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STEFAN LOIPFINGER

ACHTUNG, ANLEGERFALLEN!

 

STEFAN LOIPFINGER

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ACHTUNG, ANLEGERFALLEN!

WIE SIE TEURE FEHLER VERMEIDEN UND CHANCEN NUTZEN

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

info@finanzbuchverlag.de

1. Auflage 2018

© 2018 by FinanzBuch Verlag

ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Judith Engst

Korrektorat: Silvia Kinkel

Umschlaggestaltung: Isabella Dorsch

Umschlagabbildung: Shutterstock.com/mamanamsai

Satz: inpunkt[w]o, Haiger (www.inpunktwo.de)

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print 978-3-95972-087-8

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96092-150-9

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96092-151-6

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.finanzbuchverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

INHALT

VORWORT

EINLEITUNG
Verrückte Märkte: Geld ist nichts mehr wert

Draghi: der Dracula der Finanzmärkte – Zinsverzicht: unbezahlte Risiken – Moderne Irrungen: Bitcoin, Robo-Advisors & Co. – Systemfehler: Anlegerfallen und ihre Ursachen

THESE 1
Betonierte Schein sicherheit: Immobilien

Blasenbildung: Preise ohne Bodenhaftung – Bewertungsfalle: platzende Kredite ohne Rückzahlungsprobleme – Wohnen: einsturzgefährdete Preise

THESE 2
Trügerische Liquidität: offene Immobilienfonds

Fehlende Weitsichtigkeit: Scheinsicherheit durch Kündigungspflicht – Chronischer Kaufzwang: Mittelzuflüsse zur falschen Zeit – Fake-Bezeichnung: heuchlerische Namenswahl

THESE 3
Tödliche Garantie: Lebens- und Renten versicherungen

Scheinheilige Versprechen: Garantieverzinsung als Seifenblase – Gebührenfalle: renditeverschlingendes Kostenmonster – Geheimnis des Misserfolges: konkurrierende Interessen

THESE 4
Ruinöse Pakete: je komplexer, desto unheilvoller

Faustrecht: Vertriebsschlacht à la Riester und Rürup – Closed Shop: Anleger vor die Tür gesetzt – Allergische Reaktion: mit Sicherheit Renditeausschlag

THESE 5
Ausfallgefährdetes Börsensegment: Mittelstandsanleihen

Desaster: Normalität werdender Rückzahlungsausfall – Traurige Realität: Arglosigkeit folgt auf Kreditablehnung – Erfüllungsgehilfen: Ratingagenturen als Komplizen

THESE 6
Unterschätzte Explosionsgefahr: Zertifikate

Bonitätsanleihen: Wölfe im Schafspelz – wichtige Einsicht: Enttabuisierung von Bankpleiten – Geheuchelte Fairness: Emittenten täuschen Anleger

THESE 7
Milliardenindustrie: Investmentfonds

Zinsbumerang: vom Segen zum Fluch – Versagerquoten: Wahrheiten über Fondsmanager – Gebührenfalle: kleiner großer Unterschied

THESE 8
Wahnwitzige Versprechen: Alternative Investmentfonds

Luftnummern: 94 Prozent verfehlte Renditeversprechen – Heißhunger: Renditebegehren statt Steuerspartrieb – Nebelkerze: BaFin als zahnloser Aufsichtstiger

THESE 9
Ökologische Nebelkerzen: Wind und Sonne in Fonds verpackt

Grüne Lüge: moderner Ablasshandel – Öko-Blende: Nebenaspekte im Vordergrund – Disharmonie: Gewinne ins Anbieter-Töpfchen, Verluste ins Anleger-Kröpfchen

THESE 10
Am Ende der Schlange: Vermögensanlagen als Nachrangkonstrukte

Entmachtung: Geld geben und schweigen – Vertragswerk: einseitige Knebelung der Anleger – Hase-und-Igel-Spiel: Ausnahmen als Regel

THESE 11
Fata Morgana: Direkt investments in Container und Bäume

Defizite: fehlende Professionalisierung und Kontrolle – Marktversagen: intransparent und trotzdem verkauft – Giftiges Schneeballsystem: Abhängigkeit vom Neugeschäft

THESE 12
Vermeintliche Schwarmintelligenz: Crowdinvestments

Konzeptioneller Wahnsinn: astronomische Unternehmensbewertungen – Dunkles Geheimnis: hohe Provisionen – Schmerzhafte Wahrheit: Untergang einer wichtigen Idee

SCHLUSSWORT

DANKSAGUNG

ANMERKUNGEN

Eine Investition in Wissen
bringt immer noch die besten Zinsen.

(Benjamin Franklin, US-amerikanischer Staatsmann, 1706 – 1790)

VORWORT

Als festangestellter Bankkaufmann und Betriebswirt habe ich mich vor 25 Jahren entschieden, meinen sicheren Arbeitsplatz aufzugeben. Der Grund für diesen Schritt hinaus aus der gepolsterten Sicherheit eines Angestelltenverhältnisses waren meine Wahrnehmung und Erfahrung, dass selbst in einer Sparkasse der Verkaufsdruck immer häufiger zu moralischen Abwägungen zwischen Kundeninteresse und Arbeitgebervorgaben führte. Ohne zufriedenstellende Verkaufszahlen gab es keine Boni; doch die geforderten Abschlüsse kollidierten immer wieder mit den Anlegerinteressen. Um diesem von mir so empfundenen permanenten Druck zu entgehen, wagte ich den Sprung in die selbstständige Tätigkeit als Wirtschaftsjournalist.

Einen solchen Druck zu verspüren, ist eine rein persönliche Wahrnehmung, die andere in der gleichen Situation als nicht so dramatisch oder belastend empfinden mögen. Ich kenne Mitarbeiter von Banken, die täglich beim Chef antreten müssen, um ihren Tagesumsatz oder den fehlenden Umsatz zu rechtfertigen. Controlling-Programme berechnen bei jedem Geschäft sofort den Gewinn (ganz korrekt: den Deckungsbeitrag) für die Bank. Daran und nicht am Kundennutzen wird der Erfolg des Mitarbeiters gemessen. Daran und nicht an den Anlegerinteressen bemisst sich sein Zusatzverdienst. Wie lange aber kann ein Bankberater unter diesen Zwängen die Fahne der Kundeninteressen hochhalten? Noch dramatischer ist der Druck wohl bei freien Finanzberatern, die ausschließlich von Provisionen leben.

Für mich persönlich war schon die gemäßigte Version dieses »Drucks« im Jahre 1994 untragbar. Also habe ich mich dem Verbraucherjournalismus verschrieben. Der Weg schien nicht ganz verkehrt zu sein, denn 1999 wurde meine Arbeit mit dem Helmut-Schmidt-Journalistenpreis für verbraucherfreundliche Berichterstattung ausgezeichnet. Ein »Bonus« nach meinem Geschmack.

