Impressum
© 2017 Karin von Papstein
Erste Auflage
Autor: Karin von Papstein
Umschlaggestaltung, Illustration: Karin von Papstein
Verlag: Tredition
ISBN:
978-3-7345-3144-6 (Paperback)
978-3-7345-3145-3 (Hardcover)
978-3-7345-3146-0 (e-Book)
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Für Ute
Es war kurz vor Weihnachten 1988. In diesem Jahr hatte ich das Gymnasium beendet, mein Abitur mit Ach und Krach bestanden, einige skurrile Jobs angefangen und auch schnell wieder beendet. Ich hatte keine Ahnung was ich beruflich machen wollte und zum Leidwesen meiner Eltern ließ ich mir bei der Suche danach auch sehr viel Zeit. Bei fiesem Dauerregen in der Provinz des schönen Siegerlandes hingen wir zuhause rum und langweilten uns. Meine Freundin Caro kam zu Besuch und wir saßen im Wohnzimmer mit einer Flasche Weinbrand und Cola und wollten uns gepflegt betrinken. Meine Eltern waren den Abend ausgegangen und wir hatten genug Zeit zum Quatschen. Ich kannte Caro schon seit der Grundschule. Sie ging damals in meine Parallelklasse und in den Pausen haben wir immer zusammen gehockt und geratscht. Auch nach der Schule waren wir fast immer zusammen. Sie wohnte nur eine Straße unter unserer und nur fünf Minuten zu Fuß entfernt. Ihre Mutter war geschieden, hatte aber einen neuen Freund und der war unerträglich. Caro verstand sich überhaupt nicht mit ihm und war daher die meiste Zeit bei uns. Ich wunderte mich etwas, dass sie eine Frankfurter Allgemeine Zeitung unter dem Arm trug, als sie an diesem besagten Tag zu Besuch kam, sagte aber nichts. Irgendwann rückte Caro dann mit der Sprache raus, warum sie die Zeitung mitgebracht hatte.
„Ich habe einen interessanten Artikel gelesen, das musst du dir anschauen. Au-pair in Amerika, das wäre es doch mal. Sunny California, Meer, Strand, coole Leute und ein lockeres, abgefahrenes Leben. Und wer weiß, was und wer einem da so über den Weg läuft“, tönte sie.
Wir waren beide Singles und einen richtigen Job hatte auch keiner von uns. Nach ein paar Gläsern Asbach-Cola haben wir feierlich und auch schon etwas betüdelt beschlossen, uns auf diese besagte Anzeige in der FAZ zu bewerben. Wir haben uns geschworen, wir ziehen die Sache gemeinsam durch. Hatten ja auch nichts zu verlieren.
Das Hauptbüro dieser Gesellschaft „Au-pair in America Association“ war in Bonn. Ganz unabhängig voneinander haben wir unsere Bewerbungen dorthin geschickt. Man musste natürlich einige Kriterien erfüllen: gute Englischkenntnisse, Erfahrungen mit Babys oder Kleinkindern und so weiter. Da ich immer noch einen guten Draht zu meinem damaligen Englischlehrer Herr Lehmann hatte, ging ich zu ihm und ließ mir „meine guten Englisch-Kenntnisse“ schriftlich bestätigen. Er fand meine Idee super und hat mich in der Angelegenheit voll unterstützt. Zusätzlich musste ich noch einen Nachweis erbringen, dass ich schon einige Monate Babysitting gemacht habe. Aber wo sollte ich diesen Nachweis bloß herbekommen? Meine Mutter hatte dann plötzlich eine geniale Idee. Unsere frühere Untermieterin Angelika, die mittlerweile eine Tochter bekommen hatte, sollte ich fragen, ob sie mir so eine Bestätigung schreibt. Und tatsächlich legte sie mir ein paar Tage später ein „Babysitter-Zeugnis“ vor, in dem stand, dass ich über den Zeitraum von zwei Jahren mehrmals die Woche auf Ihre Tochter aufgepasst hätte. Das war natürlich gelogen aber sie fand meinen Plan super. Wie der Zufall es wollte, war Angelika Englischlehrerin am städtischen Gymnasium und hat die Referenzen meines damaligen Englischlehrers noch etwas „aufgehübscht.“
Ich hatte somit "allerbeste“ Voraussetzungen für diesen „hochqualifizierten“ Job.
