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Danksagung

Mein Dank geht an Hebammen aus Freiburg/Breisgau für ihre Mitarbeit als Fotomodell und die Erlaubnis die Bilder publizieren zu dürfen. Besonders danke ich meiner Tochter Inka Sara für das Fotografieren unter Anwendung des pädagogischen Verfahrens des Lauten Denkens.

Kirstin Astrid Hähnlein

Manualdiagnostik Assessment Fruchtwasser

Untersuchungstechniken und Arbeitshilfen

©2018 Hähnlein, Kirstin Astrid

Umschlaggestaltung, Illustration: Hähnlein, Kirstin Astrid

Impressum

978-3-7469-4380-0 (Paperback)

978-3-7469-4522-4 (Hardcover)

978-3-7469-4523-1 (e-Book)

Das Werk, einschließlich alle seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung der Autorin unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhaltsverzeichnis

1. Manualdiagnostik

1.1 Berufspflicht mit Erfahrungswissen erfüllen

1.2 Manualdiagnostische Konzepte definieren

1.3 Leistung Manualdiagnostik definieren

1.3.1 Leistung – Modell von Prozeduren zum Tast-Vorgang

1.3.2 Leistung – kleinste Teilhandlung Kraft wirkt auf Fläche

1.3.3 Leistung – größte Teilhandlung geburtshilfliche Analyse

1.4 Berufskompetenz

1.5 Verhalten modifizieren

1.6 TaKE©-Studie empirische Testung Fruchtwasser

2. Entwicklung managen

2.1 Lehr- und Lerntechniken

2.1.1 Ineffektive Imitationen und Zwei-Hand-Techniken tilgen

2.1.2 Effektive Mittel zur Durchführung bevorzugen

2.1.3 Selbstwirksamkeit und Kontrollüberzeugung fördern

2.1.4 Interpersonale Unterschiede anerkennen

2.2 Wissen managen

2.3 Arbeit organisieren

2.4 Methode entwickeln mit Lautem Denken

3. Untersuchen als geordnete Handlungsphase

3.1 Basis- und Ergänzungswissen

3.2 Reihenfolge definieren

3.3 Allgemein

3.3.1 Mütterliches Abdomen

3.3.2 Mütterliche Gebärmutter

3.3.3 Intrauterine Umgebung

3.3.4 Fetus, individueller Kindskörper und Relation zum Fruchtwasser

3.4 Spezifisch

3.4.1 Gebärmutter in Relation zum Abdomen

3.4.2 Fetus und Körperteile in Relation zur intrauterinen Umgebung

3.4.3 Umgebung in Relation zum mütterlichen Subjekt

3.4.4 Dynamische Formanpassung und Formübereinstimmung

3.5 Differenziert

3.5.1 Vergleich, Einteilung und Modifikation

3.5.2 Kindskörper, Symmetrie und Asymmetrie

3.5.3 Relation

3.5.4 Proportion

3.6 Fehler vorbeugend

3.6.1 Umgebung und fetale Lage

3.6.2 Zurechtlegen

3.6.3 Präzision

3.6.4 Fetalanpassungen durch Haltungsänderung

3.6.5 Haltung und Fruchtwasservolumen

3.6.7 Plazentalokalisation

3.7 Konzept – geburtshilfliche Analyse

3.8 Axiome des Kriterienkonstruierens

3.8.1 Separieren

3.8.2 Systematik

3.8.3 Suchen

3.8.4 Erkunden

3.8.5 Überstreichen

3.8.6 Zurechtlegen

3.8.7 Fruchtwasserdepot suchen

3.8.8 Fruchtwasserdepot erkunden

3.8.9 Plazenta aussparen

3.8.10 Kraft wirkt auf Fläche

3.9 Lehrmaterial zum Lernen der Techniken

3.10 Ordnungssysteme einer geburtshilflichen Analyse

3.10.1 Faktor Schwierigkeitsgrad

3.10.2 Faktor Symptom zeitabhängig

3.10.3 Faktor Symptom zeitunabhängig

3.10.4 Faktor Diagnose und Betreuung

3.10.5 Faktor Diagnose und Berufsaufgaben

3.10.6 Faktor Diagnose und Akteure

3.10.7 Faktor Volumen, Relation und Proportion

3.10.8 Faktor Normal, Idiopathie und Anormal

4. Manualdiagnostik als geordnete Handlungsphase

4.1 Mit Indikation

4.2 Mit einem modifizierten Leopold-Handgriff

4.3 Mit Händen passiv berühren

4.4 Mit proaktiv bewegten Händen

4.5 Mit Separieren

4.6 Mit Bewegungsmustern

4.7 Mit Überstreichen

4.8 Mit Drücken

4.9 Mit Niveauunterschieden

4.10 Mit Gegendruck

4.11 Mit Körperkontakt

4.12 Mit Schaukeln

4.13 Mit Suchen

4.14 Mit Systematik

4.15 Mit Erkunden

4.16 Mit Koordinieren

4.17 Mit Provozieren

4.18 Mit Misslingen

4.19 Mit Gelingen

4.20 Mit Geraden

4.21 Mit Klopfen

4.22 Mit Gravitation

4.23 Mit Zurechtlegen

4.24 Mit Anstrengung

4.25 Mit Richtungen

4.26 Mit Messpunkten

4.27 Mit Propositionen

4.28 Mit Interaktionen

4.28.1 Funktionelle Fetalbewegungen und Fließrichtungen nachmachen

4.28.2 Interaktionsversuch als Differentialdiagnostik

4.28.3 Indikation und Kontraindikation

4.28.4 Autonomie der untersuchten Schwangeren

4.29 Mit verbaler Sprache

4.30 Mit Prinzipien

5. Diagnosestellen als geordnete Handlungsphase

5.1 Mit Objektivität

5.2 Mit Algorithmen

5.2.1 Algorithmus manuelle Diagnosestellung

5.2.2 Algorithmus manualdiagnostische Befunderhebung

5.3 Mit Fehlerantizipieren

5.4 Mit Checklisten-Training

6. Fruchtwasservolumen bewerten

6.1 Funktion, Umgebung, Entwicklung und Verhalten

6.2 Fruchtwasservolumen Schwankung und Konsequenz

6.3 Fruchtwasservolumen und Versorgungsauftrag

6.4 Sonografische Bewertung

6.5 Taktil-kinästhetische Bewertung

6.6 Beobachtungs- um Wahrnehmungsqualität ergänzen

6.7 Konzept – Mutter-Kind-Einheit bewerten

6.8 Dokumentationsinstrument nutzen

7. Kommunikation als geordnete Handlungsphase

7.1 Strukturiert argumentieren

7.2 Dokumentation als Standard

7.3 Terminologie etablieren

7.4 Gesetzmäßigkeiten anführen

8. Synthese und weiterführende Überlegungen

