Kapitel 5


26. November

 

»Es gibt da ein Problem«, begann Reed, kaum dass Kalin eingetreten war. »Kommen Sie bitte und nehmen Sie Platz.«

Sie ging zum Schreibtisch, ohne etwas zu erwidern, und setzte sich. Reed wirkte aufgeregt, deshalb wartete sie darauf, dass er ihr sagte, was er auf dem Herzen hatte. Sie zupfte am Saum ihrer kurzen Jacke und rutschte auf der Sitzfläche herum.

»Coach Jenkinson hat sich über den Sicherheitsdienst beschwert.«

Kalin wollte seinem starren Blick mit den stahlblauen Augen am Liebsten ausweichen, und auf die Familienfotos schauen, die an einer Ecke seines Schreibtischs standen, oder durch das Fenster auf die Purcell Mountains blicken, denn die Aussicht war spektakulär, hielt ihm aber gezwungenermaßen stand. »Und wer ist das?«

»Der Trainer des Skiteams Holden. Sie müssen die Menschen schon kennen, die hier wichtige Rollen einnehmen. In Ihrer neuen Position können Sie sich nicht erlauben, ihn nicht zu kennen.«

Autsch. Ihr erster Tag als Sicherheitsleiterin, und schon wurde ihr etwas so Belangloses wie Unwissen bezüglich der einschlägigen Gesichter vor Ort vorgeworfen.

»Zwei Ihrer Männer sollten heute wohl einen Streit zwischen Steve McKenzie und einer Kontrolleurin an der Seilbahn schlichten.«

Kalins Magen verkrampfte sich. Dass sie ihre Arbeit als Personalmanagerin klaglos ausgeführt hatte, wollte sie auch in dieser Position beibehalten. Warum hatte sie bloß gedacht, sich auch im Sicherheitsbereich ohne Probleme behaupten zu können? Minipolizeichefin hörte sich klasse an, doch offengestanden: Was verstand sie denn schon von der Leitung der Sicherheitsleute in einem Skiressort oder von den Winkelzügen, die man dabei zwangsläufig machen musste?

»Haben die beiden denn etwas falsch gemacht?«

»Sie wollten Jenkinson und McKenzie offenbar einschüchtern.«

Letzterer ging mit Kalins Freundin Nora Cummings aus. Dass in Kleinstädten jeder mit jedem zu tun hatte, trieb sie schier in den Wahnsinn. Nahm sie die Sicherheitsmänner statt McKenzie in Schutz, stellte sie sich somit auch gegen Nora. »Dafür gab es bestimmt einen Grund.«

»Das ist aber nicht von Belang. Ich will, dass Jenkinson und McKenzie in Ruhe gelassen werden.«

»Egal was sie tun?«

Reed biss die Zähne zusammen. »Sie sind für den Betrieb hier einfach zu wichtig.«

Kalin würde seiner Aufforderung nachkommen, obwohl sie ihr nicht richtig vorkam. Aber solange sie ihre Arbeit nicht gut genug kannte, würde Sie Reeds Anweisungen schweren Herzens beherzigen. So viel also zu dem Vorsatz, Fred Morgan für sich zu gewinnen, damit er ihre Beförderung billigte. Sie hatte ihn bisher noch nicht einmal darauf angesprochen. »Ich gebe Fred sofort Bescheid.«

 

***

 

Sie wollte sich mit ihm über ihre Beförderung unterhalten, musste nun aber stattdessen Reeds Befehle für das Sicherheitsteam an ihn weiterleiten, was die Umstände enorm verkomplizierte, weshalb sie das Treffen am Liebsten ganz vermieden hätte.

Auf dem Weg über den Flur des Verwaltungsgebäudes rief sie Ben an. »Hast du gerade einen Moment Zeit?«

»Klar, ich bin in der Einsatzhütte.«

Sie betrat kurz ihr Büro, um Chica abzuholen, und ging dann zum Dorf hinunter, während sie aber einen Bogen um das Maschinenhaus machte. »Ich war eben bei Reed. Du glaubst nicht, was passiert ist.«

»Will er McKenzie verbieten, zum Hügel hochzufahren?«

»Woher weißt du von der ganzen Sache?«

»Ich war heute Morgen ebenfalls an der Seilbahn. Ich war derjenige, der die Gondel angehalten und ihn gezwungen hat, wieder abzusteigen.« Ben erklärte ihr nun auch alles Weitere.

»Reed hat gar nicht erwähnt, dass du dort gewesen bist.«

»Mist. Ob das wohl Ärger bedeutet? Jenkinson hat gedroht, er wolle dafür sorgen, dass man mich entlässt.«

»Das wird Reed bestimmt nicht tun, du hast schließlich nur deine Arbeit gemacht.«

»Mann, das hoffe ich. Mir leuchtet einfach nicht ein, was Nora an McKenzie findet.«

Chica zerrte an ihrer Leine, also zog Kalin sie zurück, damit sie bei Fuß ging. »Mir auch nicht. Reed erlaubt ihm jetzt sogar, ohne Ausweis zu fahren.«

»Echt? Und was ist mit Amber?«

Kalins Schritte polterten laut, während sie die Metalltreppe hinunterging, die den oberen Teil des Dorfes mit dem unteren verband, und Schnee rieselte bei jedem Schritt durch die Gitterstufen. Als sie den Pfad erreichte, war der Beinaufschlag ihrer Jeans links und rechts vereist. »Sie wird es wohl hinnehmen müssen. Es wird sogar noch besser: Er wies mich außerdem an, dem Sicherheitsteam zu befehlen, McKenzie und seinen Trainer ab sofort in Frieden zu lassen. Das wird Fred gar nicht in den Kram passen. Er weiß bisher noch gar nicht, dass ich jetzt seine Vorgesetzte bin, und ausgerechnet das soll jetzt meine erste Amtshandlung sein.«

»Es wird ihm nichts ausmachen. Immerhin kennt er Reed gut genug.«

»Ich habe gar nicht erst versucht, ihm zu widersprechen, wäre aber vielleicht klüger gewesen.« Wem auch immer eine Sonderbehandlung zuteilwerden zu lassen, war den Sicherheitsangestellten gegenüber garantiert das falsche Signal. Vielleicht war es möglich, dass sie Reed zur Besinnung bringen konnte, wenn er eine Zeit lang über den Sachverhalt nachgedacht hatte.

»An deiner Stelle würde ich nichts gegen den ersten Befehl einwenden, den er dir als Leiterin gegeben hat. Erklär Fred doch einfach, was geschehen ist.«

Morgans Büro befand sich zwischen einem Gemischtwarenladen und dem Creek Side Restaurant. Vom Balkon aus konnten die Sicherheitsleute ungehindert die Straße einsehen. »Ich bin jetzt vor seinem Büro. Bis später.«

Kalin lächelte und trennte die Verbindung. Sie freute sie sich lieber auf einen Abend mit Ben, als an die Blondine zu denken, die sich gerade wieder im Ressort herumtrieb.

In der Sicherheitszentrale, die so offen angelegt war wie ein Großraumbüro, gab es einen abgetrennten Bereich für Fred und eine Versammlungsnische für die Angestellten. Kalin setzte sich an den Konferenztisch. Sie fror an den Füßen, weshalb sie schnellstmöglich ihre Stiefel und die nassen Socken ausziehen wollte. Chica war an ihrer Seite geblieben und legte sich nun neben ihre Füße.

