Inhalt

Vorwort

1. Woran Sie erkennen, dass Sie an einer Depression leiden

2. Unterschiedliche Verlaufsformen der Depressionen

3. Warum Depressionen oft übersehen werden und wie Sie sie leichter erkennen können

4. Ist die Depression eine Krankheit der Moderne?

5. Erklärungen für das Entstehen einer Depression – das Vulnerabilitäts-Stress-Modell

6. Das Gute am Schlechten – gibt es gute Gründe für eine Depression?

7. Achtung Lebensgefahr! – Warum Depressionen tödlich sein können

8. Was Sie tun können – Selbstfürsorge und Selbstwirksamkeit

8.1 Essen, Trinken, Schlaf und Schlafhygiene

8.2 Dankbarkeit und Gelingen – mit beiden Augen sehen lernen

8.3 Zu eigenen Werten und persönlichen Aufgaben finden

8.4 Das Scheinriesenproblem oder: Wie Sie Gefühle beeinflussen können

8.5 Von der Selbstabwertung zum Selbstmitgefühl

8.6 Das 80-Prozent-Prinzip

8.7 Bewegung entdecken

8.8 Gemeinsam ist man weniger allein – Beziehungen pflegen

8.9 Abschalten lernen

8.10 Verzicht im Überfluss – warum weniger manchmal zufriedener macht

8.11 Vom »Ja, aber« zum »Ja und«

8.12 Was Ihre Stimmung hebt

9. Wann sind Medikamente oder eine Lichttherapie hilfreich?

10. Wie Sie rechtzeitig einen Rückfall erkennen

11. Wann Sie eine Psychotherapie brauchen und wie Sie den Weg dorthin finden

12. Anregungen für Partner und Freunde

13. Zusammenfassung und Ausblick

14. Dank und Anmerkungen

Anmerkungen

Literatur

Zitatnachweise

Vorwort

Als meine Lektorin mich fragte, ob ich einen Ratgeber zum Umgang mit Depressionen schreiben könne, dachte ich zuerst: Warum ein weiteres Buch zu diesem Thema? Dann allerdings begann ich die Idee immer besser zu finden und mir wurde klar, dass es mit diesem Thema wie mit den meisten ist – es gibt unterschiedliche Sichtweisen, unterschiedliche Perspektiven, unterschiedliche Herangehensweisen und es gibt unterschiedliche Menschen. Niemals können alle Betroffenen mit einem Ratgeber alleine ihren Weg ins Thema und einen besseren Umgang mit ihren Beschwerden finden. Es ist genauso wie mit den vielen Psychotherapeuten – ich muss den für mich passenden finden, sonst wird es mit der gut gemeinten Hilfe nicht klappen.

Außerdem ist das Thema zu wichtig, als dass man es nicht auf andere Weise, mit einem anderen Behandlungsansatz noch einmal vertiefen kann, ja sogar muss. Denn immer noch nimmt sich in Deutschland etwa alle 45 Minuten ein Mensch das Leben, mindestens die Hälfte von ihnen leidet an einer Depression!

Es wird in diesem Buch ganz wesentlich um den Aspekt der Selbstfürsorge gehen. Damit möchte ich keinesfalls einem ungezügelten Egoismus das Wort reden, sondern vielmehr für einen wohlwollenden, fürsorglichen Umgang mit sich selbst werben. Selbstfürsorge ist nicht zu verwechseln mit Selbstoptimierung, der man heute kaum noch entgehen kann, und auch nicht mit Selbstausbeutung, auf die man zunehmend unter dem Deckmantel von mentalen und körperlichen Fitnessangeboten gerade auch in der Wirtschaftswelt trifft. Vielmehr geht es mir darum, zu zeigen, dass ein erster Schritt raus aus der Depression mit einem ernst gemeinten Sichsorgen um die eigene Person gelingen kann. Ja, dass eine Depression geradezu ein Tür­öffner sein kann, sich endlich um sich selbst und seine Bedürfnisse zu kümmern. Depressionen können dazu führen, dass Sie, um wieder gesund zu werden, nicht nur »wieder Land sehen«, sondern Neuland betreten und Ihr Leben verändern.

Schließlich besteht trotz aller Aufklärung zum Thema Depression und trotz einiger Outings prominenter Persönlichkeiten zur eigenen Depression unverändert eine erhebliche Stigmatisierung fort. Wenn zum Beispiel angehende Lehramtskandidaten eine Psychotherapie aus eigener Tasche zahlen, damit nirgends ein »falscher Eintrag« in ihren Akten auftaucht, der der Verbeamtung entgegensteht, dann handelt es sich um eine Stigmatisierung. Sie besagt, dass Menschen mit psychischen Problemen, wie zum Beispiel einer Depression, nicht leistungsfähig genug für unsere Gesellschaft sind.

