Die Kurfürstenklinik – 56 – Ein heftiger Urlaubsflirt

Die Kurfürstenklinik
– 56–

Ein heftiger Urlaubsflirt

Schwester Svenjas Herz blieb zurück auf Korsika

Nina Kayser-Darius

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74092-015-9

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Sein Rücken schmerzte, und er wünschte sich das Ende dieses schweren Eingriffs herbei. Aber hoch war es nicht soweit, noch hing das Leben des jungen Patienten, den sie nun schon seit mehr als drei Stunden operierten, an einem seidenen Faden.

Dr. Adrian Winter versuchte sich ein wenig zu entspannen, den Rücken zu entlasten, während er zusah, wie sein Assistent Bernd Schäfer die Durchgängigkeit eines zerrissenen Gefäßes überprüfte.

Der Mann, um dessen Leben die Ärzte um Dr. Winter kämpften, war etwas mehr als 25 Jahre alt, von Beruf Chemielaborant und in einer kleinen Fabrik im Osten der Stadt beschäftigt.

Am frühen Morgen hatte er ein Experiment gewagt, das leider schiefgegangen war – und ihn um ein Haar das Leben gekostet hätte. Jetzt lag er im OP der Kurfürsten-Klinik in Berlin, hatte schwerste Verbrennungen und ein paar gefährliche Wunden am linken Arm und im Brustbereich.

»Hält er noch eine Weile durch?« Fragend wandte sich der Chef der Unfallabteilung an Dr. Werner Roloff, den Anästhesisten.

»Es geht noch. Aber der Kreislauf sackt immer wieder ab. Ihr solltet euch beeilen«, meinte der erfahrene Narkosearzt.

Adrian nickte. Er hatte es gleich geahnt, daß sie in dieser ersten Operation nicht alle Verletzungen und Verätzungen optimal behandeln konnten. Nur die schlimmsten Schäden hatte er heute repariert, die Nachkorrekturen würden noch eine Weile dauern – und dem Patienten viel Geduld abverlangen. Aber er würde leben, er würde mit großer Wahrscheinlichkeit wieder gesund werden, und nur das zählte.

Adrian versorgte noch die Verätzungen an der Schulter, dann trat er völlig erschöpft vom OP-Tisch zurück, über dem die großen Lampen jetzt auch erloschen.

»Das war von euch allen eine Superleistung«, lobte der Chirurg. »Ich danke dem, ganzen Team.«

Er ging mit gesenktem Kopf hinüber zum Waschraum und entledigte sich der beschmutzten OP-Kleidung. Er fühlte sich völlig ausgepowert, sehnte sich nach Schlaf und Ruhe – nach einer langen Pause, die einmal nicht von wirren Träumen oder dem Klingeln des Telefons unterbrochen werden würde.

Seit mehr als zwanzig Stunden war Dr. Winter jetzt bereits im Dienst, und auch in den vorangegangenen Tagen war es ausgesprochen hektisch in der Unfallstation der Kurfürsten-Klinik zugegangen.

Woran das lag? Adrian konnte nur Vermutungen anstellen. Aber er war überzeugt, daß das schöne Wetter, das zurzeit herrschte, viele Menschen unvorsichtig machte. Da konnte es geschehen, daß junge Motorradfahrer viel zu leichtsinnig durch die Gegend rasten, da waren die Menschen bei Grillfesten leichtsinnig – und kleine Kinder, die draußen auf der Straße spielten, gerieten rasch in kritische Situationen.

Und auch der Patient, den sie gerade verarztet hatten, war letztendlich selbst schuld an seinem Zustand, denn er hatte aus falschem Ehrgeiz eine Versuchsreihe gestartet, die jede Sicherheitsvorkehrung vermissen ließ.

»Du siehst ziemlich alt aus, mein Freund«, kommentierte Dr. Roloff und stellte sich neben Adrian an die Waschbecken. »Und du bist mal wieder extrem charmant«, gab der Chirurg zurück. »Wieso hast du überhaupt Zeit, hier herumzustehen? Wolltest du nicht den Transport des Patienten auf Intensiv überwachen?«

»Schon passiert.« Werner Roloff grinste. »Ich bin eben noch fit und deshalb schnell.« Doch noch ehe Adrian antworten konnte, wurde der Freund ernst. »Jetzt aber mal von Arzt zu Arzt: Es wird Zeit, daß du in die Federn kommst, Adrian. Sonst können wir dich hier behandeln, weil du vor Erschöpfung zusammengebrochen bist.«

