EDITORIAL

Adelheid Stahnke
Redakteurin dieses Sonderhefts

Der Mensch – ein Mosaik aus diversen Ahnenlinien?

In letzter Zeit geht es in der Paläoanthropologie höchst erfrischend zu. Alle Augenblicke müssen die Forscher lieb gewordene Ansichten begraben, wenn wieder einmal eine Sensationsmeldung ein etabliertes Weltbild auf den Kopf stellt. Derzeit sorgt der in Südafrika entdeckte Homo naledi für Wirbel (S. 26). Die neue Art wirkt wie aus Versatzstücken von verschiedenen frühen Menschen und Vormenschen zusammengefügt. Es dürfte eine Weile dauern, bis sich die Experten über diesen eigenartigen Homininen klar sein werden. Wegen der vertrackten Fundsituation in einem ausgedehnten Höhlensystem wissen sie bisher nicht einmal annähernd, wann diese Spezies lebte – möglicherweise vor über 2 Millionen, vielleicht aber auch erst vor einigen hunderttausend Jahren. Und wie sollen ein sehr kleines Gehirn und offenbar geschickte Hände zusammenpassen? Oder wie ein Oberkörper fürs Baumleben und zum Gehen geeignete Füße?

Der neue Fund bestärkt eine wichtige Einsicht, die sich schon Ende des letzten Jahrhunderts anbahnte: Die Homininen gaben zu allen Zeiten ein viel bunteres Bild ab, als die Fachleute noch vor 50 Jahren glaubten. Dazu trägt jedes weitere Fossil aus ihrer Frühgeschichte bei (S. 14), derzeit allerdings besonders sämtliche Knochen und vermeintlichen Artefakte, die aus jener Übergangszeit stammen könnten, in der sich die Gattung Homo herausbildete (S. 22 und 28). Der Stammbaum unserer Vorfahren und ihrer Verwandtschaft muss recht verästelt gewesen sein.

Als Louis Leakey vor 50 Jahren den durchaus strittigen frühesten Menschen Homo habilis beschrieb, war nach Ansicht einiger heutiger Kollegen Wunschdenken mit im Spiel: Diesem offenbar ersten Menschenwesen wies er die damals vor Ort – in Ostafrika – entdeckten, ungefähr zeitgleichen ersten primitiven Steinwerkzeuge zu (S. 34). Tatsächlich bediente er eine heute nicht mehr haltbare Fantasie: In unserer Entwicklungslinie hätten sich demnach aus Menschenaffen nach und nach zunehmend menschenähnlichere Kreaturen graduell herausgebildet. In Wirklichkeit scheint es solch eine ziemlich geradlinige, ungebrochene Evolution nie gegeben zu haben. Die alte Vorstellung mag sich so lange gehalten haben, weil es immer noch ein Rätsel ist, wie der Mensch zu seiner außergewöhnlichen Vorrangstellung kam (S. 64, 70 und 74).

Für eine Menge frischen Wind sorgt insbesondere die Paläogenetik. Sie beleuchtet unsere jüngere Vergangenheit: So scheinen einzelne Neandertalergene dem schon »fertigen« modernen Menschen das Leben außerhalb Afrikas erleichtert zu haben (S. 56).

Mir gefällt die durch den Homo naledi nun weiter beflügelte Idee, der zufolge auch schon in früheren Phasen unserer Evolution einander fremd gewordene Homininenlinien aufeinander trafen und sich kreuzten, worauf sich deren unterschiedliche Anpassungen in neuer Mixtur bewährten. Im Klartext: Der aufrechte Gang, handwerkliches Geschick, ein schwächeres Gebiss, ein vergrößertes Gehirn und so weiter müssen nicht gemeinsam – oder aufeinander aufbauend – evolviert sein. Ihre Kombination verlieh der Entwicklung dann allerdings kräftige Schübe.

Ihre

INHALT

ANFÄNGE

KLIMAEINFLÜSSE

Menschenevolution durch Klimaschwankungen

Peter B. deMenocal

Abwechselnd feuchte und trockene Zeiten trieben die Menschwerdung an. Das förderte bei unseren Vorfahren Merkmale wie Flexibilität. Weniger anpassungsfähige Homininen hielten den vielen Umbrüchen nicht stand.

