image

Albert Soesman

Die zwölf Sinne
Tore der Seele

Eine Einführung in die Anthroposophie

image

Inhalt

Vorwort

Zur zweiten Auflage

Zur dritten Auflage

1.Der Tastsinn und der Lebenssinn

2.Der Eigenbewegungssinn und der Gleichgewichtssinn

3.Der Geruch und der Geschmack

4.Der Sehsinn und der Wärmesinn

5.Der Gehörsinn

6.Der Sprachsinn, der Gedankensinn und der Ichsinn

7.Schlussbetrachtung

Nachwort

Anmerkungen

«Die Leute sagen heute: Das ist kein richtiger Wissenschafter, der nicht ganz logisch die Beobachtung und das Experiment interpretiert, der nicht von Gedanke zu Gedanke fortschreitet, wie sie nur nach den richtig ausgestalteten Methoden fortschreiten dürfen. Der ist kein richtiger Denker, der das nicht tut.

Wie aber, meine lieben Freunde, wenn die Wirklichkeit eine Künstlerin wäre und unserer ausgestalteten dialektischen und experimentellen Methode spottete, wenn die Natur selber nach Kunstimpulsen arbeitete? Dann müsste der Natur wegen die menschliche Wissenschaft zur Künstlerin werden, sonst käme man der Natur nicht bei! Das aber ist ja nicht der Standpunkt der heutigen Wissenschafter. Deren Standpunkt ist: Mag die Natur eine Künstlerin sein oder eine Träumerin, das ist uns gleichgültig; wir befehlen, wie Wissenschaft zu treiben ist. Was geht es uns an, ob die Natur eine Künstlerin ist? Das geht uns gar nichts an, denn das ist nicht unser Standpunkt.»1

Rudolf Steiner

image

In diesem Buch wurde eine kompositorisch-phänomenologische Herangehensweise angestrebt.

Vorwort

In den vergangenen Jahrzehnten habe ich regelmäßig Kurse und Vorlesungen über die Sinneslehre Rudolf Steiners gehalten. Häufig wurde ich nach einer solchen Veranstaltung gefragt, ob ich das mündlich Dargestellte nicht zu einem Buch umarbeiten wollte. Ganz offenkundig nämlich fühlen sich viele Menschen zwar angesprochen von Rudolf Steiners Erkenntnissen über die Sinnesorgane – schließlich haben wir es in jedem Augenblick mit unseren Sinneswerkzeugen zu tun! –, kommen aber kaum oder gar nicht zurecht mit dem, was man zu diesem Thema in seinen (mitstenographierten) Vorträgen findet. Das ist umso bedauerlicher, als Rudolf Steiner nicht, wie allgemein üblich, nur fünf, sondern wohlgemerkt zwölf Sinnesorgane unterschied.

Dennoch habe ich immer wieder die Bitte meiner Kursteilnehmer und Zuhörer nach einem selbst geschriebenen Buch über die Sinneslehre abschlägig beantwortet. Das hängt einerseits mit meiner Tätigkeit als Hausarzt zusammen, die es nicht erlaubte, einmal in Ruhe alles zu Papier zu bringen, aber andererseits auch mit der Tatsache, dass ich inzwischen festgestellt hatte, wie viel stärker ich mich dem gesprochenen Wort als dem geschriebenen Wort verbunden fühlte. Als Redner kann man sich auf die Reaktionen seines Publikums einstellen, auf die fragenden Mienen, eventuelles Gähnen usw. Als Schreiber weiß man nicht, wen man vor sich hat.

Die Nachfrage nach einem Buch wurde jedoch immer dringlicher, sodass ich schließlich nach langem Zögern meine Zustimmung dazu gegeben habe, dass der Text eines solchen Kurses von sechs Abenden auf Band aufgenommen, redigiert und zu einem Buch umgearbeitet wurde, und zwar unter der Voraussetzung, dass der Charakter des gesprochenen Wortes erhalten bliebe. Das Ergebnis dieser Arbeit, die durch den Verlag Vrij Geestesleven geleistet wurde, findet in dieser Publikation seinen Niederschlag.

Ich hoffe von Herzen, dass die Leser sich ein wenig in die Rolle der Zuhörer im Saal hineinversetzen können. Vieles von dem, was ich sage, müssen Sie bildlich verstehen. Ich versuche immer, gemeinsam mit meinen Zuhörern nach und nach ein Gesamtbild zu modellieren. Und geradeso wie beim Modellieren mit Ton ist der Anfang eine formlose Masse, in die von einer bestimmten Stelle aus langsam aber sicher etwas Form gebracht wird. Die gesamte Form jedoch, der Zusammenhang der einzelnen Teile, die Verhältnisse untereinander, all das wird erst sichtbar, wenn das ganze Bild ausmodelliert ist.

In diesem Kurs ging es mir in erster Linie darum, das jenige, was Rudolf Steiner in seinen komplizierten Vorträgen vom 23., 25. und 26. Oktober 1909 in Berlin über die Sinnesorgane ausführte,2 auf eine solche Weise zu erzählen und zu erklären, dass diese Materie jedem zugänglich wird. Dabei habe ich immer versucht, sowohl die Art und Weise des Herangehens als auch meine Beispiele so zu wählen, dass diejenigen, die nicht mit der Anthroposophie vertraut sind, einen Zugang zur Geisteswissenschaft bekommen (denn so ist dieser Kurs anzusehen: als ein einführender Kurs in das anthroposophische Menschenbild!), dass es aber auch für diejenigen, die sich schon mit Rudolf Steiners Werk beschäftigt haben, spannend und inspirierend ist.

Die Leser dieser Schrift werden feststellen, dass ich mich mit der Beziehung befasse, die zwischen jedem Sinnesorgan und einem ganz bestimmten Tierkreiszeichen besteht. Diejenigen, die sich ausführlicher mit diesem Thema beschäftigen wollen, werden hierzu vor allem in den Vorträgen, die Rudolf Steiner am 20. Juni und am 18. Juli 1916 in Berlin hielt, weitere Angaben finden.3

Schließlich will ich noch auf die schematischen Darstellungen aufmerksam machen, die im Anschluss an den letzten Vortrag aufgezeichnet sind. Obgleich schematische Darstellungen immer die Gefahr bergen, dass etwas, das bildhaft und lebendig gebracht wurde, erstarrt, hielt ich es doch für richtig, sie an jener Stelle mit aufzunehmen. Jeder, der hieran eine Stütze findet, kann nach der Lektüre der sechs Vorlesungen die Zusammenhänge in komprimierter Form vor sich sehen.

Zur zweiten Auflage

Der warme Empfang der 1. Auflage hat mich sehr bewegt. Vor allem ist die Hoffnung, die ich insgeheim hegte, dass der Leser durch dieses Buch zur Eigenarbeit angeregt würde – individuell oder in Gruppen –, in Erfüllung gegangen. Für die 2. Auflage habe ich Kommentare und Hinweise in Bezug auf sprachliche Mängel und andere Schwächen dankbar angenommen. Mein Dank gilt auch allen, die mich durch ihr sorgfältiges Studium dieses Buches angeregt haben.