8.1 Leistungserbringung ist strukturiert

8.2 Diagnose Fruchtwasser quantitativ befundet

8.3 Grundlagen sind entwickelt

8.4 Kardinalfehler ist beseitigt

8.5 Standard zur Leistungserbringung ist verfügbar

8.6 Wahlmöglichkeiten sind erweitert

8.7 Konzept der Taktil-Kinästhetik ist definiert

8.8 Ergänzungswissen ist definiert

8.9 Assessment als Standard

8.10 Management und Modifikation synchron umsetzen

8.11 Praxis Intervention Qualität kommunizieren

8.12 Pädagogische Intervention

8.13 Forschungsbedarf

9. Empfehlung

10. Verzeichnisse

10.1 Literatur

10.2 Abbildungen

10.3 Tabellen

Vorwort

Durch Tasten Befunde erheben, ist das denn noch zeitgemäß, heute, im Jahr 2018? Sollten wir denn als Hebammen nicht lieber endlich Befunde mit Ultraschall erheben dürfen? Warum sollten wir mühsam ein Handwerk erlernen, wenn doch der Ultraschall so einfach ähnliche Ergebnisse liefert? Wollen wir wirklich die Diagnosen bei normaler Schwangerschaft „aus den Händen geben“ und uns auf ärztliche Feststellungen verlassen? Warum überhaupt ein Lehrbuch über die manuelle Diagnostik? Kann denn nicht jede Hebamme durch Tasten Befunde erheben? Kennen denn nicht alle die Leopold-Handgriffe?

Kirstin A. Hähnlein liefert in ihrem Lehrbuch überzeugende Argumente, warum wir uns mit der Manualdiagnostik intensiver befassen sollten. Sie zeigt in nie zuvor beschriebener Weise auf, dass die Anwendung der Leopold-Handgriffe mit manueller Diagnostik wenig gemeinsam hat. Die Leopold-Handgriffe bringen Erkenntnisse, die nur einen sehr kleinen Teil der manuellen Diagnostik ausmachen. Manuelle Diagnostik ist messbar, vergleichbar und nachvollziehbar. Für die Einschätzung zur Gesundheit und von Risiken in der Schwangerschaft hat die Autorin das Instrument TaKE©ÄU entwickelt, die „Taktil-Kinästhetische Erkenntnismöglichkeit“ bei der äußeren Untersuchung der Schwangeren, also dem Wahrnehmen durch Berühren und Bewegen.

Das vorliegende Buch beschäftigt sich mit der Manualdiagnostik im Allgemeinen und, in seinem Hauptteil, mit dem spezifischen Einschätzen der Fruchtwassermenge im Besonderen. Das Erlernen des Ertastens eines Befundes ist keine Angelegenheit, die sich einem im schnellen Durchlesen oder nebenbei erschließt. Man muss sich intensiv mit den Ausführungen auseinandersetzen. Es verweilt bei einzelnen Aspekten, geht in die Tiefe, beschreibt bis ins kleinste Detail die einzelnen Handbewegungen und was zu erfühlen ist. Jedoch ist genau diese detaillierte Beschreibung die notwendige Grundlage für das „in Worte fassen“, was Hebammen ertasten können. Wer sich diese Mühe macht, erlernt ein Instrument, das seine beruflichen Fähigkeiten in seiner Kernkompetenz erweitert.

Das Buch möchte, Kapitel für Kapitel, zum Selbststudium anregen. Es gibt konkrete Anleitung für die Umsetzung. Die umfangreichen, von der Autorin erstellten Arbeitshilfen und Modelle, wie sie in Kapitel 3 beschrieben werden, schaffen die notwendigen Voraussetzungen.

Gerade Hebammenteams profitieren von der Anwendung der manuellen Diagnostik. Tastbefunde sollten so detailliert beschrieben werden können, dass sie für die Kollegin nachvollziehbar sind. Ohne das entsprechende Instrument ist dies jedoch kaum möglich. Das Assessment TaKE©ÄU und das Assessment Fruchtwasser sind also hilfreich für die Teamarbeit, indem eindeutig nachvollzogen werden kann, was die Kollegin festgestellt hat. Ein Team erleichtert darüber hinaus den Austausch über vorgefundene Tastergebnisse und trägt dadurch zum Lernen und Üben bei.

Schwangerenvorsorge mit manueller Diagnostik ist das besondere Merkmal der Hebammenvorsorge. Hebammen machen durch Manualdiagnostik ihre Erkenntnisse transparent. Gleichzeitig wird dadurch die Zusammenarbeit mit dem Arzt auf Augenhöhe gefördert.

Manuelle Diagnostik hat auch rechtliches Gewicht. Gerade die Einschätzung der Fruchtwassermenge in den letzten Wochen, am oder über dem Termin, hat hohe Relevanz in der Beratung und Betreuung der Schwangeren. Die Dokumentation der äußeren Untersuchung ist unerlässlich und macht die Befunde nachvollziehbar. Nur dadurch kann die Hebamme belegen, dass sie sich ein eigenes Bild von der Situation gemacht hat.

In den Kreißsälen ist die manuelle Diagnostik weitgehend in den Hintergrund getreten durch das stete Vorhandensein von Ultraschall und CTG. Wird die Manualdiagnostik als Leistung definiert, könnte der notwendige Zeitaufwand und die damit verbundene Zuwendung zur Schwangeren auch dazu beitragen, dass eben nicht noch eine Frau mehr betreut werden muss, sondern dass mehr Hebammen eingesetzt werden und die Frau die Zuwendung und Achtsamkeit erfährt, die sie benötigt.

Manualdiagnostik ist gut für uns Hebammen, weil sie unsere spezifischen Fähigkeiten erweitert, nämlich das Hebammenhandwerk. Manuelle Diagnostik ist beste Hebammen-Handwerks-Kunst!

Dieses Buch ist ein Grundlagenwerk für die Berufsgruppe der Hebammen. Ich wünsche ihm, dass es seinen ihm gebührenden Platz einnehmen kann und die Manualdiagnostik sich weiterentwickeln kann.

