»Dem Stift Wirzburg viel Gutes hat gethan
Bischof Heinrich, der herrliche Man,
Das muß man von ihm sagen!
Zwei Grafschaften bracht’ er daran,
Drei neue Kloster fing er an
Zu bauen bei seinen Tagen:
Neumünster, Haug und Sankt Stephan,
Darin des Gottesdienstes pflagen
Viel fromme Chorherrn sonder Wahn:
Sankt Benediktus Ordensban
Thäten’s alle jagen.«

Alter Spruch.




In ew’ger Gegenwart steht alles Leben. – –

X.

Inhaltsverzeichnis

»Halt an, Freund!« rief Fulko. »Du darfst nicht entweichen mit deiner Lebensgeschichte. Beichte!« Hellmuth erwiderte nicht, er strich nur das schlichte, kurze, dichte Blondhaar aus den heißen Schläfen. »Jawohl,« pflichtete Minnegard bei und haschte ihn, da er wieder an ihr vorüberstürmte, am braunen, lang nachflatternden Mantel. »Steht! Und steht Rede!« »Ist bald geschehen,« erwiderte gelassen der Traurige. »Heiße, wie ihr wisset, Hellmuth …« – »Trübmuth solltest du heißen!« – »– vom hohen Horst. Fern, aus dem Lande der Ostfalen stammte der Vater. Der trat in den Dienst Sankt Burchhards zu Würzburg. Als des Bistums Dienstmann bin ich geboren und trage seit der Schwertleite des Bistums Waffen. Das ist alles.« »Nein,« rief der Ritter von Yvonne, »wie du sie trugst, – das ist die Hauptsache. Noch zählst du nicht dreißig Jahre und seit vierzehn Jahren hast du in keinem Gefechte gefehlt auf deutscher, welscher, wendischer Erde, darin Sankt Burchhards Fähnlein geflattert und jedesmal … –« »Bist du nun fertig, Lobposaune?« schalt der Sachse, kurz vor ihm Halt machend. »O nein, noch lange nicht!« lachte der Provençale. »Denn du wirst noch lange ruhmreich weiterkämpfen in Ernst und Spiel.« – »Glaubst du? In einem Spielkampfe spiel’ ich nie mehr mit. Ich hab’s gelobt. Nur in den nächsten Ernstkampf, der bevorsteht, – in den reit’ ich noch ein.« – Und als er wieder fern von den anderen war auf seinem hastigen Gang, fügte er bei: »und nimmermehr heraus!« – »Und du, schöne Edel, vielgestrenge Vetterin, – willst du uns auch nicht mehr Worte gönnen als dieser eiserne Rennespeer?« – »Noch wenigere. Ihr wißt, ich bin von der Spindelseite eine fern versippte Niftel der Herrn von Rothenburg, aber aus Nordalbingien von der Eider stammen mir die Ahnen, von den Markgrafen von Esesfeld. Weit von hier im Nordgau lag meines Vaters Volkfried Lehen, nahe der Wendenmark. Sie brachen gar oft ein, die wilden Berunzanen. Und einmal trafen ihre weitgeschleuderten vergifteten Wurfdolche den Vater vor der Burg am Edelhag bei Wolframsdorf …«

»Ja, sind gar arg liebe Leute!« meinte Fulko, grimmig lachend.

»Sie drangen mit den Fliehenden in die Burg und verbrannten sie mit meiner armen Mutter: – Muthgard hieß sie, nach einer Ahnin – und allem, was darin lebte. Nur mich flüchtete, aus der Wiege mich reißend und aus den Flammen, ein treuer Knecht in den Taubergau zu meinen Gesippen nach Rothenburg. Dort und, seit Herr Heinrich Bischof ward, hier, haben sie mich mit milder Hand geborgen. Die Heiligen werden es den Gütigen vergelten!« – Sie schwieg eine Weile. Dann fuhr sie, weich geworden, fort, in das Ohr der Freundin flüsternd: »Du sollst ins Kloster, Liebe, und ich – will.« Minnegard erschrak. »Du wolltest – noch vor kurzem – so wenig davon hören wie ich!« – »Jetzt aber will ich! Der Herr Bischof scheint – – anderes zu wünschen. Dürft’ ich mit dir tauschen! So wär’ uns beiden geholfen.« »Aber wohl nicht allen,« lächelte das Kind der Alpen, mit einem heiteren Blick auf Hellmuth. Jedoch das Lächeln verflog ihr sofort, sowie sie Edels Auge, das sie suchte, feindlich den Schritten des Junkers folgen fand. Sie trachtete eifrig, das dunkle Gewölk solcher Stimmung zu verscheuchen: – lachte sie doch selbst so gern und hörte sie doch so gern andere fröhlich lachen! –

»Nun,« rief sie mit ihrer glockenhellen Stimme, »Herr Fulko von Yvonne, nun ist’s an Euch. Da werden wir wohl viel mehr Worte und viel weniger Wahrheit hören. Seid Ihr doch ein Sänger: – oder wie sagt man jetzt oft? – ein Dichter!« – »Gelogen ist nicht gedichtet, schönes Fräulein. Ja, wer lügt, der ist kein Sänger. Und mein Wahlspruch lautet: Wahre Schönheit ist schöne Wahrheit.« – »Nicht ganz übel! – Nun, so sagt uns denn auch schön die Wahrheit über – Euch! Nämlich! …« – Sie schwieg beharrlich. – »Was will dies nämlich?« – »Nämlich: – – ich kam einmal in Euere Kammer! …« – »Nun?« – »Nämlich der Herr Bischof schickte mich: – denn er wußte, Ihr waret fern: – mit den Junkern Hellmuth und Blandinus saßet Ihr, wie gewöhnlich um die Mittagszeit, im schmalen Rebgarten des Hatharlin, der den besten Wein verzapfen soll, unter seinen grünen Bäumen … –« – »Weiß Dame Abonde, dort trinkt sich’s gut mit fröhlichen Gesellen!« »Der Herr Bischof, der selbst noch zuweilen die Laute zupft wie in seinen Welttagen, gebot mir, Euere Citole zu holen. Oder vielleicht auch« – sie errötete – »erbot ich mich dazu an Supfos des Kellermeisters Statt. Denn längst war ich ein wenig neugierig, wie es wohl bei … Nun – ich fand Euere große, große Truhe offen.« – »Hab’ leider keine Ursach’, sie zu schließen!« – »Und fand – bei Eurer welschen Laute! – gar sonderbare, mannigfaltige Herrlichkeiten. – Beutestücke wohl? Siegeszeichen?« – »Was meint Ihr da?« »Ei nun, welke Blumen, darunter noch in der Welke gar schöne, mir unbekannte, wohl an Durance und Garonne aufgeblüht, ganze oder auch in der Mitte geteilte Schapel, seidene Bänder, buntfarbige Schleifen, goldene Knöpflein, Ringlein und Spangen und allerlei solch’ Zeug. Wenn die erzählen könnten, – was würden wir da alles erfahren!« drohte sie mit dem Zeigefinger.

