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Aus dem Englischen übersetzt

von Simone Blass

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www.hannibal-verlag.de

Impressum

Mike Tyson war der unangefochtene Weltmeister im Schwergewicht und der erste Boxer der Geschichte, der die Schwergewichts-Titel von WBC, WBA und IBF in einer Person vereinte. Tysons anhaltende Popularität bereitete ihm danach den Weg in die Unterhaltungsbranche: Er begeisterte in den Blockbustern Hangover und Hangover 2 und erhielt große Anerkennung für seine One-Man-Bühnenshow: Undisputed Truth (unbestreitbare Wahrheit). Tyson gründete das Modeunternehmen Roots of Fight und die Filmproduktionsfirma Tyrrhanic Productions. 2011 wurde er in die Boxing Hall of Fame aufgenommen. Mike Tyson lebt mit seiner Frau Kiki und ihren gemeinsamen Kindern in Las Vegas.

Larry „Ratso“ Sloman ist durch seine Zusammenarbeit mit Howard Stern bei dessen Büchern Private Parts und Miss Amerika bekannt geworden. Anschließend arbeitet mit weiteren prominenten Unterhaltungsgrößen bei deren Autobiografien, darunter mit Anthony Kiedis, dem Sänger der Red Hot Chili Peppers, und Mike Tyson (Unbesteitbare Wahrheit; Hannibal Verlag). Seine Houdini-Biografie, The Secret Life of Houdini, wird in Kürze verfilmt.

Deutsche Erstausgabe 2017

Titel der Originalausgabe von Blue Rider Press, ein Imprint von Penguin Random House LLC, New York, USA: „Iron Ambition. Lessons I’ve learned from the man who made me a champion“

© 2017 by Tyrannic Literary Company LLC

Coverdesign: www.bw-works.com

Coverabbildung: © Jules Alexander

Layout und Satz: Thomas Auer, www.buchsatz.com

Übersetzung: Simone Blass

Lektorat: Rainer Schöttle, www.schoettle-lektorat.de

Bildnachweis: Alle Fotos © Boxing Hall of Fame

© 2017 by Hannibal

Hannibal Verlag, ein Imprint der KOCH International GmbH, A-6604 Höfen

www.hannibal-verlag.de

ISBN 978-3-85445-629-2

Auch als Hardcover erhältlich mit der ISBN 978-3-85445-628-5

Hinweis für den Leser:

Kein Teil dieses Buchs darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, digitale Kopie oder ­einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet werden. Alle durch dieses Buch ­berührten Urheberrechte, sonstigen Schutzrechte und in diesem Buch erwähnten oder in Bezug genommenen Rechte hinsichtlich Eigennamen oder der Bezeichnung von Produkten und handelnden Personen stehen deren jeweiligen Inhabern zu.

Widmung

Zum Gedenken an Cus D'Amato,

der mich dazu inspirierte,

mehr zu sein, als ich jemals

hätte sein können

Inhalt

Vorwort

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Bildstrecke

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Nachwort

Danksagung

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Ich starre aus dem Fenster meiner Suite im Ritz-Carlton in Battery Park City in New York. Nebenan kümmert sich meine Frau Kiki um unsere beiden Kinder. Milan beschäftigt sich mit einer Bastelarbeit und Rocco tobt wie üblich im Zimmer herum. Ich bin wegen eines Gastauftritts im Barclays Center hierhergekommen, wo Deontay Wilder seinen WBC-Titel im Schwergewicht gegen Artur Szpilka verteidigt. Wilder? Szpilka? Früher hieß es immer, das Schwergewicht sei alles, was beim Boxen zählt. Diese Zeiten sind längst vorbei.

Ich schaue zur Gegend um die Wall Street hinüber und denke an die Zeit zurück, in der ich in Brownsville, Brooklyn, aufwuchs. Jedes Mal, wenn ich meiner Frau von meiner Kindheit erzähle, denkt sie, ich streichele nur mein Ego. Ich sage: „Baby, ich kann’s einfach nicht glauben, was für’n Scheiß ich früher erlebt hab.“ Meine Frau hat keine Ahnung davon, wie verdammt arm ich war. Dann mache ich die Straßen aus, in denen ich als Neunjähriger die Leute gegen die Hauswand stieß und ihnen ihre Halsketten klaute.

