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Impressum

Inhalt

Nesthäkchen Sidi

Fußball

Mama – meine Heldin

Einstiegsdroge Moped

Männerfreundschaft

Mein erstes Auto

Mein Golf soll schöner werden, Teil 1

Mein Golf soll schöner werden, Teil 2

Zeit, um uffe Kacke zu haun

Raus aus der Schule – was jetzt?

Verkackt

Geschäftsmodelle

Anfängerfehler, Teil 1

Anfängerfehler, Teil 2

Felgen aus Holland

Five Star Performance

Die Polizei: mein Freund und Helfer, Teil 1

Die Polizei: mein Freund und Helfer, Teil 2

Die Polizei: mein Freund und Helfer, Teil 3

Erst kein Glück und dann Pech, Teil 1

Erst kein Glück und dann Pech, Teil 2

Kundenkategorie: »Geld spielt keine Rolle«

Kundenkategorie: »Alles kein Problem«

Kundenkategorie: »Kenner«

Todesangst

Als das Fernsehen anrief

Profi mit Stulle

So ist Fernsehen nun mal

Wie ein bunter Hund

Fehlersuche

Sidney Industries

Mein liebster Schatz, Teil 1

Mein liebster Schatz, Teil 2

… und jetzt

Nesthäkchen Sidi

Im September 1979 wurde ich als jüngstes von insgesamt drei Kindern in Dortmund geboren. Meine Schwester Karin, die mittlerweile meine rechte Hand in der Firma ist, war bereits acht und Angelika fünf. Mit zwei älteren Schwestern konnte ich nicht etwa mit Modellautos spielen oder mit Baggern im Sandkasten schaufeln, nein – ich musste helfen, Barbie anzuziehen und ihr die Haare zu kämmen. Wenn ihr jetzt denkt »Der arme Kerl …«, kann ich nur sagen: Barbie spielen ging noch.

Wirklich erniedrigend war, dass meine Schwestern mich als Schminkkopf missbraucht haben. So lief der kleine Sidney schon mal mit Wimperntusche, Mascara und Rouge auf Dortmunds Straßen herum. Zum Glück war mein Vater da ganz auf meiner Seite und half mir, meine Karriere als Schmink-Versuchsobjekt zu beenden. Karin und Angelika fanden das nicht toll, hatten aber schon eine neue Idee: Sie überredeten mich, stattdessen sie zu schminken. Dieses Kindheitstrauma verfolgt mich bis heute. Ich muss zwar niemanden mehr anmalen – aber Frauen nehmen mich irgendwie besonders gerne mit zum Shoppen. Ich könnte fast der Guido Maria Kretschmer Dortmunds sein.

Mein Vater hat mich nicht nur vor dieser unfreiwilligen Modelkarriere bewahrt, sondern auch schon sehr früh die Begeisterung für Autos in mir geweckt. Er nahm mich so manches Mal in seinem Opel Senator mit auf einen Parkplatz, wo er mich auf seinen Schoß nahm und ich lenken durfte, was mir unfassbaren Spaß bereitet hat. Generell hatte ich ein sehr gutes und enges Verhältnis zu meinem Vater. Ich glaube, er war sehr froh, dass sein drittes Kind ein Junge war. Drei Frauen unter einem Dach sind – ich spreche aus eigener Erfahrung – manchmal schon echt anstrengend! Wenn man sich jetzt vier Frauen unter einem Dach vorstellt …

Meine Eltern betrieben eine kleine Wirtschaft in Dortmund. Mein Vater war Chef der Küche, meine Mutter bediente. So haben sie sich auch kennengelernt – bloß am anderen Ende der Welt: Mein Vater war Weltenbummler und kochte Ende der Sechziger in Südafrika im Dienste der Armee. Meine Mutter war Küchenhilfe. Die beiden verliebten sich ineinander, mussten ihre Liebe zueinander jedoch verstecken. Denn meine Mutter ist »coloured«. So nennt man die Nachkommen der ersten holländischen Siedler und der Ureinwohner am Kap, den Khoikhoi. In Zeiten der Apartheid, der Rassentrennung, die noch bis 1994 in Südafrika praktiziert wurde, waren gemischtrassige Beziehungen ein schwerwiegendes Vergehen, auf das viele Jahre Gefängnis stand. Eine Beziehung zwischen einem weißen Deutschen und einer »coloured«? Unvorstellbar.