»Daß Fulko von Yvonne mit Schwert und Laute durch gar manches Herren Land geritten ist vom Pyrenäenberg bis über den Main, daß er in gar mancher Schloßhalle und mancher Kemenate gesungen und unverdientes Lob gewonnen, auch gar manch’ üppige Frau, manch’ schlanke Maid gesehen und schön gefunden und ihr das auch vorgesungen, – aber nur Eine geliebt hat. Wollt Ihr deren Namen wissen, Jungfrau Minnegard?« »Behüte! Mädchen sind nicht neugierig,« fiel sie hastig abwehrend ein, aber sie lächelte und errötete. »Jedoch ein anderes wüßten wir gern von Euch: Euer Wesen schillert zwiefach: seid Ihr ein Welscher oder ein Deutscher?« – »Beides, o wißbegieriges Fräulein. Ich verbinde beider Völker Tugenden.« – »Oder doch Laster! Aber erzählt!« – »Mein Vater war ein Neckarschwab; er kam auf einem Kriegszuge unter Kaiser Ott dem Roten nach Frankreich: das schöne Land gefiel ihm: er blieb nach dem Friedensschluß darin, nahm Lehen von Kaiser Otts treuem Verbündeten, dem Grafen Gottfried vom Ardennerland, zog mit diesem in allerlei Fehden tief in den Süden bis in die Provence und erstürmte dort einmal das feste Schloß Yvonne, das hoch von steilem rotem Fels durch Rebgelände niederschaut auf die wild schäumende Durance, nahm den Burgherrn, Graf Eudo von Yvonne, gefangen und machte mit dem Graukopfe wenig Umstände …« »Pfui, wie unmenschlich!« schalt Minnegard. – »Nun, das ist doch zuviel gesagt. Er that ihm gar nicht weh dabei, als er ihn … –« – »Schweigt! Wie grausam!« – »Zu seinem Schwiegervater machte.« Da lachte die Braune hellauf und selbst das andere Paar konnte sich des Lächelns nicht erwehren.

»Ja, das blieb nicht die einzige Unmenschlichkeit, die er ihm anthat. Schon zehn Monate danach erhob er ihn – aus lauter Ehrfurcht für sein graues Haar! – zu noch höherer Ehre, indem er ihn –« – »Nun?« – »Zu meinem Großvater machte. Meine Mutter aber, Frau Jolanthe, war die wunderschönste Frau über all Septimanien, Aquitanien und Provence. Noch jetzt ist sie gar hold zu schauen, wie Ihr bald selbst sehen und gestehen werdet, Jungfrau Minnegard. Gott segne ihre lieben Augen. Heil mir: ich hab’ sie niemals im Leben weinen machen.« – »Das – das war ein hübsches Wort – das beste, was ich noch von Euch gehört. Aber was schwatzt Ihr da von Sehen? Wie sollte Eure Frau Mutter an den Main kommen?« – »Aber Ihr kommt – sicher! – an die Durance. – – Der Vater sandte mich schon früh von Yvonne an die Lehnhöfe zu Orleans, zu Paris, zu Givet: – denn ein Junker, meinte er, wird nirgends schlechter erzogen als daheim. Von Givet aus geleitete ich unseren Lehnsherrn, Graf Gottfried, zu dem jungen Kaiser, der damals noch in Deutschland weilte, erhielt Urlaub, unsere schwäbischen Gesippen am Neckar zu besuchen, ward auf dem Rückwege hier von Bischof Heinrich, altem Waffenbruder meines Vaters, väterlich aufgenommen und … –« »Und es scheint Euch hier nicht übel zu behagen,« meinte Minnegard. »Schon recht lange erfreut Ihr den Main und uns durch Euren Anblick.« »Der Bischof hat ihn gar lieb gewonnen, den Schalk,« sprach Hellmuth, die Hand auf des Freundes Schulter legend, »wie wir alle. Wir lassen ihn gar nicht wieder fort.« – »Ja, ich lasse mich erbitten, noch zu bleiben. Denn ich muß dabei sein, wenn Jungfrau Minnegard den Schleier nimmt. Ganz notwendig muß ich dabei sein.« »Wie schadenfroh!« schalt diese. – »Ich meine ja nicht den Nonnenschleier: – den anderen meine ich!« flüsterte er ihr ins Ohr, sich so nahe vorbeugend, daß sein braun Gelock ihre Wange streifte. »Jetzt ist’s Zeit, aufzubrechen,« rief sie. »Es wird immer heißer hier im Walde.«

Hellmuth und Edel sprangen hastig auf: sie fanden das Beisammen kaum zu tragen; sie schritten dem Rastorte der Rosse zu. Aber dem anderen Paare schien’s nun nicht so zu eilen: – auch dem Mädchen auf einmal nicht. »Ihr habt noch ein Wort einzulösen,« mahnte sie, ruhig sitzen bleibend. – »Ich weiß: ein Lied!« – »Nun wird es zu Tage kommen, daß Ihr gar nicht, wie Ihr geprahlt, aus dem Stegreif dichten könnt.« – »Doch! Aber – wenn’s Euch dann nur auch gefällt. Ihr müßt’s dann nehmen, wie mir’s aus der Seele bricht. Und bei mir heißt’s: Feuer in die Leier oder Leier ins Feuer.«

»Nur zu! Fangt nur an. Ich fürchte mich nicht vor dem Feuer. Ich gleiche der Schwalbe: die Kälte verscheucht mich, die Wärme zieht mich an. Da! Nehmt!« Sie reichte ihm die kleine, zierliche, welsche Laute, die sie schon vorher neben sich bereitgelegt hatte. Er strich einmal über die Saiten, hob das schöne Gesicht in recht bedrohliche Nähe zu dem ihrigen, sah ihr tief, suchend, in die haselbraunen Augen und hob an:

»Zu deinen Füßen lieg ich hier
Und schau’ dir in die Augen:
O könnt’ ich all dein Wesen mir
Heiß in die Seele saugen!

