Claus Koch

Trennungskinder

Wie Eltern und ihre Kinder nach Trennung und Scheidung wieder glücklich werden

Patmos Verlag

ÜBER DEN AUTOR

Dr. Claus Koch, Diplom-Psychologe, war bis 2015 Verlagsleiter für den Bereich Sachbuch beim Beltz Verlag. Lehrauftrag an der Universität Bielefeld. Er veröffentlichte zahlreiche wissenschaftliche Beiträge und Artikel zum Thema Bindung und den Folgen von Trennung und Scheidung. Auftritte in Rundfunk und Fernsehen. 2015 gründete er zusammen mit Udo Baer das Pädagogische Institut Berlin (PIB).


ÜBER DAS BUCH

Das große Selbsthilfebuch bei Trennung und Scheidung

Was brauchen Kinder und Jugendliche, deren Eltern sich trennen oder scheiden lassen? Und wie kommen die Erwachsenen mit ihren eigenen oftmals schwierigen Gefühlen klar? Der Psychologe und Bindungsexperte Claus Koch zeigt auf, was nötig ist, um diese krisenhafte Situation gut zu bewältigen. Besonders wichtig ist jetzt, die existenziellen Bedürfnisse der Kinder gut im Blick zu behalten. Ihnen Geborgenheit, Sicherheit und Anerkennung geben und ihre Selbstwirksamkeit stärken: So können nach der Trennung wieder Mut und Zuversicht wachsen für ein neues und glückliches Leben.

Auch als Printausgabe erhältlich.

www.patmos.de/ISBN978-3-8436-1108-4

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Verlagsgruppe Patmos in der Schwabenverlag AG, Ostfildern

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ISBN 978-3-8436-1108-4 (Print)

ISBN 978-3-8436-1202-9 (eBook)

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Inhalt

Einleitung

TEIL 1: Die Trennung

1. Wenn Eltern auseinandergehen

2. Die Vorgeschichte

3. Welche Rolle spielen Lebensalter und Geschlecht des Kindes zum Zeitpunkt der Trennung? Wie können Eltern darauf passend reagieren?

4. Innenwelten 1: Was geht in Kindern und Jugendlichen vor, deren Eltern sich trennen?

5. Innenwelten II: Was geht in Eltern vor, die sich trennen?

6. Wie (und wann) sage ich es meinem Kind?

TEIL 2:
Das Leben nach der Trennung

7. Eine neue Welt entsteht – für die Kinder

8. Eine neue Welt entsteht – für die Eltern

9. Der direkte Umgang und das Gespräch mit dem Kind

10. Die besondere Rolle der Väter

11. Wo lebt das Kind: Residenzmodell, Wechselmodell, Nestmodell?

12. Märchen und Tatsachen: die Langzeitfolgen von Trennung und Scheidung

TEIL 3:
Damit es Kindern und ihren Eltern nach der Trennung wieder gut geht

13. Die wichtigsten Schutzfaktoren für Kinder und Jugendliche

14. Die wichtigsten Schutzfaktoren für die Eltern

15. Auch Kita und Schule können helfen

Schlussbemerkung

Quellennachweis und Literatur

Quellennachweis und Literatur

Amato, Paul; Keith, Bruce: Parental Divorce and Adult Well-Being: A ­Meta-Analysis Journal of Marriage and Family Vol 53, No 1 (Feb. 1991), S. 43–58

https://www.jstor.org/stable/353132?seq=1#page_scan_tab_contents

Amato, Paul: The Consequences of Divorce for Adults and Children: An Update. (2012)

Brecht, Bertolt: Der kaukasische Kreidekreis. In: Bertolt Brecht, Gesammelte Werke, Stücke 5. Werkausgabe Edition Suhrkamp. Frankfurt am Main 1967

Brisch, Karl Heinz: SAFE. Sichere Ausbildung für Eltern. Stuttgart: Klett-Cotta 2014

Brisch, Karl Heinz: Bindung und frühe Störungen in der Entwicklung. Stuttgart: Klett-Cotta 2017

Bröning, Sonja: Kinder im Blick. Theoretische und empirische Grundlagen eines Gruppenangebotes für Familien in konfliktbelasteten Trennungs­situationen. Münster: Waxmann Verlag 2009

Burfeind, Sophie: Und plötzlich lassen sich deine Eltern scheiden. Süddeutsche Zeitung 4. 2. 2016.

https://www.sueddeutsche.de/leben/familie-fuer-junge-erwachsene-ist-die-scheidung-der-eltern-am-schlimmsten-1.2847000

Dietrich, Angelika; Kluin, Katharina: Trennungskinder. Stern, 23. 6. 2016, S. 54

Eckhard, Ann-Katrin: Geteilte Kinder. Eine Woche Mama, eine Woche Papa. Süddeutsche Zeitung, 6./7. Mai 2017.

https://www.sueddeutsche.de/leben/scheidung-geteilte-kinder-1.3491819?reduced=true

Entleitner-Phleps, Christine; Langmeyer, Alexandra: Coparenting, Kontakthäufigkeit und Sorgerecht in Trennungsfamilien. In: Sabine Walper; Walter Bien; Thomas Rauschenbach (Hrsg.), Aufwachsen in Deutschland heute. Erste Befunde aus dem DJI-Survey AID:A 2015, S. 34-36.

https://www.dji.de/fileadmin/user_upload/dasdji/news/2015/news_20151109_aida_broschuere.pdf

Fransson, Emma et al.: Why should they live more with one of us when they are children to us both? Karolinska Institutet Stockholm (2016)

https://www.researchgate.net/publication/303358404_Why_should_they_live_more_with_one_of_us_when_they_are_children_to_us_both

Fransson, Emma et al.: The Living Conditions of Children with Shared Residence – the Swedish Example. (2017)

https://link.springer.com/article/10.1007/s12187–017–9443–1

Gemeinsame Erklärung Deutscher Kinderschutzbund, Deutsche Liga für das Kind und VAMV: Wechselmodell als gesetzlich zu verankerndes Leitmodell ungeeignet. (2017)

https://www.vamv.de/uploads/media/PM_Gemeinsame-Erklaerung-Wechselmodell_20102017.pdf