Karlsruhe, im Mai 2018

Regine Knobloch, Hebamme und Sachverständige

1. Manualdiagnostik

International sind Hebammen verpflichtet, mit einer äußerlich-abdominalen Schwangeren-Untersuchung die geburtshilfliche Gesundheit und Risiken einer Mutter-Kind-Einheit kriterienorientiert zu bewerten,66,93,99,100,123 obwohl das National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) seit Jahren den Verzicht auf die Abdominalpalpation empfiehlt.94 Begründet wird die Empfehlung mit der limitierten Evidenz der manualdiagnostischen Ergebnisse31 und damit, dass Schwangere die Palpation als unkomfortabel empfinden.94 Sinnvoll ist die Abdominalpalpation gemäß NICE einzig nach der 36. Schwangerschaftswoche (SSW) zur Feststellung der fetalen Schädellage bei geplanter Vaginalgeburt.94

1.1 Berufspflicht mit Erfahrungswissen erfüllen

Der Gegensatz von Pflicht und Verzichtsempfehlung verlangt von Hebammen unterlassene Abdominalpalpationen ebenso zu rechtfertigen wie durchgeführte. Ferner brauchen Hebammen geburtshilfliche Diagnosen um originäre Maßnahmen der Schwangerenbetreuung wie die Anwendung einer therapeutischen mütterlichen Körperposition kompetenzgerecht abzustützen. Zur Klärung des Gegensatzes wurde Manualdiagnostik geprüft.

Das erste Prüfergebnis ergab, dass Abdominalpalpationen seit dem 19. Jahrhundert als Leopold-Handgriffe (LHG) bekannt sind.24,78 Zur allgemeinen Diagnostik werden vier Prozeduren angewendet: beispielsweise (bspw.) sollen mit dem LHG I der Fundusstand der mütterlichen Gebärmutter, mit dem LHG II der Rücken und die Extremitäten des Ungeborenen, mit dem LHG III der vorangehende Kindsteil und mit dem LHG IV der Kopfeintritt in den knöchernen, mütterlichen Beckeneingang erkannt werden.12,78,99,108 Zur spezifischen Diagnostik soll mit dem LHG II der fetale Rücken und die Gliedmaßen von Fruchtwasser unterschieden werden.12,108

Das zweite Prüfergebnis ergab, dass die LHG abstrakt als Prozeduren erwähnt und die Nutzung latent angeführt ist mit: Hände auf den schwangeren Leib legen, sanft abtasten und Diagnose sagen.12,108 Die Bewertung des aussagekräftigsten Symptoms Fruchtwasser ist weder allgemein mit den LHG119 noch spezifisch an erreichbaren und verfehlbaren Kriterien erklärt.93,99,100,104

Das dritte Prüfergebnis konkretisiert die Methode der taktil-kinästhetischen Erkenntnismöglichkeiten und Tast-Ergebnisse statt qualitativ als Diagnose quantitativ als messbare Befunde. Tastet eine Hebamme den Leib einer Schwangeren ab,

verbinden ihre Hände taktile, funktionelle Berührungen mit motorisch durchdachten, kinästhetischen Bewegungen,75,116,126

während ihr Gehirn durch gedächtnisseitig übergeordnete (= exekutive) Erinnerungsfunktionen die taktil-kinästhetisch erfühlten Wahrnehmungen als geburtshilfliche Befunde interpretiert und aus diversen Interpretationen die Erkenntnisse eines spezifischen Befundes generiert.3,17

Demgemäß sind bei Abdominalpalpationen nicht LHG-Prozeduren latent, sondern taktil-kinästhetische Erkenntnismöglichkeiten aktiv zu nutzen. Da Lehrbücher diese Zusammenhänge ignorieren, basieren die Ergebnisse der originären Hebammendiagnostik auf Tacit-Knowledge, das heißt (d.h.) auf persönlichen nicht in Worte zu fassenden Erfahrungen.13,22 Es ist wohl der einzigartigen Geduld von Hebammen zuzuschreiben, Berufspflicht durch intuitiv gelerntes Erfahrungswissen erfüllen zu wollen, obwohl gemäß Internationaler Hebammenvereinigung (ICM) komplexe Leistungsergebnisse wie Diagnosen durch Basis- und Ergänzungswissen in Verbindung mit Basis- und Ergänzungsfertigkeiten erbracht werden.66 Gleichzeitig ist das individuelle Erfahrungswissen der Grund, weshalb die Weiterentwicklung der LHG-Prozeduren stagniert: Im 21. Jahrhundert ist die Technik der allgemeinen Diagnostik im Ansatz beschrieben52,54 und die Technik des spezifischen Assessments Fruchtwasser unbekannt.

Geburtshelferinnen und Geburtshelfer lösen das Problem der manualdiagnostisch limitierten Evidenz durch die Anwendung der Computertechnik: seit Jahrzehnten ist das Assessment Fruchtwasser in die geburtshilfliche Ultraschall-Untersuchung integriert.40 Weil die computertechnisch-unterstützte Sonografie-Diagnostik Nachteile für Schwangere vermeidet, können ärztliche Fachpersonen sowohl auf eine zeitgemäße Beschreibung der Manualdiagnostik als auch auf eine Weiterentwicklung der LHG-Prozeduren zu einer diagnostisch evidenten Methode verzichten.

Hebammen lösen das Problem der manualdiagnostisch limitierten Evidenz nicht wirklich. Aus ethisch-rechtlichen Gründen dürfen Hebammen weder die computertechnischen Ergebnisse ungeprüft übernehmen noch auf die Diagnostik durch eine Abdominalpalpation verzichten.65,68,93,104 Weltweit wären durch den Verzicht Millionen Schwangere in den Gegenden unterversorgt, in denen Hebammen die geburtshilfliche Gesundheitsversorgung garantieren.66,68,123 Rechtlich sind Hebammen nach der Diagnostik durch eine Abdominalpalpation verpflichtet, die geburtshilfliche Versorgung symptomatischer und asymptomatischer Schwangerschaften eigenverantwortlich zu managen. Die Autonomie beinhaltet Entscheidungen in Abstimmung mit den Wünschen und Bedürfnissen der Schwangeren zu treffen über die Wahl a) gesundheitsfördernder, präventiver und therapeutischer Maßnahmen, b) den Geburtsort (Versorgungsstufe) sowie c) den Verzicht und den Einbezug weiterer Fachpersonen (Akteure), um Frauen d) während ihrer reproduktiven Lebensphase familienzentriert zu betreuen. 68 Die Pflicht verlangt, dass Hebammen stets in einer Doppelfunktion agieren: hospitalintern und hospitalextern sollen sie Eltern, traditionelle Geburtsbetreuerinnen (TBA), Berufsnachwuchs, Wiedereinsteigende und ärztliche Fachpersonen zur Manualdiagnostik anleiten.7,23,43,51,52,92,94,100,104,118,123

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Abb. 1. Manualdiagnostik – Verwendung in der Hebammenarbeit.