Du trägst empor zu Sternenhöhn
Die glanzbeglückten Sinne:
Du bist so schön, so zauberschön,
So wonnig wie Frau Minne.

Streifst mein Barett nur an dein Kleid,
Durchrieselt mich’s wie Feuer:
Du meine Qual und Seligkeit,
Du mehr als Gott mir teuer!

Man sagt, bald wird die Welt verwehn
In Brand und Funkenstieben:
Doch nicht in Glut kann untergehn
Mein noch viel heißres Lieben.

Die Liebe, die ich – unerkannt! –
Fühl’ hier im Herzen schlagen,
Sie wird dich durch den Weltenbrand,
Ein Flammenmantel, tragen!«

Bei der letzten Zeile sprangen beide, heiß bewegt, auf: die Laute flog in das Moos, und wer weiß, was das Rotkehlchen, welches neugierig aus der Weißdornhecke auf das Paar hervorguckte, würde zu sehen bekommen haben, – hätten nicht gerade in diesem Augenblick die Diener den Zelter des Fräuleins herangeführt.

XIV.

Inhaltsverzeichnis

Angesehene Leute fanden in jenen Zeiten auf ihren Reisen fast immer Unterkunft bei Gastfreunden; auf dem flachen Land in Burgen der Ritter oder in Höfen der bäuerlichen Landsassen, in Klöstern oder in den – freilich noch seltenen – Städten in den Häusern der Burgensen. Die schmutzigen Herbergen in den Dörfern und Städten aufzusuchen und darin zu nächtigen, vermied man gern: es ging gar unsauber, wüst und lärmend darin her. Häßlich und unbehaglich sah es denn auch aus in einem solchen Leuthaus des Nordgaues südlich der Eger nahe der Mark der böhmischen Berunzanen. In der großen Schenkstube lag auf den löcherigen Dielen schmutzig Schilf; und nicht nur von ehrlichem Ruße waren die Wände aus ungehobeltem Kiefernholz so dunkelfarbig geworden; ein paar rote Flecken in dem Schmutz des Bodens verrieten verdächtige Ähnlichkeit mit der Farbe des Blutes.

Um den viereckigen Schenktisch – dessen Platte ein mittendurch zersprungener Schieferstein bildete, sie ruhte auf vier geschrägten Balken – saßen auf niedrigen Schemeln, rohen Eichstrünken, zwei Männer in eifrigem, oft im Flüsterton geführtem Gespräch. Die lange nicht mehr gesäuberte, hohe, schmale enghalsige Zinnkanne und zwei Becher aus leichtem Tannenholz enthielten ein gelblich braunes, säuerlich riechendes Getränk; nur einer der Gäste sprach ihm zu: der andere – in geistlicher Tracht – schob mit widerwilliger Handbewegung seinen Becher so weit von sich hinweg, daß der Geruch des Nasses ihm nicht mehr in die Nase steigen möchte. »Ihr trinket gar nix, Archidiakon?« fragte der eifrige Zecher in einem Deutsch, dem slavische Zischlaute einen seltsamen Anklang liehen. »Verbietet’s ein Gelübde? Oder eures Magens Eigenart?« »Mein Gaumen gebietet mir und meines Wesens Eigenart, nur Wein, – guten Wein – zu trinken, nicht dies Gärgebräu, das zu einer gewissen Ähnlichkeit mit kahnigem Traubensaft verdorben ist und das diese deutschen Barbaren Bier nennen.« »O, ist nix schlecht,« meinte der andere und füllte sich den Becher aufs neue. Obwohl es ein warmer Sommerabend war, bestand seine Tracht aus Pelz: sein enganliegendes, bis an die nackten Kniee reichendes Wams war aus vielen hunderten von schwarzen Maulwurfsfellen zusammengenäht; um die Hüften hielt es ihm ein breiter Dolchgurt aus mattem schwarzem Leder zusammen: die Waden steckten in Strümpfen aus dem gleichen schwarzen Rauhwerk: die Schuhe wurden ersetzt durch strohgeflochtene Sohlen und ein Kreuzgeschnür von dunkeln Riemen. Die sammetschwarzen und sammetweichen, jeder Biegung der geschmeidigen Glieder sich eng anschmiegenden Fellchen sahen aus wie die angewachsene Haut selbst des Wenden und gaben ihm bei seinen weichen, katzengleichen Bewegungen Ähnlichkeit mit einem schwarzen Panther.