George, Carol: Die Bindungsentwicklung bei Säuglingen und Kleinkindern in getrennt lebenden und geschiedenen Familien. Effekte von Übernachtungsbesuchen. Vortrag auf der 17. Bindungskonferenz »Bindung – Scheidung – Neubeginn« in Ulm, Oktober 2018

Grossmann, Karin; Grossmann, Klaus E.: Bindungen – das Gefüge psychischer Sicherheit. Stuttgart: Klett-Cotta 2008

Grossmann, Klaus E.; Grossmann, Karin: Bindung und menschliche Entwicklung. John Bowlby, Mary Ainsworth und die Grundlagen der Bindungs­theorie. Stuttgart: Klett-Cotta 2009

Handke, Peter: Die Obstdiebin. Berlin: Suhrkamp 2017, S. 483

Heidenreich, Ulrike: Jede vierte Alleinerziehende ist arbeitslos. Süddeutsche Zeitung 3. 8. 2018.

https://www.sueddeutsche.de/politik/statistisches-bundesamt-jede-vierte-alleinerziehende-ist-arbeitslos-1.4079056

Heller, Lydia: Wechselmodell vs. Residenzmodell. Was ist das Beste für Kinder nach der Scheidung? (2017)

https://www.deutschlandfunkkultur.de/wechselmodell-vs-residenzmodell-was-ist-das-beste-fuer.976.de.html?dram:article_id=385981

Hetherington, E. Mavis; Kelly, John: Scheidung. Die Perspektiven der Kinder. Übersetzt von Andreas Nohl. Weinheim und Basel: Beltz 2003

Hörnlein, Katrin; Otto, Jeanette: Kann das gut gehen? Patchworkfamilien führen ein Leben zwischen Hoffnung und Verzeiflung. Ein Spagat, der Eltern und Kindern alles abverlangt. Die Zeit, Nr. 32, 2. August 2018

»Immer mehr Kinder in Deutschland von Scheidungen betroffen. Viele zeigen Reaktionen in der Schule«.

https://www.news4teachers.de/2017/07/immer-mehr-kinder-in-deutschland-von-scheidungen-betroffen-viele-davon-zeigen-auch-reaktionen-in-der-schule/

Jensen, Elsebeth; Jensen, Helle: Schule braucht Beziehung. Gelungene Lehrer-Eltern-Gespräche. Weinheim und Basel: Beltz Verlag 2016

Juul, Jesper; Jensen, Helle: Vom Gehorsam zur Verantwortung. Eine neue Erziehungskultur. Weinheim und Basel: Beltz Verlag 2019

Koch, Claus: Die Pubertät war erst der Vorwaschgang. Wie junge Menschen erwachsen werden und ihren Platz im Leben finden. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2017

Koch, Claus: Lenas Eltern trennen sich. Kinder verstehen und im Kita-Alltag professionell begleiten. Berlin: Cornelsen 2018

Koch, Claus: Trennung und Scheidung. Aufgaben einer bindungsorientierten Pädagogik in Kita und Schule. In: Bindung-Scheidung-Neubeginn. Stuttgart: Klett-Cotta 2019

Langmeyer, Alexandra: Wohlbefinden von Kindern in unterschiedlichen Konstellationen nach Trennung der Eltern. Forum 5: Familienverlauf – Brüche und Neuanfänge, 2017

https://www.dji.de/fileadmin/user_upload/dasdji/tagungen/2017_Jahrestagung/11_langmeyer.pdf

Li, Xuan; Zerle-Elsäßer, Claudia: Können Väter alles unter einen Hut bringen? Das Vereinbarkeitsdilemma engagierter Väter. In: Walper, Sabine; Bien, Walter; Rauschenbach, Thomas (Hrsg.): Aufwachsen in Deutschland heute. a. a. O., S. 16.20.

Löhning, Martin: Wo bleibt das Wohl der Pendelkinder? Neue Juristische Wochenzeitung 9/2016.

https://www.uni-regensburg.de/rechtswissenschaft/buergerliches-recht/loehnig/medien/editorial_9–2016.pdf

Mortelmans, Dimitri: Eltern und Scheidung: Was haben wir über die Auswirkungen von Scheidung aus den Studien in Flandern gelernt? Vortrag auf der 17. Internationalen Bindungskonferenz in Ulm, Oktober 2018

Nielsen, Linda: 10 Surprising Findings on Shared Parenting After Divorce or Seperation. Institute for Familiy Studies, 2017

https://ifstudies.org/blog/10-surprising-findings-on-shared-parenting-after-divorce-or-separation

Piltz, Christoph: Heute hier, morgen dort ...: Besser umgehen mit der Trennung – Vorstoß für ein neues Familienrecht. DER SPIEGEL Nr. 7, 9.2. 2019

Pressemitteilung Nr. 251 des Statistischen Bundesamt vom 10. Juli 2018: Deutlich weniger Ehescheidungen im Jahr 2017.

https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2018/07/PD18_251_12631.html

Prantl, Heribert: Zuhause im Plural. Süddeutsche Zeitung, 11. 3. 2016.

https://www.sueddeutsche.de/politik/familie-nach-scheidung-zuhause-im-plural-1.2902750

Rosenblum, Amalia: Was ist, kann nicht verschwinden. Übersetzt von Mirjam Pressler. Weinheim und Basel: Beltz & Gelberg 2018

Schaaf, Julia: Das sind Wunden, die hat man. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. April 2017

Schaan, Violetta: Langzeitkonsequenzen elterlicher Scheidung für die Gesundheit im jungen Erwachsenenalter. Vortrag auf der 17. Internationalen Bindungskonferenz in Ulm. Oktober 2018

