden. Alles ist ja hier Bild, Symbol, magischer Zauber.

Und meine Seele jauchzt, und singendes, siegendes Blau ist auch in ihr.

Frei werden will ich von den Menschen, die mich grausam verletzten, frei von dem Land, wo ich innerlich immer fror, wo ich mutterlos war.

Rom ist meine Heimath. Rom ist in mir, um mich, über mir. Ich durchdringe mich mit Rom.

Jetzt, da ich beinah alt bin – ach, ich lüge schon wieder, ich bin nicht alt, ich bin jung, ich bin noch nie so jung gewesen, blutjung bin ich. Ich suche wieder Vergißmeinnicht am Schafgraben, ich suche die goldenen Eier des Vogels Wunderhold, und – vielleicht finde ich sie.

 

Adalbert meinte, ich wäre zu draufgängerisch mit meinem Gemüth; er müsse dämpfen. Und als Seelendiät verordnete er mir etwas italienisches Volksleben.

Und das gefällt mir auch. Liebe Kinder, diese Römer. Sie jubeln über ein Kasperletheater an der Straßenecke, über Seiltänzer, die auf offener Straße, auf einem Stück zerissenen Teppich's Feuer fressen, über eine Drehorgel mit einem Sänger, der sich die Seele in den höchsten Tönen melodramatisch ausschreit. Aber Lärm muß dabei sein, am liebsten Höllenlärm.

Den Superlativ davon erlebten wir zum Epifaniasfest auf der piazza di Navona, wo ein Orkan von Tönen, »Stein erweichen, Menschen rasend machen« konnte.

Alle, alle, Kinder, Männer, Greise blasen auf Trompeten, die in ihren Formen von der Kindertrompete bis zur Posaune wechseln. Nur möchten diese Posaunen die Todten nicht lebendig machen, sondern selig in der Vorstellung, diese Blechfanfaren des Blödsinns, diese Steinigung mit Tönen verschlafen zu dürfen.

Und der Vollmond schien und spiegelte sich in den Wasserstrahlen der Berninischen Fontaine, und erglänzte auf den Säulen der dunklen massiven Kirche, der stille Mond, und er machte nicht einmal ein schiefes Gesicht, weil er keine Ohren hat, der glückliche Mond.

Es ist ja richtig, Faustnaturen sind die Römer nicht.

Wie ein buntes, unterhaltsames Bilderbuch für Erwachsene ist das römische Volksleben. Das ist so amüsant, daß ihr ganzes Leben sich auf der Straße abspielt. Und ganz ohne Rohheit sind die Leute. Sie kennen den Schnaps nicht. Ich habe kaum je einen Betrunkenen gesehen.

 

Abends ging ich zuweilen an Adalbert's Arm, an ihn geschmiegt durch die Straßen. Ab und zu blieb er stehen, vor einem alten Gemäuer, einer dunklen Treppe, einem unheimlichen Winkel, wo etwas schreckliches sich zu regen schien, und immer sah ich Interessantes, Malerisches.

Wir kamen durch enge, abgelegene Gassen. Mattbrennende Laternen hingen quer über der Straße. Halb vermummte Gestalten in den weiten, malerisch um die Schulter geschlagenen Mänteln, glitten an uns vorüber, oder verschwanden in einer Trattoria. Beim Oeffnen der Thür der Gastwirthschaft blickten wir in einen verqualmten Raum, in dem Tonnen aufgestapelt lagen, die Tische von Trinkenden besetzt. Das leidenschaftliche Rufen der Morraspieler gellte uns in's Ohr, oder ein Ciociarenmädchen tanzte die Tarantella, während eine Frau mit großen glitzernden Ohrgehängen das Tamburin dazu schlug.

Zuweilen hörten wir aus schwarzen, offenen Gewölben heraus den Klang von Guitarren oder Mandolinen.

Und wenige Schritt weiter, standen wir am Tiber und blickten hinab in den schwermüthigen Strom, der so träge, so dumpf, so lehmig dahinfloß, als wäre er müde von all den Jahrhunderten und melancholisch von allem was er gesehen.

Und nicht nur, was er gesehen, was er noch sieht, täglich, stündlich. Die Hinterhäuser des Ghetto gehen auf den Fluß hinaus. Ich kann nicht ohne Schaudern an das Ghetto denken. Man sagt, es soll niedergerissen werden. Noch steht es, ein schauerliches Denkmal menschlicher Unmenschlichkeit.

Seit so vielen Jahrhunderten hat man menschliche Geschöpfe in diese Käfige eingesperrt, unbekümmert ob die Pestluft sie moralisch und leiblich verderbe. Eine Schicksalstragödie, die sich hier abspielt. Sie ist in Stein gehauen, sie ist unauslöschlich in die Gesichter geprägt.

Der ekle Bodensatz allzu thierischer Menschlichkeiten wurde von denen außerhalb des Ghetto's in's Ghetto abgelagert. Draußen zogen die Scham und die Gesetze der nackten Barbarei Grenzen. Aberglauben, Herrschsucht, Neid, Grausamkeit, Rassenhaß schufen das Ghetto und machten es zu einer Cloake der Weltgeschichte. Und aus dieser Cloake würde der brodelnde, gährende Unrath zum Himmel stinken, wenn der Himmel überhaupt in diese grausen Winkel hineinschiene.

Paria's sind immer Opfer der bête humaine.

Wir kamen durch lange, schmale Gassen, wo der Abhub von Monaten angehäuft lag, Berge von Gemüseabfällen, Stofffetzen, schreckliche Rinnsale Schmutz, Gestank.

In allen Thorwegen saßen Menschen, fremdartig seltsame, die wisperten und zischelten und lachten, und ihre Gebärden hatten etwas so entlegenes, hastig wildes.

Alle Gewölbe waren mit Lumpen angefüllt. Sie lagen in Bündeln zusammengebunden, oder bedeckten den Fußboden. Und diese Gewölbe und Thorwege, die Luft und Licht nur durch die offenen Thüren empfangen, sind zugleich die Wohn- und Geschäftsräume der Familien.

Der ganze Abhub Rom's scheint hier aufgespeichert. Lumpen bilden den Erwerbszweig der Ghettobewohner, Lumpen oder Reste von irgend etwas: von altem Eisen, von Holz, Federn, Betten, Kleidern, Häuten.

In einem dumpfen Gewölbe, – ein Lager alter Schuhsohlen – saßen fünf Weiber, alle damit beschäftigt altes Schuhwerk auseinander zu trennen. Als sie uns sahen winkten sie uns, alle fünf mit derselben stereotypen Handbewegung, eine Handbewegung, die bei uns bedeuten würde: geh! in Italien aber bedeutet: komm! Dieses stumme, gleichzeitige Winken war unheimlich.

In einem anderen Gewölbe, vor einem leeren Tisch saß ein alter Mann, ein Greis, mit langem, weißem Bart, edlen Zügen und wunderbaren Augen, Augen, die blind für die Nähe, Gedankenfernen zu durchmessen schienen. Er sah mich an, das heißt, eigentlich sah er mich nicht, es war als sähe er unmittelbar in mein Innerstes hinein, und als hätte er mir etwas zu sagen, etwas sehr Wichtiges. Ich wollte mit ihm sprechen, Adalbert hielt mich davon zurück.