Möge diese Neuauflage weiter dazu beitragen, der göttlichen Schöpfung immer mehr die Liebe zuzuwenden, nach der sie «sehnsüchtig verlangt».4

Zur dritten Auflage

Zu den Kursabenden, die ich gab, gehörte immer auch eine Nachbesprechung. Vieles von dem, was dabei zum Vorschein kam, habe ich jetzt im Zusammenhang aufgeschrieben. Sehr viel Dank schulde ich meinem guten Freund Ruud van Renesse, der sich bereit erklärt hat, mit geradezu unendlicher Geduld als «Zuhörerpublikum» zu fungieren, damit ein gut verständlicher Text entstehen konnte. Auch hat es mir sehr geholfen, dass er die modernen Techniken beherrscht.

Die Behandlung des Wärmesinns steht jetzt in einem viel umfassenderen Zusammenhang. Der Ich-Sinn wurde um ein eigenes Kapitel erweitert. Auch der Zusammenhang der Sinnesorgane mit dem Tierkreis wurde weiter ausgearbeitet.

Viele Ungenauigkeiten und auch Fehler hoffe ich mit dieser Ausgabe beseitigt zu haben. Selbstverständlich bleibe ich weiterhin für Verbesserungen und Ergänzungen dankbar.

Den Haag, Januar 1998

Albert Soesman

«Die Außenwelt ist in all ihren Erscheinungen erfüllt von göttlicher Herrlichkeit; aber man muss das Göttliche erst in seiner Seele selbst erlebt haben, wenn man es in der Umgebung finden will.»

Rudolf Steiner, Wie erlangt man

Erkenntnisse der höheren Welten?

«Und niemand wird das Ewige in den Dingen entdecken, der sich nicht zuerst gründlich mit dem Vergänglichen vertraut gemacht hat.»

Rudolf Steiner, Die Stufen der

höheren Erkenntnis

1. Der Tastsinn und der Lebenssinn

Es gibt viele Wege, die zum Verständnis der Anthroposophie führen. Unter denen müssen wir natürlich eine Wahl treffen. Jeder wird dies auf eine andere Art tun. Ich werde es von einem bestimmten Thema aus angehen. Man kann bei der allgemeinen Anthroposophie beginnen und dann auf ein bestimmtes Thema zuarbeiten; das Interessante ist aber, dass man auch von einem Thema ausgehen und von da aus zur Anthroposophie hinaufsteigen kann – zumindest, soweit dies in wenigen Vorträgen möglich ist. Ich hoffe, dass es gelingen wird, mit Ihnen diesen umgekehrten Weg zu beschreiten, anstatt also vom Allgemeinen zum Besonderen kommend, vielmehr von dem Besonderen auszugehen, um zum Schluss zu einem Ganzen zu gelangen.

Unser Ausgangspunkt wird die Sinneslehre Rudolf Steiners sein. Rudolf Steiner hat einmal gesagt, dass die Sinneslehre eigentlich das «erste Kapitel» der Anthroposophie darstelle. Er meint damit: das «nächstliegende». Denn die Sinneswerkzeuge sind die Instrumente, mit denen wir der Welt begegnen. Es ist also nicht unwichtig, dass wir etwas von diesen Instrumenten wissen: Wie arbeiten sie, was lassen sie uns erleben, wie zuverlässig sind sie eigentlich? Davon hängt doch viel, wenn nicht gar alles ab. Dieses «erste Kapitel» bedeutet jedoch nicht, dass es sich um etwas Einfaches handelt. Nein, es handelt sich um etwas Zwölffaches. Und nicht einfach so zwölf, nicht zwölf als das zufällige Ergebnis einer Additionsaufgabe, sondern eine Einheit von zwölf. Wir werden in diesem Kurs erkennen, dass die Sinnesorgane nicht gesondert voneinander zu verstehen sind, dass sie vielmehr ein Ganzes darstellen, eine Komposition bilden. Dabei muss ich Sie um eines bitten: um Geduld. Sie müssen ein wenig Geduld haben, bis diese Komposition überhaupt zur Erscheinung kommt.

Diese Sinneslehre, mit der wir uns beschäftigen werden, stammt also von Rudolf Steiner. Sie alle wissen zumindest so viel von Rudolf Steiner, dass er gern über die geistige Welt sprach und uns in gewaltige Höhen mit hinaufnimmt. Das tut er auf der einen Seite – aber auf der anderen Seite kann man sich keinen praktischeren Menschen vorstellen als diesen Mann, der für die alltäglichsten Dinge Ratschläge geben konnte. So gesehen, ist der Weg über die Sinneslehre in die Anthroposophie ein äußerst angenehmer. Alles, was ich darstellen werde, ist nachprüfbar, denn es handelt sich ja um unsere alltäglichen Sinneswerkzeuge.

Die Anthroposophie schenkt uns eine Geisteswissenschaft, die eine Ergänzung und Vertiefung der Naturwissenschaft sein will. Und so werde ich denn auch viel Material aus der gewöhnlichen Naturwissenschaft anführen und Sie erkennen lassen, dass viele Rätsel der Naturwissenschaft gelöst werden können, indem man die geistige Hälfte dazutut. Dabei werde ich vielleicht vieles erzählen, was Sie schon wissen, doch haben Sie es vielleicht noch nie in diesem Zusammenhang gesehen.

Sie wissen, dass wir eine Anzahl von Sinnesorganen haben. Ich nenne nur einige: Sehsinn, Gehörsinn, Tastsinn. Die kennen Sie natürlich. Aber viel weniger bekannt ist es, dass eine Beziehung zwischen diesen Sinnesorganen besteht. Rudolf Steiner zeigt als das ganz Originelle, Neue, dass diese Sinnesorgane miteinander eine Ordnung bilden, oder, um ein gutes altes Wort von Pythagoras zu benutzen: Sie bilden miteinander einen Kosmos. Das ist eigentlich das Überraschende, was zum Vorschein kommen kann, wenn wir nun sechsmal miteinander tätig sein werden: Das eine ist unauflöslich mit dem andern verbunden, und alle Sinnesorgane miteinander bilden eine prachtvolle Komposition. Durch diese Komposition versteht man erst die einzelnen Teile. Eigentlich kann man kein einzelnes Sinnesorgan beschreiben, wenn man nicht zugleich auch alle anderen kennt. Das ist in Wirklichkeit das Neue. Und so kann ich denn auch nicht einfach willkürlich einmal das eine, dann wieder das andere Sinnesorgan behandeln. Ich werde diesen Kosmos, diese Ordnung berücksichtigen müssen.

Ich werde nun anfangen, indem ich Ihnen diese «Ordnung» vorstelle. Ich fange mit etwas ganz Bekanntem an, das ist der Tastsinn. Dann kommt wahrscheinlich etwas Neues für Sie, der Lebenssinn. Dann der Eigenbewegungssinn. Danach wieder eine bekannte Erscheinung: das Gleichgewicht. Im Anschluss daran bekommen Sie den Geruchs-, dann den Geschmacks- und den Sehsinn. Dann kommen wir zum Temperatur- oder Wärmesinn. Danach zum Gehör. Danach kommen für Sie wahrscheinlich noch unbekannte Sinnesorgane, nämlich der Sprachsinn, der Vorstellungs- oder Gedankensinn und zum Abschluss der Ich-Sinn.