Angesichts der mehrdimensionalen Verantwortung vernichten Hebammen, mit dem Verzicht auf die Diagnostik durch Abdominalpalpationen, wesentliche der ihnen rechtlich zugestandenen Kompetenzen. Die NICE-Empfehlung kennzeichnet keine Methode, mit der Hebammen die Tast-Diagnostik kompensieren können, um ihre beruflichen Versorgungsleistungen für die Schwangere zu erfüllen sowie die rechtlich zugestandene Eigenverantwortung zu wahren.94

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt zwingt die fehlende Methodendarstellung nichtärztliche Gesundheitsfachpersonen a) die LHG-Prozeduren nach der Ausbildung latent zu nutzen, b) intuitiv weiter zu lernen und c) eigenständig zur LHG-Diagnostik weiter zu entwickeln.

Hebammen, die an den Erfolg des erfahrungsbasierten Lernens glauben, erwarten mit zunehmender Berufserfahrung eine qualitativ bessere Manualdiagnostik. Hypothetisch müssten Berufstätige, die Schwangere betreuen, mit jahrzehntelanger Berufserfahrung qualitativ bessere Diagnosen durch Abdominalpalpationen stellen als Anfängerinnen. Die TaKE©-Studie prüft diese Hypothese mit einer strukturierten Befragung und der Anzahl der Tast-Befunde von 314 Studienteilnehmenden.55 Zur Prüfung eines Lerneffekts wird der Mittelwert der LHG-Diagnostik von neun fünf-Jahre-Berufserfahrung-Subgruppen untereinander verglichen. Der Mittelwert ist die Summe aller gemessenen Befunde geteilt durch die Anzahl der Beforschten. Zur erste Subgruppe gehören werdende Hebammen im 36. Ausbildungsmonat und zur neunten Hebammen mit 40-Jahren Berufsarbeit. Der Mittelwert der LHG-Diagnostik beträgt 15 bei der ersten und 14 bei der neunten Subgruppe. Der Unterschied ist statistisch nicht signifikant. Anders gesagt, führt jahrzehntelange Berufserfahrung nicht zu einer Verbesserung der LHG-Diagnostik, wenn diese an der durchschnittlichen Anzahl der Befunde gemessen wird.55

Da Berufserfahrung die LHG-Diagnostik nicht verbessert, wurden die Voraussetzungen a) für die aktive Nutzung einer Methode und b) für die Herstellung evidenter Ergebnisse geprüft. Dieses Prüfergebnis zeigt, dass

Evidenz eine wissenschaftlich gültige Methode voraussetzt, die als Goldstandard der Leistungserbringung gilt.29

Evidenz durch individuelle Verhaltensmodifikation hergestellt wird.37

Verhaltensmodifikationen eine in der Praxis per Handlungsanleitung (Standard) interpersonal etablierte Methode bedingen, deren Qualität systematisch abgeändert wird.20

systematische Modifikationen an der als Standard genutzten Handlungsanleitung ansetzen, weil diese Reihenfolge, Logik und Inhalt der Leistung an explizit erreichbaren und verfehlbaren Kriterien darstellt.20,29,37,110,111

Folglich ist der Kardinalfehler für die Leistung Manualdiagnostik eine undefinierte Methode. Gegenwärtig wird das Kennen der LHG-Prozeduren mit dem Standard und der Qualität der Diagnostik gleichgestellt. Anders gesagt, gilt Manualdiagnostik global als originäre Hebammenaufgabe, obgleich alle wissenschaftlich bekannten, strukturellen Voraussetzungen zur Herstellung evidenter Ergebnisse unerfüllt sind.66,68,93,99,104 Auf die beforschte Methode geprüft, zeigen Studien, dass einige Autoren die latente LHG-Nutzung beforschten,79,86,117 während andere das qualitative Denkergebnis mit einem sonografischvisualisierten Messergebnis verglichen.7,10,28,36,62,70,72,82,91,103,112,113,121,122 Die Ergebnisse werden kritisiert ohne die Methode zu würdigen: alle Autoren unterließen es, die Ergebnisherstellung einer Abdominalpalpation methodisch korrekt mit den taktil-kinästhetischen Erkenntnismöglichkeiten als quantitativ messbare Befundung zu beforschen. Gemäß Literatur ist das qualitativ abstrakte Denken der quantitativ konkreten taktil-kinästhetischen Befundung gleichgestellt. Lernpsychologischen Erkenntnissen zufolge, liefert die LHG-Anwendung zu wenig Information für eine sachlich geschlussfolgerte Diagnosestellung, weil

schlussfolgern, an das Vorhandensein spezifischer Bestimmungskriterien und Bewertungskriterien geknüpft ist,20,29,37 die für die LHG fehlen.

eine Diagnose Produkt selbstorganisierter Handlungen und Entscheidungen ist:17,96,111 a) sind zur Begriffsbildung der Methode Abdominalpalpation die Erkenntnisse des Wissensmanagements einzubeziehen, b) ist anzuerkennen, dass evidente Ergebnisse explizit definierte Maßnahmen zur Verhaltensmodifikation voraussetzen, damit c) Hebammen gelerntes Basis- und Ergänzungswissen so organisieren können,23,37 d) das Tasten als Leistung durch erlernte Basis- und Ergänzungsfertigkeiten qualitativ steuerbar wird, e) indem die Technik mit Handbewegungen, taktil-kinästhetischer Erkenntniswahrnehmung und Handlungsplanung inklusive Fehlerantizipieren begründet ist.17,29,81,102,126

das schlussfolgernde Denken als Fähigkeit definiert ist, alle zur Lösung eines Problems notwendigen Informationen aus der Gesamtheit aller vorhandenen Informationen abzuleiten.85,109,111

Die Fähigkeit zu schlussfolgern, verlangt eine beweisbare Methode Diagnostik durch eine Abdominalpalpation. Beweisbar ist eine Arbeitsweise als a) differenzierte, b) funktionell zweckmäßige und c) systematisch, prüfbare Handlung. Basis der methodisch prüfbaren Darstellung sind die unbewussten Prozesse der Aufmerksamkeitssteuerung und Informationsverarbeitung, die kognitiven Prozesse der Interpretation, Ursachenerklärung und Vorhersage sowie die sozialkognitiven Prozesse der Bewertung von Zielen, Konsequenzen und Kompetenzen.60 Womit Voraussetzung für die Schlussfolgerung einer Diagnose eine exekutive, qualitative Funktion des menschlichen Gedächtnisses ist, die Aufmerksamkeitsfähigkeit.60,71,75,111 Ergänzend basiert Tasten als Handeln auf der Fähigkeit den manualdiagnostischen Erkenntnisgewinn wie eine Leistung geplant, kontrolliert und gesteuert auszuführen, was ebenfalls eine exekutive, qualitative Gedächtnisfunktion ist.3,17,60 Die im Handeln genutzte Gedächtnisfunktion ist als Top-down-Strategie (engl. von oben nach unten) definiert.17,111 Diesen wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge, ist die Fähigkeit eine Diagnose zu stellen, eine kognitive funktionelle Leistung: Voraussetzung für die Schlussfolgerung ist eine gelungene Verbindung der selektiven Aufmerksamkeitsfähigkeit mit der Reflexionsfähigkeit. Beide Fähigkeiten sind neuropsychologische exekutive Funktionen, mit denen Menschen Leistungen vorausdenken. Per Reflexion sind Fachpersonen fähig, geburtshilfliche Gegebenheiten geplant, kontrolliert und gesteuert zu analysieren. Per Selektion sind Menschen fähig Kriterien auszuwählen. Daher kennzeichnen sechs kognitive Fähigkeiten den Handlungsprozess des Diagnosestellens: es werden a) erwünschte Erkenntnisse erfühlt sowie als geburtshilfliche Befunde interpretiert, b) diverse Erkenntnisse miteinander verknüpft, c) die Bedeutung der Bewertungen auf Richtigkeit geprüft, d) die Qualität ausgeführter Handlungen fehlermindernd verbessert, e) neue Erkenntnisse generiert und f) aus den neugenerierten Erkenntnissen die abstrakte Diagnose geschlussfolgert.17,75,85,109,110,111,116,126