Wenn ich den Kopf ein wenig vorstrecke, kann ich den oberen Stadtteil in Richtung 42. Straße sehen. Das war unser Spielplatz. Ich hing in den Arkaden herum oder schaute im Bond’s International Casino vorbei und beklaute die Konzertbesucher. In der 42. Straße ging es jeden Abend zu wie am Wochenende. Aber die Zeiten am Times Square haben sich geändert. Jetzt laufen Disney-Figuren herum, die sich mit Touristen fotografieren lassen, und der Naked Cowboy spielt Gitarre. Jeder zieht seine Kamera raus und macht Selfies mit irgendwelchen Fremden. Stell dir das mit den Leuten vor, mit denen ich am Times Square herumhing: „Hey Mann, können wir ein Selfie mit dir machen?“ – Ein Selfie, Nigga? In den Siebzigern Fotos von Fremden zu machen, ging gar nicht. Da sagtest du nicht mal „Hallo“ zu Leuten, die du nicht kanntest. Der Wichser hätte dich ins Koma geprügelt und auf der Straße liegen lassen.

Damals befand ich mich in einem Teufelskreis. Ich klaute Geld und kaufte mir schöne Dinge davon, und dann kamen die älteren Kids und nahmen mir meine Sneakers, meine Jacke und meinen Schmuck ab. Wie konntest du dich gegen diese großen Monster wehren? Jeder hatte Angst. Aber irgendwie habe ich es geschafft, in solchen Situationen nicht draufzugehen. „Das ist Mike, Mann“, sagte dann einer meiner älteren hippen Freunde, und die bösen Jungs ließen mich gehen. Ich begann zu glauben, dass ich ein besonderes Schicksal hätte. Ich wusste immer, dass ich nicht in der Gosse sterben, dass irgendetwas Bedeutendes mit mir passieren würde. Ich war eine unsichere Kanalratte, aber ich wollte Ansehen, ich wollte berühmt werden, ich wollte, dass die Welt auf mich blickt und mir sagt, ich sei schön. Dabei war ich nichts als ein verdammt fettes, verwahrlostes Kind.

Es ist schon witzig, dass ich mich für etwas Besonderes hielt, nur weil ein weißer Baseballspieler Mike Tyson hieß. Er war ein Profispieler im Infield bei den St. Louis Cardinals, und weil ich denselben Namen wie dieser Typ hatte, wusste ich einfach, dass ich anders war und weit rumkommen würde.

Dann lernte ich einen weißen Typen kennen, einen alten italienischen Gentleman, der ebenfalls dachte, ich sei etwas Besonderes. Sein Name war Cus D’Amato, und er pflanzte mir Visionen von Ruhm und Ehre in den Kopf. Ohne diesen Mann würde ich nicht in einem schicken Hotel sitzen und aus dem Fester sehen. Vielleicht würde ich immer noch in Brownsville leben, in irgendeinem schäbigen Apartmenthaus, oder Chickenwings in einer billigen Uptown-Frittenbude essen, statt Pasta beim Zimmerservice zu bestellen. Vielleicht wäre ich auch schon tot.

Damals, als ich noch ein Kind war, hatte ich immer Angst, wieder in die 42. Straße zu gehen, weil mich vielleicht so ein Wichser vom Vortag erkennen könnte, mich verfolgen und mir die Seele aus dem Leib prügeln würde. Jetzt kann ich die 42. auch nicht hinunterlaufen, denn jemand könnte mich zu Tode lieben. Ist das nicht verrückt? Ich gehe die 42. entlang, und so viele wollen mit mir abklatschen, dass ich ins Auto fliehen muss.

Und das ist nicht nur an meinen früheren Tummelplätzen so. Ich kann fast nirgends auf der Welt die Straßen entlanggehen. Ist das nicht ein Wahnsinn? Wir können nicht mal in Dubai Schmuck kaufen gehen. Ich kann das Hotel nicht verlassen, ohne dass ich sofort umringt bin. Und das alles wegen Cus. Nein, ich will mich nicht beschweren, ich bin sehr dankbar für meine heutige Situation. Aber ich verstehe immer noch nicht, wie das alles geschah. Wie konnte dieser in Upstate New York im Exil lebende Boxmanager und -trainer vorhersagen, dass ich der jüngste Schwergewichtsweltmeister aller Zeiten sein würde, nur weil er mich weniger als zehn Minuten beim Sparring gesehen hatte, als ich dreizehn war?

Dieses Buch erzählt von unserer Beziehung zueinander. Cus D’Amato war einer der außergewöhnlichsten Menschen, die je auf diesem Planeten gewandelt sind. Er berührte das Leben so vieler Menschen und half ihnen, bessere Versionen ihrer selbst zu werden. Er machte die Schwachen stark. Und er machte einen fetten, ängstlichen Dreizehnjährigen zu einem Kerl, der nicht auf die Straße gehen kann, weil er das bekannteste Gesicht der Welt besitzt.