Wir gingen schneller. Der Gestank war wie etwas, das uns anfiel, verfolgte.

Und die Gassen wurden immer dunkler, immer enger, kein Himmel mehr, keine Luft, nur etwas modrig, wüst wirbelndes, gräßliches. Und doch stehen in einer dieser Gassen noch die Reste eines alten Palastes. Er ist geborsten, verwittert, fensterlos; jede Stufe der zerbröckelten Marmortreppe mit Stroh, Lumpen, Unrath bedeckt, in dem sich bleiche, halbnackte Kinder umherwälzen.

Auf einen kleinen Platz öffnet sich ein breiter, gewölbter, höhlenartiger Durchgang. Pechfackeln brennen. Bei offenem Feuer werden Fischchen gebraten. Der Qualm der Fackeln wirbelt empor. Ihr Schein und ein düster rothes Glimmen von der andern Seite her, fielen auf die steinernen Wände der Höhle und gaben ihr etwas dämonisch unterweltliches.

Die knisternden Flämmchen, das kreischende Toben der Menge, der Dampf der Fackeln – eine Hexenküche, wo das Schauerlich-Grandiose mit dem seltsam Possenhaften, das Tiefsinnige mit dem Närrisch-Lustigen zusammengeht. Spukhaft, unwirklich war das alles, als wären das verstorbene Geschlechter, die in der Nacht zu wahnsinnigem Leben erwacht, sich nun hasteten und eilten, um bei dem ersten Hahnenschrei wieder zu verschwinden.

Da waren alte Frauen, die sahen aus als hätten sie vor Tausenden von Jahren schon gelebt, und als wüßten sie uralte Runensprüche. Und die ältesten Frauen und Männer hatten nichts Greisenhaftes. In ruheloser, lebenssüchtiger Geschäftigkeit trieben sie umher, Menschen, die nicht sterben können, an denen etwas vom Fluch des Ewigen Juden haftet.

Das war das Volk, das unversöhnt, voll zehrender Inbrunst, voll rastloser Sehnsucht noch auf den Messias wartet.

Der Greis vor dem leeren Tisch wußte etwas von dem Messias.

»Nun – ist das malerisch?« fragte Adalbert.

Es war unsinnig malerisch, dieses Ghetto. Malerisch ist auch der Kopf der Medusa, und wirkt doch Grauen, vor dem die Seele erstarrt.

Ich wurde traurig. »Tröste Dich Marlene, sagte er, morgen zeige ich Dir einen Juden im Purpur kaiserlicher Majestät.«

 

Und er ging mit mir am andern Tag in die Kirche St. Pietro in Vincoli.

Die Kirche ist einfach, eine stille Halle mit altrömischen Säulen; durch die kleinen mattgeschliffenen Fenster dringt leichter, goldiger Schein. Sie wirkt wie ein ernster Choral. Aus diesem Choral aber erhebt sich ein Riesensolo: der Moses des Michel Angelo. Er steht im Schatten, aber er strahlt im eigenen Licht. Der Marmor wirkt wie Erz, so streng, gewaltig, dräuend ist diese Gestalt. Moses sitzt da wie das Symbol des altjüdischen Gesetzes selber, voll hehrer, düstrer Kraft, in jeder Muskel die Energie eines Titanen. Das ist Moses, der zugleich Priester ist und König, der Jehovah geschaut hat von Angesicht zu Angesicht. Um die Augenbrauen, um die leicht aufgeworfenen und doch zusammengepreßten Lippen zuckt erhabener Zorn und verächtliches Staunen über das Gesindel Mensch, das da unten tanzt, um das goldene Kalb tanzt. Ein Wehruf oder ein Fluch wird sich von diesen Lippen ringen, wenn er sie öffnet, wenn er die Gesetzestafeln die er im mächtigen Arm hält, zerschmettert.

Der weite Platz vor der Kirche ist still und todt. Das bunte Leben Rom's dringt nicht hierher. Eine einsame Palme auf der Höhe ragt in den Himmel. Zwei schwarze Mönchsgestalten kommen langsam die Stufen des Klosters herab.

Ich war in dieser Zeit religiös gestimmt. Immer zog es mich in die Kirchen.

Jede Kirche, in die man hier tritt, ist an und für sich ein Erlebniß. Es funkelt darin von Gold und Silber, die Bronce glüht, der Marmor erglänzt. Die Kerzen flimmern wie ein Geflüster in die prunkende Pracht; die kleinen rothen Lämpchen, die still in sich hineinglimmen – ein Sinnbild armer fromm versunkener Seelen. Und überall, in Oel, Marmor oder Bronce, Darstellungen von Himmelfahrt und Auferstehung, von Verzückung und Martyrium. Jubelnde Verkündigungen und grabestiefe Resignationen, himmlische Gesichte und teuflische Hallucinationen, Krone und Kreuz, Halleluja und Miserere. Und in irgend einer Kuppel, in goldenem Strahlengeflimmer, die weiße Taube, die den heiligen Geist in den Tempel herabruft. Und zwischen aller Pracht und allem Gefunkel die vielen, vielen welken Blumensträuße.

Trotz dieser Gemeinsamkeit bietet jede Kirche ein anderes Bild.

Da sind Kirchen, die an ein Museum, oder ein Antiquitätengeschäft erinnern, wie die Kirche der heiligen Prassetes, mit ihren altehrwürdigen Mosaiken aus den ersten Jahrhunderten, wo Reihen von Männern von unzweifelhaftester, wenn auch hölzernsteifer Glückseligkeit über Goldgrund wandeln, und die Schäfchen die sich ihnen anschmiegen, blöcken naivste Heiligkeit und rührende Unschuld, die Grundseele des Christenthum's blickt uns aus ihren Augen an.

Leider knieet unten die Holzfigur der heiligen Prassetes, brandroth und blitzblau angemalt, und blutig, ach so blutig! Das geht ganz natürlich zu. Sie ist ja eben dabei, aus einem Schwamm das Blut der Märtyrer in eine Vase zu drücken.

Und diese Kirche besitzt eine Kapelle, über der eine lateinische Inschrift angebracht ist, welche besagt, daß Frauen unter Strafe der Exkommunikation diesen Ort nicht betreten dürfen. »Warum nicht?« fragte ich den Mönch, der uns führte. Weil eine heilige Reliquie, die Martersäule Christi, in dieser Kapelle aufbewahrt würde. Sie Frauen sehen zu lassen, wäre Entweihung. Er sagte das so einfach, als wäre es das Natürlichste von der Welt.

Ja, ja, richtig, Es fiel mir jenes Concil, ich glaube im dritten Jahrhundert, ein, auf dem ernsthaft die Frage erörtert wurde, ob Weiber zum eigentlichen Menschengeschlecht zu zählen seien.

Es war mir unangenehm, daß Adalbert das mitanhörte. Ich fragte ihn, ob er nicht diese verächtliche Hintenansetzung der Frau widersinnig fände?

Er lächelte, so sehr liebenswürdig lächelte er, und er neigte sich flüsternd zu mir nieder: »Du hast die schönsten Augen – –«

Meine schönsten Augen aber ärgerten mich in diesem Augenblick.