»Ach was, so schnell geht das nicht.«

»Aber irgendwann ist es soweit. Und du hast dich total verausgabt.«

Dr. Winter nickte. »Hast ja recht. Ich laß mir gleich ein Taxi rufen und fahre heim.«

»Das ist vernünftig. Schlaf mal rund um die Uhr. Wir kommen hier schon zurecht. Und wenn’s gar nicht anders geht, rufen wir dich an.«

Adrian nickte und legte Dr. Roloff kurz die Hand auf den Arm. »Dank dir für alles, Werner. Und… paß ein bißchen auf die jungen Kollegen auf, ja? Vor allem auf den Neuen. Ich glaube nicht, daß er in Streßsituationen die Nerven behält.«

»Ich werde ein Auge auf ihn haben«, versprach Dr. Roloff und schob Adrian zur Tür. »Und jetzt wünsche ich dir eine gute Nacht – auch, wenn’s gerade mal früher Abend ist.«

»Bis später.« Adrian hob die Hand und verließ den OP-Bereich, froh, daß nicht noch im letzten Moment etwas dazwischenkam und er nach Hause fahren konnte.

Dort war er viel zu erschöpft, um noch etwas zu essen, obwohl er seit dem frühen Morgen nichts mehr in den Magen bekommen hatte. Er trank noch ein Glas Rotwein zur Entspannung, dann fielen ihm auch schon die Augen zu.

*

»Sag das noch mal«, verlangte Svenja Wagenknecht und sah ihre Freundin Verena, mit der sie sich seit über einem Jahr eine Wohnung teilte, fassungslos an. »Ihr habt euch getrennt? Einen Monat vor der Hochzeit?«

Verena nickte. Sie hatte die Lippen fest zusammengepreßt und bemühte sich ebenso verbissen wie vergeblich, die Tränen zurückzuhalten.

»Aber das ist ja furchtbar!« Svenja war mit drei langen Schritten bei der Freundin und nahm sie in die Arme. »Was ist passiert? Red schon, das wird dir helfen.«

Verena schluchzte auf. »Mir ist nicht mehr zu helfen. Ich bin eine dumme, viel zu gutgläubige Kuh!« Sie wischte sich die Tränen fort. »Peter ist ein so mieser Typ! Mir macht er weiß, daß er sich ein Geschäft aufbauen will und deshalb immer wieder mal nach Frankfurt muß, und in Wirklichkeit hat er dort Frau und Kinder! Ich bin einfach blöd, daß ich es nicht gleich gemerkt habe.«

»Sag doch so was nicht! Du bist einfach viel zu nett zu deinen Mitmenschen, und leider kannst du dir gar nicht vorstellen, daß die Leute dir gegenüber nicht auch so nett sind. Nur so kann es passieren, daß du immer wieder ausgenützt wirst.«

»Er hat mich belogen und betrogen! Hat von Liebe, von einer gemeinsamen Zukunft geredet und ist verheiratet. Das mußt du dir mal vorstellen!«

»Er ist ein Schuft«, erklärte Svenja im Brustton der Überzeugung, »und es gar nicht wert, daß du ihm auch nur eine Träne nachweinst.« Sie machte eine kleine Pause, dann fragte sie leise: »Wie hat er sich das nur gedacht… macht dir mit Rosen und allem Drumherum einen Heiratsantrag, wir planen schon die Feier… und er ist gebunden.«

»Wir hatten sogar schon davon gesprochen, die Hochzeitsreise nach Venedig zu machen!«

»Der Kerl kann nur schizophren sein, eine andere Erklärung gibt es nicht.« Svenja nahm die Freundin am Arm und rüttelte sie. »Hör auf zu weinen. Vergiß ihn so schnell wie möglich. Am besten ist es, du verreist. Wenn du irgendwo hinkommst, wo du fremd bist, wo du neue Eindrücke bekommst, wirst du am ehesten abgelenkt.«

»Und wohin soll ich fahren, bitteschön? Vielleicht nach Venedig? Ich hätte da schon ein paar Kataloge liegen… Dogenpalast, Seufzerbrücke, Canale Grande, Markusplatz… idyllisch. Und sehr unterhaltsam!«

»Laß die Ironie, das steht dir nicht«, rügte Svenja. »Nein, nein, du mußt ganz woanders hin. Am besten mit mir!«

Verena sah sie an. »Du würdest wirklich… sag, daß du das nicht nur sagst, um mich zu trösten!«

»Aber nein! Ich meine es ganz ernst. Wenn es geht, daß uns die Oberschwester gleichzeitig Urlaub bewilligt, können wir zusammen verreisen.«

»Das wäre wundervoll!« Verena lächelte unter Tränen.

