Burkhard Ciupka-Schön, Hartmut Becks

Himmel und Hölle

Religiöse Zwänge erkennen und bewältigen

Patmos Verlag

ÜBER DIE AUTOREN

Burkhard Ciupka-Schön ist Diplom-Psychologe und psychologischer Psychotherapeut in eigener Praxis in Krefeld. Er ist Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft Zwangserkrankungen und Dozent und Supervisor an der Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf. Zwangserkrankungen sind sein Spezialgebiet. www.praxis-ciupka-schoen.vpweb.de

Pfarrer Dr. Hartmut Becks ist nach einem Studium der Geschichte und evangelischen Theologie und einer klinischen Seelsorgeausbildung seit 25 Jahren Pfarrer in Alpen am Niederrhein.

Seit vielen Jahren begleitet er eine Selbsthilfegruppe für Betroffene von religiösen Zwängen. Er ist verheiratet und hat drei Kinder.

ÜBER DAS BUCH

Religiöse Zwänge kommen häufig vor, sind aber

nicht leicht zu erkennen. Denn ab wann ist ausgeprägtes

Beten krankhaft, werden religiöse Gebote

und Rituale zur Zwangsjacke?

Burkhard Ciupka-Schön, Experte für Zwangserkrankungen,

und der Pfarrer Hartmut Becks

erklären Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten

religiöser Zwänge. Martin Luthers Biografie dient

hier als Beispiel, wie Betroffene sich von einem

falschen Gottesbild befreien und ihren Glauben als

Kraftquelle entdecken können.

Auch als Printausgabe erhältlich.

www.patmos.de/ISBN978-3-8436-1091-9

IMPRESSUM

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in der Schwabenverlag AG, Ostfildern

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Umschlaggestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart

Coverabbildung: shutterstock / SJ Travel Photo and Video

Gestaltung der Grafiken zu den verschiedenen Zwängen: Svenja Kleinhaus / Kommunikationsdesign/ s.kleinhaus@yahoo.de

Gestaltung, Satz und Repro: Schwabenverlag AG, Ostfildern

Hergestellt in Deutschland

ISBN 978-3-8436-1091-9 (Print)

ISBN 978-3-8436-1111-4 (E-Book)

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Inhalt

Dank

Wichtiger Hinweis

Einführung

1. Erste Fallgeschichte

Mein langer, sinnloser Kampf gegen religiöse Zwangsgedanken

2. Was sind religiös-moralische Zwänge?

Was ist eine Lästerung Gottes?

Was ist eine zwanghafte Rückversicherung?

Die Doppelte Buchführung – Ich-Dystonie und Ich-Syntonie

Woran erkenne ich, dass ich einem Menschen mit einer Zwangserkrankung gegenüberstehe?

Sünde und Schuld

Entkräftigung von Mythen

Das Lila-Eisbär-Paradox

3. Grenzen und Unterschiede zwischen Religion und religiösen Zwängen

Der Zwang hält nicht, was er verspricht. Er verursacht meistens sogar das genaue Gegenteil!

Tabu und Ritual

4. Häufigkeit von Zwängen

Häufigkeit im Vergleich zu anderen psychischen Erkrankungen

Die Häufigkeit religiöser Zwänge

5. Vielfalt der Zwänge

Gemeinsamkeiten und Abgrenzung

Waschzwänge

Kontrollzwänge

Zwänge mit sexuellen Inhalten

Hort- und Sammelzwänge

Symmetrie-, Ordnungs- und Zählzwänge / Magische Zwänge I.

Verschiedene Zwänge / Magische Zwänge II

6. Der Verlauf von Zwangserkrankungen

7. Internationale diagnostische Standards für Zwangserkrankung im ICD-10

Zwangsgedanken und -handlungen

8. Ursachen und Entstehung von Zwängen aus Sicht der Lernpsychologie

Skinner und die abergläubischen Tauben

Zwei-Faktoren-Modell für Zwänge von Mowrer

Kritik an Skinner und Mowrer

9. Die Therapie von religiös-moralischen Zwängen

Negative Anspannung

Zwangsgedanken

Kognitive Verhaltenstherapie gegen Zwangsgedanken

Beziehung und professionelles Verhalten

Die Problematik des Gottesbildes – straft Gott uns für unsere Taten?