Wenn Sie nun Zahlen davorstellen, kommen Sie auf die Zahl 12. Sie erkennen schon an der Zahl selbst, dass sie einen Kosmos ausdrückt. Wenn Sie sich nämlich diesen «Kosmosbegriff» zu eigen machen, werden Sie verstehen, dass der Mensch nicht zufällig irgendeine Anzahl Sinnesorgane hat und er ebensogut ein paar mehr oder weniger hätte besitzen können.

Ich will heute mit dem Tastsinn anfangen. Den kennen Sie alle. Wir alle können etwas tasten. Und jetzt kommt sofort die große Schwierigkeit. Um ein Sinnesorgan verstehen zu können, müssen wir uns natürlich auf dieses eine Sinnesorgan konzentrieren. Ich habe Ihnen aber schon gesagt, dass das nicht möglich ist, weil jedes Sinnesorgan für sich nur zu verstehen ist, indem man die anderen dazunimmt. Da sehen wir schon das gewaltige Problem. Und Sie werden es auch sofort verstehen, wenn ich zum Beispiel diesen Tisch ertaste. Ich fühle den Tisch: Er ist kalt. Ja, aber das ist nicht der Tastsinn, das hängt mit dem Wärmesinn zusammen. Zugleich indem ich taste, stoße ich mich in gewisser Weise davon ab. Ich verändere mein Gleichgewicht. An der Mühe, die es mich kostet, mein Gleichgewicht zu verändern, wird nun tatsächlich das Tasten deutlicher. Jedoch benutze ich dafür nicht nur meinen Tastsinn. Ich brauche zugleich auch meinen Gleichgewichtssinn. Ich kann natürlich auch über den Tisch streichen, und dann stelle ich fest, dass er rau ist oder glatt. Aber – auch wenn das jetzt wahrscheinlich noch schwierig zu verstehen ist, ich komme später darauf zurück – daran ist wieder mein Eigenbewegungssinn beteiligt. Das ist das Sinnesorgan, durch das ich merke, dass ich mich selbst bewege. Niemals ist ein Sinnesorgan für sich allein tätig. Es braucht immer die Hilfe der anderen. Es wird für uns ein bisschen schwierig dadurch, dass wir aus unserem Denken all die anderen Facetten, die auch noch an einem Sinnesorgan mitarbeiten, herauslösen müssen. Wir müssen versuchen, uns darauf zu konzentrieren, welches denn nun das Geheimnis dieses einen Sinnesorgans, des Tastsinnes, ist.

Stellen Sie sich einmal vor, dass dieses Sinnesorgan für sich allein tätig wäre. Was zeigt es uns dann? Was offenbart es uns eigentlich? Welches Seelentor öffnet sich? Welches Land betreten wir durch dieses eine Sinneswerkzeug?

Der Tastsinn lässt mich nicht fühlen, ob etwas kalt oder warm, rau oder glatt ist. Ich spüre nicht, dass sich mein Gleichgewicht verändert. Was spüre ich denn eigentlich, wenn ich nur taste und alles andere fortlasse? Was verbleibt dann noch in mir, und was sagt dieser Tastsinn dann noch? Lassen Sie uns eine Übung machen! Dazu müssen wir erst einmal das Licht ausmachen, denn wenn wir normalerweise etwas tasten, schauen wir auch dorthin. Nun müssen wir versuchen, im Stockdunkeln nur Tastwesen zu sein. Seien Sie mir nicht böse, aber versuchen Sie jetzt einmal, ein nackter Wurm zu sein. Stellen Sie sich jetzt einen Wurm vor, nichts als einen Wurm, im Stockdunkeln! Das können Sie heute Nacht ohne Pyjama ausprobieren. In Ihrem eigenen Zimmer ist das allerdings sehr schwierig, denn sowie Sie gegen einen Stuhl stoßen, sehen Sie in Ihrer Vorstellung diesen Stuhl vor sich. Sie müssen also heute Nacht alle in ein anderes Zimmer umziehen. Erst dann bekommen Sie ansatzweise so ein bisschen eine Vorstellung davon, wie der Tastsinn arbeitet: in einer völlig fremden Umgebung, ohne Wiedererkennen, ohne Erinnerungen. So gelangen Sie in eine neue Welt, in die Sie nackt hineinkriechen. Und das zum ersten Mal in Ihrem Leben.

Was würden Sie jetzt erleben? Jedes Wort ist schon viel zu kompliziert. Aber wir sind nun einmal an das Denken gebunden, das sich immer der Worte bedient. Welches Gefühl hätten wir, wenn wir zum ersten Mal den Tastsinn feststellen würden? Widerstand? Ja, Sie fühlen tatsächlich einen Widerstand, ein Hindernis. Aber eigentlich ist auch «Widerstand» noch ein zu kompliziertes Wort. Es gibt eigentlich nur ein Wort – auch wenn dies in Wirklichkeit auch nicht gut ist, denn jedes Wort drückt die Tätigkeit vieler Sinnesorgane aus –, das man dabei denken kann, und das ist: «etwas». Stellen Sie sich vor, Sie hätten nun einmal keine Sinneswerkzeuge und Sie würden als Erstes diesen Tastsinn bekommen und Sie würden gegen einen Kieselstein «anwurmen». Was erleben Sie dann? Widerstand? So weit sind Sie noch nicht. Sie erleben, Sie fühlen «etwas» irgendwo. Es entsteht so etwas wie ein erstes «Wachwerden». Lassen Sie es mich so ausdrücken: Der Widerstand kommt von außen, aber es geschieht auch etwas innerhalb der menschlichen Seele, wenn wir an etwas rühren, also nur als Wurm vorläufig: wir erwachen. Nun ist Erwachen ein ganz komplizierter Prozess, aber ein klein wenig Bewusstwerdung – nochmals: jedes Wort ist viel zu kompliziert –, es geschieht eigentlich eine erste Form von Aufwachen an «etwas», das ist es, was eigentlich geschieht. Sie spüren, worum es geht. So wecken wir einen Menschen auch mit Hilfe unseres Tastsinns; ein zartes Streicheln genügt. Ein Eimer kaltes Wasser oder Anbrüllen ist nicht nötig.

Sie haben also etwas sehr Merkwürdiges erfahren. Sie stoßen gegen «etwas» an, irgendwo in der Welt, aber zugleich kommt «etwas» gegen Sie an. Das ist eigentlich das Merkwürdige am Tastsinn, dass ein Teil von mir selbst wach wird an einem Teil, an etwas von der Welt. Ein Teil meiner selbst: Ich rühre an etwas mit dem Finger, dann mit der Wange, mit dem Knie und so weiter. Nach und nach werde ich mir so meines Hautmantels bewusst.

Sie sehen, dass dies «Aufwachen» mit einem ganz bestimmten Phänomen zusammenhängt, nämlich mit einem Grenzerleben. Auf einmal merken wir: Grenze stößt an Grenze. Wir werden uns also unserer Begrenzung langsam aber sicher bewusst. Nun müssen Sie sich vorstellen, dass dies sehr langsam vor sich geht. Wir wissen leider allzu wenig davon, wie es war, als wir noch klein waren. Sie können sich einfach die theoretische Frage stellen: «Weiß ein Säugling, wo die Wiege anfängt und wo er selbst aufhört? Weiß er jetzt, wo seine Hand anfängt und wo die Wiegendecke?» Es ist sehr überraschend, wenn man sich einmal diese Fragen stellt. Denn dann begreift man, dass ein Säugling das natürlich nicht weiß. Das muss er sehr langsam lernen, er muss sich erst hunderte Male an der Wiege stoßen. Und das geschieht mit dem Tastsinn. Der Mensch gelangt damit sehr weit.