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Vor Cus retteten die Tauben mir das Leben. Als Heranwachsender war ich ein fetter Versager, die Art Kind, dem das Kleingeld gestohlen, dessen Sandwich in den Dreck geworfen und dessen Brille zerbrochen und in den Benzintank eines Lasters geworfen wird, der vor der Schule parkt. Ich wurde täglich tyrannisiert, bis ich von den älteren, cooleren Jungs auf ein Dach in der Nähe meines Zuhauses gebracht wurde, wo ich ihre Taubenkäfige sauber machen sollte. Sie hielten Tauben auf diesem Dach. Das verstand ich überhaupt nicht. Die Vögel sahen so klein und unbedeutend aus; wieso sollten sich coole Jungs so dafür interessieren? Aber man sah an ihren lächelnden Gesichtern, dass ihnen diese Tauben alles bedeuteten.

Als mich die Leute mit diesen Jungs da oben sahen, sagten sie: „Lasst bloß den Jungen in Ruhe, der kennt diese Typen.“ Du legst dich nicht mit Kerlen an, die Tauben haben. Man wusste, dass sie jeden vom Dach warfen, der sich an ihren Tauben vergriff.

Vom Taubenpfleger wurde ich zum Kleinkriminellen. Ich hing nie mit Gleichaltrigen herum. Ich wurde von meinen älteren Freunden angelernt, Bug und Barkim beispielsweise. Weil ich kleiner war, ließen sie mich in Fenster einsteigen, um dann von innen die Tür zu öffnen, damit sie das Haus ausrauben konnten. Einmal kamen Bug und ich ins Gefängnis. Er scherzte, dass er in den richtigen Knast käme, während ich Urlaub bei Milch und Keksen in der Jungendstrafanstalt machen dürfte. Ich war wie ein richtiger Lehrling und übernahm das Verhalten der älteren Jungs auf der Straße.

Mit der Zeit wurde ich größer und kräftiger, aber ich fühlte mich immer noch wie die kleine Brillenschlange, die ständig tyrannisiert wird. Ich glaubte nie, dass ich ein Kämpfer werden würde, aber ich hing ständig mit meinem Freund Wise ab, einem Amateurboxer. Wir rauchten Gras und machten Schattenboxen. Wise machte beim Schattenboxen immer den Ali-Shuffle. Mein erster Kampf kam zufällig zustande. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon etwas von meinem gestohlenen Geld zum Kauf eigener Tauben verwendet. Ich hielt sie in einem verlassenen Gebäude neben dem Haus, in dem ich wohnte. Ein Typ namens Gary Flowers stahl einen meiner Vögel, und als ich ihn zur Rede stellte und die Taube zurückverlangte, zog er sie aus seinem Mantel, drehte ihr den Hals um und beschmierte mich mit ihrem Blut. Ich war rasend vor Wut, traute mich aber nicht, auf ihn loszugehen, bis mich einer meiner Freunde anstachelte: „Du musst gegen ihn kämpfen, Mike.“ Also verpasste ich ihm eine Rechte, er ging zu Boden, und ich war völlig baff. Ich wusste erst gar nicht, was ich tun sollte. Dann dämmerte mir, wie cool es aussah, wenn Wise den Ali-Shuffle machte. Ich begann zu shuffeln und alle klatschten. Mein erster Vorgeschmack von Applaus.

Kämpfen war wichtig in meinem Viertel. Wenn du ein guter Kämpfer warst, hatte man Respekt vor dir und niemand hätte versucht, dich zu beklauen. Langsam baute ich mir einen Ruf als Straßenkämpfer auf. Hinterhältige Überraschungshiebe waren meine besondere Stärke. Wenn einer während einer Schlägerei ausrutschte und am Boden lag, griff ich erst recht an. Ich habe nicht alle Kämpfe gewonnen. Oft wurde ich auch richtig verprügelt, weil ich mit Älteren kämpfte. Ich war elf, zwölf Jahre alt und kämpfte mit Typen, die über dreißig waren. Wenn ich sie beim Würfeln abzockte, wollten sie mir als Kind kein Geld geben. Aber wenn einer nicht zahlte, zahlten alle nicht. Also griff ich den Kerl an. Diese Männer konnten Schusswaffen tragen, aber das war mir egal. Sie wussten, dass ich kein Anfänger war, deshalb mussten sie kämpfen oder mir eine Waffe über den Schädel ziehen.

Als wir jung waren, glaubte ich, dass all meine Freunde für immer zusammenbleiben würden. Aber das Leben ging weiter, und dann kamen die ersten Leute zu Tode. Ich kannte niemanden, der heiratete, aufhörte zu klauen und rechtschaffen wurde. Für mich sah es so aus, dass wir mit unserem kriminellen Leben weitermachen würden, bis andere uns töteten oder wir sie. Manchmal gingen wir auf Raubzug und einer unserer Freunde starb – jemand erstach oder erschoss ihn. Man möchte meinen, dass wir nach Hause liefen und seiner Mutter erzählten, was passiert war, aber wir versuchten noch mehr zu ergattern. Wir gingen erst heim, wenn wir genug Geld hatten. Da waren wir wie Haie, machten einfach immer weiter.