Kalin dachte, dass es einen solchen Treffpunkt auf jeder Polizeistelle gab. Trotz ihres Anliegens und des unglücklichen Austauschs mit Reed freute sie sich auf ihre Arbeit als Minipolizeichefin. An einer Wand hing eine Tafel mit Namen zweifelhafter Personen hier im Ressort, die der Sicherheitsdienst überwachen sollte. Diebe, Drogenhändler und Stalker. Auch dafür war sie jetzt verantwortlich.

»Danke, dass du dir Zeit für mich nimmst«, begann sie.

Fred holte einen Hundekuchen aus einer Schreibtischschublade und ging damit zu Kalin. Er setzte sich mit steifem Kreuz ihr gegenüber hin und legte genau vor sich einen Schreibblock nieder, den er immer dabei hatte, um sich Einzelheiten notieren zu können. Sie sah, wie verstohlen er tat, als er Chica das Leckerli gab, und sie mochte diesen Zug an ihm, weil er sein ansonsten sehr ernstes Wesen ein wenig auflockerte. Seine soldatisch kurz geschnittenen Haare umrahmten ein kantiges Gesicht, das meist absolut ausdruckslos blieb und es deshalb schwierig machte, aus ihm schlau zu werden.

»Schlimm, das mit Tom«, sagte Kalin nun. »Wie geht das Team mit seinem Tod um?«

»Relativ gut. Es ist eine eingeschworene Clique.«

»Reed hat den Männern für seine Beerdigung freigegeben.«

»Auch den Ersthelfern?«

»Die Skipatrouille kann alles übernehmen, was hier im Dorf anfällt. Sollte es erhebliche Schwierigkeiten geben, soll eben die RCMP helfen.«

»Das wird dem Team bestimmt gefallen«, erwiderte Fred. »Danke.

»Reed meinte, er hätte mit dir gesprochen.«

Er lächelte andeutungsweise. »Das stimmt. Glückwunsch übrigens zu deiner Beförderung.«

»Danke. Ich konnte nicht abschätzen, wie du darauf reagieren würdest, dass ich jetzt dein Boss bin. Tom hatte schließlich eine Menge Erfahrung.«

»Das ist kein Problem für mich.«

Kalin brauchte Freds Unterstützung. Er war entsprechend ausgebildet, und jedes Mitglied des Sicherheitsdienstes respektierte ihn. Obwohl er nicht gefragt hatte, verspürte sie den Wunsch, sich zu rechtfertigen. »Da die Saison bald anfängt, wollte Reed den Posten schnell wieder besetzen. An deinen Pflichten ändert das natürlich nichts. Der einzige Unterschied besteht darin, dass du deine Berichte fortan nicht mehr Tom, sondern mir vorlegst.«

Fred zuckte kurz mit dem Kinn, als wolle er nicken, könne sich aber nicht dazu durchringen, ihre Erklärung vorbehaltlos zur Kenntnis zu nehmen. »Okay.«

»Hast du irgendetwas dagegen?«

»Wer leitet denn jetzt das Personalbüro?«

Kalin ignorierte es, dass er ihre Frage einfach übergangen hatte. Sie vermutete, er brauche Zeit, um sich selbst darüber klar zu werden, ob er Anstoß an ihrer Beförderung nahm oder nicht, und ihm jetzt mitteilen zu müssen, wie Reed bezüglich der Auseinandersetzung an der Seilbahn entschieden hatte, würde dem Ganzen garantiert nicht zuträglich sein. »Ich habe Monica Bellman die Leitung überlassen.«

In diesem Moment entwich irgendwo pfeifend Luft, und Kalin hoffte, es handle sich nicht um einen Darmwind ihres Hundes.

»Gute Wahl. Sie hat den Job verdient.« Daraufhin wedelte Fred mit einer Hand vor seinem Gesicht herum und hielt sich die Nase zu. »Mensch, warst du das? Das stinkt ja ekelhaft.«

Kalin kam nicht umhin, loszulachen. Die Heiterkeit war ansteckend, und sogleich lachte Fred mit ihr.

Chica starrte ihr Frauchen mit ihren braunen Augen treuherzig an, als wolle sie sagen: »So, jetzt versuch mal, was dagegen zu unternehmen.«

Kalin öffnete das nächste Fenster. »Sie scheint genau zu wissen, was sie ausgefressen hat.«

Fred kicherte weiter. »Mich interessiert vielmehr, was sie gefressen hat.«

»Muss wohl etwas gewesen sein, das Ben ihr gegeben hat. Ich würde ihr so was nicht antun.«

Als der Gestank endlich verflogen war und sie zu lachen aufgehört hatten, sprach Kalin eine halbe Stunde lang über logistische Abläufe. Während der ersten Monate in ihrem neuen Arbeitsumfeld wollte sie gern in den wöchentlichen Sicherheitsmeetings einbezogen werden. Fred sollte hinterher persönlich für sie zusammenfassen, worum es gegangen war, ohne dass der Rest des Teams zuhörte. Sie bat ihn auch um die aktuellen Leistungsprofile der Mitglieder. Außerdem wollte sie jeden Mann selbst kennenlernen. Reed durfte sie auf keinen Fall noch einmal auf dem falschen Fuß erwischen.

Um ihre Füße herum bildete sich langsam eine Lache, als das Eis von ihrer Jeans schmolz, und ein Teil des Wassers floss in ihre Stiefel. »Eine Sache noch.«

Fred wartete.

»Ich habe heute Morgen mit Reed geredet.« Kalin schilderte die Unterhaltung und gab ihm ihr Fazit dazu.

Fred grunzte. »Hattest du schon das Vergnügen mit Coach Jenkinson?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Er zählt nicht gerade zu der Sorte, die sich Angst einjagen lässt. Wer war denn der Fahrer?«

»Steve McKenzie.«

»Da ist garantiert noch etwas anderes im Busch. Wenn die Zwei zusammen sind, schüchtert niemand sie ein, auch nicht unser Team.«

»Reed verlangt jetzt, dass wir sie gesondert behandeln. Egal was sie tun, sie brauchen nicht mehr auf unseren Sicherheitsdienst zu hören.«

»Und das hast du bewilligt?«

»Ja.«

Fred schaute ihr mit seinen mattgrauen Augen intensiv ins Gesicht. »Dein erster Akt als Sicherheitsleiterin sieht also so aus, dass du eine Regel abänderst, die ich vor Jahren festgelegt habe. Hier wird niemand gesondert behandelt!« Er bewahrte sich zwar einen höflichen Tonfall, doch sein Mienenspiel verhieß unterdrückte Wut.

»Ich habe ihm nicht zugestimmt, aber mir blieb keine andere Wahl.«

»Hat das irgendetwas mit Nora zu tun?«

»Was meinst du damit?«

»Du und sie, ihr seid doch befreundet, und Nora hat schließlich was mit McKenzie.«

»Ich habe jetzt mal nicht gehört, dass du das wirklich gesagt hast.« Wieder diese Kleinstadtbeziehungen … Wer zu Kalins Freundeskreis gehörte, war kein Geheimnis, doch ihr zu unterstellen, dass sie Vetternwirtschaft betrieb, war schlichtweg haltlos und ungerecht.

 

***

 

Nachdem Kalin Ben den Berg hinuntergefahren und ihn am Supermarkt hatte aussteigen lassen, wollte sie kurz in den Drugstore gehen, als ihr auf einmal Nora Cummings auffiel. Die Zweiundzwanzigjährige stand vor einem Regal und betrachtete die Schwangerschaftstests.

