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Thomas Campbell
mit T. Colin Campbell
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ABNEHMEN MIT DER
CHINA STUDY®
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Die einfache Art, um mit veganer Ernährung Gewicht zu verlieren und Krankheiten vorzubeugen
Für Fragen und Anregungen:
info@rivaverlag.de
1. Auflage 2018
© 2018 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
Die englischsprachige Originalausgabe erschien 2015 bei Rodale books unter dem Titel The Campbell Plan. This translation published by arrangement with Rodale Books, an imprint of the Crown Publishing Group, a division of Penguin Random House LLC. © Thomas Campbell, MD. The China Study ® is a registered trademark of T. Colin Campbell and Thomas M. Campbell II.
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Dieses Buch ist als reiner Ratgeber gedacht, nicht als medizinisches Handbuch. Alle Informationen sollen dem Leser dabei helfen, fundierte Entscheidungen über die eigene Gesundheit zu treffen. Es ist kein Ersatz für ärztliche Beratung und ärztlich verschriebene Behandlungen. Im Falle eines gesundheitlichen Problems sollte dringend medizinische Hilfe gesucht werden.
Die im Buch angegebenen Internetadressen und Telefonnummern waren bei Redaktionsschluss korrekt.
Die Kochrezepte wurden mit Genehmigung der folgenden Urheber abgedruckt:
• Erin Campbell
• Karen Campbell
• StraightUpFood (http://www.straightupfood.com/blog/) von Cathy Fisher
• The China Study Cookbook, © 2013 LeAnne Campbell
• Better Than Vegan, © 2013 Del Sroufe und Glen Merzer
• Everyday Happy Herbivore, © 2011 Lindsay S. Nixon
• FatFree Vegan Kitchen (http://blog.fatfreevegan.com/) von Susan Voisin
• Prevent and Reverse Heart Disease: The Revolutionary Scientifically Proven, Nutrition-Based
Cure von Caldwell B. Esselstyn Jr., © 2007 Caldwell B. Esselstyn Jr., M.D. Mit Genehmigung von Avery Publishing, einem Imprint der Penguin Group (USA) LLC.
Übersetzung: Teresa Zuhl
Redaktion: Katrin Koelle
Umschlaggestaltung: Laura Osswald
Umschlagabbildung: Shutterstock.com/Alexander Raths
Satz: ZeroSoft, Timisoara
Druck: GGP Media GmbH, Pößneck
Printed in Germany
ISBN Print 978-3-7423-0496-4
ISBN E-Book (PDF) 978-3-7453-0017-8
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-7453-0018-5

Inhalt

Vorwort
Einleitung
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Teil 1: Basiswissen der Gesundheit
1. Die China Study®
2. Die Höhlenbewohner zählen Kohlenhydrate
3. Die drei Lebensmittelgruppen
4. Übung macht den Meister
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Teil 2: Aktuelle Themen
5. Verarbeitete Pflanzen: Zucker und Soja
6. Öle und Fette
7. Fisch
8. Finger weg von Weizen?
9. Eine glutenfreie Welt
10. Bio- und Gentechnik
11. Die verrückte Welt der Nahrungsergänzungsmittel
12. So füttert man Kinder
Teil 3: Der Campbell-Plan: Abnehmen und gesund bleiben mit der China Study®
13. Der Campbell-Plan: Alles Alte muss raus
14. Der Campbell-Plan: Neues rein
15. Der Campbell-Plan: Speiseplan und Einkaufsliste
16. Der Campbell-Plan fürs Leben: So gelingt die langfristige Veränderung
17. Zusammenfassung
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Teil 4: Rezepte
Frühstück
Mittagessen
Abendessen
Desserts
Danksagung
Stimmen zu Abnehmen mit der China Study®
Stichwortverzeichnis
Anmerkungen
Für meine liebe Erin.
Für Mom und Dad, die gütigsten Revolutionäre, die ich kenne.
Und für die Patienten allerorts, die ihre Gesundheit selbst in die Hand nehmen wollen.

Vorwort

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In den letzten zwanzig bis dreißig Jahren habe ich Hunderte von Vorträgen über Ernährung und Gesundheit gehalten. Darin ging es meistens um die außergewöhnlich gesundheitsfördernden Eigenschaften einer vollwertigen Ernährung auf Pflanzenbasis (auf Englisch WFPB, kurz für »whole-food, plant-based«). In der Welt der Ernährung und Gesundheit tummeln sich unzählige Behauptungen und Gegenbehauptungen, aus denen das WFPB-Konzept heraussticht. Noch nie zuvor gab es ein so großes Interesse an diesem wunderbaren Weg zu guter Gesundheit. Manche fragen sich, warum sie jetzt erst davon hören, während andere einfach wissen wollen, wie man am besten mit der Ernährungsumstellung beginnt. Mit wachsendem Interesse kommen natürlich auch Fragen über die Beweise auf, auf die sich dieses Konzept stützt. Das rührt unter anderem daher, dass die Methode lang gehütete, ja fast heilige Meinungen und Praktiken infrage stellt.
Es ist daher besonders wichtig, dass jegliche Diskussionen auf wissenschaftlichen Ergebnissen basieren. Diese sind so überzeugend und vielversprechend, weil sie uns den Weg zur Lösung eines breiten Spektrums schwerwiegender gesellschaftlicher Probleme zeigen. Letztere sind vielschichtig und beschreiben das aktuelle menschliche Befinden sowohl in der Öffentlichkeit als auch im privaten Bereich. So unglaublich es für einige klingen mag: Was wir zu uns nehmen, hat einen kaum zu überschätzenden Einfluss auf die Lösung dieser Probleme. Denn die richtige Ernährung sorgt nicht nur für anhaltend gute Gesundheit und senkt dadurch die Gesundheitskosten, sie verhindert auch Umweltzerstörungen, vermindert unnötige Gewalt und bringt eine höchst gestörte Lebensmittelindustrie wieder ins Gleichgewicht. Auf den ersten Blick scheinen diese Themen sehr verschieden zu sein, doch sie haben alle eine gemeinsame Ursache: unsere Ernährung. Deshalb ist es entscheidend, nach den Beweisen für unsere WFPB-Methode zu fragen. Woher kommt sie, wie ist sie zu verstehen und wie wird sie angewandt?
Mein Sohn Dr. Tom Campbell kennt sich in diesen Fragen ungewöhnlich gut aus. Ursprünglich hatte er sich mit Schauspielerei und Kommunikation beschäftigt – er studierte Theaterwissenschaften an der Cornell University – wurde aber dann zum Mitautor unseres Buches »China Study«, denn er brachte Fähigkeiten mit, die unser Werk außerordentlich lesenswert und zu einem großen Erfolg machten. Aufgrund dieser Erfahrung und der sehr vielversprechenden Indizien für diese Ernährungsweise entschied er sich für eine medizinische Karriere und legte seine Facharztprüfung für Allgemeinmedizin ab. Sein Medizinstudium, sein tiefgreifendes Wissen über Ernährung und seine Erfahrung mit den Patienten seiner Klinik sind eine ausgezeichnete Kombination und Voraussetzung für die fundierte Untersuchung wissenschaftlicher Belege, sowohl für seine Patienten als auch Kollegen.
