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Impressum

„Vernasch mich! (Vernaschen Teil 1)“ von Benjamin Larus

herausgegeben von: Club der Sinne®, Eichenallee 23 E, 16767 Leegebruch, Dezember 2019

zitiert: Larus, Benjamin: Vernasch mich!, 1. Auflage 2019

 

© 2019

Club der Sinne®

Inh. Katrin Graßmann

Eichenallee 23 E

16767 Leegebruch

www.Club-der-Sinne.de

kontakt@club-der-sinne.de

 

Stand: 01. Dezember 2019

 

Gestaltung und Satz: Club der Sinne®, 16767 Leegebruch

Coverfoto: © miami beach forever/shutterstock.com

Covergestaltung: Club der Sinne®

 

ISBN 978-3-95604-894-4

 

 

Dieses eBook ist urheberrechtlich geschützt.

 

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Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden und volljährig.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Erfundene Personen können darauf verzichten, aber im realen Leben gilt: Safer Sex!

 

 

Benjamin Larus

Vernasch mich!

(Vernaschen Teil 1)

 

In Anbetracht der Tatsache, dass ich mittlerweile schon eine stattliche Anzahl von Buchseiten mit Erzählungen aus meinem mehr oder weniger interessanten Leben vollgeschrieben habe, mag es paradox klingen, wenn ich feststelle: Es ist eigentlich nicht meine Art, zurückzublicken. Zumindest gehöre ich nicht zu den Leuten, die ständig Phrasen im Munde führen wie: Hätte ich doch nur …!, oder die sich ständig in Gedankenspielen ergehen, wie ihr Leben wohl verlaufen wäre, hätten sie an diesem oder jenen Punkt eine andere Entscheidung getroffen. Das mag sicher auch daran liegen, dass ich im Großen und Ganzen recht zufrieden damit bin, wie es bisher gelaufen ist.

Wenn ich manchmal eine Ausnahme mache, dann geht es meistens um Menschenbegegnungen. Sind nicht sie es vor allem anderen, die in unserem Leben die entscheidenden Weichen stellen? Kein Zweifel kann jedenfalls daran bestehen, dass mein eigenes heute ein völlig anderes wäre, hätte ich Guido nicht kennengelernt. Aber in seinem Fall glaube ich, dass es schon mit dem Teufel hätte zugehen müssen, wenn wir uns innerhalb unseres überschaubaren Umfeldes in unserer mittelhessischen Provinzstadt nicht irgendwann über den Weg gelaufen wären. In einem anderen Fall, der für unser beider Leben nicht minder entscheidend war, überkommt mich dagegen noch heute hin und wieder ein ehrfürchtiges Frösteln, wenn ich daran denke, was uns entgangen wäre – hätte ich in einem entscheidenden Moment nicht im Internet gesurft, hätte ich nicht ganz gegen meine Gewohnheit einen Beitrag in einem Forum veröffentlicht, in welches ich zuvor niemals auch nur einen Blick geworfen hatte, hätte eine andere Person nicht im selben Moment vor ihrem PC gesessen, hätte, hätte, hätte …

Natürlich war es auch vor neun oder zehn Jahren schon längst nichts Außergewöhnliches mehr, sich im Internet kennenzulernen. Was mich selbst betrifft, so muss ich allerdings sagen, dass ich mich seiner in Beruf und Alltag zwar ebenso routiniert bediente wie jeder andere meiner Generation, dass ich jedoch äußerst zurückhaltend war, was die private Nutzung betraf. Möglicherweise war dies durch den Widerwillen verschuldet, nach einem Acht-Stunden-Tag im Büro abermals auf einen mehr oder weniger flimmernden Bildschirm zu starren. So schwirrte, auch wenn man mir das nicht glauben mag, mit Mitte Zwanzig nicht ein Profil von mir durchs Internet, weder bei Facebook, bei Gayromeo oder sonst irgendwo. Insofern muss man es schon als unglaublichen Zufall bezeichnen, dass sich die Wege von Judith, Rebecca, Guido und mir überhaupt jemals gekreuzt haben.