Würde ich mich heute wieder so entscheiden? Dafür fehlen mir der jugendliche Enthusiasmus und der erfahrungsarme Optimismus von vor 25 Jahren. Als Vater von fünf Kindern verbietet mir die Verantwortung gegenüber meiner Familie einen solchen Sprung. Hinzu kommt, dass sich der Journalismus in diesem Zeitraum dramatisch verändert hat mit einer noch größeren Dynamik als in der Finanzbranche. Aufwendig recherchierte Geschichten werden nicht ansatzweise so leistungsgerecht bezahlt wie seinerzeit. Gleichzeitig sind kritische Berichte heute schwieriger »auszuhalten«. Betroffene schicken im Nullkommanichts Rechtsanwälte auf das Parkett, die meiner Meinung und Erfahrung nach nur am Streiten interessiert sind. Denn mit dem Streitfall verdienen Anwälte ihr Geld – und das auch noch unabhängig vom Verfahrensausgang.

Was ich hier als »Erfahrung« vorweisen kann, speist sich aus inzwischen weit über einhundert Presserechtsverfahren. Beleg für meine These zu den schwieriger gewordenen Arbeitsverhältnissen im investigativen Journalismus ist dabei das Faktum, dass nur ein einziges von diesen einhundert Verfahren in den ersten zehn Jahren meiner journalistischen Tätigkeit stattfand. An dieser Stelle danke ich dem Bayerischen Journalistenverband, der mich in fast allen Angelegenheiten vertreten hat.

An den Rahmenbedingungen vor 25 Jahren hat sich von vielen Seiten her eine Menge geändert. Einer stark erweiterten Informationsvielfalt bei Finanzprodukten steht eine Sprache gegenüber, die mehr und mehr von juristischen Fachbegriffen geprägt ist. Fast ausschließlich von Anwälten produzierte Worthülsen finden sich in den immer umfangreicheren Aufklärungsmaterialien. Lobbyisten sorgen regelmäßig dafür, dass die wenigen relevanten Informationen in einem Wust von unwichtigem Einlullungsgeschwafel versteckt werden dürfen. Tarnen und Täuschen gilt häufig als Maxime. Die Aufsichtsbehörde BaFin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) setzt dem nichts Wirksames entgegen.

Wieso der Verbraucherschutz nicht endlich besser funktioniert, ist meines Erachtens schnell erklärt. Ich habe selbst schon mehrfach als Sachverständiger im Finanzausschuss des Bundestages zu geplanten Gesetzgebungsverfahren aus Sicht des Verbraucherschutzes Stellung bezogen. Auch der Ablauf von Anhörungen der BaFin ist mir nicht unbekannt. Es fällt auf: Die Finanzlobby liefert häufig ganz konkret Vorschläge für die Formulierung von Gesetzen. Verbrauchervertreter können dagegen mit ihren bescheideneren Ressourcen nur allgemein argumentieren. Schon das schafft ein Ungleichgewicht bei der Umsetzung, da die zuständigen Beamten bei der Formulierung der Gesetze gerne die Vorschläge der Experten aufgreifen.

Außerdem nimmt die Finanzlobby in ihre Vorschläge meist die politisch gewünschte Richtung sehr geschickt auf. Verbraucherfreundliche Regelungen werden dabei so verpackt, dass sie der Branche nicht zu wehtun oder »Hintertürchen« in ausreichender Zahl offen lassen. Politik lebt von Kompromissen. Wer sich das geschickt zunutze macht, kann eigene Interessen erfolgreich vertreten. Dazu kommt die Übermacht an Lobbyisten der Finanzbranche im Verhältnis zu Verbrauchervertretern. Damit lässt sich in persönlichen Gesprächen einiges verhindern oder in die gewünschte Richtung bewegen.

INFORMATIONS-ASYMMETRIE

Das ist die eine Seite der Medaille. Auf der Ebene des einzelnen Anlegers steht dem noch eine über das Internet verbreitete Informationsflut gegenüber. Zu allen Facetten der Geldanlage lassen sich schlaue, interessensgeleitete oder unsinnige Hinweise finden. Ein Anleger braucht Zeit und Muße, um sich damit auseinanderzusetzen. Wer das Informationsangebot gewissenhaft annimmt, der kann auf dem Niveau eines Profi-Investors agieren. In der Praxis erfordert das jedoch Grundwissen in ausreichendem Maße. Nur so kann die Grundregel einer guten Anlageentscheidung eingehalten werden:

Eine möglichst rationale Entscheidungsfindung ist der Schlüssel zum Erfolg. Die Maxime lautet: realistische und zur eigenen Person passende Ziele definieren und diese dann konsequent verfolgen. Erkennbare Fehler vermeiden, damit nur noch die Anlagen mit ehrlichen Chancen übrig bleiben. Dabei soll dieses Buch helfen. Es werden viele Beispiele und, noch wichtiger, auch Namen genannt. Hinter dieser für mich als Autor riskanten Strategie stehen meine Auffassung und meine Wahrnehmung von politischen sowie gesellschaftlichen Wirkmechanismen: Nur wo Öffentlichkeit und Transparenz den Anbietern wehtut, dort wird sich etwas verändern und damit hoffentlich verbessern.

Zum Schluss gebe ich noch einen Transparenzhinweis in eigener Sache: Als Journalist habe ich schon für diverse Medien und Verbraucherorganisationen gearbeitet, die ich in diesem Buch zitiere. Mein aktuell größter Auftraggeber ist die Stiftung Warentest, die ebenfalls häufig erwähnt wird. Alle zitierten Beiträge haben allerdings Redakteure von Finanztest verfasst. Trotzdem möchte ich auf die Zusammenarbeit hinweisen.

Einen klaren Kopf und viel Erfolg bei Ihren Investments wünscht Ihnen Ihr

Stefan Loipfinger

PS: Wenn Ihnen dieses Buch gefällt und Sie mithelfen wollen, dass der Druck zu ehrlicheren Produkten auf Anbieter wächst, dann stellen Sie dieses Buch nicht in den Schrank, sondern schenken Sie es weiter. Für Verlag und Autor noch besser wäre natürlich, wenn Sie es weiterempfehlen. Likes in den sozialen Medien oder Rezensionen auf den Kaufportalen helfen ebenfalls.

PPS: Wenn Sie Kritik zu einzelnen Ausführungen oder generell an dem Buch haben, schreiben Sie Ihre Meinung an info@investmentcheck.de. Auch Journalisten müssen sich ständig weiterentwickeln und dazulernen. Dabei hilft Ihre Kritik!

Menschen machen falsches Geld,
und Geld macht falsche Menschen.