Schäfer, Eberhard; Schulte, Marc: Stark und verantwortlich. Ein Ratgeber für Väter nach Trennungen. Berlin 2012

Staats, Hermann: Feinfühlig arbeiten mit Kindern. Psychoanalytische Konzepte für die Praxis in Kita und Grundschule. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014

Sünderhauf, Hildegund: Wechselmodell: Psychologie – Recht – Praxis. Abwechselnde Kinderbetreuung durch Eltern nach Trennung und Scheidung. Heidelberg, Berlin: Springer VS 2013

Sünderhauf, Hildegund: Forschungsergebnisse zum Wechselmodell. Vortrag bei der Dresdner Initiative Trennungskinder beim Oberlandesgericht Dresden. (2016)

https://www.youtube.com/watch?v=HpV4AXJFqHQ

Turunen, Jani: Shared Physical Custody and Children’s Experience of Stress. Stockholm University Demography Unit, Department of Sociology (2017)

https://ifstudies.org/blog/10-surprising-findings-on-shared-parenting-after-divorce-or-separation

Verband alleinerziehender Mütter und Väter: Vielfalt statt Regelfall ist am besten für Kinder in Trennungsfamilien. Pressemitteilung zum Wechsel­modell am 12.2. 2019. www.vamv.de

Vigan, Delphine de: Loyalitäten. Roman. Übersetzt von Doris Heinemann. Köln: Dumont Verlag 2018

Wallerstein, Judith, S.; Lewis, Julia M.; Blakeslee, Sandra: Scheidungsfolgen – Die Kinder tragen die Last. Eine Langzeitstudie über 25 Jahre. Übersetzt von Ulrike Stopfel. Münster: Votum Verlag 2002

Walper, Sabine; Bien, Walter; Rauschenbach, Thomas (Hrsg.): Aufwachsen in Deutschland heute Erste Befunde aus dem DJI-Survey AID:A 2015.

https://www.dji.de/fileadmin/user_upload/dasdji/news/2015/news_20151109_aida_broschuere.pdf

Walper, Sabine: Elternkonsens zwischen Wunsch und Wirklichkeit: Herausforderungen aus psychologischer Sicht. Deutsches Jugendinstitut e. V. (2015)

http://www.elternkonsens.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/Fachvortrag_Prof_Dr_Walper.pdf

Für den Freund und Kollegen

Jesper Juul

Die Geschichte von Vater und Mutter,
warum hört die niemals auf?

Peter Handke

Einleitung

Kinder und Jugendliche getrennter oder geschiedener Eltern treffen wir überall. Bei unseren Freunden, Verwandten und Bekannten, bei Nachbarn, in Kitas und Schulklassen, in Sportvereinen und auch auf Reisen, wenn Züge sie manchmal über große Entfernungen hinweg am Wochenende zu ihrem Vater oder ihrer Mutter bringen. Darüber hinaus begegnen sie uns aber auch in zahlreichen Büchern und Filmen, und dies nicht nur, weil es sie so häufig gibt, sondern auch, weil sich über ihr Schicksal gute und spannende Geschichten schreiben lassen.

Biografien handeln davon, wie das eigene Leben durch die Trennung der Eltern durcheinandergewirbelt wurde, wie sich von einem Moment auf den anderen eine neue Welt auftat, die alles veränderte, das eigene Leben und das der anderen. Romane blicken zurück auf die Kindheit und erzählen davon, wie die Trennung der Eltern den weiteren Lebensweg ihrer Heldinnen und Helden bestimmt hat. Sie erzählen aber auch, häufig aus Sicht eines Kindes, von Abgründen, von Leere, Verlassenheit und Verzweiflung. Filme verfolgen Spuren einer Trennung, die Wunden hinterlassen hat, Spuren, die das weitere Leben ihrer Hauptfiguren immer wieder von neuem durchkreuzen. Und viele von uns erkennen sich in allen diesen Schilderungen wieder, weil wir als Kind oder Jugendlicher dasselbe Schicksal geteilt haben und von den Folgen einer Trennung oder Scheidung betroffen waren. Oder auch als Eltern, weil der Entschluss, sich vom einst geliebten Lebenspartner und oft auch von den eigenen Kindern zu trennen, das eigene Leben so nachhaltig verändert und weiterhin maßgeblich beeinflusst hat. Menschen, die Trennung an ihrem eigenen Leib erfahren haben, ob als Kinder oder als Eltern, reagieren eben besonders aufmerksam und sensibel auf die Berichte und Erzählungen derer, in denen sie sich zum Teil selbst wiederfinden.

Wenn ein Kind auf die Welt kommt, wollen wir Eltern ihm unsere ganze Liebe schenken. Die Natur hat es so gewollt. Denn Kinder kommen »unfertig« auf die Welt, sie brauchen unseren Schutz und unsere Nähe. Das spüren sie von Beginn ihres Lebens an. Ihre ersten Blicke, die sie auf uns richten, ihre ersten Gesten und später ihre ersten Worte suchen uns und hoffen auf unsere Bereitschaft, sie entsprechend wohlwollend in der Welt, in die sie hineingeboren wurden, zu empfangen. Dazu strecken sie ihre Ärmchen nach uns aus und wir nehmen sie auf in unsere Welt. Sie sehen uns an und vertrauen darauf, dass wir unseren liebevollen Blick auf sie richten. Ihr erstes Lächeln berührt uns wie kaum eine andere Gefühlsäußerung zuvor und wir lächeln zurück. Wie von allein stellt sich so ein Band her, das wir fortan so fest wie möglich knüpfen wollen, damit es niemals reißt. Auf diese Weise entsteht, was Psychologen »Bindung« nennen. Sie ist lebensnotwendig für jedes Kind. Und nahezu alle Eltern wünschen sich, dass sie ein Leben lang hält. Fast automatisch bemühen wir uns, unserem Kind Geborgenheit zu geben, und sind stolz, wenn es sich schon in seinen ersten Lebensmonaten offensichtlich nach uns sehnt und dann später, wenn es die ersten Schritte allein zurücklegt, sich nach uns umdreht, um damit zum Ausdruck zu bringen, dass es uns immer noch braucht und um unsere Präsenz fürchtet. Wenn ihr da seid, dann fühle ich mich sicher, dann kann ich die Welt nach und nach für mich selbst erobern – dieses grenzenlose Vertrauen, das ein Kind seinen Eltern entgegenbringt, genießen wir und wollen, dass es niemals aufhört und ein Leben lang weiterbesteht. Eltern wollen die Welt für ihre Kinder zu einem guten Ort machen.