Eine Schaar junger Priester zog an uns vorüber.

- Sieh, sagte ich zu ihm, glaubst Du daß all die Priester, alte und junge, die massenhaft auf den flachen Dächern der Häuser, in den Villengärten, auf dem Monte Pincio stundenlang auf und abwandeln, auf und ab, immer mit denselben Büchern in den Händen, immer betend, murmelnd, auswendig lernend, glaubst Du, daß alle diese Männer klüger und intelligenter sind als ich? Sie werden ja nicht wahnsinnig bei dieser Beschäftigung, ich aber würde es. Sage – bin ich klüger? ja oder nein?

Nun lachte er. Und er blickte mich so schalkhaft und zärtlich unter seinen langen Wimpern hervor an, und sein Arm umschlang mich, und er machte Huhu, und ob ich wohl glaube, daß er einen Blaustrumpf, oder ein, auf irgend eine Art schiefgewachsenes Weib so recht von Herzen lieb haben könne?

Und er küßte mich so recht von Herzen, und ich sah nicht mehr die zahllosen Priester, die da auf und ab wandelten, immer betend, murmelnd, auswendiglernend.

Wir gingen weiter. Wir kamen in Kirchen, die Putzstuben glichen.

Diese Kirchen gefielen mir nicht besonders. Sind die künstlichen Blumensträuße neu, unverstaubt, die Bilder frisch gemalt, die Wände sauber getüncht, so ist's reizlos. Der Nimbus des Zeitlosen, der Ewigkeit fehlt, der den alten Basiliken ihren weihevoll feierlichen Charakter giebt.

In der Kirche San Eusebio sind lauter Sonnenstrahlen und gemächliche Ruhe, so recht zu einem dolce far niente einladend, die Kirche träumt, und die Menschen darin auch. Nur Einer träumte nicht. Am Eingang dieser Kirche, dicht an der Thür stand ein blasser, junger Priester, unbeweglich wie eine Bildsäule. Ich erkannte ihn gleich; es war der Priester aus dem Dora-Pamphili-Park. Als wir die Kirche verließen stand er noch immer da, in derselben Unbeweglichkeit. Er stand am Kirchenpranger, zur Buße. Gewiß, es war wegen der Amerikanerin mit dem bunten Zauberkleid.

Es giebt auch kleine dürftige Kirchlein, die mit ihren verwitterten Blumensträußen, ihren paar hölzernen abgenutzten und verküßten Heiligen, und ihren pauvren Lithographien an den vergrauten Wänden, so recht Kirchen für arme, alte Weiblein sind, die im stillen Winkeln ihren Gott für sich allein haben wollen.

Andere sind wie dumpfe Grabgewölbe. Und doch war's in einer solchen Kirche einmal wunderschön. Von einer Kuppel hoch oben floß eine Lichtsäule von Sonnenstaub nieder in den düsteren Raum. Von fern her (wohl aus der Sakristei) klangen die Töne eines Harmoniums, und es war als bewegten sich die schimmernden Stäubchen leise im Rythmus der säuselnd süßen frommen Töne, und die Lichtsäule wurde zu einer Himmelsleiter, und man wartete der Engel, die da auf- und niederschweben sollten.

Engel sahen wir zwar nicht, aber wieder einen Büßenden. Der lag platt am Boden, mit der Stirn den Steinboden schlagend. Als er aufstand, gewahrten wir, daß es ein alter, seingekleideter Herr war. Er keuchte schwer, und trocknete sich mit einem parfümirten Taschentuch den Schweiß vom Gesicht. Die Stirn aber erhob er stolz: ihm war vergeben.

Im katholischen Ritus, in seiner Hypnose des Weihrauchs, ist leidenschaftliches Gemüth. Es fällt wie Thau auf brennenden Schmerz. Das blecherne oder silberne Herz, das der Leidende der Madonna darbringt, thut Wunder an seinem eigenen. Maria heilt sein krankes Herz.

O wunderthätige Glaubenskraft!

Oeffnen sich dem Mühseligen und Beladenen die Pforten der Kirche – und sie stehen immer offen – so fallen die Thüren der häßlichen Welt hinter ihm zu. Mit ihrem Aroma der Ewigkeit entbindet sie, was in ihm selbst unsterblich ist. Und voll Barmherzigkeit ist sie – die Kirche, die die Absolution ersann.

 

In der Kapuzinerkirche wurde einem Heiligen zu Ehren ein Fest gefeiert. Die dem Heiligen geweihte Seitenkapelle war mit bescheidenen Kerzen, Blumensträußchen und Blumentöpfchen geschmückt. In der Sakristei Gesang. Ein eintöniger Männerchor von tiefem Ernst und Adel.

In dem durch ein Gitter abgeschlossenem Raum vor dem Hochaltar saß ein alter Kapuziner mit eisgrauem Bart, und las in einem großen Folianten. Er las unter einem Kandelaber auf dem 12 Kerzen brannten.

Die Leute alle hatten sich zu der erleuchteten Kapelle gedrängt.

Ich stand vor dem Gitter und hörte dem Gesang zu.

Der alte Kapuziner sah mich an, als erwartete er, daß ich ihn etwas frage. Er hielt den Zeigefinger auf einer Seite des Folianten, als stände da etwas besonderes.

Ich wollte ihn ja auch fragen, was da geschrieben stände. Ich zögerte aber zu lange.

Langsam löschte er eine Kerze nach der andern aus. Als die letzte erlosch, war der Gesang zu Ende. Die Mönche traten aus der Sakristei heraus an den Altar.

Ach Arnold, nie verstand ich zu fragen, wo eine Weisheit oder ein Geheimniß sich mir hätte erschließen können.

Der Kapuziner sah dem alten Juden ähnlich. Und bei dem Kapuziner und dem Juden, mußte ich an den weißen todten Baum in der Villa Dora Phamphili denken.

 

An einem Nachmittag kam Adalbert nicht wie sonst mich abzuholen. Ich wartete lange, dann ging ich in die Peterskirche. Wie immer war da alles voll Leben. Im Vordergrund wurden in einer Kapelle Kinder getauft, und alle durch die Bank schrieen. Nach der Mitte der Kirche zu, in einer der größten Kapellen, sangen eine Anzahl Priester die Vigilia. Ein Seitenschiff wurde vom Kirchendiener mit Schrubber und Besen gereinigt. Vom Hintergrund aus hörte man Sägen und Hämmern, zu einem Kirchenfest wurden Gerüste aufgebaut. So unermeßlich groß aber ist St. Peter, daß keine einzige dieser Funktionen die andere störte. Und dazwischen die Hunderte von Fremden mit den rothen Büchern.

Ich war zum ersten Mal allein in St. Peter. Die Riesenmaße überwältigten mich. Und Marmor und Gold ohne Ende. Eine bunte und doch grandiose Pracht.

Die ganze Basilika – eine ungeheure himmlische Posaune, die die gesammte katholische Welt zusammenruft. Selbst die Gebärden und Stellungen der Heiligen, in ihren wilden Verzückungen, ihrer Andacht über Lebensgröße, ihrer Märtyrerbrunst – Posaunenklänge.

