Cover

 

FELIX DAHN

 

KAMPF UM ROM

 

Historischer Roman in vier Bänden

 

 

 

BAND IV:

 

GOTENDÄMMERUNG

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dieses Buch ist Teil der BRUNNAKR EDITION: Fantasy, Historische Romane, Legenden & Mythen.

 

BRUNNAKR ist ein Imprint des apebook Verlags.

 

Nähere Informationen am Ende des Buches oder auf:

www.apebook.de

 

1. Auflage 2019

V 1.0

 

 

eBook: ISBN 978-3-96130-190-4

Print: ISBN 978-3-96130-191-1

 

Buchgestaltung/Coverdesign: SKRIPTART

  www.skriptart.de

 

Karte © NordNordWest

 

Alle Rechte vorbehalten.

© BRUNNAKR/apebook 2019

 

 

 

 

 

 

 

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INVASION DER GOTEN IN DAS RÖMISCHE IMPERIUM (Gemälde von O. Fritsche)

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

KAMPF UM ROM. Band IV: Gotendämmerung

Impressum

Frontispiz

Karte der Gotenkriege

TEIL 1

ERSTES KAPITEL

ZWEITES KAPITEL

DRITTES KAPITEL

VIERTES KAPITEL

FÜNFTES KAPITEL

SECHSTES KAPITEL

SIEBENTES KAPITEL

ACHTES KAPITEL

NEUNTES KAPITEL

ZEHNTES KAPITEL

ELFTES KAPITEL

ZWÖLFTES KAPITEL

TEIL 2

ERSTES KAPITEL

ZWEITES KAPITEL

DRITTES KAPITEL

VIERTES KAPITEL

FÜNFTES KAPITEL

SECHSTES KAPITEL

SIEBENTES KAPITEL

ACHTES KAPITEL

NEUNTES KAPITEL

ZEHNTES KAPITEL

ELFTES KAPITEL

ZWÖLFTES KAPITEL

DREIZEHNTES KAPITEL

VIERZEHNTES KAPITEL

FÜNFZEHNTES KAPITEL

SECHZEHNTES KAPITEL

SIEBZEHNTES KAPITEL

ACHTZEHNTES KAPITEL

NEUNZEHNTES KAPITEL

ZWANZIGSTES KAPITEL

EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL

ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL

DREIUNDZWANZIGSTES KAPITEL

VIERUNDZWANZIGSTES KAPITEL

FÜNFUNDZWANZIGSTES KAPITEL

SECHSUNDZWANZIGSTES KAPITEL

SIEBENUNDZWANZIGSTES KAPITEL

ACHTUNDZWANZIGSTES KAPITEL

NEUNUNDZWANZIGSTES KAPITEL

DREISSIGSTES KAPITEL

EINUNDDREISSIGSTES KAPITEL

ZWEIUNDDREISSIGSTES KAPITEL

DREIUNDDREISSIGSTES KAPITEL

VIERUNDDREISSIGSTES KAPITEL

FÜNFUNDDREISSIGSTES KAPITEL

SECHSUNDDREISSIGSTES KAPITEL

SIEBENUNDDREISSIGSTES KAPITEL

ACHTUNDDREISSIGSTES KAPITEL

NEUNUNDDREISSIGSTES KAPITEL

VIERZIGSTES KAPITEL

TEIL 3

ERSTES KAPITEL

ZWEITES KAPITEL

DRITTES KAPITEL

VIERTES KAPITEL

FÜNFTES KAPITEL

SECHSTES KAPITEL

SIEBENTES KAPITEL

ACHTES KAPITEL

NEUNTES KAPITEL

ZEHNTES KAPITEL

ELFTES KAPITEL

ZWÖLFTES KAPITEL

DREIZEHNTES KAPITEL

VIERZEHNTES KAPITEL

FÜNFZEHNTES KAPITEL

SECHZEHNTES KAPITEL

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Zu guter Letzt

 

ERSTER UND ZWEITER GOTENKRIEG

 

 

 

 

 

 

 

 

TEIL 1

 

 

 

 

»Heil, daß uns dieser Sonnen–Jüngling lebt.«

 

Nibelungen

 

ERSTES KAPITEL

 

Wenige Tage nach dem Tode Mataswinthens und der Abreise des tieferschütterten Prinzen kam eine Botschaft aus Castra nova, die den Aufbruch byzantinischer Truppen von Ravenna notwendig machte.

Hildebad war durch flüchtige Goten, die sich durch die Linien der Belagerer geschlichen, von der verräterischen Gefangennehmung des Königs unterrichtet worden. Da ließ er durch Gefangene, die er freigab, Belisar und Cethegus, jeden einzeln oder beide zusammen, wie sie wollten, zum Zweikampf laden, »wenn sie eine Ader von Mut, einen Tropfen von Ehre im Leibe trügen«.

»Er glaubt Belisar noch im Lande und scheint ihn nicht eben zu fürchten«, sagte Bessas. – »Hier läge ein Mittel« erwiderte Cethegus lauernd, »den ungestümen Raufbold zu verderben. Aber freilich, Mut gehört dazu. Mut, wie ihn Belisar gehabt.«

»Du weißt, ich weiche ihm auch darin nicht.«

»Gut«, sprach Cethegus, »folge mir in mein Gemach.

Ich will dir Rat und Mittel zeigen, den Riesen zu vernichten. Du sollst vollbringen, was Belisar mißlang.« Zu sich selber aber sprach er: »Bessas ist zwar ein löblich schlechter Feldherr, aber Demetrius kein besserer, und leichter zu leiten. Und Bessas schuld' ich noch Vergeltung für das tiburtinische Tor zu Rom.«

Nicht ohne Grund hatte der Präfekt gefürchtet, der schon fast erloschene Widerstand der Goten werde sich neu beleben bei der Kunde von der hinterlistigen Vernichtung des Königs.

Mit jedem Mittel hatte er daher jene Erklärung von Witichis erzwingen wollen, die jede Begeisterung der Rache erstickt haben würde. Noch war an den alten Hildebrand zu Verona, an Totila nach Tarvisium und an Teja zu Ticinum keine genauere Nachricht gelangt. Nur die Kunde, daß Ravenna gefallen, der König gefangen sei, hatte sie erreicht. Dunkel verlautete dabei der Verrat. Und der Schmerz und Zorn der Freunde ließen es sich nicht nehmen: mit rechten Dingen könne nicht die feste Stadt, der wackre König erlegen sein. Statt sie zu entmutigen, verstärkte das Unheil die Kraft ihres Widerstandes. In wiederholten glücklichen Ausfällen schwächten sie die Belagerer. Und diese sahen sich schon fast genötigt, die Einschließung aufzugeben.

Denn die Anzeichen einer bedeutsamen Veränderung der Verhältnisse in ganz Italien strömten von allen Seiten auf sie ein.

Diese Veränderung war ein sich rasch vollziehender Umschwung in Stimmung und Gesinnung der römischen Bevölkerung, wenigstens des gesamten Mittelstandes: der Kaufleute und Handwerker in den Städten, der Bauern und Colonen auf dem flachen Lande.