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Abb. 2. Manualdiagnostik – Diagnose per Top-down Strategie schlussfolgern.

Funktionell gewinnen Tastende Erkenntnisse durch Performance, d.h. durch die Fähigkeit gelerntes Basis- und Ergänzungswissen praktisch umzusetzen.66 Bei der praktischen Umsetzung werden die exekutiven Kontroll- und Steuerfunktionen genutzt, um Arbeitsschritte planmäßig einwandfrei auszuführen.17,96 Konkret synchronisieren tastende Hände für eine Befundung Berührungen und Bewegungen, während das Gedächtnis der Tastenden die Wahrnehmung der Oberflächen- mit der Tiefensensibilität (Propriozeption) kombiniert.10,17 Die Hände einer Hebamme sind diagnostische Instrumente, die am Leib einer Schwangeren sinnliche Erkenntnisse erfühlen.

Taktil-kinästhetische Erkenntnisse werden mit physio-neuropsychologischen Fähigkeiten als sinngebende Informationseinheit (Proposition) erfühlt.3

Funktionell stellen Hände eine qualitativ wahrgenommene Proposition durch Berührung, Druck, Dehnung und Vibration her.3,10,17,116,126

Am Körpergewebe entspricht eine Proposition einem lokalisierten Kriterium der erfühlten Struktur, Konsistenz und Kontur.3,10,17

Das Gedächtnis der Tastenden nimmt erfühlte Informationen wertfrei wahr und interpretiert die Sinnesreize prompt als geburtshilfliche Befunde. 10,116,126

Gesteuert wird sinnlich wertfrei Erkenntniswahrnehmung durch die kognitive Funktion der Achtsamkeit, 74 sofern die Tastenden die Fähigkeit manuell vorsätzlich als Bottom-up-Strategie (engl. von unten nach oben) anwendet.

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Abb. 3. Manualdiagnostik – Befunde per Bottom-up Strategie wahrnehmen.

Diese neuropsychologischen Erkenntnisse stellen dar, dass eine Diagnose mit einem breiten Spektrum an behavioristischen Fähigkeiten individuell konstruiert wird: die motorischen Bewegungsmuster tastender Hände stellen jene geburtshilflichen Befunde her, die das menschliche Gedächtnis als Befunde interpretieren kann.81,116 Folglich setzt ein manualdiagnostischer Erkenntnisgewinn intrapersonale Selbstorganisationsprozesse voraus, die Denk- und Handlungsstrategien kombinieren.17,111 Die Top-down-Strategie Aufmerksamkeit ist anzuwenden um Tasten als Handlung a) geplant, kontrolliert und gesteuert auszuführen sowie b) nachdenkend zu vervollständigen.3,17,60,71,75,111 Die Bottom-up-Strategie Achtsamkeit ist anzuwenden um geburtshilfliche Erkenntnisse taktilkinästhetisch absichtlich zu gewinnen.10,17,75,109,116,126 Werden beide Strategien konstruktiv kombinieren, können tastende Hände die kleinsten sinngebenden Informationseinheiten (Proposition) über die Konsistenz des Fruchtwassers gewinnen. 3,81,116 Womit als die zu beforschende Methode die motorischen Bewegungsmuster tastender Hände darzustellen sind, die taktil-kinästhetisch Erkenntnisse gewinnen. Platziert ist die Methode zwischen der Top-down-Strategie und Bottom-up-Strategie.

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Abb. 4. Manualdiagnostik – Tasten als Methode, ist der Mittelpunkt der Top-down und Bottom-up Strategie.

Zur quantitativ messbar Beschreibung der methodischen Technik werden die kognitive und physiologisch-funktionelle Strategie um eine behavioristische Strategie ergänzen. Quantitativ bedeutet, dass die Bewegungsmuster tastender Hände auszuarbeiten sind, die eine sinngebende Informationseinheit (Proposition) nachweisbar konstruieren. Konkret die

Palpation, bei der Erkenntnisse durch Berührungen und Bewegungen wahrgenommen werden.

Befundung mit einem Tast-Vorgang, bei dem eine subjektive Befundkonstruktion durch eine Richtung und deren Messpunkte erkennbar sind.

Diagnosestellung mit den taktil-kinästhetischen Erkenntnismöglichkeiten.

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Abb. 5. Manualdiagnostik – eint Palpation, Befunden und Diagnosestellen.

Ohne eine Darstellung der methodisch kleinsten auszuführenden Handlungseinheit, bleiben manualdiagnostisch evidente Ergebnisse Utopie. Praktisch ist die quantitative Methode der Manualdiagnostik die Unbekannt: Seit dem 19. Jahrhundert wird statt einer zwischenmenschlich nachvollziehbare Arbeitsweise das Vorgehen als Begriff und LHG Prozedur angedeutet. Weil Hebammen mit der geburtshilflichen Diagnose Maßnahmen der Gesundheitsversorgung rechtfertigen, ist eine Methode das Sechstel, welches Basis der beruflichen Leistung ist: Ohne definierte Methode fehlt der Weiterentwicklung der Ausgangspunkt (Abb. 6), die Lücke hindert Lehre (strukturelle Voraussetzung), Praxis, lebenslanges Weiterlernen (Edukation), Expertise bei der Umsetzung und die Evaluation zur Verbesserung der Qualität.

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Abb. 6. Manualdiagnostik – ohne Methode fehlt dem Können die Basis.

