Arthur Schnitzler: Anatol / Anatols Größenwahn

 

 

Arthur Schnitzler

Anatol

Anatols Größenwahn

 

 

 

Arthur Schnitzler: Anatol / Anatols Größenwahn

 

Vollständige Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2016.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Sven Richard Bergh: Hypnotische Sitzung, 1887

 

ISBN 978-3-8430-5626-7

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-8430-5188-0 (Broschiert)

ISBN 978-3-8430-5191-0 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Anatol

Entstanden 1888–1891. Vollständiger Erstdruck: Berlin (Verlag des Bibliographischen Bureaus), 1893. Uraufführung (ohne »Denksteine« und »Agonie«) am 03.12.1910, Deutsches Volkstheater, Wien und Lessingtheater, Berlin.

Anatols Größenwahn

Entstanden 1891. Erstdruck in »Meisterdramen«, Frankfurt am Main (S. Fischer), 1955. Uraufführung am 29.03.1932, Deutsches Volkstheater, Wien.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Arthur Schnitzler: Die Dramatischen Werke. Frankfurt a.M.: S. Fischer Verlag, 1962.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

Anatol

Einleitung

Hohe Gitter, Taxushecken,

Wappen, nimmermehr vergoldet,

Sphinxe, durch das Dickicht schimmernd

... Knarrend öffnen sich die Tore. –

Mit verschlafenen Kaskaden

Und verschlafenen Tritonen,

Rokoko, verstaubt und lieblich

Seht ... das Wien des Canaletto,

Wien von Siebzehnhundertsechzig

... Grüne, braune, stille Teiche,

Glatt und marmorweiß umrandet,

In dem Spiegelbild der Nixen

Spielen Gold- und Silberfische ...

Auf dem glattgeschornen Rasen

Liegen zierlich gleiche Schatten

Schlanker Oleanderstämme;

Zweige wölben sich zur Kuppel,

Zweige neigen sich zur Nische

Für die steifen Liebespaare

Heroinen und Heroen ...

Drei Delphine gießen murmelnd

Fluten in ein Muschelbecken ...

Duftige Kastanienblüten

Gleiten, schwirren leuchtend nieder

Und ertrinken in dem Becken ...

... Hinter einer Taxusmauer

Tönen Geigen, Klarinetten ...

Und sie scheinen den graziösen

Amoretten zu entströmen,

Die rings auf der Rampe sitzen

Fiedelnd oder Blumen windend,

Selbst von Blumen bunt umgeben,

Die aus Marmorvasen strömen:

Goldlack und Jasmin und Flieder

... Auf der Rampe, zwischen ihnen

Sitzen auch kokette Frauen,

Violette Monsignori ...

Und im Gras, zu ihren Füßen,

Und auf Polstern, auf den Stufen:[28]

Kavaliere und Abbati ...

Andre heben andre Frauen

Aus den parfümierten Sänften

... Durch die Zweige brechen Lichter,

Flimmernd auf den blonden Köpfchen;

Scheinen auf den bunten Polstern,

Gleiten über Kies und Rasen,

Gleiten über das Gerüste,

Das wir flüchtig aufgeschlagen.

Wein und Winde klettert aufwärts

Und umhüllt die lichten Balken.

Und dazwischen, farbenüppig

Flattert Teppich und Tapete,

Schäferszenen, keck gewoben,

Zierlich von Watteau entworfen ...

Eine Laube statt der Bühne,

Sommersonne statt der Lampen,

Also spielen wir Theater,

Spielen unsre eignen Stücke,

Frühgereift und zart und traurig,

Die Komödie unsrer Seele,

Unsres Fühlens Heut und Gestern,

Böser Dinge hübsche Formel,

Glatte Worte, bunte Bilder,

Halbes, heimliches Empfinden,

Agonien, Episoden ...

Manche hören zu, nicht alle ...

Manche träumen, manche lachen,

Manche essen Eis ... und manche

Sprechen sehr galante Dinge ...

... Nelken wiegen sich im Winde,

Hochgestielte, weiße Nelken,

Wie ein Schwarm von weißen Faltern ...

Und ein Bologneserhündchen

Bellt verwundert einen Pfau an ...[29]

 

Die Frage an das Schicksal

Anatol, Max, Cora.

Anatols Zimmer.

 

MAX. Wahrhaftig, Anatol, ich beneide dich ...

ANATOL lächelt.