Kalin schlug sofort die Gegenrichtung ein, indem sie den Gang verließ, bevor Nora sie sehen konnte. Dann holte sie ihre Antibabypillen am Apothekenschalter ab und ging schnell zur Kasse.

Nun kreuzte Nora trotzdem ihren Weg. »Oh …«

Kalin schaute wohlweislich nicht auf die Hände ihrer Kollegin. Nora war hundert Pfund schwer, keine 1,60 groß und hatte kurze, schwarze Haare, die kreuz und quer von ihrem Kopf abstanden. Sie trug wie immer eine Cargohose und Unfallschuhe. Den Parka hatte sie, wie Kalin vermutete, in einem Army Shop gekauft. Sie selbst sah mit der bauschigen Skijacke, den engen Jeans und den Lederstiefeln vergleichsweise elegant aus, das wusste sie, dennoch kam sie sich der Kleineren gegenüber vor wie eine Giraffe.

Kalin hatte sich von Anfang an zu Noras quirliger Persönlichkeit hingezogen gefühlt. Trotz des Altersunterschiedes waren die beiden befreundet. Das Problem war allerdings, dass Nora sich von Steve McKenzie den Hof machen ließ, der sonst mit niemandem verkehrte außer seinen Mitfahrern und Trainern.

»Ben und ich gehen heute Abend ins Kino. Willst du vielleicht mitkommen?«

»Danke, nein.« Nora versteckte den Schwangerschaftstest hastig hinter ihrem Rücken. »Ich hab zu viel zu tun. Erstens tune ich für das Team Holden, zweitens mache ich gerade den Skiverleih für die Saison fertig. Mein Chef hat mir deshalb erlaubt, ihn abends herzurichten.«

»Das klingt doch gut. Du tunst also wieder für Steve?«

»Ja.« Nora strahlte. »Wir sind beide ganz aufgeregt. Sag mal, war heute nicht dein erster Tag als Sicherheitsleiterin? Wie ist es denn gelaufen?«

»Leider nicht so leicht, wie ich es mir vorgestellt habe.«

Nora verzog ihr Gesicht. »Wegen Steve an der Seilbahn?«

Kalin fragte sich, welche Version der Geschichte wohl im Ressort die Runde machte. »Demnach weißt du also Bescheid?«

»Steve ist manchmal …« Nora zuckte mit den Achseln, als sei damit alles erklärt.

»Mach dir keinen Kopf deshalb. Das wird sich schon wieder von selbst klären.« Kalin zahlte, steckte ihre Antibabypillen in eine Stofftasche, winkte Nora kurz zu und beobachtete, wie diese verschwand.

Während sie mit ihrem Pick-up im Leerlauf auf dem Parkplatz des Drugstores stand, sah sie die Reflexion des Auspuffs im Schaufenster. Sie drehte den Heizlüfter bis zum Anschlag auf und hielt ihre Hände vor die Schlitze, während sie auf Ben wartete. Auf Vicky Hamilton war sie bisher noch nicht zu sprechen gekommen. Hoffentlich löste sich das Ganze in Wohlgefallen auf. Kalin lenkte sich von diesem störenden Gedanken ab, indem sie die Passanten beobachtete.

Noras Cousin Donnie fuhr gerade im Rollstuhl über den verschneiten Parkplatz und stieg anschließend allein in seinen Van. Wie er sich ganz ohne Hilfe bei diesem Winterwetter durchschlug, beeindruckte Kalin immer wieder. Die Tür des Drugstores ging erneut auf und Ian, der Sohn ihres Vorgesetzten kam nun heraus. Er lief über den Platz. Sie hoffte, dass er Nora nicht mit dem Test gesehen hatte, denn so eine pikante Sache würde sich wie ein Lauffeuer im Ressort verbreiten.

Endlich kehrte Ben zurück und stieg auf der Beifahrerseite ein. Er schaute kurz auf die Uhr am Armaturenbrett. »Ist noch nicht zu spät. Auf geht's.«

Kalin fuhr los, verließ den Parkplatz und verbannte den Schwangerschaftstest aus ihrem Kopf.

 

Kapitel 8


Erster Tag – 28. November

 

Als Ian Reed das Verwaltungsgebäude verließ, hörte er bereits knirschende Schritte im Schnee, bevor er McKenzie sah. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, und das einzige Licht stammte von einer Straßenlaterne in der Nähe.

»Was hast du schon so früh im Tuning-Raum gemacht?«, fragte Steve.

Was Ian im Ressort tat, ging den Kerl nichts an, also log er einfach: »Arbeit für Charlie erledigt.«

McKenzie steckte die Hände in die Taschen seiner Jeans. Er trug seine eigene Skijacke, nicht die des Teams. Sie war nicht zugezogen und flatterte leicht im schwachen Wind. Folglich musste der Schnösel hergekommen sein, um in seinen Rennanzug zu schlüpfen.

»Weißt du schon das Neueste?«, fragte Steve. »Die Schlampe gehört jetzt ganz dir.«

»Wovon sprichst du?«

»Ich habe Nora gestern Abend abgesägt. Du kannst sie dir also gern krallen.«

Ian fühlte sich gekränkt und konnte sich das Ganze nicht erklären. Auch er hatte das Mädchen nicht gerade nett behandelt. »Nora ist kein Ding, das man einfach so herumreichen kann.«

McKenzie trat näher, sodass Ian seine Atemluft spüren konnte. »Sie hat sogar eine Überraschung für dich, und die verdienst du auch.«

Ian drehte sich wieder zum Tuning-Raum um, einfach, damit er den Typen nicht mehr sehen musste. Er hatte es kaum erwarten können, seinen Rennanzug zu tragen, aber jetzt wollte er keine weitere Sekunde mehr mit McKenzie verbringen. Bis zu seinem Trainingslauf blieb noch genug Zeit zum Umziehen.

»Möchtest du gar nicht wissen, was für eine Art von Überraschung es ist?«

Ian öffnete die Außentür. »Eigentlich nicht.«

»Nun gut, ich bin mir sicher, dass du es letzten Endes sowieso von ihr erfahren wirst. Ich habe gestern mit dem Coach gesprochen.«

Ian blieb abrupt stehen. »Ach ja?«

»Ich sagte zu ihm, wenn er mich im Team haben will, muss er dir den Laufpass geben. Mir ist es egal, dass dein Dad hier das Sagen hat. Der Coach wird garantiert zu mir halten.«

»Das glaube ich nicht.«

»Wenn ich ihm erzähle, dass du Nora als Waffe gegen mich benutzt und mir schon seit Monaten Knüppel zwischen die Beine wirfst, ist ihm bestimmt daran gelegen, dich von mir fernzuhalten. Ich bin schließlich derjenige, der seinen Traum wahr werden lassen kann. Genieße also deinen letzten Trainingstag.«

Ohne etwas zu entgegnen, trat Ian durch die Außentür und kehrte in den leeren Tuning-Raum zurück. Jenkinson konnte ihn unmöglich rauswerfen, wenn seine Fahrzeiten McKenzie wie eine Schnecke dastehen ließen. Ians gesamte Karriere hing also vom nächsten Trainingslauf ab, und er würde sein Bestes geben. Steve hatte ausgeschissen.