Die Italier hatten überall die Byzantiner jubelnd als Befreier begrüßt. Aber nach kürzester Zeit legte sich dieser Jubel. Im Gefolge Belisars zogen ganze Scharen von Finanzbeamten aus Byzanz, von Justinian gesendet, sofort die Früchte des Kampfes zu ernten und die immer leeren Kassen des Ostreichs mit den Reichtümern Italiens zu füllen. Mitten in den Leiden des Krieges begannen und betrieben diese Eifrigen ihr Werk. Sowie Belisar eine Stadt besetzt hatte, so berief der mit eingerückte Logothetes (Kassenrechnungsführer) alle freien Bürger in die Kurie oder auf das Forum, ließ die Bürger sich selbst nach dem Vermögen in sechs Klassen teilen und forderte nun je die ärmere Klasse auf, die nächst höhere nach ihrem Vermögen zu schätzen. Auf Grund dieser Schätzung legten dann die kaiserlichen Beamten jeder Klasse eine möglichst hochgegriffene Steuer auf.

Und da sie, schon durch die Vorenthaltung, Verkürzung, Verzögerung bei dem niemals pünktlich bezahlten Gehalte fast darauf angewiesen, stets neben den Kassen des Kaisers die eigne Tasche zu füllen bedacht waren, wurde der Druck unerträglich. Die Logotheten waren nicht zufrieden mit den hohen Steuersätzen, die der Kaiser für drei Jahre vorausbezahlt verlangten mit der besonderen, jeder befreiten Stadt Italiens auferlegten »Freiheits–, Dank– und Freudenschatzung« – neben den starken Beisteuern und Lieferungen, die Belisar und seine Heerführer zur Verpflegung des Heeres ausschreiben mußten – denn von Byzanz kam weder Geld noch Vorrat –, verlegten sich jene Finanzkünstler darauf, mit besonderen Mitteln den reicheren Bürgern noch besondere Zahlungen abzunötigen.

Sie stellten überall Nachprüfungen der Steuerlisten an, entdeckten Rückstände aus der Zeit der Gotenkönige oder gar noch aus den Tagen Odoakers und ließen den Bürgern nur die Wahl zwischen ungeheuren Abfindungssummen oder ungeheuren Rechtsstreiten mit dem Fiskus Justinians, der noch nie einen Prozeß verloren.

Waren aber die Steuerlisten unvollständig oder zerstört – was häufig genug in diesen Jahren der Kämpfe geschehen –, so stellten die Rechnungsführer sie nach eigner Willkür wieder her.

Kurz, alle Finanzkünste, welche die Provinzen des Ostreichs zugrunde richteten, wurden seit Belisars Landung in ganz Italien geübt, soweit die kaiserlichen Waffen reichten.

Ohne Rücksicht auf die Not des Krieges spannten die Steuerboten dem Bauer das pflügende Rind aus dem Pflug, nahmen dem Handwerker das Gerät aus der Werkstatt, dem Kaufmann die Waren aus der Halle. In manchen Städten erhob sich das Volk, die Steuerlisten verbrennend, in hellem Aufruhr gegen seine Peiniger, die freilich alsbald in größeren Scharen mit strengerer Härte wiederkehrten. Mit afrikanischen Bluthunden jagten die maurischen Reiter Justinians die verzweifelnden Bauern aus ihren Waldverstecken, wohin sie sich geflüchtet, den Steuererhebern zu entrinnen.

Cethegus aber, der allein in der Stellung gewesen wäre, Abhilfe zu versuchen, sah dem allen zu mit berechnender Ruhe. Ihm war es erwünscht, daß Italien schon vor Beendigung des Krieges die Tyrannei von Byzanz fühlbar kennenlernte. Desto leichter würde er es mit fortreißen können, sich zu erheben mit eigner Kraft und nach den Goten auch die Byzantiner abzuschütteln. Mit Achselzucken hörte er die Klagen der Städtegesandten an, die seine Vermittlung anriefen, und gab die lakonische Antwort: »Das ist byzantisch Regiment ihr müßt euch dran gewöhnen.« – »Nein«, hatten die Abgeordneten von Rom gerufen, »das Unerträgliche gewöhnt man nicht. Und der Kaiser könnte ein Unerhörtes erleben, das er sich nicht träumen läßt.«

Dies Unerhörte konnte sich Cethegus nur als die Erhebung Italiens zur Selbständigkeit denken: er kannte kein Drittes. Aber er irrte. So klein er von seiner Zeit und seinen Landsleuten dachte – er hatte geglaubt, sie durch sein Beispiel gehoben zu haben. Jedoch den Gedanken: »Freiheit und Erneuerung Italiens«, seinem Geist so geläufig, ja so notwendig wie der Brust das Atmen – dies Geschlecht vermochte ihn nicht mehr zu fassen. Nur zwischen verschiedenen Herren schwanken und wählen konnten die Entarteten. Und da das Joch von Byzanz sich als unertragbar erwies, fing man an, wieder der milden Gotenherrschaft zu gedenken: eine Möglichkeit, die dem Präfekten gar nicht in die Gedanken geriet. Und doch kam es so.

Vor Tarvisium, Ticinum und Verona geschah schon jetzt im kleinen, auf dem flachen Lande, was sich im großen in den Städten wie Neapolis und Rom vorbereitete: die italische Landbevölkerung erhob sich gegen die byzantinischen Beamten und Soldaten, wie die Bewohner jener drei Städte in jeder Weise die gotischen Besatzungen unterstützten.

So wurden die Belagerer von Tarvisium genötigt, ihre Angriffe aufzugeben und sich auf Verteidigung ihres Lagers zu beschränken, nachdem Totila in einem Ausfall, unterstützt von bewaffneten Colonen des Flachlands, ihre Werke zum großen Teil zerstört hatte. Aus der Landschaft zog er nun Vorräte und Streiter in seine Feste. Mit froherem Herzen als seit sehr langer Zeit hielt Totila seinen Abendrundgang auf den Wällen von Tarvisium.

Die Sonne, die hinter den venetischen Bergen niedersank, vergoldete die Ebene vor ihm, und rote Wolken flogen freundlich an dem Himmel hin. Mit gerührtem Herzen sah er, wie die Bauern von der Umgegend von Tarvisium durch das geöffnete Tor strömten und seinen ausgehungerten Goten Brot, Fleisch, Käse, Wein zutrugen, während diese ins Freie eilten und nun Germanen und Italier, mit verschlungenen Armen, die jüngst gemeinsam über die verhaßten Feinde erfochtenen Vorteile gemeinsam feierten.

»Und sollte es denn unmöglich sein«, sagte der Sieger zu sich selbst, »diese Eintracht zu erhalten, zu erweitern über das ganze Land? Müssen denn die Völker beharren in unversöhnlichem Zwiespalt? Wie schön steht beiden diese Freundschaft! Haben nicht auch wir gefehlt, sie als Feinde, als Besiegte zu behandeln? Mit Argwohn ist man ihnen begegnet, statt mit ehrendem Vertrauen. Ihren Gehorsam haben wir verlangt, nicht ihre Liebe gesucht. Und diese wäre wohl des Suchens wert gewesen. War sie gewonnen – nie hätte Byzanz hier Fuß gefaßt. Die Lösung meines Gelübdes – Valeria! –, sie wäre nicht so unerreichbar fern. Wär' mir es noch vergönnt, auf meine Weise nach jenem Ziele zu ringen!«

Da unterbrach sein Denken und Träumen ein Bote von den vorgeschobenen Wachen mit der Meldung, die Feinde hätten ihr Lager eilig abgeräumt und seien in vollem Abzug nach Süden, gegen Ravenna – auf der Straße von Westen her wirble Staub, ein starker Haufe Reiter nahte, vermutlich Goten.