»Na, dann werden wir gleich morgen unsere Urlaubsanträge stellen!«

Die beiden jungen Frauen arbeiteten an der Kurfürsten-Klinik. Verena war seit einem halben Jahr im OP-Bereich als Instrumentenschwester tätig. Svenja arbeitete zurzeit auf der Chirurgischen Station.

Beiden gefiel es sehr gut an der Klinik, die in Berlin Charlottenburg lag und an der es noch recht menschlich zuging. Die Angestellten kannten sich fast alle untereinander, denn das Haus war von überschaubarer Größe, kein solch anonymer Bettenkomplex, wo das Pflegeperson von Haus 1 das von Haus 2 und 3 schon nicht mehr kannte. Verena, die zuvor an einer Uni-Klinik in Norddeutschland gearbeitet hatte, war froh gewesen, in Berlin endlich die lang ersehnte Aufstiegschance bekommen zu haben.

Und dann hatte sie auch noch ihren Freund Peter kennengelernt, das Glück schien perfekt.

Aber leider war nichts im Leben perfekt, das mußte sie jetzt erkennen. Um so tröstlicher war es, eine Freundin wie Svenja zu haben, die einen verstand und in trüben Stunden auffing.

Die beiden jungen Frauen, die äußerlich so verschieden waren, saßen an diesem Abend noch lange zusammen und redeten. Svenja, die halblange dunkelblonde Haare hatte, war ein schlanker, fast zierlicher Typ. Doch sie war sehr energisch, zielstrebig und gradlinig.

Verena war kleiner, ein wenig mollig, gutmütig, hatte rehbraune Augen und dunkle Haare, die in kleinen Naturlocken ihr Gesicht umgaben.

»Was macht eigentlich Markus?« fragte Verena im Lauf des Abends. »Du warst schon fast zwei Wochen nicht mehr mit ihm aus. Habt ihr euch vielleicht auch gestritten?«

Svenja schüttelte den Kopf. »Nein, nein, es ist nichts. Aber wir hatten beide keine Zeit. Erst hatte ich Nachtdienst und mußte mich tagsüber ausschlafen, dann konnte Markus nicht, weil er geschäftlich verreisen mußte.«

Verena schüttelte den Kopf. »Das kann ich so nicht akzeptieren«, meinte sie. »Wenn man sich wirklich liebt, wenn man Sehnsucht nacheinander hat, dann findet man auch die Möglichkeit, sich zu sehen. Vierzehn Tage… das ist doch nicht normal!« Sie biß sich auf die Lippen. »Ich darf gar nicht erst daran denken, daß ich Peter gar nicht mehr sehen werde. Es bricht mir das Herz!«

»So schnell brechen Herzen nicht, das solltest du als OP-Schwester wissen.«

»Laß den Unsinn, du weißt genau, wie ich es meine. Und ich habe Recht: Wenn man sich liebt, will man einander nahe sein. Dein Markus und du… ihr mögt euch doch sehr, oder?«

Svenja zögerte mit der Antwort. Ja, doch, sie mochte Markus wirklich. Er war liebenswert, charmant, unterhaltsam. Aber war das, was sie für ihn empfand, Liebe?

»Ich weiß nicht, ob wir wirklich ein Traumpaar abgeben würden«, sagte sie aus ihren Gedanken heraus. »Irgendwie fehlt mir immer was, wenn ich mit Markus zusammen bin. Und ihm scheint es nicht anders zu gehen. Denn, wie du schon festgestellt hast, läßt seine Sehnsucht nach mir sehr zu wünschen übrig.«

»Wir haben eben Pech mit den Männern«, stellte Verena fest und griff nach einer weiteren Praline.

»Nasch nicht so viel, sonst passen dir die neuen Sommerklamotten nicht«, mahnte Svenja.

»Du hast gut reden, du kannst alles essen und wirst nicht dick.«

»Ich esse nicht alles, das ist das ganze Geheimnis. Und glaub mir, aus Frust nur futtern, das bringt gar nichts. Laß uns jetzt schlafen gehen. Morgen müssen wir früh raus. Und als erstes werden wir uns um unseren gemeinsamen Urlaub kümmern!«

»Gut, einverstanden.« Verena schob entschlossen die Pralinenschachtel zur Seite. »Konzentrieren wir uns auf einen neuen Abschnitt unseres Lebens!«