MAX. Nun, ich muß dir sagen, ich war erstarrt. Ich habe ja doch bisher das Ganze für ein Märchen gehalten. Wie ich das nun aber sah, ... wie sie vor meinen Augen einschlief ... wie sie tanzte, als du ihr sagtest, sie sei eine Ballerine, und wie sie weinte, als du ihr sagtest, ihr Geliebter sei gestorben, und wie sie einen Verbrecher begnadigte, als du sie zur Königin machtest ...

ANATOL. Ja, ja.

MAX. Ich sehe, es steckt ein Zauberer in dir!

ANATOL. In uns allen.

MAX. Unheimlich.

ANATOL. Das kann ich nicht finden ... Nicht unheimlicher als das Leben selbst. Nicht unheimlicher als vieles, auf das man erst im Laufe der Jahrhunderte gekommen. Wie, glaubst du wohl, war unseren Voreltern zumute, als sie plötzlich hörten, die Erde drehe sich? Sie müssen alle schwindlig geworden sein!

MAX. Ja ... aber es bezog sich auf alle!

ANATOL. Und wenn man den Frühling neu entdeckte! ... Man würde auch an ihn nicht glauben! Trotz der grünen Bäume, trotz der blühenden Blumen und trotz der Liebe.

MAX. Du verirrst dich; all das ist Gefasel. Mit dem Magnetismus ...

ANATOL. Hypnotismus ...

MAX. Nein, mit dem ist's ein ander Ding. Nie und nimmer würde ich mich hypnotisieren lassen.

ANATOL. Kindisch! Was ist daran, wenn ich dich einschlafen heiße, und du legst dich ruhig hin.

MAX. Ja, und dann sagst du mir: »Sie sind ein Rauchfangkehrer«, und ich steige in den Kamin und werde rußig! ...

ANATOL. Nun, das sind ja Scherze ... Das Große an der Sache ist[30] die wissenschaftliche Verwertung. – Aber ach, allzuweit sind wir ja doch nicht.

MAX. Wieso ...?

ANATOL. Nun, ich, der jenes Mädchen heute in hundert andere Welten versetzen konnte, wie bring' ich mich selbst in eine andere?

MAX. Ist das nicht möglich?

ANATOL. Ich hab' es schon versucht, um die Wahrheit zu sagen. Ich habe diesen Brillantring minutenlang angestarrt und habe mir selbst die Idee eingegeben: Anatol! schlafe ein! Wenn du aufwachst, wird der Gedanke an jenes Weib, das dich wahnsinnig macht, aus deinem Herzen geschwunden sein.

MAX. Nun, als du aufwachtest?

ANATOL. O, ich schlief gar nicht ein.

MAX. Jenes Weib ... jenes Weib? ... Also noch immer!

ANATOL. Ja, mein Freund! ... noch immer! Ich bin unglücklich, bin toll.

MAX. Noch immer also ... im Zweifel?

ANATOL. Nein ... nicht im Zweifel. Ich weiß, daß sie mich betrügt! Während sie an meinen Lippen hängt, während sie mir die Haare streichelt ... während wir selig sind ... weiß ich, daß sie mich betrügt.

MAX. Wahn!

ANATOL. Nein!

MAX. Und deine Beweise?

ANATOL. Ich ahne es ... ich fühle es ... darum weiß ich es!

MAX. Sonderbare Logik!

ANATOL. Immer sind diese Frauenzimmer uns untreu. Es ist ihnen ganz natürlich ... sie wissen es gar nicht ... So wie ich zwei oder drei Bücher zugleich lesen muß, müssen diese Weiber zwei oder drei Liebschaften haben.

MAX. Sie liebt dich doch?

ANATOL. Unendlich ... Aber das ist gleichgültig. Sie ist mir untreu.

MAX. Und mit wem?

ANATOL. Weiß ich's? Vielleicht mit einem Fürsten, der ihr auf der Straße nachgegangen, vielleicht mit einem Poeten aus einem Vorstadthause, der ihr vom Fenster aus zugelächelt hat, als sie in der Früh' vorbeiging!

MAX. Du bist ein Narr!