Lange geheim halten konnten meine Eltern ihre Beziehung allerdings nicht. Meine Mutter wurde eines Tages gewarnt, dass ihr Arbeitgeber wohl bereits auf einen Verdacht hin mit den Behörden gesprochen hatte – was meine Eltern in eine hochgefährliche Situation brachte.

So fassten sie den Entschluss, möglichst schnell das Land zu verlassen und nach Deutschland zu gehen. Eines Abends holte mein Vater meine Mutter per Mietwagen an einem verabredeten Treffpunkt ab. Beide hatten nur das Allernötigste dabei, was sich wenig später auch auszahlte: Mein Vater muss sehr nervös gewesen sein, denn wenige Kilometer vor dem Flughafen geriet der Wagen aus ungeklärten Gründen ins Schleudern, kam von der Straße ab und krachte gegen einen Baum. Totalschaden.

Meine Eltern nahmen ihr Hab und Gut aus dem Wrack und beeilten sich, zu verschwinden. Den ganzen Rest des Weges zum Flughafen legten sie laufend zurück.

Mein Vater setzte danach nie wieder einen Fuß in dieses Land. Während meine Geschwister und ich jedes Jahr im Sommer für drei Monate in Südafrika waren, blieb mein Vater daheim – offiziell hatte er Angst, noch nachträglich wegen des zerstörten Mietwagens zur Verantwortung gezogen zu werden. Ob das tatsächlich stimmte, weiß ich nicht.

So kam meine Mutter mit Anfang zwanzig, ohne ein Wort Deutsch sprechen zu können, in den Ruhrpott. Sie sprach ein wenig Englisch, aber ihre Muttersprache war Afrikaans. Mein Vater konnte das Nötigste auf Afrikaans und half ihr, sich so gut wie möglich zurechtzufinden. Für meine Mutter musste die Situation furchtbar gewesen sein. Sie verließ in einer Nacht-und-Nebel-Aktion ihre Heimat, ihre Freunde und ihre Familie, ohne sich verabschieden zu können. Niemand durfte von der Flucht wissen, damit keiner versehentlich etwas hatte ausplaudern oder nachträglich ins Visier der Behörden hatte geraten können.

Abgesehen von den bunten Malträtierungen durch meine älteren Schwestern hatte ich eine tolle frühe Kindheit. Mein Vater war eine sehr entspannte Person. Meine Mutter führte dagegen ein strenges Regiment, voll von südafrikanischem Temperament. Ich hatte es als Nesthäkchen noch recht entspannt, aber Karin musste so manche Gefechte austragen, die mir dann durch ihre Pionierarbeit später erspart blieben.

Im Kinderzimmer herrschte dagegen rechtsfreie Zone. Meine Schwestern bestimmten alles. Wenn Angelika zum Beispiel schlafen wollte, hieß das für mich, dass ich mich keinen Millimeter mehr bewegen durfte, sonst gab es Ärger. Das war natürlich völliger Quatsch – sie raschelte mit ihrer Bettdecke viel lauter als ich, wenn sie sich umdrehte! Aber wehe, von mir hörte man nur einen Pieps. Das Skurrile war: Wenn Angelika mich zur Sau machte, weil ich angeblich zu laut war, kamen mein Vater oder meine Mutter ins Zimmer und schimpften mit Karin, dass jetzt endlich mal Ruhe herrschen sollte.

»Warum krieg eigentlich immer ich Ärger? Das ist so unfair, ihr macht hier rum und ich krieg’s dann ab!«, keifte Karin dann.

Angelika war mucksmäuschenstill.

»Vielleicht liegt es am Bett.« Ich war mir sicher, dass ich des Rätsels Lösung gefunden hatte.

»Was meinst du damit, es liegt am Bett?«

»Wenn man reinkommt ist dein Bett das erste, das man sieht. Es steht ja direkt neben der Türe. Gelis ist am Fenster und meines quasi hinter der Türe. Wahrscheinlich kriegst du deswegen immer Ärger.«

»Na toll, dann tauschen wir jetzt mal die Betten.«

Gesagt, getan, ich tauschte mit Karin die Betten.