Inmitten dieses Geschehens, in dem wir die ersten Lebensjahre unserer Kinder genießen, fällen viele Eltern den Entschluss, sich zu trennen. Und sagen ihren Kindern, dass sie fortan getrennte Wege gehen werden. Oft zögern sie den Zeitpunkt, ihnen diesen Entschluss mitzuteilen, immer wieder hinaus, ganz einfach deswegen, weil es so schwerfällt, ihnen diese Botschaft zu überbringen. Eltern, die doch immer nur das Beste für ihr Kind oder ihre Kinder wollten, sich um sie Sorgen machten, dass ihnen auch bloß nichts Schlimmes passiert, fühlen sich oft schlecht dabei, das Vertrauen ihrer Kinder mit ihrer Trennung jetzt so auf die Probe zu stellen. Denn sie wissen, dass sie mit ihrer Entscheidung ihren Kindern gleich welchen Alters und ganz unabhängig davon, wie sie selbst sich gerade fühlen, zum Leiden bringen. Sie wissen, dass im Grunde alle Kinder und Jugendlichen wollen, dass ihre Eltern zusammenbleiben. So wie es am Anfang war, als sie auf die Welt kamen und sie sich auf beide Eltern verlassen konnten, so soll es für sie bleiben. Aber jetzt ist es damit vorbei und die Welt wird fortan für sie (und ihre Eltern) eine andere sein. Glückliche Scheidungskinder kommen nur selten vor, aber Scheidungskinder können wieder glücklich werden, so die zentrale Botschaft dieses Buches.

Nach vielen Jahren fachlicher Beschäftigung mit dem Thema, nach Durchsicht unzähliger wissenschaftlicher Artikel, die dem neuesten Forschungsstand entsprechen, nach vielen Beratungsgesprächen und Vorträgen, bei denen ich immer neue Facetten des Trennungsgeschehens kennenlernte, habe ich mich entschlossen, dieses Buch zu schreiben, um Eltern und ihren Kindern dabei zu helfen, die Zeit der Trennung und danach gemeinsam gut zu bewältigen. Die Chancen dafür stehen, nach allem, was wir heute wissen, gut. So ist die Trennung von Eltern heutzutage für die meisten Kinder kein Makel mehr. Wenn Eltern die Herausforderungen, die sich zum Zeitpunkt ihrer Trennung und danach stellen, für sich annehmen, ihnen nicht aus dem Weg gehen, sich ihnen ehrlich, auch im Umgang mit sich selbst, öffnen, werden auch Scheidungskinder ihren anfänglichen Kummer besiegen können. Dann geht für sie die Welt nicht unter, wie es viele von ihnen zunächst fühlen. Und auch für die Eltern eröffnen sich in ihrer Beziehung zu ihren Kindern neue Perspektiven, die helfen, die Trennung gut zu überwinden. Um die Zeit miteinander wieder genießen zu können.

Übergänge und Lebenskrisen können immer auch positiv gewendet werden und schärfen oft sogar den Blick für das Wesent­liche, für das, worauf es im Leben wirklich ankommt. Übergänge und Krisen bringen uns unseren Gefühlen, die so häufig von alltäglichen Aufgaben verdeckt werden, wieder näher. Und manchmal bringt uns eine Trennung sogar wieder näher zu unseren Kindern, weil wir in der Krise entdecken, wie wertvoll sie für uns sind. Aber es gibt auch die Kehrseite. Viel zu viele Väter, seltener die Mütter, verlieren nach und nach den engen Kontakt zu ihren Kindern. Manche Eltern streiten sich vor Gerichten und stürzen ihre Kinder in unerträgliche Loyalitätskonflikte und Zerreißproben. Hin- und hergerissen zwischen Liebe und Abwendung pendeln sie in ein Leben hinein, das ihnen unsicher scheint und in dem manche von ihnen das Vertrauen in die, denen ihre ganze Liebe gilt, verlieren.

Jede Trennung bedeutet einen Schritt ins Ungewisse. Das Leben muss neu organisiert werden, Zukunftsängste und Verlustängste stellen sich sowohl bei den Eltern als auch bei den Kindern ein. Sie aber gilt es jetzt gemeinsam zu überwinden.

Die Voraussetzungen dafür sind für jede und jeden anders. Dem einen fällt die Trennung leichter als der anderen. Die eine fühlt sich mehr verantwortlich als der andere, der das Auseinandergehen für sich bagatellisiert. Viele Trennungen verlaufen zudem asymmetrisch, da gibt es Gewinner und Verlieren, Täter und Opfer. Und dennoch fällt die Trennung den Erwachsenen meistens leichter als ihren Kindern. Denn sie sind schließlich selbst für ihr Leben und die Entscheidungen, die sie treffen, verantwortlich und bleiben, trotz Trauer und Wut, trotz Ängsten und Einsamkeit die handelnden Akteure. Sie sind es, die für sich beschlossen haben, sich zu trennen. Die Kinder aber sind dieser Entscheidung ohnmächtig ausgesetzt, denn es bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, als sie zu akzeptieren, ganz gleich, ob die Gründe ihrer Eltern dafür berechtigt oder unberechtigt sein mögen. Weil sie, die Kinder und Jugendlichen, bei der Trennung ihrer Eltern eindeutig den schwächeren Part einnehmen, habe ich dieses Buch hauptsächlich aus ihrer Perspektive heraus geschrieben. Es handelt aber auch vom Leiden der Erwachsenen, von ihren Ängsten, ihrer Wut, ihrer Enttäuschung, ihren eigenen Ohnmachtsgefühlen, die alle eine bedeutsame Rolle im Trennungsgeschehen spielen. Der Entschluss, sich zu trennen, nötigt immer auch Respekt ab, gerade weil sich Eltern bewusst sind, dass ihre Kinder darunter leiden werden, und alles unternehmen, damit es ihnen bald wieder besser geht. Sie treffen – zumindest in den meisten Fällen – eine für sie stimmige Entscheidung, wollen sich nicht länger verstellen, wollen die Kinder mit ihrem ständigen Streit nicht mehr belasten, wollen mit ihrer verloren gegangenen Liebe nicht länger am Leben vorbeileben. Sie haben es in der Hand und sind verantwortlich dafür, was sie für ihre Kinder daraus machen.

