Sven j. Olsson

 

No Problem, Sir!

Indische Momente

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Impressum

 

Sven j. Olsson

No Problem, Sir! · Indische Momente

 

Texte und Fotos aus mehreren langfristigen Aufenthalten in Indien.

Veröffentlichungen, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung.

Alle Fotorechte beim Autor.

Herausgeber: Sven j. Olsson

olsson@olsson.de · www.olsson.de

 

© 2017

Kadera-Verlag · Norderstedt

www.kadera-verlag.de · verlag@kadera.de · kadera.verlag.shop

Druck-Ausgabe: ISBN 978-3-944459-44-8

E-Book in 2 Bänden:

Band 1: 978-3-944459-70-7 – Band 2: 978-3-944459-71-4

 

 

 

Vorwort

 

Wir haben das gedruckte Buch »No Problem, Sir!«, das auf jeder rechten Seite ein vollformatiges Bild hat, für die E-Book-Version in zwei Bände aufgeteilt. Wenn Sie diesen zweiten Band angeklickt haben, geht es Ihnen so ähnlich wie Sven j. Olsson es in seinem Vorwort formulierte: »Immer wenn Inder mich fragen, wie mir Indien gefällt, muss ich überlegen, denn es gibt kaum etwas, das mich ungeteilt für dieses Land einnimmt. Dennoch stelle ich am Ende jeden Gesprächs fest: Ich will wiederkommen. Ich weiß nicht wieso, aber so ist dieses Land eben: Man kriegt nicht genug davon.«

Tauchen Sie also erneut ein in dieses faszinierende Chaos. Erleben Sie in den kleinen Alltagsgeschichten die »indischen Momente«, über die wir uns wundern, was wiederum die Inder wundert – es ist doch alles »No Problem, Sir!«

 

Im indischen Alltag

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Am illegalen Tisch

 

Der Hunger quält und führt uns zum East of Kailash E-Block Market. In Delhi hat jeder Wohnblock einen oder zwei Märkte mit Restaurants, einer Vielzahl kleiner Geschäfte und Banken. Da gibt es Kinos, Buchhandlungen, Schneider und Wasserlieferanten und – wie überall auch hier zwischen den mehr oder weniger heruntergekommenen Gebäuden – einige Imbisse.

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Drei Mal um die Ecke, zwei Straßen überqueren, vorbei am Schuster auf dem Bürgersteig, die Fastfoodkette links liegen lassen, zwei größere Wasserlachen umkurven, dann sind wir am Ziel: unser Imbiss.

Um genau zu sein: Es sind zwei Imbisse nebeneinander. Jeweils ein Tresen, dahinter der Herd und eine kleine Arbeitsfläche. Mehr Küche braucht es nicht. Auf der Fläche vor den Tresen stehen sechs, ehemals weiße Plastiktische mit je vier ebensolchen Stühlen unter freiem Himmel. Wir setzen uns, bestellen Uttapam und Dosa und beobachten in der Wartezeit das Treiben um uns herum. Unter dem Baum hockt der Alte mit der roten Strickmütze, mit dem aufgerollten Rand, der penibel und in stoischer Ruhe gegen Entgelt Ohren reinigt. An der Ecke schräg gegenüber, neben dem Zigarettenladen, der wine & beer shop, mit der üblichen Nicht-Schlange vor dem Tresen, über der Alkohol ausgegeben wird. Vis-à-vis vor dem Tandoorofen, sitzt ein Pärchen und teilt sich ein chicken masala.

Das Essen kommt – und jäh bricht der Kellner in hektische Betriebsamkeit aus. Eilig stapelt er die Stühle ineinander, bringt sie weg. Die Tische verschwinden – nur unser bleibt. Der Kellner lächelt. Kleine Geste: Sitzen bleiben! Wir erfahren, dass die Polizei unterwegs ist – die Tische sind illegal. Aber, wir sollen uns keine Sorgen machen.

Nicht nur, dass wir in einer Wohnung wohnen, die es eigentlich nicht gibt, nun sitzen wir auch noch an einem Tisch, den es nicht gibt. Nur gut, dass das Essen real ist. Irgendwann später, wir sind längst fertig, kommen die Tische und die Stühle mit größtem Selbstverständnis wieder an ihren Platz. Und die Polizei? Nichts Genaues weiß man.