Erfreut, aber noch zweifelnd nahm Totila die Nachricht auf: er traf alle Vorkehrungen wider eine Kriegslist. Doch in der Nacht wurden seine Zweifel gelöst. Er wurde geweckt mit der Nachricht eines gotischen Sieges und des Eintreffens der Sieger. Er eilte in den Vorsaal und sah Hildebrand, Teja, Thorismut und Wachis.

Mit dem Zuruf »Sieg! Sieg!« begrüßten ihn die Freunde; und Teja und Hildebrand meldeten, daß auch bei Ticinum und Verona das Landvolk sich gegen die Byzantiner erhoben und ihnen geholfen habe, die Belagerer zu überfallen und, nach Zerstörung ihrer Werke, zum Abzug zu zwingen.

Aber bei diesem Bericht lag doch in Tejas Auge und Stimme noch tiefere, als die gewohnte Schwermut. »Was hast du neben dieser Freude Trauriges zu künden?« fragte Totila.

»Des besten Mannes schmähliches Verderben!« und er winkte Wachis, welcher nun die Leiden und den Tod des Königs und seines Weibes erzählte.

»Im Röhricht des Flusses«, schloß er, »war ich den Pfeilen der Hunnen entgangen. So leb' ich noch. Aber nur zu dem einen Ende, meinen Herrn, meine Herrin zu rächen an ihrem Verräter und Mörder, dem Präfekten.« – »Nein, mir ist des Präfekten Haupt verfallen!« sprach Teja. – »Das nächste Recht auf ihn«, sagte Hildebrand, »hast du, Totila. Denn einen Bruder hast du an ihm zu rächen.«

»Mein Bruder Hildebad!« rief Totila, »was ist mit ihm?« – »Schändlich ermordet ist er, Herr«, sprach Thorismut, »von dem Präfekten! Vor meinen Augen! Und ich konnt's nicht wenden.« – »Mein starker Hildebad tot!« klagte Totila. »Rede!«

»Der Held lag mit uns in der Burg Castra Nova bei Mantua. Das Gerücht vom empörenden Untergang des Königs hatte uns erreicht. Da forderte Hildebad beide, Belisar und Cethegus, zum Zweikampf. Bald darauf erschien ein Herold, meldend, Belisar habe die Forderung angenommen und erwarte deinen Bruder zum Kampf auf der Ebene zwischen unserem Wall und ihrem Lager. Frohlockend eilte dein Bruder hinaus, wir Reiter alle folgten. Wirklich ritt aus dem Zelte in seiner goldnen Rüstung, mit geschlossenem Helm und weißem Roßschweif, mit dem runden Buckelschild, uns allen wohlbekannt, Belisarius.

Nur zwölf Reiter folgten ihm. Allen voran auf seinem Rappen Cethegus, der Präfekt. Die andern Byzantiner hielten vor ihrem Lager; Hildebad befahl mir, mit elf Reitern ihm in gleichem Abstand zu folgen.

Die beiden Kämpfer begrüßten sich mit dem Speere: die Tuba tönte, und Hildebad sprengte auf seinen Gegner los. Im Augenblick flog dieser durchstoßen vom Pferd.

Dein Bruder, völlig unverletzt, sprang ab, mit dem Ausruf: 'Das war kein Stoß des Belisar!' und öffnete dem Sterbenden den Helm. 'Bessas!' rief er und sah, ergrimmt über den Betrug, gegen die Feinde.

Dann winkte der Präfekt. Die zwölf maurischen Reiter schleuderten ihre Speere – und schwer getroffen stürzte dein Bruder zusammen.«

Totila verhüllte sein Haupt. Teja trat ihm teilnehmend näher.

»Hör' zu Ende«, sprach Thorismut. »Da ergriff uns, die wir den Mord mit angesehen, grimmiger Schmerz. Wütend warfen wir uns auf die Feinde, die, auf unsre Entmutigung hoffend, aus dem Lager gedrungen waren. Nach wildem, heißem Kampf schlug sie unser Ingrimm in die Flucht. Nur seines Höllenrappens Schnelligkeit hat den von meinem Wurfspeer an der Schulter verwundeten Präfekten gerettet. Mit leuchtenden Augen sah dein Bruder noch unsern Sieg. Er ließ sich die Truhe, die er aus Ravenna entführt, vom Schloß herabbringen, öffnete und sprach zu mir: 'Kronhelm, Schild und Schwert Theoderichs. Bring' sie meinem Bruder!'

Und mit letztem Atem sprach er: 'Er soll mich rächen und das Reich erneuern. Sag' ihm, ich hab' ihn sehr geliebt!' Damit fiel er zurück auf seinen Schild, und seine treue Seele war dahin.«

»Mein Bruder! O mein lieber Bruder!« klagte Totila. Er lehnte sich an die Säule. Tränen brachen aus seinen Augen.

»Wohl ihm, der noch weinen kann!« sprach Teja leise.

Eine Pause des Schmerzes trat ein.

»Gedenke deiner Eidpflicht!« rief endlich Hildebrand. »Er war zwiefach dein Bruder! Du mußt ihn rächen!«

»Ja«, rief Totila aufspringend; und unwillkürlich riß er das Schwert aus der Scheide, dessen Griff ihm Teja hinreichte. »Ich will ihn rächen!«

Es war das Schwert Theoderichs.

»Und das Reich erneuern!« sprach feierlich, sich hochaufrichtend, der alte Hildebrand und drückte fest die Krone auf Totilas Haupt. »Heil dir, König der Goten!«

Totila erschrak. Er griff rasch mit der Linken nach dem goldnen Reif »Was tut ihr?«

»Das Rechte! Der Sterbende hat Weissagung gesprochen. Du wirst das Reich erneuern. Drei Siege rufen dich, den Kampf aufzunehmen. Gedenke des Bluteids. Noch sind wir nicht wehrlos. Sollen wir die Waffen aus der Hand legen? Sie vor Verrat und Tücke strecken?«

»Nein«, rief Totila, »das wollen wir nicht! und wohlgetan ist's, einen König wählen, als Zeichen neuer Hoffnung! – Aber hier steht Teja, würdiger, bewährter denn meine Jugend. Wählt Teja.«

»Mich als Bürgen der Hoffnung! Nein!« sagte dieser, das Haupt schüttelnd. »Erst trifft die Reihe dich! Dir hat der Bruder sterbend Schwert und Krone gesendet. Trage sie glücklich.

Ist dies Reich zu retten – wirst du es retten. Ist es nicht zu retten so muß noch ein Rächer übrig sein!«

»Jetzt aber«, fiel Hildebrand ein, »jetzt gilt es, Siegeszuversicht in alle Herzen schimmernd ausstreuen. Das ist dein Amt, Totila. Sieh, leuchtend taucht der junge Tag empor. Der Sonne früheste Strahlen brechen in die Halle und küssen glänzend deine Stirn. Das ist ein Götterzeichen. Heil, König Totila – du sollst das Gotenreich erneuern.«

Und der Jüngling drückte sich den Kronhelm fest auf das goldne Lockenhaupt und schwang das Schwert Theoderichs blitzend der Morgensonne entgegen. »Ja«, rief er, »wenn Menschenkraft es mag – ich will dies Reich erneuern.«

 

ZWEITES KAPITEL

 

Und König Totila hat sein Wort gehalten.

Noch einmal hat er die Macht der Goten, deren ganzer Halt in Italien bei seiner Erhebung zusammengeschrumpft war auf drei kleine Städte mit wenigen Tausenden von Bewaffneten, gewaltig aufgerichtet: gewaltiger, als sie zur Zeit Theoderichs gewesen.