Viele Tiere kommen längst nicht so weit. Denken Sie nur einmal an eine Seeanemone: So ein Hohltier mit einem kleinen Mündchen und mit kleinen Tentakeln, die es einziehen kann. Es ist sehr hübsch anzusehen, was geschieht, wenn ein Fisch an diese Tentakel kommt. Der Polyp erschrickt, und alles schießt nach innen, danach entfaltet er sich langsam wieder, bis die Tentakel zum Beispiel an einen Stein kommen. Der Polyp erschrickt dann wieder und zieht seine Tentakel wieder zusammen. Das macht er genau so lange, bis er sich endlich «traut», diesen Stein zu berühren. So etwas macht ein Wurm nie. Wenn er gegen einen Stein kommt, schmiegt er sich an den Stein an. Aber wenn Sie mit einem Finger einen Wurm berühren, erschrickt er. Mit anderen Worten: Ein Wurm ist schon weiter. Es bedeutet einen Unterschied, ob etwas gegen ihn stößt oder ob er gegen etwas kommt. Fühlen Sie den Unterschied? Wenn ein Steinchen an den Wurm stößt, erschrickt er, wenn aber er gegen einen Stein stößt, so gleitet er in aller Ruhe an ihm entlang. Das lernt so ein Polyp nie. Der braucht jedes Mal wieder Zeit, um herauszubekommen: «Komme ich gegen etwas, oder kommt das Etwas gegen mich?» Sie sehen also, dass so ein Polyp noch kein eigentliches Grenzerlebnis seiner eigenen Körperlichkeit in Beziehung zur Welt hat, der Wurm aber sehr wohl. Es ist also noch nicht das Niedrigste, ein nackter Wurm zu sein!

Das ist dieser bemerkenswerte Vorgang, den Sie sich dramatisch vorstellen müssen: «Wie komme ich auf die Welt und wie komme ich dahinter, wie groß ich bin? Wie ist meine Begrenzung?» Das ist ein sehr mühsamer Prozess über Jahre und Jahre hinweg, und er beginnt mit der Geburt.

Vor noch gar nicht so langer Zeit wussten die Menschen noch, wie wichtig die Bedeutung des Tastsinns ist. Mit außerordentlich großer Sorgfalt umgab man das Kind hinsichtlich seiner Kleidung, und dabei kam es nicht darauf an, ob das Kind niedlich und nett aussah. Darum bekamen die Babys früher auch immer einen Strampelsack an. Vor allem mit seinen Füßchen übte das Kind dadurch ganz prächtig den Tastsinn. Der Strampelsack wurde so ausgemessen, dass bei ausgestreckten Füßchen die Schulterbänder gestrafft waren, denn sonst zappelten diese Füßchen im Nichts. Vielleicht denken Sie: «Na und?» Aber die Füße im Nichts zu haben, ist in diesem Falle ähnlich wie das Hineinschauen in einen Nebel. Konturlosigkeit bewirkt Unsicherheit.

Nun, wo wir uns dies so im Großen angeschaut haben, können wir es auch im Kleinen, im Mikroskopischen verstehen. Der Tastsinn ist nämlich sehr einfach gebaut. Auf der sehr stark vereinfachten Zeichnung sehen Sie die Oberhaut, die Lederhaut und das Unterhautzellgewebe, dazu alle Blutgefäße, Schweißdrüsen, Talgdrüsen, Haare und so weiter. Durch die Lederhaut laufen Nervenfasern, und die enden in sogenannten Tastkörperchen. Unser Tastsinn ist also nicht so gebaut, dass er «aus der Haut fährt». Es sind keine ausgestreckten Nervenfasern. Wenn der Tastsinn so gebaut wäre, würden wir nie eine Grenze erleben. Wir kommen später darauf zurück, wenn wir den Geruch behandeln. Der Geruch nämlich ist sehr wohl so gebaut; beim Geruch haben Sie nie das Gefühl: Grenze an Grenze. Aber beim Tastsinn landen Sie nicht in einer anderen Welt, in der Außenwelt, Sie bleiben in Ihrer eigenen Welt stecken. Sie müssen das, was der Tastsinn vermittelt, also wirklich als ein Grenzbild auffassen. Das ist gerade das Überraschende am Tastsinn, dass er uns nichts über die andere Welt sagt. Wir erleben lediglich «etwas»: dass es eine andere Welt geben muss und dass wir an dieser anderen Welt zunächst einmal irgendwo aufwachen. Nie also landen Sie mit dem Tastsinn wirklich in der Welt; die Welt wird, schlicht gesagt, nur dazu benutzt, Sie Ihrer selbst bewusst zu machen, und zwar auf eine körperliche Art. Sie beginnen sich selbst als umgrenzt zu erleben. Durch den Tastsinn nimmt das kleine Kind Abstand von dem noch völligen Einssein mit dem Kosmos, um sich nach und nach als eigene Körperlichkeit erleben zu können, und zwar an einem bestimmten Ort auf der Erde. Dass Sie in diesem Augenblick hier sind, dass Sie erleben, dass Sie hier sind, kommt durch den Tastsinn. Gerade weil wir Menschen Kleider tragen, erleben wir uns deutlich als umhüllt. Und am meisten überzeugen uns unsere Füße – ob mit oder ohne Schuhe – mit Hilfe des Tastsinns davon, dass wir auf einem bestimmten Platz stehen.

image

Querschnitt durch die Haut

1Oberhaut

2Lederhaut

3Unterhautzellgewebe

4Blutgefäße

5Schweißdrüsen

6Talgdrüsen

7Haare

8Nervenfasern mit Tastkörperchen

So sehen Sie mit einem Mal den Sinn eines Sinneswerkzeugs: Wenn wir den Tastsinn nicht hätten, würden wir alle miteinander vollkommen eins sein, wir würden uns wie ein Wassertropfen im Meer auflösen. Selbst mit einer Elefantenhaut würden wir uns, hätten wir den Tastsinn nicht als Sinnesorgan, wie ein Tropfen im Ozean fühlen. Das ist wahrscheinlich ein hinreißendes Gefühl, nur würden wir gar nichts davon merken. Denn um zum Bewusstsein zu kommen, sind zwei Dinge nötig. Ich werde Ihnen das in einer Skizze zeigen.

Stellen Sie sich vor, Sie wären völlig eins mit dem Kosmos. Sie würden dann ganz und gar schlafen, Sie würden dann kein Bewusstsein in diesem Kosmos haben. Stellen Sie sich nun vor, Sie gerieten aus irgendeinem rätselhaften Grunde aus diesem Kosmos heraus und Sie würden völlig losgelöst: Sie hätten dann immer noch kein Bewusstsein. Sie wären dann eine verlorene Gestalt ohne Bewusstsein. Sie bekommen erst Bewusstsein, wenn Sie den Kosmos verlassen und sich dann sofort gegen ihn stellen, wie es in der Zeichnung primitiv angedeutet ist: Sie gehen zuerst nach dieser Seite (Pfeil a), und dann kommen Sie wieder zurück (Pfeil b). Wenn dieser Kosmos sich dann zur selben Zeit vor Ihnen schließt, dann erst bekommen Sie ein Erlebnis Ihrer selbst.