Diese Statuen, fast alle in Berninischer Manier, nehmen einem Ruhe und Frommheit. Das sind Gestalten, die nicht warten können, bis man sich still in sie versenkt, sie drängen uns ihren Entsagungsschmerz, ihre verzückte Gläubigkeit auf. Sie sind Tragöden auf der Bühne der Kirche, die Zuschauer brauchen, sie sind fromm – auf Applaus.

Und ein Gewimmel von Engeln! natürlich auch Posaunenengel, die ungeheure Posaunen blasen. Engel für Alles. Sie weinen und senken Fackeln bei Begräbnissen, sie halten jubelnd die Bildnisse frommer Päpste empor, sie winken die Gläubigen zu den Weihrauchbecken heran, sie dienen den großen Monumenten als Putten.

In St. Peter scheint der Herr Revue abzuhalten über alle Heiligen, Märtyrer, Päpste, Sybillen, Cardinäle, gewissermaßen ein Universaltag seiner Heerschaaren. Und wenn der Katholik die Häupter seiner Heiligen zählt, kaum wird ein theures Haupt ihm fehlen.

St. Peter ist die unfrommste aller Kirchen. Zu groß, zu klar, zu viel Gold, zu viel Sonne, zu viel diesseitige Luft, zu viel Leben von da draußen. Gedämpfte Farben, gebrochene Töne, Weihrauch fehlen, sie hypnotisirt nicht. Es fehlt ihr an intimer Poesie. Kein Staub, keine verwelkten Blumensträuße, keine mystischen Dämmerungen.

Am meisten in der Riesenbasilika zog mich die Pieta von Michel Angelo an, Maria, die den todten Sohn im Arm hält. Ich vertiefte mich in den Ausdruck schmerzlich süßer in sich geschlossener Frömmigkeit, in die keusche stillheilige Trauer dieses Kopfes, eine Trauer, für die Thränen zu profan sind.

Wie wild bäumte ich mich auf, als Traut starb.

Maria, ja, die trauert um Gottes Sohn und Engel halten über ihrem Haupt die Himmelskrone.

Ich hörte Schritte hinter mir. Und ich lauschte, lauschte auf die sammtne Stimme, die leise meinen Namen rufen würde.

Eine rauhe Stimme war's, die mich erschreckte. »Non si entra in questa capella«.

Ich that einen Schritt zurück, und gleich darauf, ja, jetzt war es seine Stimme, aber sie rief mich nicht. Er sprach mit jemand anderem.

Ich wandte mich um. Eben ging er an mir vorüber, mit einer Dame. Ein Seitenblick unter seinen langen Wimpern traf mich, oder traf mich wenigstens beinah, einer jener Blicke mit dem unverkennbaren Ausdruck des Nichtsehenwollens, ein Blick der ein böses Gewissen hat.

Es war die Dame vom Monte Pincio, die ihn so sonderbar aus dem Wagen heraus gegrüßt hatte.

Eine Traurigkeit kam über mich. Ich verließ St. Peter. Von einem Seitenhof der Basilika gelangt man in den kleinen deutsch-katholischen Kirchhof. Eine der grandiosen und malerischen Seitenfacaden von St. Peter bildet die vornehme Einrahmung des Friedhofes. Die Todten ruhen hier so recht im Schoß von St. Peter. Ein stilles, beinah ärmliches Fleckchen Erde, nicht düster, nicht heiter, nur ganz klein und ganz grün. Hier und da ein Strauß gelber Blumen, die zuthunlich freundlich aus dem Grün gucken. Ein Zweig zarter, weißer Rosen um ein weißes Kreuz.

Die Pracht des Rahmens erdrückt das Bild. Der Tod erscheint hier belanglos. Was liegt an dem kleinen Erdenrest. Erhaben und feierlich wölbt sich darüber die Kuppel von St. Peter, und Petrus hält in seiner Hand den Schlüssel, der vom Leib befreiten Seele öffnet er die Himmelspforte.

Ich stand vor einem halb verwitterten Kindergrab. Zwischen wildsprießenden Gräsern ein hölzernes Kreuz mit einer halb verlöschten Inschrift. Das Kindchen war nur fünf Jahr geworden. Der Name war unleserlich. Nur wenige Buchstaben. Es hätte Traut heißen können.

Und plötzlich begann eine Glocke in St. Peter zu läuten, nicht wie sonst Glocken läuten. Kein Hin- und Herschwingen, kein Auf und Ab, keine Modulation der Töne, – ein einziger Ton nur, immer derselbe, derselbe, ein mächtiger, dumpf weithinhallender Klang, wie heiser von ungeheurem Weh, von der Verkündigung von etwas Furchtbarem.

So müssen die Glocken geläutet haben zur Bartholomäusnacht. Das Geläut füllte das Ohr, das Hirn, die Seele.

Wer rief mich? Wird sich das Kindergrab da öffnen? Wird – – –

Fremde mit dem Bädeker erschienen. Da ging ich. Trübe sinnend schlenderte ich durch die engen Gassen nach Hause.

War das nicht unmännlich, daß er that, als sähe er mich nicht?

Es wurde mir klar, nicht in der Männlichkeit lag seine Stärke. Eher ist er weiblicher Artung. Die Delikatesse im Ausdruck seiner Gedanken, die Grazie seiner Gebärden, seine diskrete Feinheit und daß er ohne Stachel ist und glatt, alles muthet fast weiblich an.

Nie schöpft er aus dem Vollen. Er lebt in geistiger Sparsamkeit. Auch in seinen Studien beschränkt er sich peinlich auf die italienische Renaissance. (Die deutsche Renaissance interessirt ihn kaum.) Auf diesem Gebiet aber ist ihm das winzigste Detail von immenser Wichtigkeit. Er kann sich auf's liebevollste in jede einzelne Linie eines schönen Renaissance-Kopfes vertiefen, und sich darnach in den Kopf verlieben. Er hat immer behauptet, was ihn zuerst bei mir angezogen, wäre meine Aehnlichkeit mit einem Kopf von Sodoma gewesen.

Ich hatte ihn einmal gefragt, ob ich ihn nicht bei seinem Buch helfen könne, etwa Auszüge für ihn machen.

Er verneinte. Das sei schwere und tiefe Mannesarbeit.

Und sein Blick wurde weit und schmerzlich.

Ich habe einen Instinkt für das, was Menschen denken. Und ich wußte, er barg im Grund seiner Seele ein geheimes Mißtrauen gegen sein Können, seine Schaffenskraft. Er hatte Stunden, wo das Bewußtsein seiner Unzulänglichkeit, und die unruhige Sorge, daß Andere davon etwas merken könnten, ihn quälte.

Er arbeitete trocken und mühsam. Keine Inspiration, kein kühner Gedankenflug kam ihm zu Hülfe.

Die Vorstellung, sein Werk der Kritik aussetzen zu müssen, erschreckt ihn. Er ahnt eine Ablehnung, und würde sich doch nicht dagegen zur Wehr setzen. Dazu ist er zu vornehm, zu graublau.

Er wird das Buch nicht vollenden.

Er wäre selbst gern ein blühender Renaissancemensch gewesen. Daß er es nicht war, nagte an ihm. Er ist leicht müde und abgespannt. Ich habe mehr errathen, als daß er es mir verrathen hätte: er lebt in Rom, weil seine Lungen schwach sind.