Er vertrieb die Byzantiner aus allen Städten der Halbinsel – mit einer verhängnisvollen Ausnahme. Er gewann die Inseln Sardinien, Sizilien, Corsica zurück. Ja, noch mehr: siegreich überschritt er die alten Grenzen des Reichs, und da der Kaiser hartnäckig die Anerkennung des gotischen Reiches und Besitzstandes verweigerte, trugen, ihn zu zwingen, des Gotenkönigs Flotten bis tief in die Provinzen des oströmischen Reiches Schreck und Zerstörung.

Italien aber gewann unter seinem milden Zepter, unerachtet des nie völlig erlöschenden Kriegs, eine Blüte wie in den Tagen Theoderichs.

Und es ist bezeichnend, daß die Sage der Goten und Italier den glücklichen König bald als einen Enkel des Numa Pompilius oder des Titus oder Theoderichs, bald als dessen zur Wiederherstellung und Beglückung seines Reiches in jugendlicher Gestalt auf die Erde zurückgekehrten Genius feierte.

Wie der Aufgang der Morgensonne aus dunklem Nachtgewölk, Licht und Segen bringend und unwiderstehlich, wirkte seine Erhebung. Die finstern Schatten wichen Schritt für Schritt vor seinem Nahen: Glück und Sieg flogen vor ihm her, und die Tore der Städte, die Herzen der Menschen erschlossen sich vor ihm fast ohne Widerstand.

Die Genialität des Feldherrn, des Herrschers und des Menschen, die in diesem blonden Jüngling geschlummert hatte, die nur von einzelnen, von Theoderich und Teja, geahnt, von niemand in ihrem ganzen Umfang erkannt war, entfaltete sich nun glänzend, da sie vollen Flügelraum erhalten. Das Heiter–Jugendliche seines Wesens war in den schweren Prüfungen dieser Jahre, in den Schmerzen, die er zu Neapolis, vor Rom erduldet, in der fortwährenden Entbehrung der Geliebten, die ihm jeder Sieg der Byzantiner ferner rückte, zwar nicht ausgelöscht, jedoch in ernstere Männlichkeit vertieft worden. Aber jener schimmernde Grundzug seines Wesens war geblieben und warf den Zauber der Anmut der herzgewinnenden Liebenswürdigkeit über all sein Tun.

Getragen von der eigenen Idealität wandte er sich vertrauend überall an das Ideale in den Menschen. Und unwiderstehlich fanden die meisten, fanden alle nicht von überlegenen feindseligen Dämonen beherrschten Menschen seine zuversichtliche Berufung auf das Edle und Schöne. Wie das Licht erhellt, was es berührt, so schien die Hochherzigkeit dieses lichten Königs sich seinem Hof, seiner Umgebung mitzuteilen und auch die Gegner versöhnend zu ergreifen.

»Er ist unwiderstehlich wie der Sonnengott«, riefen die Italier.

Näher betrachtet lag das Geheimnis seiner großen und raschen Erfolge in der Kunst, mit welcher er, zugleich dem innersten Antrieb seiner Natur folgend, die neu vorgefundene Verbitterung der Italier über den Druck der Byzantiner überall zum Umschlag, zur Dankbarkeit für seine, für die gotische Milde zu steigern und umzulenken verstand.

Wir sehen, wie diese Stimmung das Landvolk, die reichen Kaufleute, die Handwerker in den Städten, die Colonen und kleinen und mittleren Bürger, also weitaus die Mehrzahl der Bevölkerung, bereits ergriffen hatte. Die Persönlichkeit des jungen Gotenkönigs zog sie dann vollends von den byzantinischen Drängern ab, von welchen auch das Waffenglück gewichen schien, seit die Goten mit dem helljauchzenden Schlachtruf: »Totila!« in den Kampf eilten.

Freilich blieb eine kleine Minderzahl unbeugsam: die rechtgläubige Kirche, die keinen Frieden mit den Ketzern kannte, starre Republikaner und der Kern der Katakombenverschwörung: die stolzen römischen Adelsgeschlechter, die Freunde des Präfekten. Aber diese kleine Zahl kam bei dem Abfall der Masse des Volkes nicht in Betracht.

Die erste Tat des neuen Königs war der Erlaß eines Aufrufs an die Goten und an die Italier. Jenen wurde genau dargetan, wie der Fall Ravennas und der Untergang des Königs Witichis nur das Werk überlegener Lüge, nicht überlegener Kraft gewesen, und eingeschärft wurde ihnen die Pflicht der Rache, die bereits drei Siege eröffnet hätten. Die Italier aber wurden aufgefordert, nun, nachdem sie erfahren, welchen Tausch sie durch den Abfall zu Byzanz gemacht, zu ihren alten Freunden zurückzukehren.

Dafür verhieß der König nicht nur volle Verzeihung, auch Gleichstellung mit den Goten. Aufhebung aller bisherigen gotischen Vorrechte, namentlich Bildung eines eignen italischen Heeres und, was durch den Gegensatz besonders wirkte: Befreiung alles italischen Bodens und Vermögens von jeder Steuer bis zur Beendigung des Krieges. Eine Maßregel höchster Klugheit war es ferner, daß, da der Adel byzantinisch, die Colonatbevölkerung gotisch gesinnt war, jeder römische Edle, der sich nicht binnen drei Wochen den Goten stellte und unterwarf, seines Grundeigentums, zugunsten seiner bisherigen Colonen verlustig erklärt wurde.

Und endlich setzte der König auf jede Mischehe zwischen Goten und Römern eine hohe, aus dem Königsschatz zu zahlende Prämie und versprach Ansiedelung des Paares auf konfisziertem Grundbesitz römischer Senatoren.

»Italia«, schloß das Manifest, »blutend aus den Wunden, welche die Tyrannei von Byzanz ihr geschlagen, soll sich erheben unter meinem Schilde. Helft uns, Söhne Italias, unsere Brüder, von diesem heiligen Boden die gemeinsamen Feinde, die Hunnen und Skythen Justinians, vertreiben. Dann soll im neuen Reich der Italier und Goten, gezeugt aus italischen Schönheit und Bildung, aus gotischer Kraft und Treue, ein neues Volk entstehen, desgleichen an Adel und Herrlichkeit noch nie die Welt geschaut.«

Als Cethegus der Präfekt auf seinem Feldbett zu Ravenna, wo ihn die Wunde fesselte, morgens vom Schlaf erwachend, die Nachricht erfuhr von Totilas Erhebung, sprang er mit einer Verwünschung aus den Decken.

»Herr«, warnte ihn der griechische Arzt, »du mußt dich schonen...«

»Hörst du nicht? Totila trägt die Gotenkrone! Jetzt ist nicht Zeit, sich zu schonen. Meinen Helm, Syphax.«

Und er riß Lucius Licinius, der die Botschaft gebracht, den Aufruf aus der Hand und las begierig.

»Ist das nicht lächerlich? Nicht Wahnsinn?« meinte dieser.