Aus dem dunkelbraunen Gesicht über den häßlich vorstehenden breiten Backenknochen zu beiden Seiten der aufgestülpten Nase funkelten ein paar tiefschwarze, aber feurige Augen; der Bart war glatt abgeschoren, ausgenommen zwei sehr lange schmale Stränge des Schnurrbarts, welche ihm rechts und links vom Munde hingen: er strich und drehte daran unablässig mit der Linken. Auf dem schwarzen, kleingekrausten Haar saß ihm schief, aber kecklich, eine hohe viereckige Mütze aus dem gleichen schwarzen Fell, von dem ein paar schwarz-weiße Elsterfedern grell abstachen; die rechte Hand fuhr ihm öfter an den Horngriff des langen krummen Säbels als für die Gemütlichkeit der Unterhaltung ersprießlich war: gereinigt war alles, was er am Leibe trug, niemals worden und der Leib selbst recht selten. »Ist ganz gut hinunterschütten,« wiederholte er, den Becher niedersetzend und sich den triefenden Schnauzbart mit der Rückseite der Hand wischend. – »Ja, Ihr seid nicht verwöhnt, Herr Berunzane. Weder in Trank noch in Speise. Wahrscheinlich habt Ihr all die armen Schermäuslein auch verspeist, denen ihr die weichen Wämmslein abgestreift.« – »Aber gewiß! Leckerer Braten! Besser sogar noch als Engerlinge! Sind wir nix so reich, wir armen Brüderlein, wie diese Deutschen.« – »Wißt Ihr auch warum, mein Fürst?« – »Oh ja. Weil nix arbeiten, wie die Bauerntölpel. Deutschen ist Hand gewachsen zum Pflugziehen, uns, zu nehmen, was Deutscher erarbeitet hat.« – »Ja, ja, Eure Leute treiben’s arg mit Stehlen im Nordgau. Deshalb will ja Euch und Eure Haufen weder Ritter noch Freibauer noch Abt aufnehmen in Burg, Hof oder Kloster. Deshalb muß ich heute in diesem übelstinkenden Bretterverschlag mit Euch sitzen, Fürst Zwentibold, Spithinieffs edler Sproß!« – Der Fürst der Maulwürfe zuckte die Achseln: »Ich hab’ Euch nix gesucht, Ihr mich. Und was wir zu verhandeln hatten, brauchte weder Laie noch Pfaff zu hören.« – »Wir sind nun doch einig – in allen Stücken?« – »Ganz einig. Der Handel gilt: ›Blut gegen Gold‹. – Nur eines wurmt mich noch.« – »Und das wäre, wackrer Held?« – »Daß Ihr mir nur die Hälfte des Geldes ausgezahlt habt.« – »Die andere nach dem Sieg.« – »Das will sagen: Ihr traut mir nix. Aber ich soll Euch trauen. Und seht, Herr Archipfaff, das ist zu viel verlangt.« – »Herr Wende!« – »Nun ja! Schaut, ich und meine lieben Wölflein, – wir sind hier fremd im Land. Daß wir – gegen gutes Gold! – gern gegen die verhaßten Deutschen losschlagen, daß wir gerne dazu helfen, wenn deutscher Bischof gegen deutschen König kämpft und Königsgraf, – das! – beim großen Zrnbog! – das mag man füglich von uns glauben. Wer aber bürgt uns, daß Ihr Euch nicht wieder vertragt mit den anderen Deutschen? Wer bürgt für die Zähe Eures Hasses? Ihr seid …« – »Kein Deutscher!« – »Wohl, wohl. Weiß! Seid Lombarde! Aber Kaiser Otto ist auch Euer Landesherr. Wie Deutschland gehöret ihm Lamparten!« Da erschrak der Wende: denn der sonst so kühle Priester schlug plötzlich mit der Faust auf die Schieferplatte, daß die Becher aufhüpften: und tödlicher Haß sprühte aus den dunkeln Augen unter den starken Brauen, als er mit einer vom Zorn halb erstickten Stimme hervorstieß: »Ja, leider! Fluch ihm dafür! Fluch und Verderben allen Deutschen.« »Beim schwarzen Zrnbog!« rief der Slave, zurückprallend auf seinen Schemel. »Welche Wuth! Woher?« »Woher? Warum? Weil …! Wohlan: Ihr sollt’ es wissen! Ihr müßt sogar darum wissen, sollt Ihr das eine – das letzte – verstehen, was wir noch nicht beredet haben und was mir doch das Wichtigste von allem.« Mißtrauisch fuhr der Häuptling an den Schwertgriff und warf die dicken wulstigen Lippen auf: »Nix einen Finger rühr’ ich über das Versprochene hinaus für das wenige Geld, den Bettelsold. Ein Knicker ist er, euer Bischof von Würzburg.« »Es ist nicht viel,« gab der Priester zu: »Nicht meine Schuld! Der Weichmütige wollte nicht einmal diesen Betrag – ›einstweilen nur!‹ – seinen frommen Bauten entziehen. Säße ich auf dem reichen Stuhl des reichen Würzburg, – Euer Lohn sollte …! Aber Ihr fragt, woher mein Haß gegen diesen Kaiser-Knaben, gegen alles, was Deutsch? O der Haß ist trefflich begründet. Ihr wißt nicht, wen Ihr vor Euch habt, tapferer Häuptling.« – »Den Archidiakon von Würzburg,« sagte dieser, offenbar ohne sehr hohe Meinung von einem solchen Wesen. – »Gott sei’s geklagt! Aber in des Priesters Adern fließt königliches Blut.« – »Das wäre!« staunte der Wende und riß die Augen auf. »Und ging’ es nach Recht und Gerechtigkeit, so säße ich in diesem Augenblick statt in dieser schmutzigen deutschen Herberge auf dem goldenen Throne zu Pavia und dies Haupt trüge, statt der Tonsur, die Königskrone des Lombardenreichs.« – »Ihr seid …?« – »Ich bin der Sohn Berengars, des letzten rechtmäßigen Königs von Italia, und der einzige Erbe seines Rechts und seiner Krone. Mein armer Vater! Überwunden und gefangen von jenem schrecklichen eisernen Otto, verbannt für immer aus unserer schönen Heimat starb er – hier in der Nähe – zu Bamberg. Anmaßer, Gewaltherren, Thronräuber, Tyrannen sind alle Ottonen wie jener erste, der meinem Vater das Scepter aus der Hand riß.« – »Aber,« wandte der Slave ein, »in Welschland sagte man mir, die Welschen selbst haben jenen ersten Otto ins Land gerufen, damit er endlich Ordnung und Ruhe …« »Tyrannen sind sie!« schrie der Lombarde, ohne auf die Worte zu achten. »Auch mich, ein Knäblein damals, hat der fremde Zwingherr mit meinen Eltern über die Alpen geschickt in dies Land voll Eis und Nebel und nach des Vaters Tod zu Würzburg erziehen lassen.« – »Das war unvorsichtig, sehr! Bei uns zu Land erdrosselt man die Knaben besiegter Fürsten.« – »Teuflisch grausam war es! Denn in einem Kloster – zum Priester! – ward ich erzogen. Der Welt, den Waffen sollte ich für immer entrückt, unschädlich sollte ich gemacht werden. Ein Pfaffe kann Italien nicht befreien vom Joche der Barbaren! Und doch ist die Lust an weltlicher Macht, die Gier, zu herrschen, ja – und ich fühl’s! – auch die Gabe, zu herrschen, Land und Leute zu regieren, staatsmännische Pläne zu schmieden mit des Vaters Herrscherblut auf mich vererbt. Statt dessen – was bin ich?« – »Nun, wie sich soeben zeigt, auch in weltlichen Dingen nix ohne Gewalt: – die rechte Hand eines deutschen Kirchenfürsten …« – »Verschling’ ihn der Abgrund der Hölle!« schrie der Lombarde. – »Hui, welch heißer Haß! Und dennoch dient Ihr ihm so eifrig? – Wie soll ich das verstehen?« – »Ihr müßt’s verstehen lernen! Hört weiter! Als ich zum Jüngling, zum Manne herangewachsen war und den Frevel begriff, den diese Deutschen an meinem Vaterland, an meinem Vater, an mir begangen, da knirschte ich in das Gebiß, mit dem sie mich wehrlos gemacht hatten. Tag und Nacht sann ich darauf, es abzustreifen. Aber tief verbarg ich Haß und Groll und Hoffnungen! So gut gelang mir die Verstellung, daß ich das vollste Vertrauen der häufig wechselnden Bischöfe in der Mainstadt gewann. Bald ward ich ihr Apokrisiar, Vorstand ihres gesamten Urkundenwesens: diesseit der Alpen lebt kein zweiter, der dies Schrifttum so fein versteht. So konnte es geschehen – daß … O ich hatte jahrelang nur gehofft, als Flüchtling über die Alpen zu entkommen, um dort ganz Italia zur Freiheit aufzurufen, mein Königsrecht mit dem Schwerte zu verfechten. Und nun geschah das Wunderbare, daß mich Bischof Poppo – der zweite dieses Namens – selbst mit sich nahm auf einer Romfahrt. Wie erglühte mein Blut! Wie pochte mein Herz, als ich jenseit der Berge zuerst lombardischen Boden betrat, mein Erbgut! Wir weilten viele Monate in Pavia, in Mailand: Zeit übergenug für einen Kopf wie ich, einen Aufstand vorzubereiten. Und, – bei meines Vaters Grab! – ich war nicht müßig. Aber Schmach und Verderben! Was mußte ich erleben?« – Und er verstummte vor Ingrimm, warf beide Arme aus den Tisch und legte das Gesicht darauf. – »Nun? Was ist? Nix traurig werden!« – »Was antworteten sie mir? Sie, meine Landsleute, meine Stammesgenossen, ging’s nach dem Rechte – meine Unterthanen! ›Nie – solange wir zurückdenken mögen und unsere Jahrbücher berichten – nie seit den Tagen des großen Carolus, hat solch weise, friedliche, und doch starke, Recht schirmende Herrschaft gewaltet in unserm Heimatland von Verona bis Benevent und Napoli, wie unter diesen rotbärtigen Ottonen. Das Land ist glücklich und zufrieden – laß es so!‹ – Und da ich nicht abstand, zu schüren, zur Freiheit aufzumahmen, da drohten sie, – meine eignen Vettern in Pavia! – mich dem deutschen Zwingherrn anzuzeigen! Ah Schmach und Weh! Vernichtet war da, zertreten für immerdar all’ mein Hoffen, des Vaters Krone mir wieder zu erkämpfen, diese knechtischen Seelen zu entflammen. Ich eilte nun nach Deutschland, nach Würzburg zurück. In der entarteten Heimat Macht und Herrschaft zu gewinnen, – ich hatte es erfahren! – war unmöglich. Allein ich wußte längst, ich sah es täglich vor Augen an Köln, und Mainz, ja auch an Würzburg, wie im deutschen Reiche Männer von Geistesschärfe und Willenskraft – lange nicht soviel davon eignete ihnen wie dem Königssohne von Italien! – von ihren Bischofssitzen aus den Staat leiteten – den deutschen und den italischen dazu. König von Italien konnte ich nicht werden, aber Kanzler des deutschen Reichs wie der Kölner, – wie schon so mancher Bischof das ward. Und einstweilen war es auch nicht übel, als Bischof von Würzburg zu walten! Unablässig war ich daher bemüht, die Gerechtsame dieses Bischofs zu erweitern, durch erbetene Verleihungen des Königs, durch Geltendmachung alter, vergessener Ansprüche, die oft nur durch meine Gelehrsamkeit – oder ›Findigkeit!‹ – aus Urkunden, die ich erst wieder entdeckte, zu erweisen waren. Sie staunten über mich, die blöden Thoren, Bischof und Domherren! Sie lobten, sie lohnten meinen unermüdbaren Eifer für Sankt Burchhards Recht, wie sie es nannten. Diese deutschen Tölpel! Als ob ich mich für den ersten lange toten oder auch für den jetzigen lebendigen Bischof zu Würzburg also mühte! Nein: für den nächsten Bischof: und der sollte heißen: Berengar!«