Damit haben wir ein bekanntes Bild beschrieben: Ursprünglich waren wir eins mit dem Kosmos, dann haben wir uns von ihm getrennt, und alles menschliche Streben ist nichts anderes als der Versuch, wieder an dem Haus anzuklopfen, aus dem wir vertrieben worden sind. Doch die Tür ist verschlossen. Jede Tasterfahrung ist nichts anderes als ein Anklopfen an dem Haus, aus dem wir vertrieben worden sind. Das hat durchaus nichts Tragisches an sich, denn weil wir dort herausgeworfen worden sind, kommen wir nun wirklich zum Bewusstsein unserer selbst. Das ist eigenartig: Selbstbewusstsein bedeutet zugleich ausgeschlossen sein, für uns allein stehen.

Der Tastsinn hat eine ganz bestimmte Aufgabe für den Menschen: Wir geraten heraus aus dem göttlichen Ganzen, und zugleich entsteht die Sehnsucht, dorthin zurückzukehren. Wir, als abgesonderte, vereinsamte Wesen, behalten fortwährend eine tiefe Sehnsucht, die Dinge zu ertasten. Aber darum benutzen wir den Tastsinn auch auf zwei völlig entgegengesetzte Arten. Die erste Art ist ganz konkret. Mit ihr entdecken wir ein Stäubchen im Auge, ein Sandkorn, eine Gräte im Mund, ein Knötchen in der Brust. Und wenn wir plötzlich jemandem begegnen, von dem wir dachten, er sei gestorben, ist das Erste, was wir tun: Wir tasten, wir berühren ihn. Dann erst haben wir Sicherheit. Auf diese konkrete Seite des Tastsinns machen wir zum Beispiel auch aufmerksam, wenn wir sagen, dass etwas Bestimmtes «mit Händen zu greifen» sei.

image

Aber wir können den Tastsinn auch ganz anders benutzen. Nicht, um zu erfahren, ob etwas wirklich vorhanden ist, sondern um eine Intimität auszudrücken. Wenn beispielsweise ein kleines Kind hereinkommt, und die Sonne scheint auf das Haar, dann ist es schier nicht möglich, die Finger von dem Haar zu lassen. Dann haben Sie wirklich das Bedürfnis, es zu streicheln: Sie gebrauchen den Tastsinn auf einmal ganz intim. Das ist das Charakteristische: Wir benutzen den Tastsinn abwechselnd ganz objektiv und ganz subjektiv, innig. Wir dürfen beides nur nicht vertauschen. Wenn beispielsweise ein Arzt seinen Patienten untersucht und diese beiden Dinge nicht auseinanderhält, wird seine Untersuchung fragwürdig. Hier ist die Grenze messerscharf.

Es ist ein merkwürdiges Paradox im Tastsinn, indem Sie einerseits fühlen, dass ein Stück Holz ein hartes Ding ist, aber andererseits fühlen können, dass es ein prächtiges Stück Holz ist. Sie können fühlen: Wie schön ist das, was für ein herrliches Gefühl ist es, daran entlang zu streichen. Im Tasten drückt sich die Ursehnsucht des Menschen aus, weil er tief innen weiß, dass der Tastsinn ihn von irgendetwas abschließt, von irgendetwas ausschließt, mit dem er doch verwandt ist. Wir sind aber nicht völlig vom Kosmos abgeschlossen. Stünden wir nämlich völlig außerhalb des Kosmos, so hätten wir keine Sehnsucht nach dem Kosmos. Da wir aber immer wieder an den Kosmos anstoßen, mit ihm zu tun haben, bleibt uns die Sehnsucht, uns immer wieder mit jener eigentlichen Welt, mit der wir einstmals verbunden waren, zu verbinden. Der Tastsinn bildet also eine Grenze, er trennt uns von den Dingen. Wir sind aus dem Ganzen herausgeraten, und wir kommen gleichzeitig ganz nahe an das Ganze wieder heran.

Viel schöner als ich Ihnen das erklären kann, sagt es Novalis in seinen Fragmenten: «Berührung ist Trennung und Verbindung zugleich.» Dies ist ein tiefes Geheimnis des Kosmos. Unsere gesamte Evolution ist durchzogen von dieser Ablösung vom Ganzen; aber zugleich bleibt im Menschen das Gefühl, doch damit verbunden zu sein. So ist es denn auch nicht zufällig, dass der Tastsinn in den Fingerspitzen am ausgeprägtesten ist. Dass wir uns mit unseren Fingern selbst abtasten können, ist eigentlich merkwürdig. Sie werden sagen: «Ja, aber das kann ich mit meinen Augen auch!» Doch, wie schon gesagt, mit Ihren Augen können Sie nur ein Stück von sich selbst abtasten. Mit Ihrem Tastsinn können Sie sich ganz und gar selbst abtasten. Das ist auch ein besonderes Geheimnis des Tastsinns: Sie können sich von außen her mit dem Tastsinn als ein abgeschlossenes Ganzes bestimmen. Genauso, wie Sie um die Erde herumlaufen können, können Sie mit Ihrem Tastsinn um sich selbst herumlaufen. Ein Baby kann das nicht. Ein Kind muss ungefähr zwei bis drei Jahre alt sein, bevor das gelingt. Erst, wenn das Kind anfängt, richtig «ich» zu sich zu sagen, sind seine Ärmchen so lang, dass es sich selbst vollständig abtasten kann.

Da sehen Sie also das tiefe Geheimnis des Tastsinns, dieses Begrenzungssinnes, der uns selbst im Erleben des Dinges zu einem ersten Erwachen bringt. Sie spüren sicher, dass dieser Tastsinn bei der Erziehung eine gewaltige Rolle spielt. Denn ein Kind kann natürlich auf verschiedene Arten aus dem «paradiesischen» Zustand, in dem es lebt, mit der Welt in Berührung kommen. Ein einfaches Beispiel: Es muss doch ein unglaublich großer Unterschied für ein Kind sein, ob es die Mutterbrust tasten kann oder eine Saugflasche. Das spürt doch wohl jeder, dass das etwas anderes sein muss. Sie haben wahrscheinlich wohl auch von Kindern gehört, die keine Abwehrkräfte haben, die in einer sterilen Glaskammer gehalten werden müssen und daher nirgendwo einen Berührungs- oder Streichelkontakt haben. Man wird abwarten müssen, wie diese Kinder, die infolge eines tragischen körperlichen Zustandes von der Mitwelt ausgeschlossen sind, hierauf reagieren. Wie wunderbar ist es auf der anderen Seite doch, wenn man als Kleinkind von Mutter, Vater oder einem anderen Menschen liebkost und gestreichelt wird; das hilft uns, aus dem Paradies herauszukommen, ohne die Ursehnsucht zu verlieren. Schon immer wusste man, dass es gut ist, Kitzelspielchen mit Kindern zu spielen: «Es kommt die Maus die Trepp’ herauf …» Das ist eigentlich ein unglaublich tiefsinniges Spiel, denn damit lehrt man das Kind, sich ganz allmählich von der paradiesischen Welt zu lösen. Es ist lustig, aber ein ganz kleines Kind empfindet das Kitzeln nicht als solches. Dafür muss es älter sein, dazu muss man wirklich schon etwas vom Paradies losgelöst sein, bevor die Mutterhand etwas kitzeln lassen kann. Doch ist es ein wonnigliches Gefühl, dieses Kitzeln, das erst später wirklich kitzelt. Sie können sich niemals selbst kitzeln. Das wäre doch herrlich: Sie sind traurig, und dann kitzeln Sie sich selbst unter den Achseln. Das funktioniert jedoch nicht!