 

***

 

Als das Signal laut dröhnte, zog der Mann am Start seine Beine zurück, sein Kopf mit den Schultern schnellte nach vorn und er drückte sich über die Linie. Während er die gebogenen Stöcke dicht an die Seiten hielt, ging er leicht in die Knie und passierte so das erste Tor. Gegen das zweite stieß er mit einem Ellbogen, wahrte aber trotzdem sein Gleichgewicht. Er beschleunigte jetzt und fuhr am dritten vorbei, wobei die Zeitanzeige belegte, dass er bereits neunzig Stundenkilometer erreicht hatte. Die Kanten seiner Skier gingen durch das Eis wie Butter und hielten ohne Probleme.

Im Super-G, einer Kreuzung aus Riesenslalom und Abfahrt, waren mindestens fünfunddreißig Tore üblich, und die Teilnehmer durften anders als bei den Abfahrtsrennen zuvor keinen Testlauf absolvieren. Jeder bekam also nur eine einzige Chance und ging dabei bis an seine Grenzen.

Beim Umrunden des vierten Tores kantete der Fahrer stark ab, doch anstatt dass sich die Kraft auf den Schnee übertrug, löste sich plötzlich ein Schuh von der Bindung. Der Mann flog bei vollem Tempo in die Luft. Er streckte seine Arme aus, allerdings nicht schnell genug, um die Wucht des Aufpralls verringern zu können, und schlug mit dem Kopf hart auf die festgefahrene, vereiste Streckenoberfläche.

Der Fahrer rollte nun kraftlos mit schlackernden Gliedern wie eine Stoffpuppe den Berg hinunter. Als er durch das fünfte Tor krachte, blieb dessen Stange umgeknickt liegen. Das orangefarbene Sicherheitsnetz an den Rändern der Piste bewahrte ihn davor, in den Wald hineinzurutschen.

 

***

 

Tot! Ein Mitglied vom Team Holden war verunglückt. Für Kalin bestand kein Zweifel daran. Er atmete nicht einmal mehr schwach. Sein Hals wirkte außerdem seltsam verdreht. Sie würde diesen Anblick garantiert niemals wieder vergessen. Allerdings wusste sie nicht, wer derjenige war, dessen Leiche sich gerade in ihr Gedächtnis eingebrannt hatte.

Auf dem Rückweg zu ihrem Büro geisterten ihr Bens Worte durch den Kopf: »Ruf besser Reed an.« Nachdem sie ihm auf ihrem Schneemobil nachgejagt und nur wenige Sekunden hinter ihm bei dem gestürzten Fahrer angekommen war, hatte sie geahnt, dass der Mann aus dem Team Holden schwer verletzt war. Beim Verlassen der Piste hatte sie nicht bedacht, was Reed voraussichtlich wissen wollte. Ein solcher Fehler schmeichelte einer leitenden Angestellten natürlich nicht unbedingt.

Reed war in seinem Büro gewesen, wo sie ihm vom Sturz des Skifahrers aus dem Team Holden unterhalb des vierten Tores berichtet und dabei erwähnt hatte, dass Ben sich um ihn kümmerte. Der Geschäftsführer war extrem wütend geworden, weil sie nicht an der Unfallstelle gewartet hatte, um herauszufinden, wer der Mann war und ob er überlebt hatte. Daraufhin hatte sie gemeint, dass sie ihn für tot hielt. Dass sie mit dem Schneemobil fast gegen einen Turm der Seilbahn gefahren war, hatte sie dabei wohlweislich nicht erzählt.

Nun hielt sie sich an der Rückenlehne ihres Schreibtischstuhls fest, um ihr Gleichgewicht zu halten. Was hatte sie sich dabei nur gedacht, nicht nach den Namen des Gestürzten zu fragen? Bevor sie dazu kam, sich hinzusetzen, läutete ihr Handy.

»Können wir uns gleich treffen?«, fragte Ben so heiser, als ob er erkältet war.

»Wo bist du denn gerade?«

»Im Ressort. Steve McKenzie ist tot.«

Nora vergötterte McKenzie, und Kalin bemitleidete sie jetzt schon. Der Schwangerschaftstest. Ein Baby. Arme Nora … »Ich bin unterwegs.«

Vor lauter Eile vergaß sie beim Verlassen des Büros ihre Skimaske und die Handschuhe. Als sie das Café erreichte, fühlten sich ihre Ohren an wie gefroren. Sie drückte die Hände flach gegen die Seiten ihres Kopfs und war froh, keine Ohrringe zu tragen. Angesichts der Vorstellung von Metall in ihren Ohrläppchen fror sie noch bitterlicher. Beim Betreten des Mountain Side Café schalt sie sich selbst dafür, jetzt an ihre Ohren zu denken anstatt an Nora, die bestimmt völlig fertig sein würde.

Ben saß schon an einem Tisch und ließ den Kopf hängen, während er seine Hände an einem Pappbecher wärmte. Den anderen Kaffee schob er nun Kalin zu. Das Lokal beschwor mit seiner Einrichtung aus Zedernholz, dem Hartholzboden und den braungelben Wänden sofort ein anheimelndes Ambiente herauf. Bens verdrießliche Miene passte allerdings so gar nicht in diese Umgebung.

Er blinzelte mehrmals. »Man wird Nachforschungen anstellen.«

»Das macht nichts. Du hast schließlich alles richtiggemacht.« Der Kaffee duftete herrlich, aber sie stellte den Becher trotzdem zuerst beiseite und streichelte einen von Bens Unterarmen. »Hat schon jemand Nora Bescheid gegeben?«

Er fuhr sich mit einer Hand über die Augen und schnaufte. »Das weiß ich gar nicht.«

»Was ist denn passiert, nachdem ich losgefahren bin?«

Ben streifte seinen Sweater ab und legte ihn zusammengeknüllt auf einen Stuhl neben sich. Am Kragen seines T-Shirts von der Feuerwehr war ein Schweißkranz zurückgeblieben. Er ballte die Fäuste, wobei sich der Stoff an seinen Oberarmmuskeln spannte. »Ich habe versucht, ihn wiederzubeleben, bis wir den Notarztwagen erreicht haben, aber …«

»Nichts aber. Du hast ihn so sorgfältig behandelt, wie du konntest.«

»Er ist extrem schnell gefahren. Alle redeten natürlich jetzt von der Wasserinjektion, wegen der die Piste zu glatt gewesen sei.«

»Ich muss Reed anrufen und ihm sagen, dass es sich bei dem Fahrer um McKenzie gehandelt hat.«

»Er weiß es schon.«

»Er soll aber auch erfahren, dass man die Wasserinjektion als eine der Ursachen dafür ansieht. Wer weiß noch von McKenzies Tod?« Wenn sie beide allein waren, konnte man Ben sofort an der Nasenspitze ablesen, wie er sich fühlte, doch in der Öffentlichkeit ließ er sich nichts anmerken. Da er sie gerade bemüht ausdruckslos anschaute, schlussfolgerte sie, es bereitete ihm große Mühe.

»Ich war mit William in der Zentrale der Patrouille, als sich das Krankenhaus gemeldet hat. Er erzählte es Coach Jenkinson. Ich glaube nicht, dass die anderen Fahrer schon Wind davon bekommen haben. Mir geht's beschissen. Ich habe vorgegeben, McKenzie sei mir nicht geläufig und dann habe ich auch noch versucht, ihn am Trainieren zu hindern.« Ben wurde blass, und Kalin erkannte, dass er einen trockenen Mund bekommen hatte.