»Ah, verstehe jetzt. Versteh! Nix dumm!« nickte der Fürst, kratzte sich eindringlich, – aber vergeblich am Kopf und trank.

»Drei Bischöfe – Poppo, Hugo und Bernward – hatte ich, höher und höher steigend in geistlichen Würden, erlebt. Nun hatte ich allen Grund, anzunehmen, – mein Amt als Archidiakon, als Apokrisiar, meine von allen laut anerkannten Verdienste um das Bistum gaben mir ein Recht dazu – bei der nächsten Erledigung des Stuhls könne keinen andern die Wahl treffen als mich. Ich zählte schon so fest darauf, daß ich – vielleicht unvorsichtig! aber wie hatte ich mich jahrzehntelang zusammengehalten! – den Stolz, das Gefühl des geborenen Herrschers, der Überlegenheit fühlen oder doch erraten, ahnen ließ – kurz, Bischof Bernward verfiel in seinen letzten Zeiten in Mißtrauen, wirkte bei dem Kaiser, bei den Domherren gegen mich und als er starb, der alte Rothenburger, da folgte ihm nicht ich, sondern sein Neffe Heinrich!« – »Ja, der Rothenburger,« knirschte Zwentibold und griff ans Schwert. »Der arge Wolf des Waldes fresse seine Seele! Was hat er uns früher viele Brüderlein erschlagen.« – »Dieser höchst ungeistliche Graf, der erst vor ein paar Jahren – plötzlich – der Welt entsagt hatte! Dieser Weltling schnappte mir mein schwer verdientes Bistum weg! Bei meines Vaters Grab! Er soll’s nicht lang mehr tragen.«

