Aufregung am Abend

Alles fing am 1. April an. Hexe Annablitz zauberte ein allerfeinstes Abendessen. Auf dem alten Tisch aus Ahornholz standen lauter ausgezeichnete Sachen: Apfelsaft, Algensuppe, ein Auflauf mit Aal und Ananas, ranziger Appenzeller Käse und acht Apfel-Pfannkuchen.

Rabe Zacka krächzte: »Ich esse alle acht Apfel-Pfannkuchen alleine auf!«

»Hallo!?«, sagte Annablitz. »Schon mal was von Abgeben und Teilen gehört?«

Zacka klimperte mit seinen nachtschwarzen Augen. »April, April!«

Hexe Annablitz lachte. »Da bin ich doch glatt reingefallen. Dabei wollte ich dich heute in den April schicken.«

»Zu spät!« Zacka schlürfte in aller Ruhe Apfelsaft mit seinem Schnabel. Die schwarzen Federn des Raben glänzten an diesem Abend besonders schön.

Hexe Annablitz war nicht sauer. Gut gelaunt stapelte sie vier Apfel-Pfannkuchen auf ihrem Teller aufeinander. Dann streckte sie die Hand nach der Flasche mit dem Ahornsirup aus. So mochte sie Apfel-Pfannkuchen am allerliebsten.

»Auweia!«, ärgerte sich Annablitz. »Der Sirup ist alle.«

»Zaubere dir doch einfach neuen«, schlug Zacka vor.

»Kommt nicht infrage!« Hexe Annablitz warf ihren Zauberstab ganz weit weg. Platsch! – landete er im Aquarium.

Zacka flatterte hinüber und fischte den Zauberstab wieder heraus. »Warum denn nicht?«, fragte er.

Hexe Annablitz wackelte mit der Nase. »Der Ahornsirup aus Agathas Laden schmeckt tausendmal besser. Ich kaufe rasch eine neue Flasche.« Die Hexe stand auf und klatschte in die Hände. »Zauberbesen, her zu mir!«

Sofort sauste der Hexenbesen zu Annablitz. Er sprang über den Zauberkessel und das aufblasbare Sofa und raste so nah am Regal vorbei, dass die Gläser mit den magischen Zaubersäften wackelten.

Annablitz schwang sich auf den Besen und klatschte ein zweites Mal in die Hände. »Ab in den Aufzug! Pass auf dich auf, Zacka!« Dann rauschte sie in einem Affenzahn mit dem Aufzug hinauf aufs Dach. »Abflug!« Annablitz lachte, als der Zauberbesen abhob und in den Abendhimmel hineinsauste. »Schneller!«, befahl sie.

Die roten Haare der Hexe flatterten im Fahrtwind. Ach, war das fabelhaft! Das Fliegen machte Annablitz am meisten Spaß, wenn sie schnell wie der Blitz unterwegs war.

Bald darauf landete sie vor dem Laden und kaufte den Ahornsirup. Agatha wollte noch ein bisschen ratschen, aber Hexe Annablitz wehrte ab. »Ein andermal!«, sagte sie und sauste sofort wieder los.

»Rasch nach Hause!«, sagte sie zu ihrem Hexenbesen.

Der Besen flog brav los, doch nach ein paar Metern wurde er auf einmal langsamer.

»Was ist los?«, fragte die Hexe. »Mach jetzt nicht schlapp!«

Der Besen wurde noch langsamer.

»Sag bloß, du kannst nicht mehr!«, sagte Annablitz. »Du bist doch erst achtundachtzig. Ich habe achthundert Jahre auf dem Buckel. Auf geht’s! Du schaffst das!«

Aber der Zauberbesen war tatsächlich total schlapp. Mit Ach und Krach schaffte er den Weg nach Hause. Im Aufzug ächzte er wie ein altes Auto. Als Annablitz abstieg, schleppte er sich noch zum Kamin, machte dann die Augen zu und fing an zu schnarchen.