Karl Farkas, österreichischer Schauspieler und Kabarettist, 1893 – 1971)

EINLEITUNG – VERRÜCKTE MÄRKTE: GELD IST NICHTS MEHR WERT

Draghi: der Dracula der Finanzmärkte – Zinsverzicht: unbezahlte Risiken – Moderne Irrungen: Bitcoin, Robo-Advisors & Co. – Systemfehler: Anlegerfallen und ihre Ursachen

»Was nichts kostet, ist nichts wert!« Diese Albert Einstein zugeschriebene Weisheit erhält in Bezug auf Zahlungsmittel eine ganz neue Bedeutung.1 Denn es ist heute das Geld, das nichts mehr kostet!

Anders ausgedrückt hat es Andrew Haldane, Chefökonom der Bank von England. Er erklärte, seit 5.000 Jahren habe es noch nie so niedrige Zinsen gegeben.2 Die Konsequenzen daraus sind fatal. Anleger suchen verzweifelt nach Rendite, um die Kaufkraft ihres Geldes nach Inflation und Steuern wenigstens zu erhalten.

Mitverursacht hat das Mario Draghi, Chef der Europäischen Zentralbank (EZB). Er gilt vielen als Retter des Finanzsystems. Seine Rede am 26. Juli 2012 auf der Global Investment Conference in London ging in die Geschichte ein. Damals stellte er klar, er werde alles Notwendige tun, um den Euro zu erhalten: »But there is another message I want to tell you. Within our mandate, the ECB is ready to do whatever it takes to preserve the Euro. And believe me, it will be enough.«3 Vor allem die drei Worte »what ever it takes« (was immer nötig sein wird) beeindruckten. »Glauben Sie mir, es wird genug sein.« Die Finanzmärkte glaubten ihm. Der »Draghi-Effekt« gilt als Wendepunkt in der damaligen Euro-Krise.

Doch wofür wird es genug sein? Genug, um aus der damaligen Krise herauszukommen? Das sicher! Aber bereiten die Maßnahmen nicht zugleich den Nährboden für eine noch viel größere Krise in der Zukunft? Ist der »Euro-Retter« Draghi am Ende der Totengräber des Euro? Diese Fragen sind nicht abwegig, werden aber in Italien oder anderen südeuropäischen Ländern noch seltener gestellt als in Deutschland.

Mario Draghi arbeitete von 2002 bis 2005 für die skandalumwitterte US-Investmentbank Goldman Sachs in London. Genau diese Bank hat durch »off market swaps« (außerbörsliche Tauschgeschäfte) dazu beigetragen, dass Griechenland den wahren Zustand seiner Finanzen erfolgreich verschleiern konnte und so in die illustre Runde der Euro-Staaten aufgenommen wurde.4 Später verwies Draghi darauf, andere hätten den Deal vor seiner Zeit abgeschlossen.

Ebenso unschuldig sieht sich Draghi angesichts seiner Rolle bei der Rettung der italienischen Skandalbank Monte dei Paschi di Siena. In seiner Zeit als Gouverneur der italienischen Zentralbank räumte er der schon damals strauchelnden Bank einen wertpapierbesicherten Kredit ein, obwohl die Sicherheiten nur zweifelhafter Wertpapierschrott gewesen sein sollen. Fatal daran war, dass damit der Grundstein für ein europäisches Schattenbanksystem gelegt wurde, in das die nationalen Notenbanken tief verstrickt sind. Anders ausgedrückt hat Draghi im Kleinen ein neues Konzept ausprobiert, bei dem Geschäftsbanken auf Kosten der Steuerzahler vor Insolvenzen geschützt werden. Heute praktiziert er dieses System im Großen mit der Europäischen Zentralbank beziehungsweise den nationalen Notenbanken.

Zurück zur Rede von 2012: Draghi will den Euro um jeden Preis retten. Darin eingeschlossen war die Absicht, Anleihen in großem Stil durch die Europäische Zentralbank beziehungsweise die Notenbanken der Länder aufzukaufen. Bis Dezember 2017 war von 2.290 Milliarden Euro die Rede, dem ein monatliches Kaufvolumen von 80 Milliarden Euro bis März 2017 und von 60 Milliarden Euro bis Dezember 2017 zugrunde lag. Aber wie ein Junkie süchtig nach neuem Stoff ist, so sind es mittlerweile die Finanzmärkte nach neuem Notenbankgeld. Deshalb wurde beschlossen, das eigentlich ausgelaufene Programm bis September 2018 um monatlich 30 Milliarden Euro zu verlängern.5 Die Druckerpresse lief also bis Redaktionsschluss für dieses Buch auf Hochtouren weiter. Als Erklärung wurde die Steigerung der Inflation auf die Zielmarke von zwei Prozent vorgeschoben.

UNGEHÖRTE KRITIKER

Die einseitige Fixierung auf eine bestimmte Inflationsrate wird von zahlreichen Experten kritisiert. Unabhängig davon, dass Art und Weise, wie die Verbraucherpreise ermittelt werden, gemessen am harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI), Schwächen aufweist, ist auch die Auswahl dieses einen Index als einziger Maßstab bedenklich. Volker Wieland, Mitglied im fünfköpfigen Sachverständigenrat und damit einer der »Wirtschaftsweisen« sowie Vertreter im wissenschaftlichen Beirat des Bundesfinanzministeriums, ist nur einer von vielen Ökonomen, der das so sieht. Andere Indikatoren zur Berechnung der Kaufkraft würden die Angst vor Deflation klar widerlegen6, weshalb der Leitzins statt bei null Prozent für Europa eher bei ein bis zwei Prozent liegen müsste. Ginge es allein um Deutschland, wären aufgrund der wirtschaftlichen Stärke seines Erachtens sogar zwei bis drei Prozent angemessen.

In eine ähnliche Kerbe schlägt der Chefvolkswirt der Deutschen Bank. David Folkerts-Landau spricht von einer »naiven Geldpolitik«. In einem Gastbeitrag für Die Welt schreibt er von einer extrem aggressiven, unkonventionellen und völlig unerprobten Geldpolitik der EZB, die zu einer Verschärfung der Probleme Europas beiträgt:

Noch nie war eine Region so abhängig von dogmatischen Entscheidungen nicht direkt gewählter Technokraten. Wollen wir wirklich das Scheitern des wichtigsten wirtschaftspolitischen Projekts der Geschichte riskieren? Zukünftige Generationen würden uns das naive Vertrauen in die Geldpolitik nicht verzeihen.7

Folkerts-Landau sieht in den massiven Aufkäufen von Staats- und Unternehmensanleihen eine gigantische Subvention für Länder wie Italien. Sie haben aus seiner Sicht deshalb keine Anreize mehr, strukturelle Probleme anzupacken. Er spricht von außer Kraft gesetzten Disziplinierungsmechanismen, weshalb die Realität zu Lasten der Zukunft ausgeblendet werde.

