Für Martina, Matthias, Christiane, Armin und Yan, die Familie, die ich mir immer gewünscht habe und ohne deren verrückte Ideen Kalle vielleicht nie geboren wäre.

1. Paul und der Raketen-TEK

»Mama! Wo ist mein Weltraumschlafanzug?«

Paul steckt kopfüber in der mittleren Schublade seiner Kommode und wühlt den Stapel mit Schlafanzügen durch. Einer nach dem anderen fliegt in hohem Bogen durch die Luft: der Feuerwehrschlafanzug, der mit den Autos und sogar der Fußballschlafanzug.

Mama kommt ins Kinderzimmer. »Paulchen Panda, was machst du denn da?«

»Ich suche meinen Weltraumschlafanzug …«, brummt es aus der Schublade.

»Aber den habe ich doch hier!«

Paul zieht den Kopf heraus und pustet sich die verstrubbelten hellblonden Haare aus dem verschwitzten Gesicht.

»Ach so …« Er grinst Mama an. »Wo war der denn?«

Mama schüttelt den Kopf und hält Paul seinen Lieblingsschlafanzug hin: »Na, im Wäschetrockner. Ich musste ihn mal waschen, du willst ja keinen anderen mehr anziehen.«

Paul schnappt sich den Weltraumschlafanzug und steckt die Nase tief hinein. Er duftet herrlich frisch gewaschen und ist noch ganz warm vom Wäschetrockner. Während Paul die Schnallen seiner Entdeckerlatzhose öffnet und seinen grün-weiß geringelten Lieblingspulli über den Kopf zieht, deutet Mama auf die Schlafanzüge am Boden.

»Sollen wir die hier ausmisten?«

»Was? Warum denn?«, fragt Paul ein bisschen empört.

»Nun, weil du sie sowieso nicht mehr anziehst? Wann, zum Beispiel, hattest du den Fußballschlafanzug das letzte Mal an?«

Paul findet diese Frage außerordentlich merkwürdig. Was hat das eine denn mit dem anderen zu tun? Momentan hat er in der Nacht eben mehr mit dem Weltraum zu schaffen, aber das kann Mama ja nicht wissen.

»Mama …«, antwortet er und hebt dabei den Finger, wie Opa es immer tut, wenn er Paul etwas erklärt, »… Mama, die Zeit für den Fußballschlafanzug wird schon noch kommen.«

Mama lacht: »Hahaha, mein neunmalkluger Pandabär, na gut. Dann räume bitte die anderen Schlafanzüge wieder in die Schublade.«

Paul versucht zu nicken, während er das Oberteil seines Weltraumschlafanzugs über den Kopf zieht.

Im Hinausgehen dreht Mama sich noch mal um: »Hast du schon Zähne geputzt?«

Paul schlüpft in die Schlafanzughose. »Nein, aber können wir davor noch schnell mein Auto reparieren? Du musst mir nur helfen, die Tür wieder anzukleben und …«

Mama runzelt die Stirn und legt den Kopf ein wenig schief: »Nein, Paul. Es ist Schlafenszeit. Das Auto kannst du morgen nach dem Kindergarten mit Opa reparieren. Ab ins Bett! Ich komme gleich und lese dir noch eine Geschichte vor.«

Mama verlässt den Raum, und Paul räumt murrend die Schlafanzüge zurück in die Kommode. Dann tapst er barfuß ins Bad, putzt Zähne und wäscht sich Gesicht und Hände. Paul liegt schon im Bett, als der große Zeiger seiner Piratenwanduhr auf die Sechs springt, während der kleine genau zwischen der Acht und der Neun steht.

»Mamaaaaaa … ich bin im Beeeeeheeeeeeett!«, ruft er und zieht Konrad, seine Stoffratte, unter dem Kissen hervor.

Mama kommt zurück ins Zimmer und nimmt das Buch über Drachen vom Nachttisch, das Paul von Opa geschenkt bekommen hat. Im Moment findet Paul Drachen richtig spannend. Aber leider hat Mama die Geschichte viel zu schnell zu Ende gelesen. »Bitte, nur noch eine Geschichte, Mama!«

Doch Mama schüttelt den Kopf: »Nein, Paul. Eine reicht, es ist schon spät. Die nächste lesen wir morgen.«

»Manno, Mama, ich bin doch kein Baby mehr.« Paul verdreht ein bisschen genervt die Augen.

Mama küsst ihn auf die Stirn und murmelt: »Stimmt. Schade eigentlich. Als Baby hast du freiwillig geschlafen. Gute Nacht, Pandabär.«

Paul schlingt die Arme um Mamas Hals und riecht an der Stelle hinter ihrem Ohr, die immer ganz besonders gut nach Mama duftet.