Das Ganze kam so: Ich erwähnte Guido gegenüber ganz beiläufig einen Spielfilm mit bisexueller Thematik, den ich einmal gesehen hatte, ohne mich an dessen Namen zu erinnern. Meinem Geliebten als leidenschaftlichem Cineasten ließ das natürlich keine Ruhe, weshalb ich ihm versprechen musste, mich um Klärung zu bemühen. Zu später, einsamer Stunde saß ich daher eines Abends bettfertig in meinem schon abgedunkelten Zimmer, klappte seufzend meinen Laptop auf und widmete mich der Recherche. Die entsprechenden Suchbegriffe brachten mich nicht direkt weiter, führten mich aber auf die Seite eines bisexuellen Netzwerks – klar, warum war ich nicht gleich darauf gekommen? Da musste es doch eine einschlägige Literatur- und Medienliste geben.

Rückblickend vermag ich nicht mehr zu sagen, was mich dazu veranlasste, den Link zu den Foren anzuklicken – was interessierte mich, was dort und anderswo tagtäglich von Dummschwätzern und Möchtegern-Philosophen online gestellt wurde? In dieser Minute aber blieb ich dann doch an einigen der Überschriften hängen: Bin ich bi, wenn ich mir vorstelle, es mit einem Mann zu treiben?Hilfe, mein Mann will mich mit meiner Freundin verkuppeln!Habe Angst, schwul zu sein! O je, auf so etwas hatte ich ja eigentlich gar keine Lust. Mein eigenes Comingout, wenn man es denn so bezeichnen wollte, lag schon lange zurück, und zum Therapeuten taugte ich nun wirklich nicht. Trotzdem veranlasste mich die Neugier, die eine oder andere Veröffentlichung genauer zu lesen.

Schon nach etwa fünf Beiträgen ging ich dazu über, die Texte nur noch zu überfliegen. Bald hatte ich mir eine Klassifizierung zurechtgelegt, in welche sich die verschiedenen Berichte, Hilferufe und Stellungnahmen meist schon nach wenigen Zeilen einordnen ließen. Und irgendwie verspürte ich eine unerklärliche und für mich an sich untypische Aggressivität angesichts der Tatsache, wie schwer es sich hier manche Menschen machten im Umgang mit einigen ganz normalen, biochemischen Reaktionen. Entgegen meiner eingangs konstatierten Zurückhaltung im Internet verlangte mich danach, mich zu Wort zu melden, sei es, um zu helfen, sei es, um einigen dieser Jammerlappen einfach einen heilsamen Tritt in den Hintern zu verpassen.

Natürlich musste ich, um selbst einen Beitrag verfassen zu können, ein eigenes Profil mit E-Mail-Adresse und Namen erstellen. Auf die Schnelle fiel mir nichts Originelleres ein als BiBoy1985 – warum auch, ich hatte ja nicht die Absicht, mir unter diesem Pseudonym eine längere Existenz aufzubauen. Kaum hatte ich die nötige Prozedur mit hastiger Ungeduld hinter mich gebracht, hämmerte ich in die Tasten. Keine Ahnung, welcher Teufel mich in dieser Nacht ritt, dass ich mich in einer derart aggressiven und, nun ja, besserwisserischen Art in die Öffentlichkeit begab. Wie gesagt: so gar nicht meine Art!

„He, ihr da! Ich bin 23 Jahre alt und seit genau so vielen Jahren bisexuell – jawohl, so oder so gepolt ist man nämlich von Geburt an. Man sucht sich das nicht irgendwann aus, auch wenn manche von euch es offenbar erst spät gemerkt haben. Und schlaflose Nächte müsst ihr euch deswegen auch keine machen, ihr seid in guter Gesellschaft. Laut dem amerikanischen Sexualforscher Kinsey sind ungefähr 90 % aller Menschen in mehr oder weniger starker Ausprägung bisexuell, insofern wäre es also eher erstaunlich, wenn ihr wirklich ausschließlich hetero- oder homosexuell wärt.

Ich muss zugeben, ich habe aus unterschiedlichen Gründen ganz schön den Kopf geschüttelt, als ich mich eben durch einige eurer Beiträge hier gearbeitet habe. Habt ihr das selbst auch schon festgestellt, dass es hier vor allem zwei Kategorien von Problemstellungen gibt?