Zwentibold lehnte sich zurück, blinzelte dem Priester zu und wölbte die dicken Lippen zu einem gelinden, aber ausdrucksvollen Pfeifen: »Ahi! Aho! Fange an zu begreifen!« – »Das geht – scheint’s – langsam, Fürst, bei Berunzanen wie bei Deutschen. Meintet Ihr wirklich bisher, für eines andern Macht müht sich der Königssohn Italiens so emsig ab, feilscht um die Hilfe Eurer wilden Horde, begiebt sich in hohe Fährlichkeit? Denn Reichsverrat ist was wir treiben: – ich, mit Wollust, in klarem Bewußtsein: – der ehrenfeste Bischof unbewußt, aber doch mit mahnendem Gewissen. Das Leben kann mir’s kosten: – im Gefecht oder – nach der Niederlage: – am Galgen. Denn Graf Gerwalt versteht keinen Scherz.« »Mich wundert doch,« sprach der Wende, kopfschüttelnd, »daß es der Rothenburger thut. Er focht so treu für dieses Reich.« – »Gerade so treu ficht er jetzt für seines Bistums Recht. Aber Ihr habt nicht Unrecht. Ich hätte ihn nicht soweit getrieben ohne einen glücklichen Zufall. Der Graf, dem er den Gau zunächst abkämpfen muß, dieser Graf Gerwalt, – er haßt ihn tödlich.« – »Warum?« – »Weiß nicht. Man flüstert in der Stadt, der Graf habe ihn ausgestochen in der Gunst der schönen Kaiserwitwe. Ich entdeckte diesen Haß, als – erst ganz vor kurzem – Gerwalt, bisher Graf des Deutzgaues gegenüber Köln, den Waldsassengau mit Würzburg erhielt. Der Rothenburger wurde glutrot vor Zorn bei der Nachricht. Erst seit es gegen Gerwalt fechten heißt, will er – im Notfall – fechten. Im Notfall! wie er meint: denn erst will er den Spruch des Reichstags abwarten: – nur falls dieser sein sonnenklares Recht nicht anerkennt …« »Kann nix solang warten,« grollte der Slave. »Gewiß nicht! Deshalb hab’ ich, statt Euch erst Wartegeld zu zahlen, gleich fest mit Euch abgeschlossen. Wann brecht Ihr auf?«

»Sobald mein frischer Zuzug eingetroffen aus Tethin: zweihundert Lanzen!« – »Gut! Seid Ihr einmal – in seinem Namen – eingebrochen in den Gau, kann er nicht mehr zurück. Er darf nicht mehr Zeit haben, zu bereuen. Deshalb wollen wir auch gleich wegziehen von hier und unsere Spur verbergen, damit mich seine etwaigen Boten nicht finden und abrufen können. Denn es gelang mir doch nur dadurch ihn fortzureißen, daß ich dem verhaßten Grafen Droh- und Hohnworte in den Mund legte, die dieser nie gesprochen! Ich erfand sie – jenem Gerücht angepaßt! Das half! Wie der Stier aufs rote Tuch stürmte der plumpe Deutsche darauf hin los. Aber nun merkt auf. Jetzt kommt die Hauptsache. Der Rothenburger –« er stand auf, trat vor die halb offene Thür in das Freie und überzeugte sich, daß dort niemand das Ohr an die dünne Bretterwand lehnte. Dann kam er zurück, warf einen Blick in die anstoßende Küche, sah, daß diese völlig leer war, trat nun dicht an seinen Verbündeten heran und flüsterte diesem in das Ohr: »der Bischof darf seinen Sieg nicht überleben.« »Aha,« nickte der Slave. »Meint Ihr, ich will noch jahrelang in seinem Dienst, als sein Knecht, zusehen, wie er mit den von Kaiser Karl verliehenen Rechten den Gau beherrscht, den er mir verdankt? O nein! Ohne Zweifel werde ich zu seinem Nachfolger gewählt: – er selbst hat im voraus, falls er stürbe, die Stimmen des Kapitels für mich gewonnen: – so möge denn sein eigener Wunsch geschehen: – aber bald.« – »Jedoch wie soll …?« – »Merkt auf! Er wird nicht fehlen in dem Gefecht! Er läßt sich’s nicht nehmen, selbst den Überfall der Burg – denn die vor allem müssen wir nehmen! – zu leiten.« – »Ich führe meine Wölflein selbst,« erwiderte der Häuptling schroff. »Und nicht schlecht, glaubt mir. Hab’ was gelernt im Dienst der Byzantiner! Nix so tölpelig bloß dreinschlagen wie diese Deutschen!«

»Schon gut. Aber der Rothenburger kämpft jedenfalls mit. Nun wohl! Nach dem Sieg – den soll er uns noch erkämpfen helfen! – fliegt nicht ein Pfeil oft irr im Gefecht? Auf der Verfolgung der Fliehenden? Kann ihn nicht ein Geschoß – falsch gezielt – von Euren eigenen Leuten treffen?« Zwentibold sprang auf: »Oder ein geworfenes Messer! Sind vergiftet. Ein Hautritz – muß sterben. Fehle nie meinen Mann. Es gilt! Aber dann …« – »Das Doppelte!« – »Nix genug.« – »Wie, Unersättlicher? Ich bringe – auch als Bischof – nicht mehr auf.« – »Nix mehr an Geld. Erst das Doppelte. Dann – andres. Ist wilder, lustiger! Vorerst: meine Wölflein müßt Ihr auch in die Thore hinein lassen.« – »Er will’s zwar nicht. Aber der Überfall der Burg – der Kriegsmann in ihm wird’s einsehen – gelingt am sichersten so. Ihr sollt hinein!« – »Hui wohl! Dann – liegt er erst tot – nix zahm die Hand hinhalten, wie Bettler um Geschenklein – dann –« Die Augen des Slaven funkelten, wie die des Raubtieres, das zum Sprunge niederduckt. »Nun, was dann?« »Plündern!« stieß Zwentibold hervor mit schnalzender Zunge. »Nur zwölf Stunden! Mit Brand und Blut und – nix zu vergessen! – die Weiblein küssen, – ohne kirchlichen Segen. Ihr wißt, wir brauchen den nix,« höhnte er, »sind nix getauft!« – »Das muß ich doch …« – »Erst überlegen? Nix! Herr Bischof Berengar muß!« Seine Faust fuhr an den Schwertgriff. »Oho! Es giebt der Söldner noch mehr.« »Wohl«, lachte der Häuptling, daß seine weißen Zähne blitzten. »Aber Zwentibold, Spithinieffs Sohn, kennt jetzt des Herrn Archidiakons Geheimnisse.« »Was wollt Ihr damit sagen?« fragte der Lombarde, scheinbar ruhig, aber er ward ganz bleich unter seiner gelben Haut.