Eine andere kritische Stimme ist Jürgen Stark, ehemaliger Chefökonom der EZB. Er trat im Herbst 2011 von seinem Amt zurück, weil er die schon damals bedenkliche Politik der europäischen Notenbank nicht mehr mittragen wollte. Dabei war jene im Vergleich zu heute noch völlig harmlos. Mit dem Aufkaufprogramm von Staats- und Unternehmensanleihen wird seines Erachtens »gegen das Verbot der monetären Finanzierung von Staatshaushalten« in einem gigantischen Ausmaß verstoßen.8 In einem Interview kritisiert er die fehlende Unabhängigkeit und bezeichnet die EZB als »politischen Akteur«, was sie aber nicht sein dürfe.9

Im Hinblick auf die zu niedrigen Zinsen sieht er die Volkswirtschaften im Blindflug: »Der Zinssatz, als einer der wichtigsten Preise in einer Volkswirtschaft, hat seine Signal- und Steuerungsfunktion verloren.« Im Resümee spricht er von einer Abhängigkeit der Finanzminister, die auch nicht mehr so leicht beseitigt werden könne:

Ein rascher geldpolitischer »Entzug« würde zu abrupten Korrekturen auf den Finanzmärkten führen, an denen Übertreibungen festzustellen sind, also insbesondere bei den Vermögenspreisen. Und damit steuern wir in die nächste Krise.10

»Wir können nur beten«, so ist einer der Beiträge eines anderen prominenten EZB-Kritikers überschrieben.11 Im Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit beschreibt der bis Mai 2006 als Chefökonom der EZB arbeitende Otmar Issing seine Sicht der Dinge. Darin stellt er die Gefahr eines großen Knalls dar, mit dem die nächste Blase platzen könnte. Den Aufkauf von Staatsanleihen sieht auch er als Verstoß gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung. Auch wenn Issing das Wort »Sucht« nicht gebraucht, so spricht er von Abhängigkeiten mit fatalen Folgen:

Je länger die Niedrigzinsphase andauert, desto anfälliger wird das System für Zinserhöhungen, die irgendwann kommen müssen. Die Staaten schieben die Haushaltskonsolidierung auf, weil sie glauben, dass sie sich höhere Schulden angesichts der geringen Zinsausgaben leisten können. Das wird sich rächen, wenn die Zinsen wieder steigen.12

VENTIL FÜR DRUCKAUSGLEICH FEHLT BEIM EURO

Die hier zitierten großen Namen stehen stellvertretend für viele weitere Kritiker des Systems. Allen gemein ist, dass sie nicht erhört werden. Es wäre schmerzhaft, sich die Konstruktionsfehler des Euro als gemeinsame Währung sehr unterschiedlicher Volkswirtschaften einzugestehen. Stattdessen werden auftauchende Probleme provisorisch mit Geld überkleistert. Die Schmerzen werden betäubt, anstatt die Ursachen zu beseitigen.

Abbildung 1: Wertverlust der italienischen Lira im Vergleich zur Deutschen Mark von 1969 bis 2000

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Die italienische Lira hat in 25 Jahren über 80 Prozent ihres Wertes verloren. So blieben italienische Waren und Dienstleistungen konkurrenzfähig. Quelle: fxtop.com; ITL/DEM von Januar 1969 bis Dezember 1999

Der Fall Griechenland ist da nur ein leichtes Stechen in der Brust, das dank Paracetamol nicht mehr wahrgenommen wird. Aber was ist beispielsweise mit Italien? Von 1970 bis Mitte der 90er-Jahre ist der Kurs 1.000 italienischer Lira von sechs DM (Deutschen Mark) auf eine DM gefallen. Anders ausgedrückt kostete italienischer Wein in Deutschland rechnerisch 1995 nur noch ein Sechstel von dem Preis, der 25 Jahre zuvor bezahlt wurde. Unterschiedliche Produktivitäten der Unternehmen glichen sich über Währungsveränderungen aus. Die Lira wurde abgewertet, um italienische Produkte in anderen Ländern günstiger anbieten zu können. Zwischen unterschiedlichen Volkswirtschaften gab es dadurch ein ausgleichendes Ventil.

Seit nun schon fast 20 Jahren ist der Ausgleichsmechanismus durch die gemeinsame Währung Euro abgeschafft worden. Italienische Unternehmen geben ihr Bestes, um weiterhin gegen Wettbewerber aus nord- und mitteleuropäischen Staaten mithalten zu können. Das gelingt nur zum Teil, wie hohe Arbeitslosenzahlen in Italien und anderen südeuropäischen Ländern zeigen. Aber zumindest ist der ständig präsente Wettbewerbsdruck so groß, dass auf Unternehmensebene alles getan wird, um zu überleben.

Auf staatlicher Ebene ist das allerdings aufgrund von Draghi anders. Es mag ja Zufall sein, dass der EZB-Chef Italiener ist. Aber seine Politik des lockeren Geldes hilft den südeuropäischen Staaten und damit auch seinem Heimatland, unpopuläre Reformen immer wieder zu verschieben. Während Italien für langlaufende Staatsanleihen Mitte der 90er-Jahre noch Zinsen von zehn bis 14 Prozent zahlen musste, hat sich das mit Einführung des Euro auf vier bis sechs Prozent reduziert. Mit dem massenhaften Aufkauf von Anleihen durch die Notenbanken verbilligten sich Kredite für den italienischen Staat weiter. Je nach Laufzeit werden noch ein bis drei Prozent fällig. Und Volumen ist ebenfalls kein Problem. Im Herbst 2016 wurde beispielsweise erstmals eine Anleihe mit 50 Jahren (!) Laufzeit emittiert. Das Papier war sechsfach überzeichnet.13 Für Politiker ist das ein Schlaraffenland. Um satt zu werden, müssen sie sich nicht einmal mehr zum Supermarkt bewegen.

Bester Beleg dafür ist die Bilanzsumme der EZB. Über 4.000 Milliarden Euro zeigt das »geldpolitische Fieberthermometer« mittlerweile an.14 Das entspricht mehr als einer Verdoppelung in drei Jahren. Maßgeblich zu dem gefährlichen Rekord beigetragen haben die Kaufprogramme für Anleihen.

Weltweit zeigt sich eine ähnliche Situation. Die fünf großen Zentralbanken dieser Erde (USA, Europa, Japan, Großbritannien und Schweiz) haben seit der Finanzkrise ihre Bilanzen von 3,5 auf 16 Billionen US-Dollar ausgeweitet.15 Das ist eine unvorstellbare Flutung der Finanzmärkte mit Geld.

Wie lange wird das noch gutgehen? Das ist eine Frage, die keiner beantworten kann. Fakt ist aber, dass in der Vergangenheit Krisen in immer wiederkehrenden Zyklen auftauchten. Auf Übertreibungen folgten Untertreibungen. Acht Jahre dauerte es vom Platzen der New-Economy-Blase 2000 bis zur Finanzkrise. Seit 2008 sind nun schon fast zehn Jahre vergangen. Charttechniker sehen den DAX beim nächsten Mal auf 8.000 Punkte zurückfallen. Szenarien von wirklichen Pessimisten sehen noch ganz anders aus.