Typ Nr. 1: Mein Mann will, dass ich Sex mit einer Frau habe! Verständlich, welcher Mann findet das nicht geil (ich auch!)? Aber das gehört nicht in ein Bi-Forum. Wenn du dir als Frau nicht einmal im Traum vorstellen kannst, etwas mit einer anderen Frau zu machen, genauso wenig, wie du deine Suppe mit der Gabel essen oder dich verkehrt herum aufs Fahrrad setzen würdest, dann gehörst du entweder zur Minderheit der ausschließlich heterosexuellen Menschen (mein Beileid, dir entgeht eine Menge!) oder du hast die Richtige noch nicht getroffen. So oder so kannst du es nicht erzwingen, nur weil dein Kerl sich daran aufgeilen will. Typ 1 gehört also schon mal nicht in dieses Forum. Und Tschüss!

Typ Nr.2: Obwohl ich glücklich verheiratet bin, träume ich in letzter Zeit immer wieder davon, mit einem Mann Sex zu haben – bin ich jetzt schwul? Noch mal: Angst ist völlig fehl am Platze. Jedenfalls nicht mehr oder weniger, als du haben müsstest, wenn du vom Sex mit einer anderen Frau träumen würdest. Schwul (oder, in deinem Fall, da du ja wohl eine Frau liebst: bi) zu sein, ist keine Krankheit, sondern eine weit verbreitete Laune der Natur. Die Gedanken sind frei, heißt es so schön – die Gefühle aber erst recht! Und wie du es mit ehelicher Treue usw. hältst, ist keine Frage von hetero, schwul oder bi. Einige von euch aus dieser Kategorie Nr. 2 stellen darüber hinaus noch fragwürdige Betrachtungen an von der Art: Küssen fände ich eklig, aber mir von einem Typen mal einen blasen lassen, das fände ich irgendwie geil. Ja, betrügt euch nur selbst! Ich garantiere euch: Wenn euch der Richtige über den Weg läuft, tut ihr alles, was ihr mit einer Frau auch tun würdet – und vielleicht sogar noch mehr! Denn das wird hier ebenso immer wieder vergessen: Bisexualität beschränkt sich nicht auf SEX im engeren Sinne. Manchmal mag es einem damit genug sein, aber genau wie bei Partnern des anderen Geschlechts werdet ihr die Erfahrung machen, dass Sex, gepaart mit LIEBE, durch nichts zu übertreffen ist! In diesem Sinne: Schluss mit dem Gejammer, hört auf eure Gefühle und akzeptiert euch, wie ihr seid!“

Ich habe gezögert, ob ich meinen Beitrag von damals im originalen Wortlaut hier zitieren soll. Er war wirklich keine Meisterleistung. Obwohl ich durch nichts und niemanden provoziert worden war, hatte ich in einer Art Kurzschlussreaktion all jenen Menschen, die es weniger leicht hatten als ich, eine ziemlich überhebliche Standpauke gehalten. Aber nun war sie draußen, und ich kümmerte mich nicht weiter darum. Heutzutage hätte ich wohl mit einem wahren Shitstorm rechnen müssen, aber erstens weiß ich nicht, ob dieses Wort damals überhaupt schon existierte, zweitens war dieses Forum offensichtlich nicht gerade eines der am stärksten frequentierten im Netz (so viel zu den Kinseyschen neunzig Prozent …).

Damals bekam man noch nicht mittels Smartphone und Push-Diensten in Echtzeit immer und überall seine E-Mails nachgeschickt, und in unserer Firma war private Internetnutzung ja seit Frau Vollendorf nicht mehr gestattet. Daher kam ich meist, wenn überhaupt, erst zu vorgerückter Stunde dazu, mein Postfach zu kontrollieren. Weltbewegendes oder Dringendes war ohnehin selten darin zu finden. So hatte ich meine Wortmeldung im Bi-Forum eigentlich längst vergessen, als ich am nächsten Abend beiläufig meinen Laptop hochfuhr und kurz vor dem Zubettgehen auf ein Benachrichtigungsfenster besagter Bi-Seite aufmerksam wurde: „Godiva hat dir eine Nachricht geschickt.“