Zwangshandlungen

Theologische Vorschläge zur Therapie

Erfolgreiche Bewältigung von Zwängen

Der Teufelskreis des Zwangs

10. Zwangsstörung – eine religiöse Perspektive

11. Martin Luthers Weg aus Angst und Zwängen

Elternhaus und Kindheit Luthers: Wie ein angstvoller Mechanismus wachsen kann

Eintritt ins Kloster als Selbsttherapie

Ausbildung von Zwangsgedanken und Zwangshandlung

Der Umschwung – die Rettung kommt nicht von innen, sondern von außen!

»Turmerlebnis« oder Raus aus der Kloake!


Zitatnachweis

Anmerkungen

Literaturverzeichnis


Über die Autoren

Über das Buch

Impressum

Hinweise des Verlags

Literaturverzeichnis

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Für meinen

Vater Georg Ciupka

* 5.10.1931

+ 28.04.2018

der nun in einer österlichen Welt lebt,

ohne Schmerz und ohne Angst.


Dank

Ich möchte an dieser Stelle allen Menschen danken, die zum Gelingen dieses Buchprojekts beigetragen haben. Hervorheben möchte ich zwei Betroffene mit religiösen Zwängen, die uns ihre Geschichte aufgeschrieben haben und deren Texte ich nur minimal korrigiert und verändert habe.

Besonders danken möchte ich meiner Ehefrau Bettina Schön und meiner Lektorin Heike Hermann, die mir bei der Korrektur der Sprache und der inhaltlichen Gliederung sehr geholfen haben.

Bei Benennung des Geschlechts von Therapeutenkollegen und Betroffenen einer Zwangserkrankung habe ich mich zugunsten einer besseren Lesbarkeit für die verbreitete männliche Form entschieden. Selbstverständlich möchte ich auch immer die Frauen ansprechen, seien sie Kolleginnen, Klientinnen oder Angehörige von Betroffenen.

Neben den zwei selbstverfassten Berichten der Betroffenen habe ich zur Erläuterung eine größere Anzahl von kleinen Fallgeschichten eingefügt, die ich zum Schutze der Anonymität stark verändert habe. Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen mit real lebenden Personen sind also rein zufällig. Therapeutisch und inhaltlich handelt es sich um echte Beispiele aus meiner Praxis und meiner Beratungsarbeit.

Als Autoren des Buches ist uns beiden die Arbeit von der »Flüchtlingshilfe Alpen« sehr wichtig und wir möchten unsere Honorare dafür einsetzen, um einzelnen Geflohenen in Trauma und Trauer zu helfen. Gedacht haben wir hier an künstlerische Projekte mit einer lokalen Künstlerin und die Finanzierung von Dolmetschern; denn die schweren Themen erzählt man in seiner Muttersprache.

Die Homepage der Flüchtlingshilfe Alpen:

www.fluechtlingshilfe-alpen.de

Wichtiger Hinweis

Die in diesem Buch enthaltenen Informationen, Hinweise und Übungen wurden nach bestem Wissen der Autoren erstellt und sorgfältig geprüft. Sie ersetzen jedoch nicht den persönlich eingeholten theologischen, psychotherapeutischen oder medizinischen Rat. Verlag und Autoren können für Irrtümer, die aus der Anwendung der dargestellten Informationen, Hinweise oder Übungen resultieren, keine Haftung übernehmen. Deren Nutzung bzw. Durchführung erfolgt auf eigene Verantwortung der Leserinnen und Leser.

Einführung

Im Jahre 1521 wurde Martin Luther nach Worms zitiert, um sich im Reichstag vor Kaiser Karl V. zu verantworten, der zu den mächtigsten Männern der damaligen Welt gezählt wurde. Luther wurde aufgefordert, seine Thesen zu widerrufen, die er in seinen Schriften formuliert hatte. Luthers Schriften handelten von der Gnade Gottes und richteten sich unter anderem gegen den Ablasshandel der katholischen Kirche. Jan Hus vertrat ähnliche Thesen und wurde im Jahre 1415 wegen ketzerischer Aktivitäten verbrannt. Luther wusste, dass er sich dem gleichen Risiko aussetzte, wenn er seine Ansichten beibehielt.