»Wahnsinn ist es, wenn die Römer noch Römer sind. Aber sind sie's noch? Sind sie es nicht mehr? – Dann schaffen wir – und nicht der Barbarenfürst – ein Werk des Wahns. Diese Probe darf gar nicht gemacht werden. Im Keime muß diese neue Gefahr zertreten werden. Der Streich gegen den Adel und für die Colonen ist ein Meisterstück. Er darf nicht Zeit haben zu wirken. Wo ist Demetrius?«

»Schon gestern abend aufgebrochen, Totila entgegen. Du schliefst, der Arzt verbot, dich zu wecken. Auch Demetrius verbot es.«

»Totila König, und ihr laßt mich schlafen! Wißt ihr nicht, daß dieser Blondkopf der Genius des Gotenvolkes ist? Demetrius will sich den Lorbeer allein holen. Wie stark ist er?«

»Den Goten mehr als zweimal unterlegen: Zwölftausend gegen Fünftausend.« – »Verloren ist Demetrius! Auf, zu Pferd! Bewaffnet alles, was eine Lanze tragen kann. Laßt nur die Wunden auf den Wällen. Dieser Brand Totila muß erstickt werden im ersten Knistern. Sonst löscht ihn kein Ozean von Blut mehr aus. Meine Waffen, zu Pferd.«

»So hab' ich den Präfekten nie gesehen«, sagte Lucius Licinius zu dem Arzt. »Es ist wohl das Fieber? Er erbleichte.«

»Er ist fieberfrei.«

»Dann fass' ich's nicht. Denn Furcht kann es nicht sein. Syphax, laß uns ihm folgen.«

Rastlos trieb Cethegus seine Scharen vorwärts. So rastlos, daß nur ein kleines Reitergefolge mit seinem Ungestüm und Pluto, seinem raschen und unermüdlichen Rappen, Schritt halten konnte. In weiten Zwischenräumen folgten Marcus Licinius, Massurius mit des Cethegus Söldnern und Balbus mit den in Eile bewaffneten Bürgern von Ravenna. Denn wirklich nur Greise und Kinder hatte Cethegus neben den Wunden in der festen Stadt zurückgelassen.

Endlich hatte der Präfekt wenigstens Fühlung mit dem Nachtrab des byzantinischen Feldherrn gewonnen. Totila zog von Tarvisium her nach Süden gegen Ravenna. Zahlreiche Haufen bewaffneter Italier, aus den Provinzen Ligurien, Venetien, Ämilia stießen zu ihm, durch seine Worte aufgerufen zu neuer Hoffnung und neuen Entschlüssen. Sie verlangten seine erste Schlacht gegen die Byzantiner mit schlagen zu dürfen.

»Nein«, hatte Totila ihren Führern erwidert, »erst nach der Schlacht faßt euren letzten Entschluß. Wir Goten fechten allein. Siegen wir, so mögt ihr uns folgen. Fallen wir, so soll euch nicht der Byzantiner Rache treffen. Wartet ab.«

Die Verbreitung solch hochsinniger Entscheidung zog neue italische Scharen zu den Goten heran.

Totilas Heer aber verstärkte sich von Stunde zu Stunde auf dem Marsche auch durch gotische Krieger, die einzeln oder in kleinen Scharen, aus der Gefangenschaft entkommen, oder auch aus ihren früher erreichten Verstecken wieder aufbrachen, nachdem sie den Verrat an Witichis und die Erhebung eines neuen Königs, das Wiederaufflammen des Krieges erfuhren.

Bei der Eile, mit welcher Totila vorwärts drängte, die frische Begeisterung seiner Scharen noch unverhüllt zu verwerten, und bei dem Eifer, mit dem Demetrius ihm entgegenflog, um ihn allein zu schlagen, stießen die beiden Heere bald aufeinander.

Bei Pons Padi war es.

Die Byzantiner standen in der Ebene, sie hatten den Fluß, den sie erst mit der Hälfte ihres Fußvolkes überschritten hatten, hinter sich. Da erschienen die Goten auf den sanft geneigten Höhen, den Rücken nach Nordwesten.

Die untergehende Sonne blendete die Byzantiner.

Totila übersah von dem Hügel, dicht vor den Feinden, deren Stellung. »Mein ist der Sieg«! rief er jauchzend, zog das Schwert und jagte mit seiner Reiterei auf die Feinde hernieder, wie der Falke auf seine Beute stößt.

Cethegus hatte bald nach Sonnenuntergang mit seinen Reitern das letzte, verlassene Lager der Byzantiner erreicht. Da jagten ihm schon die ersten Flüchtlinge entgegen. »Wende dein Roß, Präfekt«, rief ihm der erste Reiter zu, der ihn erkannte, »und rette dich. Totila über uns! Er hat Artabazes, dem tapfersten Führer der Armenier, mit eigner Hand Helm und Kopf durchhauen.«

Und unaufhaltsam jagte der Flüchtling weiter.

»Ein Gott vom Himmel führte die Barbaren!« schrie ein zweiter. »Alles verloren! Der Feldherr gefangen! Alles in wilder Flucht.«

»Unwiderstehlich ist dieser König Totila!« rief ein dritter und wollte an dem Präfekten vorbei, der den Weg versperrte.

»Sag's in der Hölle weiter!« sprach Cethegus und stieß ihn nieder. »Vorwärts!«

Aber kaum ausgesprochen, nahm er den Befehl zurück.

Denn schon fluteten in dichten Massen die geschlagenen Byzantiner, den ganzen Wald erfüllend, zurück und ihm entgegen. Der Präfekt erkannte: unmöglich war's mit seinem Häuflein die Flucht der Tausende aufzuhalten. Eine Zeitlang sah er unschlüssig dem Gewoge zu.

Schon wurden die gotischen Verfolger in der Ferne sichtbar. Da erreichte ihn verwundet Vitalius, ein Heerführer des Demetrius. »O Freund«, rief ihn dieser an. »Da ist kein Halten mehr! Das flutet fort bis Ravenna!«

»Ich glaub' es selbst«, sprach Cethegus. »Sie werden die Meinen eher mit sich fortreißen als stehen.«

»Und doch verfolgt uns nur die Hälfte der Sieger, unter Teja und Hildebrand. Der König wandte noch auf dem Schlachtfeld um. Ich sah ihn abziehen. Er schwenkte nach Südwesten.«

»Wohin?« fragte Cethegus aufmerksam, »sag' nochmal an! In welcher Richtung?«

»Nach Südwesten bog er aus!«

»Er will nach Rom!« rief Cethegus und riß den Hengst herum, daß er bäumend hochstieg. »Folgt mir! Zur Küste!«

»Und das geschlagene Heer? Ohne Führer!« rief Lucius Licinius, »sieh, wie sie fliehen!«

»Laß sie fliehen! Ravenna ist fest! Es wird sich halten. Hört ihr denn nicht? Der Gote will nach Rom! Wir müssen vor ihm dort sein. Folgt mir! An die Küste, der Seeweg ist frei! Nach Rom!«

 

DRITTES KAPITEL

 

Lieblich ist – und weit berühmt ob seiner Lieblichkeit – das Tal, in welchem die Passara von Norden her in die von Westen nach Südosten eilende Athesis rinnt. Wie eine vorgebeugte, nach dem schönen Südland sehnende Gestalt neigt sich in der Ferne auf deren rechten Ufer die Mendola heran.

Hier, oberhalb des Einlaufs der Passara, lag die römische Siedlung Mansio Majä. Noch etwas weiter flußaufwärts, auf beherrschendem Fels die Burg Teriolis. Heute heißt – von einem Berg »Muhr« oder »Mar« (Rutsche) – die Stadt Meran. Die Burg hat der Grafschaft Tirol den Namen gegeben. »Mansio Majä« klingt heute noch fort in dem Orte Mais, dem villenreichen.

Damals aber lag in dem Castrum Teriolis ostgotische Besatzung: wie in all den alten rätischen Felsennestern an der Athesis, Isarcus und Önus zur Abwehr der räuberischen Sueven, Alamannen und Markomannen oder, wie sie bereits genannt wurden: »Bajuvaren«, die in Rätien, am Licus und am untern Lauf des Önus saßen.