Zwar vermutete ich augenblicklich einen Zusammenhang mit meinem Forumsbeitrag, rechnete jedoch eher mit Protest, Tadel oder irgendetwas Hässlichem, das mir womöglich das Einschlafen erschweren würde. Insofern zögerte ich einen Moment, bevor ich die Nachricht öffnete. Ich gebe zu, nicht zuletzt war wohl der Nickname Godiva ausschlaggebend dafür, dass schließlich dennoch meine Neugier obsiegte – sah ich doch augenblicklich eine rothaarige Schönheit nackt auf einem kraftvollen Pferd vor meinem inneren Auge vorbeireiten.

 

Hallo Biboy!

 

Dein Beitrag hat mich neugierig gemacht.

 

Erst wollte ich mit dir schimpfen, weil du so hart mit all jenen ins Gericht gehst, die sich schwerer tun mit ihrer Sexualität als du. Wer vielleicht schon ein geordnetes Leben als solider Familienvater führt und erst nach Jahren feststellt, dass er von Männern erregt wird, für den ist bestimmt alles nicht so unproblematisch, wie du es gerne hättest.

 

Andererseits: So, wie du es darstellst, sieht alles tatsächlich ganz einfach und natürlich aus, und das hat mich irgendwie berührt. Genau das aber geschieht, ich gebe es zu, zum ersten Mal in diesem Forum. Denn obwohl ich schon seit Monaten hier herumlese, ging es mir mit all den Beiträgen wohl genauso wie dir: Keiner hat mich tatsächlich angesprochen. Vielleicht hätte ich selbst mal einen Beitrag verfassen sollen, aber ich wusste einfach nicht, wie ich das beschreiben soll, was mich beschäftigt, und schon gar nicht, was ich all diesen anderen Menschen hätte antworten sollen.

 

Warum schreibe ich dir jetzt? Was will ich von dir? Gute Frage. Eigentlich weiß ich das selbst nicht so recht. Um ehrlich zu sein, ein Stück weit bin ich einfach neugierig: ein junger Mann von gerade mal 23 Jahren, der bereits zu einem ganz natürlichen Umgang mit seiner Bisexualität gefunden zu haben scheint, das ist erstaunlich! Wie kam es dazu? Hat sich bei dir wirklich alles so natürlich ergeben? Und wie sieht dein Leben damit aus? Hast du einen Partner / eine Partnerin? Akzeptiert er / sie deine Veranlagung? Ich weiß, das sind sehr indiskrete und persönliche Fragen, aber im Rahmen eines solchen Forums und so ganz unter uns sind sie vielleicht erlaubt, auch wenn wir uns gar nicht kennen (oder vielleicht gerade deswegen). Gerne würde ich von dir lernen, denn ich habe das Gefühl, ich bin mit diesem Prozess noch lange nicht durch.

 

Ein paar Informationen über mich sollte ich dir wohl schon noch geben, wenn ich mir eine Antwort von dir erhoffe: Ich bin ein Jahr jünger als du, derzeit Studentin und habe über lange Zeit ein recht solides Leben geführt. Mit meinem langjährigen Freund aus Schulzeiten, der eigentlich meine einzige gründlichere Erfahrung in Sachen Sex war, ging es bald zu Ende, nachdem ich für mein Studium in die Großstadt gezogen war. Gleichzeitig hat sich für mich ein ganz neuer Horizont eröffnet in Person meiner Mitbewohnerin. Ich habe sie von Anfang an bewundert, bis schließlich mehr daraus wurde. Es war nicht nur der Sex mit ihr, der mir das Gefühl vermittelte, bis dahin gar nicht richtig gelebt zu haben – sie ist einfach wundervoll!

Sie bezeichnet sich übrigens als bisexuell. Ich war ja zeitweise geneigt, den Männern für immer abzuschwören, aber sie selbst hat mich davor eindringlich gewarnt, und manchmal … aber ich habe schon viel mehr geschrieben, als ich eigentlich wollte!

Vielleicht bist du schon längst genervt von meinem problembeladenen Gesülze. Vielleicht hast du aber doch Lust, dich mit jemandem auszutauschen, der sich für deine Variante eines bisexuellen Lebenszuschnitts interessiert. Dann zögere nicht, mir zu antworten, jetzt, in einer Woche oder, wenn du erst später einmal Lust haben solltest, auch erst nach Jahren!