ANATOL. Und was für einen Grund hätte sie, mir nicht untreu zu[31] sein? Sie ist wie jede, liebt das Leben, und denkt nicht nach. Wenn ich sie frage: Liebst du mich? – so sagt sie ja – und spricht die Wahrheit; und wenn ich sie frage, bist du mir treu? – so sagt sie wieder ja – und wieder spricht sie die Wahrheit, weil sie sich gar nicht an die andern erinnert – in dem Augenblick wenigstens. Und dann, hat dir je eine geantwortet: Mein lieber Freund, ich bin dir untreu? Woher soll man also die Gewißheit nehmen? Und wenn sie mir treu ist –

MAX. Also doch! –

ANATOL. So ist es der reine Zufall ... Keineswegs denkt sie: O, ich muß ihm die Treue halten meinem lieben Anatol ... keineswegs ...

MAX. Aber wenn sie dich liebt?

ANATOL. O, mein naiver Freund! Wenn das ein Grund wäre!

MAX. Nun?

ANATOL. Warum bin ich ihr nicht treu? ... Ich liebe sie doch gewiß!

MAX. Nun ja! Ein Mann!

ANATOL. Die alte dumme Phrase! Immer wollen wir uns einreden, die Weiber seien darin anders als wir! Ja, manche ... die, welche die Mutter einsperrt, oder die, welche kein Temperament haben ... Ganz gleich sind wir. Wenn ich einer sage: Ich liebe dich, nur dich, – so fühle ich nicht, daß ich sie belüge, auch wenn ich in der Nacht vorher am Busen einer andern geruht.

MAX. Ja ... du!

ANATOL. Ich ... ja! Und du vielleicht nicht? Und sie, meine angebetete Cora vielleicht nicht? Oh! Und es bringt mich zur Raserei. Wenn ich auf den Knieen vor ihr läge und ihr sagte: Mein Schatz, mein Kind – alles ist dir im Vorhin verziehen – aber sag' mir die Wahrheit – was hülfe es mir? Sie würde lügen wie vorher – und ich wäre soweit als vorher. Hat mich noch keine angefleht: »Um Himmels willen! Sag' mir ... bist du mir wirklich treu? Kein Wort des Vorwurfs, wenn du's nicht bist; aber die Wahrheit! Ich muß sie wissen« – Was hab' ich drauf getan? Gelogen ... ruhig, mit einem seligen Lächeln ... mit dem reinsten Gewissen. Warum soll ich dich betrüben, hab' ich mir gedacht? Und ich sagte: Ja, mein Engel! Treu bis in den Tod. Und sie glaubte mir und war glücklich!

MAX. Nun also!

ANATOL. Aber ich glaube nicht und bin nicht glücklich! Ich wär'[32] es, wenn es irgend ein untrügliches Mittel gäbe, diese dummen, süßen, hassenswerten Geschöpfe zum Sprechen zu bringen oder auf irgend eine andere Weise die Wahrheit zu erfahren ... Aber es gibt keines außer dem Zufall.

MAX. Und die Hypnose?

ANATOL. Wie?

MAX. Nun ... die Hypnose ... Ich meine das so: Du schläferst sie ein und sprichst: Du mußt mir die Wahrheit sagen.

ANATOL. Hm.

MAX. Du mußt Hörst du ...

ANATOL. Sonderbar! ...

MAX. Es müßte doch gehen ... Und nun fragst du sie weiter ... Liebst du mich? ... Einen anderen? ... Woher kommst du? ... Wohin gehst du? ... Wie heißt jener andere? ... Und so weiter.

ANATOL. Max! Max!

MAX. Nun ...

ANATOL. Du hast recht! ... Man könnte ein Zauberer sein! Man könnte sich ein wahres Wort aus einem Weibermund hervorhexen ...

MAX. Nun also? Ich sehe dich gerettet! Cora ist ja gewiß ein geeignetes Medium ... heute abend noch kannst du wissen, ob du ein Betrogener bist ... oder ein ...

ANATOL. Oder ein Gott! ... Max! ... Ich umarme dich! ... Ich fühle mich wie befreit ... ich bin ein ganz anderer. Ich habe sie in meiner Macht ...

MAX. Ich bin wahrhaftig neugierig ...

ANATOL. Wieso? Zweifelst du etwa?

MAX. Ach so, die andern dürfen nicht zweifeln, nur du ...

ANATOL. Gewiß! ... Wenn ein Ehemann aus dem Hause tritt, wo er eben seine Frau mit ihrem Liebhaber entdeckt hat, und ein Freund tritt ihm entgegen mit den Worten: Ich glaube, deine Gattin betrügt dich, so wird er nicht antworten: Ich habe soeben die Überzeugung gewonnen ... sondern: Du bist ein Schurke ...