Meine Mutter hatte mehr und mehr die Nase voll von meinem Leben als Kleinkrimineller, weil ich immer mehr Zeit in Spofford verbrachte. Der richtige Name lautete Bridges Juvenile Center, ein rattenverseuchtes Loch in der Spofford Avenue im Hunts-Point-Teil der Bronx. Dort einzulaufen, war wie ein Klassentreffen, wie in Cheers, wo jeder deinen Namen kennt. Es gab zwar keine Klimaanlage, aber wenigstens hattest du drei warme Mahlzeiten und eine Schlafkoje. Und Milch und Kekse.

Einmal, als ich wieder einsaß, kurz nachdem ich zwölf geworden war, zeigten sie den Film The Greatest, einen Film von 1977, in dem Muhammad Ali sich selbst spielte. Mir gefiel Alis Stil, aber ich war damals noch überhaupt kein Boxfan. Ich schaute mir lieber Wrestler wie Bruno Sammartino und Killer Kowalski an. Ich hatte nur einmal einen Ali-Kampf gesehen, als er zum zweiten Mal gegen Leon Spinks kämpfte. Ich hing gerade mit einem Freund an einer Ecke in Brownsville ab, als wir einen Typen sahen, der in den Laden nebenan ging. Jemand steckte uns, dass der Typ Lebensmittelmarken und Geld bei sich hätte, also folgten wir ihm in den Laden. Ich ging nach hinten und holte eine Tüte Chips. Dann sah ich zu, dass ich auf dem Weg zum Tresen vor ihm war. Alle Augen waren auf den Fernseher gerichtet, wo der Ali-Kampf lief. Ich ließ meine Chipstüte fallen und bückte mich danach. Der Kerl blieb stehen und mein Freund, der hinter ihm stand, griff ihm in die Taschen – bumm. Ich mochte Ali, aber ich war nicht im Geringsten an diesem Kampf interessiert.

Aber seine verfilmte Biografie in einem Raum mit Hunderten von Kids in Spofford zu sehen, war toll. Und als der Film zu Ende war und die Lichter angingen, kam plötzlich Ali auf die Bühne, und der Raum explodierte. Wow. Ali fing an, uns von seiner Zeit in Haft zu erzählen. Er berichtete uns, dass er im Gefängnis fast den Verstand verloren hätte. Er sagte schöne, inspirierende Dinge. Diese Rede brachte den Wendepunkt. Nicht, dass ich Boxer hätte werden wollen, nachdem ich ihn gehört hatte, aber ich wusste mit einem Mal, dass ich berühmt werden wollte. Ich sehnte mich nach diesem Gefühl, einen Raum zu betreten und die Leute verneigen sich vor dir und flippen völlig aus. Aber ich wusste nicht, was ich hätte tun können, damit die Leute diesen Scheiß machten.

Wegen Einbruchs saß ich wieder in Spofford ein. Es war der sechste Monat meiner achtzehnmonatigen Haftstrafe. Spofford ist ein Durchgangsgefängnis, und ich sollte bald in eine andere Jugendhaftanstalt verbracht werden. Ich musste zusehen, dass ich rechtzeitig noch etwas abstauben konnte. Du musst rigoros sein und dafür sorgen, dass du irgendetwas ergatterst, mit dem du im nächsten Gefängnis, in das sie dich bringen, handeln kannst. Wenn du pleite aus einem Knast rausgehst, dann halten sie dich im nächsten Bau für eine Pussy.

Ich tat mich mit meinem besten Freund Darryl „Homicide“ Baum zusammen, der mit mir einsaß. Die Jungs von Brownsville hielten alle zusammen. Sie erzählten mir, dass im Schlafsaal nebenan ein Typ aus der Bronx war, der eine Goldkette um hatte. Die wollten wir uns holen. Ich war der Dieb hier; jeder kannte Brownsville Mike, den Dieb. Um an die Goldkette zu kommen, warteten wir ab, bis wir gemeinsam mit ihm in der Sporthalle waren. Die meisten dieser Kerle legten ihr Gold nicht ab, sondern trugen es. Homicide und ich gingen in die Sporthalle und Hommo entdeckte ihn. Der Kerl war cool. Ich ging auf ihn zu und er verpasste mir gleich eine mitten ins Gesicht, bumm! Das hatte ich nicht erwartet, aber dann warf sich Hommo auf ihn, bumm, bumm, bumm, bumm. Wir haben dem Typen den Arsch versohlt und seinen Schmuck genommen.