ERSTE URSPRÜNGE

Wildwuchs im Stammbaum des Menschen

Katherine Harmon

Unsere Menschenaffenvorfahren ähnelten keineswegs Schimpansen: Jene Ahnen waren weniger spezialisiert als unsere nächsten lebenden Verwandten.

AUFTRITT DES MENSCHEN

EVOLUTION

Menschwerdung in neuem Licht

Kate Wong

Neuere Entdeckungen stellen manches für gesichert gehaltene Wissen radikal in Frage. Selbst unsere eigene Vorgeschichte war komplexer als bisher gedacht.

RISING-STAR-HÖHLE

Homo naledi – eine neue Frühmenschenart?

Jan Dönges

Die Art aus Südafrika zeigt eine schwer deutbare, bisher ungekannte Mischung archaischer und moderner Merkmale.

HOMININENVIELFALT

Unser stark verzweigter Stammbaum

Bernard Wood

Wahrscheinlich lebten in den meisten Phasen der Menschwerdung deutlich mehr Arten von Homininen gleichzeitig als zunächst angenommen.

WERKZEUGGEBRAUCH

Erste Steinwerkzeuge – älter als der Mensch

Ewen Callaway

Nicht erst Vertreter der Gattung Homo fertigten aus Steinen Gebrauchsgeräte.

KÖRPERBAU

Zum Jagen geboren

Kate Wong

Die besonderen körperlichen Voraussetzungen zum Jagen und Erlegen von Tieren erwarben unsere Vorfahren unvermutet früh.

RAUBTIER

Der wahre König der Tiere

Lars Werdelin

Afrika kannte vor dem Auftritt der Gattung Homo viel mehr Großraubtiere als heute. Hielten die einstigen Herrscher der Savanne die neue Konkurrenz nicht aus?

UNSERE NÄCHSTEN VERWANDTEN

ERBGUTSPUREN

Uralte DNA schreibt Geschichte der Menschenevolution neu

Jan Dönges

Erbsequenzen von 400 000 Jahre alten Fossilien aus Spanien weisen zum Denisovamenschen.

DENISOVAMENSCH

Unser rätselhafter neuer Verwandter

Michael Marshall

Als der moderne Mensch in Europa auftauchte, lebten in Fernost längst die Denisovaner. Doch erst vor wenigen Jahren entdeckten Paläogenetiker ihre Spuren.

INTELLIGENZVERGLEICH

Verkannte Neandertaler

Kate Wong

Neue archäologische, anatomische und genetische Befunde zeigen: Unsere engsten Verwandten hatten unerwartet hohe geistige Fähigkeiten.

DER MODERNE MENSCH

HOMO SAPIENS

Gewinner der Evolutionslotterie

Ian Tattersall

Entscheidende Entwicklungssprünge für den Auftritt des Homo sapiens erfolgten in kleinen, isolierten Populationen. Oft hingen sie von Zufällen ab.

SOLIDARITÄT

Die Wurzeln der Kooperation

Frans de Waal

Wir verdanken es frühen evolutionären Anpassungen anderer Primaten, dass Menschen oftmals zusammenhalten und füreinander einstehen.

SOZIALKOMPETENZ

Gute Zusammenarbeit

Gary Stix

Anders als Affen neigen schon kleine Kinder zu intensiver Kooperation. Vielleicht unterschieden sich hierin bereits unsere Vorfahren von anderen Primaten.

Editorial

Impressum

KLIMAEINFLÜSSE

Menschenevolution durch Klimaschwankungen

Abwechselnd feuchte und trockene Zeiten trieben die Menschwerdung an. Die vielen Klimaumschwünge förderten moderne Merkmale wie Flexibilität. Weniger anpassungsfähige Homininen hielten die ökologischen Umbrüche nicht aus.

Von Peter B. deMenocal

 

Von der kleinen Anhöhe blicke ich auf den glitzernden Turkanasee – und über die öde rötlich braune Landschaft im Norden Kenias hinweg. Größer könnte der Kontrast zwischen der blaugrün schimmernden Wasserfläche und der fast kargen, steinigen Wüste kaum sein. Besonders ab mittags, wenn auch das Gestein Hitze abstrahlt, fühlt man sich sogar in Seenähe wie in einem Backofen. Angesichts der staubgetränkten Luft, die den Horizont verschleiert, fällt es einem schwer, sich hier etwas anderes als Wüste vorzustellen. Und doch wuchsen an dieser Stelle einmal Bäume zwischen weiten Grasfluren.