Dann unterhielten wir uns wieder etwas lauter, um zu schauen, was wohl passieren würde. Es schien zu funktionieren, ich hörte die Schritte meines Vaters im Gang. Schnell verkroch ich mich unter der Bettdecke und stellte mich schlafend. Die Türe ging auf.

»Jetzt ist endgültig Schluss hier drin! Karin, wenn ich noch einen Ton höre, gibt es noch richtig Ärger!«

Vorsichtig lugte ich unter der Decke hervor: Mein Vater stand mit dem Rücken zu mir und schwang seinen Zeigefinger vor Karins hochrotem Kopf. Dann drehte er sich um und ich versteckte mich schnell wieder unter der Decke. Energisch flog die Tür ins Schloss.

»Na toll«, flüsterte Karin. »Super Theorie, Sid. Ich krieg’s ab, egal in welchem Bett ich liege.«

»Tut mir leid«, antwortete ich kleinlaut.

Mein Vater war derjenige, der meine Leidenschaft für Lego weckte. Eines Abends brachte er mir ein Lego-Auto mit und baute es mit mir gemeinsam zusammen. Das war der Startschuss für eine … man könnte es fast als Sucht bezeichnen. Ich konnte gar nicht genug Lego haben und wünschte mir so gut wie nie etwas anderes. Blöd war anfangs nur, dass ich die Sachen als Vierjähriger noch gar nicht wirklich zusammenbauen konnte, was mich, den Erzählungen meiner Mutter zufolge, unglaublich wütend gemacht hat. Mein Vater kam mir immer zu Hilfe, um meinen Schreikrampf zu beenden.

Als ich es dann selber konnte, baute ich zuerst ganz penibel nach Bauplan. Jedes Teil saß exakt dort, wo es hingehörte. Aber das wurde mir irgendwann zu langweilig.

Damals gab es von Lego so eine Art Mondfahrzeug. Das nutzte ich als Basis, um einen Armeetransporter zu bauen. Aber obwohl mich niemand dazu zwang, die Legos umzubauen, hatte ich dabei ein ganz komisches Gefühl. Es fühlte sich falsch an, Bauteile zu vermischen und aus zwei Fahrzeugen eines zu machen. Das geht mir tatsächlich bis heute so. Es mag vielleicht schizophren klingen, aber in mir drin verspüre ich immer sowohl den Drang, alles, was zusammengehört, auch zusammenzulassen, als auch den Wunsch, mich an Eigenkreationen zu versuchen. Das machte mir nämlich wahnsinnig viel Spaß und sie sahen – zumindest empfand ich das immer so – sehr, sehr cool aus.

Für mich fühlt es sich an, als hätte mein Vater damals den Grundstein meiner Tuningleidenschaft gelegt: diesen Willen, vom normalen Bauplan abzuweichen und ganz in meinem Sinne zu optimieren. Ich baue übrigens bis heute Autos, Sternzerstörer und Häuser aus Lego. Mittlerweile aber streng nach Bauplan – getunt werden bei mir nur noch Autos.

Das erste Fahrzeug, das ich getunt habe, war mein rotes, gelbbereiftes BMX–Rad. Am Anfang stand eine Wette: Zwei Kumpels und ich wollten wissen, wer die gerade Straße, die vor kurzem um eine Kurve erweitert worden war, schneller mit geschlossenen Augen fahren konnte. Um für dieses enorm wichtige Rennen adäquat gewappnet zu sein, stapfte ich in den Keller, nahm Vaters Werkzeug und machte mich an meinem BMX zu schaffen. Als erstes »säuberte« ich mit einem Lappen die Kette. Dann nahm ich Reifen und Kettenblatt ab. Das dauerte einige Stunden, schließlich hatte ich keinerlei Erfahrung mit Werkzeug und musste also alles erst ausprobieren. Als nächstes war die Hinterradbremse dran. Ich hatte bei älteren Jungs beobachtet, dass es cool war, anstelle mit der Bremse mit dem Fuß zu bremsen, dementsprechend konnte ich hier Gewicht sparen. Als ich nichts mehr hatte, was ich abbauen konnte, wollte ich die Teile, die ich doch benötigte – wie zum Beispiel das Kettenblatt und die Reifen –, wieder einbauen. Doof war nur, dass mir das nicht gelang. Beim Versuch, das Kettenblatt anzuschrauben, verkantete sich die Schraube. Ich hatte keine Chance, das blöde Ding bewegte sich keinen Zentimeter mehr. Ich war stinksauer. Ich hasste es, wenn etwas nicht funktionierte. Auch diese Eigenschaft habe ich bis heute beibehalten: Wenn Technik nicht so funktioniert, wie sie soll, könnte ich durchdrehen.