MAX. Ja, ich hatte fast vergessen, daß es die erste Freundespflicht ist – dem Freund seine Illusionen zu lassen.

ANATOL. Still doch ...

MAX. Was ist's?

ANATOL. Hörst du sie nicht? Ich kenne die Schritte, auch wenn sie noch in der Hausflur hallen.[33]

MAX. Ich höre nichts.

ANATOL. Wie nahe schon! ... Auf dem Gange ... Öffnet die Tür. Cora!

CORA draußen. Guten Abend! O du bist nicht allein ...

ANATOL. Freund Max!

CORA hereintretend. Guten Abend! Ei, im Dunklen? ...

ANATOL. Ach, es dämmert ja noch. Du weißt, das liebe ich.

CORA ihm die Haare streichelnd. Mein kleiner Dichter!

ANATOL. Meine liebste Cora!

CORA. Aber ich werde immerhin Licht machen ... Du erlaubst. Sie zündet die Kerzen in den Leuchtern an.

ANATOL zu Max. Ist sie nicht reizend?

MAX. Oh!

CORA. Nun, wie geht's? Dir Anatol – Ihnen, Max? – Plaudert ihr schon lange?

ANATOL. Eine halbe Stunde.

CORA. So. Sie legt Hut und Mantel ab. Und worüber?

ANATOL. Über dies und jenes.

MAX. Über die Hypnose.

CORA. O schon wieder die Hypnose! Man wird ja schon ganz dumm davon.

ANATOL. Nun ...

CORA. Du, Anatol, ich möchte, daß du einmal mich hypnotisierst.

ANATOL. Ich ... Dich ...?

CORA. Ja, ich stelle mir das sehr hübsch vor. Das heißt, – von dir.

ANATOL. Danke.

CORA. Von einem Fremden ... nein, nein, das wollt' ich nicht.

ANATOL. Nun, mein Schatz ... wenn du willst, hypnotisiere ich dich.

CORA. Wann?

ANATOL. Jetzt! Sofort, auf der Stelle.

CORA. Ja! Gut! Was muß ich tun?

ANATOL. Nichts anderes, mein Kind, als ruhig auf dem Fauteuil sitzen zu bleiben und den guten Willen haben, einzuschlafen.

CORA. O ich habe den guten Willen!

ANATOL. Ich stelle mich vor dich hin, du siehst mich an ... nun ... sieh mich doch an ... ich streiche dir über Stirne und Augen. So ...

CORA. Nun ja, und was dann ...

ANATOL. Nichts ... Du mußt nur einschlafen wollen.

CORA. Du, wenn du mir so über die Augen streichst, wird mir[34] ganz sonderbar ...

ANATOL. Ruhig ... nicht reden ... Schlafen. Du bist schon recht müde.

CORA. Nein.

ANATOL. Ja! ... ein wenig müde.

CORA. Ein wenig, ja ...

ANATOL. ... Deine Augenlider werden dir schwer ... sehr schwer, deine Hände kannst du kaum mehr erheben ...

CORA leise. Wirklich.

ANATOL ihr weiter über Stirne und Augen streichelnd, eintönig. Müd' ... ganz müd' bist du ... nun schlafe ein, mein Kind ... Schlafe .... ganz müd' bist du ... nun schlafe ein, mein Kind ... Schlafe. Er wendet sich zu Max, der bewundernd zusieht, macht eine siegesbewußte Miene. Schlafen ... Nun sind die Augen fest geschlossen ... Du kannst sie nicht mehr öffnen ...

CORA will die Augen öffnen.

ANATOL. Es geht nicht ... Du schläfst ... Nur ruhig weiter schlafen ... So ...

MAX will etwas fragen. Du ...

ANATOL. Ruhig. Zu Cora. ... Schlafen ... fest, tief schlafen. Er steht eine Weile vor Cora, die ruhig atmet und schläft. So ... nun kannst du fragen.

MAX. Ich wollte nur fragen, ob sie wirklich schläft.

ANATOL. Du siehst doch ... Nun wollen wir ein paar Augenblicke warten. Er steht vor ihr, sieht sie ruhig an. Große Pause. Cora! ... Du wirst mir nun antworten ... Antworten. Wie heißt du?

CORA. Cora.

ANATOL. Cora, wir sind im Wald.

CORA. O ... im Wald ... wie schön! Die grünen Bäume ... und die Nachtigallen.

ANATOL. Cora ... Du wirst mir nun in allem die Wahrheit sagen ... Was wirst du tun, Cora?