Auch etwas altmodisch didaktisch lehrhaftes ist in ihm. Ich kann mir ihn gut als Mustererzieher eines Prinzen denken.

Uebrigens weiß ich nun längst seinen Namen, einer der häufigsten, einfachsten, banalsten Namen.

 

Abens kam er. Ob ich sein Billet erhalten, in dem er mir für den Nachmittag abgesagt?

Ich hatte es nicht erhalten. Ich blickte ihn fest an, als ich sagte, daß ich ihn von fern in St. Peter gesehen. Er zuckte nicht mit der Wimper. So hatte er mich wohl doch nicht bemerkt.

»War das nicht dieselbe Dame, die Dich einmal auf dem Monte Pincio gegrüßt?«

Er verstand was ich wissen wollte, und nannte den Namen einer italienischen Fürstin. Er habe aus mancherlei Gründen ihr Ersuchen, ihr bei der Besteigung der Peterskuppel behülflich zu sein, nicht ablehnen dürfen. Indem er den Namen der Fürstin nannte, beging er zum ersten Mal eine Indiscretion. Sie lag in dem halb schmerzlich schmachtenden, halb schwärmerisch verzückten Ausdruck seiner Augen. Eine ganze Geschichte lag in diesem Blick, die Geschichte eines Glückes, das einst genossen, und nicht mehr war, und dem doch die Seele noch nachhängt.

Ich fragte ihn nach der St. Peter-Glocke, und was ihr dröhnendes Schlagen bedeute?

Er lächelte. So läute sie ja jeden Nachmittag zur Vesper. Wahrscheinlich pflanzten sich die Schallwellen in der Richtung des kleinen Friedhofs mit besonderer Stärke fort.

 

Er fand übrigens, daß die vielen Kirchenbesuche mich katholisirten. Ich gab zu, daß der Katholicismus mich lockte, weil er schön war.

Ich sollte auch die Kehrseite des Kultus – eine ziemlich heitere Seite kennen lernen.

Er führte mich in eine entlegene Straße. Wir traten in eine Werkstatt, wo bei offenen Thüren Heilige fabricirt wurden. Diese Figuren in all ihren verschiedenen Entwicklungsstadien, vom zartestem Embryo bis zum vollendeten Gott oder Heiligen vor sich zu sehen, war ein recht kurioses Schauspiel; nicht gerade weihevoll anzusehen, wie die Gesellen in schmutzigem Arbeitskittel die Heiligen erbarmungslos mit Beil und Hammer bearbeiteten, ihnen mit Messerchen Wunden in die heiligen Leiber schnitten, und so recht con amore mit Zinnober das Blut anpinselten.

Die Italiener leiden nicht an Schamhaftigkeit. Diese öffentlichen Geburtsstätten der Heiligen sind doch aber gar zu indiscret; wenn auch nicht ganz so indiscret wie eine Madonna-Pfingstprocession bei der die Naivetät des italienischen Volks eine wahre Orgie feiert. In feierlicher Procession wird Madonna durch die Straßen getragen. Plötzlich werden ihr die Kleider wie ein Vorhang in die Höhe gezogen, und eine Schaar weißer Tauben flattert heraus. Ein Raufen um die Tauben entsteht. Und wer eine oder mehrere abfängt, geht vergnügt nach Hause, um diese Symbole der Ausgießung des Heiligen Geistes zu – braten.

 

Ich habe mit Adalbert einem großen Kirchenfest in St. Peter beigewohnt, eine Prachtentfaltung sondergleichen.

Ein Feenmärchen dieses Kirchenfest. Märchenpferde, Märchenwagen, Märchen-Cardinäle, märchenhaft die Tamboure mit den ungeheuren Pelzmützen, märchenhaft die Nobelgarde in den strahlenden antik römischen Helmen mit den weißen wallenden Federn, den rothen, reich mit Gold verzierten Waffenröcken, über der Brust ein breites goldenes Band.

Und märchentraumhaft der Gesang der Knaben der päpstlichen Kapelle. Das sind Zaubertränke, von Erzengeln kredenzt, das sind Titanengebete, die, im Heißhunger nach Gott, sieghaft, stürmisch, an den Himmel klopfen. Er thut sich auf, und in weicher Wollust vergehen sie am Herzen Jesu.

Nichts entspricht mehr den Verzückungen die der Katholicismus fordert, als die Musik.

Ich fühlte den heftigsten Drang, sofort in ein Kloster zu gehen. Adalbert aber meinte lächelnd, wir wollten vorher noch in einem Restaurant etwas essen.

Er war immer darauf aus, Contraste, in denen er den größten Reiz fand, für mich auszuspüren.

Nach dem Mittagsessen fuhren wir auf den Coelio, zur Basilika San Sabina. Eine wohlerhaltene schöne Kirche mit einem berühmten, aber verhängtem Gemälde.

Noch mehr als die Basilika gefiel mir das kleine Gärtchen, das zum Kloster gehört. Es war nur ein winziges, rings von Mauern umschlossenes Gemüsegärtchen, das schon seit dem 15. Jahrhundert seinen Zweck, sich von dem alten Klostergebäude abzuheben, nachkommt. Die Orangenbäume zwischen dem Kohl und der Petersilie waren wohl nicht so alt, sie hoben sich aber auch malerisch ab. Einer aber stand von einem Gitter umschlossen auf einem Hügelchen. Den hatte der heilige Dominikus selbst gepflanzt. Das sah man den Früchten an, so groß, so herrlich blutroth waren sie.

So ein ächter, rechter Gottesfrieden ruhte über der Petersilie, den Kohlköpfen und den wilden Rosen, und die Luft war mild und lau wie im Juni – auch Himmelsluft.

Ein alter Dominikaner stieg zu uns nieder. Ein stilles, frommes, liebes Gesicht hatte er, und so lieb und fromm sprach er auch, so himmelsluftig und mailich warm. »Gott ist es, sagte er, der alles wachsen ließ, den Kohl und die Orangenbäume. Er ist jeden Augenblick um uns, über uns, er ist überall und wer ihn so recht liebt, der lebt in Frieden mit sich und der Welt, und er hat ein Glück, das immer währt.« Die Rede war wohl auch, wie der Orangenbaum, aus dem 15. Jahrhundert, aber die Gesinnung, der sie entsprang, ob sie im 15. oder im 19. Jahrhundert ausgesprochen wird, ist immer ehrfurchtgebietend, und – ach – so beneidenswerth.

»Selig sind die Geistig-Armen.« Ich weiß zwar nicht ganz, was Jesus damit meinte, das aber weiß ich, es hätte mich keine Ueberwindung gekostet, in den Frieden dieses stillen Dominikaner-Klosters einzugehen.

Wenn ich nur Gott so recht lieben könnte! Wenn ich nur wüßte – –

Adalbert weiß es eher. Der ist kein Zweifler. Aber er spricht nicht gern davon.

Von San Sabina bis zur Villa Medici ist zwar mehr als ein Schritt, wir thaten aber die Tausende von Schritte, weil Adalbert mich durch einen neuen Contrast entzücken wollte.

