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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.
ISBN: 978-3-74092-012-8
Kritisch musterte sich Alex ein letztes Mal im Spiegel. War sie für das wichtige Vorstellungsgespräch zu salopp angezogen? Schmal geschnittene, helle Jeans, ein weißes Top und darüber ein gut sitzender, dunkler Sommerblazer. Sie zupfte noch einmal die kastanienbraunen Haare in Form, trug Lippenstift auf und zuckte dann mit den Schultern.
»Ich bewerbe mich nicht um den Posten des Geschäftsführers, sondern um den Auftrag, die Webseite der Firma neu zu gestalten und zu betreuen, dafür muss ich nicht im klassischen Hosenanzug erscheinen«, sagte sie selbstbewusst und griff zur Laptoptasche und der Mappe mit ihren Unterlagen. Mit Nachdruck schloss sie die Tür ihrer winzigen Münchner Dachwohnung hinter sich und fuhr in die Innenstadt, um sich den Auftrag zu erobern.
Ihr Ziel war ein Brennereikonzern, der seinen Internetauftritt aktualisieren wollte und dafür einen Auftrag ausgeschrieben hatte.
Alex war unter den Bewerben, die zu einem persönlichen Gespräch eingeladen wurden. Von diesem Auftrag hing viel für sie ab, und sie hatte gewaltiges Herzklopfen, als die Sekretärin sie in das Zimmer des Geschäftsführers brachte.
Martin Stellmacher musterte die junge Frau mit einem prüfenden Blick, als sie mit langen Schritten auf seinen Schreibtisch zuging. Sie war sehr hübsch, gepflegt und wirkte selbstbewusst. »Guten Tag, Frau Wagner, bitte nehmen Sie Platz«, sagte er und deutete auf einen Sessel. »Sie sind eine Bewerberin von vielen, die sich um unseren Auftrag bemühen. Überzeugen Sie mich davon, dass Sie die beste Kandidatin sind.«
Alex holte tief Luft und legte los. Sie war gut vorbereitet und stellte sich und ihre Arbeiten sicher vor. Obwohl sie hoch konzentriert war, behielt sie ihr Gegenüber genau im Auge und versuchte, ihn einzuschätzen.
Martin Stellmacher mochte Mitte Vierzig sein, er hatte eine durchtrainierte Figur und scharfe Gesichtszüge. Der Blick seiner blauen Augen wirkte durchdringend, und um seine Mundwinkel spielte ein angedeutetes, neutrales Lächeln. Er wirkte durch und durch kühl und professionell, und Alex war sich nicht sicher, ob sie ihn sympathisch oder unsympathisch fand.
Alles in allem verlief das Gespräch glatt, und Alex erhielt die Zusage, dass sich die Firma in nächster Zeit bei ihr melden werde. Wenn ihre Einschätzung sie nicht trog, dann hatte sie gute Chancen auf den Job.
Beim Verabschieden lockerte Martin Stellmacher die Stimmung und fragte nach Alex’ Plänen für die nächste Zeit. Jetzt sei die Haupturlaubszeit, ob sie sich auch eine Reise vorgenommen habe?
»Das habe ich in der Tat. Von hier aus starte ich direkt in den Urlaub«, antwortete Alex.
»Und wohin, wenn man fragen darf? Abenteuerurlaub quer durch die Sahara oder Ausruhen an einem exotischen Strand?«
»Weder noch«, lachte Alex. »Es wird entspannt und gemütlich, sozusagen direkt vor der Haustür. Ich mache Urlaub bei Freunden im Allgäu.«
»Im Allgäu«, wiederholte der Mann gedehnt. Seine Schultern versteiften sich unmerklich. »Unter allen Zielen der Welt entschieden Sie sich fürs Allgäu.«
Alex zog die Augenbrauen hoch. Fand der offenbar weitgereiste Mann es etwa spießig, dort Urlaub zu machen?
Mit seidenweicher Stimme antwortete sie: »Ich fahre ins beschauliche Bergmoosbach. Das ist ein bemerkenswertes Dorf, das Sie wahrscheinlich nicht kennen.«
Jetzt erwachte etwas in Martins Augen, das Alex nicht deuten konnte. »Sie irren sich, ich kenne Bergmoosbach sehr gut«, antwortete er ruhig.