Dann flüstert er: »Nacht, Mama. Sei nicht traurig. Je größer ich werde, desto mehr kann ich dich lieb haben.«

Mama kichert und gibt ihm noch einen dicken Kuss. »Gute Nacht, Großer. Ich hab dich auch lieb!«

Als Mama das Licht ausschaltet, steckt Papa den Kopf zur Tür herein: »Gute Nacht, Paulchen, schlaf gut.« Dann schließen Pauls Eltern die Zimmertür hinter sich.

Während Paul sich mit Konrad unter der Decke zurechtkuschelt, hört er Mama und Papa leise im Wohnzimmer miteinander reden.

Er kneift die Augen zusammen und seufzt laut. Jetzt muss er versuchen einzuschlafen. Doch das will wieder einmal gar nicht klappen.

Tock, tock, tock! …

… klopft es plötzlich an sein Fenster.

Auf Pauls Gesicht breitet sich ein Grinsen aus.

Er weiß schon, wer das ist.

So leise wie möglich springt Paul aus dem Bett und schleicht, so schnell wie möglich, zum Vorhang, den er mit einem lauten Ratsch aufzieht.

Paul wird vor Aufregung ganz kribbelig.

Draußen, direkt vor seinem Fenster, mitten in der Luft, parkt eine feuerrote Rakete mit drei türkisfarbenen Raketenantrieben. Die Raketenspitze ist gelb mit einem Kranz blinkender Lichter drum herum.

In der offenen Raketenluke sitzt ein Astronaut, ziemlich genauso groß wie Paul, und grinst. Er trägt einen blau-gelben Astronautenanzug mit ausgebeulten Taschen. Seine Haare haben die gleichen Farben wie sein Anzug. Sie sind gelb und blau und stehen in alle Richtungen von seinem Kopf ab.

Durch die geschlossene Scheibe winkt Paul ihm zu. Der Astronaut zückt ein kleines Kästchen, das aussieht wie eine Fernbedienung, und drückt ein leuchtend grünes Knöpfchen.

Im Nu verschwindet die Fensterscheibe vor Pauls Augen. »Hey, Paul! Alles klar? Kannst du mal wieder nicht einschlafen? Dein Seufzen hat man ja bis zum Mond gehört«, ruft der kleine Astronaut.

»Hey, Kalle! Ja, alles klar!«, antwortet Paul.

»Du, ich bräuchte deine Hilfe …« Kalle schnipst mit zwei Fingern in Pauls Richtung.

Wow! Kalle braucht seine Hilfe.

Pauls Herz klopft ein bisschen schneller.

So lässig wie möglich antwortet er: »Klar, wobei denn?«

Kalle pustet sich eine blaue Haarsträhne aus dem Gesicht, bevor er antwortet: »Wir machen heute Raketen-TEK und könnten noch ein paar Hände mehr gebrauchen.«

»Ihr macht was?«, fragt Paul verwirrt.

»R-A-K-E-T-E-N-T-E-K!«

Kalle betont jeden Buchstaben so, als wäre Paul schwerhörig.

»Mensch, Kalle, ich bin doch nicht taub«, kichert Paul. »Ich weiß nur nicht, was ein Raketen-TEK sein soll.«

Kalle runzelt die Stirn und kratzt sich am Kopf. »Na, Raketen-Technikkontrolle. Wir überprüfen, ob alles läuft. Und dann machen wir gleich noch eine SIP hinterher.«

Jetzt ist Paul doch etwas genervt. »Und was, bitte schön, soll eine SIP sein?«

»Sicherheitsprüfung.« Kalle fischt einen Kaugummi aus seiner Hosentasche und schiebt ihn sich in den Mund. »Die ist gar nicht so einfach. Wäre cool, wenn du uns dabei helfen könntest.«

Das klingt spannend, Paul nickt: »Okay. Warte …«

Blitzschnell flitzt er zurück zum Bett und stopft Konrad in den Bund seiner Schlafanzughose. Dann steckt er sich seine geliebte Taschenuhr, die Opa ihm zum fünften Geburtstag geschenkt hat, in die Hosentasche. Vorne ist sie eine Uhr und hinten ein Kompass. Außerdem spielt sie eine lustige Melodie, wenn man den Deckel öffnet.

Als Paul alles verstaut hat, klettert er vorsichtig auf das Fensterbrett. Kalle nickt ihm aufmunternd zu, und mit einem kleinen Hops springt Paul direkt neben ihn in die Rakete. Dort kennt Paul sich schon aus. Schließlich hat er bereits ein großes Abenteuer mit Kalle und dessen Freunden All-Fred und Krissie Kristall hinter sich.

