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Inhalt

So fern – so nah
Hinführung

1
Jugendzeit
Blicke über den Sarnersee

2
Ehejahre
Im Haus der Familie

3
Krisenzeit
Schritte in die Lebenswende

4
Aufbruch und Abstieg
Über Liestal in den Ranft

5
Angekommen
Wunderfasten und reiche Nahrung für Besuchende

6
Kraft aus der Tiefe
Politik im Ranft und Besucher im Flüeli

7
Zwei Heilige
Vollendung und Verehrung

8
Impulse ins Heute
Wozu Niklaus und Dorothea moderne
Menschen ermutigen

Chronologie

Literatur

Anmerkungen

Über die Autoren

Über das Buch

Impressum

Hinweise des Verlags

So fern – so nah

Hinführung

Im Mai 1474 besucht der sächsische Kaufmann Hans von Walt­heym den Ranft.1 Sein Tagebuch beschreibt uns anschaulich die Begegnungen mit Bruder Klaus, der seit sieben Jahren in der Melchaaschlucht lebt, und mit dessen Eremitenfreund Ulrich von Memmingen. Der frühere Bürgermeister aus Halle an der Saale reist nicht weiter, ohne Dorothea zu treffen. Er schildert die Ehefrau des Aussteigers – »noch keine 40 Jahre alt« – und lernt auch den kleinen Niklaus kennen, den siebenjährigen jüngsten Sohn des Paares.2 Das Interesse des deutschen Besuchers an Niklaus wie Dorothea, an dem Gottesmann und seiner Angetrauten, dem Einsiedler und seiner bäuerlichen Familie inspiriert dieses Buch, das seine Aufmerksamkeit beiden schenkt.

Seit sechs Jahrhunderten widmen sich Bücher über den Schweizer Nationalheiligen hauptsächlich ihm, Niklaus. Doro­thea kommt meist nur am Rande vor. Erst Heinrich Wölflin nennt 1501 ihren Vornamen,3 und ihren Familiennamen Wyss erfahren wir 1529 aus der Chronik des Valerius Anshelm. Seit Hans von Waltheym4 fragen Menschen aller Generationen jedoch auch nach der starken Frau, mit der Niklaus gern »zu Tanze ging« und der er seine zehn Kinder verdankt. Seit Jahrhunderten wird auch Dorothea im Volk verehrt, und Papst Johannes Paul II. betete am 14. Juni 1984 bei seinem Besuch am Grab des Heiligen ebenso zu »seiner heiligmäßigen Frau Dorothee«.5 1995 versuchte der Kapuziner Anselm Keel in einem kleinen Taschenbuch eine Annährung an das »nicht alltägliche Ehepaar«.6 Das wachsende Interesse an der Frau und Mutter der von Flüe stößt darin und bis heute an eine Mauer: Nur wenige Quellen erzählen uns Näheres von Dorothea.7

1982 schrieb Klara Obermüller ein Hörspiel, das Dorothea aus dem Schatten der Geschichte treten lässt. Die Journalistin spricht darin als moderne Single mit der verlassenen Ehefrau, fragt nach ihren Erfahrungen und Gefühlen, ihren Zweifeln und Klarheiten. Das Gespräch unter Frauen trägt den Titel »Ganz nah und weit weg« – ein Motiv, das sich sowohl auf die äußere Lebenssituation wie auch auf die innere Verbundenheit des speziellen Paares bezieht.8 Das im Hörspiel wiederholte Motiv erinnert zugleich an eine Mystikerin, die Niklaus vorausging. Die französische Begine Margarete Porète erfährt Gott selbst als den »Loin-Près« – einen fernnahen Liebhaber.9

Dieses Buch über Dorothea und Niklaus knüpft an beides an: Es lässt Dorothea sprechen und beleuchtet den persönlichen Weg des Bauern, Familienmannes und Eremiten aus der Sicht seiner Frau. Es interessiert sich über die menschlichen Lebenswege der beiden hinaus auch für ihre Gottesgeschichte.