»Oh, dann wissen Sie, wie schön es ist«, antwortete Alex lebhaft. »Ich habe meine Freunde schon besucht und ich liebe es dort.«
»Dann wünsche ich Ihnen eine schöne Zeit und gute Erholung, Frau Wagner. Sie werden von uns hören«, antwortete er mit einem glatten Lächeln.
Nachdem sich die Tür hinter Alex geschlossen hatte, verhärteten sich Martins Gesichtszüge. Er schob die geballten Fäuste in die Taschen seines teuren Anzugs und starrte aus dem Fenster, ohne tatsächlich etwas zu sehen.
»Verdammtes Bergmoosbach!«, knurrte er zwischen zusammengebissenen Zähnen.
Der nächste Bewerber, der kurze Zeit später das Büro betrat, hatte einen schweren Stand. Martin Stellmacher war kurz angebunden und mit seinen Gedanken ganz woanders.
Wieder einmal brütete er über dem vermeintlichen großen Unrecht, das ihm angetan worden war, und wie er sich das zurückholen konnte, was ihm gehörte.
*
Ohne zu ahnen, dass jemand so dunkle Gefühle für Bergmoosbach in sich trug, fuhr Alex in allerbester Ferienlaune ihrem Ziel entgegen. Sie hatte die Fenster ihres Wagens weit geöffnet und genoss den kühlenden Fahrtwind. Links und rechts der Landstraße schmiegten sich kleinere Ortschaften in Talsenken oder erstreckten sich über sanfte, grüne Hänge. Rinder standen auf blühenden Weiden, und Getreide leuchtete golden unter der Sonne. Als die junge Frau eine kleine Rast einlegte, um Wasser zu trinken und ein paar Erdbeeren zu naschen, hörte sie aus dem nahen Wald den Kuckuck rufen. Erfüllt von Energie und reiner Lebensfreude, schleuderte sie die Schuhe von den Füßen, warf die Arme über den Kopf und tanzte übermütig durch das blühende Gras.
Die Rinder schauten ihr aus sanften, dunklen Augen zu, während sie versunken wiederkäuten. Alex lachte, bewegte sich anmutig durch den goldenen Sommer und rief den Tieren zu: »Ihr lasst euch durch mein Gehüpfe nicht aus der Ruhe bringen, gell? Ich finde mich ja selbst ein bisschen albern, aber beruhigend ist, dass mich außer euch niemand sieht.«
Aber darin irrte sich Alex. Hinter einer Schlehdornhecke näherte sich auf einem Feldweg ein Auto, dessen Fahrer interessiert die junge Frau anschaute. Ihre unbekümmerte Lebensfreude war so ansteckend, dass der Mann lächeln musste.
Die Sonne ließ ihr dunkles Haar aufleuchten, und das weiße Top betonte die sommerliche Färbung ihrer Haut. Jetzt setzte sie zu einem gekonnten Handstand mit Überschlag an und ließ sich anschließend tief einatmend ins Gras fallen. Alles an ihr strahlte Zufriedenheit und gute Laune aus, als sie Blüten und Gräser zu pflücken begann und zu einem Kranz zusammenfügte.
Der Mann hätte sie liebend gern noch länger angeschaut, aber allmählich kam er sich komisch vor, hier zu stehen und eine fremde Frau zu beobachten. Mit leisem Bedauern gab er wieder Gas, bog in die Landstraße ein und fuhr mit einem kurzen Winken an der Fremden vorüber.
Alex erwiderte das freundliche Winken, dann schloss sie den Wildblumenkranz mit einem langen Grashalm und setzte sich wieder ans Steuer. Bergmoosbach war nicht mehr weit entfernt, und nach einiger Zeit sah sie bereits in der Ferne den Sternwolkensee glitzern. Gleichzeitig bemerkte sie auch das Ende eines Staus, der sich aus wenigen Fahrzeugen gebildet hatte, und eine Straßensperrung. Die Fahrer der anderen Wagen hatten den Motor ausgestellt, waren ausgestiegen und unterhielten sich. Interessiert ging Alex auf sie zu und hoffte, von ihnen den Grund für das Hindernis zu erfahren.
»Ich hoffe, es hat keinen Unfall gegeben?«, sagte sie zu dem Mann, der ihr am nächsten stand.
Seine Antwort bestand in einem hinreißenden Lächeln, einem kleinen Kopfschütteln und den Worten: »Du hast vorhin bei der Weide getanzt.«
Alex lachte verblüfft auf. »Du willst damit nicht sagen, dass es deswegen einen Unfall gegeben hat?«, fragte sie und reckte den Hals. Vor ihr auf der Straße waren zum Glück keine beschädigten Autos zu sehen.