Auch dem möchte ich mit diesem Buch entgegentreten. Depressionen können jeden treffen, sie sind kein Zeichen von Schwäche oder Versagen. Sie verursachen einerseits Leiden, bergen auf der anderen Seite allerdings auch Potentiale für Wachstum und Veränderung. Auch dazu möchte ich mit diesem Buch ermutigen.

Mögen Sie, wenn Sie von einer Depression betroffen sind, wieder Land sehen! Es lohnt sich, darauf zuzusteuern.

1. Woran Sie erkennen, dass Sie an einer Depression leiden

Der Schmerz der Seele ist schlimmer
als der Schmerz des Körpers

Publilius Syrus, 1. Jh. vor Chr.

In dem Hollywood-Film »Der Biber« geht es um Auswirkungen und Auswege aus einer depressiven Erkrankung. Walter Black, gespielt von Mel Gibson, ist Leiter einer Spielzeugfabrik und Familienvater. Er leidet unter einer chronischen Depression, die mit zunehmender Filmdauer immer stärker wird. Schließlich ist er kaum mehr in der Lage, zu kommunizieren und seinen Beruf auszuüben. Sprachlosigkeit macht sich breit und die Familie verliert ihren Zusammenhalt. Als seine Frau Meredith, dargestellt von Jodie Foster, sich von ihm trennt, flüchtet Walter mehr und mehr in den Alkohol, schließlich versucht er sich das Leben zu nehmen.

Doch dann findet er in einem Mülleimer eine Biber-Handpuppe. Mit ihrer Hilfe beginnt er, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten und den Alltag allmählich wieder zu bewältigen. Die Handpuppe wird zu einem zweiten Ich, das vieles von dem verkörpert, das er selbst vermeintlich nicht besitzt: Selbstbewusstsein, Kontaktfähigkeit, Kreativität etc. Auf diese Weise entwickelt sich wieder eine bessere Beziehung zu seiner Familie. Allerdings übernimmt der Biber mehr und mehr die Kontrolle über Walters Leben. Als er diese Abhängigkeit erkennt, versucht er, sich von der Puppe zu trennen.

Walters älterer Sohn Porter lehnt seinen Vater und dessen für ihn peinliches Verhalten lange Zeit ab. Doch als die von ihm verehrte Norah, für die er eine Abschlussrede an der Schule geschrieben hat, öffentlich diesen Betrug gesteht und gleichzeitig über ihr Trauma durch den Verlust ihres verstorbenen Bruders spricht, erkennt Porter die Bedeutung familiärer Bande und beginnt seinen Vater zu verstehen. Erstmals entwickelt sich eine echte und offene Beziehung zwischen Vater und Sohn. Auch dadurch gelingt es Walter, wieder in sein normales Leben zurückzukehren.

Dieser eindrucksvolle und stellenweise auch sehr berührende Film aus dem Jahr 2011 greift das Thema Depression mit vielen seiner Facetten auf. Er beschreibt eindrücklich, welche Auswirkungen vor allem die Sprach­losig­keit, die häufig mit Depressionen einhergeht, haben kann. Diese Sprachlosigkeit der Betroffenen und Angehörigen zu durch­brechen, ist ein wesentliches Anliegen dieses Buches. Allerdings bedeutet die Konfrontation mit der Depression nicht selten einen deutlichen Einschnitt ins bisherige Leben. Auch dies zeigt der Film eindrücklich. Gleichzeitig vermittelt der Film eine zentrale Botschaft, die sich auch durch das gesamte Buch ziehen soll: Sie sind mit Ihrer Depression nicht allein und es gibt viele Wege aus Sprachlosigkeit, Rückzug und depressiver Verzweiflung!

Depressionen sind häufig. Neuste Studien gehen davon aus, dass in Europa innerhalb eines Jahres etwa sieben Prozent der Bevölkerung an einer Depression erkranken.2 Andere Studien zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit im Laufe seines Lebens eine Depression zu bekommen, bei etwa fünfzehn Prozent liegt.3 Die Weltgesundheitsorganisation erkennt in der Depression eine der weltweit häufigsten Erkrankungen, die mit einer »beeinträchtigten Lebenszeit« (gemessen anhand der sogenannten »disability adjusted life years«) einhergeht. Die WHO geht auch davon aus, dass die Beeinträchtigung durch depressive Erkrankungen in den kommenden Jahren weiter zunehmen wird.