In den dunklen Hain der Villa Medici fallen die Sonnenstrahlen nur gedämpft, wie Altarkerzen in eine Kirche. Ein Tempel ist dieser Hain voll Schauer heidnischer Mystik. In einem solchen Hain muß Pythia ihre Orakel abgegeben haben, muß Daphne's Verwandlung in einen Baum vor sich gegangen sein. Man glaubt in den gewaltsamen, wundersamen Verrenkungen dieser Bäume noch die schauerliche Tragik ihrer Gebärden, ihr wildes Sträuben zu überraschen.

Diese Gebärdensprache ist eine Eigenthümlichkeit der Immergrünen-Eichen, die ich bei keiner anderen Baumart bemerkt habe.

Und fast alle diese Bäume zeigen furchtbare Verwundungen, tiefe, schwarze, klaffende Löcher, oft sind die ganzen Stämme aufgerissen, das Innere schwarz, als wäre es mit Feuer ausgebrannt.

Auf einer hohen, schmalen, mit Schimmel bedeckten Treppe, die oberen Stufen mit Lorbeer überwölbt, steigt man zu dem Tempelchen auf, und ist man oben – plötzlich eine Lichtflut. Ueber allen Wipfeln Licht! Licht! Wir stehen in Licht gebadet, ein Eindruck, der noch verstärkt wird, wenn wir herabblicken von der Treppe in das schwermüthige Dunkel da unten.

Das starre Laub des Buchsbaums und des Lorbeer's, das den Hügel des Tempelchens ganz bedeckt, regt sich nicht. Es ist um uns wie ein stilles, grünes Meer. Kein bunter Ton in der Landschaft, ausnahmsweise nicht einmal Orangen.

Lyrische Weichheit und zugleich Kraft, Reinheit, Seele ruhte auf dieser Landschaft, die in ihrer klassischen Vornehmheit an den Kopf der Juno Ludovisi, an Verse Homers erinnert.

Und wie sanft sich die Berge an- und ineinander schmiegten, und ebenso mild und sanft flossen die graublauen Farbentöne ineinander, sich immer verwandelnd, wie Musik, wie Musik. Und vom Monte Pincio klang das Requiem von Verdi herüber und verschmolz mit der göttertraumhaften Schönheit dieser Landschaft.

Ich bin in Rom oft geneigt tiefes Graublau für die poetischste aller Farben zu halten.

Die Sonne ging unter. Ein dunkles Gewölk am Himmel verdichtete sich zu einer Form, die ein Berg schien: Der Berg Tabor. Ueber dem Wolkenberg ein Stück blauen Himmels, hoch oben wieder leichtes Gewölk. Und aus diesem Gewölk in der Höhe flossen weiße Strahlen, Lichtsäulen nieder, und die weißen transparenten Strahlen hüllten allmählich den Berg in heilige Schleier ein. Und wenn plötzlich aus den heiligen Schleiern der leuchtende Schatten Jesu Christi emporgeschwebt wäre, wir hätten es natürlich gefunden.

Ein vermummter, alter Mann, mit einem langen, weißen Schnurrbart trieb uns hinaus: der Wächter. Er führte zwei seltsame Hunde mit sich, zwei große überschlanke Windspiele mit kleinen klugen Köpfen. Sie hatten lange silbergraue Haare die wie Chinchilla aussahen: Dianas Jagdhunde.

Es war hier eben alles verzaubert, mystisch, unwahrscheinlich.

Ach Arnold, Arnold, und ich bin mitverzaubert. Sage mir, sage, wie soll man in Rom ohne Liebe sein!

 

Du bist hochherzig, ich weiß es. Ich weiß auch alles, was ich jetzt fühle, was ich thue, Du wirst es verzeihen, aber nur aus lauterer Herzensgüte, nicht weil Du es verzeihlich oder natürlich fändest.

Meine Hände rein erhalten? Und wenn sie leer bleiben? mein Herz rein erhalten? und wenn es leer bleibt?

Denkst Du nicht daran, daß Deine Marlene nachholen muß, nachholen, was sie versäumt hat? Ihre Vergangenheit: Traum, Schmerz, Schlaf. Nun will sie Wachsein, Kraft, Frohsinn, Zukunft.

Du denkst nicht so, Du denkst nicht so, ich weiß es. Du, ja, Du hast's gut gehabt. Harmonische Eltern haben Dich harmonisch geschaffen. Du liebst Deine Wissenschaft. Wo ist die Leidenschaft, die Du überwunden? Du bist zu normal für mich, zu unbeirrbar gut. Ich soll ja auch gut sein, aber ach, so beirrbar bin ich.

Ob es unrecht ist, was ich thue, ob ich in der Sünde wandle? Aber ich weiß es nicht, ich weiß es nicht. Wissen es denn die Anderen? Ich thue was ich muß.

 

Und that ich Unrecht – war mir nicht die Nemesis schon auf den Fersen?

Noch nicht. ein wunder- wunderschöner Tag wurde uns beschieden.

Wir hatten einen Ausflug an's Meer gemacht. An einem Dorf machten wir Halt. Adalbert kennt den Strand weit hinaus. Er ließ uns zu einem kleinen Ort hinrudern, der kaum je von Fremden besucht wird.

Könnte ich Dir den bestrickenden Reiz dieses Oertchen's schildern, das wie eine phantastische Meerlaune in den blauen Ocean hineingebaut ist.

Auch ein kleiner Palast hat da einmal gestanden. Auf einem zerbröckelnden Portal, aus einer zerbrochenen Urne wuchern wilde Rosen, gelbe Eidechsen wie Goldadern schlüpfen um Kelche und Steine. Eine einsame Pinie davor spiegelt sich im Meer.

Durch eine geborstene Thür sahen wir eine düstere Treppe emporsteigen; plötzlich setzte sie sich von einem leuchtenden blauen Himmel ab, als führe sie unmittelbar in den Aether hinein.

Phantastisch auch all die steinernen kleinen Baracken. Alte Weiber mit Spindeln sitzen in den Loggien, um die lichtgrüne Weinreben sich ranken.

Und verwilderte Gärten! Rosenalleen, Rosen ohne Zahl, und wo die Gärten zu Ende sind, beginnt das Meer, und der Purpurschein der Rosen und die blaue Glut verschwimmen in süßeste Farbenmelodieen.

Hoch oben auf dem Dach eines Gemäuers, lehnte sich ein wunderschönes, halberwachsenes Mädchen über die Brüstung und warf uns lachend Blumen auf die Köpfe. Unter ihr, in einem höhlenartigen Raum wälzten sich, wie Tigerkätzchen, nackte Kinder durcheinander.

Auch hier muß einst altrömische Pracht geherrscht haben. Wohin wir blickten: Gerümpel, aus dem Marmor glänzte. Steinhaufen mit zartem Moos überwuchert, blühende Kräuter, Säulenfragmente. Und all -überall das Meer.

Es lugt durch schimmliche Löcher, es bricht sich Bahn durch wilde Rosenhecken, es überschimmert verfallende Mauern, es blitzt silberne Flammen in gewölbte dunkle Bogen.

Eine kleine Dorf - Sphynx ist dieses Oertchen, Kobolde und Nixen umtänzeln sie im Rahmen der Meer-Unermeßlichkeit.

Als wir zurückgerudert kamen war es spät geworden. Der Mond schien hell.