Die Beweise müssen stimmen. Und dafür braucht es eine Auseinandersetzung mit den schwierigen Themen, von denen man immer wieder hört und um welche heiß diskutiert wird – leider oft mit wenigen oder sogar ganz ohne fundierte Beweise. Dabei denke ich zum Beispiel unter anderem an Themenbereiche wie Omega-3-Fettsäuren (Nahrungsergänzungs- versus Lebensmittel), kohlenhydratarme Diäten (welche Arten von »Kohlenhydraten« sind gemeint?), Gluten-Sensitivität (wer ist betroffen?), Fischöl (ist es sinnvoll, und wenn ja, in welchen Mengen?), Weizen und anderes Getreide (gut für Fettbäuche oder eine gute Ballaststoffquelle?), Bio-Lebensmittel (gute Nährstoffe oder schlechte Chemikalien?) und Genmanipulation (Lösung für den Welthunger oder Gesundheitsgefahr?). Das sind einige der Fragestellungen, mit denen sich Tom auseinandersetzt. Dabei stützt er sich auf stichhaltige wissenschaftliche Belege.
Neben seiner Arztpraxis und seiner Dozentenrolle an der University of Rochester Medical School ist Tom außerdem der verantwortliche Direktor unseres gemeinnützigen »Center for Nutrition Studies«. In Zusammenarbeit mit dem in den USA sehr anerkannten Onlineprogramm der Cornell University bieten wir eine wachsende Zahl an Internetkursen an. Als Mitautor der »China Study« und durch einen Abschluss (nach drei vollen Studienjahren) in Forschungs- und Inhaltsmethodik für Ernährungswissenschaften besitzt Tom erstklassiges Ernährungswissen, dass er sowohl der Öffentlichkeit als auch seinen Medizinerkollegen näherbringt.
Dieses Buch darf in keiner Bibliothek fehlen. Es ist sehr gut geschrieben und behandelt umstrittene Ernährungs- und Gesundheitsthemen aus einer frischen, einzigartigen Perspektive. Mit seinem Schreibstil und seiner Beweisanalyse vermeidet Dr. Campbell eine einseitige Argumentationsweise und zieht verschiedene Standpunkte in Betracht. Zu guter Letzt fasst er seine Ergebnisse in einem lesenswerten Ratgeber mit praktischen Tipps zusammen. Der hilft den Leserinnen und Lesern dabei, diese Art der Ernährung für sich selbst, ihre Familien, Freunde, ja ihr ganzes Umfeld und auch unserem Planeten zuliebe einfach anwenden zu können.
Die hier beschriebene Ernährungs- und Lebensweise ist äußerst wichtig, sowohl im Hier und Jetzt als auch in der Zukunft. Die Öffentlichkeit muss einfach davon erfahren, aber in einer informativen und verlässlichen Weise. Abnehmen mit der China Study erfüllt genau diese Voraussetzungen. Also blättern Sie weiter und überzeugen Sie sich selbst. Die wissenschaftliche Herangehensweise, praktischen Tipps und tollen Rezepte werden Ihnen sicher gefallen. Es ist ein Buch, das Ihrer Gesundheit und Ihrem Wohlbefinden enorm gut tun wird.
Dr. T. Colin Campbell

Einleitung

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Kurz klopfe ich an die braune Tür, mehr um mich anzukündigen, als um Erlaubnis zum Eintreten zu bitten. Gleich danach drehe ich den Knauf, öffne und stehe in einem sehr hellen Raum mit hellbraunen Wänden. Linker Hand stehen eine Untersuchungsliege, die mit zerknittertem Papier bedeckt ist, und dahinter Schränke sowie ein Waschbecken aus Edelstahl. Unzählige Male am Tag wasche ich mir dort meine Hände. Auf der rechten Seite befinden sich zwei Stühle und der Grund für meine Anwesenheit in diesem Zimmer: der Patient. Ich setze mich ihr oder ihm gegenüber auf einen kleinen Drehstuhl, logge mich in den Computer ein und öffne die Krankenakte.
Obwohl wir erst jetzt beginnen, über Symptome und Sorgen zu reden, hatte ich meine Begutachtung schon beim Betreten des Zimmers begonnen. In ein paar kurzen Augenblicken kann ich bereits erkennen, wie aufmerksam die Person ist, wie viel sie ungefähr wiegt und ob sie Bewegungsprobleme hat. Hat der Patient den Stuhl gewählt, der näher an meinem Schreibtisch steht oder den weiter weg? Erhebt er sich zur Begrüßung und schüttelt mir die Hand, etwas steif und formal? Oder schaut er so lange abwesend auf sein Handy, bis ich ein paar Fragen gestellt habe? Zweifellos nimmt mich der Patient ebenfalls in Augenschein. Wie viele graue Haare habe ich? Bin ich in Eile? Wie stelle ich mich vor? Und so beginnt eine Art Tanz. Unter meinen Medizinerkollegen bin ich weder der Einzige noch der Begabteste, wenn es um das »Lesen« von Menschen geht. Es gehört einfach zu unserem Beruf.
Das gleiche Spiel wiederholt sich etwa alle zwanzig Minuten, tagein, tagaus. Meine Patienten stammen aus allen Gesellschaftsschichten und kommen mit den unterschiedlichsten Beschwerden zu mir. Im Laufe der Zeit habe ich allerdings gemerkt, dass sich einige Themen oft wiederholen:
»Ich möchte Gewicht verlieren.«
»Ich will kein neues Medikament nehmen.«
»Ich möchte keine Schmerzen mehr haben.«
»Ich habe genug von ängstlichen und depressiven Verstimmungen.«
»Ich wäre gern gesund.«
Wenn ich mich mit den Patienten unterhalte und sie mir von ihren Problemen erzählen, dann fällt mir immer wieder auf, welch wichtige Rolle die Ernährung dabei spielt. Sie geht nämlich mit emotionaler und seelischer Gesundheit einher. Ein schlechter seelischer und emotionaler Zustand kann zu einer schlechten Ernährung führen, während ungesunde Kost emotionale und seelische Schwierigkeiten verursachen beziehungsweise sie verstärken kann. Fettleibigkeit, Diabetes, Arthritis-Schmerzen, Risikofaktoren für Herzerkrankungen wie hoher Blutdruck und ein hoher Cholesterinspiegel – sie alle haben mit der Ernährung zu tun. Trotzdem wissen das viele meiner Patienten nicht, wenn sie zum ersten Mal zu mir kommen. Ich arbeite nämlich nicht als Ernährungsberater. Meine Patienten sind ganz normale Menschen, die oft keine Kenntnis über mein Interesse und meine Erfahrungen in Sachen Ernährung haben, wenn wir uns kennenlernen. Ich bin ein ganz gewöhnlicher, traditioneller Allgemeinmediziner. Ich untersuche und behandle Säuglinge sowie junge und ältere Erwachsene. Ich kann die Erstuntersuchung eines Babys durchführen oder einen todkranken Großvater ins Hospiz überweisen. Ich kümmere mich um gynäkologische Anliegen und führe Gelenkinjektionen sowie Hautbiopsien durch.