Wie gesagt, gilt das Vorhandensein einer Handlungsanleitung als strukturelle Voraussetzung.29 Ein Standard begründet die Logik des Vorgehens, verdeutlicht die leistungsentscheidenden Interventionen und interpersonal nachvollziehbare Handlungen. Ein Standard stellt die handlungs- und entscheidungsleitenden Regeln dar, die die praktische Umsetzung des Basis- und Ergänzungswissen in Basis- und Ergänzungsfertigkeiten definieren.29,66

Aufgrund des Fehlers bei der Methodendarstellung ist unklar, weshalb Manualdiagnostik im 21. Jahrhundert a) als originäre Hebammendiagnostik gilt66 und b) Hebammen für die Folgen einer unterlassenen Diagnosestellung durch eine Abdominalpalpation haften.65 Ohne Methodendefinition sind Fehler vorprogrammiert, deren haftungsrechtliche Konsequenz nie der Einzelnen zuzuschreiben ist, weil der Profession zum gegenwärtigen Zeitpunkt a) eine spezifische Darstellung der Leistung, b) ein expliziter Referenzstandard und c) ein vorurteilsfreier Beleg der Methode Manualdiagnostik fehlt.29 Diese strukturelle Bedingung hindern Hebammen Befunde quantitativ zu explorieren. Gleichzeitig schließt das zeitüberdauernde Fehlen des Standards die systematische Weiterentwicklung zur bestmöglichen Ergebnisqualität aus, was Forschende als Bias, systematischen Fehler, bewerten.13,23 Fehlt eine Handlungsanleitung muss deren Entwicklung oberste Priorität der Profession sein. Insgesamt muss die Anleitung explizit erreichbare und verfehlbare Kriterien der Handlungsabfolge, die systematische Planung, Kontrolle und Steuerung der Leistung sowie fehlervorbeugende Verfahren definieren.29 Erst mit diesen Grundlagen können Lehrende Lernende befähigen, die Leistungserbringung standardisiert einzustudieren. Der vorhandene Standard ist Basis für pädagogische Interventionen, deren Ziel die Verhaltensmodifikation der Beteiligten ist.110,111

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Abb. 7. Manualdiagnostik – Grundlagen und Kriterien sind zu definieren.

Der strukturelle Fehler verursacht die limitierte Evidenz der manualdiagnostischen Ergebnisse: Der Hebammenprofession fehlen Grundlagen wie eine a) manualdiagnostische Terminologie, b) Definition der Methode, c) professionelle kontinuierliche Weiterentwicklung, d) explizite Darstellung der taktilkinästhetischen Erkenntnismöglichkeiten und e) Definition der Leistung, die den technischen Goldstandard der Diagnostik durch eine Abdominalpalpation begründet. Tabelle 1 fasst den Einfluss des systematischen Fehlers auf die Berufsarbeit aller Hebammen zusammen.

Tabelle 1: Bias – beeinflusst das Hebammenkollektiv aus Sicht der

Lernenden, ist die Methode Diagnostik durch eine Abdominalpalpation mit den Leopold-Handgriffen zu abstrakt beschrieben.
Lernenden, sind Befunde nicht voneinander zu unterscheiden solange die Korrektheit der bestimmten Merkmale nicht zu prüfen ist.
Lehrenden, ist die Methode Diagnostik durch eine Abdominalpalpation als Berührung beschrieben, was pädagogische Interventionen wie Erklären, Beobachten, Begründen und Prüfen ausschließt.
Leistungserbringenden, ist die Methode Diagnostik durch eine Abdominalpalpation mit der Fähigkeit Tast-Diagnosen durch Denken herzustellen inadäquat erklärt, weil der taktil-kinästhetische Erkenntnisgewinn mit dem Berühren des Abdomens und Ergebnisnennen zu banal erwähnt ist.
Forschenden, ist die Methode Diagnostik durch eine Abdominalpalpation seit Jahrzehnten mit demselben systematischen Fehler (Bias) belegt, weil eine standardisierte Methode fehlt, von der aus das Erreichen und das Verfehlen spezifischer Beurteilungskriterien systematisch zu prüfen ist.
Hebammen, betrifft die mangelnde Evidenz nicht das manualdiagnostische Ergebnis. Vielmehr ist die NICE-Guideline94 so zu verstehen, dass auf die Diagnostik durch Denken verzichtet werden soll, weil Tast-Ergebnisse nicht durch Denken entstehen.
Berufsgruppe, deren Mitglieder die bestmögliche Evidenz ihrer Leistung anstreben, ist aus diesen Feststellungen abzuleiten, dass die Methode Diagnostik durch eine Abdominalpalpation seit Dekaden a) auf eine prüfbare Methodendarstellung, b) auf eine inhaltanalytische Forschung und c) auf die methodisch korrekte experimentelle Prüfung wartet.

1.2 Manualdiagnostische Konzepte definieren

Die Beseitigung eines systematischen Fehlers setzt konzeptionelle Überlegungen über die Berufsleistung der Methode Manualdiagnostik voraus. Ein Konzept ist ein theoretischer Entwurf, der die methodischen Gesetzmäßigkeiten erklärt.37 Ziel eines Konzeptes ist die fachlich komplexe Zusammenhänge der Manualdiagnostik als Grafik präsentiert zu vereinfachen, um das Verstehen zu fördern. Eine Gesetzmäßigkeit ist Axiom: eine Regel, ein Prinzip, ein Konzept. Dementsprechend je ein handlungs- und entscheidungsleitender Grundsatz einer prüfbaren Handlungsphase. Die manualdiagnostisch kleinste Einheit, die tastende Hände am untersuchten Körper herstellen, ist

beim Handeln das motorische Bewegungsmuster und

beim Entscheiden die körperliche Veränderung.

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Abb. 8. Konzept – Handeln und Entscheiden als kleinste Einheit.

Zur Ausarbeitung der Konzepte wird die manualdiagnostische Handlungsphase von Beginn bis Ende in Teilschritte gegliedert. Jeder Teilschritt gilt als ein in sich geschlossener, übersichtlich strukturierter Handlungsprozess. Zum Handlungsprozess gehört die Handlungsabfolge, deren Tätigkeiten zeitlich und inhaltlich strukturiert sind. Jede Tätigkeit ist ein Axiom (Abb. 9).

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Abb. 9. Konzept – einer manualdiagnostischen Handlungsphase.

Schwerpunkt der Performance sind die technischen Details der leistungsentscheidenden Tätigkeiten der manualdiagnostischen Handlungsphase, mit denen die Logik des Vorgehens an erreichbaren und verfehlbare Kriterien zu begründen ist. Demnach ist das erste Basiskonzept der Methode Manualdiagnostik ist die leistungsentscheidende Fähigkeit Wahrnehmung mit Berühren und Bewegen zu managen. Wie anfangs gesagt, besteht das taktil-kinästhetische Wahrnehmungsmanagement aus den motorischen Bewegungsmustern proaktiv tastender Hände und aus zweckgebunden koordinierten Fingerbewegungen.