Frau S. ist eine fünfunddreißigjährige Verkäuferin, die durch eine Vielzahl von Ängsten belastet wird: »Durch meine Schuld könnte mein Ehemann sterben!«, »Wenn ich meiner Kollegin gegenüber unverschämt bin, trifft mich dafür eines Tages die Strafe Gottes!«, »Ich könnte eines Tages die Kontrolle verlieren und meine Katze erwürgen!« Diese und ähnliche völlig unbegründeten Befürchtungen versucht sie durch tägliche, stundenlange, zwanghafte »Gebete« zurückzudrängen. Besonders starke Ängste bekämpft sie mit ausgiebigen Selbstbestrafungen und bizarren Bußritualen. Besonders wirkungsvoll, weil schmerzhaft, ist für sie ein stundenlanges Beten auf den Knien.

Was hat Martin Luther mit der Frau in unserem kleinen Fallbeispiel zu tun? Die Autoren dieses Buches glauben: Sehr viel, weil beide Personen unter einer religiösen Zwangsstörung litten beziehungsweise leiden.

Der Auftritt Luthers in Worms gehört zu den größten Wendepunkten der Weltgeschichte: »Hier stehe ich. Ich kann nicht anders. Amen.« In Filmen und auf Bildern wird Luther, während er das gesagt haben soll, in aufrechter, stolzer Pose gezeigt, der Kaiser in gebeugter Haltung. Nur hat sich das alles wirklich auch so abgespielt oder sind diese berühmtesten aller Lutherworte eine Propaganda im Spiel der Mächtigen?

Oder war Luther eher das ängstliche, verschrobene Mönchlein, wie er von seinen zeitgenössischen Gegnern geschildert wurde? Wer Texte zu Luthers Biografie durch die psychotherapeutische Brille betrachtet, findet viele Hinweise für eine religiöse Zwangsstörung und viele andere Zwänge. Aus der Sicht eines religiösen Zwanges erscheint die Angst Luthers vor der Strafe Gottes und dem Höllentod schlimmer als die Angst vor dem realen Feuertod und der Macht des Kaisers.

Ist Gott gut und gnädig oder der wütende Richter, der uns Menschen mit Hölle und ewiger Verdammnis bestraft? Dies ist eine zentrale Frage von Luthers Theologie, die auch Menschen mit einem religiösen Zwang quält. Martin Luther schaffte es, seine religiöse Zwangsstörung mit einer Theologie der »Gnade Gottes« erfolgreich zu bekämpfen. Luther protestierte gegen den Ablasshandel, den wir als ein gutes Geschäft mit der Angst bezeichnen können. Die Beseitigung der Angst vor Gott in der Theologie Luthers war gleichzeitig auch die Zerstörung eines sehr erfolgreichen Geschäftsmodells, mit der Luther sich die Feindschaft vieler Mächtiger seiner Zeit zuzog.

Später heiratete Luther, der als Mönch vor Gott ewige Keuschheit geschworen hatte, Katherina von Bora, eine entlaufene Nonne. Aus der Sicht des katholischen Mittelalters beging Luther damit eine doppelte Todsünde.

Aus meiner gegenwärtigen Sicht als Verhaltenstherapeut stellte Luther sich aus freiem Willen seinen Ängsten und machte daraus eine Reizkonfrontation, die wir Verhaltenstherapeuten als Mittel der ersten Wahl zur Bewältigung von Ängsten und Zwängen ansehen.

Zu Luthers Zeiten hatte man religiöse Zwänge als alleinige Sache der religiösen Seelsorge angesehen. Heute ordnet die moderne Psychiatrie und Psychotherapie Zwänge immer mehr als verborgenes, aber höchst bedeutsames seelisches Phänomen ein, das der professionellen Behandlung bedarf.

Hartmut Becks, seit 25 Jahren Pfarrer, zeichnet im Kapitel »Martin Luthers Weg aus Angst und Zwängen« ein Bild von Luther, das ihn weniger als zornigen, weitsichtigen Übermenschen zeigt, sondern als ein von seinen religiösen Skrupeln und Zwängen getriebenen Menschen, der sich aufgrund seiner besonderen Persönlichkeit und aufgrund historischer Zufälle stetig weiterentwickelte und zum großen Reformator wurde. Und so sollten wir ihn heute sehen. Wir möchten den vielen Menschen, die in ihren religiösen Zwängen gefangen sind, Hoffnung machen. Das Beispiel Luthers zeigt, dass eine Bewältigung religiöser Zwänge möglich ist.