Der Turkanasee, früher Rudolfsee genannt, liegt im Ostafrikanischen Graben. Mit einer Gesamtlänge von 270 Kilometern und maximal 50 Kilometer Breite zieht er sich noch bis weit nach Äthiopien hinein. Von dorther speist ihn der Omo – in den meisten Jahreszeiten sein einziger Zufluss, der ihm vom äthiopischen Hochland die Wassermassen der Monsunregen zuführt.

Anzeichen dafür, dass hier früher ein viel feuchteres Klima herrschte, finden sich zuhauf. Zum Beispiel besteht der Hügel, auf dem ich stehe, aus 3,6 Millionen Jahre alten Sedimenten, die sich am Boden eines Vorläufers des heutigen Turkanasees ablagerten. Der frühere See war erheblich ausgedehnter und tiefer und füllte das Bassin bis zum Rand. Die trockenen weißen Sandschichten sind Überreste von Algenfossilien. Auch gibt es in dem Gebiet jede Menge Fossilien von großen Fischen. Andere Studien belegen, dass diese Region einst eine von Grasfluren, Bäumen und Seen geprägte Landschaft war.

Die meisten bisher bekannten Zeugnisse von den Anfängen und dem weiteren Verlauf der Menschwerdung stammen von Orten in Ost- und Südafrika. Darunter sind wichtige Funde von der Gegend um den Turkanasee. Und die Forscher sind sich zunehmend darin einig, dass die menschliche Evolution wesentlich mit der großen Verschiebung der klimatischen und damit ökologischen Bedingungen hin zu viel trockeneren Verhältnissen zusammenhing. Allerdings wissen wir inzwischen auch, dass dieser generelle Trend nicht gleichmäßig verlief. Vielmehr schlug das Klima wiederholt kräftig in beide Richtungen aus. Es gab also zwischendurch immer wieder ziemlich feuchte Abschnitte.

AUF EINEN BLICK

ANPASSUNGSFÄHIGKEIT SIEGT

1 Über Jahrmillionen scheinen Klimaveränderungen unterschiedlicher Richtung die Menschenevolution beeinflusst zu haben. Manche Linien der Homininen verschwanden dann, andere konnten sich behaupten.

2 Sedimente in Ostafrika und im Meer sowie fossile Homininenzähne deuten auf die immer wieder wechselnde afrikanische Pflanzenwelt zu verschiedenen Zeiten. Neben regelmäßigen, zyklischen Klimaschwankungen traten zwei große Schübe hin zu generell mehr Trockenheit auf, die eine Ausbreitung der Savanne förderten.

3 Auch die Evolution der Gattung Homo hing anscheinend mit den vielen Klimaverschiebungen zusammen. Als eine markante Eigenschaft von frühen Menschen, welche von hoher Anpassungsfähigkeit zeugt, sticht ihre vielseitige Ernährung hervor, ebenso das zunehmend komplexere Werkzeug.

Zwei markante Phasen der Homininenevolution – mit einem Abstand von ungefähr einer Million Jahren – fielen zeitlich mit größeren Klimaveränderungen zusammen. Der erste Umschwung ereignete sich im Zeitraum von vor 2,9 bis vor 2,4 Millionen Jahren. Damals starb die Linie von Australopithecus afarensis aus, jener ostafrikanischen Art, zu der die berühmte »Lucy« gehört. Und es traten zwei sehr verschiedene Gruppen von Homininen neu auf. Die Vertreter der einen halten Anthropologen für die allerersten Angehörigen unserer Gattung Homo. Einige ihrer Merkmale erscheinen bereits etwas »moderner« im menschlichen Sinn, etwa ein größeres Gehirn. In der Nähe dieser ostafrikanischen Fossilien fanden sich zudem die frühesten, grob gefertigten Steinwerkzeuge. Die zweite Gruppe wirkte völlig anders. Das waren gedrungen – »robust« – gebaute Primaten mit kräftigen Kiefern. Für diese Australopithecinen kam der Gattungsname Paranthropus auf. Er wird allerdings nicht einheitlich angewandt, zumal die Verwandtschaftsverhältnisse der robusten Formen von Ost- und Südafrika untereinander unklar sind.