Auch Kinder lernen mit zunehmendem Alter, selbstständig über ihr Leben zu bestimmen. Aber dafür brauchen Menschenkinder, wie kaum eine andere Spezies, lange das Gefühl von Schutz und Geborgenheit, von Respekt und Anerkennung und dies bis hinein in ihr Erwachsenenleben. Ich spreche in diesem Zusammenhang häufig von ihren existenziellen Bedürfnissen, die es zu wahren gilt. Ihr eigener Blick auf das Leben ist besonders in den Jahren der frühen Kindheit bis weit in ihre Pubertätszeit ein anderer als der Blick von Erwachsenen, die gerne rationalisieren, die gerne verdrängen und sich an ihren Pflichten und Aufgaben orientieren, die ihnen der Alltag stellt. Auch dies ein Grund, in diesem Buch immer wieder auf die Perspektive der Kinder und Jugendlichen zurückzukommen, darauf, wie sie die Trennung ihrer Eltern erleben und lernen können, gut damit umzugehen. Es ist für uns Erwachsene lohnend, dabei die Augen offen zu halten, denn ihr Blick ist häufig viel unverstellter als der eigene und ihre Gefühle sind näher an ihnen selbst als wir mit unseren Begründungen und Verstellungen im Alltag. Womit auch für uns Erwachsene die Chance besteht, uns unseren eigenen Gefühlen und Empfindungen neu zu öffnen, wenn wir unser Leben nach einer Trennung und Scheidung in Angriff nehmen.

Kinder und Jugendliche leben immer im Augenblick, das ist ihre große Stärke, sich unmittelbar der Welt, in der sie leben, hinzugeben. Sie erfahren Glück und Leiden noch ganz ohne Filter. Die Trennung oder Scheidung ihrer Eltern macht sie definitiv nicht glücklich, glückliche Scheidungskinder gibt es nicht. Aber die meisten von ihnen können ihr Glück über den Augenblick hinaus wiederfinden. Wie wir als Eltern dazu beitragen können, davon handelt dieses Buch. Wenn Kinder und Jugendliche Jahre später nach der Trennung ihren Eltern zurückblickend sagen: »Eigentlich habt ihr es ganz gut hinbekommen«, können alle sicher sein, die schwierige Situation gut gemeistert zu haben. Kinder und Eltern haben viele Probleme bewältigt, die andere Familien nicht haben. Und darauf können sie auch ein wenig stolz sein.

Das vorliegende Buch gliedert sich in drei Teile. Es handelt vom Zeitpunkt der Trennung selbst, vom gemeinsamen Leben mit den Kindern danach und schließlich von den bedeutendsten Faktoren, die dazu beitragen, dass Kinder wie ihre Eltern Trennung und Scheidung gut überstehen. Diese »Schutzfaktoren«, wie ich sie nenne, sind aus unterschiedlichen fachlichen Perspektiven, insbesondere der Bindungstheorie, die ich im zweiten Kapitel vorstelle, wissenschaftlich gut begründet und abgesichert. Einfache Lösungen oder »Rezepte«, die sich auf jeden und jede ohne Unterschied übertragen lassen, gibt es jedoch nicht. Nicht nur für Kinder ist jede Trennung eine einzigartige Erfahrung, die sich von der Erfahrung anderer unterscheidet, sondern auch für ihre Eltern. Jede Familie ist anders. Die von mir angeführten Beispiele sind authentisch, ich habe sie von Eltern, Kindern und Jugendlichen, aber auch von Erzieherinnen und Lehrern erfahren und erzählt bekommen. Lediglich die Namen und einige Äußerlichkeiten wurden verändert.

Dieses Buch soll über alle Aspekte des Trennungsgeschehens und wie es sich auf die beteiligten Eltern und Kinder auswirkt, informieren. Für einseitige Stellungnahmen ist das Thema zu komplex, weil ganz unterschiedliche Faktoren eine Trennung und wie sie sich auf die Kinder auswirkt, bestimmen. Die in diesem Buch angeführten Forschungsergebnisse berücksichtigen dies und bieten dabei wichtige Anhaltspunkte zum Verständnis individueller Trennungs- und Scheidungsbiografien sowohl bei Kindern als auch bei ihren Eltern. Manchmal sind sie in sich widersprüchlich, denn auch die Wissenschaft ist sich in ihren Aussagen nicht immer einig, was der Komplexität jedes einzelnen Falles geschuldet ist. Das Buch wird Risiken und Chancen von Lösungen aufzeigen und soll Eltern dabei helfen, Vor- und Nachteile des von ihnen gewählten Weges zu sortieren. Es soll seine Leserinnen und Leser zum Nachdenken anregen, um dann zu einer sorgfältig abgewogenen Entscheidung zu kommen. Nur so kann es seinen Anspruch erfüllen und allen an einer Trennung Beteiligten, den Eltern, den Kindern und Jugendlichen, eine wertvolle Hilfestellung sein, das Leben nach einer Trennung oder Scheidung wieder für sich genießen zu können.