Zu diesen zählt Dirk Müller, der als »Mister DAX« zu Prominenz gelangte. Er sieht in China »die größte Blase, die jemals existiert hat«.16 Er beruft sich auf die Weltbank, wonach in den letzten drei Jahren etwa 1,5 Billionen US-Dollar aus dem Reich der Mitte abgezogen wurden. Und er glaubt, die »Wirtschaftszahlen der chinesischen Regierung sind das Papier nicht wert, auf dem sie stehen«.17

Ob das die nächste Finanzkrise auslöst oder ob die Lawine ein anderes Thema lostreten wird: Wir wissen es nicht. Wir können uns nur bestmöglich darauf vorbereiten und hoffen, dass es so schlimm nicht kommen wird.

KRYPTISCHE KRYPTOWÄHRUNGEN

Einige sehen in neuem Kryptogeld eine Lösung für das schwindende Vertrauen in Euro & Co. Das sind in aller Regel als »Blockchain« organisierte digitale Währungen. Dabei werden alle Buchungen in einer nicht mehr aufbrechbaren Kette gespeichert, was die Systeme sehr sicher machen soll. Was einmal in die Buchungskette eingefügt wurde, kann nicht mehr gelöscht werden. Nur durch eine umgekehrte Buchung könnte die Wirkung ausgeglichen werden, wobei immer beides nachvollziehbarer Bestandteil der Blockchain bleibt. Alles wird weltweit auf ganz vielen Computern gespeichert, wodurch Sicherheit gewährleistet sein soll. Wer als Nutzer dabei elektronische Spuren im Internet vermeidet, die Rückschlüsse auf die eigene Person zulassen, kann bei solchen Kryptowährungen sogar auf Anonymität vertrauen.

Bevor es nun allzu technisch wird, hilft ein Blick auf die mit Abstand bekannteste Kryptowährung Bitcoin. Sie wurde 2009 ins Leben gerufen und hat seitdem eine steile Entwicklung hingelegt. Während sie am Anfang noch für unter zehn Euro gehandelt wurde, notierte ein Bitcoin im Winter 2017 bei 10.000 Euro. Weit mehr als das 1.000-Fache der anfänglichen Preise wurde in der Spitze also aufgerufen. Um die Digitalwährung ist ein regelrechter Hype entstanden.

Abbildung 2: Bitcoin in Euro

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Von unter zehn auf über 16.000 Euro ergeben fast 200.000 Prozent Gewinn in wenigen Jahren. Erste Korrekturen deuten auf ein Ende der Spekulationsblase. Quelle: finanzen.net

Die Anonymität dieses Systems zieht Marktteilnehmer an, denen Geldwäsche und andere illegale Machenschaften vorgeworfen werden. So muss, wer sich einen der extrem unangenehmen Verschlüsselungstrojaner einfängt, im Falle einer Erpressung das Lösegeld meist in Bitcoin bezahlen (wenngleich dies angeblich nichts hilft). Im Darknet ist die Währung ebenfalls beliebt. Aber auch ehrliche Menschen spekulieren mit Bitcoin und können sogar in analogen Geschäften damit bezahlen. Das Kryptogeld ist also nicht automatisch unseriös. Als hochspekulativ muss es aber ohne Übertreibung bezeichnet werden. Der Erfinder Satoshi Nakamoto (Pseudonym, echter Name unbekannt) hat seine Idee mit einem Schwachpunkt jeder Währung begründet:

Das Kernproblem konventioneller Währungen ist das Ausmaß an Vertrauen, das nötig ist, damit sie funktionieren. Der Zentralbank muss vertraut werden, dass sie die Währung nicht entwertet, doch die Geschichte des Fiatgeldes19 ist voll von Verrat an diesem Vertrauen.20

Natürlich sind Währungsreformen etwas, das in der Geschichte schon häufig vorkam. Und es ist richtig, dass Geld als Wertaufbewahrungs- und Tauschmittel von Vertrauen lebt. Ein Blick auf einen beliebigen Geldschein zeigt die Funktion als Schuldschein durch die Unterschrift des Notenbankpräsidenten auf dem Papier. Bei neuen Scheinen ist »M. Draghi« unter der Eurofahne zu lesen. Niemand nimmt einen 50-Euro-Schein als Zahlungsmittel an, wenn er nicht darauf vertraut, ihn später gegen andere Produkte tauschen zu können.

Unser gesamtes System basiert auf Vertrauen. Vereinbarungen müssen eingehalten werden und sind notfalls über ein funktionierendes Rechtssystem durchsetzbar. Auch hier ist der Glaube an die Erfüllung unabdingbar.

Insoweit hat Nakamoto nichts Falsches gesagt. Was aber unbedingt ergänzt werden muss, ist die Tatsache, dass auch der Bitcoin von Vertrauen lebt. Nur der Adressat des Vertrauens wird getauscht.

Die Währung Euro wird täglich billionenfach gehandelt. Dagegen ist die bekannteste Kryptowährung ein Krümelchen. Warum sollte diese in einem Krisenfall besser geeignet sein, um sich ein paar Brötchen zu kaufen? Wer wirklich solche Horrorszenarien durchdenkt, der ist bei physischem Gold und Silber (in Form von Münzen oder kleinen Barren mit jederzeitiger Zugriffsmöglichkeit) sicherlich besser aufgehoben.

Bleibt also die Spekulation, die bisher gigantische Gewinne einbrachte. Doch wie lange noch? Mit vernünftiger Geldanlage hat Spekulation jedenfalls ebenso wenig zu tun wie ein Besuch im Spielcasino.

Übrigens: Derzeit existieren über 3.000 verschiedene Sorten von Kryptogeld.21 Schon die zweitbekannteste Ethereum dürfte nur noch wenigen Insidern geläufig sein. Und was sind Ripple, NEM oder Litecoin? Sind das die nächsten Stars am Spekulantenhimmel? Oder sind es Sternschnuppen, deren Verglühen nach wenigen Sekunden schon vergessen ist?

Natürlich wird es in der Zukunft Kryptogeld geben. Aber wie werthaltig ist ein um 100.000 Prozent gestiegener Bitcoin? Wie wird sich langfristig die im Sommer 2017 erfolgte Abspaltung des Bitcoin Cash auf den klassischen Bitcoin-Kurs auswirken?22 Technische Schwierigkeiten bei der alten Kryptowährung führten zu einem Streit verschiedener Akteure. Allein das zeigt sehr gut, wie wackelig das neue Konstrukt solcher Kryptowährungen ist. Fehlende Krisenerfahrung und nicht vorhandene Entscheidungsstrukturen können aus dem Nichts Implosionen auslösen.