Die zweite markante Entwicklungsphase lag vor 1,9 bis vor 1,6 Millionen Jahren. Jetzt trat der Homo erectus auf den Plan, den manche als H. ergaster bezeichnen, um ihn vom H. erectus Asiens abzugrenzen, der vermutlich aus ihm hervorging. Dieser Frühmensch besaß ein noch umfangreicheres Gehirn und wirkte größer und wendiger als seine Vorläufer. Im Körperbau unterschied er sich wenig vom modernen Menschen. Er fertigte die ersten Faustkeile: große, zweiseitig bearbeitete scharfe und spitze Steingeräte – ein enormer technischer Fortschritt. Und er wusste sich Fleischnahrung zu beschaffen. Dies könnte die erste Menschenform gewesen sein, die sich nach Eurasien ausbreitete. Laut einigen neueren umstrittenen Befunden ist das jedoch nicht mehr ganz sicher.

Dass die genannten beiden Meilensteine der menschlichen Evolution relativ rasch aufeinander folgten, führen einige Wissenschaftler auf zwei einschneidende Klimaepisoden zu dieser Zeit zurück. Während sich die Umweltbedingungen vorher über weite Zeiträume nur ganz langsam verändert hatten, gab es in den entscheidenden Phasen zwei deutliche Schübe hin zu trockeneren Verhältnissen, wodurch sich zunehmend Grasland verbreitete. Zusätzlichen Anpassungsdruck übten die erwähnten schnellen Wechsel zwischen feuchten und trockenen Perioden aus. Die Homininen mussten sich wiederholt zügig an veränderte ökologische Gegebenheiten adaptieren.

Die Erkenntnisse vom wechselvollen Klimageschehen stützen sich auf neuere Daten unter anderem zur Geschichte der Pflanzenwelt Afrikas. Beispielsweise kann man inzwischen aus Sedimenten – wie den Schichtungen beim Turkanasee – die frühere Vegetation anhand molekularer Reste bestimmen. Zudem verraten chemische Indizien von fossilen Zähnen der verschiedenen Vor- und Frühmenschen, was sie jeweils aßen, also welche Linien auf eine Klimaverschiebung mit einer Ernährungsumstellung reagierten und welche nicht.

Allem Anschein nach konnten sich manche Homininen auf eine veränderte Umwelt deutlich besser einstellen als andere. Eine beträchtliche Anpassungsfähigkeit an ungewohnte ökologische Herausforderungen dürfte eine entscheidende Eigenschaft der Evolutionslinie gewesen sein, die zum Menschen führte. Eher unflexible Linien, die ihre einmal erworbenen Anpassungen beibehielten, starben offenbar aus. Der Paläoanthropologe Rick Potts von der Smithsonian Institution in Washington D. C. spricht sogar von »variability selection«: einer Auslese auf das Vermögen zu gesteigerter Variabilität als einem entscheidenden Faktor der Menschwerdung.

Ressourcenwandel durch Klimaverschiebungen

Einen Zusammenhang zwischen Klimaveränderungen und Evolutionsgeschehen postulierte schon Charles Darwin. Er überlegte: Eine ausgeprägte klimatische Verschiebung kann sich zum Beispiel auf das Nahrungsangebot oder Orte zum Unterschlupf auswirken. Würden also wichtige Ressourcen für eine Art verschwinden, müsste in der Region ein Selektionsdruck auftreten, der eine Anpassung an die neuen Verhältnisse erzwingt. Im Extremfall könne die Art aussterben, oder aus ihr ginge eine neue Spezies hervor. Langfristig seien diejenigen Populationen im Vorteil, die dank ihrer genetischen Ausstattung vorteilhafte Merkmale ausbildeten – wie ein größeres Gehirn. Im Lauf der Generationen würden sich die besser adaptierten Individuen durchsetzen. Darwin schrieb auch bereits, dass etwa Zeiten extremer Kälte oder Trockenheit die Anzahl der Arten oft kräftig dezimieren könnten.