TEIL 1: Die Trennung

1. Wenn Eltern auseinandergehen

Alles gut? Jedes Jahr eine Großstadt neuer Trennungskinder

Im Jahr 2017 ließen sich rund 153.000 verheiratete Paare in Deutschland scheiden. Von der Trennung dieser Eltern waren knapp 130.000 minderjährige Kinder betroffen – zählt man von der Trennung ihrer Eltern betroffene volljährige Kinder und die Trennungskinder der in amtlichen Statistiken unberücksichtigten Lebenspartnerschaften hinzu, ergibt sich eine geschätzte Gesamtzahl von etwa 180.000 Kindern pro Jahr – so viele, wie eine mittlere Großstadt Einwohner hat! Mit der Folge, dass im Jahr 2017 in jeder fünften Familie ein Kind mit nur einem Elternteil aufwächst – das sind etwa 1,6 Millionen Familien und 2,3 Millionen Kinder –, wahrlich keine gesellschaftliche Randgruppe!

Darüber, wie alt die Kinder zum Zeitpunkt der Trennung ihrer Eltern sind, liegen keine genauen amtlichen Zahlen vor. Allerdings trennen sich viele Paare im Krippen- und Kitaalter ihrer Kinder bis hin zu deren ersten Schuljahren, wohl auch deswegen, weil diese Lebensphase für frischgebackene Eltern die deutlichsten Veränderungen auch in ihrer Paarbeziehung mit sich bringt. Zunächst durchwachte Nächte, damit vorhandener Schlafentzug und später die Schwierigkeit, Kind und Beruf zu vereinbaren, belasten viele Beziehungen. Und auch die Intimität leidet, wenn jetzt ein neues Familienmitglied hinzugekommen ist.

Aus Männern werden Väter, aus Frauen Mütter, man ist nicht mehr allein für sich verantwortlich und muss auf einen noch ganz unfertigen kleinen Menschen Rücksicht nehmen. Der in unserer Gesellschaft allerorten propagierte Anspruch auf Konsum und Vergnügen trifft auf eine Wirklichkeit, die ganz anders aussieht und die in der Werbung selten realistisch, sondern höchstens romantisch überhöht vorkommt. Hinzu kommt, dass veränderte Rollenmodelle ebenfalls Verwirrung stiften. Waren früher einmal allein die Mütter für die Kinder zuständig, hat sich dieses, sehr zum Vorteil der Kinder und Erwachsenen, grundlegend verändert. Aber auch die Beziehungsmuster der eigenen Eltern werden mit der Geburt eines Kindes und danach wieder sichtbarer und scheinen sich manchmal sogar zu wiederholen. Unterschiedliche Auffassungen in puncto Erziehung machen sich bemerkbar und führen zu Diskussionen und Abstimmungsprozessen, die in der Beziehung bislang keine Rolle gespielt haben. Und manche Eltern werden mit der Verantwortung, die sie jetzt für ein Kind tragen, einfach nicht fertig, fühlen sich in ihrer Freiheit eingeschränkt: Gerade jüngere Paare haben dann das Gefühl, ihr Leben sei zum Stillstand gekommen. Statt das neue Glück zu genießen, sich an ihrem Kind zu freuen, an seiner Offenheit und Liebe, daran, wie es nach und nach die Welt für sich erobert, neugierig und immer bestrebt, etwas dazuzulernen, überwiegen plötzlich Zweifel an sich selbst und Zukunftsängste. Die unteilbare Liebe zu ihrem Kind, der Wunsch, ihm einen guten Start ins Leben zu ermöglichen, bleiben bestehen, aber die Beziehung zum Partner, zur Partnerin zerbricht. Es ist oft ein schleichender Prozess, und wenn den Erwachsenen die Folgen – für sich und die Kinder – bewusst werden, ist es meistens zu spät. Aber Eltern trennen sich nicht nur, solange ihre Kinder noch klein sind, im »verflixten siebten Jahr« ihrer Beziehung, sondern in allen Lebensaltern ihrer Kinder und zunehmend auch, wenn ihre Kinder bereits junge Erwachsene sind.

Die meisten Kinder von Scheidungseltern wachsen bei ihrer Mutter auf. Nahezu alle Eltern teilen sich weiterhin das Sorgerecht, in etwa einem Fünftel der Fälle kommt es zu schweren Zerwürfnissen und anschließenden gerichtlichen Auseinandersetzungen, genaue Zahlen liegen nicht vor. Etwa ein Viertel bis zur Hälfte der Väter hat, aus unterschiedlichen Gründen, Jahre später kaum noch regelmäßigen Kontakt zu ihren Kindern, manchmal erlischt er völlig. Andererseits haben sich in den letzten Jahren die Rolle der Väter und die Einstellung der Väter zu ihren Kindern gegenüber früheren Generationen positiv geändert. Auch wenn der alltägliche Umgang in den meisten Fällen noch ungleich verteilt ist, betreuen heutzutage viele Väter ihre Kinder von Geburt an. Väter mit Kinderwagen oder auf dem Spielplatz sind zum gewohnten Bild geworden. Deshalb wünschen sie sich auch nach der Trennung weiterhin einen intensiven Kontakt zu ihren Kindern. Aktuell spiegelt sich diese neue Väterhaltung in der Debatte um das beste Aufenthaltsmodell für die Kinder wider, denn Väter wollen mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen als jedes zweite Wochenende und zusätzlich einen Nachmittag in der Woche, wie es nach wie vor die Regel ist. Sie machen sich für eine gemeinsame und geteilte Erziehung stark, für das sogenannte »Wechselmodell«, das in skandinavischen Ländern in bestimmten Lebensphasen der Kinder mittlerweile fast hälftig praktiziert wird.