»Wie bitte? Nein, natürlich nicht!«, antwortete der Mann mit Nachdruck. »Es sind zwar Rinder ausgebrochen, aber ganz bestimmt nicht deswegen, weil du am Zaun getanzt hast.«
»Jetzt red’ halt nicht so einen Schmarrn«, mischte sich ein alter Mann mit silbergrauen Haaren und gepflegtem Silberbart in die Unterhaltung ein. Der Blick seiner gutmütig funkelnden Augen entlarvte die barschen Worte als Lüge. »Die Erdwespen waren es.«
»Ich verstehe kein Wort«, sagte Alex ratlos.
»Also der Reihe nach«, erklärte der jüngere Mann. »Auf einer höher gelegenen Weide sind Jungbullen in eines dieser tückischen Nester der Erdwespen getreten, die natürlich zum Angriff übergegangen sind. Die Rinder sind in Panik geraten, haben den Zaun niedergetrampelt und sich davongemacht. Es sind schon etliche Helfer unterwegs, um sie einzufangen. Es wird einige Zeit dauern, bis alle wieder dort sind, wo sie hingehören, und durch die schmerzhaften Stiche sind die jungen Bullen unberechenbar. Deshalb ist hier alles weitläufig abgesperrt.
Und ich heiße übrigens Uli.«
»Fein. Ich bin Alex«, antwortete sie und schaute ihn prüfend an. Gut geschnittene, dunkle Haare umrahmten ein schmales Gesicht mit klaren, grauen Augen. Er hatte eine zugewandte, freundliche Ausstrahlung, die ihn ihr sofort sympathisch machte. »Und was tun wir nun wegen der ausgebrochenen Rinder? Müssen wir hier unbedingt warten oder können wir auf Umwegen weiterfahren?«
»Das kommt aufs Ziel an und ob wir es zwingend eilig haben«, antwortete ein anderer Mann, während er sein Handy in der Tasche verstaute. Es war der Landdoktor Sebastian Seefeld, der eben mit der Polizei telefoniert hatte. Die hübsche, dunkelhaarige Frau an seiner Seite war die Hebamme Anna Bergmann. »Anna und ich können nicht unbegrenzt lange hier warten, weil wir zu einer Patientin müssen, aber es ist auch nicht so eilig, dass uns ein Heli abholen muss. Wir werden das gesperrte Gebiet umfahren. Die Dienststelle in Bergmoosbach hat mir eben den Bereich genannt.«
Während er sprach, hatte Anna eine Karte hervorgeholt und sie auf der Motorhaube von Ulis Auto ausgebreitet. Alle schauten auf die Begrenzung des gesperrten Gebiets und beratschlagten, welche neuen Routen jetzt die besten seien.
Alex hatte ihre Freunde zwar schon einmal in Bergmoosbach besucht, aber sie kannte sich nicht gut genug aus, um über Feld- und Forstwege zum Ziel zu kommen. Die anderen Fahrer beschlossen, auf Umwege zu vertrauen. Der kleine Stau löste sich auf, und Uli schaute Alex fragend an. Er fand die junge Frau in Jeans und mit dem improvisierten Blütenkranz im Haar bezaubernd.
»Wo musst du überhaupt hin? Direkt nach Bergmoosbach hinein oder willst du das Dorf umfahren und dann weiter?«, erkundigte er sich.
»Ins Dorf; ich will Freunde besuchen, die im Ulmenweg wohnen.«
»Na, dann befindest du dich direkt in der Promi-Zone, im Ulmenweg wohnt der berühmte Schauspieler Konrad Lange«, antwortete Uli.
»Ich weiß. Er hat das alte Haus gekauft, in dem der Film über diesen tollen Arzt Doktor Rhöder gedreht worden ist. Jetzt lebt er dort mit seiner Frau, die so gar nichts mit dem ganzen Filmrummel am Hut hat«, erwiderte Alex und grinste.