In Spofford war ich immer in Schwierigkeiten. Kurz bevor sie mich verlegen wollten, kämpfte unser Schlafsaal gegen einen anderen, und ich wurde mit einem Messer erwischt. Der Gefängnisleiter kam rein und verlas den Bericht der letzten Schicht. Dann verlangte er von mir, aufzustehen und meine Strafe entgegenzunehmen. Dafür, dass ich mit einem Messer erwischt worden war, bekam ich zehn Schläge auf den Kopf mit einem verkürzten Billardqueue.

POP. POP. POP. POP … Die Wärter waren brutal. Sie prügelten dich wie einen Hund.

Ein paar Tage danach kam der für mich zuständige Sozialarbeiter und erzählte mir, dass ich weggebracht werden würde, um das letzte Jahr meiner Haftstrafe abzusitzen. Sie sagen dir nicht, wohin sie dich bringen, damit deine Kumpels es nicht erfahren. Am nächsten Morgen legten mir zwei Wärter Handschellen an, verfrachteten mich auf den Rücksitz eines Autos und brachten mich upstate nach Johnstown, New York. Ich kam an einen Ort namens Tryon, von dem ich noch nie gehört hatte. Ich dachte mir nur, wenn ich dort niemanden kenne, müsste ich wohl ein paar Leute abstechen. So ist das eben.

Die Tryon School for Boys war Lichtjahre von Spofford entfernt. Sie lag im Wald, eine Stunde nordwestlich von Albany entfernt. Die Kinder waren in mehreren Baracken untergebracht. Es gab ein Hallenbad, eine schöne Sporthalle und verschiedene Projekte, zu denen auch eine Fasanenzucht gehörte. Weil sie mich nicht als gewalttätigen Straftäter einstuften, war ich anfangs im Briarwood Cottage untergebracht, einem offenen Haus. Ich hatte mein eigenes Zimmer ohne Schloss an der Tür.

Sofort begann ich mich auszutoben, griff andere Kinder, Wachen, einfach jeden an. Bald war ich berüchtigt. Mike Tyson, der Psycho, der kranke Spinner, der auf dich zuging und dir einen Schlag ins Gesicht verpasste oder heißes Wasser über dich schüttete. Eines Tages überholte mich ein Junge im Gang auf dem Weg in meine Klasse. Er versuchte, sich meinen Hut zu schnappen, aber ich riss ihn ihm wieder aus der Hand. Der Unterricht dauerte fünfundvierzig Minuten, und ich dachte nur daran, was ich diesem Typen antun würde. Als die Stunde vorüber war, fand ich den Kerl und verprügelte ihn.

Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte – aus war’s mit meiner Freiheit. Zwei Wärter kamen und eskortierten mich zum Elmwood-Haus, dem geschlossenen Trakt. Im Elmwood-Haus musstest du dich am Riemen reißen, weil dich die Wärter, riesige Hinterwäldler, sonst fertigmachten. Ins Elmwood-Haus kamen die knallharten Typen. Für mich war das eine Auszeichnung.

Als wir dort ankamen, sperrten sie mich in ein Zimmer, zogen mir die Kleider aus und nahmen die Matratze aus dem Raum. Ich stand unter Beobachtung wegen Selbstmordgefahr. Jede halbe Stunde kam ein Wärter zur Kontrolle. Ich war zwar isoliert, aber es gab ein kleines Fenster in der Tür, und ich hörte einige Insassen vorbeigehen. Ich rief: „Hey, was geht ab da draußen?“, und einer der Jungs erzählte mir, dass sie gerade vom Sparring mit Mr. Stewart kämen, einem der Wärter in Tryon. Ich hatte bereits von Bobby Stewart gehört. Er gab Boxunterricht, und jeder, der dabei war, lachte und war glücklich. Wenn ein Junge bei einem Fehlschlag umfiel, lachten sich die anderen zu Tode. Mein Entschluss stand fest – ich wollte an diesem Kurs teilnehmen.

Immer wenn ein Wachmann zur Kontrolle kam, bat ich darum, Mr. Stewart sprechen zu dürfen. Dann riefen sie Stewart an. „Er ist völlig ruhig und freundlich. Er hat gegessen und sich angeboten, den Abwasch zu machen. Alles, was er möchte, ist, mit Ihnen zu sprechen“, sagten sie ihm. Stewart wartete, bis alle im Bett waren, weil er nicht wollte, dass andere Jungs in einen Tumult verwickelt wurden, den ich verursachen könnte. Dann kam er in mein Zimmer, das heißt, er stieß die Tür auf und kam reingerannt.