Ehe wir unsern Wagen erreichten mußten wir eine Strecke zu Fuß gehen, über einen Hügelrücken, einen schmalen Weg entlang, den dichtes Gebüsch an beiden Seiten einfaßte. Hin und wieder eine Pinie oder Eiche. Hinter uns das Meer im Mondlicht. Und während wir dahinschritten schimmerten, schwebend und schwärmend Tausende und Abertausende von Lucciola (Glühwürmchen) um uns her, in lautloser Schönheit.

Oder waren es leuchtende Blumenseelen, die die leidenschaftlich zärtliche Luft zum Leben entküßt, oder Sterne, die von den sehnsüchtigen Melodien dieser Sommernacht aus ihren kalten Höhen herabgelockt, in's Tanzen geriethen? und meine Seele tanzte mit, meine leuchtende, schwärmende, schwebende, außer sich gerathende Seele.

Jedes Blatt am Baum, jeder Kiesel am Weg schien den Athem anzuhalten, um in Wonne zu schauern. Ich auch, ich auch.

Als wir in's Dorf zurückkamen, von dem wir ausgerudert waren, tummelte sich noch jung und alt auf der engen Gasse. Ein reizendes, junges Mädchen lief quer über den Weg, breitete die Arme aus, als wollte sie uns nicht durchlassen, und sang unter schelmischem Lachen: »Sul mare lucica, l'astro d'argento« ...

Und fort war sie wie der Wind. Und alt und jung drängte sich, als wir abfuhren, um den Wagen. Viele kannten Adalbert, und es war ein Händeschütteln, ein Grüßen, Scherzen und Lachen, eine naive, herzliche Zuthunlichkeit ohne Zudringlichkeit. Diese Leute waren wie trunken von Mondschein und Liebenswürdigkeit, von Grazie und schöner Menschlichkeit. Sie bettelten wohl auch ein wenig dazwischen, aber nicht sehr.

Nie habe ich eine solche Zärtlichkeit für das ganze Menschengeschlecht empfunden wie an diesem Abend, nie ein tieferes Gefühl der Zusammengehörigkeit Aller.

Und nun ging es eine lange Strecke immer am Meer entlang. Der Wind hatte sich erhoben und es begann zu rauschen. Irgendwo tauchte eine Insel auf. Lang hingestreckt ruhte sie wie ein Riesensarkophag auf dem Wasser. Sie war bewohnt. Wir sahen Lichter am Ufer. Ihre langen, tief sich niedersenkenden Reflexe im Wasser schienen goldene Kandelaber, auf denen stille Flammen zu einer düster geisterhaften Feier brannten. Das Rauschen des Meeres – Orgelklänge.

Ich weiß nicht welche Gedankenverbindung es war, ich mußte an die Waldeinsamkeit des Tiek'schen Märchens denken, und an die Vergißmeinnicht, die ich am Schafgraben pflückte, und an die goldenen Eier des Vogels Wunderhold und – merkwürdig – ich besann mich gerade wie die Bertha im »Egbert« auf den Namen des Hündchens, und gerade wie Bertha konnte ich nicht darauf kommen.

Aber diese Meereseinsamkeit war tiefer, feierlicher als die Waldeinsamkeit mit ihren heimlichen, unheimlichen Schauern.

Mein Kopf ruhte an seiner Schulter, seine Hand an meiner Wange, grenzenloses Glück überflutete mich und wie stille Flammen aus goldenem Candelaber stiegen lautlos, wortlos Hymnen aus meinem Herzen in den Mondzauber der Nachteinsamkeit empor.

Ich fühlte, dieser Abend war ein Höhepunkt. Nie würde eine solche Stunde wiederkehren, nie mehr ein solcher Vollmond mir scheinen, nie würde mein ganzes Wesen in so taumelnder Seligkeit von den Jubelchören der Schönheit und Liebe emporgehoben, das Leben in so vollen Zügen in sich trinken. Und allmählich streckte sich ein Schatten von Schwermuth aus der Meertiefe, und umfing mich sacht.

Und plötzlich fiel mir auf die Seele was mir bis dahin nicht zum Bewußtsein gekommen war: Adalbert war in diesen sonnen- und mondtrunkenen Stunden, an diesem Tag Aphrodite's mit mir nicht eins in der Empfindung gewesen. Nur rythmisch bewegt war er gewesen und gerührt, eine Rührung voll edlen Maßes. Er hatte im Laufe des Tages viel Wein getrunken, und war müde geworden.

»Adalbert«, sagte ich leise, und blickte zu ihm auf.

Er war eingeschlafen. Er schlief, während das Meer Wunder rauschte, er schlief, während der Mond wie eine große, sehnsüchtige Thräne am Himmel hing, und silberne Tropfen über das dunkle Meer hinträufelte. Er schlief, während alle meine Sinne wach waren, glühend wach.

Ich sah ihn an. Der Mond schien ihm hell in's Gesicht.

Ich erschrak. War er das? Adalbert? Nichts besonders, nur er sah gewöhnlich aus, so sehr gewöhnlich; das dünne Haar klebte leicht an den Schläfen fest. Seine Züge waren nicht fein, eher grob. Er war schlafend so ganz entgeistigt.

Wir ließen das Meer jetzt hinter uns. Gewölk zog über den Mond. Ich sah seine Züge nicht mehr. Ich war allein.

Ich verlor mich in Sinnen. Ich sann über ihn und mich. Und ich sagte mir: wenn Du älter geworden, und nicht mehr schön bist, so wird er Dich nicht mehr lieben. Und wenn er älter geworden ist? wird er nicht das bischen schöne Heidenthum, das er in Rom er worben, wieder abthun? und – wer weiß – vielleicht bin ich dann auch nur in seiner Erinnerung ein heidnischer Einfall gewesen, ein Bild aus einem Dyonisusfest.

Er trinkt viel und gern die italienischen Weine, besonders den goldklaren Chianti. Er trinkt ohne Durst, mit einem ästhetischen Genuß. Aus einem schön geschliffenen Kelchglas trinkt er, daß ich ihm geschenkt habe. Aber der Wein erhöht seine Lebensgeister nicht.

So meine ich, fehlt es ihm auch in der Liebe an ächtem, unbezwinglichem Durst. Er trinkt seine Empfindungen – auch gewissermaßen aus crystallener Schale – mit sanftem ästhetischem Genießen.

Wie jenem König Midas sich alles in Gold verwandelte, so sind alle seine Lebensbethätigungen von Kunst durchschimmert, darum fehlt es ihnen an Ursprünglichkeit, an Mark.

Darum nahm auch die Liebe nicht seine ganze Seele hin. Er umrankt all seine Empfindungen mit feinem, künstlerischen Blüten. Er ist immer Thau und Duft, sanftes Schimmern, vornehmes Graublau, Oel in hochgehende Gefühlswogen.

Und ich sehnte mich zuweilen nach Naturlauten. Ich hätte ihn gern einmal lichterloh gesehen, geistig und seelisch tanzend, taumelnd außer sich gerathen.

Er hatte einmal von sich selbst gesagt: »Non son nato per l'amore.« Er sagt oft auf italienisch, was eine zarte Scheu ihn hindert deutsch zu sagen.