Zum Glück gab es noch meinen Vater. Zu dem rannte ich in meiner Wut und beschwerte mich darüber, dass das alles nicht funktionierte. Eigenartig war, dass mein Vater kein bisschen sauer war, sondern einfach ganz in Ruhe mit mir in den Keller ging. Als er das völlig zerlegte Fahrrad sah, krempelte er die Hemdsärmel hoch und begann damit, das BMX-Rad Schritt für Schritt wieder zusammenzusetzen. Dabei erklärte er mir in aller Seelenruhe, was wie funktionierte. Dank meines Vaters stand dem großen Rennen am nächsten Morgen also nichts mehr im Wege.

Ich ging also mit meinem getunten Fahrrad an den Start – ich hatte meinen Vater sogar davon überzeugen können, auf die Klingel zu verzichten, wobei ich ihm dabei natürlich nichts von unserer großartigen Rallye erzählt hatte.

Wir drei Kontrahenten standen in einer Reihe und vier weitere Kinder hatten sich am Straßenrand aufgestellt, die diesen »Wettkampf unter Männern« fair beurteilen sollten. Ich prägte mir den Straßenverlauf genau ein, besonders die Stelle, an der die Gerade in die Kurve überging, sowie den Winkel der Kurve. Ich wollte nichts dem Zufall überlassen und war mir sicher, dass ich dieses Rennen nicht nur gewinnen, sondern dominieren würde! Schließlich hatte ich ja mein BMX-Rad extra entsprechend vorbereitet. Ich schloss meine Augen, sah die Strecke vor meinem inneren Auge …

»Auf die Plätze, fertig, los!«

Ich trat in die Pedale, was das Zeug hielt. Ich merkte sofort, dass ich deutlich schneller war als vor meinem Tuning, zumindest in meiner Fantasie. Meine Widersacher waren dicht hinter mir, das konnte ich hören, aber sie waren hinter mir und das war alles, was zählte. Dann begann in meiner Vorstellung die Kurve, ich warf mein Fahrrad nach links und alles, was ich hatte, in die Pedale.

»Achtung!«

Ich hörte den Aufschrei, aber es war schon zu spät. Offenbar war meine ausgefuchste Winkelberechnung nicht zu einhundert Prozent akkurat gewesen. Na ja, was soll ich sagen, war wohl nix! Kurve voll verpasst und à la Highsider vom Rad gestiegen. Dooferweise bin ich mit meinem Wadenbein auf einem recht spitzen Stein gelandet – der dieses knapp am Knochen vorbei durchbohrte. Die Schmerzen waren unglaublich. Aber trotz des Unfalls war ich der festen Überzeugung, dass mich meine Maßnahmen am Fahrrad eindeutig schneller gemacht hatten.

Dieses Rennen ist meine erste Erinnerung daran, die Fahrleistung optimieren zu wollen. Aus heutiger Sicht waren meine Aktionen sicherlich kontraproduktiv, aber der Grundstein für meine Leidenschaft zum Tuning war gelegt!

Fußball

Als ich vier Jahre alt war, wollte ich Fußballstar werden! Okay, eigentlich wie jeder kleiner Junge. Meinen Vater freute das natürlich. Er verpasste schon damals kein Spiel des BVBs – wahre Liebe eben. Er brachte mich zum ersten Training beim POST SV Dortmund und ich erinnere mich daran, auch wenn es jetzt wirklich schwer zuzugeben ist, bitterlich geweint zu haben, als er in der Zwischenzeit kurz etwas einkaufen gehen wollte. Ich bestand wohl darauf, dass er mir von Anfang bis Ende zuschaute – was er dann auch gemacht hat.