Paul lässt sich in den weichen Kopilotensessel fallen und schnallt sich an. Kalle drückt Knöpfe, zieht Hebel und dreht Griffe, bis die Raketenantriebe qualmen.

»Startklar, Paul? Kann’s losgehen?«

Paul spürt das Vibrieren der Rakete und nickt glücklich: »Startklar. Es kann losgehen!«

2. Die Buchreisemaschine

»Achtung! Festhalten!«, ruft Kalle Komet.

Dann drückt er den Gashebel nach oben.

Die Rakete düst los, und Paul wird in seinen Sitz gedrückt. Sie zischen über die Hausdächer und Baumwipfel hinweg, senkrecht in den Himmel bis ins Weltall hinein.

Den Weg durchs All kennt Paul bereits, trotzdem kann er sich nicht sattsehen an all den Dingen, die an seinem Fenster vorbeisausen: Neben funkelnden Sternen und majestätischen Planeten entdeckt er heute einen knallpinken Regenschirm, eine Fahrradkette und einen blauen Staubsauger, die einfach so im All herumschweben.

Während Paul sich staunend die Nase am Fenster platt drückt, flitzen sie an der grünen Ampel vorbei über die Weltallkreuzung. Geschickt fädelt sich Kalle in den Kreisverkehr rund um die Verkehrsinsel ein, die aussieht wie eine riesengroße Pizza. Sie lassen die Weltraumbushaltestelle hinter sich, biegen nach rechts ab und nehmen die Ausfahrt direkt zum Mars, wo Kalle wohnt.

Als die Rakete abbremst und zur Landung ansetzt, winkt ihnen von unten bereits All-Fred, Kalles bester Freund, zu. Paul winkt zurück. Er ist sich ganz sicher, dass All-Fred der schlaueste Kopf im ganzen Weltall ist. Während Kalle wieder viele Knöpfe drückt und Hebel schiebt, schnallt Paul sich ab und springt auf die Raketenluke zu, die sich langsam vor ihm öffnet.

Draußen steht All-Fred und sieht aus wie immer: Er hat eine Brille mit eckigen Gläsern auf der Nase und trägt eine viel zu weite grüne Hose, die von gelben Hosenträgern gehalten wird.Die wiederum spannen sich über ein blau-schwarz kariertes, bis oben zugeknöpftes Hemd. Auf dem Kopf hat er eine rote Schirmmütze, unter der strubbelige braune Locken hervorschauen.

Er winkt mit seiner Rechenmaschine in der Hand und ruft: »Hey, Paul! Cool, dass du uns beim Raketen-TEK hilfst.«

»Hey, All-Fred! Klar, mach ich mit beim … Raketen-TEK«, antwortet Paul. Er weiß gar nicht und überhaupt nicht, was ein Raketen-TEK ist. Aber dass es spannender ist, als im Bett zu liegen und zu schlafen, da ist er sich ziemlich sicher. Schnell klettert Paul die Leiter hinunter, lässt die letzte Stufe aus und springt auf den staubigen Marsboden. Kalle hüpft hinterher.

Neugierig sieht Paul sich um: Hier war er noch nie, und es sieht alles furchtbar spannend aus. Die Rakete ist auf einer Plattform gelandet, die sich jetzt ein Stück anhebt. Gerade so viel, dass man sich bequem darunterlegen kann. Wie in einer Autowerkstatt, denkt Paul. Da war er nämlich neulich erst mit Papa.

In der Nähe steht ein großes Gebäude mit einem hellen Neonreklameschild, auf dem in Leuchtbuchstaben etwas geschrieben steht.

»Was ist das?«, fragt Paul All-Fred.

»Das Raketen-Technikkontrollzentrum. Wir müssen hier alle Funktionen von Kalles Rakete kontrollieren und eine Sicherheitsprüfung machen. Dann checkt das die Chefmechanikerin aus dem Kontrollzentrum noch mal, und wenn alles okay ist, dürfen wir die Prüfplakette draufkleben. Allerdings ist diese Mechanikerin ziemlich streng. Da muss alles stimmen.«

All-Fred seufzt, und Paul nickt. Auch das kennt er von ihrem Familienauto. Da klebt ebenfalls so eine Plakette drauf, die bedeutet, dass das Auto sicher ist. Ohne die dürfen Mama und Papa damit nicht fahren.

Plötzlich hört Paul ein zischendes Geräusch hinter dem Kontrollgebäude.

Eine bunte Gestalt auf einem Skateboard rast um die Ecke.

»Hey, Krissie! Cool, dass du kommst!«, ruft Kalle.