 

Bis hoffentlich dahin

 

Jana alias Godiva“

 

Uff. Das war eine Menge Holz zu später Stunde. Leute, die sich mehr als ich in Internetforen herumtreiben, mögen daran gewöhnt sein, solche und noch persönlichere Post von wildfremden Menschen zu bekommen, ich allerdings war, das muss ich zugeben, ziemlich beeindruckt. Natürlich fühlte ich mich auch ein wenig geschmeichelt angesichts der angeblichen Tatsache, dass es mir mit einem relativ belanglosen Beitrag aus dem Bauch heraus gelungen war, eine feinfühlige Seele zu einer ersten eigenen Wortmeldung zu veranlassen – wenn es stimmte, was sie da schrieb. Auf jeden Fall vermochte diese Person sich auszudrücken. Bei nochmaligem Durchlesen ihrer Nachricht fiel mir auf, dass ich nicht einen Fehler darin entdecken konnte. Nicht, dass es darauf ankäme oder ich gar den Oberlehrer spielen wollte.

Aber es sagte doch etwas aus über die Verfasserin (oder den Verfasser, auszuschließen war hier momentan noch gar nichts): Das war mitnichten der von Abkürzungen und Anglizismen durchsetzte, atemlos dahingetippte Internetstil des routinierten Chatters – da hatte jemand intellektuelles Niveau und in seinen (sofern das stimmte) jungen Jahren einen fast antiquierten Schreibstil, der mich mit aller Vorsicht womöglich sogar eine gewisse Seelenverwandtschaft vermuten ließ.

Es war bereits weit nach Mitternacht. Ich fühlte mich nicht gut dabei, eine solch persönliche Nachricht unbeantwortet zu lassen, aber irgendwo in mir meldete sich bei allem Interesse doch auch ein vernunftgebietend gereckter Zeigefinger, der mir riet, lieber eine Nacht darüber zu schlafen, bevor ich etwa einer völlig unbekannten Person gegenüber zu viel von mir preisgeben würde. Mit einem tiefen Seufzer fuhr ich meinen Laptop herunter, kroch unter die Bettdecke und beschloss, am nächsten Tag mein Bauchgefühl entscheiden zu lassen.

***

Ich kann mich noch erinnern, dass der folgende Tag einer von jenen war, da Guido und ich uns überhaupt nicht begegneten. So etwas kam unter der Woche leider gar nicht so selten vor, erst recht in letzter Zeit, da ich zwar vorerst in unserer gemeinsamen Heimatstadt wohnen geblieben war, zu meiner neuen Arbeit aber täglich nach Frankfurt pendeln musste. Wenn wir beide dann noch über den gemeinsamen Matratzensport hinaus unsere Körper fit halten wollten – Guido im Fitnessstudio und ich im Schwimmbad –, verblieben nur noch wenige Zeitfenster für unser Glück zu zweit. Aber, auch wenn es schmalzig klingt: Er war trotzdem immer bei mir. Und zumindest in dieser Zeit damals hatte ich irgendwie das so beruhigende wie aufregende Gefühl, er schaute mir bei allem, was ich trieb, über die Schulter. Wenn ich wieder einmal etwas tat, das nicht mit ihm abgesprochen war, beschlich mich mitunter ein Anflug schlechten Gewissens. Ich will nicht sagen, dass Guido mir verboten hätte, auf die Nachricht von Jana zu antworten, hätte ich die Sache an dem Tag mit ihm besprochen.

„Du bist ein erwachsener Mensch“, pflegte er bei solchen Gelegenheiten stets zu brummen und zuckte seine breiten Schultern in einer Art und Weise, die eigentlich ausdrückte: Du machst ja doch, was du willst, kleiner Spinner! Aber mir war klar, dass er zumindest skeptisch gewesen wäre.