Viele meiner Patienten – und dazu gehören auch jene, die unter Fettleibigkeit, Diabetes, hohem Blutdruck oder Herzkrankheiten leiden – wissen also noch nicht, dass sie ihre Ernährungsweise einmal genauer unter die Lupe nehmen sollten. In mir kommt eine gewisse Freude auf, wenn ich ihnen beim Schildern ihrer Krankheiten zuhöre und sie den Wunsch äußern, ein besseres Leben führen zu wollen. Das darf man jetzt nicht falsch verstehen: Es freut mich keineswegs, dass in unserer Gesellschaft so viele Menschen an Übergewicht, Angststörungen, Depressionen und Schmerzen leiden. Was mich vielmehr begeistert ist diese Hoffnung, die aufkeimt: Da sitzt jemand vor mir, der sein Leben ändern möchte, und ich könnte ihm dabei helfen. Wir könnten Partner werden. Es ist diese Hoffnung darauf, dass ich meine Arbeit tun und damit entscheidend etwas bewegen kann. Ganz einfach diese Hoffnung.
Meine Patienten sind Menschen wie Sie. Warum halten Sie dieses Buch gerade in den Händen? Was wollen Sie ändern? Füllen Sie die Lücke aus: »Was meine Gesundheit betrifft, möchte ich in einem Jahr_________.« Ich möchte, dass Sie diese Fragen ernsthaft beantworten. Und ich hoffe, dass Sie das motiviert, denn sogar das simple Stellen und Beantworten dieser Frage kann bereits Hoffnung wecken.
Natürlich gibt es immer Hindernisse, die einer erfolgreichen Veränderung im Weg stehen. Das wissen wir alle. Wie oft haben wir schon Diäten begonnen, die zwar eine Zeit lang gut gingen, dann aber wieder zu Gewichtszunahme führten? Wie oft haben wir uns schon im Fitnessstudio angemeldet, sind ein paar Monate hingegangen und fühlten uns dann schuldig, weil unsere Besuche immer seltener wurden? Wie oft haben wir versucht, jeden Tag Salat zu essen, und sind dann doch an unseren alten Essgewohnheiten gescheitert? Für viele von uns gehören diese Schwierigkeiten einfach dazu, wir kämpfen zeitlebens mit ihnen. Immer wiederholen sie sich, und nie erzielen wir die gewünschten Ergebnisse.
Das muss jedoch nicht so sein. Es gibt viele Faktoren, die Verhaltensänderungen nachweislich positiv beeinflussen. Obwohl ich damit das Risiko eingehe, bereits auf den ersten Seiten dieses Buchs zu viel zu verraten, kann ich jetzt schon sagen, welche Faktoren dazu gehören. Studien1 zufolge sind langfristige Veränderungen, wie ich sie empfehle, zum Beispiel wahrscheinlicher, wenn Sie:
1.klare, persönliche Gründe für eine Ernährungsumstellung haben und sich diese somit sehr wünschen;
2.Hindernisse (umweltbedingt, geistig, körperlich) minimiert haben, die einer Ernährungsveränderung im Weg stehen könnten;
3.über die nötigen Fähigkeiten und das Selbstvertrauen verfügen, die Sie für die Umsetzung der neuen Lebensweise brauchen;
4.den neuen Essgewohnheiten positiv gegenüberstehen und glauben, dass sie Ihnen gut tun werden;
5.Ihre Ernährungsziele mit Ihrem Selbstbild und sozialen Normen übereinstimmen;
6.von geschätzten Menschen und einer Gemeinschaft, die Ihre Ernährungsumstellung befürwortet, Unterstützung und Zuspruch bekommen.
Ich kenne Patienten, die an der Umsetzung ihrer Ziele scheitern, weil sie Probleme mit einem oder mehrerer dieser Faktoren haben. Allerdings glaube ich, dass Wissensmangel einer der häufigsten Gründe für einen Misserfolg ist. Viele Menschen würde es sehr überraschen, dass unser Essen einen tief greifenden Einfluss auf unsere Gesundheit hat. Dieser Einfluss ist stärker als fast alles, was der Arzt verschreiben oder tun kann. Richtige Entscheidungen bei der Lebensmittelwahl können alles zum Guten bewegen. Aber was ist die »richtige« Wahl? Sehr einfach: eine vollwertige Ernährung auf Pflanzenbasis. Es ist sehr wichtig zu wissen, wie die ideale Ernährungsweise aussieht und welches Ziel wir mit ihrer Hilfe verfolgen. Wenn wir also nicht wissen, ob wir kohlenhydratarm, vegan oder glutenfrei essen sollen, dann können wir ziellos so viel verändern, wie wir wollen. Trotzdem werden unsere Anstrengungen im Sande verlaufen: heute zum Frühstück Speck und Rahmkäse, morgen roher Salat und Reis. Vielleicht verlieren wir fünf Kilo mit einer Diät, nehmen sie wieder zu und mit der nächsten fällt uns das Abnehmen noch schwerer. Ich möchte Ihnen gern eins sagen: Wir brauchen keine Diäten mehr. Nie wieder Jojo-Effekt, nie wieder nach der »perfekten« Schlankheitskur suchen. Dieses Buch erklärt die ideale Ernährungsweise und wie man sie erreichen kann – ganz ohne Dramen.
Zusammen mit meinem Vater Dr. T. Colin Campbell schrieb ich die China Study® [auf Deutsch: »Die ›China Study‹ und ihre verblüffenden Konsequenzen für die Lebensführung«], die 2005 in den USA erschien. Mein Vater kann auf eine lange und herausragende Karriere in Ernährungsforschung, -lehre und -politik zurückblicken. Er ist eine der Koryphäen auf seinem Gebiet. Unser Buch zeigte, was wissenschaftliche Erkenntnisse über die optimale Ernährung verraten. Unser Fazit war Folgendes: Wer Gewicht verlieren, besser aussehen, sich besser fühlen, Krankheiten vorbeugen, sich von schlechter Gesundheit verabschieden, Herz, Nieren, Haut und Darm unterstützen und sein Krebsrisiko senken möchte, der sollte mehr Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte sowie Vollkorn zu sich nehmen und Fleisch (auch Geflügel!), Milchprodukte und industriell verarbeitete Lebensmittel meiden. Es ist das Beste und Wirksamste, was man tun kann.