»Menschen mit religiösen Zwängen? Die kenne ich in meiner Gemeinde auch!«, sagte mir einmal der Pfarrer meiner katho­lischen Pfarrgemeinde, mit dem ich mich über die Schwerpunkte meiner verhaltenstherapeutischen Arbeit in meiner Praxis unterhielt.

Die Zwangserkrankung ist eine der häufigsten seelischen Störungen mit wahrscheinlich zwei Millionen Betroffenen in Deutschland. Auf der Basis wissenschaftlicher Untersuchungen lässt sich ermitteln, dass davon circa 118.000 Menschen religiös-moralische Zwänge haben. Spezielle Forschungsansätze zu solchen religiösen Zwängen, moderne psychotherapeutische Fachliteratur und/oder aktuelle Ratgeber zum Thema sind noch ausgesprochen selten.

Dieses Buch richtet sich an Betroffene, Therapeuten, aber auch an Religionslehrer, Gemeindereferenten, Pfarrer und alle Menschen, die viel Umgang mit religiösen Menschen haben. Ein Ziel ist es, diese Personengruppen für religiös-moralische Zwänge zu sensibilisieren und ihnen konkrete Hilfen zum Umgang mit eventuell Betroffenen zu liefern. Denn hinter dem Anschein einer besonderen Frömmigkeit und eines religiösen Interesses verbirgt sich bei Zwangskranken ein ernst zu nehmendes behandlungsbedürftiges Leiden, das in schwereren Fällen neben der Seelsorge einer professionellen ärztlichen und psychotherapeutischen Behandlung bedarf. Luther hat durch seine theologischen Ideen seinen Weg aus Zwängen und Ängsten gefunden. Betroffenen empfehlen wir aber, den Weg nicht alleine zu gehen, sondern Rat und Hilfe bei Personen zu suchen, die über Erfahrung und Wissen im Umgang mit Zwangsstörungen verfügen.
Ich werde in diesem Buch zunächst das Phänomen religiöser Zwänge vorstellen, damit der Leser erkennen kann, wann er es mit dieser Art von Zwängen zu tun hat, denn den Betroffenen ist es auf den ersten Blick nicht anzusehen, dass sie an ihren religiösen Vorstellungen leiden. Ich werde Unterschiede und Gemeinsamkeiten der religiösen Zwänge mit anderen bekannteren Zwängen wie das zwanghafte Waschen und das zwanghafte Kontrollieren diskutieren. Dahinter steckt die Frage, ob wir bei religiösen Zwängen die gleichen therapeutischen Strategien einsetzen sollten wie bei allen anderen Zwangsstörungen auch. Neben theologischen und psychologischen Blickwinkeln schenken wir der Stimme der Betroffenen in verschiedenen Fallbeispielen Gehör.

In einem kurzen Überblick vermittle ich einige Grund­kenntnisse über die therapeutischen Hilfsmaßnahmen: Zwangs­erkrankten empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bestimmte Medikamente aus der Gruppe der Serotoninwiederaufnahme-Hemmer und die kognitive Verhaltenstherapie, die auf eine reale Konfrontation mit den Ängsten der Betroffenen abzielt.

Bezüglich der Ursachen von Zwängen stehen wir noch immer am Anfang der Forschung, daher werde ich vorrangig auf die lernpsychologischen Ursachen eingehen. Sicher ist, dass die religiöse Erziehung für religiöse Zwänge eine wichtige Rolle spielt. Die Diskussion genetischer und anderer biologischer sowie psychologischer Ursachen (psychoanalytische Übertragung, Bindung und Persönlichkeit) gehen über den Rahmen dieses Buches hinaus. Abschließend wird Hartmut Becks das Eingangsbeispiel Martin Luthers genauer beleuchten.

Wie intensiv religiöse Zwänge das Leben beeinträchtigen können, soll an dem folgenden Fallbeispiel deutlich gemacht werden. Herr G.F. leidet bereits seit über 60 Jahren an Zwängen, für die er seelsorgerische und therapeutische Hilfe in Anspruch genommen hat. Mit wechselndem Erfolg. Seine Geschichte hat er unter anderem im Mitgliedsheft der Deutschen Gesellschaft Zwangserkrankung aufgeschrieben.

1. Erste Fallgeschichte

Mein langer, sinnloser Kampf gegen religiöse Zwangsgedanken

von G. F.

Stellen Sie sich bitte vor, Sie werden gefragt, wie es Ihnen geht und Sie antworten: »Danke, körperlich gut, aber ich leide sehr unter religiösen Zwangsgedanken.« Erstaunen und Unverständnis Ihres Gegenübers wären sicher groß.