»Ihr seid nix so dumm, das nicht zu erraten! Entweder Ihr thut nach meinem Willen oder ich fange an, Geschichtlein zu erzählen. Dankbare Hörer, gut zahlende, werd’ ich finden: den Herrn Kaiser, den Grafen Gerwalt und – nicht zum mindesten – den Bischof Heinrich.« Er sprang auf. Berengar that desgleichen und reichte ihm die Hand. »Es sei! Ich gönn’ es diesen Deutschen!«

VI.

Inhaltsverzeichnis

Aber schon erhob Monitor wieder das Haupt und fuhr fort: »Da ersah ich zur Linken des Heiligen einen andern knieen! Wohl kannt’ ich auch den – und doch! – ich erkannte ihn kaum wieder. Eine herrliche blühende Jünglingsgestalt – von goldenem Gelock das Haupt umwallt – schön wie die marmornen nackten Götter, die man zu Rom aus dem Schutte der Heidentempel gräbt. Nackt war auch der Jüngling, bis auf einen Lendenschurz von schwarzer Schafwolle: – und in Bächen, in Strömen rieselte ihm das rote Blut von Rücken, Brust, Seiten und Beinen. Denn unablässig, grimmig, mit aller Kraft seines Armes geißelte sich vor allem Volk der Jüngling mit einer siebensträngigen Geißel, ein Eisenstachel am Ende jedes Stranges, und unablässig schrie und keuchte er mit schon versagender Stimme: ›Ich büße, ich bereue. Ich bereue jeden Gedanken, den ich jemals der Welt und ihrer nichtigen Herrlichkeit zugewendet und dem Reiche des Herrn entzogen habe. Denn – schon seh’ ich es vor Augen! – es nahet das Gericht des Herrn!‹ Und nun – denn ich meinte, die Stimme zu erkennen – nun schärfte ich meine Augen, auch das Antlitz des schönen Jünglings in der Weihrauchwolke genau zu sehen …

– O Heiland der Welt! – – –

Ja, er war es! Aber wie furchtbar verwandelt, wie entstellt, wie abgethan all’ der freudigen stolzen Herrlichkeit, die einst ihn geschmückt, unsere Freude, unseren Stolz. Denn – hört es, höret es alle! – er, der uns allen das leuchtende Beispiel des Glaubens und der blutigsten Büßung gab – er, der zum Entsetzen herabgemagert, nackt, wie ein Verbrecher bei dem Staupenschlag, vor allem Volk sich selbst zergeißelte – Er war es – mein Herr, euer, unser aller Herr: es war des großen Otto herrlicher Enkel, der Deutschen und der Lombarden König, des römischen Kaisers Majestät, der Herr der Welt – Herr Otto war’s der Dritte!«

Da ging ein Stöhnen, ein dumpfer Schrei des tiefsten Wehs über den Jammer aller irdischen Größe und doch auch einer gewissen grausigen Wonne durch die vielen Hunderte hin.

»Und nun,« fuhr der Mönch, sich hoch aufrichtend, fort: »Nun geschah mir das Ärgste. Ich wankte, meiner Sinne nicht mehr mächtig, dem blutüberströmten nackten Jüngling entgegen, ich streckte meine beiden Hände gegen ihn aus: – da – da traf sein Auge auf das meine, er erkannte mich und in wildem Schrecken schrie er: ›Wehe, weh! Ich kenne dich! Du bist Arn, der wilde, arge Arn, der Genosse so vieler meiner Sünden in Krieg und Jagd und Gelag. Ach, du heiliger Mann Gottes! Das ist derselbe – man hat ihn erkannt, wie er davonjagte aus dem Thore von Florenz und hat es mir gemeldet – der auf dem Marktplatz dort, auf Antrieb und in der Larve des Teufels, unter die Büßenden sprengte. Er trägt einen Dämon im Leib. Er ist besessen. Heiliger Mann Gottes, treibe den Teufel aus seiner Seele.‹

Und ohnmächtig sank der junge Kaiser zusammen.

Nun aber – wehe! wie geschah mir! Alle, alle um mich her schrieen: ›Er hat einen Dämon! Er hat einen Dämon!‹ Und der fürchterliche, der hagere Heilige schritt gerade gegen mich heran und streckte die beiden knöchernen Arme gegen mich aus und bohrte mir die brennenden Augen in meine glanzgeblendeten, schmerzenden Augen und sprach in schauerlichem Grabeston: ›Ja, ich sehe es, mein Sohn: aber nicht Einen Dämon, vier Dämonen trägst du in dir von Jugend auf: den Saufdämon, den Wollustdämon, den Kampfdämon, den Spottdämon. Ich aber – ich bin vom Herrn berufen sie von dir auszutreiben und deshalb hat dich der Herr hierher gesandt zu dieser Stunde. Auf, ihr Gerechten und Geheiligten, greift ihn, bindet ihn und geißelt ihn bis aufs Blut.‹

Ich schrie auf!

Aber nicht aus Furcht vor den Schlägen, die nun von zwanzig Geißeln auf mich niederhagelten: nein, wahrlich nein! Sondern ich schrie auf vor Entsetzen über mich selbst, vor Grauen über mein vergangenes Leben, aus Furcht vor den Teufeln in mir. Ich schrie, weil ich’s fühlte, weil ich’s denken mußte in meinem brennenden Hirn: ›Er hat Recht! Weissagend hat der Heilige, der mich nie gesehen, mein Inneres, und den Inhalt meines Lebens aus meinen Augen gelesen.‹ Und ich spürte, wie die Dämonen in mir sich bäumten und wanden, wie aufsteigende Schlangen. Und ich schrie mit letzter Kraft: ›Ja, ja, ihr Frommen! Der Heilige sprach wahr. Ein Wunder! Ein Wunder! Er hat sie erkannt, – die Dämonen, von denen ich besessen bin dreißig Jahre. O treibt sie aus! O rettet meine Seele.‹

Das war das letzte, was ich hörte und wußte auf lange, lange Zeit.