»Der arme Besen!«, sagte Rabe Zacka. »Was hast du denn mit dem gemacht?«

»Gar nichts«, verteidigte sich Hexe Annablitz. Besorgt betrachtete sie den schlafenden Zauberbesen. »Achtundachtzig Jahre sind für einen Besen tatsächlich sehr alt. Das hatte ich ganz vergessen. Ab achtzig Jahren müssen Zauberbesen alle acht Monate achtundachtzig Komma acht Stunden schlafen. Danach sind sie wieder auf Zack.«

»Ja, genau!«, sagte Zacka. Er hatte seine vier Pfannkuchen schon aufgegessen und aß gerade vom Auflauf mit Aal und Ananas. »Das hab ich mal in deinem Zauberbuch gelesen. Dann starten die Besen von ganz alleine die Schlaf-Automatik.«

Hexe Annablitz raufte sich die Haare. »Was mache ich denn jetzt? Bald ist Walpurgisnacht. Ich muss auf den Brocken fliegen. Letztes Jahr hab ich drei Tage für die Reise gebraucht. Aber ein schlafender Zauberbesen kann nicht geradeaus fliegen. Der saust dauernd im Zickzack herum, macht Schlangenlinien oder stürzt ab. Außerdem wäre er viel zu langsam.«

Zacka schluckte. »Da hast du recht. Dann musst du dir eine magische Flugmaschine zaubern.«

Annablitz seufzte. »Das tue ich mir nicht an. Der Zauberspruch ist wahnsinnig kompliziert und so lang wie ein Eisenbahnzug.«

»Also, ich weiß gar nicht, was du immer hast«, sagte Zacka. »Das ist doch gar kein Problem.« Rabe Zacka war sehr schlau und konnte sich fast alles merken.

»Halt mal den Schnabel!« Annablitz musste nachdenken. Das konnte sie am allerbesten beim Essen. Sie ließ die salzigen Sachen stehen und aß einen Apfel-Pfannkuchen mit Ahornsirup.

Sollte sie sich einen neuen Besen kaufen? Nein, das wollte sie nicht. Der alte Besen war ihr so ans Herz gewachsen.

Annablitz haute auf den Ahorntisch. »Ich hab’s: der Eisenbahnzug! Wir fahren mit dem Zug! Zugfahren macht Spaß.«

»Au ja!« Aufgeregt flatterte Zacka durch die Küche. »Wir fahren mit dem Zug.« Der Rabe klaute sich Annablitz’ Zauberflöte und blies hinein. »Tu-tuuuut!«, machte er total laut wie eine Lokomotive bei der Abfahrt.

Der Zauberbesen schnarchte weiter.

Hexe Annablitz lachte. »Schlaf schön, lieber alter Besen! Auf der Fahrt kannst du es dir auf der Ablage für das Gepäck gemütlich machen. Aber Zacka und ich bleiben garantiert wach. Das wird ein spannendes Abenteuer!«

Bitte beeilen beim Bahnsteig!

»Blink, blink, blink!«, blubberte der Blaufisch-Wecker.

Barfuß sprang Hexe Annablitz aus dem Bett. »Beeil dich«, sagte sie zu Rabe Zacka. »Um halb sieben müssen wir am Bahnhof sein.«

»Bin längst bereit«, betonte Zacka. »Aber du bummelst bestimmt wieder beim Packen.«

»Bah!«, machte Hexe Annablitz. »Du bist blöd.« Sie bestrich ein Brot mit Butter und aß es im Bad. Nach einer Blitzwäsche warf sie ihren blauen Koffer aufs Bett. Bald war alles beieinander: Barbarakraut, Bergkristall, bunte Blumenröcke, Lieblingsspiele, Brombeerzaubersaft und obenauf das Zauberbuch mit allen Zaubersprüchen von A bis Z.

Liebevoll strich Annablitz über den Buchdeckel. Beinahe von selbst öffnete sich das Buch. Die bunten Anfangsbuchstaben bewegten sich ganz leicht. Wenn Annablitz einen neuen Zauberspruch einarbeiten wollte, brauchte sie ihn bloß aufzusagen. Das Lesebändchen schrieb ihn sauber auf und beförderte ihn an einen neuen freien Platz.

Annablitz schlang ein breites Band um den Koffer und brachte ihn zur Haustür.

Der Besen schlief auf einem Regalbrett im Flur und brummte im Traum. Annablitz nahm ihn behutsam auf den Arm. Dann befahl sie dem bleischweren Koffer: »Bubalabraxa – ab zum Bahnhof!«

»Bahnhof, Bahnhof!«, krächzte Rabe Zacka. Er brachte Annablitz ihren Beutel mit dem Delfinaufkleber und die magische Geldbörse.