Man braucht kein Wissenschaftler zu sein, um sich über die Folgen von Trennung und Scheidung klar zu werden. Sei es aufgrund eigener Erfahrung oder durch Gespräche mit Freunden und Bekannten, deren Eltern sich getrennt haben. Die Trennung der Eltern bedeutet für die betroffenen Kinder und Jugendlichen immer einen tiefen Einschnitt in ihrem Leben, der ihre gesamte Existenz berührt. Und wenn jedes Jahr fast 200.000 Trennungs- und Scheidungskinder hinzukommen, allein in den letzten zehn Jahren also die Einwohnerzahl von zwei Millionenstädten, hat dies natürlich auch Auswirkungen auf die Erziehungslandschaft in der Gesellschaft. Hier geht es nicht mehr bloß um die Eltern, die vor neuen erzieherischen Herausforderungen stehen und oft, zumindest in der akuten Phase der Trennung, Unterstützung brauchen, sondern auch die Erzieherinnen in Kitas und Lehrer in Schulen sind betroffen, wenn die Kita-Gruppe oder Klasse manchmal fast zur Hälfte aus Trennungskindern besteht. Sie können den Kindern und Jugendlichen dabei helfen, mit den Folgen von Trennung und Scheidung besser zurechtzukommen. Ihre Ausbildung sollte auch dies berücksichtigen.

Angesichts der hohen Anzahl von Trennungs- und Scheidungskindern müsste es eigentlich auch bei uns eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Studien geben, die sich mit diesem Thema und seinen Auswirkungen beschäftigen, besonders damit, wie die Trennung oder Scheidung ihrer Eltern das Leben der davon betroffenen Kinder langfristig prägt. Aber so zahlreich das Phänomen auftritt und so offenkundig die Folgen selbst für den Laien erkennbar sind, schwieg sich die Psychologie, die doch sonst so bemüht ist, alles und jedes zu erklären, bei uns lange aus, im Gegensatz zu den USA und den skandinavischen Ländern. Erst in den vergangenen Jahren häufen sich die Studien auch hierzulande, wohl auch deswegen, weil mit Trennung und Scheidung verbundene gesellschaftliche Probleme immer offenkundiger wurden, sei es in erzieherischen Institutionen wie Kita und Schule oder auch im Zusammenhang mit der großen Anzahl von Alleinerziehenden. In München arbeitet das Deutsche Jugendinstitut schon länger an einer Langzeitstudie zu den Folgen von Trennung und Scheidung und im Oktober 2018 fand eine Internationale Bindungskonferenz in Ulm statt, die sich ausschließlich mit diesem Thema befasst hat.

Populäre Zeitschriften stellen in ihren Artikeln, oft reißerisch aufgemacht, eher das Schicksal der Eltern und ihre Probleme in den Vordergrund und die innere Erlebniswelt der Kinder, die doch eindeutig das schwächste Glied in der Entscheidungskette sind, gerät dabei oft in den Hintergrund.

Ein weiterer Grund, warum das Thema Trennung und Scheidung zwar gerne in Klatsch- und Tratschgeschichten über Prominente behandelt wird, ansonsten jedoch noch zu selten erforscht und mit seinen Auswirkungen erwähnt wird, mögen vorhandene Ängste und auch Schuldgefühle gegenüber den Kindern sein. Denn in einer Gesellschaft, in der es nur noch auf den materiellen Erfolg oder das Wohlergehen des Einzelnen ankommt, bedarf es reibungsloser Abläufe. Kinder und deren Bedürfnisse werden dann häufig als Störfaktoren betrachtet. Ihr unbedingtes Streben nach Sicherheit, Geborgenheit und elterlicher Präsenz lässt sich eben mit einer »Spaßkultur«, die von einer hohen Verfallsquote langfristiger Beziehungen geprägt ist, kaum vereinbaren. Insgeheim überwiegt bei vielen die Hoffnung, dass der Preis, den die Kinder bei einer Trennung zu zahlen haben, nicht zu hoch ist.

Natürlich ist es heute kein Stigma mehr, Kind von geschiedenen Eltern zu sein, wie es noch bis in die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts der Fall gewesen ist. Und Scheidungskinder machen die Erfahrung, dass viele ihrer Freundinnen und Freunde oder die Sitznachbarin in der Schule mit ihnen dasselbe Schicksal teilen. Das entlastet nicht nur sie, sondern auch ihre Eltern. Gleichzeitig schürt es Ängste. Wenn die Eltern Konflikte miteinander haben, sich streiten und sich gegenseitig vorwerfen, kaum noch Zeit für sich selbst zu haben, dann erzeugt dies nicht nur Schuldgefühle bei den Kindern, sondern auch Sorge, dass sich ihre Eltern, wie so viele andere auch, demnächst trennen werden.

Trennung und Scheidung sind also, gerade weil sie so häufig vorkommen, zu einem »normalen« Phänomen geworden. Was im Gegensatz zu den Gefühlen der meisten betroffenen Kinder und Jugendlichen steht, die es zunächst alles andere als »normal« finden, wenn ihre Eltern beschließen, fortan getrennte Wege zu gehen. Sie leiden unter der Trennung ihrer Eltern und ein Teil von ihnen wird auch später noch leiden, darin sind sich sämtliche Studien der letzten Jahrzehnte einig. Für eine Übergangszeit haben die meisten von ihnen mit psychischen Problemen zu kämpfen, was übrigens ebenso, und auch hier sind sich die Wissenschaftler einig, für viele ihrer Eltern gilt.

Glückliche Scheidungskinder gibt es nicht

Äußerungen wie die von Niklas (8 Jahre): »Ich wünsche mir, dass meine Eltern wieder zusammenkommen. Dafür würde ich dieses Jahr und auch das nächste Jahr alle meine Weihnachtsgeschenke zurückgeben«, oder die von Nelly (13 Jahre): »Ich wünsche mir, dass mein Vater seine neue Freundin verlässt und wieder bei uns einzieht«, beschreiben ganz gut den inneren Zustand der meisten Kinder von Eltern, die sich trennen: Kein Kind ist glücklich, wenn seine Eltern sich trennen. Fast alle Kinder wollen, ausgesprochen oder unausgesprochen, dass ihre Eltern zusammenbleiben. Familie steht hoch im Kurs. Auf die Frage: »Was ist für dich am wichtigsten?«, nimmt die Antwort »Familie« in nahezu allen Jugendstudien der letzten Jahre einen Spitzenplatz ein.