Der Erfolg der China Study führte dazu, dass eine riesige Zahl Menschen ihre Ernährung umstellte und ihr Leben somit radikal umkrempelte. Ich bin der verantwortliche Direktor des gemeinnützigen T. Colin Campbell Center for Nutrition Studies, das über eCornell (das Onlineprogramm der Cornell University) Zertifikatskurse anbietet. Ich durfte vielen unserer Studenten bei ihren Aha-Erlebnissen zuschauen, in Momenten, die das ganze Leben für immer verändern. Wenn sie sich einmal ein fundiertes Wissen angeeignet haben, dann erkennen sie schnell, was es für eine bessere Gesundheit braucht und wie einfach und wirksam unsere Philosophie ist. Ärzte, Ernährungswissenschaftler und Laien – das Gelernte motiviert und inspiriert sie alle gleichermaßen.
Haftungsausschluss
Bevor ich zu viele Behauptungen aufstelle, erwähne ich lieber den Haftungsausschluss. Normalerweise findet man ihn auf den ersten Seiten von Medizinbüchern und er lautet in etwa so: »Dieses Buch dient nicht als Ersatz für medizinischen Rat. Vor jeglicher Ernährungsumstellung oder Anwendung einer neuen Methode sollte ein Arzt hinzugezogen werden.« Die Notwendigkeit eines Haftungsausschlusses zum Schutz der Autoren gegen klageeifrige Leser hat mich zwar schon immer überzeugt. Für dieses Ernährungsbuch ist er aber ganz besonders interessant, denn fast durch Zufall unterstreicht er die Stärken dieses Werks.
Die Kost, die wir zu uns nehmen, ist nämlich so wichtig für die eigene Gesundheit, dass Frühstück, Mittag- und Abendessen gewissermaßen zu medizinischen Entscheidungen werden. Der Leser oder die Leserin hat dieses Buch sicher aus einem bestimmten Grund gewählt. Vielleicht wollen Sie Gewicht verlieren, ihr Risiko für Herzkreislauferkrankungen senken, mehr Energie haben oder sich einfach besser fühlen. Ich möchte Ihnen deshalb gleich eins vorweg sagen: Wenn Sie sich richtig ernähren, dann wird das Ihrer Gesundheit besser tun als alles andere. Sie werden nicht nur energiegeladener sein und Gewicht verlieren, sondern auch Ihr Herz schützen und mehreren Krebsarten vorbeugen. Sie stellen außerdem die Weichen für anhaltende Gesundheit Ihres Gehirns, der Nieren, Lunge und des Verdauungstrakts. Schon nach ein paar Tagen zeigen sich Veränderungen im Blutfluss durch Ihren Kreislauf. Sie selbst können entscheiden, wie viel Zucker oder Cholesterin in Ihrem Körper zirkuliert. Auch chronische Erkrankungen, unter denen Sie schon Jahre leiden, können durch die Ernährungsumstellung besser werden oder gar ganz verschwinden. Es gibt keine Wundermittel gegen alle Krankheiten und für die perfekte Gesundheit. Allerdings kommt die Wahl unseres Essens solch einem Allheilmittel am nächsten. Richtige Ernährung ist die bedeutendste Entscheidung, die wir für unsere Gesundheit treffen können. Von ihr profitieren unzählige Aspekte unserer Gesundheit.
Lassen Sie sich aber nicht beirren. Ich empfehle trotz allem, dass Sie vor der Nahrungsumstellung Ihren Arzt hinzuziehen. Das ist besonders wichtig, wenn Sie Medikamente nehmen. Ihre Dosis kann sich nämlich aufgrund der neuen Ernährung ändern. Diabetespatienten, die sich für unseren Diätplan entscheiden, müssen ihre Medikamentenzufuhr eventuell reduzieren oder ganz einstellen. Dasselbe gilt für Menschen mit Bluthochdruck und einem hohen Cholesterinspiegel. Leserinnen und Leser, die bereits vom Gesundheitssystem betreut werden, werden dramatische positive Veränderungen in ihren Leiden sehen, wenn sie sich an die Tipps in diesem Buch halten. Also ziehen Sie Ihren Arzt ruhig hinzu. Aber auch wenn Sie sich gesund fühlen, rate ich Ihnen dazu, einige Blutuntersuchungen durchführen zu lassen. So können Sie die Ergebnisse vor und nach der Ernährungsumstellung vergleichen.
Ernährungsentscheidungen sind medizinische Entscheidungen. Veränderungen in der Nahrungsaufnahme haben demzufolge medizinische Konsequenzen. Das muss Ihnen klar sein. Die extrem wirksamen Strategien in diesem Buch können Ihre Gesundheit und Ihr Leben für immer verändern. Begeben Sie sich also nur unter medizinischer Aufsicht auf diesen Weg. Sagen Sie nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt.
Wer bin ich?
Vielleicht erstaunt es Sie, dass ich dem Essen und seinem Einfluss auf so viele Aspekte unserer Gesundheit eine derartige Bedeutung gebe. Vielleicht sind Sie auch skeptisch. Das ist gut so, denn eine gesunde Portion Skepsis braucht es in der Welt von Ernährung und Gesundheit. Vieles wurde noch nicht erforscht und unzählige Menschen versuchen, mit zweifelhaften »Geheimtipps« und Methoden Geld zu machen. Sie verkaufen alles, auch die noch so verrücktesten Ideen. Die Gesundheitsindustrie ist ein fruchtbarer Boden für Quacksalber und Scharlatane. Das stimmte schon vor hundert Jahren und ist auch heute noch so.
Woher wollen Sie also wissen, dass ich nicht auch ein Scharlatan bin? Das wäre doch möglich. Ich hoffe allerdings, dass Sie mir etwas Zeit geben, bevor Sie Ihr Urteil fällen, damit ich Sie vom Gegenteil überzeugen kann. Meine Reise in die Welt der Ernährungswissenschaft begann nach dem Jahr 2001. Zusammen mit meinem Vater schrieb ich die China Study. Mein Dad war auf einem Milchhof aufgewachsen und studierte passenderweise, wie man die Produktion von hochwertigem Tiereiweiß verbessern kann. Dabei glaubte er lange, dass wir Menschen mehr tierische Proteine von immer höherer Qualität zu uns nehmen sollten. Allerdings änderte sich seine Meinung nach jahrzehntelanger Forschung komplett. Seine anfängliche Verspottung von Vegetariern wich der Erkenntnis, dass es nichts Gesünderes gibt als Obst und Gemüse. Später kam er dann zu dem Schluss, dass die gesündeste Ernährungsweise weder Fleisch noch Milchprodukte enthält.
Während wir also das Buch schrieben und seine Geschichte der Öffentlichkeit erzählten, vertiefte ich mich ganz in die Forschungsarbeit, die diese Ernährungsweise mit besserer Gesundheit in Verbindung brachte. Wir brüteten über den Studien anderer Wissenschaftler. Einige ihrer spannendsten Ergebnisse fanden ihren Weg in unser Buch. Wir sprachen mit Ärzten und fragten sie nach den Gründen der Verschleierung von solch eindeutigen Fakten seitens unserer Ernährungs- und Gesundheitspolitik. Das Resultat ist ein Buch mit über 700 Bezugsquellen. Die meisten von ihnen sind Berichte über Primärstudien, die in medizinischen Fachzeitschriften erschienen sind.