Zu Fuß brauchte man bis zum Bahnhof eigentlich nur eine halbe Stunde. Aber sie mussten immer wieder stehen bleiben, weil der Koffer Bocksprünge machte.

Bald wurde es Annablitz zu bunt. »Ich hab keinen Bock auf deine Bocksprünge. Lass den Blödsinn.«

Endlich war der Koffer brav. Eine halbe Minute vor der Abfahrt kamen sie abgehetzt beim Bahnhof Büxen an.

Baltasar, der Buckelriese, stand bereits am Gleis und brabbelte in seinen Backenbart: »Bitte beeilen am Bahnsteig!«

Annablitz und Zacka sprinteten zum Wagen.

Baltasar klatschte in die Hände und rief: »Hitscha!« Bei dem Zauberwort gingen sofort die Türen zu. Der Buckelriese blies in seine brandneue Trillerpfeife, und der Zug brauste los.

»Ich habe unser reserviertes Abteil gefunden«, sagte Zacka.

Hexe Annablitz betrat das Blumen-Abteil. Darin saßen schon ein blasses Gespenst und eine bildhübsche Fee. »Ich bin Annablitz«, begrüßte Annablitz die beiden.

Die bildhübsche Fee lächelte. »Ich heiße Bärbel.«

»Und ich bin Bubu«, sagte das blasse, noch sehr junge Gespenst. Dann machte es laut: »Buh!«

Annablitz und Zacka lachten. »Du bist ja süß«, sagte Annablitz.

Bubu beschwerte sich: »Bin überhaupt nicht süß. Bin böse.«

Bärbel hielt sich den Bauch vor Lachen. »Du bist viel zu lieb, um böse zu sein.«

»Buhuhuuuu!«, heulte Bubu.

Hexe Annablitz wurde selber ganz betrübt. Aber dann hatte sie eine blendende Idee. »Bitte erschreck mich noch mal«, sagte sie zu Bubu.

»Buhhh!!!«, machte Bubu und zeigte seine blitzenden Backenzähnchen.

»Hilfe, ein bissiges Gespenst!«, brüllte Annablitz und ließ sich auf den Boden fallen.

»Bravo!«, lobte Zacka.

Bubu grinste breit. »Bin eben doch böse.«

Bärbels Augenbrauen zuckten, aber sie lachte nicht, sondern half Annablitz wieder auf die Beine. »Bitte schön. Du hast übrigens drei Wünsche bei mir frei.«

»Oh!«, sagte Annablitz überrascht. »Ich habe gerade gar keine Wünsche. Ich bin wunschlos glücklich.«

Bärbel beschloss: »Kein Problem. Heb dir die Wünsche für später auf.«

Annablitz bedankte sich. Dann bugsierte sie ihren blauen Koffer auf die Ablage, legte den Besen behutsam daneben und machte es sich bequem. Der Zug brauste über viele Berge, aber der Brocken war noch weit. Annablitz bekam Hunger auf eine Banane. Wie ging noch gleich der Zauberspruch? Annablitz wollte nicht den bleischweren Koffer von oben herunterholen, um das Zauberbuch herauszuholen. Sie zauberte einfach los: »Buntibus-Banana!«

In hohem Bogen brauste ein Buntstift daher. Zacka bog sich vor Lachen.

Annablitz beachtete den Raben gar nicht und probierte es ein zweites Mal: »Bienibus-Banana!«

Auf ihrem Oberschenkel landete ein Glas Bienenhonig. Auch ganz brauchbar, aber immer noch keine Banane. Jetzt musste Annablitz doch das Zauberbuch befragen.

Bald darauf rief sie: »Bingo! So geht der Zauberspruch: Banibus-Banana!«

Und schon waren sieben Bananen da. Annablitz tauchte eine Banane in den Bienenhonig. Boah, lecker!

Bärbel blickte verstohlen herüber. »Ich glaube, Bubu will auch eine Banane.«

»Aber gerne.« Annablitz warf Bubu und Bärbel zwei Bananen zu.

Heimlich beugte Zacka sich über das Zauberbuch und pickte das große C heraus.