Als ich meiner Sinne wieder mächtig war, lag ich in dem Krankensaal des Klosters des heiligen Michael und stak in der Kutte der schwarzen Brüder von Garganus.

Und an meinem Pfühle saßen der Herr Kaiser zur Linken und der Herr Papst zur Rechten, zu meinen Häupten aber stand der Heilige, und sprach: ›Sehet, es ist geschehen, wie ich gebetet, wie ich geweissagt. Er sollte ja sterben müssen, sprach euer griechischer Arzt, Herr Kaiser, an »sideratio« wie er’s nannte: – Sonnenstich, das sollte das ganze Wunder sein! Ich aber fragte den gelehrten Spötter: Ei, hat die Sonne auch seine Seele gestochen? Warum ist er geworden aus einem Saulus ein Paulus? Wahrlich, wahrlich ich sage euch: ich kleide diesen geretteten Sünder in das Gewand meiner schwarzen Brüder und er wird nicht sterben. Oder, wenn er stirbt, wird er nach dreien Tagen wieder auferstehen von den Toten. So sprach ich. Wohlan: es ist der dritte Tag – er schlägt die Augen auf – er ist genesen. Ausgefahren aber von ihm auf immerdar sind seine vier Dämonen.‹ –

Und er beugte sich über mich und sah mir in den Grund der Seele mit diesen überirdischen Augen und forschte feierlich: ›Ich frage dich im Namen des Herrn, mein Sohn: nicht wahr, du bereuest, du büßest und du glaubst an das Nahen des Gerichts?‹ Und bei dem Klange dieser Stimme kam mir zurück die Erinnerung an alles, was ich in der Höhle gehört, gesehen und erlebt, und erschauernd sprach ich: ›Ja, du Heiliger des Herrn, ich bereue, ich büße und ich glaube an das Nahen des Gerichts.‹ Da warfen sich der Herr Papst und der Herr Kaiser zu des Heiligen Füßen und umfingen seine Kniee und küßten sie und der Herr Papst rief: ›Heil mir, nun hab ich, was ich immer gewünscht zur Verscheuchung meiner Zweifel: nun hab ich eines deiner Wunder mit Augen gesehen!‹

Der junge Kaiser aber schluchzte unter Thränen: ›Wohl mir, daß ich nie an dir gezweifelt, du Heiliger des Herrn.‹ Und ich beichtete dem Propheten. Und als Buße – ach wie geringe Buße! – legte er mir auf, von Stund an nie mehr im Leben Fleisch zu essen und überhaupt nur jeden dritten Tags Speise zu nehmen und nie mehr Wein. Und sprach zuletzt: ›Du ziehest aus als des heiligen Vaters Sendbote und als der meine. Weil du verspottet hast das Nahen des Gerichts, sollst du das Nahen des Gerichts verkünden unter den Menschen deiner Heimat, in dem Land Italien aber nur auf dem Marktplatz zu Florenz: wo der Dämon des Hohnes aus dir sprach, soll der heilige Geist der Wahrheit aus dir sprechen. Und wenn dir in deiner Heimat die Weltlinge nicht glauben und dich verhöhnen, so wird das die gerechte Strafe sein deines Hohnes. Wenn sie dir aber glauben, wirst du noch vor dem Nahen des Gerichts erretten die Seelen Vieler und dadurch auch die eigene: denn jener Errettung wird dir der ewige Richter anrechnen als ein gutes Werk.‹

Und bald darauf erhielt ich des Herrn Papstes Brief und Siegel und diese schwarze Fahne und vom Herrn Kaiser diesen stattlichen Wagen und die vier Rappen und zog aus auf meine heilige Sendung. Und der Herr hat sie gesegnet von Florentia an, – wo sie mein Carroccio ausspannten und den bekehrten Sünder im Triumph auf ihren Schultern über den Marktplatz in die Kirche trugen, – bis hierher: ihr sehet diese Hunderte von Geretteten.

Ihr aber, o Bischof und ihr Priester von Würzburg und ihr Bischofsmannen und Bürger und Bauern – o thuet desgleichen wie diese. Verstocket nicht eure Herzen! Ihr seht das Wunder vor Augen: das große, das der Heilige gethan hat an Arn, dem argen Sünder. So befolgt denn des Herrn Papstes, des Herrn Kaisers, des heiligen Nilus Gebot. Büßet, büßet und glaubet, das Gericht ist nah: um Mitternacht dieser Sommersonnwend – noch wenige Wochen sind’s – geht die Welt in Flammen auf und der jüngste Tag bricht an.«

Da stürzte der Mönch bewußtlos zusammen: Schaum trat ihm vor die Lippen: seine Kraft war erschöpft: er sank mitsamt seiner riesigen schwarzen Fahne in die Arme eines seiner Genossen: die drei andern aber setzten wieder die Posaunen an den Mund und bliesen und schmetterten, als erschallten schon jetzt die Posaunen des Gerichts: sie hieben auf die schwarzen Rosse ein: diese zogen an – vorwärts rollte langsam der schwere hohe Wagen und ihm folgte singend und schreiend und heulend alles Volk, die Hunderte von Ankömmlingen, und die Tausende von Bürgern und Bauern – alles wälzte sich unaufhaltsam gegen die Stadt zu: der Bischof und sein Gefolge vermochten weder seitwärts auszuweichen noch den gewaltigen Strom der wild Erregten, der Verzweifelnden aufzuhalten: willenlos wurden sie mit fortgetragen von dem wogenden Gewühl.

XIII.

Inhaltsverzeichnis

Er stand schon wieder.

Hochaufgerichtet stand er, die geballte rechte Faust auf die Tischplatte gestemmt, die flache Linke auf das wild pochende Herz gedrückt, glühendes Rot im Gesicht.

»Verzeiht, Frau Gräfin … – nein: Heilfriede, vergieb, daß ich auf die Kniee sank! Ich bin’s so sehr gewöhnt, vor Heiligen zu knieen. Und du – du bist eine Heilige! – Und ich blinder, wildherziger Mann habe dich all diese Jahre … gehaßt? O nein! Ich konnte nicht! Aber verachten wollt’ ich dich und deine Treulosigkeit. ›Die schöne Verräterin‹ nannte ich dich so gern in meinen schlummerlosen Nächten. Ach der Spruch:

›Nicht Feuer und nicht Gift im Blut
Schmerzt wie verratne Liebe thut,‹ –