Nach ein paar Jahren dieser Arbeit wurde ich Arzt. Statt mich mit Ernährung und Gesundheit zu beschäftigen, studierte ich jetzt Krankheiten, Diagnosen sowie Behandlungsmethoden und lernte, wie unser aktuelles Gesundheitssystem mit ihnen umgeht. Dabei wurde mir klar, dass uns trotz der Genialität und Technik unseres Gesundheitswesens immer noch viel an Wissen fehlt. Es geht um die Akutpflege, aber nicht ausreichend um das Verstehen, Behandeln und Vorbeugen von chronischen Problemen und Erkrankungen. Solche Probleme sind oft die Folge des Lebensstils, und das aktuelle Gesundheitsmodell setzt sich sehr wenig damit auseinander. Die aktuelle konventionelle Medizin ignoriert das extrem wichtige Thema Ernährung und Lebensstil fast völlig. Jahrelang hatte ich mich damit beschäftigt, während ich mit meinem Vater an der China Study schrieb. Die Gründe dafür könnten weitere Bücher füllen. Nur so viel soll gesagt sein: Es ist keine optimale Situation.
Als Facharzt für Allgemeinmedizin und Mitautor einer sehr tief greifenden Analyse der Zusammenhänge von Ernährungsgewohnheiten und Gesundheit kann ich die Vorzüge beider Welten gut in dieses Buch einbringen. Als Mediziner in der Akutpflege möchte ich meinen Patienten das nötige Wissen über lebensstilabhängige, chronische Leiden und deren Behandlung vermitteln. Auf meinem weiteren Weg und mit jedem neuen Patienten möchte ich Hilfsmittel anbieten, mit denen man Neuerkrankungen vorbeugen und existierende Leiden mit höherer Wahrscheinlichkeit heilen kann. Dieses Handwerkszeug für bessere Gesundheit befindet sich in diesem Buch.
Nach dem Lesen wissen Sie, warum das Essen so wichtig für die Gesundheit ist. Bereits nach einer kurzen Kostprobe der Beweislage werden Sie verstehen, welch tief greifende Auswirkungen Ihre Ernährung haben kann und welche Nahrungsmittel am gesündesten sind. Nach der Erklärung des »Warum« zeige ich Ihnen, welche Lebensmittel sicher und welche Gift sind. Sie werden nicht nur wissen, was Sie zu sich nehmen sollten, sondern auch wie Sie mit der aktuellen Essenskultur umgehen können. Diese umgibt uns tagtäglich und ist oft einer der Gründe für das Scheitern von Ernährungsumstellungen. Von Krankheiten ganz zu schweigen.
Aus meiner Perspektive beantworte ich die häufigsten Fragen rund um die Ernährung: Soll ich Bio-Produkte essen? Ist Fisch gesund? Und Gluten? Zu guter Letzt schlage ich Ihnen vor, wie Sie das neu gewonnene Wissen beim Erstellen ihrer Einkaufsliste, beim Kochen zuhause und bei Restaurantbesuchen anwenden können. Alles Schritt für Schritt und einfach erklärt. Das Ganze führt zum Ende des Buches: einem zweiwöchigen Koch- und Speiseplan. Schon nach ein paar Tagen Lektüre und 14 Tagen praktischer Probezeit verfügen Sie über alles nötige Wissen und die Fähigkeiten, mit denen Sie Ihre Gesundheit radikal verbessern können. Vielleicht ist es das Revolutionärste, was Sie je tun werden.
Ich habe bereits viele Menschen mit lebensstilabhängigen Leiden betreut. Obwohl jeder Patient und jede Situation anders ist, kann doch fast jeder Mensch von einer gesünderen Ernährung profitieren. Unter meinen Kollegen und Patienten ist diese Meinung nicht immer beliebt. Aber ich bleibe motiviert, angespornt von den Menschen, die ich über die Jahre kennenlernen durfte. Die Patienten haben etwas Besseres verdient. Die Patienten verdienen es zu wissen, wie sie abnehmen, ihre Schmerzen lindern, Medikamente vermeiden oder ihre Dosen reduzieren und sogar Krankheiten aufhalten oder heilen können. All das ganz einfach mit Veränderungen beim Frühstück, Mittag- und Abendessen. Ich wünsche mir, dass jeder Mensch weiß, wie er gesund bleiben kann. Ich möchte, dass jeder Mensch weiß, wie er seine Gesundheit besser schützen und fördern kann. Auf lange Sicht und besser als jeder Arzt, jedes Medikament und jeder Eingriff.
Ein roter Faden zieht sich durch das ganze Buch: die Erkenntnis, dass jeder selbst das Sagen über die eigene Gesundheit hat. Erfolg bei der Ernährungsumstellung liegt in greifbarer Nähe, man muss nur danach fassen. Und es ist einfacher, leckerer, preiswerter und praktischer als man denkt. Eine bessere Gesundheit ist Übungssache, ein erreichbares Ziel. Ich zeige Ihnen, wie es geht.
TEIL 1
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Basiswissen der Gesundheit
1.

Die China Study®

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»Ich denke, dass du eiweißreiche Ernährung meinst«, sagte sie. Ich schaute meine Lehrerin mit großen Augen an, etwas durcheinander und verständnislos. Immerhin hatte sie mir gerade mitgeteilt, dass ich Unrecht hatte. In mir keimte Widerspruch auf. Dann wiederholte sie: »Ich denke, du meinst Folgendes: Die Ratten, die mehr Eiweiß zu sich genommen hatten, rannten mehr. Aber das ist in Ordnung. Danke, dass du uns von deinem Experiment erzählt hast.« Jetzt wandte sie sich der Klasse zu. »Dankt eurem Mitschüler Tom, dass Ihr mehr über sein Experiment erfahren durftet.« Genau hier hatte ich wahrscheinlich meine erste Meinungsverschiedenheit, was Ernährung betrifft. Ehrlich gesagt verstand ich überhaupt nichts mehr.
Ich war damals in der Grundschule und hielt vor meiner Klasse einen Vortrag. Mein Vater – Dr. T. Colin Campbell – arbeitete zu jener Zeit schon lange als Biochemiker und Ernährungswissenschaftler. An der Cornell University hatte er unter anderem als einer der ersten auf diesem Gebiet den Einfluss der Ernährungsweise auf Krebserkrankungen erforscht. Für einige seiner Projekte gab er Ratten Futter mit verschiedenen Zusammensetzungen. Er war es auch gewesen, der meiner Lehrerin ein kleines Experiment mit ihnen im Unterricht vorgeschlagen hatte. Nichts freut Grundschüler mehr als Nagetiere im Klassenzimmer. Eine wunderbare Idee, so dachte ich jedenfalls.