»Das war aber doch nicht absehbar. Sollen wir es Nora sagen?«

»Ich kann nicht. Allerdings werde ich Jenkinson von ihr erzählen. Er teilt es ihr aber am besten bald mit, denn ich bin mir sicher, dass sie Verdacht schöpft.«

»Was geschieht nun als Nächstes?«

Ben zuckte mit den Schultern. »Wir warten ab, bis uns jemand sagt, wie wir damit umgehen sollen. Ich will schließlich nicht der Schuldige sein, falls es zu den Medien durchsickert. Der Coach möchte bestimmt zuerst mit McKenzies Angehörigen und dann mit dem Team sprechen.«

»Kriegst du frei, wenn eure Nachbesprechung bei der Patrouille zu Ende ist?«

»Ich denke schon.«

Kalin hielt seine Hand. Wenn Ben niedergeschlagen war, musste er sich bewegen, still sitzen und Kaffee zu trinken half ihm nicht in solchen Situationen. »Lass uns Chica holen und dann mit den Schneeschuhen rausgehen.«

Auf einmal stürzte Nora ins Lokal. Sie machte große Augen, hatte sowohl den Reißverschluss ihrer Jacke nicht geschlossen, die Schnürsenkel ihrer Winterschuhe nicht zugebunden und ihre Arbeitsschürze unter den Knien hängen. Sie lief zu Kalin und Ben. Atemlos fragte sie ihn: »Hat Steve sich schlimm verletzt? Mir will niemand etwas Genaues sagen.«

Kalin stand auf und zog Nora behutsam an einem Ellbogen näher. »Setz dich doch erst einmal zu uns.«

Das Mädchen schaute zwischen den beiden hin und her, während es Kalins Hand drückte. »Es ist ernst, oder?«

»Er hat sein Gleichgewicht verloren, als er das vierte Tor passiert hat«, erzählte ihr Ben.

»Das habe ich schon gehört. Ihr wart da, also spuckt's aus.«

Bens gedämpfte Stimme war kaum zu hören. »Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll … Steve hat es nicht überlebt.«

»Unmöglich. Nicht er.«

»Das Krankenhaus hat gerade angerufen und es bestätigt.«

Nach Noras Erscheinen war Stille im Café eingekehrt. Kalin schaute sich um. Die anderen Gäste wichen ihrem Blick aus, bemühten sich aber merklich, etwas von der Unterhaltung mitzubekommen. »Verschwinden wir von hier, um in aller Ruhe weiterzureden.«

»Das darf einfach nicht wahr sein.« Nora hielt sich die Fingerspitzen vors Gesicht, während sie einen Ellbogen auf den Tisch stützte und weinte. Sie blieb für ihre Verhältnisse allerdings ungewöhnlich ruhig sitzen. Kalin und Ben gaben ihr etwas Zeit, um sich zu fassen.

Schließlich zupfte sie an Noras Ärmel, damit diese aufstand. »Komm jetzt, gehen wir doch in mein Büro.«

 

***

 

Die Tür zu Reeds Büro flog auf und knallte gegen die Wand, woraufhin Coach Jenkinson hineinstürmte. Als sie zurückprallte, trat er dagegen.

»Ich telefoniere gerade. Sie müssen warten.«

»Einen Scheißdreck muss ich!« Der Trainer riss Reed das Telefon aus der Hand und drückte auf die Beenden-Taste. Dann warf er es auf den Tisch. »Wir müssen reden, und zwar sofort!«

Gertrude verharrte in der Tür. »Soll ich den Sicherheitsdienst rufen?«

»Bleiben Sie gefälligst draußen und lassen Sie uns allein«, befahl ihr Jenkinson.

»Entschuldigen Sie sich bei ihr.«

Die Nasenlöcher des Trainers bebten, und er holte mehrmals tief Luft, um sich ein wenig zu beruhigen. »Tut mir leid, wegen des Ausrasters.«

»Wir brauchen nichts weiter, Gertrude, Sie können die Tür schließen«, sagte Gavin.

Sie nestelte an den Taschen ihres zu großen Pullovers und druckste herum.

»Es ist wirklich alles in Ordnung.«

»Ich bin dann an meinem Schreibtisch.«

Jenkinson stand unter Stress und war schon von Natur aus aggressiv, also blieb Reed angespannt und auf alles gefasst, bewahrte aber trotzdem Ruhe. »Ich bedauere zutiefst, was mit Steve McKenzie geschehen ist.«

Der Coach streckte einen seiner kurzen Zeigefinger aus, und fuchtelte damit nur wenige Zoll vor Reeds Gesicht herum. »Sie sind daran schuld.«

Dem Geschäftsführer wurde unangenehm warm und er spürte Nässe in seinen Achselhöhlen, ließ sich aber nicht verrückt machen. »Woran bin ich bitteschön schuld?«

»Stellen Sie sich doch nicht dumm – an McKenzies Unfall natürlich.« In Jenkinsons Mundwinkeln klebte Speichel, weshalb er seine Lippen leckte.

»Warum sollte ich das sein?«

»Das Team wird das Ressort verklagen. Ihre Streckentechniker haben den Boden zu stark vereist.«

Hätte Jenkinson nicht derart aufgelöst ausgesehen und würde zu körperlicher Gewalt neigen, wäre Reed jetzt nach Lachen zumute gewesen. »Dass Sie etwas gegen eine Bodenbeschaffenheit einzuwenden haben, die schnelle Abfahrten begünstigt, ist mir vollkommen neu. Wie oft haben Sie sich denn darüber beschwert, dass die Fahrer den Berg förmlich hinunterkriechen würden?« Er wartete, während sein Gegenüber die Hände abwechselnd zu Fäusten ballte und wieder öffnete.

Jenkinson antwortete ihm nicht.

»Ziemlich oft. Sie baten ausdrücklich um eine erneute Injektion.« Reed hatte mit den Streckentechnikern über die Rennbedingungen für die Frühphase der Saison gesprochen. Milde Temperaturen oder Regen während der Herbstmonate konnten zur Schließung der Piste führen. Um sicherzugehen, dass sie für die Trainingszeit befahrbar blieb, musste der Schnee nun einmal mit Wasser injiziert werden. Wenn niemand die Piste benutzen durfte, machte das Ressort Verluste, je länger dieser Zustand andauerte.

Die Trainer hatten den Geschäftsführer wegen einer erneuten Injektion unter Druck gesetzt, denn die Sportler sollten unter Bedingungen trainieren, die jenen im eigentlichen Wettkampf so gut es ging, ähnelten. Die Bewässerung war also sowohl für das Ressort als auch für die Teams gut gewesen und ermöglichte dank vereister Flächen hohe Fahrgeschwindigkeiten.

»McKenzie hat seinen Ausweis nicht bei sich getragen«, meinte nun Jenkinson.

»Was spielt denn das in diesem Zusammenhang für eine Rolle?«

»Auf jedem steht diese Bedingung in der Haftungsklausel des Ressorts. Vor Gericht wird das keinen guten Eindruck hinterlassen.«

»Warum versuchen Sie eigentlich die ganze Zeit, diesen Unfall jemand anderem in die Schuhe zu schieben?«

»Weil es einen Verantwortlichen für das geben muss, was ihm zugestoßen ist.« Der Trainer fuhr sich mit einem Handrücken über den Mund. »Glauben Sie bloß nicht, Ians Platz in der Mannschaft sei damit jetzt sicher.«

»Wir hatten eine Abmachung! Ian ist genauso schnell gefahren wie McKenzie, und jetzt ist ein Platz frei. Ich erwarte, dass Sie Ihr Versprechen einhalten und Ian auf der Stelle zum Stammmitglied machen.« Reed war wirklich nicht stolz darauf, dass er bei McKenzies Tod zuerst daran gedacht hatte, dass Susan sich freuen würde.