Glaubwürdiger ist da schon ein von der Königlich-Britischen Münzanstalt ausgegebener RMG (Royal Mint Gold). Die digitale Währung repräsentiert den Wert von einem Gramm Gold. Das verhindert gigantische Renditechancen, macht diese Ersatzwährung im Hinblick auf eine dauerhafte Werthaltigkeit aber deutlich glaubwürdiger.

Welche Kryptowährungen am Ende überleben, wird sich in dem extrem harten Verdrängungswettbewerb zeigen. Scheitern gehört für viele Goldgräber in solchen Entstehungsprozessen dazu. Die Revolutionierung ganzer Branchen ist eben ein hochgestecktes Ziel, das nur Wenige am Ende erreichen. Das gilt auch für ein anderes Thema, das die Bankenlandschaft komplett umkrempeln will.

ROBOTER ÜBERNEHMEN

»Es kann nur einen geben!« Diese Devise aus dem Spielfilm »Highlander« trifft in ihrer Überspitzung den Kern eines Konzentrationsprozesses, der sich in den nächsten Jahren bei Anlageberatungen durch Computer zeigen wird. Die aufgrund der Gesellschafter ProSiebenSat.1 und Earlybird bekannte Plattform Cash board musste dies schon jetzt schmerzlich erfahren. Sie selbst bezeichnete sich als »größte unabhängige Anlage-Plattform«. Sie warb mit »Marktführer«, »Höchste Rendite« und »Fairste Kosten«.23 Gereicht haben diese Superlative nicht. Im Juni 2017 löste ein Insolvenzverwalter das Unternehmen auf.24, 25

Das wird bei den Online-Anlageberatern kein Einzelfall bleiben. Allgemein besser bekannt sind sie unter dem Begriff »Robo-Advisors«. 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche stehen die Roboter für zweckdienliche Anlagetipps zur Verfügung. Noch vertrauen nur wenige computeraffine Investoren den Beratungs-Algorithmen.26 In zehn oder 20 Jahren wird das völlig anders sein. Für mich wäre es eine spannende Wette, welches Jahr wir schreiben werden, in dem mehr Menschen den Computer bei der Strukturierung ihrer Depots zu Rate ziehen als menschliche Anlageberater.

Einer der größten Vermögensverwalter der Welt, die US-amerikanische Firma BlackRock, ist vom schleichenden Machtverlust der menschlichen Berater fest überzeugt. Sie hat zusammen mit HV Holtzbrinck Ventures und Tengelmann Ventures Mitte 2017 für eine Minderheitsbeteiligung 30 Millionen Euro an den Robo-Berater Scalable Capital überwiesen.27 Das deutsch-britische Start-up will damit die internationale Expansion vorantreiben. Bis zum Durchbruch ist es vermutlich noch ein langer Weg.

Die Startposition im Überlebensrennen ist für Scalable Capital schon allein wegen der Kapitalspritze sehr gut. Nach hinten könnte der Schuss allerdings losgehen, wenn BlackRock als Produktanbieter zu starken Einfluss ausübt und Kunden die Unabhängigkeit in Frage stellen. Scalable schreibt überaus selbstbewusst, es bleibe ein unabhängiges Unternehmen und werde das Anlageuniversum und das Anlagemodell weiterhin unabhängig auswählen und optimieren.29 Anders sieht das offenbar der neue Gesellschafter. Dessen Management hat gegenüber der Nachrichtenagentur Bloomberg erklärt, dass die Beteiligung auch dazu dienen soll, mehr Kapital in die eigenen Produkte zu schleusen. »Will help to drive more money into its products«30, ist eine klare Ansage.

Trotz alledem sind Robo-Advisors ein interessanter Bereich. Vor allem aus Kundensicht wird sich die Skalierbarkeit einer normalen Anlageberatung positiv auswirken. Professor Dr. Christian Rieck von der Frankfurt University of Applied Sciences prognostiziert deutlich sinkende Kosten. Er ist sogar davon überzeugt, dass mittelfristig der Computer bessere Beratung bieten wird als der Mensch.31 2030 wird seines Erachtens ein Großteil der Finanzberatung durch Roboter erledigt und der Mensch ist weitgehend ersetzt.

Was dem Computer dabei hilft, ist ein Thema, das in diesem Buch noch häufiger angesprochen wird. Wie hoch ist die Qualität vieler Anlageberatungen eigentlich? Welche Interessen stehen im Vordergrund? In dieser Hinsicht liegt vieles im Argen und liefert dem Thema Robo-Advisors somit zusätzlichen Nährboden.

Auch deshalb sind aus Investorensicht Roboter schon heute einen Versuch wert. Eine herkömmliche, standardisierte Vermögensverwaltung kostet trotz eines stolzen Marktvolumens von über 50 Milliarden Euro schnell zwei Prozent und mehr.32 Die Roboter-Kollegen verlangen die Hälfte bis ein Drittel davon. Schlechter sind sie vermutlich nicht, schon gar nicht unter Einrechnung der Kosten.

Warum ist das so? Die heute programmierten Roboterberater stellen dem Anleger ein paar Fragen und ordnen ihm in der Regel ein bestimmtes Musterportfolio zu. Im Grunde macht der menschliche Berater bei einer standardisierten Vermögensverwaltung nichts anderes. Wer am Ende bei der Performance die Nase vorn hat, hängt von den gewählten Anlagekonzepten ab. Diese Grundsatzentscheidungen treffen in beiden Fällen Portfoliomanager, die mal besser und mal schlechter sein können. Und selbst wenn die Anlagestrategie ausschließlich von Algorithmen geprägt wäre, hat ein Mensch die Vorgaben gemacht. Am Ende zählt im Durchschnitt die Konstante der Gebühren, wodurch günstigere Angebote mit höherer Wahrscheinlichkeit zu einem besseren Ergebnis führen (siehe hierzu auch Kapitel 7 zu den »Versagerquoten« bei Managern von Investmentfonds). Die wenigen Glückspilze als Outperformer der Zukunft kann hingegen im Voraus niemand sicher identifizieren.

GEBÜHREN MÜSSEN NOCH DRASTISCH RUNTER

Sie als Leserin beziehungsweise Leser dieses Buches beschäftigen sich überdurchschnittlich intensiv mit Kapitalanlagen. Sonst hätten Sie dieses Buch nicht erworben. Robo-Advisors sind für Sie dann interessant, wenn Sie Hilfe bei der richtigen Struktur Ihres Depots benötigen. Wie hoch soll der Aktien-, Renten- und Cash-Anteil sein? In welche Märkte sollten Sie investieren? Welche Produkte sind dafür geeignet? Dabei können die Online-Tools helfen.

Wenn Sie sich hingegen intensiver mit den Märkten auseinandersetzen und Ihre Entscheidungen selbst treffen, dann können Sie sich die Gebühren sparen. Etwas über 0,5 Prozent wird im Durchschnitt von den Plattformen berechnet (teilweise sind die Gebühren vom Anlagevolumen abhängig).