In der Tat verlaufen solche Umschwünge keineswegs immer sanft. Alle fünf großen Massenaussterben in der Erdgeschichte in den letzten 540 Millionen Jahren gingen mit gravierenden ökologischen Umbrüchen einher. Dabei verschwanden mindestens die Hälfte, in einem Fall sogar 90 Prozent der bis dahin existierenden Tierarten. Doch danach tauchten jedes Mal viele völlig neuartige Organismen auf, und es erblühten nie da gewesene Tierwelten. Wir Säugetiere beispielsweise verdanken unsere Vorherrschaft dem riesigen Meteoriten, der vor etwa 66 Millionen Jahren auf der Halbinsel Yukatan im heutigen Mexiko niederging und einen so gewaltigen globalen Klimaumbruch auslöste, dass die Dinosaurier und mit ihnen viele andere Lebewesen untergingen. In dieser Situation konnten sich relativ bald die bis dahin eher unscheinbaren Säugetiere mit zahlreichen neuen Evolutionslinien ausbreiten.

In einem dieser Zweige entwickelten sich die Primaten, aus denen später auch die Homininen hervorgingen und schließlich die Menschen. Anthropologen fassen unter dieses Fachwort alle mit uns verwandten Gruppen nach der Abspaltung von den gemeinsamen Vorfahren mit Schimpansen zusammen. Zu den bekanntesten Theorien dazu, welche Umweltbedingungen für die Menschwerdung wichtig gewesen sein mögen, zählt die »Savannenhypothese«. Deren ursprüngliche, allerdings zu einfache Version findet sich noch heute in manchen Lehrbüchern. Demnach waren unsere aufrecht gehenden Vorfahren recht gut dafür gerüstet, in der Savanne zu überleben, als sich solche Gras- und Buschlandschaften immer mehr ausbreiteten. Dank ihres großen Gehirns und ihres Talents zur Werkzeugherstellung konnten sie die dort herrschende ziemlich harte Konkurrenz um Ressourcen bestehen, während die den Menschenaffen ähnlichere Verwandtschaft in den schwindenden Wäldern zurückblieb.

Allerdings gab es den stetigen Wandel von einer Wald- in eine Savannenlandschaft so nicht, sondern zyklische Klimaschwankungen in rascher Folge, und insgesamt wurde es erst allmählich trockener. Genauso traten die menschlichen Merkmale nicht auf einmal voll ausgeprägt auf, sondern unterlagen etlichen intensiven Entwicklungsschüben, die jeweils dann stattfanden, wenn sich die Umweltbedingungen veränderten.

Deutliche Hinweise auf das stete Auf und Ab des Klimas liefern Sedimente aus der Tiefsee nahe Afrika, wo die Schichtungen oft seit Jahrmillionen unverändert liegen. Ablagerungen auf dem afrikanischen Kontinent lassen sich bedingt durch Erosion und geologische Störungen meist viel schwerer deuten. Dagegen enthalten lange Bohrkerne vom Grund der Ozeane die Vergangenheit wie eine Zeitkapsel. Um sie zu erforschen, hielt ich mich im Herbst 1987 zwei Monate lang mit 27 Kollegen im Arabischen Meer auf der »JOIDES Resolution« auf. Das 150 Meter lange Forschungsbohrschiff wird international finanziert und ist dafür konzipiert, anhand von Proben des Meeresbodens die Erdgeschichte zu ergründen.

»Kern an Deck!« Sowie die Stimme des Bohrungsleiters aus den Lautsprechern der klimatisierten Labors krächzte, griffen wir zu den Schutzhelmen und begaben uns in die blendende Helle an Deck, denn wir mussten den nächsten zehn Meter langen Bohrkern hineinschleppen. An unserem Aufenthaltsort war das Meer über 2000 Meter tief, und die Bohrung stieß bis auf fast 800 Meter in den Grund. An dieser Stelle hat sich seit der Abspaltung der Homininen von den Schimpansenvorfahren eine fast 300 Meter mächtige Schicht abgelagert, alle 1000 Jahre also ungefähr vier Zentimeter.

Die Ablagerungen bestehen teils aus feinen, weißlichen fossilen Schalen aus Kalziumkarbonat von ozeanischem Plankton, teils aus dunkleren Schlickpartikeln, Abträgen vom Land, die Monsunwinde aus Afrika und Arabien hierher transportierten. Wo die Mischung dunkler und grobkörniger ist, verweist das auf eine staubigere, trockenere Zeit; eine hellere Mixtur bedeutet feuchteres Klima. In den betreffenden Bohrkernen wechselten helle und dunkle Schichten etwa jeden Meter – ungefähr alle 23 000 Jahre.