»Du bist ja gut informiert«, sagte er gedehnt. »Normalerweise achten die beiden sehr darauf, ihr Privatleben aus der Öffentlichkeit herauszuhalten.«
»Irgendwelcher Klatsch gelangt immer mal ins Netz«, antwortete Alex, und ihr Grinsen wuchs in die Breite. Offensichtlich hielt Uli sie für einen großen Fan. »Wie auch immer, ich muss in den Ulmenweg und werde einfach warten, bis ich den direkten Weg fahren kann.«
»Ich muss in den Steingrund, das ist genau dieselbe Richtung. Ich werde ein Stück die Landstraße zurückfahren und dann die Zufahrt zum Forsthaus nutzen. Darüber kommen wir zur anderen Seite Bergmoosbachs, wo unsere Ziele liegen. Wenn du magst, fahre ich voraus und zeige dir den Weg«, schlug er vor.
Alex zögerte kurz. War es leichtsinnig, einem Fremden in unbekanntes Gebiet zu folgen? Andererseits saß sie im eigenen Wagen und hatte ihr Handy dabei, also konnte man sie wohl nicht als zu vertrauensselig bezeichnen.
»In Ordnung, ich fahre hinter dir her«, entschied Alex.
Gemeinsam fuhren sie ein Stück auf der Landstraße zurück und bogen dann auf eine Abzweigung ein, die auf gewundenen Umwegen am Forsthaus vorbei nach Bergmoosbach führte.
Alex strahlte vor Freude, als sie das Dorf vor sich ausgestreckt in der Talsenke ruhen sah. Sie hielt kurz ihr Auto neben Ulis und winkte aus dem offenen Fenster. »Danke, dass du mir den Weg gezeigt hast, jetzt find mich allein zurecht«, rief sie ihm zu.
»Gern geschehen!«, rief er zurück. »Sag, was führt dich eigentlich hierher in den Ulmenweg? Machst du Urlaub in Bergmoosbach?«
»Ja, und ich freue mich sehr darauf.«
»Dann wünsche ich dir eine schöne Zeit, und vielleicht magst du …« Das Klingeln von Alex’ Handy unterbrach Ulis Satz.
Mit einer entschuldigenden Geste nahm sie das Gespräch an, das offenbar von ihren Freunden kam, die sie bereits vermissten. »Wie bitte? Ja, es sind die ausgebüxten Jungbullen, die mich aufgehalten haben«, hörte Uli sie sagen. »Nein, alles in Ordnung. Ein freundlicher Mensch hat mir einen Schleichweg übers Forsthaus gezeigt, in zehn Minuten bin ich bei euch. Ja, du kannst den Eiskaffee aus dem Kühlschrank holen, Bis gleich, freu mich.«
Alex ließ den Motor an und rief noch rasch zu ihm herüber: »Ich muss los! Dank dir nochmal, und vielleicht sieht man sich!« Dann war sie auch schon wieder auf dem Weg.
»Das wäre sehr schön«, antwortete Uli laut, obwohl er wusste, dass Alex ihn nicht mehr hören konnte. Bereits ziemlich in die junge Frau verliebt, machte er sich auf den Weg zum Steingrund, wo er die Brennerei Stellmacher besaß, ein kleines, aber feines Familienunternehmen, das vom Großvater über den Vater auf ihn vererbt worden war.
*
Inzwischen war Alex bei ihren Freunden angekommen und wurde freudig von ihnen begrüßt. Magdalena und Konrad hatten einen wunderschönen Mischlingshund, der die Besucherin durch den traumhaften, ein wenig verwilderten Garten zu einem Platz führte, der mit alten Ziegelsteinen gepflastert war. Die große Küchentür stand einladend geöffnet, und der zarte Duft nach frisch Gebackenem mischte sich mit dem der Rosen, Levkojen und des Lavendels, der neben Stockrosen, Rittersporn und Elfenspiegel im Garten wucherte.
»Hey, Alex, ist das schön, dass du mal wieder bei uns bist.« Konrad Lange, groß, dunkelhaarig, noch viel besser aussehend als auf der Kinoleinwand, drückte Alex mit einer herzlichen Umarmung an seine Brust. »Seit der Hochzeit haben wir uns nicht mehr gesehen.«
»Stimmt. Und wie geht’s dir so als jungem Ehemann?«, lachte Alex und zauste ihm kumpelhaft die Haare. »So wie du ausschaust, muss es herrlich sein.«
»Geht ja gar nicht anders mit dieser Frau an meiner Seite«, antwortete Konrad und wandte sich zu der jungen Frau zu, die eben aus der Küchentür getreten war.
Magdalena umarmte Alex und gab ihr das Gefühl, kein Eindringling in ihrer Zweisamkeit, sondern ein herzlich willkommener Gast zu sein.