Aber auch abgesehen von der Besatzung der Kastelle waren gerade hier in dem fruchtreichen milden Tal, auf den nicht allzu schroffen, weidereichen Berghöhen ostgotische Sippen in großer Zahl angesiedelt worden.

Noch heute zeichnet die Bauern vom Meraner, Ultner und Sarntal eine seltne, edle, ernste Schönheit aus. Viel feiner, vornehmer und vertiefter als der bajuvarische Schlag am Inn, Lech und Isar sind die schweigsamen Leute. Mundart und Sage bestätigen die Annahme, daß hier ein Rest verschonter Goten fortblüht. Denn die Amalungensage, Dietrich von Bern und der Rosengarten lebt noch in den Ortsnamen und der Überlieferung des Volks.

Auf einem der höchsten Berge an dem linken Ufer der Athesis hatte sich voreinst der Gote Iffa niedergelassen: sein Geschlecht baute da fort. Der »Iffinger« heißt heute noch der Berg.

Auf dem Südabhang in halber Höhe des Berges war die schlichte Siedlung errichtet. Der gotische Einwanderer hatte bereits Kulturen hier angetroffen. Das rätische Alpenhaus, das schon Drusus vorgefunden, als er die sarenischen Bergvölker bezwang, charakteristisch und wohlgeeignet für die Alpen, hatte auf den Höhen keine Änderungen erfahren durch die römische Eroberung, die im Tal ihre Villen baute und auf den beherrschenden Felshügeln ihre Warttürme.

Die ganz romanisierten Bewohner des Etschtales waren nach der ostgotischen Einwanderung ruhig in ihren Sitzen geblieben. Denn nicht hier, sondern weiter östlich, von der Save her, über den Isonzo, waren die Goten in die Halbinsel eingedrungen, und erst nachdem Ravenna und Odoaker gefallen, hatte Theoderich in friedlich geregelter Ordnung seine Scharen auch über Norditalien und das Etschland verbreitet.

So hatten auch Iffa und die Seinen auf dem damals noch sarenisch benannten Berg sich mit den vorgefundenen römischen Ansässigen friedlich geteilt. Ein Drittel von Ackerland, Wiese und Wald, den dritten Teil von Haus, Sklaven und Vieh hatte auch hier, wie überall, der gotische Ankömmling vom römischen Wirt in Anspruch genommen. Im Lauf der Jahre jedoch hatte der römische Hospes diese nahe unfreiwillige Nachbarschaft mit den Barbaren unbequem gefunden. Er überließ den Goten gegen dreißig Paare der ausgezeichneten, aus Pannonien mitgeführten Rinder, die der Germane so trefflich zu züchten verstand, den Rest seines Eigens auf dem Berge und zog sich weiter gen Süden, wo die Römer dichter nebeneinander saßen.

So war nun der Berg der Iffinger ganz germanisch geworden. Denn plötzlich hatte einmal der jetzige Herr auch die wenigen römischen Sklaven verkauft und neue Knechte und Mägde germanischen Stammes, gefangene Gepiden, angeschafft. Dieser jetzige Herr der Siedlung hieß wieder Iffa, wie der Ahn. Er lebte einsam, ein silberhaariger Mann: ein Bruder, sein Weib und eine Schwiegertochter waren vor langen Jahren durch einen Bergsturz begraben worden. Ein Sohn, ein jüngerer Bruder und dessen Sohn waren König Witichis' Waffenruf gefolgt und nicht wiedergekehrt von der Belagerung Roms. So waren ihm nur seine beiden Enkelkinder geblieben, des gefallenen Sohnes Knabe und Mädchen.

Die Sonne war prachtvoll niedergegangen hinter den Bergen, die in weiter duftiger Ferne den Süden und Westen des unvergleichlichen Etschtales begrenzen.

Warmer rotgoldner Schimmer lag über dem mürben Porphyr der Berge, daß er erglühte wie dunkelroter Wein.

Da stieg langsam, Schritt vor Schritt, immer wieder anhaltend und, die Hand über die Augen gelegt, in den flimmernden Sonnenuntergang schauend, ein Kind – oder war es schon ein Mädchen? –, eine Schar Lämmer vor sich hertreibend, den Rasenhang hinan, auf dessen Höhe seitab vom Wohnhaus die Stallungen lagen.

Sie ließ ihren Schutzbefohlenen immer wieder Zeit, mit wählerischem Zahn die würzigen Alpenkräuter zu rupfen auf ihrem Weg, und schlug mit der Haselgerte, die sie statt des Hirtenstabes trug, den Takt zu der uralten und einfachen Melodie des Liedchens, das sie leise sang:

 

»Liebe Lämmer, laßt euch leiten

Von der Hirtin Hand, gehorsam,

Wie des Himmels lichte Lämmer,

Wie die Sterne still und stete

Fromm und friedlich ihrem hehren

Hirt gehorchen: mühlos meistert,

Mühlos mustert sie der Mond.«

 

Sie schwieg nun und sah mit vorgebeugtem Köpfchen in die tief eingeschnittene Schlucht zu ihrer Linken, die der hier abwärts fließende Wildbach in den Hang gefurcht hatte: jetzt, im Sommer, war er nur halb gefüllt: drüben stieg die Anhöhe wieder steil empor.

»Wo er nur ist?« fragte sie. »Sonst klettern seine Ziegen immer schon die Halde herab zurück, wann die Sonne zu Golde gegangen. Bald welken meine Blumen.«

Und sie setzte sich nun auf einen Steinblock am Wege, ließ die Lämmer noch grasen, legte die Haselgerte neben sich und ließ einen Schurz von Schaffell, den sie bisher mit der Linken aufgenommen hatte, niedergleiten: da fielen die schönsten Blumen der Alpen in dichten Flocken vor ihr nieder. Sie begann einen Kranz zu flechten.

»Der blaue Speik steht seinem braunen Haar am besten«, sagte sie eifrig windend. »Ich werde viel früher müde, wenn ich allein treibe, als wenn er dabei ist. Und doch klettern wir dann viel höher. Möchte wohl wissen, wie das kommt. Und wie mich die nackten Füße brennen! Ich könnte wohl einmal hinabsteigen in den Wildbach, sie zu kühlen. Und da sehe ich ihn auch gleich, wenn er drüben auf den Hang treibt. Die Sonne sticht nicht mehr.«

Und sie streifte das breite große Lattichblatt ab, das sie bisher statt eines Hutes getragen. Da ward die schimmernde Farbe des ganz weißblonden Haares sichtbar, das sie, von den Schläfen zurückgestrichen, mit einem roten Bande hinter dem Wirbel zusammengebunden und bisher unter dem umgebogenen Blatt geborgen hatte. Wie eine Flut von Sonnenstrahlen rieselte es nun über ihren Nacken, den nur ein weißes Wollenhemd bedeckte, das, um die Hüften mit breitem Ledergurt zusammengehalten, nur wenig über die Knie reichte.

Sie maß die Länge ihres Kranzes an dem eignen Haupt. »Freilich«, sagte sie, »sein Kopf ist größer! Noch diese Alpenrosen dazu!«

Und nun verknüpfte sie die beiden Enden des Kranzes mit zierlichem Bandgras, sprang auf, schüttelte die letzten Blumen aus dem Lederschurz, nahm den Kranz in die Linke und wandte sich, den steilen Abhang hinabzusteigen, an dessen Fuß der Bach an das Gestein toste.