Alle diese einfachen, alltäglichen Dinge haben einen sehr tiefen Hintergrund, und das ist das Besondere an der Anthroposophie. Es geht in der Anthroposophie wirklich nicht darum, dass wir in gewaltig hohe Welten aufsteigen. Diese hohen Welten befinden sich dicht um uns herum. Sie können lange darüber nachdenken, wie es kommt, dass Sie sich nicht selbst kitzeln können. Es hat doch eine tiefe Bedeutung, dass nur etwas Fremdes Sie kitzeln kann. Sie sind sich selbst nicht so fremd wie ein anderer Mensch, darum geht es. Und dies alles hat etwas mit unserem Tastsinn zu tun. Denken Sie sich einmal hinein in den Unterschied, ob ein Kind mit feinen Dingen in Berührung kommt, wie gutes Holzspielzeug oder Seidenpuppen, oder ob es hauptsächlich mit Plastikspielzeug spielt. Die Qualität des Tastsinns wird wirklich anders entwickelt bei einem Kind, das mit natürlichen Materialien aufwächst, als bei einem Kind, das mit einer ganz anderen Sorte Material groß wird.

Und so landen wir wieder beim Paradoxon des Tastsinns. Er stößt uns mit Gewalt – auch wenn es viele Jahre dauert – aus der Welt heraus; unweigerlich stehen wir dann der Welt gegenüber. Und zugleich ist noch immer derselbe urmenschliche, intime, unauslöschliche Drang da, uns mit der Welt zu verbinden. Aber tastend erleben wir stets die Enttäuschung: Niemals kommen wir ganz in sie hinein. Die Welt wird durch den Tastsinn gerade zum Rätsel. Das erleben Sie auch, wenn Sie etwas vor sich liegen haben. Sie haben zum Beispiel einen schönen Stein und erfühlen ihn; in Ihnen bricht gleichsam eine Bewunderung für die Welt auf, wenn Sie den Stein betasten. Sie rühren daran und merken: Ich habe es in Händen, ein Stück Welt, aber das Rätsel wird nur größer und größer. Ich habe einen Amethyst in meinen Händen, ich fühle, dass es ein Amethyst ist, ich bin so dicht daran, aber je dichter ich daran bin, desto weiter bin ich davon entfernt.

Rudolf Steiner hat über das eigentliche Rätsel des Tastsinnes gesagt, der Mensch würde ohne Tastsinn nie zu einem Gottesbewusstsein kommen! Nie wären wir ohne Tastsinn religiöse Menschen. Religion ist Wiederverbindung. Denn sobald wir etwas ertasten, haben wir das magische Gefühl: Da ist eine Welt, von der ich Abschied genommen habe und die unergründlich ist. Das nennen wir das Metaphysische. Gerade an dem scheinbar ganz Physischen, am physischen Sinneswerkzeug, erleben wir das Metaphysische, das Transzendente. Hart gegen hart: Wir sind so dicht daran, und wir sind endlos weit davon entfernt. Die leibliche Grundlage – denn alles ist aus dem Leiblichen entwickelt – ermöglicht es uns, zu einem Gottesbewusstsein zu kommen. Anders würden wir das nie können. Das werden wir auch im Folgenden noch sehen: Alle Sinnesorgane sind erhabene Lehrmeister des Menschen, wenn er sein Geistesohr dafür öffnet. Sie können sehr lange darüber philosophieren, wie Gott entsteht, ob das Phantasie ist oder eine Freudsche Vaterfigur. Aber wenn Sie über den Tastsinn nachdenken, so kommen Sie zu dem inneren Erlebnis, dass durch diesen Tastsinn der Mensch später, wenn er denken kann, zum Verständnis einer göttlichen Welt kommen kann: einer großen, geheimnisvollen Welt, die wir nie ganz ergründen werden.

Das ist das eigentümliche Gefühl beim Tastsinn: Sie sind nahe daran, Sie halten es in Ihren Händen – und zugleich ist es endlos weit entfernt, Lichtjahre weit! Sie erleben die gewaltige Größe dieser Welt in Ihrem kleinen Mikrokosmos, den allein Sie umtasten können. Doch auch ihre eigene Leiblichkeit bleibt ein ewiges Rätsel. Das Rätselhafteste, dem Sie überhaupt im Zusammenhang mit dem Tastsinn begegnen, ist eigentlich zugleich ganz charakteristisch.

Sie können sich, wenn Sie die Apostel Thomas und Johannes ansehen, die Frage stellen, wer von beiden denn tiefer mit der Christuswesenheit verbunden gewesen ist. Der eine lag an seinem Herzen, der andere durfte an seine Wunden tasten, weil er zweifelte. Legte Thomas wirklich die Hand in seine Wunde? Erlag er der Versuchung? In seinem berühmten Gemälde «Der ungläubige Thomas» (1634) ließ Rembrandt den Apostel nicht tasten. Der Bibeltext lässt es offen (Joh. 20: 24 – 29).

Das eigentlich stellt der Tastsinn für den Menschen dar: den großen Lehrmeister der Tatsache, dass wir abgesondert sind. Abgesondert von was? Vom großen Kosmos. Und ob man es nun den Makrokosmos nennt oder die Natur, ob man es Gott nennt oder das Metaphysische oder das Dreieck, macht keinen Unterschied, darum geht es nicht. Es handelt sich also darum, innerlich den Prozess zu erleben, den der Tastsinn uns offenbaren kann.

Das Phänomen Jucken

Neben unerträglichen Schmerzen, heftiger Seekrankheit und starkem Schwindelgefühl (der Menière-Krankheit) gehört maßloser Juckreiz wohl zu dem Entsetzlichsten, was einem Menschen widerfahren kann.

Um den Zusammenhang des Juckreizes mit dem Tastsinn zu verstehen, zunächst Folgendes: Das Charakteristikum jedes Sinnesorganes ist, dass es bestimmte Fakten an die Seele weiterleitet. So leitet das Auge alles weiter, was mit Licht und Farbe zu tun hat. Und der Hörsinn alles, was mit Geräuschen zu tun hat. Das Sinneswerkzeug als solches macht sich dabei nicht bemerkbar, genauso wenig wie ein guter Dolmetscher.

Aber bei bestimmten Krankheiten oder Vergiftungen oder durch einen schweren Eingriff, durch elektrischen Reiz oder chemischen Einfluss – Brennessel, Qualle, Mückenstich (die Schmerzen hängen mit dem nachfolgend zu besprechenden Sinn, dem Lebenssinn, zusammen) – oder durch Ermüdung oder durch Alter kommt diese vollständige Zurückhaltung nicht richtig zustande. Das Sinneswerkzeug selbst fängt jetzt an, eine Rolle zu spielen; es drängt sich auf.