»Wissen Sie, wie viele Skifahrer während unseres Trainings gestürzt sind?«, fragte Jenkinson.

»Nein, aber Sie ganz bestimmt. Und Sie hätten das Training jederzeit abbrechen können. Ich glaube, McKenzie war erst gegen Ende der Testläufe an der Reihe. Sie selbst hätten ihn also zurückpfeifen müssen, wenn sie der Ansicht gewesen wären, es sei zu gefährlich.«

»Was? Behaupten Sie etwa gerade, dass es mein Fehler gewesen sei?«

»Ich behaupte, dass Super-G eine extrem gefährliche Disziplin ist, und zu Verletzungen kommt es dabei leider immer wieder. Das kann man niemandem als Fehler ankreiden.

 

***

 

Jeff Morley öffnete das Garagentor, ohne sich darum zu sorgen, dass sein Vater am Brummen des Motors hören könnte, dass er nach Hause gekommen war, und schaltete das Licht ein. Der Van stand nicht mehr auf der linken Seite, also musste Donnie weggefahren sein. Der graue Zement funkelte wie frisch geputzt. Ein tipptopp sauberer Garagenboden war eine absolut unvernünftige Forderung eines unvernünftigen Menschen. Ihr Vater stellte sie nur an sie, um Donnie zu schikanieren, so als habe sich der Junge absichtlich selbst gelähmt.

Jeff würde sich bis an sein Lebensende daran erinnern, dass er an dem Abend, als der Unfall geschah, beinahe nicht an sein Handy gegangen wäre, doch irgendetwas hatte ihn dann doch dazu genötigt, den Anruf entgegenzunehmen. Er war betrunken gewesen und mit irgendeinem Girl auf einer Party in die Kiste gehüpft. Nach dem Telefonat hatte er sie einfach im Bett liegen lassen und sich schnell auf den Weg ins Krankenhaus gemacht.

Seine Mutter hatte mit angezogenen Knien im Wartezimmer der Notaufnahme gehockt und ihren Körper langsam hin und her gewiegt. Sie war wohl selbst im Dienst gewesen, denn sie hatte noch ihre Schwesternuniform getragen. Seine Mom war groß und dünn, genauso wie Tante Lisa, doch in jener Haltung auf dem Stuhl hatte sie klein und sogar verletzlich gewirkt.

 

»Mom? Ist es schlimm?«

Sie blieb zusammengekauert sitzen. »Ich weiß es nicht.«

»Wie kam es denn dazu?«

»Er ist gegen einen Baum gefahren. Rachel ist auch verletzt.«

Rachel Hudson war seine Cousine, an deren Mutter er jetzt prompt denken musste. »Hast du Tante Lisa schon angerufen?«

»Ich kann einfach nicht.«

Jeff fuhr seiner Mom mit einer Hand über den Rücken, um sie zu trösten. Er hätte Donnie eigentlich nach Hause bringen sollen, aber er war zu scharf auf irgendeine Tussi gewesen, die er gar nicht kannte, zu stark belastet von seinen eigenen Problemen wegen Nora, um sich seinem Bruder zu widmen. Nun schaute er über ihre Schultern hinweg an die kahle Wand, um ihr nicht in die Augen schauen zu müssen. »Dann tu ich's. Wir müssen auch Nora Bescheid geben.«

Sein Vater war noch nicht im Krankenhaus aufgekreuzt, aber Jeff wünschte sich sowieso, dass er ganz wegblieb.

 

Drei Jahre waren seit jener entsetzlichen Nacht vergangen. Hätte sich Nora nicht nach dem Abschlussball von ihm getrennt, wäre er nicht mit diesen blöden Mädchen auf Tuchfühlung gegangen, und Donnie hätte nicht mit diesem Arschloch im Auto gesessen. Jetzt war das Arschloch tot. Was für eine Genugtuung …

Jeff ging in der Garage auf und ab. Seine Schuhsohlen quietschten. Er wollte schon lange ausziehen, doch Donnie hielt ihn davon ab. Er konnte ihn doch nicht einfach hier zurücklassen, denn dann hätte dieser sich allein gegen ihren Dad zur Wehr setzen müssen. Im nächsten Jahr wollte er nach einer Möglichkeit suchen, seinen Bruder mitzunehmen, falls er an der Universität aufgenommen wurde.

Tante Lisa hatte ihm mit der Bewerbung geholfen, doch weder seine Eltern noch Donnie wussten von seinem Traum. Ihm wollte er allerdings davon erzählen, sobald er durch das Auswahlverfahren gekommen war. Schließlich sollte sich Donnie keine falschen Hoffnungen machen, doch Jeff selbst war unglaublich aufgeregt. Gut möglich, dass er es ihm bald sagte.

Wenn das Touren erst einmal losging, würden sie beide Holden für eine ganze Weile den Rücken kehren. Jeff musste lediglich unter den drei Besten im Team landen, dann würde der Coach ihn garantiert antreten lassen. Nun da McKenzie tot war, standen seine Chancen natürlich noch günstiger. Leider hatte Jenkinson jetzt Ian Reed ins Team aufgenommen. Jeff spekulierte, dass der Vater des Typen, der das Ressort leitete, ihm dabei hilfreich gewesen war.

An der hinteren Wand der Garage blieb er stehen und stellte seine Ski sorgfältig in den Ständer. Heute war er der Schnellste gewesen. Das sollte seinen Dad davon abhalten, über ihn herzufallen wie ein Wilder.

Die Tür zur Wohnung ging auf. »Na?«

»Ich hatte heute die beste Zeit.« Jeff stellte seine Schuhe auf den Trockner und hängte die Stöcke an ihren Haken. Gerade als er seinen Helm und die Brille auf das Regal werfen wollte, baute sich sein Vater drohend vor ihm auf.

Der Alte nahm einen Schraubenschlüssel vom Arbeitstisch und tippte sich damit gegen den rechten Oberschenkel. »Du hältst dich jetzt für was ganz Tolles, was? Bildest dir ein, du hättest bestimmt auch McKenzie noch geschlagen. Er musste letztendlich erst verunglücken, damit du mal die beste Zeit fahren konntest.«

»Du sagtest, ich müsse Erster werden, und das habe ich geschafft. Für seinen Unfall kann ich schließlich nichts.« Jeff behielt den Schraubenschlüssel im Auge, obwohl er nicht ernsthaft befürchtete, dass sein Vater ihn mit einem Metallwerkzeug schlagen würde. Er umklammerte den Kinngurt seines Helmes zwar fest, hütete sich aber davor, damit auszuholen. Ein kräftiger Hieb gegen den Kopf, und das Leben seines Vaters würde vorbei sein. Wenn er in den Tag hinein träumte, wie er es oft tat, gehörte das Geräusch des Helmes beim Aufprall gegen den Schädel seines Vaters zu seinen schönsten Vorstellungen. Nur die Gedanken an seine trauernde Mutter hielten ihn zurück. Sie war von ihrem Mann abhängig, und Jeff traute ihr nicht zu, ohne ihn zu überleben. »Ich habe meinen Lauf bis zum Ende durchgezogen, was sonst kaum jemand aus dem Team geschafft hat. Das will einiges heißen, finde ich.«

»Wo ist dein Bruder? Er sollte schon längst zu Hause sein.«

Nicht lange nach Donnies Unfall hatte sich ihr Vater angewöhnt, Donnie vor Jeff nur noch »dein Bruder« zu nennen. Folglich hatte er seinen Namen nicht mehr in den Mund genommen, seit der Junge gehbehindert war.