»Nein, bleibt nur hier oben und wartet! Auch du bleib, Weiß–Elbchen, Liebling. Gleich komm' ich wieder.«

Und sie trieb die Lämmer zurück, die ihr folgen wollten und nun blökend der Herrin nachsahen.

Behend kletterte und sprang die Wohlgeübte den steinigen Abhang der Schlucht hinab, bald sich mit den Händen an zähem Gesträuch, Seidelbast und Goldweide haltend, bald kühnlich von Stein zu Steinplatte springend.

Unter ihrem Sprung bröckelte das mürbe Gestein, und die Trümmer polterten hinab – da, als sie den rollenden nachhüpfte, hörte sie plötzlich von unten ein scharfes, drohendes Zischen. Und eh' sie wenden konnte, bäumte sich, wohl von einem Stein unsanft aus der Sonnung gestört, eine große kupferbraune Schlange hoch gegen sie empor. Das Kind erschrak, die hurtigen Knie versagten, und laut aufschreiend rief sie: »Adalgoth, zu Hilfe! zu Hilfe!«

Auf diesen Angstton folgte sofort als Antwort ein heller Ruf: »Alarich! Alarich!« was wie ein Schlachtruf klang. –

Es knackte in den Gebüschen zur Rechten, Steine rollten den Hang hinab, und pfeilgeschwind flog zwischen die züngelnde Schlange und das ängstlich weichende Mädchen ein schlanker Bube in zottigem Wolfsvließ. Hoch schwang er den starken Bergstock gleich einem Speer, und so wohlgezielt war sein Stoß, daß die Eisenspitze den schmalen Kopf der Natter in die Erde bohrte. Ihr langer Lieb ringelte zuckend um den tödlichen Schaft.

»Gotho, du bist doch heil?« – »Dank dir, du Treuer!« – »Dann laß mich den Schlangenspruch sprechen, solang die Natter noch zuckt, das bannt ihre Gesippen auf drei Stunden im Umkreis.«

Und er sprach, die drei ersten Finger der rechten Hand wie beschwörend erhoben, den uralten Spruch:

 

»Warte, du Wolf–Wurm!

Zapple, Gezücht!

Beiße den Boden,

Giftigen Geifers;

Männer und Maide

Sollst du nicht sehren:

Nieder, du Neiding,

Du nichtige Natter,

Nieder zur Nacht:

Hoch ob den Häupten

Schuppiger Schlangen

Schreitet das schimmernde

Gotengeschlecht.«

 

VIERTES KAPITEL

 

Als er zu Ende gesprochen und sich neigte, die tote Schlange zu prüfen, drückte ihm rasch die Gerettete ihren Kranz auf das goldbraune, kurz–krause, dichte Haar.

»Heil, Held und Helfer! Sieh, der Siegeskranz war schon vorher gewunden. Eia, wie schön steht dir die blaue Krone.« Und sie schlug freudig bewundernd die Hände zusammen.

»Du blutest am Fuße!« sprach er besorgt, »laß mich die Wunde saugen – wenn dich der Giftwurm gebissen!« – »'s ist nur ein scharfer Stein. Möchtest wohl lieber du sterben?«

»Für dich, Gotho, wie gerne doch! Aber unschädlich wäre das Gift im Munde. Nun, laß dir die Wunde waschen: ich habe noch Essig und Wasser hier in der Lederflasche. Und dann leg' ich dir Salbei drauf oder heilsame Wegewarte.«

Und zärtlich drückte er sie nieder auf das Gestein, kniete vor ihr, hob den nackten Fuß sorgsam in seine linke Hand und pflegte ihn, die Mischung aus dem Kugelrund drauf träufend. Dann sprang er auf, suchte auf dem Rasen und kam bald mit den gefundenen Kräutern zu ihr zurück, mit den Lederriemen, die er sich vom eignen Fuße löste, die Blätter sorgsam über die kleine Wunde bindend.

»Wie gut du bist, Lieber!« sagte sie, sein Haupt streichelnd. – »Nun laß dich tragen – nur den Hang hinauf!« bat er. »Ich halte dich so gern auf meinen Armen.«

»Was nicht gar!« lachte sie aufspringend. »Bin kein wundes Lamm! Sieh, wie ich laufen kann. Aber wo sind deine Ziegen?«

»Dort kommen sie aus den Wacholderbüschen. Ich rufe sie!« Und er setzte das Hirtenrohr an den Mund und blies einen schrillen Ton, den Bergstock im Kreise über dem Haupte schwingend. In eilfertigen Sprüngen kamen die starken Ziegen herbei: – sie scheuten die Strafe! Und aus der Tasche einen dünnen Streifen Salz auf die Erde streuend, den die Tiere, gierig leckend, verfolgten, schritt er nun, den Arm zärtlich um des Mädchens Nacken gelegt, den Hang hinauf.

»Sag' mir nur, Lieber«, fragte sie, oben angelangt und die Lämmer sammelnd, »weshalb du heute wieder den Drachen ansprangst mit dem Ruf: 'Alarich! Alarich!' Wie neulich, da du mir den Steinadler von Weiß–Elbchen scheuchtest, das er schon in den Fängen hatte.«

»Das ist mein Schlachtruf!«

»Wer hat ihn dich gelehrt?«

»Der Ahn, da er mich zum erstenmal mitnahm auf die Wolfsjagd: als ich mir hier das Vließ von Meister Isgrimms Rippen holte. Da sprach er, als ich, 'Iffa, Iffa!' schreiend, ebenso, wie ich ihn rufen hörte, auf den Wolf, der nicht mehr entweichen konnte und sich mir stellte, mit dem Schwerte sprang: 'Du mußt nicht »Iffa« rufen, Adalgoth, wie ich. Wenn du Held oder Ungetier angehst, ruf du nur: »Alarich!« Das bringt dir Sieg.'«

»Heißt aber doch keiner unsrer Ahnen und Gesippen so, Bruder! Wir kennen doch ihre Namen alle.«

Und nun hatten sie die Stallungen erreicht, die Tiere hineingetrieben und sich vor der Türe des Wohnhauses, vor dem offenen Fenster, auf die Holzbank gesetzt, welche die Vorderseite des Hauses auf beiden Seiten der Haustüre umzog.

»Da ist«, zählte das Mädchen nachdenkend auf, »Iffamer, unser Vater, Wargs der Ohm, den der Berg verschüttet hat, Iffa der Ahn, Iffamuth, der andre Ohm, Iffaswinth, dessen Sohn, unser Vetter, und Iffarich, der Großahn und wieder Iffa – aber kein Alarich.«

»Und doch ist mir noch wie ein Dämmertraum aus der Zeit, da ich zuerst auf dem Berg umherzulaufen anfing, aus der Zeit vor dem großen Bergfall, der den starken Oheim Wargs begrub, als hätte ich den Namen oft gehört. Und er gefällt mir. Und der Ahn hat mir erzählt von einem Heldenkönig dieses Namens, der zuerst vor allen Helden die Romaburg bezwang: – du weißt, die Stadt, von welcher unser Vater und der Oheim Iffamuth und der Vetter Iffaswinth nicht wiedergekehrt sind, – und der dann früh verstarb, wie Siegfried, der Schlangentöter und Baldur, der Heidengott. Und sein Grab ist in einem tiefen Fluß. Da liegt er, auf goldenem Schild, unter seinen Schätzen: und hohes Schilf wogt darüber hin. Und nun hat sich ein andrer König aufgetan, der heißt Totila, wie die Heermänner, welche die Besatzung drüben in Schloß Teriolis ablösten, erzählten. Der soll sein wie jener Alarich und wie Siegfried und wie der lichte Sonnengott. Und ich, hat der Ahn gesagt, soll auch ein Kriegsmann werden, und einst hinabziehn zu König Totila und unter die Feinde stürmen mit dem Ruf 'Alarich, Alarich'. Und es ist mir auch schon lange verleidet, dies Umhersteigen hier auf dem Berg und das Ziegenhüten, wo kein Feind zu bekämpfen ist als der Wolf und höchstens ein Bär, der die Trauben und die Honigwaben benascht. Und ihr alle lobt mein Harfenschlagen und meine Lieder. Aber ich spüre, daß es damit nicht viel ist, und daß ich von dem Alten nichts mehr darin lernen kann.