Einen Monat nachdem ich die Bewerbung losgeschickt hatte, bekam ich ein Schreiben von der Organisation. Ich wurde in das Büro nach Bonn eingeladen und die wollten mich gerne kennenlernen. Ich war natürlich sehr aufgeregt und bin sofort zu Caro geflitzt um ihr die frohe Botschaft zu überbringen und um zu hören ob sie auch schon eine Einladung bekommen hatte. Das war allerdings nicht der Fall, denn Caro hatte nie eine Bewerbung losgeschickt. Bis heute weiß ich nicht warum. Offensichtlich war sie zu feige und das Ganze war tatsächlich eine Nummer zu groß für sie. Mir war das egal. Ich war mittlerweile so optimistisch und heiß auf die USA, mich konnte nichts mehr stoppen. Also fuhr ich mit meiner Mutter nach Bonn, in das Büro der Au-pair-Organisation. Natürlich haben wir uns dreimal verfahren aber da wir sehr früh losgefahren sind, waren wir trotzdem noch pünktlich. Es waren eine ganze Menge „Au-pair-Anwärter“ da, auch Jungs. Als ich an der Reihe war und in das Büro ging, schlotterten mir etwas die Knie. Ich wurde gefragt, wie ich in bestimmten Situationen mit Babys und Kleinkindern umgehen würde und außerdem haben sie sich nach meinen Hobbys und meiner Schulbildung erkundigt. Dann wurde ich getestet, wie ich mich geografisch in den USA auskenne und einen Englischtest musste ich natürlich auch machen. Ich war selbst ganz erstaunt, so schlecht wie ich vermutet hatte, habe ich gar nicht abgeschlossen.
Die Mitarbeiter dieser Organisation waren eigentlich ganz nett und nach fast zwei Stunden konnten wir wieder nach Hause fahren, mit der Info, sie würden mir schriftlich Bescheid geben. Also musste ich wieder warten und wurde immer nervöser. Caro tat so als wäre ihr das alles gleichgültig. Auch wenn ich immer wieder mit dem Thema anfing, hat sie jegliche Diskussionen und Gespräche diesbezüglich versucht zu vermeiden. Ich glaube sie war schon etwas neidisch, das es jetzt doch alles irgendwie funktionierte, womit sie offenbar gar nicht gerechnet hatte. Und offensichtlich hatte sie auch nicht mit meiner Hartnäckigkeit und meinem Mut gerechnet.
Ein paar Wochen später bekam ich einen dicken Umschlag per Post zugeschickt mit dem Absender der Au-pair Organisation aus Bonn. Himmel war ich aufgeregt! Ich riss den Umschlag auf und konnte es nicht fassen. Da war tatsächlich ein langer Brief und ein paar Bilder der Familie Anderson aus Los Altos in Kalifornien drin. Dazu ein Schreiben der Organisation mit der Frage ob ich Interesse hätte für ein Jahr zu dieser Familie zu gehen um den „Californian Way of Life“ kennenzulernen.
Ob ich Interesse hätte? Natürlich hatte ich – blöde Frage! Es hörte sich alles so traumhaft an was in dem Brief der Familie stand. Ich sollte ein fünfzehn-Monate-altes knuddeliges Mädchen namens Jennifer betreuen, die Familie hatte eine Katze, ein Dobermann, ein VW Golf Cabrio als Au-pair-Auto und der Familienvater sah auf den Fotos aus wie Tom Selleck, der knackige Typ aus der TV-Serie Magnum. Volltreffer, dachte ich mir!
Einige Tage später, nachdem ich alles mit der Organisation geklärt hatte, rief mich meine „neue US-Mutti“ zuhause an. Ich bekam vor lauter Nervosität kein Wort heraus und sie babbelte an der anderen Seite der Leitung was das Zeug hielt. Ich verstand kaum ein Wort. Jetzt wurde mir klar, dass ich mit meinem britischen Schulenglisch auf einige Probleme stoßen würde in den USA. Aber da musste ich jetzt durch. Im Nachhinein habe ich so manches Mal unser Schulenglisch verflucht. Damit kann man relativ wenig anfangen bei den Dialekten in Amerika. Obwohl ich mit Kalifornien noch Glück hatte. Man stelle sich mal vor ich wäre in Texas oder Kansas gelandet! Die haben Dialekte, das ist gar nicht mehr lustig.
