Der kleine Fürst – 193 – Das Schloss der Liebe

Der kleine Fürst
– 193–

Das Schloss der Liebe

Endlich ist Christian wieder glücklich

Viola Maybach

Impressum:

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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74092-824-7

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Arndt Stöver, Assistent und somit engster Mitarbeiter von Kriminalrat Volkmar Overbeck, verfolgte die schmale Gestalt, die durch den Sternberger Schlosspark eilte, mit dem Blick. Seine Kollegen, die sich am Hauptportal postiert hatten, wussten Bescheid.

Er schrak zusammen, als eine aufgeregte Stimme neben ihm flüsterte: »Wieso greifen wir nicht ein? Das muss doch der Kerl sein, wieso sonst sollte er mitten in der Nacht hier herumlaufen?«

Arndt unterdrückte einen Seufzer, als er sich dem Sprechenden zuwandte: Kriminalobermeister Carsten Breuer, erst vor kurzem nach Sternberg gekommen und mit den hiesigen Gegebenheiten noch nicht vertraut. »Das ist Prinz Christian von Sternberg«, sagte er. »Der kleine Fürst, falls dir das was sagt.«

Carsten sah ihn mit offenem Mund an. »Echt jetzt?«

»Ja«, antwortete Arndt.

»Und wieso läuft er mitten in der Nacht durch den Schlosspark? Das verstehe ich nicht.«

Wieder seufzte Arndt. Carsten Breuer verstand noch so vieles nicht, hoffentlich änderte sich das bald. »Er war auf dem Hügel da hinten, siehst du? Da liegen seine Eltern begraben, er besucht sie dort jeden Tag.« Angesichts der Schwärze des Himmels setzte er nach einer Sekunde hinzu: »Manchmal, so wie heute, auch erst in der Nacht. Hast du ihn vorhin nicht gesehen, als er das Schloss verlassen hat?«

Carsten wurde verlegen. »Nnnein«, stammelte er. »Da war ich wohl gerade ... abgelenkt.«

»Okay, jetzt halt die Klappe. Sobald er wieder im Schloss ist, legen wir los.«

Carsten nickte eingeschüchtert, stellte aber doch schnell noch eine letzte Frage. »Wieso heißt er eigentlich ›der kleine Fürst‹?«

»Um ihn von seinem sehr großen Vater abzugrenzen«, brummte Arndt und wandte sich ab, damit sein neuer Kollege begriff, dass das Gespräch jetzt wirklich zu Ende war. Sie hatten Wichtigeres zu tun.

Ein Drogendealer hatte sich ins Schloss eingeschlichen, in dem in dieser Nacht die Sternberger Teenager Anna von Kant, ihr Bruder Konrad und eben Prinz Christian von Sternberg mit einer großen Party gemeinsam ihre Geburtstage feierten, die im Abstand weniger Tage in den vergangenen beiden Wochen stattgefunden hatten. Mindestens ein Junge war dem Dealer bereits zum Opfer gefallen war: Ihm war schlecht geworden, er hatte beinahe das Bewusstsein verloren. Ein Krankenwagen war auf dem Weg zum Schloss, um den Jungen in die Klinik von Dr. Walter Brocks zu bringen, der auch nach der Eröffnung seiner Klinik Hausarzt der Sternberger geblieben war. Eberhard Hagedorn, langjähriger Butler im Schloss, hatte den Arzt angerufen und um seine Hilfe gebeten.

Eberhard Hagedorn war es auch gewesen, der sich bei Kriminalrat Overbeck gemeldet hatte, um ihm von seinen Beobachtungen und seinem immer stärker werdenden Verdacht zu berichten: dass nämlich einer der Gäste kostenlos Drogen verteilte, um ausgerechnet bei dieser Party neue Kunden für seine Auftraggeber zu gewinnen. Was Eberhard Hagedorn nicht wusste: Die Polizei hatte zuvor bereits zwei Hinweise auf die Vorkommnisse im Schloss erhalten, einen von Lorenz von Amerding.

Lorenz war früher selbst Polizist gewesen, hatte sich aber nach einigen Jahren lieber als privater Ermittler selbstständig gemacht, um sein eigener Herr zu sein. Er war von einem Mann namens Rainer Kaufmann beauftragt worden, Denjenigen zu finden, der auf dem Schulhof der Schule, die sein Sohn besuchte, kostenlos Drogen verteilt hatte. Sein Sohn Jan war einer von denen gewesen, die dem Angebot nicht hatten widerstehen können und abhängig geworden waren. Lorenz nun hatte Hinweise bekommen, dass jener kleine Drogendealer sich Einlass zu der Party auf Sternberg verschaffen wollte, um dort erneut seinem finsteren Gewerbe nachzugehen und seinen Hintermännern weitere Kunden zuzuführen.