CORA. Ich werde die Wahrheit sagen.

ANATOL. Du wirst mir alle Fragen wahrheitsgetreu beantworten, und wenn du aufwachst, wirst du wieder alles vergessen haben! Hast du mich verstanden?

CORA. Ja.

ANATOL. Nun schlafe ... ruhig schlafen. Zu Max. Jetzt also werde ich sie fragen ...

MAX. Du, wie alt ist sie denn?[35]

ANATOL. Neunzehn ... Cora, wie alt bist du?

CORA. Einundzwanzig Jahre.

MAX. Haha.

ANATOL. Pst ... das ist ja außerordentlich ... Du siehst daraus ...

MAX. O, wenn sie gewußt hätte, daß sie ein so gutes Medium ist!

ANATOL. Die Suggestion hat gewirkt. Ich werde sie weiter fragen. – Cora, liebst du mich ...? Cora ... liebst du mich?

CORA. Ja!

ANATOL triumphierend. Hörst du's?

MAX. Nun also, die Hauptfrage, ob sie treu ist.

ANATOL. Cora! Sich umwendend. Die Frage ist dumm.

MAX. Warum?

ANATOL. So kann man nicht fragen!

MAX. ...?

ANATOL. Ich muß die Frage anders fassen.

MAX. Ich denke doch, sie ist präzis genug.

ANATOL. Nein, das ist eben der Fehler, sie ist nicht präzis genug.

MAX. Wieso?

ANATOL. Wenn ich sie frage: Bist du treu, so meint sie dies vielleicht im allerweitesten Sinne.

MAX. Nun?

ANATOL. Sie umfaßt vielleicht die ganze ... Vergangenheit ... Sie denkt möglicherweise an eine Zeit, wo sie einen anderen liebte ... und wird antworten: Nein.

MAX. Das wäre ja auch ganz interessant.

ANATOL. Ich danke ... Ich weiß, Cora ist andern begegnet vor mir ... Sie hat mir selbst einmal gesagt: Ja, wenn ich gewußt hätte, daß ich dich einmal treffe ... dann ...

MAX. Aber sie hat es nicht gewußt.

ANATOL. Nein ...

MAX. Und was deine Frage anbelangt ...

ANATOL. Ja ... Diese Frage ... Ich finde sie plump, in der Fassung wenigstens.

MAX. Nun so stelle sie etwa so: Cora, warst du mir treu, seit du mich kennst?

ANATOL. Hm ... Das wäre etwas. Vor Cora. Cora! Warst du ... Auch das ist ein Unsinn!

MAX. Ein Unsinn!?

ANATOL. Ich bitte ... man muß sich nur vorstellen, wie wir uns kennen lernten. Wir ahnten ja selbst nicht, daß wir uns einmal so wahnsinnig lieben würden. Die ersten Tage betrachteten[36] wir beide die ganze Geschichte als etwas Vorübergehendes. Wer weiß ...

MAX. Wer weiß ...?

ANATOL. Wer weiß, ob sie nicht mich erst zu lieben anfing, – als sie einen andern zu lieben aufhörte? Was erlebte dieses Mädchen einen Tag, bevor ich sie traf, bevor wir das erste Wort miteinander sprachen? War es ihr möglich, sich da so ohne weiteres loszureißen? Hat sie nicht vielleicht tage- und wochenlang noch eine alte Kette nachschleppen müssen, müssen, sag' ich.

MAX. Hm.

ANATOL. Ich will sogar noch weiter gehen ... Die erste Zeit war es ja nur eine Laune von ihr – wie von mir. Wir haben es beide nicht anders angesehen, wir haben nichts anderes voneinander verlangt, als ein flüchtiges, süßes Glück. Wenn sie zu jener Zeit ein Unrecht begangen hat, was kann ich ihr vorwerfen? Nichts – gar nichts.

MAX. Du bist eigentümlich mild.

ANATOL. Nein, durchaus nicht, ich finde es nur unedel, die Vorteile einer augenblicklichen Situation in dieser Weise auszunützen.

MAX. Nun, das ist sicher vornehm gedacht. Aber ich will dir aus der Verlegenheit helfen.

ANATOL. –?

MAX. Du fragst sie, wie folgt: Cora, seit du mich liebst ... bist du mir treu?

ANATOL. Das klingt zwar sehr klar.

MAX. ... Nun?

ANATOL. Ist es aber durchaus nicht.

MAX. Oh!

das