„Was willst du von mir?“, brüllte er.

Allein das Schreiben dieses Satzes lässt mich noch heute erschaudern.

„Ich möchte ein Kämpfer werden“, sagte ich.

„Wie alle anderen Jungs auch“, bellte er. „Aber wenn sie Kämpfer wären, dann wären sie erst gar nicht hier. Sie wären draußen, würden zur Schule gehen, sich einen Job suchen. Hier haben wir es mit Verlierern zu tun.“

„Alles, was ich will, ist, ein Kämpfer zu werden. Ich mache alles, was Sie wollen“, sagte ich.

Mr. Stewart schrie mich weiter an, aber dann änderte er seinen Tonfall.

„Gut, wir werden sehen, ob sich dein Verhalten ändert, ob du es hinkriegst, ohne Zwischenfälle den Unterricht zu besuchen. Benimm dich einen Monat lang anständig, dann sehen wir weiter.“

Später sagte mir Stewart, dass er seit zehn Jahren dort gearbeitet, aber noch nie jemanden gesehen hatte, der so unsicher war wie ich, als ich dort ankam. Er konnte sich vorstellen, dass ich ein Taschenbuch klaute, wenn niemand hinsah, aber nicht, dass ich jemandem hätte entgegentreten können. Ich konnte ihm nicht einmal in die Augen sehen, als er in mein Zimmer platzte. Trotz der ganzen Angeberei auf der Straße war ich ein schüchternes Kind. Ich war immer nur ein Mitläufer, nie ein Anführer. Alles, was ich damals konnte, war betrügen, stehlen, rauben und lügen.

Stewart checkte täglich die Berichte, um zu sehen, ob ich mich benahm. Er stellte fest, dass ich nicht nur alles tat, was ich sollte, sondern sogar nach Zusatzaufgaben fragte. Ich bat die Aufsicht, meine Anfrage in den Bericht zu schreiben, damit Stewart es sehen konnte. Nach sechs Tagen zählte ich zu den Besten meiner Klasse. Nun ja, meine Familie kommt aus dem Süden. Ich habe gelernt, mich ruhig zu verhalten und höflich mit anderen Leuten zu sprechen: „Ja, Ma’am.“ – „Nein, Sir.“

Mr. Stewart begann die Berichte über mich zu lesen und stieß auf eine Bemerkung, die besagte, dass ich leicht zurückgeblieben wäre. Er ging zur Anstaltspsychologin und fragte: „Was soll das?“

Sie erklärte ihm, dass ich geistig behindert sei.

„Wie wurde das festgestellt?“, fragte er.

„Na ja, er hat Prüfungen machen müssen.“

„Prüfungen? Er kann weder richtig lesen noch richtig schreiben. Wie können Sie feststellen, dass er zurückgeblieben ist? Ich beobachte diesen Jungen schon eine Weile. Er ist klug. Er kann nur nicht lesen und schreiben. Ich kann auch nicht besonders gut lesen und schreiben, aber ich bin nicht zurückgeblieben!“

Die Psychologin begann zu schwafeln, Stewart verlor die Fassung und bezeichnete sie selbst als zurückgeblieben. Er wurde deshalb abgemahnt. Ich liebe Bobby. Er ist einer dieser irischen Kerle, die alles ungefiltert rauslassen.

Ich riss mich weiter am Riemen und bekam gute Beurteilungen. Mr. Stewart schien beeindruckt, vor allem, als er eines Tages in den Fitnessraum kam. Ich war an der Universal-Bankdrückmaschine.

„Was tust du da?“, fragte er mich. „Du hast hundertfünfzehn Kilo aufgelegt.“

„Die anderen Jungs haben gesagt, das schaffe ich nicht“, konterte ich.

„Mach das nicht! Nimm Gewicht runter und beginne mit sechzig Kilo“, sagte er.

Er drehte mir den Rücken zu, und als er sich wieder zu mir drehte, stemmte ich die hundertfünfzehn Kilo – zehn Mal, ohne Aufwärmen. Ich war verdammt stark damals. Ich schätze, sein Boss hat Wind von meiner Glanzleistung bekommen, denn er fing an, sich Sorgen zu machen, als sich Stewart endlich dazu entschloss, mich mit ihm sparren zu lassen.