Als Lorenz’ Versuch, sich Einlass ins Schloss zu verschaffen, gescheitert war, hatte er sich an seine Ex-Kollegen gewandt. Da der Kriminalrat auch noch von seiner guten Bekannten Emilia von Hohenbrunn angerufen worden war, deren Hinweise in eine ähnliche Richtung gingen, war die Entscheidung zügig gefallen: Großeinsatz von Polizei und Drogenfahndung im Sternberger Schloss.

Mittlerweile waren alle Eingänge besetzt, damit der junge Mann, der sich unter dem Namen Sebastian von Hohenbrunn als angeblicher Cousin von Annas neuer Schulkameradin Stephanie von Hohenbrunn unter die Gäste gemischt hatte, keine Chance hatte, zu entkommen.

»Wann schlagt ihr zu?«, erkundigte sich Lorenz von Amerding bei seinem früheren Kollegen Arndt Stöver. Der Kriminalrat hatte Lorenz gestattet, vor Ort zu bleiben, als Dank für den Hinweis auf die Pläne und den mutmaßlichen Aufenthaltsort des schon länger gesuchten Dealers.

»Der kleine Fürst ist wieder im Schloss«, sagte Arndt, »es kann jetzt bald losgehen. Drück uns die Daumen, dass nichts schiefgeht.«

»Was soll denn schiefgehen?«, fragte Lorenz verwundert. »Im Schloss wissen sie doch jetzt Bescheid, oder?«

»Der Chef hat mit Baron von Kant gesprochen, das schon, aber der Baron hat darum gebeten, dass mit dem Polizeieinsatz nicht unbedingt die Party zu Ende geht. Er hat gesagt, die drei Geburtstagskinder hätten sich so darauf gefreut, dass er es außerordentlich bedauerlich fände, wenn es diesem Kriminellen gelänge, alles zunichte zu machen.«

»Verstehe«, murmelte Lorenz. »Das ist aber ein bisschen schwierig, oder? Wie soll das denn gehen? Ihr könnt den Jungen ja nicht aus dem Schloss holen, ohne dass jemand etwas davon mitbekommt.«

»Offenbar will Baron von Kant sich selbst einschalten, aber wie, das weiß ich auch nicht. Jedenfalls ist das der Grund, warum wir noch einige Minuten abwarten sollen.«

»Mich macht das nervös«, gestand Lorenz. »Ich werde erst wieder ruhig sein, wenn ich den Jungen in Handschellen in einem Polizeiauto sitzen sehe.«

»Das geht uns wohl allen so. Er hat viele Schülerinnen und Schüler zu Süchtigen gemacht, kann ich dir sagen. Mehr, als wir zunächst vermutet haben. Das stellt sich erst allmählich heraus.«

»Ich habe es befürchtet«, erklärte Lorenz.

Warum ihm gerade jetzt die schöne Frau mit den hellbraunen Locken einfiel, die ihm nicht hatte glauben wollen, dass er wegen einer Autopanne Hilfe brauchte, wusste er nicht. Er hatte versucht, sich ins Schloss zu schleichen, war aber leider an ihr gescheitert und hatte dann seine zugegebenermaßen dünne Geschichte vorgebracht. Sie war ziemlich scharf geworden und hatte ihn auf deren Unzulänglichkeit deutlich aufmerksam gemacht. Er wusste nicht, wer sie war, aber es nagte an ihm, dass sie ihn für jemanden halten musste, der aus niederen Beweggründen versucht hatte, sich Zugang zu einem Ort zu verschaffen, an dem er nichts zu suchen hatte. Wahrscheinlich hatte sie ihn für einen Dieb und Betrüger gehalten, der die Party für einen reichen Beutezug nutzen wollte.

Er versuchte, diese Gedanken beiseite zu wischen, doch es wollte ihm nicht gelingen. Sie war außerordentlich attraktiv gewesen, und er hätte einiges dafür gegeben, hätte er ihr gegenüber seine Rolle richtigstellen können.

Er unterdrückte einen Seufzer. Das musste er sich wohl abschminken.

*

Die Party im Schloss war in der letzten halben Stunde ein wenig ruhiger geworden. Die Band war dazu übergegangen, leisere und langsamere Stücke zu spielen, so dass jetzt auf der Tanzfläche mehr Pärchen schmusten als zuvor. Alle hatten sich längst gründlich ausgetobt, jetzt begann, wie einer der Jungen es ausdrückte, ›der gemütliche Teil‹ der Nacht. Es war mittlerweile nach drei Uhr morgens.