Religiöse Zwangsgedanken und ihre Äußerung stehen unter einem absoluten Tabu, fest installiert durch den eigenen inneren Richter. Er bewertet es als das Schlimmste, das ein Mensch tun kann, und spricht das Todesurteil.

Das Innerste kann die im Hintergrund ständig lauernden und jederzeit überfallartig einschießenden Gedanken und Impulse nicht annehmen. Man erlebt mit unglaublicher Ohnmacht und gleichzeitig bei klarem Verstand, dass man die gefürchteten Gedanken mit dem Willen nicht verhindern kann. Im Gegenteil: Je mehr ich einen Gedanken nicht will, desto mehr muss ich ihn denken. Dafür gibt es in Psychologie oder neuerer Hirnforschung genügend Beweise.

Das subjektive Gefühl, man sei der einzige und allerschlimmste Mensch auf der Welt, der solche Gedanken und Einfälle hat, steigert die Ausweglosigkeit. »Wer so etwas denkt, hat den Tod verdient – im Iran wäre ich schon längst wegen Gotteslästerung hingerichtet worden –, ich bin schlimmer als Hitler oder ein anderer Massenmörder.« So oder so ähnlich erfolgt die verheerende subjektive Selbstbewertung der Zwangsgedanken.

Das Unaussprechliche darf nicht ausgesprochen werden, auch nicht in der Therapie, sagt das Tabu. Mein erster Therapeut drohte mit dem sofortigen Abbruch der Therapie, wenn ich nicht endlich die Gedanken ausspreche. Auch die engsten Familienmitglieder standen hilflos meinem streng gehüteten Geheimnis gegenüber, weil sie nichts von dem Tabu wussten. Die panische Angst vor der späteren, unweigerlich folgenden Strafe durch ewige Verdammung in der Hölle verhindert Äußerungen über die Zwangsgedanken.

In dieser äußersten Notsituation liegt nichts näher als der vergebliche Versuch, die Zwangsgedanken irgendwie in den Griff zu bekommen oder in Schach zu halten. Der Versuch der Vermeidung ist mit stärkster innerer Spannung verbunden. Wie kann man einen Gedanken, den man ja bei sich selbst nicht zulassen kann, vermeiden oder ungeschehen machen? Man wird erfinderisch im Vermeiden, zum Beispiel durch Neutralisieren oder einer Zwangshandlung.

Aus panischer Angst vor dem Gedanken »Gott sei verflucht« muss die innere Abwehr, die es anscheinend mit dem armen Ich gut meint, zwanghaft ständig denken: »Gott sei nicht verflucht.« Der Zusatz durch das Wort »nicht« kommt zu Hilfe. Dann muss man dauernd denken: »zur Hölle mit Gott nicht«. Kann man den Gedanken »Gott sei verflucht« nicht mehr durch das Wort »nicht« neutralisieren, hilft eine magische Zwangshandlung, also zum Beispiel: »Gott ist verflucht, außer ich berühre sofort den Tisch.« Das Vermeidungssystem wird schließlich selbst zu einem Terrorsystem. Da unser Denken in Assoziationen verläuft, kann ein einfacher Schöpflöffel in der Küche plötzlich dazu führen, dass Angst entsteht, etwas gegen den Schöpfer der Welt denken zu müssen.

Sowohl neue Einfälle als auch neue Abwehrstrategien wuchern wie Krebs und beherrschen das Denken. Je mehr ich versuche, den Zwangsgedanken durch Abwehr zu vermeiden, desto mehr überlistet der Gedanke meine Abwehr immer wieder. Um das Wort »Kreuz« zu vermeiden, kann ich zwar sagen, dass ich Rückenschmerzen habe, aber ich kann aus einer Kreuzfahrt keine Rückenfahrt machen. Auch bei dem urplötzlich aus heiterem Himmel einschießenden Gedanken beim Anblick von Pilzen zu denken, dass Gott keinen Pfifferling wert ist, ist die Abwehr schwierig. Der Gedanke: »Gott ist doch einen Pfifferling wert«, bringt nicht viel. Als Abwehr muss ich also irgendeine Zwangshandlung erfinden.