Wir haben alle schon erlebt, dass wir durch einen Stoß gegen unser Auge «Sterne» sehen. Bei Migräne (einseitigem Kopfschmerz) erleben wir etwas wie ein Flackern und schwarze Flecken vor den Augen. Auch bei einer Ohnmacht (wenn die Sinneswerkzeuge nicht mehr richtig mit Blut versorgt werden) haben wir Sehstörungen, und das Hören wird durch Sausen oder Rauschen gestört. Bei der Menière-Krankheit (einem so starken Schwindelgefühl, dass man sich hinlegen muss) spielt das Gleichgewichtsorgan selbst die Hauptrolle. Unser Hören kann dann plötzlich und unerwartet durch ein sehr hinderliches Geräusch oder durch einen Pfeifton gestört werden. Sehr oft entstehen dabei – lang anhaltend oder kurz – Flecken vor den Augen, die uns beim Sehen stören.

Und so kann es auch passieren, dass der Tastsinn seine Aufgabe nicht ordentlich wahrnimmt, die nämlich darin besteht, uns das Gefühl zu vermitteln, dass wir abgeschirmt, beschirmt sind. Beim Jucken aber ist das deutliche Grenzerleben verloren gegangen. Der Tastsinn ist mit sich selbst beschäftigt. Wir fangen an, uns wie wild zu kratzen – manchmal sogar so grob, dass es wehtut –, um den Tastsinn zur Ordnung zu rufen.

Vor allem unmittelbar nach dem Aufwachen (dem Inkarnieren) und vor dem Einschlafen (dem Exkarnieren) kann Juckreiz auftreten. In beiden Fällen sind wir nicht richtig drinnen in unserem Körper.

Aber wir können es noch genauer untersuchen. Der Tastsinn fühlt sich wohl, wenn er etwas Glattes berührt. Daher tragen wir nicht gern Kleider direkt auf der Haut, die haarig sind, die Fusseln haben. Schon eine kleine Falte kann uns stören. Streichen wir mit dem Finger oder mit etwas Dünnem, beispielsweise einem Streichholz, einer Feder über die Haut, oder auch mit einer Bürste (auch wieder nichts Glattes, sie hat viele kleine Stacheln), oder läuft ein kleines Tier, eine Ameise, eine Fliege über unsere Haut, dann juckt das. Ein merkwürdiges, unwirkliches Gefühl. Man kann es nicht greifen. Es ist dem Kitzeln verwandt. Dauert es kurz, so ist das angenehm. Wir können einander freundschaftlich damit necken. Aber wir können auch jemanden zu Tode kitzeln: eine besonders schlimme Form der Folter.

Der Tastsinn gibt uns äußerlich-körperlich ein ruhiges Gefühl. Denn der Mensch muss sich immer etwas gegen die Natur abschirmen, ein eigenes Haus bewohnen. Wir sind «Kleider-Tiere», Kulturwesen. Gott selbst hat uns mit der ersten Hülle beschenkt: Und Gott der Herr machte dem Menschen und seinem Weibe Röcke von Fell und legte sie ihnen um (Gen. 3, 21).

Wir haben beschrieben, wie der Mensch dadurch in einer besonderen Weise der Natur gegenübersteht und zugleich das Bedürfnis bekommt, auf die Suche zu gehen nach dem verlorenen Einssein. Eine innere, eine geistige Unruhe muss sich des Menschen bemächtigen: der Drang nach Wissen, der Drang nach Erkenntnis. Es kommt eine Sehnsucht nach dem Land in ihm auf, aus dem er stammt.

Beim Jucken entsteht die schlimmste Unruhe auf dem rein äußerlichen, dem stofflich-körperlichen Gebiet.

Wenn wir uns über das Verhalten eines Menschen sehr ärgern (beispielsweise ein Lehrer über das Verhalten eines Kindes), dann «juckt» es uns in den Händen, demjenigen eine Abreibung zu verpassen. Wir wollen uns für einen Augenblick von dem Abstandsgefühl trennen, das der Tastsinn bei uns bewirkt. Wir sagen zum Tastsinn: «Erfülle für einen Augenblick nicht deine schwere Pflicht, halte dich mal zurück!»

Unser Gewissen hindert uns dann daran, dies auch wirklich zu tun. Wir halten uns zurück. Na ja – manchmal auch nicht.

Ich möchte jetzt zum zweiten Sinnesorgan übergehen. Der Begriff ist für Sie vermutlich ein wenig seltsam: der Lebenssinn.5 Ich zitiere Rudolf Steiner. «Der Lebenssinn: In den wenigsten Seelenbetrachtungen der äußeren Wissenschaft finden Sie überhaupt von diesem Lebenssinn gesprochen. Gewöhnlich redet man ja nur von den fünf Sinnen, den Sinnen des Tages, des wachen Bewusstseins. Aber das braucht uns ja nicht weiter anzugehen. Es ist dieser Lebenssinn der Sinn, durch den wir unser Leben in uns fühlen, aber eigentlich nur, wenn es gestört wird, wenn es krank wird, wenn uns dies oder jenes schmerzt oder gerade wehtut; dann kommt der Lebenssinn und zeigt uns an: Dir tut es da oder dort weh. Wenn das Leben gesund ist, ist es getaucht in die Untergründe, so wie das Licht nicht da ist, wenn die Sonne im Skorpion steht, überhaupt in einem Nacht-Sternbild steht.»6

Die Wahrnehmung des Lebenssinnes ist über den ganzen Körper ausgebreitet. Wir drücken es in einfachen Worten aus. Wir merken beispielsweise beim Aufwachen, dass wir uns wohlfühlen, wir haben wunderbar geschlafen, wir könnten Berge versetzen. Sie kennen das Gefühl sicher. Aber das andere Gefühl kennen wir noch besser: Wir fühlen uns gerade nicht wohl. Hierzu gehören auch das Hunger- und Durstgefühl und ebenfalls, dass wir feuchte oder trockene Luft als unangenehm erleben. Wie auch immer – wir haben die Fähigkeit, uns innerlich ein Bild von unserer eigenen Konstitution zu machen.

Der Lebenssinn ist bei den einzelnen Menschen sehr unterschiedlich entwickelt. Das weiß ein Arzt sehr gut. Ich gebe immer sehr drastische Beispiele, das haben Sie schon gemerkt. Also, es gibt Menschen, die zu mir kommen und sagen: «Doktor, ich fühl’ mich nicht gut!» Das ist bei einem Patienten natürlich nichts Überraschendes. Also frage ich: «Na, was ist denn?» und dann sagt er: «Ja, ich fühl’ mich nicht gut!» Dann frage ich wieder: «Und was heißt das?» Und dann sagt er: «Tja, ich fühl’ mich ekelhaft!» «Und was meinen Sie damit?» «Ich fühle mich krank!» Als Arzt muss man da endlos fragen. Man kommt aber nicht dahinter. Man muss den Patienten ganz sorgfältig untersuchen, und dann sagt er plötzlich: «Da sitzt es!» Dann ist man als Arzt natürlich sehr stolz, dass man es gefunden hat.