»Nach so vielen Stürzen muss er heute Abend bestimmt eine Menge nachschleifen.«

»Ich habe euren sogenannten Coach angerufen. Er war viel zu beschäftigt, um mit mir zu reden.«

»Das ist ja wohl auch nicht meine Schuld.«

»Welche Zeit bist du genau gefahren?«

»Eine Minute, dreiunddreißig Sekunden, dreiundvierzig Hundertstel.«

»Das ist immer noch nicht gut genug.« Sein Vater machte noch einen Schritt vorwärts. Jeff trat zurück, um weiterhin eine Armlänge Abstand von ihm halten zu können.

»Du Hosenscheißer. Hast du etwa Angst vor mir?«

Jeff schaute immerzu auf den Schraubenschlüssel und rechnete jeden Moment damit, sich verteidigen zu müssen. »Du weißt es noch gar nicht, richtig?«

»Was soll ich wissen?«

»Dass McKenzie tot ist.«

Nun lächelte der Alte und hängte das Werkzeug zurück an einen der Haken am Korkbrett.

 

Kapitel 12


Wie soll ich Reeds Anforderungen nur gerecht werden? Während der zehn Minuten, die Kalin unschlüssig vor der Tür des Tuning-Raums verbracht hatte, zählte sie fünfundzwanzig Personen, die dort ein- oder ausgingen, und sie kannte nur ein paar von ihnen. Die Werkstatt nahm drei Viertel des Erdgeschosses ein. Zwischen ihr und der Treppe nach oben erstreckte sich der Eingangsflur. Man betrat ihn entweder durch die Haupttür des Verwaltungsgebäudes oder von der Treppe aus, wenn man aus dem ersten Stock kam, wo sich Kalins Büro befand.

Das Schleifgeräusch von Feilen auf Metall durchdrang den gesamten Raum und es roch streng nach flüssigem Wachs. Vier Mannschaften benutzten die Werkstatt gemeinsam. Die Tuner waren zu sehr mit ihrer Arbeit beschäftigt, um auf die Konkurrenz zu achten. Es bemerkte auch keiner von ihnen, dass Kalin sie beobachtete. Die Vorstellung, jede Person, die sie hier ins Auge fasste, könne McKenzies Mörder sein, hatte etwas Beunruhigendes an sich. Solange der Betrieb geöffnet war, konnte man hier ein- und ausgehen, ohne irgendeinen Verdacht zu erregen.

Kalin schlenderte durch den Raum, um locker und ungezwungen zu wirken. Sie bekam Teile von Unterhaltungen mit, doch wenn sie sich näherte, senkten die Sprechenden ihre Stimmen.

Donnie Morley war gerade beim Schleifen eines Skis, und Kalin erschrak, als sie ihn sah. Die Art, wie er den Kopf schräg hielt, während er sich konzentrierte, und die blonden Strähnen auf seiner Stirn erinnerten sie an ihren verstorbenen Ehemann Jack. Die Ähnlichkeit war ihr bislang gar nicht aufgefallen. Als sie Jack zum letzten Mal gesehen hatte, war er mit in annähernd gleichem Winkel zur Seite geneigten Kopf an der Kette seines Fahrrads zugange gewesen, um sie zu ölen. Kurz darauf hatte ihn jemand zwei Blocks von ihrem Appartement entfernt angefahren und nicht einmal angehalten. Die Polizei hatte nie herausfinden können, wer derjenige gewesen war, der seinen Tod verschuldet hatte. Diese Erfahrung ließ Kalin erahnen, dass die Mounties auch McKenzies Mörder nicht stellen würden.

Als Monica neben sie trat, brach sie ihren Gedankengang ab. »Hallo.«

Kalin schaute weiter geradeaus in den Tuning-Raum und schlug einen ruhigen Ton an. »Ich habe mich schon gefragt, wann du mit mir reden würdest.«

»Tut mir leid wegen gestern Nacht. Ich weiß auch nicht, was ich mir dabei gedacht habe.«

»Was mir unheimlich gegen den Strich geht, ist, dass ich Reed mühsam davon überzeugt habe, dass du reif genug für eine leitende Position bist. Du darfst dir hier im Ressort keine Schwierigkeiten einhandeln, auch nicht in deiner Freizeit.«

»Schon verstanden. Wird nicht wieder vorkommen. Hat Reed denn etwas gesagt?«

»Ich schätze mal, du bist mit einem blauen Auge davongekommen. Er hat momentan zu viele andere Dinge am Hals. Kann sein, dass er den heutigen Sicherheitsbericht gar nicht liest. Deinetwegen stecke ich jetzt in einer Zwickmühle. Ich stehe zwischen meinem Team und der Personalabteilung, muss also zwangsläufig Partei ergreifen.« Hätte Constable Miller Kalin nicht angerufen und um ein Treffen gebeten, wäre sie gar nicht auf Monica und ihre Freunde gestoßen, denn das war auf ihrem Nachhauseweg geschehen. Außerdem hätte die Security den Vorfall möglicherweise gar nicht gemeldet, weil es sich bei Ian um Reeds Sohn handelte.

»Es tut mir wirklich leid. Danke, dass du Reed nichts erzählt hast. Ich habe gehört, McKenzie …«

»Das muss jetzt warten. Ich habe nämlich Unmengen zu tun.«

Monica errötete. »Na gut. Du findest mich an meinem Arbeitsplatz.« Mit diesen Worten drehte sie sich um und lief zur Treppe.

Als Kalin Charlie Whittle wiedererkannte, den Haupttuner von Team Holden, blieb sie an seiner Werkbank stehen. Er war Ende vierzig und rothaarig mit einer Teilglatze. Sommersprossen bedeckten die kahle Seite seines Schädels, und oberhalb seiner linken Schläfe hatte er ein Muttermal, dessen Form an eine Sense erinnerte.

Er schaute sie schräg von der Seite an. »Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«

Sie stellte sich ihm als neue Sicherheitschefin vor. »Ich wurde gebeten, den Tuning-Raum abzusichern, und wollte Sie fragen, ob Sie vielleicht eine Idee haben, wie ich das am besten tun kann.«

»Sie haben also Toms Job übernommen?«

»Richtig.«

»Tom war ein guter Mann. Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich weiterarbeite, während wir reden? Ich muss noch vier Paar Ski schleifen, bevor ich nach Hause gehen kann. Meine Frau wird sonst stinkig, wenn ich wieder zu spät komme.« Er zog seine Schultern hoch, als wenn er sich wegen seiner besseren Hälfte entschuldigen wollte.