Abbildung 3: Übersicht Robo-Gebühren

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Beratung durch »Roboter« ist nicht immer günstig. Schwer nachvollziehbar sind höhere prozentuale Gebühren für geringere Anlagebeträge, da die Beratung keinen Mehraufwand erfordert. Quelle: Recherchen auf den Internetseiten der Anbieter

Diese Gebühren allein sind natürlich nicht entscheidend. Sie bilden außerdem nur einen Teil der Gesamtkosten ab, denn zusätzlich zu den Ausgaben für den Roboter kommen teilweise noch Transaktionskosten für Käufe und Verkäufe hinzu. Nur bei wenigen Anbietern ist die Robo-Gebühr eine wirkliche All-In-Fee (Pauschalgebühr). Das gilt auch für die Kosten auf Ebene der ausgewählten Endprodukte. Insgesamt kommen bei den ETF-Portfolios dadurch rund 0,15 bis 0,25 Prozent hinzu.

Wichtig sind vor allem aber die Gesamtleistungen, die ein Anleger erhält. Die kostenlosen Plattformen sind in der Regel nur »Tippgeber«. Sie liefern eine Risikoeinschätzung für den Kunden und sprechen unverbindliche Empfehlungen für eine sinnvolle Depotstruktur aus. Ordern und sein Depot weiter überwachen muss der Kunde selbst.

Nach juristischen Kategorien getrennt und mithin haftungsrechtlich relevant ist die Gruppe der Finanzanlagenvermittler zu nennen. Hier bekommen die Kunden Vorschläge und müssen selbst den Auftrag erteilen. Spätere Umschichtungen des Depots erfordern ebenfalls einen Kundenauftrag, da die Plattform nicht wie ein Vermögensverwalter eigenständige Dispositionen vornehmen darf.

Das dürfen nur jene Robo-Anbieter, die eine entsprechende Zulassung von der Aufsichtsbehörde BaFin vorweisen können. Hier muss sich der Kunde im Grunde um nichts mehr kümmern, es sei denn, er möchte die vereinbarte Risikostruktur ändern. Spätere Kauf- und Verkaufsaufträge zur dauerhaften Erhaltung der vereinbarten Anlagestrategie übernimmt der vermögensverwaltend tätige Robo-Advisor.

Ein Beispiel: Sind die Aktien-ETFs in einem Depot gestiegen, wird ein Teil davon verkauft, um die vereinbarte Gewichtung von 50 Prozent zu erhalten. Umgekehrt kauft ein Portfolioverwalter Aktien, wenn die Kurse fallen. Langfristig wird so bei hohen Kursen der Aktienanteil reduziert und umgekehrt, was die Performance positiv beeinflusst. In der Fachsprache nennt sich dies Rebalancing.

Abbildung 4: Beispiel für das Rebalancing eines Depots

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Durch Kursänderungen bedingte Verschiebungen in der Gewichtung einzelner Depotbestandteile werden durch Käufe beziehungsweise Verkäufe ausgeglichen. So bleibt eine einmal festgelegte Risikostruktur erhalten.

Unabhängig davon, ob diese Umschichtungen mit oder ohne jeweilige Kundenzustimmung erfolgen: Allen Anbietern gemein ist, dass sie selbst kein Kundengeld annehmen dürfen, sondern dafür immer eine Bank oder Sparkasse benötigen. Dort liegt das Geld auf einem Konto, das auf den Kundennamen läuft. Und dort liegen auch die Wertpapiere in seinem eigenen Depot. Das ist für die Kunden des gescheiterten Anbieters Cashboard ein ganz wichtiger Aspekt. Ihr Geld fließt aus diesem Grund nicht in die Insolvenzmasse. Manchmal haben Robo-Advisors auch selbst einen Bankenstatus. Dann sind die Anlegergelder bei einer Insolvenz im Rahmen der Einlagensicherung und Wertpapiere als Sondervermögen geschützt.

Dieser Sicherheitsaspekt ist ganz entscheidend. Ohne ihn würden die geringeren Einstiegssummen (häufig sogar als Sparplan ab 50 Euro pro Monat möglich) und die Kostenvorteile gegenüber klassischen Vermögensverwaltungen nicht greifen.

Abbildung 5: Mindestanlagesummen von Robo-Beratern

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Bis auf Liquid, einem Anbieter, der sich vor allem an größere Anleger richtet, sind Einmalanlagen ab 10.000 Euro oder sogar darunter möglich. Die meisten Anbieter bieten Sparpläne ab 50 Euro an. Quelle: Recherchen auf den Internetseiten der Anbieter34

Welcher Roboter am Ende für welchen Anleger passt, lässt sich pauschal nicht beantworten. Andererseits sind verschiedene Anbieter ohne großen Aufwand schnell »durchprobiert«. Wer mehr wissen will: Die Stiftung Warentest hat sich beispielsweise in Finanztest 1/2017 intensiver mit den Angeboten beschäftigt.35 Auch die Plattform BrokerVergleich zeigt in einem Echtgeld-Test, welche Performance die einzelnen Anbieter in der Vergangenheit erwirtschaften konnten.36

Und wenn sich ein Anleger bei seiner Wahl getäuscht hat, dann ist das bei den meisten Plattformen kein Beinbruch. Kurze Kündigungsmöglichkeiten schaffen Flexibilität für Investoren und üben Druck auf die Anbieter aus. Im schlimmsten Fall kann der Kunde sofort den Verkauf aller Wert papiere veranlassen und das Geld an seine Hausbank überweisen. Möglich ist das natürlich immer nur zu den dann gültigen Börsenkursen. Sind diese gefallen, kann Sie davor kein Robo und kein Vermögensverwalter dieser Welt schützen.

ZEIT FÜR EINEN SYSTEMWECHSEL

Sicherheit – Rendite – Verfügbarkeit: Das sind die Eckpfeiler des magischen Dreiecks der Vermögensanlage. Mehr von einem bedeutet immer weniger von einem anderen. Maximal zwei dieser Ziele sind gemeinsam erreichbar. Wer etwas anderes erzählt, kann getrost als unseriös bezeichnet werden.

Mittlerweile gibt es auch vermehrt Stimmen, die einen vierten Eckpunkt einbeziehen: die Nachhaltigkeit. Welche sozialen, ökologischen und ethischen Aspekte bringt ein Investment mit sich? Immer mehr Anleger fragen danach. Das ist gut, weil dadurch der Druck auf die Emittenten zunimmt, darüber nachzudenken und etwas zu verändern.