Im Experiment ging es um folgende Frage: Wenn man Ratten unterschiedliche Mengen Eiweiß füttert, welche von ihnen bewegen sich dann am meisten? Jedes der Tiere, das ich mit in die Schule brachte, hatte seinen eigenen Käfig. In dem befand sich je ein Laufrad, das an einen Zähler angeschlossen war. Jede Runde, die die Ratten in ihren Sportgeräten drehten, wurde registriert. Ein Schrittzähler für Nager sozusagen. Mit Unterbrechungen stiegen sie in ihre Räder und rannten, rannten, rannten, was das Zeug hält. Ich fragte mich, ob sie denn wussten, dass sie nirgends ankamen. Dieselbe Frage könnte man sich allerdings auch stellen, wenn man sich mal im Fitnessstudio umschaut. Tiere haben einfach einen Bewegungsdrang, auch wenn sie dabei auf ein und derselben Stelle bleiben.
Beide Rattengruppen nahmen fast das gleiche Futter zu sich, mit einem kleinen Unterschied: Die eine Gruppe wurde mit eiweißarmer (ca. 5 Prozent) und die zweite Gruppe mit eiweißreicher (ca. 20 Prozent) Nahrung gefüttert. Als Ersatz für den geringen Proteingehalt enthielt die Mischung der ersten Gruppe etwas mehr Zucker.
Gewissenhaft fütterte ich die Ratten und schrieb mir genau auf, wie viel sie sich bewegt hatten. Mein Vater versorgte uns natürlich mit allem Nötigen. Wie man sich vielleicht vorstellen kann, wusste ich als Grundschüler nicht richtig, worum es hier wirklich ging. Ich hatte ein paar niedliche Ratten, schrieb die Ergebnisse ihrer Laufradzähler auf und gab ihnen zu essen. Das war für mich eine tolle Zeit.
Nach ein oder zwei Wochen trug ich all meine Daten zusammen und kam zu meinem endgültigen Fazit: Die Ratten mit der eiweißarmen Ernährung bewegten sich mehr. Ich war etwas zwanghaft als Kind, beschäftigte mich mit den kleinsten Details und prüfte meine Aufzeichnungen genau nach. Am Ende des Experiments stellte ich mich vor meine Klasse und erzählte den anderen Rotznasen von meinen Ergebnissen. Die eiweißarm ernährten Ratten rannten mehr in ihren Rädern, berichtete ich. Und genau hier unterbrach mich meine Lehrerin. Entweder hatte ich die Zahlen oder die Ratten durcheinandergebracht, meinte sie. Ich wollte doch wohl sagen, dass sich die eiweißreich ernährten Tiere mehr bewegt hatten. Als junger Schüler konnte ich überhaupt nicht verstehen, wie meine Lehrerin meiner Erkenntnis widersprechen konnte. Sie war eigentlich eine tolle Pädagogin – warmherzig, energiegeladen und fürsorglich. Eine meiner liebsten.
Die Zahlen hatte ich auf keinen Fall durcheinandergebracht. Schließlich war ich es doch gewesen, der die Radumdrehungen abgelesen hatte, nicht sie. Woher wollte sie denn die genauen Ergebnisse kennen? Wahrscheinlich sagte ich ihr in jenem Moment, dass ich Recht hatte. Genau darin erinnern kann ich mich allerdings nicht mehr. Ich war einfach ein sturer Junge. Lustig ist, dass ich mich kaum noch an das Experiment selbst entsinnen kann, aber nie vergessen werde, wie mich meine Lehrerin der Verwechslung bezichtigte. Das ist also die Geschichte meiner ersten Meinungsverschiedenheit, in der es um Ernährung ging. Damals wusste ich noch nicht, dass es auch meine erste Lektion in Sachen Eiweiß sein sollte und dessen absoluter Verehrung durch die Menschen.
Mein Vater und ich
Obwohl ich in der Grundschule mit Ratten spielen durfte, war ich als Kind nicht sonderlich von der Arbeit meines Vaters oder vom Thema Ernährung begeistert. Als kleiner Junge und Jugendlicher wusste ich kaum etwas über seinen Beruf. Ich fand Sport und meine Freunde viel interessanter. Bis ich dahin kam, wo ich heute bin, war es ein langer, kurvenreicher Weg. In meiner Nostalgie kann ich nicht umhin, mich an einige der bemerkenswertesten Erfahrungen meines bisherigen Lebens zu erinnern. Besonders während meines Medizinstudiums gab es viele davon. Nie werde ich jene Momente vergessen, in denen es um Leben und Tod ging: Herzdruckmassage an einem Mann, der eigentlich in der Blüte seines Lebens stand; Herzdruckmassage an einem in der 26. Woche geborenen Frühchen, das einfach nicht atmen wollte. Ich musste Menschen beibringen, dass ihre Mütter oder Ehepartner nicht mehr lange zu leben hatten oder dass ihre Tomografieergebnisse Schatten zeigten, die wahrscheinlich Krebs bedeuteten. Ich durfte die wunderbaren Tränen des Glücks und die stille Liebe bei über hundert Geburten miterleben. Im Operationssaal half ich bei Eingriffen an Menschen, die unter den sterilen Abdeckungen kaum zu sehen waren. Einige von diesen Erfahrungen werde ich für immer im Gedächtnis behalten. Ebenfalls schwer zu vergessen sind die viele Arbeit, der Stress und die Qual der Ungewissheit, wenn nichts Geringeres als Perfektion erwartet wird.
Diese Augenblicke haben scheinbar nichts mit Ernährung zu tun. Und trotzdem habe ich es einzig und allein der Ernährung zu verdanken, dass ich sie erleben durfte. Es war für mich nicht schon früh klar, dass ich Arzt werden wollte. Vielmehr war es ein Weg, den ich einschlug, nachdem ich mit meinem Vater zusammengearbeitet hatte. Er inspirierte mich zu einem medizinischen Beruf. Nach einer Kindheit ohne großes Wissen über seine Arbeit und nachdem ich meine Nase ins Theater, die Schauspielerei und sogar in Einwanderungsrecht gesteckt hatte, nahm meine Karriere mit Mitte zwanzig eine dramatische Wendung. Ich hatte die Gelegenheit, zusammen mit meinem Vater das Buch Die China Study und ihre verblüffenden Konsequenzen für die Lebensführung zu schreiben. Darin erzählen wir von seiner beruflichen Laufbahn und den spannendsten Ergebnissen seiner Forschungsprojekte. Zusätzlich untersuchen wir die Erkenntnisse mehrerer Dutzend anderer Forscher, die sich mit Ernährung und Gesundheit beschäftigen. Aus dem Ganzen lässt sich eine überraschend einstimmige und inspirierende Schlussfolgerung ziehen: Vollwertige, pflanzliche Kost ist unglaublich wichtig für die Vorbeugung und selbst die Behandlung von Krankheiten.