Die Gründe dafür, dass nahezu alle Kinder wollen, dass ihre Eltern zusammenbleiben, haben mit ihrem Wunsch nach Bindung, Sicherheit und Geborgenheit zu tun. Dieser Wunsch ist tief in ihnen verankert, darauf gehe ich im nächsten Kapitel ausführlich ein. Für Kinder geht, wenn ihre Eltern sich trennen, eben unwiderruflich eine Epoche zu Ende: Ihre Eltern mögen dabei eine Hälfte ihrer Welt (den Partner, die Partnerin) verlieren, die sie im Übrigen irgendwann durch einen anderen oder eine andere ersetzen können. Die Kinder aber verlieren ihre ganze Welt, da sie ihre Eltern immer als Einheit sehen. Schließlich sind sie als Dritte aus der Vereinigung ihrer Eltern hervorgegangen. Sie empfinden die Trennung ihrer Eltern in zwei fortan unabhängig voneinander existierende Hälften als »künstlich« oder von außen an sie herangetragen, als Riss, den sie, im Gegensatz zu ihren Eltern, mit keinem anderen Menschen mehr »ganz« machen können – und dies ein Leben lang.

Was nicht bedeutet, dass Scheidungskinder später im Leben diesen Riss nicht überwinden können. Sie können es immer dann, wenn ihre Eltern für sie weiterhin, wenn auch getrennt, gemeinsame Eltern bleiben. Dann haben sie sogar gegenüber jenen aus »normalen« oder traditionellen Familien durch die Bewältigung einer Krise an Lebenserfahrung gewonnen und können zukünftigen Problemen in ihrem Leben mit viel Selbstständigkeit und Mut begegnen. Auch sind die meisten von ihnen durchaus in der Lage, später langfristige Beziehungen mit ihrem Partner oder mit ihrer Partnerin einzugehen, die gerade wegen der eigenen Trennungs­erfahrung oft von großem Einfühlungsvermögen in den anderen geprägt, oft aber auch von der Angst begleitet sind, die Beziehung könne vielleicht doch, so, wie bei ihren Eltern, zerbrechen. Eine Sorge, die aber auch viele Paare aus traditionellen Familien angesichts hoher Scheidungsraten mit ihnen teilen. Sicher ist: Das spätere Glück der Trennungskinder hängt davon ab, ob sie die dafür notwendige Unterstützung ihrer Eltern und darüber hinaus auch ihres Umfelds erfahren, wenn ihre Mutter und ihr Vater beschlossen haben, getrennte Wege zu gehen.

Unter der Trennung leiden nicht nur die Kinder, sondern auch ihre Eltern

Nahezu sämtliche wissenschaftlichen Studien bestätigen, dass eine Trennung oder Scheidung auch für die meisten Eltern zunächst eine hohe psychische Belastung bedeutet. Dafür verantwortlich sind zahlreiche Faktoren, auf die ich später noch einmal ausführlich zurückkommen werde: die vorübergehende Instabilität im Leben, der Verlust der Partnerin oder des Partners mit der Folge, sein Leben jetzt allein in Angriff nehmen zu müssen, der Wegfall familiärer Geborgenheit, soziale Isolation, damit verbundene gesundheitliche Probleme, Geldsorgen und vieles mehr. Auch für Eltern ist die Trennung keine einfache Angelegenheit, auch wenn manche von ihnen gerne zu dem Mittel greifen, sie zu bagatellisieren, oft mit dem Hinweis, dass Trennungen heute ja gang und gäbe seien und sie nicht die Einzigen seien, denen das passiert.

Blickt man hinter die Kulissen und bohrt ein wenig tiefer, erweist sich diese Haltung, die Folgen einer Trennung vor sich und anderen zu verleugnen, oft als Schutzbehauptung, mit der die eigene Unsicherheit, oft begleitet von Scham und Schuldgefühlen, vor sich selbst, vor anderen und auch vor den eigenen Kindern verborgen werden soll. Womit aber hat diese Unsicherheit zu tun?

zu beiden Elternbeider

Fest steht: Die Verantwortung für eine Trennung und Scheidung liegt ausschließlich bei den Erwachsenen und sie sollte nie, auch nicht indirekt, auf die Kinder übertragen werden. Deren Wohlbefinden sollte an oberster Stelle stehen. Dafür müssen Eltern nicht auf ihre eigenen Gefühle verzichten, sollten sie aber nicht gegen den ehemaligen Partner ausspielen. Später löst sich diese Asymmetrie des Trennungsgeschehens bei den meisten wieder auf, wenn jede und jeder sein eigenes Leben in die Hand genommen hat. Dauern Wut und Enttäuschung, Hass und Trauer aber zu lange an, sollte professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden. Im Wissen darum, damit auch den eigenen Kindern wirksam zu helfen. Eltern bleiben ihren Kindern immer Vorbilder. Anklagen und Verbitterung lassen sich zum Zeitpunkt der Trennung sicherlich nicht einfach abstellen, aber langfristig sind sie keine gute Hilfe im Bemühen, das ursprünglich vorhandene Vertrauen der Kinder zurückzugewinnen. Gelingt es Eltern, das asymmetrische Geschehen zu überwinden, sich nicht mehr nur als Täter und Opfer zu sehen, hilft dies den Kindern und Jugendlichen ungemein, positiv in die eigene Zukunft zu sehen. Und auch das bei den Eltern zum Zeitpunkt der Trennung häufig anzutreffende Gefühl, dem Wohlbefinden ihres Kindes zu schaden, weicht der Überzeugung, dass ihr Kind die Trennung am besten überstehen wird, wenn sie nach wie vor gemeinsam für es da sein können.