Dem Einfallsreichtum der Gedanken sind keinerlei Grenzen gesetzt. Vermeidung und Abwehr kommen kaum noch nach. Wenn aus Tomatensaft plötzlich das Blut Christi wird, das man nicht beleidigen darf, wechselt man zu Apfelsaft. Ein Stück weggeworfener Kaugummi wird zu einer Hostie, auf die man nicht treten darf.

Was soll die Abwehr tun, wenn beim Anblick einer schönen Orgel mit Lichtgeschwindigkeit der Gedanke »Gott ist doch die größte Pfeife von all diesen Orgelpfeifen« überfallartig kommt? Kaum ist man mit viel Mühe allen Kirchen und Kreuzen aus dem Weg gegangen, sitzt man in Bayern in einer Wirtschaft direkt unter einem Kreuz, und der Titel des letzten Wildwestfilms »Hängt ihn höher« oder das Schild in der Metzgerei nebenan mit der Aufschrift »Fleisch, gut abgehangen« schießt wie ein Blitz durch den Kopf. Wie kann man der Musik aus dem Film »Verdammt in alle Ewigkeit« entgehen, wenn sie im Radio kommt? Oder die Panik, beim Filmtitel »Fahr zur Hölle, Liebling« das letzte Wort durch »Gott« ersetzen zu müssen? Der an sich richtige und hilfreiche Satz »Es ist nur ein Gedanke« verfehlt seine Wirkung, denn für die vernichtende Selbstbewertung der Zwangsgedanken ist es ein himmelweiter Unterschied, ob zum Beispiel »Der Baum ist grün« oder »Gott sei verflucht« gedacht wird.

1943 geboren, in den katholischen Glauben hineingewachsen, kam ich schon früh als Kind in eine krank machende kirchliche Moral, zum Beispiel durch den sogenannten Beichtspiegel, der zu einem Leitfaden für die Verdrängung negativer Gefühle oder Gedanken werden kann. Die kirchliche Konstruktion der Gedankensünde – als Kind musste man zum Beispiel beichten, ob man Unkeusches gedacht hatte – bewirkte eine ungeheure Bemühung, Unbewusstes zurückzudrängen und die Tendenz zur Abspaltung; ein guter Nährboden für Zwangsgedanken. Dazu kamen Begriffe wie »Hölle« oder »ewige Verdammnis«, die sich bis heute in mir festkrallen. Diese Begriffe verbanden sich mit der Aussage von einem liebenden Gott, eine Ambivalenz, wie sie stärker nicht sein kann. Wenn dann noch der Begriff der Ewigkeit negativ besetzt wird, kann die Panik nicht größer sein. Eine Sekte verteilte ein Blättchen, in dem die Ewigkeit mit Zeitbegriffen verbunden war. Das bedeutete dann für jeden weiteren Verfluchungsimpuls mindestens eine Milliarde Jahre mehr an Verdammung mit allen dazugehörigen mittelalterlichen Vorstellungen. Auf die Frage, wie lange die Ewigkeit dauert, antwortet ein Rabbi: Alle tausend Jahre wetzt ein Vogel seinen Schnabel am höchsten Berg. Wenn der ganze Berg abgetragen ist, dann ist eine Sekunde der Ewigkeit vorbei. Wenn man denkt, wie lange schon eine Sekunde beim Zahnarzt sein kann, müsste man auf der Stelle verrückt vor Panik werden bei dem Gedanken an die Ewigkeit. Ich beneide jeden, der über solche Gedanken lächeln muss.

Mein erster Psychotherapeut war zugleich katholischer Priester und Analytiker. Einerseits hatte er Verständnis und Wissen über Zwänge, andererseits beichtete ich bei ihm die blasphemischen Gedanken. Es endete dann in einem Exorzismus – von dem er sich später distanzierte –, der mir die endgültige Gewissheit gab, nun vom Teufel besessen zu sein. Die Beichte von religiösen Zwangsgedanken ist aber trotz Absolution und kurzfristiger Erleichterung deshalb kontraindiziert, weil der zur Beichte gehörende Vorsatz, etwas nicht mehr zu tun, bei Zwangsgedanken unmöglich ist. Immer wieder wird, einem Schluckauf im Gehirn vergleichbar, eine Neuschöpfung produziert oder eine raffinierte Falle gestellt, zum Beispiel der Gedanke: »Ich will verdammt sein, wenn ich nicht verdammt bin.« Wie komme ich aus dieser Zwickmühle heraus?