 

 

Sonntagmorgen in Delhi

 

Sonntag ist es, morgens gegen 9.20 Uhr. Wir bereiten gerade das Frühstück zu und freuen uns über die fast himmlische Ruhe, in der Ferne tönen leise zwei Züge, keine Hupen, nur ein paar frühe Tauben, da beginnt nebenan die Symphonie der Baugeräusche – nein, es ist keine Symphonie. Klassische Musik europäischer Konvenienz ist hier fremd, Inder sind Jazzer.

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Und da ist es auch schon, das typische Frage-und-Antwort-Spiel. Von unten, aus einem anderen Stockwerk, kommen leise kurze Schläge und im Zimmer nebenan werden sie aufgenommen und zu trockenen, lauten Tönen, der Hammer phrasiert ein neues Thema, ein Meißel antwortet und da hinein mischt sich der erste Stock, das Duett wird zum Terzett, es kommt zum Höhepunkt – dann Stille.

Kaum ebbt die jazzige Impression »Baulärm« ab, da stehen die Maler vor der Tür, um die Fassade zu gelben. Sie sind zu dritt. Zwei zum Arbeiten, ein Aufseher zum Kontrollieren. Während auf dem Balkon ein wenig Pappe ausgelegt und die Farbeimer in Stellung gebracht werden, sitzt der owner auf der anderen Straßenseite in seinem beigen Plastikstuhl und betrachtet voller Stolz die Vollendung seines Hauses. Üblicherweise hockt er in seinem Kleinwagen, aber angesichts des beginnenden Frühlings hat er sich einen Plastikstuhl aus dem Souterrain bringen lassen. Irgendwo klingelt ein Telefon, die Holzleiter wird durch die Wohnung getragen und macht keinen vertrauenerweckenden Eindruck, die Rundstäbe und Äste sind nur mit Tau verbunden. Aber sie hält, tut ihren Zweck, was will man mehr.

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Das Abdecken des Boden entpuppt sich als fake. Die Farbe kleckert nicht nur auf das kleine Stück Pappe, nein, der ganze Balkon bekommt etwas ab. Und der owner sitzt immer noch in seinem Plastikstuhl und bewacht sein Haus.

Heute soll »the American lady« einziehen, die dem owner Sorgen bereitet, da sie allein ist. »She will make trouble!«

»Why?«

»She is alone!« Er sieht bereits Horden von willigen, gierigen Männern durch sein Haus ziehen.

»I don’t think so!«. Ob ihn meine Einschätzung beruhigt hat, glaube ich nicht, aber hätte ich ihn in seiner Angst bestärken sollen? Die Pause der Jazzmaurer nebenan ist zu Ende. Sie hatten nur kleine Gläser Tee zur Stärkung, und sie jammen aus Leidenschaft.

Das Konzert geht in die zweite Hälfte. Vereinzelte Schläge ziehen durchs Haus, als wollten die Arbeiter ihr Instrument stimmen. Wenig später wird erneut improvisiert, was Hämmer, Meißel und Mauerwerk nur möglich machen. Da swingt die Wand und die Schlagzeuger akzentuieren den Offbeat. Blue Notes aus dem 1. Stock mischen sich ein, die Rhythmen und Tempi wechseln, Schleiftöne kommentieren aus dem 2. Stock, Phrasierungen wandern ins Erdgeschoss und zurück, werden variiert, ein Hammer klopft ein Solo, nebenan wird gegroovt, was die Baustelle hergibt – das Zusammenspiel erreicht neue, ungeahnte Höhepunkte, die Lautstärke auch.

Leider müssen wir noch auf den plumber sowie auf den Elektriker warten, damit wir endlich heißes Wasser zum Abwaschen haben. Doch anschließend werden wir den Jazz der Baustelle gegen die Symphonie der Großstadt tauschen.

 

Immerhin scheint in Delhi die Sonne, der Frühling kommt und irgendwo harrt ein Markt auf unseren Besuch. Oder wir machen, wie so viele andere, einen Sonntagsausflug zum India Gate.