Ich sann darüber, was er damit meinte. Ich fand es. Mehr als einmal hatte er ausgesprochen, wie innig er sich ein Kind wünsche, einen Knaben. Er wünschte aber eigentlich das Kind nicht, um es aus tiefstem Gemüth heraus zu lieben, sondern um es zu bilden, zu erziehen, ein Kunstwerk aus ihm zu schaffen.

Er gehört zu den Männern, die im Weibe zumeist die Mutter ihrer Kinder lieben. Darum meinte er, daß er nicht für die Liebe geboren sei.

Er trägt es mir in seinem Herzen nach, daß ich ihm kein Kind schenke. Er hatte es gewissermaßen für meine Pflicht und sein Recht gehalten. Dann erst hätte er mich ganz und für immer geliebt.

Nicht eigentlich ein schöner Zug an ihm? ein Zug sympathischster, reinster, ihm angeborener Ethik?

Ich liebte ihn. Ich hätte ihm gern das Kind geschenkt.

Der Mond trat wieder hell hervor und ich sah ihn wieder schlafen. Ich rüttelte seinen Arm: »wach auf! wach auf!«

Und siehst Du, Arnold, oft seitdem, wenn ich an seinem Arm hing, sah ich ihn plötzlich schlafend mit offenem Mund und geschlossenen Augen, und die Vorstellung erkältete mich. Merkte ich, daß er müde war, so litt ich nicht mehr, daß er zu mir heraufkam.

Ich war auf der Höhe gewesen. Es ging bergab.

 

Ein Unglückstag kam.

Wir waren zur Porta Giovanni hinausgewandert, hin zu den römischen Gräbern.

Mitten auf dem Wege blieb er plötzlich stehen. Er habe etwas auf dem Herzen gegen mich. Man habe ihm hinterbracht, daß ich – u.s.w. u.s.w.

Daß Du's nur weißt Arnold, ich bin einem braven, trefflichen Gatten mit einem Unwürdigen (das bist Du) davongelaufen; ich habe mein Kind im Stich gelassen, und nun hat die Nemesis mich ereilt, indem der Unwürdige wiederum mich arme Ariadne im Stich gelassen hat.

O Arnold, widrig! widrig!

Tief erregt sagte ich ihm wie alles sich verhielt. Ein reindenkender Mensch konnte nicht einen Augenblick an der Wahrheit meiner Worte zweifeln.

Er hörte mir ruhig zu, und sagte nichts. Sein Schweigen verletzte mich. Wir gingen eine Strecke weiter, über das uralte römische Pflaster hin, bis der Weg zu Ende ist. Er erklärte mir die Construktion der alten Wasserleitung, die vor uns lag. Ich hörte nicht zu. Wir traten in den von Mauern umschlossenen Raum, in dem sich die kargen Reste einer Basilika aus dem 5. Jahrhundert befinden. Wir setzten uns auf eine gebrochene Säule. Die Campagna vor uns.

Ich vergaß einen Augenblick mich und Adalbert, so ergriffen war ich von dem Pathos und der Größe dieser Landschaft. Ueber die röthliche, altrömische Mauer, die daraus emporragt, fällt ein wahrer Catarakt von Epheu.

Die Campagna ist schattenlos. Keine Bäume, in denen Vögel zwitschern, durch deren Wipfel der Sturm rast; nicht Bäche rieseln durch diese bräunlichen Wiesen, nicht Elfen tanzen darüber im Mondschein. Tiefe, stumme Einsamkeit ist ihr Charakter. Ein Riesenrequiem der Natur, weil die Götter alle todt sind.

Die deutsche Landschaft ladet uns ein: Ruhe, träume, wandere!

Die Campagna spricht: Steh und schaue!

Ihre Stummheit aber löst sich, das Requiem verhallt, wenn die Sonne untergeht und die Beleuchtung Wunder an ihr wirkt. Sie ist ihre Lieblichkeit, ihre Leidenschaft, ihr Tiefsinn, ihre Begeisterung.

Und an dem Tage war ihr Untergehen wie ein Hinströmen, ein Ausströmen überirdischer Wonnen.

War das nur roth, blau, grün, gelb? nur Farbe? nicht ein Klingen und Singen des Aethers? Vielleicht die Fata Morgana eines jenseitigen Paradieses, wo übersinnliche Blumen blühen: Feuerlilien, die aus lichten Wiesen von zartestem Smaragd emportauchen, Sträuße von leuchtenden Riesenveilchen, Schneebälle in milchweißem Glanz und – Rosen! Rosen! Rosen zart wie ein Hauch, Rosen, roth wie Blut und wie Gluth, von Erzengeln purpurngeküßte Rosen.

Und die Reflexe der Rosen und Feuerlilien flossen über die bräunlichen Lande und verklärten sie, und in der brünstigen Umarmung mit dem Himmelsfeuer empfing die Campagna ihre Seele.

Wahnsinnig schön war's. Meine Augen suchten Adalbert's Blicke.

Hätte er mich jetzt an seine Brust gezogen, die Seelen, trunken von dieser höchsten Schönheit, wir wären für alle Ewigkeit eins geworden.

Seine Züge waren weich geworden, seine Augen feucht. Zärtliches Lächeln umspielte seine Lippen.

Er neigte sich zu meinem Ohr und flüsterte: »Marlene, sei wahr, sage, daß er Dein Geliebter war. Ich liebe Dich doch.«

Ich schüttelte mich unwillkürlich. Ein Schauder lief mir durch die Glieder.

Er glaubte, daß ich gelogen.

Es lag wohl Verächtliches in meinem Ton, als ich ihm antwortete:

»Meinetwegen, wenn Du es durchaus glauben willst.«

Er erhob sich schnell, wendete sich von mir. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen. Auf dem Heimweg ging er einige Schritte vor mir her, oder blieb hinter mir zurück. Er bot mir seinen Arm nicht.

Ich erhielt mich kaum aufrecht. In meiner Straße gab er mir zum Abschied die Hand. Eine Kälte ging von dieser Hand aus. Er entfernte sich rasch. Ich stieg die Treppen herauf. Ich klingelte. Eine fremde Person öffnete. Ein fremder Corridor lag vor mir. Ich war in ein falsches Haus gegangen. Ich kehrte um.

In meinem Zimmer setzte ich mich vor den kalten Kamin, und versuchte nachzudenken.

Nein, es konnte nicht sein; er konnte mich nicht für eine Lügnerin halten. Und jetzt litt er wohl Gewissensnoth. Er wollte sich nur erst sammeln. Er würde wiederkommen. In wenigen Minuten würde er da sein. Ich spähte zum Fenster hinaus – nichts. So war er nach Hause gegangen, und erst später, zu seiner gewöhnlichen Stunde zwischen 7–8 Uhr würde er kommen.

Nein, es war nichts geschehen. Eine Eifersuchtsscene, wie sie wohl im Leben jedes Mannes unausbleiblich ist, und die endet ja immer mit einer Versöhnung.

Ich richtete mein Zimmer schön her. Das grüne Licht, das rothe Licht, die römische Lampe, alles brannte, und mein Herz auch. Ich zog mein langes blaßrosa Cachemirkleid an.

Ich lernte die Qual des Wartens kennen. Seine Zeit war vorüber. Das Klopfen meines Herzens machte mir Pein.