»Der Typ macht irgendwas«, sagte Anna von Kant, seit einigen Tagen vierzehn Jahre alt, zu ihrem Bruder Konrad und ihrem Cousin Christian. »Sebastian von Hohenbrunn, meine ich. Und Stephanie ist immer noch nicht wieder aufgetaucht.«

Auch die beiden Jungen waren in der Zwischenzeit zu der Überzeugung gelangt, dass auf der Party hinter ihrem Rücken Dinge vor sich gingen, die man sorgsam vor ihnen geheim hielt. Nur gelang es ihnen nicht, herauszufinden, worum es sich handelte. In den ersten Stunden der Party waren sie natürlich vor allem damit beschäftigt gewesen, sich um ihre Gäste zu kümmern und dafür zu sorgen, dass alle sich wohl fühlten. Das war ihnen gelungen: Die Jugendlichen waren nicht nur von der Musik begeistert, sondern auch von dem, was das überaus reichhaltige Buffet zu bieten hatte. Es war eifrig getanzt worden, die meisten hatten sich gut unterhalten und amüsiert.

Dass jemand unter ihnen war, der ganz andere Ziele verfolgte, hatten nur die mitbekommen, die er direkt angesprochen hatte. Etliche von ihnen waren auf seine Angebote eingegangen und konnten schon deshalb kein Interesse daran haben, ihre Gastgeber aufzuklären. Zwar hatten die Sternberger Teenager von Anfang an keine Sympathie für Sebastian von Hohenbrunn empfunden, aber sie wären auch nie auf die Idee gekommen, dass von ihm Gefahr ausgehen könnte.

»Er redet immer so komisch mit den Leuten«, fuhr Anna fort. »So, als hätte er ihnen ein Geheimnis mitzuteilen. Guckt mal, jetzt wieder: Er flüstert ja allen, mit denen er redet, beinahe ins Ohr.«

»Wir könnten Amelie fragen«, schlug Christian vor. Amelie von Arndt war das Mädchen, dem Sebastian von Hohenbrunn gerade etwas zuflüsterte.

»Gute Idee«, sagte Konrad, doch in diesem Moment verschwanden Amelie und Sebastian aus ihrem Blickfeld.

»Knutschen die jetzt oder was?«, fragte Anna.

»Daran kannst du sie kaum hindern«, meinte Konrad. »Das ist auf Partys so üblich.« Sein Blick blieb an einer hübschen Blonden hängen, es war klar, was er dachte.

»Ich suche Gabriela«, sagte Anna entschlossen, »und frage sie um Rat. Mama und Papa spreche ich lieber nicht an, die denken sonst gleich, der Typ hat bestimmt Alkohol hier eingeschmuggelt oder so.«

Christian und Konrad erhoben keine Einwände. Konrad sah noch immer die hübsche Blonde an, die seinen Blick mittlerweile erwiderte, während sich Christian fragte, ob Stephanie von Hohenbrunn, die ihm auf Anhieb sehr gefallen hatte, sich überhaupt noch im Schloss aufhielt. Er hatte sie schon länger nicht mehr gesehen, dabei hätte er sich gern mit ihr unterhalten, um sie besser kennenzulernen.

Anna verließ den Ballsaal, den sie in dieser Nacht umdekoriert hatten zu einem ›Club‹, der den Orten ähnelte, an denen sich Jugendliche gern aufhalten. Es war ziemlich dunkel, überall lagen Kissen auf dem Boden, die Tanzfläche wurde gelegentlich von zuckenden farbigen Lichtstrahlen erhellt.

In der Eingangshalle sah sie weder Herrn Hagedorn, was sie wunderte, noch Gabriela. Sie eilte weiter zum Hauptportal, dort endlich stieß sie auf Jannik Weber, der nur einige Jahre älter war als sie und bei Eberhard Hagedorn eine Ausbildung zum Butler machte.

»Haben Sie Frau von Braun gesehen, Jannik?«, fragte Anna. »Oder Herrn Hagedorn? Wo ist er überhaupt? Wir haben nämlich das Gefühl, dass auf unserer Party etwas vor sich geht, was ... ich weiß auch nicht. Etwas, das nicht in Ordnung ist.«

Jannik Weber zögerte kaum merklich, wurde jedoch einer Antwort enthoben, denn die Tür eines der Salons öffnete sich in diesem Augenblick und Gabriela kam heraus.

»Gaby!«, rief Anna. »Wieso bist du hier im Salon? Sind Mama und Papa jetzt auch hier und nicht mehr in der Bibliothek?«

Da Jannik sich diskret entfernte hatte, setzte sie hinzu, bevor Gabriela antworten konnte: »Etwas stimmt nicht, Gaby. Etwas geht vor sich auf unserer Party, aber wir wissen nicht was. Wir glauben, es hat mit Stephanies Cousin zu tun, aber es ist mehr so ein Gefühl, nichts Handfestes. Er benimmt sich nicht daneben, nicht, dass du das denkst, aber …« Anna brach ab, sie wusste nicht weiter.