Und ich möchte doch noch viel stolzere Weisen singen.

Und ich kann gar nicht genug erzählen hören von den Heermännern drüben in der Burg ,von den Siegen des Sonnenkönigs Totila. Neulich hab' ich dem alten Hunibad, den der König zur Pflege seiner Wunden hierher in die Ruhe geschickt hat, den schönsten Berghirsch geschenkt, den ich erlegt, dafür daß er mir die Schlacht an der Padusbrücke zum drittenmal erzählt. Und wie König Totila selbst den finstern Höllenkönig, den schrecklichen Cethegus, überwindet. Und ich habe schon ein Harfenlied davon gedichtet, das hebt an:

'Zittre und zage,

Zäher Cethegus:

Nicht taugt dir die Tücke:

Teja, der Tapfre,

Zertrümmert den Trotz dir:

Und taghell emportaucht,

Wie Maiglanz und Morgen

Aus Nacht und aus Nebel,

Der leuchtende Liebling

Des Himmels–Herrn:

Der schimmernd–schöne,

Der kühne König.'

Aber weiter geht es noch nicht. Und ich kann auch nicht allein weiter dichten. Ich brauche einen kundigen Meister für Wort und Harfe. Und auf den Speerschwinger Teja, den sie den schwarzen Grafen nennen, und der wunderbar die Harfe schlagen soll, möcht' ich auch ein halbfertiges Lied vollenden. Und ich wäre schon lang – aber das sag' ich nur dir – davongegangen, ohne den Ahn zu fragen, der immer noch sagt: ich bin zu jung. Wenn mich eins nicht hier hielte.« Und er sprang hastig auf.

»Was denn, Bruder?« fragte Gotho, ruhig sitzen bleibend und ihn aus großen hellblauen Augen voll ansehend.

»Ja, wenn du's nicht weißt«, – sprach er fast zornig, »sagen kann ich's dir nicht. – Ich muß hinüber und neue Pfeilspitzen schmieden in der Schmiedhütte. Gib mir noch einen Kuß, so! Und laß nun dir noch einen auf jedes Auge legen! Und einen auf das lichte Haar! Fahr wohl, lieb Schwesterlein, bis zum Nachtmahl.« Und er eilte hinweg von ihr nach einem Nebengebäude, vor dessen Tür ein Schleifstein und allerlei Arbeitsgerät stand.

Gotho stützte die Wange auf die Hand und sah vor sich hin, dann sagte sie laut: »Ich kann's nicht raten. Denn mich würd' er ja mitnehmen, natürlich. Wir könnten ja gar nicht leben ohne einander.«

Sie stand mit einem leichten Seufzer auf und wandte sich dem Wiesgrund neben dem Hause zu, nach dem Linnen zu sehen, das dort zur Bleiche lag.

Aber im Wohnhaus hinter dem offenen Fenster erhob sich jetzt der alte Iffa. Er hatte alles mit angehört. »Das tut kein gut mehr!« sprach er, sich lebhaft den Kopf reibend. »Hab's immer nicht über das Herz gebracht, die Kinder zu trennen. Waren ja Kinder! Hab' immer noch ein Weilchen gewartet. Und jetzt hätt' ich gar schon bald ein Weilchen zu lang gewartet. Fort mit dir, jung Adalgoth!«

Und er trat aus dem Wohnhaus und schritt langsam hinüber in die Schmiede.

Er fand den Knaben in eifriger Arbeit. Mit vollen Backen blies er in die Kohlenglut am Schmiedeherd und hielt dann die schon roh bearbeiteten Pfeilspitzen hinein, sie zu erweichen und hämmerbar zu glühen. Dann griff er mit der Zange die Spitze heraus, legte sie auf den Schmiedknecht, den Amboß, und hämmerte zierlich ihre Spitzen und Widerhaken zurecht.

Er nickte nur stumm dem eintretenden Großvater zu, ohne sich in der Arbeit stören zu lassen. Tapfer hieb er auf den Amboß, daß die Funken sprühten. »Nun«, dachte der Alte bei sich, »jetzt denkt er doch nur an Pfeil und Eisen.«

Aber plötzlich schloß der junge Schmied mit einem sausenden Streich, warf den Hammer weg, strich sich über die glühende Stirn und fragte, rasch gegen Iffa sich wendend: »Ahn, woher kommen die Menschen?«

»Jesus, Wodan und Maria!« rief der Alte und trat erschrocken einen Schritt zurück. »Bub, wie kommst du auf solche Gedanken?«

»Die Gedanken kommen zu mir, nicht ich zu ihnen. Ich meine nämlich die ersten Menschen, die allerersten. Der lange Hermegisel da drüben in Teriolis, der aus der Arianerkirche zu Verona davongelaufen ist und schreiben und lesen kann, sagt: der Christengott habe in einem Baumgarten einen Mann aus Lehm gemacht und aus dessen Rippe, da er schlief, ein Weib. Das ist zum Lachen. Denn aus einer noch so langen Rippe kann man kein noch so kleines Mädchen machen.«

»Ja, ich glaub's auch nicht!« gestand der Alte, nachdenklich. »'s ist schwer vorzustellen. Und ich erinnere mich: mein Vater hat einmal gesagt, an einem Abend am Herdfeuer, die ersten Menschen seien auf den Bäumen gewachsen. Der alte Hildebrand aber, der sein Freund war, obzwar tüchtig älter – und der von Tridentum her auf einem Streifzug gegen die wilden Bajuvaren hier eingekehrt war, und der zunächst am Herde saß, – denn es war noch früh im Jahr und sehr rauh und kalt –, der sagte: mit den Bäumen, das sei richtig. Aber nicht gewachsen seien die Menschen darauf, sondern zwei Heidengötter – 'Dämonen' nennt sie Hermegisel – haben einst am Meeresufer den Eschenbaum und die Erle liegend gefunden: und aus ihnen bildeten sie Mann und Weib. Es geht auch noch ein altes Lied davon. Hildebrand wußte noch ein paar Worte draus. Mein Vater schon nicht mehr.«

»Das will ich schon lieber glauben! Aber jedenfalls waren da anfangs der Menschen sehr wenige?« – »Gewiß.« – »Und es gab nur eine Sippe anfangs?« – »Sicher!« – »Und die Alten starben meistens vor den Jungen?« – »Freilich.« – »Dann will ich dir was sagen, Ahn. Dann mußten die Menschen entweder aussterben. Oder, da sie noch da sind – und siehst du, da wollt' ich drauf hinaus –, mußten Bruder und Schwester sich oft heiraten, bis mehrere Sippen entstanden.«

»Adalgoth, dich reiten die Elben, du redest wirr.«