»Überhaupt nicht. Wohnen Sie in Holden oder oben im Ressort?«

Charlie rieb längsseitig mit einer Feile an einem Ski und fuhr daraufhin prüfend mit einer flachen Hand daran entlang. Offenbar war er nicht mit dem Ergebnis zufrieden, denn er wiederholte den ganzen Vorgang. »In Holden, wenn ich nicht gerade mit dem Team unterwegs bin.«

»Zu welcher Uhrzeit haben Sie denn normalerweise Feierabend?«

»Gegen sieben. Es kann aber schon mal später werden, wenn ein Fahrer seine Kufen so richtig ramponiert hat.«

Kalin deutete nickend auf die anderen Tuner. »Haben Sie alle die gleichen Arbeitszeiten?«

»Das kommt ganz darauf an, wie viele aus dem Team Abfahrten machen, wie viele Läufe es sind und wie ruppig sie mit ihren Skiern umgehen.«

»Können Sie mir denn ungefähr sagen, wie oft jemand noch nach sieben Uhr hier ist?«

»Absolut nicht, nein.«

»Wer sperrt denn abends hier ab?«

»Derjenige, der als Letztes geht. Hier gelten eigentlich keine speziellen Sicherheitsbestimmungen, falls Sie darauf anspielen. Bisher hatten wir auch noch nie Probleme deswegen. Außer den Technikern, Fahrern und Trainern betritt niemand diesen Raum. Für alle anderen gibt es auch keinen Grund dazu.«

Ausgenommen die Person, die McKenzie ermordet hat. »Würde es Ihnen denn auffallen, wenn jemand da ist, der nichts in der Werkstatt zu suchen hat?«

»Nicht unbedingt.« Er durchkämmte seinen Bart mit den Fingernägeln. »Ich würde aber vermutlich bemerken, wenn hier jemand Skier schleift, der das nicht tun sollte.«

»Wird das Equipment über Nacht hier gelassen?«

»Manchmal. Das hängt ganz davon ab, woher das Team stammt, dem es gehört. Einige Ortsansässige nehmen ihr Zeug lieber mit nach Hause. Die Fahrer dürfen ihre Skier zwar nicht mit auf die Hotelzimmer nehmen, halten sich aber teilweise nicht daran.«

»Bewahrte McKenzie seine hier auf?«

»Ja, dort drüben in der Ecke.«

Kalin schaute hinüber, als Charlie in die betreffende Richtung zeigte. Die Skijacke des Verunglückten hing noch immer dort, wo er sie am Tag seines Todes zurückgelassen hatte. »Meines Erachtens nach sollten wir den Zugang zur Werkstatt beschränken und eine Regel dafür aufstellen, sie ganz abzusperren. Ich möchte einen Plan ausarbeiten, den Sie gern absegnen dürfen, bevor ich ihn dem Rest der Gruppe zeige. Wäre es zu viel verlangt, wenn Sie mir dabei helfen?«

»Keineswegs. Im Augenblick sind wir doch alle noch ein bisschen von der Rolle, und wenn irgendetwas dazu beitragen kann, dass sie wieder runterkommen, sollten wir es versuchen.«

»Ich komme auf Sie zurück.« Kalin zog durchaus in Betracht, dass Charlie genauso wie jeder andere in diesem Raum der Schuldige sein könnte, war aber von seiner Hilfe abhängig, um die anderen dazu zu bewegen, die neuen Vorschriften anzunehmen. Darum musste sie das Risiko eingehen, ihn zurate zu ziehen. Zuallererst galt es nun allerdings, sich um ihren Bauch zu kümmern. Zeit zum Lunch.

 

***

 

Kalins Magen knurrte. Vom Tuning-Raum bis zur Cafeteria musste man fünf Minuten gehen, und als sie dort ankam, hatte sie Halsschmerzen von der Kälte. Zum Auskurieren einer Krankheit fehlte ihr eindeutig die Zeit. Essen! Sie musste dringend etwas zu sich nehmen, um gesund zu bleiben. Als sie durch die Nase einatmete, klebten die Löcher sofort wieder zusammen. Laut Bauernkalender stand British Columbia ein strenger Winter bevor, und bisher bestätigte das Wetter diese Prognose.

Vor der Cafeteria stapfte sie fest auf ein Metallgitter, um den Schnee von ihren Stiefeln zu lösen, und wartete darauf, dass die automatische Schiebetür aufging. Beim Eintreten tat ihr der warme Luftstrom an den Wangen enorm gut. Die Tragbalken der Gewölbedecke bestanden aus Zedernholz. Da die Wände vom Boden bis unter die Decke aus Glas bestanden, boten sie eine wirklich atemberaubende Aussicht auf den Abfahrthügel. Sportler und Angestellte besetzten momentan den Saal. Besteck klapperte, Gespräche verschwammen zu einem Stimmgewirr, und Skiausrüstung kratzte über den Fliesenboden. Eine äußerst lebendige Geräuschkulisse.

Verschiedene Düfte – gekochte Pasta, gebratenes Fleisch und irgendetwas Süßes – lockten Kalin zum Buffet. Dort überwogen kohlehydrat- und eiweißreiche Gerichte, und die meisten Skifahrer luden sich große Portionen auf. Kalin nahm ein kleines, quadratisches Stück Lasagne mit Salat als Beilage. Dann sah sie Ben, der mit zwei Kollegen von der Skipatrouille an einem Ecktisch saß. Mochte er auch einen Zoll kleiner sein als sie, so war er trotzdem der heißeste Typ im ganzen Raum. Er winkte sie zu sich.

Ben rückte auf seinem Stuhl zur Seite, um ihr Platz zu machen, und stand dann auf, als sie kam. Nachdem er ihr Tablett genommen und es auf den Tisch gestellt hatte, setzte sie sich, woraufhin er einen Arm ausstreckte und die Spange an ihrem Hinterkopf löste. Die Haare fielen ihr daraufhin auf die Schultern. »So sieht es viel hübscher aus.«

Sie schaute ihn schief an und er drückte einen Oberschenkel fest gegen ihren.

»Draußen ist es kalt.« Kalin rieb sich die Hände, bevor sie die Finger um ihre Tasse Tee legte. Auf diese Weise wollte sie vor den beiden anderen überspielen, weshalb sie gerade so rot geworden war. »Bekommt ihr Jungs auch genug Pausen, um euch aufzuwärmen?«

Alle drei Wachmänner lachten.

»Die Personalmanagerin kommt einfach nicht aus ihrer Haut«, feixte Ben. »Wenn die Fahrer die Kälte in ihren Rennanzügen aus Polyester aushalten, können wir das auch, denke ich.«

»Das weiß ich ja. Ihr seid ein zäher Haufen. Was gibt es denn Neues über McKenzie?«

»Ein Gerücht ist aufgekommen, dem zufolge er ermordet wurde. Jemand habe angeblich seine Bindungen vorsätzlich beschädigt. Hast du auch davon gehört?« Er biss in seinen Hamburger und seufzte.

Auf dem Boden lagen wild durcheinander die Skier von Sportlern, Sporttaschen und Stöcke. Geschmolzener Schnee bildete Pfützen. An der Wand vor der Cafeteria standen noch mehr Skier. Niemand passte auf die Sachen auf, weshalb sich ihr unweigerlich die Frage aufdrängte, wie oft Steve seine Ausrüstung wohl unbeaufsichtigt irgendwo zurückgelassen hatte. Kalin wollte nicht vor Bens Kollegen darüber sprechen, also gab sie ihm einfach keine Antwort. Stattdessen fragte sie mit Bezug auf das Equipment: »Falls es stimmt, warum ist dann niemand um die Sicherheit seines eigenen Krams besorgt?«

Ben schaute sie verwirrt an. »Denkst du, sie sollten es sein?«

Sie zuckte mit den Achseln. »Auf wen zielen diese Gerüchte denn ab?«