„Ich weiß, dass du in Form bist, aber dieser Junge ist stärker als wir alle zusammen. Nimm dich in Acht“, warnte er Bobby. „Es geht nicht, dass das Personal von den Kindern verprügelt wird.“

An dem Tag, als wir zum ersten Mal sparrten, war ich wahnsinnig aufgeregt. Die anderen Jungs kannten meinen Ruf als Straßenkämpfer in Brooklyn, deshalb waren sie an diesem Tag total überdreht. Wir begannen zu boxen, und ich dachte, dass ich mich gut anstellte, weil er seine Deckung hoch hielt und ich trotzdem ein paar Hiebe anbringen konnte. Plötzlich versetzte mir der Mistkerl aus einem Clinch heraus einen solchen Schlag in die Magengrube, dass ich zu Boden ging. Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie so einen Schmerz verspürt. Ich hatte das Gefühl, ich müsste alles auskotzen, was ich die beiden Jahre zuvor gegessen hatte. Ich stand gleich wieder auf, aber ich bekam keine Luft.

„Geh herum!“, bellte er, „geh herum!“ Ich kam wieder zu Atem und wir fingen wieder an zu boxen. Als wir fertig waren, fragte ich ihn, ob er mir beibringen könnte, jemandem so einen Magenschwinger zu verpassen. Das würde künftig mein Überfallsschlag werden.

Obwohl er mir so übel mitgespielt hatte, gab ich nicht auf. Der ganze Schlafsaal, die meisten Wärter, alle waren sie gekommen, um uns boxen zu sehen. Ich war so glücklich, Aufmerksamkeit zu bekommen. Ich wollte, dass mir die Leute zusahen und mich liebten, aber als sie es dann taten, bin ich übergeschnappt! Ich war damals wirklich verrückt.

Als er gesehen hatte, dass ich wiederkam, obwohl er mich versohlt hatte, begann er mich zu unterrichten. Wir warteten bis neun Uhr abends, wenn die anderen Jungs zu Bett gingen. Dann arbeiteten wir in einem leeren Schlafsaal von halb zehn bis elf, bis es Zeit für mein Zimmer war. Mr. Stewart stand da und schlug zu, und ich wich aus; dann machten wir es anders rum. Ich hatte, abgesehen von Stehlen, noch nie Ziele in meinem Leben gehabt, aber Bobby gab mir etwas, auf das ich mich konzentrieren konnte. Statt den Wunsch zu stehlen hatte ich jetzt den Wunsch zu boxen. Als wir fertig waren, ging ich in mein Zimmer und übte im Dunkeln bis drei Uhr morgens, was er mir gezeigt hatte. Ich weiß, dass Stewart von meiner Arbeitsauffassung beeindruckt war, und er war zuversichtlich, dass das, was wir taten, mir auch außerhalb des Rings helfen würde.

Ich war so begeistert, dass ich ihm einmal den Hörer gab, als ich eines meiner erlaubten Telefonate mit meiner Mutter führte. Er erzählte ihr von den Fortschritten, die ich gemacht hatte, und dass etwas aus mir werden könne, wenn ich so weitermachte. Sie lachte nur und dankte ihm. Bisher hatte ich ihr nie Anlass dazu gegeben, sich Hoffnungen zu machen, was mich betraf.

Mr. Stewart freute sich über meinen Fortschritt, aber er begann sich auch Sorgen darüber zu machen, wie es weiterginge, nachdem ich entlassen wurde. Er wusste, wenn ich nach Brooklyn zurückkehrte, würde ich in mein altes kriminelles Muster zurückfallen. Zuerst hatte er sich überlegt, eine Trainingshalle dort für mich zu suchen, aber dann hatte er eine andere Idee.

Eines Tages sollte ich mich nach dem Boxtraining zu ihm setzen.

„Hör mal, Mann, meine Frau ist stinksauer. Ich komme mit gebrochener Nase und blauen Augen nach Hause. Ich kann nicht mehr mit dir boxen, aber ich bringe dich woanders hin, wo sie dich auf die nächste Stufe bringen. Wäre das was für dich? Ich fürchte nämlich, dass du, wenn du hier raus bist, entweder umgebracht oder wieder eingesperrt wirst.“

„Nein“, protestierte ich, „ich will nicht gehen. Ich will hier bei Ihnen bleiben.“

„Ich möchte, dass du mit Cus D’Amato arbeitest. Er ist ein berühmter Trainer. Er brachte Floyd Patterson zum Schwergewichtstitel. Er machte aus José Torres einen Champion im Halbschwergewicht. Er nimmt noch Jungs auf, wenn sie sich anständig benehmen und hart arbeiten. Vielleicht kannst du sogar bei ihm wohnen.“

Bevor Bobby Cus anrief, zeigte er mir noch ein paar Schritte, die den alten Trainer beeindrucken sollten. Einer davon war ein diagonaler Ausweichschritt, der es mir ermöglichte, mich aus der Ecke zu drehen. Ich übte diesen Schritt und beherrschte ihn bald. Dann rief Stewart Cus an und fragte ihn, ob ich mich mal bei ihm vorstellen dürfte.