Der Renditechance, der Sicherheit und der Verfügbarkeit muss die Nachhaltigkeit nicht schaden. Das ist das Besondere an diesem Eckpfeiler: Er steht nicht zwingend in Konkurrenz zu den anderen Anlagezielen. Allein glücklich machen kann er aber nicht. In Kapitel 9 dieses Buches zu den New-Energy-Fonds werde ich zeigen, wie wichtig letztendlich die Einbeziehung des magischen Dreiecks ist. Auch die in Kapitel 11 angesprochenen Wald-Investments klingen besser, als sie bei nüchterner Betrachtung sind.

Das eigene Vermögen zu erhalten und zu mehren ist Arbeit. Nicht nur, weil Entscheidungen getroffen und umgesetzt werden müssen, sondern auch, weil eine ständige Fortbildung notwendig ist. Bei komplexeren Produkten kommt das Studium von deren Vor- und Nachteilen hinzu. Nicht selten ohne den gewünschten Erfolg. Immer dann, wenn zu viele Anlegerfallen lauern und die Risiken eines Finanzproduktes zu groß sind, bleibt nur der Rückzug. Umsonst war die Arbeit allerdings nicht. Sie wird in Form von erspartem Ärger und nicht erlittenen Verlusten vergütet. Das so zu sehen, erfordert allerdings Disziplin.

Diese Arbeit zu delegieren ist schwer. Die meisten Finanzberater, egal ob selbstständig oder bei einer Bank angestellt, sind bildlich gesprochen Zwitterwesen. Manche Kritiker sprechen sogar von Schizophrenie, wenn sie die einander widersprechenden »Verpflichtungen« dieser Finanzberater zur Sprache bringen. Die »Zwitterhaftigkeit« beruht in der inszenierten Attitude des dem Kundenwohl verpflichteten Beraters, der aber de facto vom Produktlieferanten bezahlt wird. Das würde ich durchaus als schizophren bezeichnen.

Die Generaldirektorin des Europäischen Verbraucherverbandes Monique Goyens kritisiert dieses Systemproblem regelmäßig. Sie beschreibt die Besoldung der Vermittler als Hauptursache schlechter Finanzberatung. Wer Geld für den Abschluss von Geschäften erhält, hat kein Interesse an einer verbraucherorientierten Beratung, sondern der Betreffende will eine möglichst hohe Provision erzielen. Auf dem Vierten Verbraucherschutzforum der BaFin in Frankfurt38 hat sie von den Erfahrungen in Großbritannien und den Niederlanden berichtet. Dort wurde Finanzberatung auf Provisionsbasis massiv eingeschränkt. Das von der Industrie befürchtete Chaos ist ausgeblieben. Wer eine wichtige Entscheidung in Gelddingen treffen muss, kann sich gegen eine Gebühr beraten lassen. Die Beratungsqualität ist dadurch enorm angestiegen.

Das bestätigt ein Bericht der britischen Finanzaufsichtsbehörde Financial Conduct Authority.39 In der im März 2016 veröffentlichten Studie wurde ausführlich untersucht, wie sich das seit 2013 gültige Provisionszahlungsverbot gemäß Retail Distribution Review (RDR) auswirkt. Das Ergebnis ist klar positiv. Das »Executive Summary« konstatiert eine Erhöhung der Professionalität in der Finanzindustrie. Gelobt werden die Verbesserung der Transparenz sowie das Ende des Interessenskonflikts aus einem provisionsgeleiteten Vertriebsmodell:

The move to fee-based advice on retail investment products has improved transparency and ended conflicts of interest caused by a mainly commission-driven model.40

Nach fünf Jahren Erfahrung hat sogar die Finanzbranche ihre anfängliche Ablehnung geändert. Christian Nuschele von Standard Life Deutschland zieht ein erfreuliches Fazit: »Die für Kunden und Makler überwiegend positiven Folgen werden immer offensichtlicher.«41 Die Anzahl der unabhängigen Finanzberater (Independent Financial Advisors) ist seit Einführung des Provisionsverbotes in Großbritannien nicht mehr gefallen, während es vorher über Jahre zu starken Rückgängen kam. Etwas visionär stellt Nuschele sogar in den Raum, dass die »Regulierung made in UK« ein Vorbild für den deutschen Vermittlermarkt sein könnte.42

Ebenfalls in dieses Horn bläst Deutschlands oberste Lobbyistin für Verbraucherinteressen im Finanzbereich. Dorothea Mohn vom Bundesverband der Verbraucherzentralen spricht sich klar für Veränderungen aus:

Der Bericht aus Großbritannien zeigt, dass ein Provisionsverbot wirkt. Sowohl die Beratungsqualität als auch das Vertrauen der Verbraucher in die Finanzberatung nehmen zu. Die Qualität der Anlageberatung in Deutschland ist nachweislich schlecht. Deshalb braucht es auch in Deutschland dringend ein Provisionsverbot.43

Wie absurd die Situation in Deutschland und vielen anderen Ländern ohne diesen Mut ist, verdeutlicht ein eindrücklicher Vergleich: Angenommen, die Steuerberater wären Angestellte der Finanzämter. Niemand würde wohl ernsthaft erwarten, dass sie bei der Erstellung der Steuererklärung Gesetze zugunsten der Steuerpflichtigen auslegen. Wer aber würde dann überhaupt zu einem solchen Steuerberater gehen?

Bei Finanzberatern ist dieser Widersinn tägliches Brot. Tausende pilgern zu Beratern, die von der Finanzindustrie für Abschlüsse bezahlt werden. Viele dieser »Berater« arbeiten ausschließlich für einen Produktlieferanten und dürfen nur dessen »Ware« anbieten. Nur ganz wenige Kunden suchen den Weg zu Honorarberatern. Davon gibt es auch in Deutschland ein paar Hundert Exoten. Von ihnen vermittelte Produkte werden als »Nettoprodukte« bezeichnet. Für den Abschluss ist also keine Provision einkalkuliert. Und falls es kein passendes Nettoprodukt gibt, wird eine kalkulierte Provision an den Kunden weitergegeben. Der Berater rechnet seinen Aufwand gemäß der angefallenen Zeit auf Stundenbasis ab.

Schweden, Dänemark, Finnland und Norwegen sind schon viel weiter.44 Im Königreich Dänemark sind beispielsweise Courtagezahlungen bei Lebens- und Sachversicherungen schon vor zehn Jahren verboten worden. In Finnland dürfen Makler seit Jahren nur von ihren Kunden entlohnt werden. Interessant ist der Grund für diese Regelungen: Es wurde eine Umfrage durchgeführt, wie viele Finnen die Höhe der Vergütung ihres Versicherungsmaklers kennen. Mit 69 Prozent gaben zwei von drei Personen an, dies nicht zu wissen. Das war dem Gesetzgeber zu viel. Er handelte.

Spannend wäre eine solche Umfrage auch in Deutschland. Wie viele Deutsche kennen die Höhe der Provisionen? Es wäre eher erstaunlich, wenn diese, wie in Finnland, 31 Prozent der Befragten beziffern könnten.