Grüne Landschaften in Nordafrika

Das passt zur regelmäßigen Schwankung (Präzession) der Erdachse in ihrer Stellung zur Sonne. Diese Zyklen wirken sich in verschiedenen Regionen der Erde auf die Sonneneinstrahlung in den Jahreszeiten aus und beeinflussen dadurch auch den Monsun. Bei größerer sommerlicher Hitze in Nordafrika und Südasien fallen die Monsunregen stärker aus und umgekehrt.

Wie feucht Nordafrika zum Beispiel in der letzten regenreichen Phase gewesen sein muss, bezeugt bis zu 10 000 Jahre alte Felskunst in der gesamten Sahara eindrucksvoll. Auf den Bildern tummeln sich Elefanten, Giraffen, Flusspferde und Krokodile, Jägerhorden stellen Gazellen nach. Die Sahara war damals eine Gras- und Baumlandschaft mit vielen Seen, in deren Becken sich später Sanddünen bildeten. Ein mächtiger Nil trug dem östlichen Mittelmeer reichlich organisches zersetztes Material zu, das dort dunkle Sedimente bildete, so genannte Sapropele. Im östlichen Mittelmeer wechseln die dunklen Schichten mit helleren aus trockeneren Phasen ab – auch dies ein geologischer Barcode, der wie die Sedimente im Arabischen Meer von den afrikanischen Klimazyklen erzählt.

Die ersten Savannenflecken tauchten in Ostafrika vor knapp acht Millionen Jahren auf. Vor unter drei Millionen Jahren entstanden dauerhafte weite grasbewachsene Gebiete wie die Serengeti. Etwa in dieser Zeit verschwand die bis dahin so erfolgreiche ostafrikanische Art von Lucy, Australopithecus afarensis. Vor etwa 3,9 Millionen Jahren war sie aufgetreten und hatte sich 900 000 Jahre lang behaupten können. Einige Zeit später erschien die Paranthropus-Gruppe, somit die ersten »robusten« Australopithecinen. Und von vor 2,6 Millionen Jahren sind die ersten angefertigten Steingeräte nachweisbar: Chopper – beschlagene Gerölle mit scharfer Kante – und Schaber (siehe aber den Beitrag S. 34 über neuere Befunde). Nur wenige hunderttausend Jahre jünger sind die ältesten Fossilien der Gattung Homo.

Klimasignaturen für Ostafrika

Zwei bedeutsame Phasen der Menschenevolution gingen mit einem deutlichen Klimawandel einher. Zu Beginn der ersten dieser beiden Phasen starb Australopithecus afarensis aus. Die Wälder nahmen ab, und trockene Grasländer breiteten sich rasch aus. Nun erschienen Paranthropus und Homo. In der zweiten Phase trat unser Vorfahr Homo erectus auf. Damals gewannen Savannen weiter Raum. Trotzdem nutzte Homo erectus eine breite Nahrungspalette.

Dass diese Veränderungen bei den Homininen in eine Zeit des generellen Klimawandels fielen, wissen wir von Studien, die mit raffinierten Verfahren aufzeigen, ob die Vegetation eher an feuchte oder trockene Bedingungen angepasst war. Savannen sind offene tropische Ökosysteme aus Süß- und Sauergräsern mit hin und wieder eingesprengten lockeren Gehölzen. Typische Savannengräser zählen zu den C4-Pflanzen. Sie gedeihen in heißen, trockenen Regionen deswegen so gut, weil sie bei der Fotosynthese das Kohlendioxid aus der Atmosphäre mit einem Wasser sparenden molekularen Trick aufnehmen – auf dem so genannten C4-Syntheseweg. Sie benötigen dabei auch weniger Kohlendioxid. Im Gegensatz dazu nutzen Gehölze sowie viele Gräser feuchterer Regionen bei der Fotosynthese den C3-Weg und verbrauchen dabei mehr Wasser.

Die C4-Pflanzen bauen relativ mehr von dem schwereren, selteneren Kohlenstoffisotop 13 im Verhältnis zu dem leichteren Isotop 12 ein als C3-Pflanzen. Diesen feinen Unterschied im Isotopenverhältnis nutzen Thure E. Cerling und seine Kollegen von der University of Utah in Salt Lake City, um die Vegetationsgeschichte prähistorischer Landschaften zu rekonstruieren. Denn sie entdeckten, dass sich der jeweilige Anteil von C4- und C3-Pflanzen anhand des Kohlenstoffquotienten in Boden- und Gesteinsproben recht genau bestimmen lässt.