Durch den Fußball kam ich auch zum ersten Mal in den Genuss eines fetten V8-Sounds: Beim POST SV spielten relativ viele »Tommys«. Die Älteren von Euch erinnern sich: Tommys nannte man die britischen Truppen, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland stationiert waren. In Dortmund gab es bis 1995 diverse britische Baracken. Und die Kinder der Soldaten spielten so wie die Soldaten selbst auch gern Fußball.

So kam es, dass vor und nach dem Training zahlreiche Landrover und Rover vor dem Trainingsgelände vorfuhren. Für mich waren die Engländer die coolsten Typen, das krasse Gegenteil zum normalen Ruhrpott-Schick: gestylte Haare, Tattoos und coole Karren. Ein Wagen war mein absoluter Liebling: Rover SD1. Heute vermutet man dahinter eventuell einen entfernten Verwandten eines Citroën DS, aber damals war es ein flacher Sportwagen mit unfassbarem Sound: Der V8 erzeugte ein fettes Donnergrollen, das man bis in die Knochen spürte. Ich war hin und weg und flehte meinen Vater an, er solle uns auch so ein Auto kaufen.

»Nö«, war seine trockene Antwort.

Viele Jahre später erfüllte ich mir dann selbst den Kindheitstraum, einen Rover zu besitzen. Das endete allerdings in einer Katastrophe. Rover ging kurz nach meinem Kauf pleite, die Ersatzteile verschwanden und keiner wollte mehr Rover fahren. Die Karre hat mich eine Menge Toto gekostet.

Wir waren beim POST SV eine ganz gute Truppe. Etwas überraschend: auch maßgeblich wegen und nicht trotz der Inselkicker. Viele meiner Mannschaftskameraden wurden im Laufe der Jahre gesichtet und wechselten zur Jugend des BVBs. Es war auch mein großes Ziel, Fußballprofi zu werden und das schwarz-gelbe Trikot überzuziehen. Allerdings nahm ich es mit dem Trainieren nicht allzu ernst. Im normalen Training habe ich immer Vollgas gegeben, aber abseits davon habe ich lieber andere Dinge getan. Ein gewisses Talent war sicher da, doch am unbändigen Ehrgeiz haperte es etwas. Dennoch, als ich circa vierzehn war, wechselte ich zum DJK TUS Körne, wurde Kapitän und habe sogar auf meiner Traumposition im zentralen Mittelfeld mit der Nr. 10 gespielt. Das war sozusagen meine erste Führungsposition und ich hatte sehr großen Spaß daran. Ich war der verlängerte Arm meines Trainers und kommandierte auch gerne meine Mannschaftskollegen herum. Wenn die viel liefen, musste ich schließlich nicht mehr allzu viel rennen.

Eines Tages bot sich eine riesige Gelegenheit: Es wurde ein Testspiel gegen Borussia Dortmund ausgemacht. Das war die Chance, allen zu zeigen, was man draufhat. Die Chance, um den Sprung zum BVB zu schaffen. Alles, was man dafür brauchte, war ein richtig gutes Spiel … Jedenfalls war das damals meine Auffassung. In der Woche zuvor legte ich tatsächlich auch mal außerhalb des Trainings eine Übungseinheit ein, da ich dachte, dass eine intensivere Woche Training schon ausreichen würde.

Einer meiner Kumpels, die ich aus der Geßlerstraße kannte, spielte beim BVB. Henry, »die schwarze Perle aus Dortmund«, war ein extrem schneller Mittelfeldspieler. Da ich ebenfalls Mittelfeld spielte, wusste ich, dass ich einige Sprints trainieren sollte, um eine Chance zu haben – was ich auch tatsächlich tat.

Dann kam der große Tag. Testspiel gegen meinen Lieblingsverein Borussia Dortmund – den Verein, mit dem auch mein Vater jedes Wochenende mitfieberte. Ich, Sidney Hoffmann, würde jetzt als Kapitän eine Glanzleistung vollbringen, die »schwarze Perle« kaltstellen und eine Karriere als Profifußballer beginnen, die im Amt des Kapitäns der Nationalmannschaft und im Weltmeistertitel gipfeln würde.