Depressionen sind nicht nur weit verbreitet, sie werden immer noch häufig nicht erkannt und verlaufen auch deswegen oft chronisch. Tragisch ist dieser Verlauf nicht nur wegen des damit einhergehenden Leidens für die Betroffenen und ihr direktes Umfeld, sondern auch deswegen, weil die Depression eine gut behandelbare Erkrankung ist, für die es mittlerweile viele wissenschaftlich anerkannte therapeutische Wege gibt.

Woran können Sie erkennen, dass Sie an einer Depression leiden? Ist jeder Verstimmungszustand schon ein Hinweis auf eine Depression? Ganz sicher nicht! Vielmehr sind Stimmungsschwankungen ein natürlicher Teil unseres menschlichen Erlebens. Sie sind sogar Ausdruck seelischer Gesundheit, die sich in einer großen Bandbreite von Gefühlen ausdrückt. Wer keine schlechten Tage oder Enttäuschungen kennt, vermag auch keine tiefe Freude oder Glücksmomente zu erleben. Wer hat nicht schon die Erfahrung gemacht, dass die aus einem tiefblauen Himmel scheinende Sonne nach einigen Tagen Regen unsere Stimmung auf eine ganz besondere Weise hebt, ebenso wie das Wiedererwachen der Natur nach langen Wintermonaten. Unser Leben spielt sich in einem Pendeln zwischen unterschiedlichen Polen ab. Bleibt das Pendel an einer Stelle längere Zeit stehen, ist der Lebensfluss gestört. Dauerhaftes Glück ist nicht möglich und vermutlich auch nicht gesund und erstrebenswert: weil es dann keinen Bezugspunkt mehr gibt und die Spannung und damit die Motivation verloren geht, die uns in welche Richtung auch immer in Bewegung setzt. Aber auch ein länger dauerndes Verharren in bedrückter oder gar düsterer Stimmungslage ist nicht natürlich.

Depressionen zeichnen sich durch eine über mindestens zwei Wochen anhaltende deutliche Veränderung auf verschiedenen Ebenen des menschlichen Erlebens aus.

Auf den Punkt gebracht

Depressive Symptome werden in Haupt- und Nebensymptome untergliedert. Aus der jeweiligen Anzahl von Symptomen lässt sich die Schwere der Erkrankung ableiten.

Die Hauptsymptome der Depression sind:

Die Nebensymptome der Depression sind:

Darüber hinaus können auch körperliche Veränderungen auf eine Depression hinweisen:

Was bedeutet das für Sie?

Jetzt werden Sie vielleicht zu Recht einwenden, dass man bei einer derartigen Vielzahl von Symptomen den Überblick verliert. Gleichzeitig werden Sie vielleicht das eine oder andere Symptom bei sich kennen und nun besorgt auf die Suche nach anderen gehen. Genau diese große Bandbreite an möglichen depressiven Symptomen ist ein wesentlicher Grund dafür, dass eine Depression oft nicht erkannt wird.

Deswegen eignet sich an dieser Stelle der Zwei-Fragen-Test, um eine erste Orientierung zu erhalten:

1. Fühlten Sie sich im letzten Monat häufig niedergeschlagen, traurig, bedrückt oder hoffnungslos?

2. Hatten Sie im letzten Monat deutlich weniger Lust und Freude an Dingen, die Sie sonst gerne tun?

Wenn Sie beide Fragen mit »Ja« beantworten, sollten Sie sich an Ihren Hausarzt wenden und mit ihm darüber sprechen. Dieser Test ist lediglich als Orientierung zu betrachten und gilt in dieser Form nicht, wenn Sie zum Beispiel gerade einen lieben Menschen verloren haben und darüber in Trauer sind! Denn dann sind die beschrieben Symptome wahrscheinlich Zeichen einer normalen Trauerreaktion und keine Anzeichen einer Depression. Wenn eine solche Trauer allerdings auch nach zwei Jahren unverändert mit den genannten Symptomen einhergeht, hat sich vermutlich aus ihr eine Depression entwickelt.

Es geht um die Frage, ob Sie zwischen Ihrem früheren und Ihrem heutigen Verhalten einen Unterschied bemerken. Falls ja, kann es sich um eine Depression handeln. Dies sollten Sie aber mit einem Arzt oder einem Psychotherapeuten abklären.