Anders als im Hörspiel geht es nicht um ein Gespräch unter Frauen. Das schreibende Duo vereint zwei unterschiedliche Optiken: eine weibliche und eine männliche, die Sicht eines Bruders, der sich als Franziskaner ebenfalls Niklaus nennt, und die Wahrnehmung einer Frau nahe der Lebensmitte, die mit den Wegen der Liebe vertraut als Single lebt. Glücklich darüber, in diesem Buch weit mehr Raum zu haben als den eines Hörspiels, lassen wir Dorothea zwei Lebenswege nachzeichnen, den eigenen und den ihres Gatten.

Ihr Erzählen lässt die damalige Zeit lebendig werden: Obwalden im 15. Jahrhundert, das Leben einer Bauernfamilie auf dem Sachslerberg, Niklaus’ prägende Jugenderfahrungen und Karriere in seinem Tal, 20 glückliche Ehejahre, Dorotheas Sorge für die Groß­familie und Niklaus’ überraschende Lebenswende mit 50. Die Ehe der beiden blieb bestehen, auch wenn der Familienvater fortan im Ranft lebte und seine Frau mit den Kindern keine zehn Minuten entfernt wohnte. Dorothea erlebte und trug Niklaus’ neue Erfahrungen in »Mystik und Politik« mit10 – fernnah. Sie überlebte sowohl ihren Mann wie den jüngsten Sohn Niklaus als eine eindrückliche Frau, über welche die Verehrungsgeschichte mehr aussagt als die Quellen zu ihrem eigenen Leben.

Die literarische Freiheit, die sich in Dorotheas Erzählen zeigt, verbindet sich mit der Gewissenhaftigkeit, die bekannten Fakten und unser heutiges Wissen über Land und Leute Obwaldens im 15. Jahrhundert zu einem sensiblen und plausiblen Gesamtbild zu vereinen.11

Damit unser Nachzeichnen der Geschichte überprüfbar ist, weisen wir die verwendeten Quellen und die maßgebende Literatur in den Endnoten aus.

Das Buch skizziert das Bild zweier Personen und ihrer Lebenswege, die sich verbunden haben und die untrennbar geblieben sind. Niklaus wäre ohne Dorothea nicht zum Friedenstifter und weisen Ratgeber geworden, als der er weit über die Schweiz hinaus verehrt wird. Dorothea wurde durch ihn nicht nur Mutter von zehn Kindern, sondern auch eine Frau, deren bewegte Paarbeziehung und durchbrochene Lebensgeschichte aus dem späten Mittelalter in Biographien und Partnerschaftswege von heute spricht. Nicht nur Mystik und Politik des Heiligen sind daher von Interesse, sondern ebenso eine Ehe- und Liebesgeschichte, die von Verantwortung, Bindung und Freiheiten spricht. Niklaus und Dorothea gaben Gott in ihrer Paarbeziehung besonderen Raum und erfüllten dann auf spezielle Weise, was Papst Franziskus in »Amoris laetitia« schreibt: Das größte Werk der Liebe sei, dem und der anderen zu helfen, das Beste in seiner und ihrer Person zu entfalten.12


Wir widmen dieses Buch,

das einer bewegenden Familiengeschichte gilt,

unseren eigenen Familien:

unseren Eltern,

die uns sorgsam auf ein beherztes Leben

in dieser Welt vorbereitet haben,

unseren Geschwistern,

mit denen wir zu teilen lernten

und die uns fern-nah verbunden bleiben,

allen Freundinnen und Freunden,

mit denen wir vertraut geworden sind,

und all unseren Gefährten und Gefährtinnen,

die gemeinsame Wege mitgehen.


Flüeli-Ranft, 25. September 2016

am Fest des Niklaus – und der Dorothea

Br. Niklaus Kuster
Nadia Rudolf von Rohr