Es gibt auch andere Patienten. Die kommen zu einem, und dann sagen sie, wobei sie auf ihr Herz zeigen: «Es sitzt hier, und es strahlt langsam aus, aber nur nach links, und dann geht es in kleinem Bogen nach rechts, dann wird es ein bisschen wärmer, und es ist genauso, als würden drei Äste davon ausgehen.» Solche Patienten können ihr Leiden lange beschreiben. Dies alles ist nicht als Spöttelei gemeint. Es ist unglaublich interessant, zu erfahren, wie der eine ein Bild vor Augen hat und der andere nichts sieht. Der Lebenssinn ist wirklich ein Sinnesorgan, mit dem der eine Mensch viel mehr verbunden ist als der andere. Er ist bei dem einen Menschen mehr entwickelt als beim anderen.

Nun können Sie diesen Sinn bei jedem Menschen auf eine sehr gemeine Art deutlich machen. Da sehr vieles durch die anderen Sinne überlagert wird, ist es nicht so einfach, den Lebenssinn gesondert wahrzunehmen. Setzen wir nun aber einen Menschen in einen völlig schalldichten Raum, dazu noch im Stockdunkeln, und nicht als Wurm, sondern ganz und gar als Mensch, der somit nichts sieht und nichts hört, kein einziges Geräusch – und normalerweise gibt es immer irgendein Geräusch, es muss wirklich ein speziell konstruiertes, absolut schalldichtes, dunkles Zimmer sein. Wissenschaftler können ein solches Zimmer herstellen. Darin wird der Mensch vollkommen verrückt! Auf einmal beginnt er, alles Mögliche in sich selbst wahrzunehmen. Beispielsweise hört er sein Blut rauschen. Er wird einfach wahnsinnig bei all dem, was er innerhalb seiner Konstitution wahrnimmt.

Offenbar hat jeder Mensch ein Sinnesorgan, das sich über den ganzen Körper ausbreitet. In der Wissenschaft nennen wir das die sympathischen und die parasympathischen Nerven. Alles ist von ganz kleinen Nerven durchzogen, die den Menschen seine Konstitution wahrnehmen lassen: der Lebenssinn. Wir merken mit Hilfe dieses Sinneswerkzeuges auch, dass wir Hunger oder Durst haben. Ja, woher wissen wir denn, dass wir essen müssen, woher wissen wir, dass unser Körper zu essen verlangt oder dass er Wasser haben muss? Das haben wir tatsächlich diesem Lebenssinn zu verdanken. Sie können es hier auch Konstitutionssinn nennen, das Wort ist unwichtig, es geht darum, dass Sie etwas damit verbinden.

Wir müssen uns die Frage stellen: Womit haben wir es denn zu tun beim Lebenssinn? Beim Hunger und Durst merken wir es schon ein klein wenig. Wir würden auch ganz hübsch in Schwierigkeiten geraten, wenn wir das nicht merken würden! Stellen Sie sich einmal vor, dass Sie auf die Uhr schauen müssten, um zu wissen, dass Sie essen müssen oder dass Sie einen Schluck trinken müssen! Das wäre doch sehr merkwürdig. Es geht jedoch noch viel weiter. Und damit kommen wir an eine schmerzhafte Seite dieses Lebenssinnes, das ist nämlich der Schmerz selbst. Sie verstehen wohl, dass wir ohne Lebenssinn auch keinen Schmerz fühlen könnten. Schmerz ist eigentlich nichts anderes als eine extreme Äußerung des Lebenssinnes. Nun wird in unserer Kultur alles getan, um den Schmerz so weit wie möglich auszuschalten, denn Schmerz ist natürlich sehr unangenehm. Doch ist es gut, zu überlegen, was der Schmerz alles bewirken kann. Das kommt einem schockartig zu Bewusstsein, wenn man das Entgegengesetzte erlebt.

Vor längerer Zeit, es war wohl in den sechziger Jahren, stand ein aufsehenerregender Artikel in der Zeitung. Es wurde von einem Jungen in Amerika berichtet, dessen Eltern für nur kurze Zeit fort waren. Als sie nach Hause kamen, sahen sie, dass ihr Söhnchen eine Kerze angesteckt hatte und nun herrlich mit seinen Fingern darin spielte. Der Junge schien das sehr schön zu finden, denn es stank furchtbar und es knisterte so gemütlich, so mit den Fingern in der Kerze. Sie empfinden sicher, dass in den Eltern etwas anderes vorging als in dem kleinen Jungen.

Hier haben wir es mit dem extremen Fall eines Kindes zu tun, dessen Schmerzsinn sich rätselhafterweise nicht entwickelt hatte. Was muss in einem solchen Fall geschehen? Es ist natürlich entsetzlich, wenn man sieht, wie das Kind da so zugange ist. Und doch können wir von solch einem wirklichen Vorkommnis etwas lernen. Es muss im Prinzip ein gewaltiges Bewachungssystem eingesetzt werden. Wenn Vater nicht schaut, muss Mutter oder jemand anders schauen: Permanent muss das Kind bewacht werden, weil bei dem Kind selbst kein Warnsystem existiert. Menschen müssen also etwas übernehmen, was sonst durch den Lebenssinn geschieht. An diesem extremen Fall können wir erleben, dass der Lebenssinn eigentlich ein Warnsystem darstellt.

Sie sehen, dass es doch von Nutzen ist, dass wir unseren Lebenssinn haben. Wir werden dadurch eigentlich unaufhörlich kontrolliert in allem, was in unserer Leiblichkeit geschieht. Auch, ob etwas zu sauer ist, oder zu fett, oder zu viel. Auch in den Fällen werden wir gewarnt. Allerdings merken wir es oft zu spät, aber im gegebenen Augenblick dringt es doch zu einem durch, sodass Sie, nachdem Sie vielleicht zehn Pfannkuchen mit Speck gegessen haben, nicht etwa sagen: «Mein Magen macht mir zu schaffen», sondern: «Ich mache meinem Magen zu schaffen!» Denn dann sehen Sie ein, dass Sie selbst es sind, der in Zukunft etwas verbessern kann. Darauf beruht alle «Bekehrung». Es ist interessant, ohne unseren Lebenssinn würden wir nie dazu gelangen. Was wäre ein Mensch ohne Schmerzen? Auch hierzu hat Novalis etwas sehr Schönes gesagt. Er sagte: «Man sollte stolz auf den Schmerz sein – jeder Schmerz usw. ist eine Erinnerung unseres hohen Rangs.» Sie sehen, Novalis dachte anders über Schmerz, als wir es in unserer heutigen Gesellschaft gewohnt sind. Und das, obwohl er sehr gelitten hat und sehr jung gestorben ist.

Sie sehen also, dass Sie eine Beziehung bekommen zum Problem des Schmerzes, wenn wir über den Lebenssinn sprechen. Was ist nun eigentlich Schmerz, wozu haben wir ihn? Es wurde schon gesagt: Er stellt eine Warnung dar. Aber woher kommt diese Warnung? Das ist die Frage, die wir uns stellen müssen. Der Schmerz gibt uns die Warnung, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist. Dann muss diese Warnung auch aus einem Bereich kommen, wo man weiß, was «sehr wohl in Ordnung» besagt. Sie können nun einmal nur dann jemanden warnen, wenn Sie wissen, wie es sein müsste. Das ist nun beispielsweise bei einem Weichensteller ziemlich einfach, aber wo ist die Instanz, die weiß, wie es in unserer Leiblichkeit auszusehen hat? Die muss aus einer höheren Ordnung stammen.

Geistesmensch