Ja, ich weiß, es mag vielen unverständlich erscheinen, dass ich so viel hin und her überlegte, was einen scheinbar belanglosen E-Mail-Kontakt betraf. Aber, auch wenn sich das jetzt im Nachhinein leicht sagen lässt: Irgendwie hatte ich schon damals so ein Gefühl, dass diese Sache mich noch sehr beschäftigen würde. Ich gebe zu, ich war mir nicht sicher, ob sie eine positive Rolle in meinem Leben spielen oder ob womöglich eine Gefahr von ihr ausgehen würde – ich spürte nur, dass ich mit einer Antwort irgendetwas Unaufhaltsames in Gang setzen würde.

Während ich an dem Abend wie gewohnt im Schwimmbad meine Bahnen zog, konnte ich mir in Ruhe zurechtlegen, was ich Jana schreiben würde. Nur erst mal nicht zu viel von mir verraten! Diese Gefahr bestand, denn meine unvermindert fortbestehende Verliebtheit brachte es mit sich, dass ich am liebsten jedem wildfremden Menschen auf der Straße von Guido und meinem Glück erzählt hätte, aber davor musste ich mich schon aus einfachsten Datenschutzgründen hüten.

Als ich vom Schwimmen nach Hause kam, warf ich zunächst meine Klamotten von mir, hängte die nassen Sachen auf und machte mir etwas zu essen. Während ich dann ein paar belegte Brote in mich hineinstopfte, zog ich schon meinen Rechner heran und begann, mit einer Hand einen Entwurf zu tippen. Ich weiß, das soll ungesund sein.

 

Hallo Jana,

 

danke für Deine Nachricht. Sie verdient sicher eine Antwort.

 

Zunächst zu deinen konkreten Fragen:

 

Wie jeder Mensch habe auch ich mich verschiedene Male verliebt, mal glücklich, mal unglücklich. Dass es mal Jungs und mal Mädchen waren, nahm ich als naturgegeben hin. Wo steht geschrieben, dass man sich irgendwann entscheiden muss? Dass Exemplare beiderlei Geschlechts geeignet waren, mich sexuell zu erregen, hatte ich schon sehr früh bemerkt.

Da sich meine Eltern eigentlich nie sonderlich um mich gekümmert haben (das klingt jetzt hart, hat mir in mancher Hinsicht aber auch Einiges leichter gemacht), sind mir dramatische Coming-Out-Kämpfe mit Familie etc. erspart geblieben. Ich schäme mich in keiner Weise dafür, dass ich bin, wie die meisten sind (Stichwort: Kinsey), und es auch lebe. Trotzdem wissen in meinem sehr provinziellen (auch: beruflichen) Umfeld die wenigsten Bescheid. Mein Liebesleben ist Privatsache.

 

Ja, ich habe einen Partner. Ich kann mein Glück ja immer noch kaum fassen, aber ich habe tatsächlich meinen Traummann gefunden.

Dass er meine Bisexualität akzeptiert, möchte ich ihm geraten haben: Er ist nämlich selbst bi. ;-)

 

Nur noch kurz etwas zu Deiner Geschichte: Auch ich war nach einigen problematischen Erfahrungen mit Frauen und angesichts meines großen Glücks zeitweise geneigt, Eurem Geschlecht gänzlich abzuschwören. Aber das funktioniert nicht. Du kannst diese Seite von Dir nicht einfach deaktivieren. Und wenn du zu 100% lesbisch wärst, hättest du es ja nicht jahrelang mit Deinem Ex-Freund ausgehalten. Insofern hat Deine Freundin recht: Wenn du heterosexuelle Fantasien hast o.ä., lass sie zu! Sie sind ein Teil von Dir!

 

Wenn Du noch Fragen hast, schreib nur! Ansonsten wünsche ich Dir und Deiner Liebsten viel Glück und Liebe.

 

Ben

 

Vielleicht war schon das ein Fauxpas, bei so etwas seinen richtigen Namen anzugeben. Aber was sollte schon passieren?

***

Am nächsten Tag hatte Guido glücklicherweise so früh Schluss, dass er nach Frankfurt kommen und mich abholen konnte. Dabei fällt mir ein, dass ich meinen treuen Lesern längst ein paar Informationen schuldig bin, nachdem sie oben bereits so ganz nebenbei erfahren durften, dass ich meinen Arbeitsplatz gewechselt habe.