Alle meine Teamkameraden freuten sich unendlich auf das Spiel und waren hoch motiviert, den Verantwortlichen zu zeigen, dass sie beim BVB spielen müssten.

Voller Euphorie marschierten wir auf den Platz. Henry und ich begrüßten uns. Für mich gab es seit Bekanntgabe des Spiels natürlich kein anderes Thema mehr, als dass wir gegeneinander spielen würden. In den ersten drei Minuten ließen es die Schwarzgelben ruhig angehen. Ich hatte Henry immer nah an meiner Seite. Dann kam der Ball zu ihm. Ich war sofort dran, stellte mich ihm in den Weg. Doch Henry legte völlig humorlos den Ball an mir vorbei und rannte los. Ich sofort hinterher, allerdings völlig chancenlos. Er war mir bereits auf den ersten Metern so was von überlegen, dass ich nur noch alibihaft hinterherrennen konnte. Zum Glück konnte ihn mein Abwehrkollege abfangen. Mir wurde schlagartig klar, dass ich gegen Henry nicht den Hauch einer Chance hatte. Meine glorreiche Karriere beim BVB schwebte in höchster Gefahr. Ich brauchte eine Lösung – und zwar schnell! Als der Ball in der anderen Platzhälfte unterwegs war, suchte ich den Kontakt zu Henry.

»Ey! Ey, Henry!«

»Alter, da hab ich dich ganz schön stehen lassen.«

»Ja, Mann, das ist nicht gut. Hör auf damit!«

»Wie?«

»Du lässt mich total scheiße aussehen. Lass das mal. Wäre doch abgefahren, wenn wir zusammenspielen würden. Aber wenn du mich hier jedes Mal stehen lässt, hab ich keine Chance.«

»Ja, okay, verstehe.«

»Also – das nächste Mal passt du den Ball entweder wieder zurück oder machst irgendwas anderes, aber renn mir nicht davon!«

»Okay, mach ich.«

Puh, was ein Glück, auf Henry ist Verlass, dachte ich.

Und tatsächlich: Für den Rest des Spiels ließ er mich nicht ein einziges Mal mehr schlecht aussehen. Gut, das Spiel verloren wir trotzdem mit vier zu null, aber immerhin hatte ich »die schwarze Perle« die ganze Zeit im Griff gehabt. Nach Abpfiff beglückwünschte mich der Trainer des BVBs. »Gutes Spiel!« Ich war mir sicher, dass ich es geschafft hatte.

In den kommenden Wochen wich ich dem Telefon nicht von der Seite. Immer, wenn es klingelte, ging ich sofort ran.

»Sidney Hoffmann!«, schrie ich voller Vorfreude in den Hörer – Angelika und meine Mutter waren schon völlig entnervt. Leider waren die Anrufer nie vom BVB. Ich war enttäuscht, aber nicht am Boden zerstört. Immerhin wurde der TSC Eintracht auf mich aufmerksam und lud mich zum Probetraining ein. Das endete allerdings in einem Desaster, bevor es überhaupt anfangen konnte. Mein damaliger Stiefvater fuhr mich in einem Minivan mit Schiebetüren zum Probetraining. Als ich ausstieg, klemmte er mir versehentlich drei Finger in der Türe ein. Die Details der Verletzung spare ich mir an dieser Stelle. Die Auswirkungen waren, dass ich das Probetraining vergessen konnte und auch noch mehrere Wochen lang auf das Fußballtraining verzichten musste.

Total wütend hatte ich danach keinen Bock mehr, Fußball zu spielen. Das war es für mich mit meiner aktiven Karriere. Aber klar: einmal Borusse, immer Borusse. Fan vom BVB werde ich immer bleiben, auch wenn der Anruf damals ausblieb. Leider finde ich kaum noch die Zeit, um ins Stadion zu gehen. Aber der tiefe Schmerz bei einer Niederlage gegen die Lederhosen oder die Freude über den Pokalsieg gegen Frankfurt 2016 fließt nach wie vor durch jede Zelle meines Körpers!

Mein auf den Fußball folgendes, neues Hobby könnte man fast schon als Pionierarbeit bezeichnen und war der damaligen Zeit weit voraus: American Football. Ich wurde Wide Receiver bei den Dortmund Giants.