Sie untersuchten auch Ablagerungen in Ostafrika an Stellen, wo Homininenfossilien gefunden worden waren. So erkannten sie, dass dort bis vor acht Millionen Jahren C3-Pflanzen, somit Wälder und Buschland vorherrschten. Anschließend nahm der Anteil von C4-Pflanzen – also Grasland – allmählich zu. Einen verhältnismäßig kräftigen und raschen Zuwachs an Gräsern gab es dann auffälligerweise in dem Abschnitt von vor drei bis vor zwei Millionen Jahren. In dieser Zeit muss sich somit im Gebiet der heutigen Staaten Kenia, Äthiopien und Tansania rasch eine Savanne ausgebreitet haben. Damals stieg auch der Anteil grasender Säugetiere, wie deren viele Fossilien zeigen. Spät in dieser Phase, näher an zwei Millionen Jahren vor heute, müssen die Antilopen eine intensive Evolution durchgemacht haben. Ihre Arten lassen sich an der Form der zahlreich erhaltenen Hörner unterscheiden. Offensichtlich entstanden immer wieder neue Spezies, andere starben aus oder passten sich an veränderte Verhältnisse an. Das Ganze erinnert an die Homininen zu jener Zeit, auch wenn deren Artenzahl wesentlich geringer war.

Etwa ein Drittel aller afrikanischen Fossilien stammt von Hornträgern (Boviden), zu denen die Antilopen zählen. Für Hintergrundstudien zur Evolutionsgeschichte bieten sich die Boviden damit geradezu an. Die Paläontologin Elisabeth Vrba von der Yale University in New Haven (Connecticut) hat deren Schicksal in den letzten sechs Millionen Jahren für ganz Afrika untersucht. Dabei entdeckte sie Zeiten, in denen mehr Arten entstanden und ausstarben als normalerweise. Am meisten ragen eine Phase vor 2,8 und eine vor 1,8 Millionen Jahren heraus. Beide fielen mit Perioden zusammen, in denen das Grasland zunahm. Eine andere Studie zu Ostafrika malt ein differenzierteres Bild: Einerseits entstanden damals vermehrt Hornträger, die mit ihren Backenzähnen gut hartes Gras zermalmen konnten und vermutlich in der Savanne lebten. Andererseits traten aber zugleich etliche Arten auf, die weichere Nahrung bevorzugten und vermutlich feuchtere Lebensräume bewohnten.

Stück für Stück zum modernen Körper

Die typisch menschlichen anatomischen Merkmale entwickelten sich meist getrennt erst nach und nach. In der Mehrzahl begünstigten sie einen der beiden wesentlichen Trends in unserer Evolutionsgeschichte: den aufrechten Gang und den Werkzeuggebrauch.

 

Die besagten Veränderungen der Vegetation berührten wohl auch unsere Vorfahren unmittelbar, denn schließlich mussten sie sich von ihrer Umwelt ernähren, also den Pflanzen und Tieren. Was jemand gegessen hat, erkennen Forscher ebenfalls unter anderem an den Kohlenstoffisotopen – in dem Fall in den Zahnfossilien. Wer heute auf Fast Food steht, wird sich als starker Konsument von C4-Pflanzen outen beziehungsweise von sie fressenden Tieren. Denn die Zucker in Snacks und Süßgetränken stammen zu einem Großteil aus Mais; die gleiche Quelle hat Viehfutter und somit Rindfleisch.

Früher Homo: Überraschend vielseitiger Speiseplan

Wie der Speisezettel der Homininen vor knapp zwei Millionen Jahren aussah, hat ein Forscherteam um Cerling an Zähnen aus dem Turkana-Becken ermittelt. Demnach ernährten sich die bereits relativ modern wirkenden Homo-Vertreter und die robusten Formen tatsächlich recht verschieden. Paranthropus boisei, wegen seiner mächtigen Backenzähne und massiven Kiefer gern Nussknackermensch genannt, verzehrte hauptsächlich ein enges Spektrum von C4-Nahrung – die winzigen Kratzer auf seinen Zähnen sprechen für weiche C4-Gräser und Sauergräser. Nüsse knackte er anscheinend gar nicht.

Die große Überraschung war allerdings der frühe HomoParanthropus