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Abb. 10. Konzept – taktil-kinästhetische Wahrnehmungen konstruieren.

Das zweite Basiskonzept der Methode Manualdiagnostik ist die leistungsentscheidende Fähigkeit der Diagnosestellung, die vier Handlungen verbindet.

Erstens basiert die Diagnosestellung auf einer quantitativ messbaren, faktennahen Befundung. Beim Tasten werden erfühlte Informationen als geburtshilfliche Befunde interpretiert, womit eine Beurteilung das Produkt einer hohen Befundanzahl und korrekt beurteilter Befundinterpretationen ist.

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Abb. 11. Konzept – Befund, Interpretation und Beurteilung konstruieren.

Zweitens müssen alle ertasteten Befunde richtig-positiv sein. Um Befunde korrekt herzustellen, ist die Fähigkeit Fehler zu managen leistungsentscheidend. Korrekte Befunde passen im Detail zur angestrebten Beurteilung und bilden das solide Fundament der geburtshilflich geschlussfolgerten Diagnose. Womit die Befundbestätigung das Produkt richtig-positiver Befundbestimmungen und zahlreicher Befundanpassungen ist.

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Abb. 12. Konzept – Bestätigungen zu den einzelnen Befunden konstruieren.

Drittens muss die Richtigkeit der singulären Diagnosestellung anhand der einzelnen Befunde mehrfach kontrolliert werden. Um den Erkenntnisgewinn gezielt zu steuern, ist die Fähigkeit Wahrnehmung zu managen leistungsentscheidend. Gleichzeitig sind durch diverse Kontrollen Unklarheiten ebenso zu erkennen wie Fehler zu korrigieren sind. Als Tastfehler gelten konträre Zusammenhänge, bei denen eine Feststellung anderen widerspricht, womit der Ausschluss von Widersprüchen das Produkt einer als richtig bestätigten Diagnose und eines Fehlermanagements ist.

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Abb. 13. Konzept – Korrektheit einer einzelnen Diagnose konstruieren.

Viertens müssen alle erfühlten Informationen einer singulären Diagnosestellung befundspezifisch gültig sein. Um Handlungen zu kontrollieren, ist die Fähigkeit Wissen zu managen leistungsentscheidend. Durch zielführendes Handlungsmanagement ist die gültige Diagnose Produkt richtig erfühlter Informationen und als richtig bestätigter singulärer Diagnosen sowie als richtig bestätigter befundspezifischer Tast-Befunde.

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Abb. 14. Konzept – Gültigkeit einer einzelnen Diagnose konstruieren.

Das dritte Basiskonzept der Methode Manualdiagnostik ist das professionelle Leistungsmanagement. Initial wird eine geburtshilfliche Situation durch eine systematische Analyse, Synthese, Bewertung und Schlussfolgerung aller verfügbaren Informationen eingeschätzt. Diese vier Handlungsphasen gelten in der Pädagogik als gedächtnisseitige Selbstkontrolle (Reflexion),111 in der Neuropsychologie als kognitiv übergeordnete Gedächtnisfunktion, mit der Menschen absichtlich handeln17 und in der Pflegewissenschaft als Pflegeprozess.26 Um dieses regelgeleitete Wissen zu managen102 wird die manualdiagnostische Performance generell in die leistungsentscheidenden Handlungsteilschritte geteilt: d.h., es sind die physiologisch-funktionellen, behavioristischen (motorischen) und kognitiven Handlungsprozesse zu definieren mit denen Menschen Maßnahmen planen, kontrollieren und steuern. Die technischen Handlungen werden als Handlungsdimensionen gekennzeichnet, um die Logik des manualdiagnostischen Vorgehens nachzuweisen.23,29,66,102 Bedeutsam ist die zeitliche Abfolge des Vorgehens: Beim Tasten ist der geburtshilfliche Erkenntnisgewinn Produkt sinnlicher Wahrnehmungen. Zeitlich werden erfühlte Informationen erst nach der Interpretation der Propositionen zum geburtshilflichen Befund. Basis zur Herstellung richtig-positiver Befunde (bei denen die Richtigkeit sicher ist, d.h. der Befund fachlich korrekt bewertet wird) ist die Fähigkeit, Erkenntnisse faktennahe zu befunden, bevor eine Diagnose gestellt wird. Zur Konstruktion der Befundqualität sind demnach drei Handlungsdimensionen leistungsentscheidend: a) ist eine quantitativ messbare, faktennahe Befunderhebung mit einer hohen Anzahl an Befunden auszuführen, b) sind Befunde richtig-positiv, sorgfältig zu analysieren und c) führt eine faktennahe wertfreie Interpretation zu einer objektiv, aussagekräftigen Diagnosestellung.

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Abb. 15. Konzept – drei (Handlungs-)Dimensionen der Manualdiagnostik.

Das vierte Basiskonzept der Methode Manualdiagnostik ist die leistungsentscheidende Fähigkeit der sorgfältigen Diagnosestellung als produktive Abfolge aller genannten menschlichen Fähigkeiten.

Ein singuläres klinisches Ergebnis, wie die Diagnose Fruchtwasservolumen das Produkt einer quantitativ messbaren, faktennahen Befundung durch Tasten und der qualitativen Diagnosestellung durch Tasten und (Nach-)Denken.

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Abb. 16. Konzept – Diagnose als Produkt aus Tasten und (Nach-)Denken.

Das fünften Basiskonzept der Methode Manualdiagnostik ist die leistungsentscheidende Fähigkeit des taktil-kinästhetischen Erkenntnisgewinns. Wenn ihre Hände Sinnesreize von Druck, Berührung, Dehnung und Vibrationen wahrnehmen, interpretieren als Hebamme ausgebildete die Propositionen3,116 der taktil-kinästhetische Sinnesreize als 17 geburtshilfliche Bestimmungsmerkmalen oder mit genügend Expertise Struktur, Kontur und Konsistenz.54

Tabelle 2: Konzept – 17 taktil-kinästhetische Bestimmungsmerkmale.

Struktur Eindringtiefe
  Motilität (aktive Bewegungsfähigkeit)
  Niveau-Differenz / Furche
  Beweglichkeit
  Aktivität(en)
  Festigkeit
Kontur Distanz in Relation zum Körper / zum Gestationsalter
  Umformen von Lage, Stellung, Kippung
  Symmetrie
Konsistenz Nachgiebigkeit
  Widerstand Körpergewebe / Basale Spannung
  Verschiebbarkeit
  Undulation (Vibration von Flüssigkeit)
  provozierte Spannungsunterschiede

Wer Hände als diagnostische Instrumente nutzt, wandelt diese Konzepte in Fertigkeiten um, um als Methode eine Triade kognitiver, physiologischfunktioneller und behavioristischer Fähigkeiten aktiv zu nutzen.