»Aus, basta!«, befahl Annablitz. »Bring das C zurück ins Buch. Sonst funktionieren alle Zaubersprüche mit C nicht mehr.«

Aber es war schon zu spät. »Bäh!«, machte Zacka. Und plötzlich brabbelte er los: »Herbse orbse lerbse / derbse irbse rerbse / derbse orbse cerbse herbse / derbse erbse irbse nerbse / Berbse urbse cerbse herbse! Ferbse arbse nerbse gerbse / merbse irbse cerbse herbse!«

Annablitz wurde bleich. Zacka hatte die magische Überraschungstüte geöffnet! Sobald man einen bunten Anfangsbuchstaben aus dem Zauberbuch herausnahm, bekam man eine magische Fähigkeit. Aber man wusste nie, welche … Weil Zacka sich das C gegrapscht hatte, beherrschte er jetzt plötzlich die Erbsensprache.

Annablitz verstand bloß Bahnhof. In der Schule hatte sie zwar mal Erbsensprache gehabt, aber das war lange her …

»Bleib da!«, befahl Annablitz.

»Nerbse erbse irbse nerbse!«, krächzte Zacka und flatterte aus dem Abteil.

»Buhbuh?« Das Gespenst blinzelte verwirrt. Aber das bekam Annablitz schon nicht mehr mit. Wie der Blitz sauste sie ihrem Raben hinterher.

Cha-cha-cha!

Annablitz checkte den Gang. Drache Carmelo brachte gerade einen Cappuccino zu Mascha, der Sphinx mit dem schicken Cape.

Annablitz schubste Carmelo zur Seite. »Entschuldigung, ich muss hier durch!«

Der Cappuccino schwappte über. »Ach du dickes Drachenei!«, fauchte Carmelo. »So geht das aber nicht!«

»Ich hab keine andere Chance«, rief Annablitz zurück.

Dann entdeckte sie Zacka. Er verschwand gerade in Wagen C. Annablitz stürmte hinterher und riss die Tür auf. Im Wagen C war es stockdunkel und verdächtig ruhig. Annablitz knipste ihre Taschenlampe an.

»Autsch!« Sie stieß gegen ein Campingzelt. »Was ist denn hier los?«, fragte Annablitz.

Erschrocken steckte ein Gnom den Kopf aus dem Campingzelt. »Mach sofort die Taschenlampe aus!«

Annablitz gehorchte. »Immer freundlich und charmant bleiben, ja? Ich bin Annablitz, und wer bist du?«

»Ich heiße Crispin«, antwortete der Gnom. »Ciao!«, schob er nach. Das klang schon charmanter.

»Warum ist es denn hier so dunkel?«, wollte Annablitz wissen. »Möchtest du chillen?«

»Nein.« Crispin pflückte zwei Cornflakes von seiner Cordhose. »Nein. Normalerweise lebe ich unter der Erde. Mir war es im Abteil viel zu hell. Deshalb habe ich alle Lichter bis auf die Notbeleuchtung ausgemacht.«

Plötzlich krächzte jemand.

»Zacka?«, fragte Annablitz. »Bist du das?«

»Hilfe!« Das war eindeutig Zacka. Jetzt redete er nicht mehr in der Erbsensprache.

»Wo bist du?«, fragte Annablitz.

»Hier drinnen im Campingzelt«, antwortete Zacka. Er klang schrecklich hilflos.

Annablitz kroch ins Zelt hinein. Sie konnte nur dunkle Schatten erkennen. Da strich etwas über ihr Gesicht. War das vielleicht eine weiche Feder?

»Ach, hier bist du!«, sagte Annablitz. »Komm doch raus.«

»Geht nicht.« Zacka war ziemlich kleinlaut. »Ich stecke in einem Topf mit Currysuppe fest.«

»Crispin? Hilfst du mir mal?«, fragte Annablitz.

Der Gnom kroch mit Annablitz ins Campingzelt. Zu zweit halfen sie dem frechen Raben aus dem Currytopf und brachten ihn aus dem Campingzelt heraus.

Annablitz knipste kurz ihre Taschenlampe an und schnappte nach Luft. »Siehst du cool aus!« Der schwarze Rabe war vom Kopf bis zu den Krallen gelb – currygelb!

»Licht aus!«, schimpfte Crispin wieder.

Zacka schüttelte sich. »Ich hasse Curry«, beschwerte er sich.

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