„Absolut“, antwortete Cus, „wenn du denkst, dass er Potenzial hat, dann bring ihn morgen her.“

Auf dem Weg dorthin versuchte Stewart meine Erwartungen herunterzuschrauben.

„Vielleicht mag dich Cus nicht auf Anhieb, ich weiß es nicht“, meinte er, „aber vielleicht sagt er auch, dass wir noch mal kommen können. Wenn dem so ist, dann arbeiten wir noch härter, bis er sieht, dass wir es schaffen können.“

Cus’ Halle lag oberhalb des Polizeireviers von Catskill. Die Halle war alt, roch nach Moschus und hatte einen kleinen Ring. Es gab eine Menge verwitterter Zeitungsausschnitte an den Wänden. Einige ältere, weiße Typen standen bei einem jüngeren Kerl namens Teddy Atlas, der Cus assistierte. Ich wurde Cus vorgestellt und überriss in der ersten Sekunde, dass dort alles vollständig unter seiner Kontrolle stand. Er saugte die gesamte Luft im Raum ein. Er schüttelte mir die Hand und es stand nicht die Spur eines Lächelns in seinem Gesicht. Er zeigte keine Emotionen.

Sofort musterte mich auch Teddy Atlas und sagte: „Wir haben niemanden, der mit ihm boxen kann.“ Stewart erklärte, dass er mit mir boxen würde, und wir stiegen in den Ring. In der ersten Runde war ich richtig gut. Ich setzte Mr. Stewart unter Druck und schlug auf ihn ein. Wir machten den Ausweichschritt, den wir geübt hatten, und ich schaute rüber zu Cus und sah ihn zum ersten Mal lächeln. Er sagte: „Wow! Wow! Das ist schön.“

Ich setzte Stewart in der zweiten Runde weiter unter Druck, aber dann erwischte er mich mit einigen harten Schlägen und meine Nase begann kräftig zu bluten. Es sah schlimmer aus, als es sich anfühlte, aber Atlas sprang sofort in den Ring.

„Es ist gut, Bobby. Wir haben genug gesehen“, sagte er.

„Nein, nein“, protestierte ich, „Mr. Stewart sagt, wir brechen nicht ab. Wenn wir einen Kampf beginnen, muss er über drei Runden gehen.“

Bobby schaute rüber zu Cus; später erzählte er mir, es wäre wie im Film gewesen. Cus’ Gesicht wurde rot, er sah zu seinen Kumpels hinüber, die da standen, und jeder grinste. Es wäre gewesen, als hätte sich Cus’ Körper auf wundersame Weise verwandelt.

„Sein ganzes Gesicht begann zu leuchten. Hast du jemals einen Typen gesehen, dem vor Schreck die Haare zu Berge standen? Na ja, Cus hatte keine Haare, aber daran musste ich denken. Seine Augen weiteten sich, und es sah aus, als wollte er sagen: ‚Ich bin wieder lebendig‘.“

Cus ließ uns die dritte Runde machen, und ich war ziemlich gut. Teddy nahm mir die Handschuhe ab, und Cus begann Mr. Stewart mit seinen zu helfen.

Ich sah sie miteinander sprechen, aber ich konnte nicht verstehen, was sie sagten. Ich konnte nichts von Cus’ Gesicht ablesen. Er war ungerührt. Ich erfuhr erst später, dass Cus Bobby gefragt hatte: „Hätte er Interesse daran, hier zu trainieren?“ Bobby wusste, dass ich wollte, aber er blieb cool und sagte, er müsse erst mit mir sprechen.

Auf dem Weg zum Auto platzte ich fast vor Neugier.

„Kann ich wiederkommen? Wie fand er mich?“, löcherte ich Bobby.

Er stupste mich an. „Was, meinst du, hat er gesagt?“

„Hat er gesagt, dass ich nicht wiederkommen darf?“, fragte ich. Ich war ein Trottel ohne Selbstbewusstsein.

„Nein! Er sagte: ‚Bobby, abgesehen von den äußeren Umständen ist das der Schwergewichtschampion der Welt, wenn nicht des ganzen Universums.‘ Aber nur, wenn du so weiterarbeitest wie bisher.“

Ich stupste zurück. „Das gibt’s doch nicht.“ Und dann musste ich weinen.

„Ehrlich, genau das denkt er von dir“, sagte Bobby. „Siehst du, du bist kein Abschaum. Du bist kein Verlierer. Er hat das alles über dich gesagt, nachdem er dich zu ersten Mal gesehen hat. Ist dir klar, was das bedeutet? Aber du kannst es auch innerhalb einer Sekunde versauen. Du musst arbeiten.“

„Das will ich“, sagte ich unter Tränen. „Ich bin bereit zu arbeiten.“