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Abb. 17. Konzept – der taktil-kinästhetische Erkenntnisgewinn ist eine kognitive, physiologisch-funktionelle und behavioristische Triade.

Deutlich wird das Können beim Vergleich der qualitativen und quantitativen Diagnose: Laut Literatur ist die Diagnose ein qualitatives Produkt, das durch die Methode der LHG-Anwendung entsteht. Als Kompetenz gefragt, ist die Fähigkeit, Sachverhalte durch Denken wiederzugeben. Real werden manualdiagnostische Erkenntnisse mit der Methode Taktil-Kinästhetik gewonnen. Das Ergebnis wird konstruiert, indem proaktiv tastende Hände durch Fühlen Sachverhalte analysieren. Eine Tast-Diagnose wird konstruiert durch eine quantitativ messbare, faktennahe Befundung. Die Kompetenz ist die Fähigkeit erfühlte Informationen als geburtshilfliche Befunde zu interpretieren. Nicht die Diagnose, sondern ein Befund ist das Ergebnis.

Tabelle 3: Konzept – qualitatives und quantitatives Produkt unterscheiden.

Methode Leopold-Handgriffe anwenden Erkenntnisse werden taktil-kinästhetisch gewonnen
Ergebnis entsteht durch die Anwendung eines Leopold-Handgriffs wird konstruiert, indem proaktiv tastende Hände durch Fühlen Sachverhalte analysieren
Tast-Diagnose wird durch auswendig gelerntes Wissen erinnert wird durch eine quantitativ messbare, faktennahe Befundung konstruiert
Kompetenz ist die Fähigkeit erlernte Sachverhalte durch Denken wiederzugeben ist die Fähigkeit, erfühlte Informationen als geburtshilfliche Befunde zu interpretieren
Diagnose qualitatives Produkt quantitatives Produkt

1.3 Leistung Manualdiagnostik definieren

Folge der Unterscheidung der qualitativen LHG-Diagnose und der quantitativen Diagnosestellung durch eine Befundung per taktil-kinästhetischen Erkenntnismöglichkeiten sind messbare und dokumentierbare Befunde. 2007 wurde inhaltsvalidiertes Instrument (TaKE©ÄU) zur Dokumentation der Befunde auf der Grundlage der ICM-Vorgaben entwickelt.57,66,68 Es klassifiziert die berufliche Leistung der ergebnisorientierten Manualdiagnostik, trennt das antenatale Assessment in die LHG-Diagnostik und spezifische Assessments. Es belegt die Inhalte der Berufsleistung: Einschätzung der geburtshilflichen Gesundheit und Risiken einer Mutter-Kind-Einheit mit Wissen und Fertigkeiten.

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Abb. 18. Leistung – berufsaufgabenbezogene Definition.

In Deutschland setzen Hebammenschulen das Instrument in der Lehre und zum Nachweis der in der Ausbildung gesetzlich vorgeschriebenen, äußerlichabdominalen 100 Schwangeren-Untersuchungen ein.45,50 Das tabellarische Design des Instruments ordnet regelrichtige Befunde der Gesundheit und regelabweichende sowie regelwidrige Befunde den Risiken und Handlungsbedarf zu. Als ergebnisorientierte Manualdiagnostik gelten 22 spezifische Assessments bspw. Assessment Fruchtwasser.45,50

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Abb. 19. Leistung – Definition antenatales und spezifisches Assessment.

Das Instrument TaKE©ÄU schließt drei historische Lücken: es a) bildet die leistungsentscheidenden Tast-Befunde des antenatalen Assessment an erreichbaren und verfehlbaren Kriterien ab, b) operationalisiert die Leistung äußerlichabdominale Schwangeren-Untersuchung und c) ermöglicht – zum Fragebogen modifiziert – die empirische Testung.

Ziel der empirischen Testung ist, die Leistung von Hebammen messbar zu beschreiben, wie es die Studienergebnisse der Datenerhebung mit dem TaKE©ÄU 2009 zeigen. Der deskriptive Teil der TaKE©-Studie misst das genutzte und das ungenutzte Potential.50,51,55,57

Einen Auszug der empirischen Testung zeigt Tabelle 4 mit der Anzahl der Befunde gemessen am Median, Mittelwert, Standardabweichung, Spannweite, Minimum und Maximum.

Unterschieden sind die Messergebnisse indem das Assessment klassifiziert ist in Mutter-Kind-Einheit, Mutter, Kind, Gesundheit, Risiken, LHG, ohne LHG sowie Wissen und Fertigkeiten von 314 Studienteilnehmenden. Bspw. zeigt die Spalte Theorie die hypothetischen und die Spalte Mittelwert Mutter-Kind 94.6, Mutter 39.3, Kind 53.8, Gesundheit 31.1, Risiko 27.7, LHG 30.4 und ohne LHG 64.2.

Tabelle 4: TaKE©-Studie – deskriptive Statistik der Assessments. Mutter-Kind-Einheit, Mutter, Kind, Gesundheit, Risiken, Leopold-Handgriffe, ohne Leopold-Handgriffe sowie Wissen und Fertigkeiten von N = 314.

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Lesebeispiel: Von den 75 Theorie Befunden, die durch die Fähigkeit Wissen beim antenatalen Assessment zu bestimmen sind, werden bei 314 Studienteilnehmenden durchschnittlich 37.3 (Mittelwert) gemessen. Der niedrigste Messwert beträgt zwei (Minimum) und der höchste 72 (Maximum), die Schwankung um den Mittelwert 11 (Standardabweichung) und der Median 37.

Auf dem Instrument TaKE©ÄU 2009 konnten 307 Befunde dokumentiert werden. Nach der TaKE©-Studie wurde das Instrument evaluiert. Mit der Überarbeitung stieg die Befundanzahl auf 371 (Abb. 20).

Das aktuelle Instrument TaKE©ÄU 2017 erfasst 22 Mutter-Kind-Informationen, d.h. 22 spezifische Assessments mit 94 anatomischfunktionellen, schwangerschaftsspezifischen Mutter-Kind-Merkmalen und 265 quantitativ und qualitativ messbaren Zuständen (Abb. 20). Identisch ist das Ordnungssystem der Befunde: ein TaKE©ÄU Instrument erfasst die

Merkmale zur Gesundheit (Norm) links,

Merkmale zum Handlungsbedarf (Normvariant, Risiko) rechts,

mütterlichen Merkmale von Becken, Abdomen, Bauchmuskulatur, Darm, Harnblase, Nabel, Uterus, Uterusmuskulatur bis Kontraktilität (Nummer 1. – 9.) in der oberen Hälfte und

Abb. 20