Der Großteil der Arbeit meines Vaters beschäftigte sich mit den Themen Eiweiß und Krebs. Er ist auf einem Milchhof aufgewachsen und hatte in der Schule gelernt, wie man qualitativ hochwertiges, tierisches Protein noch effizienter produzieren kann. Er begann sein Leben also mit derselben Eiweißverehrung wie meine Grundschullehrerin. Allerdings führte er als Erwachsener jahrzehntelang experimentelle Studien über den Zusammenhang zwischen Ernährung und Krebserkrankungen durch. Das tat er mithilfe von verschiedenen Experimenten an Ratten. Seine Forschungsprojekte zeigten, dass durch stark krebserregende Chemikalien ausgelöste Erkrankungen fast ausschließlich durch die Variierung der Eiweißzufuhr beeinflusst werden können. Eins der provokativsten Experimente bewies, dass das Wachstum früh erkannter Krebsgeschwüre einfach durch Umstellung der Proteinzufuhr gehemmt beziehungsweise beschleunigt werden konnte. Und Sie werden es kaum glauben: Im Ergebnis stellte sich eine hoch eiweißreiche Ernährung als die gefährlichste heraus. Die folgende Grafik präsentiert ein zwölfwöchiges Experiment1, bei dem die Eiweißzufuhr alle drei Wochen verändert wurde. Es zeigt, dass Kost mit einem Proteingehalt von fünf Prozent das Wachstum von Tumoren im Anfangsstadium (Frühkarzinome) zum Stillstand brachte, während ein Eiweißgehalt von zwanzig Prozent die Entwicklung von früh erkannten Tumoren beschleunigte.
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Quelle: Youngman, L. D. und Campbell, T. C. The sustained development of preneoplastic lesions depends on high protein intake. Nutrition and Cancer, 1992, 18:131–142.]
Das wohl überraschendste Resultat dieser experimentellen Studie war jedoch, dass hier das Eiweiß Casein das Krebswachstum förderte. Casein ist das Hauptprotein in Käse aus Kuhmilch. Weizen2- und Sojaproteine in ihren natürlichen, in Lebensmitteln vorkommenden Formen beschleunigen hingegen das Tumorwachstum sogar in höheren Dosen nicht. Darüber hinaus zeigte sich: Die Eiweißzufuhr hat verschiedensten Einfluss auf Krebsentstehung und -entwicklung. Die Nahrungszusammensetzung wirkte sich auf Krebserkrankungen nicht etwa durch einen bestimmten Stoff oder ein besonderes Enzym aus, sie veränderte vielmehr alle biochemischen Aspekte der Krebsentstehung und -ausbreitung, die untersucht wurden. Über Jahrzehnte erhielt das Forschungsteam meines Vaters Förderpreise in beträchtlicher Höhe von Organisationen in den USA, wie zum Beispiel den National Institutes of Health, der American Cancer Society und des American Institute for Cancer Research. Seine Forschungsergebnisse wurden in anerkannten Fachzeitschriften veröffentlicht.
In unserem gemeinsamen Buch schrieben wir außerdem über die umfangreichste Studie zum Zusammenhang von Ernährung und Gesundheit, die es je gegeben hat, das China Project. Nach ihm ist unser Buch benannt. Diese Erfassung von 6500 Erwachsenen aus 65 ländlichen Landkreisen in China untersuchte den Zusammenhang zwischen 367 Variablen und wurde von der New York Times3 als »Grand Prix der Epidemiologie« bezeichnet. Die Ergebnisse waren glasklar: Sogar unter Einwohnern, die sowieso schon geringe Mengen an tierischer Nahrung zu sich nahmen, hatten diejenigen mit größeren Mengen auch einen höheren Cholesterinspiegel. Der wird wiederum mit einem höheren Krankheitsrisiko für Leiden, die hauptsächlich in reicheren Kulturen auftreten (wie zum Beispiel verschiedene Krebsarten und Diabetes), in Verbindung gebracht.4
Beim Verfassen des Buches und dem Studieren der Forschungsliteratur wurde mir klar, dass die Argumente für eine pflanzliche Kost in der China Studie viel schlagkräftiger waren als andere Ernährungsstudien. Keine Untersuchung allein kann etwas »beweisen«. Um also der Wahrheit näher zu kommen, muss man die Tiefe und Breite der Belege für ein bestimmtes Argument genau unter die Lupe nehmen. Wer nicht unbedingt Lust hat, jahrelang Ernährungsempfehlungen nach der Tiefe und Breite ihrer Argumente zu untersuchen, dem sage ich jetzt eins: Der überwältigende Großteil unterstützt die Behauptung, dass wir mehr natürliche pflanzliche Kost und weniger Fleisch, Milchprodukte und verarbeitete Lebensmittel zu uns nehmen sollten. Keine andere Ernährungsempfehlung kann sich auch nur im Entferntesten auf eine so umfangreiche wissenschaftliche Basis stützen.
Schauen wir uns zum Beispiel Herzkrankheiten an: Schon seit über fünfzig Jahren wissen wir, dass Bevölkerungsgruppen, die mehr tierische Kost zu sich nehmen, auch öfter an Herzleiden erkranken.5 Es ist sogar so, dass in vielen Kulturen, die sich traditionell auf Pflanzenbasis ernähren, Herzkrankheiten sehr selten die Ursache von Todesfällen sind.6,7 Das sieht in der westlichen Welt des 21. Jahrhunderts allerdings ganz anders aus. Wie viele Menschen mit krankem Herzen kennen Sie? Oder mit hohem Blutdruck? Oder hohem Cholesterinspiegel? In den Vereinigten Staaten von heute zum Beispiel sind Herzkrankheiten und ihre Risikofaktoren allgegenwärtig. Aber sogar fortgeschrittene Herzleiden können mithilfe einer bloßen Änderung des Lebensstils rückgängig gemacht werden. Dr. Dean Ornish und Dr. Caldwell Esselstyn Jr. konnten beide die Herzkrankheiten ihrer Patienten heilen – mit Umstellungen der Ernährung und der Lebensführung. Beweisen konnten sie das Ganze durch Angiogramme (Röntgenbilder der Herzgefäße). Dr. Ornishs Lifestyle Heart Trial war eine randomisiert-kontrollierte Studie für die er eine Gruppe herzkranker Teilnehmer Ernährungs- und Lebensstil-Programmen ohne cholesterinreduzierende Medikamente unterzog. Eine zweite Gruppe wurde konventionell behandelt. Letztere Gruppe bekam die üblichen medizinischen Empfehlungen (Medikamente, Untersuchungen, Eingriffe etc.) ohne das intensive Lebensstil-Programm. Der anderen Gruppe wurde eine gesunde Diät verschrieben: reich an Obst, Gemüse und Vollkorn, sehr arm an Fleisch und Milchprodukten und ohne zusätzliche Fette. Außerdem erlernten die Patienten dieser Gruppe Techniken zum Stressabbau, trieben Sport und bekamen soziale Unterstützung. Die Folgen waren regelrecht revolutionär: Obwohl lebenslange ungesunde Gewohnheiten zur Verstopfung ihrer Arterien geführt hatten, sahen die Patienten in der Lifestyle-Gruppe bereits in kurzer Zeit Veränderungen. Das Diagramm unten zeigt, wie die Arterienverkalkung in dieser Gruppe zurückging, während sie in der konventionell behandelten Gruppe zunahm.8
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Quelle: Ornish, D., Scherwitz, L. W., Billings, J. H., Gould L. et al. Intensive lifestyle changes for reversal of coronary heart disease. JAMA: The Journal of the American Medical Association, 1998, 280:2001–2007.]
Bei Diabetes sieht es fast genauso aus. Welche Bevölkerungsgruppen erkrankten über die letzten hundert Jahre am wenigsten an Typ-2-Diabetes? Solche, deren Ernährung reich an Kohlenhydraten und zugleich fettarm sowie pflanzlich war.9 Außerdem wissen wir jetzt, dass Diabetes – genau wie Herzkrankheiten – rückgängig gemacht werden kann. In einer vor dreißig Jahren veröffentlichten Studie konnten 13 von 17 zuckerkranken, auf tägliches Insulin angewiesene Probanden schon innerhalb von drei Wochen nach der Ernährungsumstellung ganz ohne solche Injektionen auskommen. Von 23 Patienten, die Tabletten nahmen, konnten nach dreieinhalb Wochen 21 ganz darauf verzichten. Bei den meisten Menschen schießt der Blutzuckerspiegel nach dem Absetzen von blutzuckersenkenden Mitteln in die Höhe. Teilnehmer an dieser Studie erlebten das Gegenteil. Auch bei jenen, die ihre Medizin ganz absetzten, sank der Blutzucker. Wie schafften sie das? Mit einer kohlenhydrat- und ballaststoffreichen, fettarmen Ernährung und Bewegung.10 Genau denselben Diätplan präsentiere ich in diesem Buch.
Stellen Sie sich nur mal vor: Sie nehmen Diabetesmedikamente und schon zwei bis drei Wochen nach der Umstellung auf den Campbell-Plan könnten Sie sich – mit ärztlicher Zustimmung – für immer von ihnen verabschieden! (Denken Sie daran: Wenden Sie sich vor jeglicher Ernährungsveränderung unbedingt an Ihren Arzt! Und setzen Sie keinesfalls eigenmächtig ohne Rücksprache mit dem Arzt Medikamente ab!)
Ein anderer wichtiger Aspekt ist die Gewichtsabnahme. Von den Mahlzeiten in diesem Buch können Sie so viel essen, wie Sie wollen und nehmen trotzdem dabei ab. Immer wieder stellen Studien fest, dass Vegetarier und Veganer im Durchschnitt dünner sind als Fleischesser.11,12,13 Eine große aktuelle Untersuchung fand Folgendes heraus: Sogar wenn zwei Menschen pro Tag dieselbe Anzahl an Kalorien zu sich nehmen, dann würde derjenige, der 250 Gramm mehr Fleisch verzehrt, alle fünf Jahre 2,2 Kilo mehr zunehmen als sein Gegenüber, das diese Kalorien aus fleischloser Nahrung bezieht.14 250 Gramm ist vielleicht ein Steak oder etwas mehr als ein Dutzend Geflügelnuggets. Die Studie zeigte außerdem, dass rotes sowie verarbeitetes Fleisch (Schinken, Wurst und Würstchen, Frühstücksfleisch, Schinkenspeck usw.) und sogar Geflügel zu Gewichtszunahme führt.14
Es wurde nachgewiesen, dass unverarbeitete pflanzliche Kost einer Vielzahl von anderen Erkrankungen vorbeugen und sie sogar heilen kann. Dazu gehören Nierenleiden (zum Beispiel Nierensteine), Alzheimer, Demenz, Gallensteine und gewisse Krebsarten wie zum Beispiel Brust-, Lungen-, Darm-, Eierstock-, Gebärmutter und Prostatakrebs. Auf der untenstehenden Liste befinden sich ein paar der Krankheiten, die veröffentlichte Studien15 mit besseren Heilungschancen durch eine pflanzlichere Ernährung in Zusammenhang gebracht haben. Für diese Leiden gilt außerdem, dass sie sich durch höheren Konsum von tierischen Lebensmitteln verschlechtern. Gäbe es eine einzige Tablette oder einen Eingriff ohne Nebenwirkungen, der zu denselben Resultaten führen würde wie eine vollwertige Ernährung auf Pflanzenbasis, dann würde jeder Bürger der westlichen Welt danach lechzen.
Krankheiten, die durch eine pflanzliche Ernährung oder pflanzliche Nährstoffe teils verhindert oder behandelt werden können
Bluthochdruck Fettleibigkeit
Hohes Cholesterin Alzheimer
Herzkrankheiten Parkinson
Gallensteine Grauer Star
Geschwüre Makuladegeneration
Gastroösophageale Refluxkrankheit (GERD) Vergrößerte Prostata
Mundhöhlenkrebs
Diabetes (Typ 1 und 2) Lungenkrebs
Nierensteine Leberkrebs
Chronische Nierenleiden Magenkrebs
Dickdarmkrebs Chronisch obstruktive
Gebärmutterkrebs Lungenkrankheit (COPD)
Bauchspeicheldrüsenkrebs Colitis ulcerosa
Prostatakrebs Morbus Crohn
Akne Gelenkrheumatismus
Multiple Sklerose
Quelle: Campbell, T. M. 2nd und Campbell, T. C. The breadth of evidence favoring a whole foods, plantbased diet: Part I: Metabolic diseases and diseases of aging. Primary Care Reports, 2012, 18:13–23.]
Trotz der vielen wissenschaftlichen Beweise geht es in diesem Buch nicht vordergründig darum, warum eine vollwertige Ernährung auf Pflanzenbasis so wichtig ist. Vielmehr möchte ich zeigen, wie man sie praktisch umsetzen kann und dabei die häufigsten Fragen über sie beantworten. Eine Ernährungsumstellung ist nicht einfach, aber sie ist auch nicht so schwer, wie man vielleicht denkt. Die neue Kost schmeckt gut, ist recht preiswert und einfach in der Zubereitung. Wer sich einmal an unsere Ernährungsweise gewöhnt hat, der wird es nicht bereuen.
Der 1. Teil des Buches stellt diese Art der Ernährung vor und lehrt ein Grundverständnis von Essen und Lebensmitteln. Er enthält wertvolle Tipps und Ideen für Veränderungen in der eigenen Ernährung und Lebensweise. Der 2. Teil beantwortet die häufigsten Fragen über die optimale Ernährung. Sollte ich Fisch essen? Und Weizen? Welche Öle sind gesund? Nachdem ich mit meinem Vater die China Study® geschrieben hatte, wurde uns klar, dass einige Themen nach besonderer Aufmerksamkeit verlangen. Deshalb habe ich ihnen in diesem Buch einen ganzen Teil gewidmet. Der 3. Teil enthält einen Diätplan für jeden Tag. Schritt für Schritt wird erklärt, wie Sie die Ernährungsumstellung in zwei Wochen erfolgreich bewältigen. Ich halte Ihnen in dieser Zeit sozusagen die Hand. Diese 14 Tage haben das Potenzial, Ihr Leben für immer zu verändern. Am Ende der »Probezeit« verfügen Sie über die nötigen Fähigkeiten und das erforderliche Wissen, um Ihre Ernährung und damit Ihre Gesundheit selbst in die Hand zu nehmen.
China Study®.