Obwohl Caro meine beste Freundin war, trafen wir uns bis zu meiner Abreise immer seltener. Eigentlich schade, dachte ich, ausgerechnet diejenige, der ich das alles zu verdanken hatte, wollte offensichtlich nichts mehr mit mir zu tun haben. Aber ich glaube sie wollte sich dann auch nicht die Blöße geben, dass sie so ein Weichei war. Und etwas Neid hat da sicherlich auch eine Rolle gespielt. Sei´s drum, ich war aufgeregt und habe dem Abflugtag voller Vorfreude entgegengefiebert. Ich verabschiedete mich noch von meinen engsten Freunden und Bekannten und verbrachte den letzten Sonntag vor der Abreise bei meiner Omi im Sauerland. Wir hatten immer ein sehr enges Verhältnis und sie gab mir noch einige Ratschläge und etwas Geld für die Reise mit. Sie machte sich große Sorgen um mich und wiederholte zwanzigmal den Satz: „Kind, pass auf dich auf und lass dich nicht mit düsteren Gestalten ein.“ Ich versprach ihr, dass ich mich mindestens einmal im Monat telefonisch bei ihr melden und ihr hin und wieder eine Postkarte schreiben würde. Sie war zufrieden und ließ mich dann schweren Herzens ziehen.
Am Freitag den 24. März 1989, kurz vor Ostern, ging es dann endlich los. Ich wollte von Köln-Bonn nach London fliegen und von dort am nächsten Morgen mit der British Airways nach New York. Das Ticket für den Langstreckenflug sollte ich kurz vor Abflug von der Organisation in London am Flughafen bekommen. Alle waren beim Abschied dabei. Mama, Papa, meine Schwester Ute und ihr Freund Stefan. Es war mein erster Flug, und ich hatte richtig Bammel das erste Mal ganz alleine in einem Flugzeug zu sitzen. Alles ging ganz schnell und ich konnte gar nicht richtig realisieren, dass ich meine Familie jetzt für mindestens ein Jahr nicht wiedersehen sollte. Als wir alle noch vor dem Security Bereich standen und durcheinanderredeten, kam plötzlich eine Durchsage über Lautsprecher.
„Karin von Papstein bitte zur Information. Karin von Papstein bitte zur Information!“ Ich dachte erst ich hör nicht gut aber als ich die anderen grinsend und tuschelnd vor mir gesehen habe, war mir klar, dass die Durchsage tatsächlich für mich war. Ich ging also ganz gespannt zum Infoschalter.
Die Dame dort hielt mir einen Telefonhörer hin und sagte: „Hier ist jemand am Telefon für Sie.“ Ich glaube, dass ich ziemlich belämmert dreingeschaut habe, denn sie grinste bis über beide Ohren. Ich nahm den Hörer entgegen und vernahm die Stimme meines Kumpels Jens. Ich grinste über beide Ohren und freute mich sehr.
Jens schrie in den Hörer: „Karin ich wollte noch einmal deine Stimme hören und Tschüss sagen!“ Da hätte ich ja am liebsten angefangen zu Heulen. Wie süß war das denn? Jaja, Jensi hat´s schon drauf, der alte Charmeur. Er wünschte mir viel Glück und viel Spaß und ich solle gut auf mich aufpassen in der großen weiten Welt. Dann wurde es auch langsam Zeit mich von meiner Familie zu verabschieden. Ich wollte keine große Abschieds-Tragödie und habe Mama schnell in den Arm genommen und ihr ins Ohr geflüstertt: „Ein Jahr geht ja so schnell vorüber. Mach dir keine Sorgen Mama, ich bin alt genug um auf mich aufzupassen.“ Jeden einzelnen habe ich nochmal gedrückt und mir gute Ratschläge mitgeben lassen. Um nicht doch noch das Heulen anzufangen habe ich mich blitzschnell umgedreht, bin durch die Zollkontrolle gerannt und habe nicht mal mehr zurückgeschaut. Meine Mutter erzählte mir dann später, sie seien alle noch auf die Plattform des Zuschauerbereichs gegangen, genau da wo meine Maschine der British Airways stand und haben versucht mich durch die kleinen Fenster ausfindig zu machen um noch einmal zu winken. Meine Schwester muss dann in einem Anflug von Wehmut gesagt haben: „Die sehen wir nie wieder.“ Da plötzlich wurde meiner Mutter klar, was gerade passiert. Ihr kleines Nesthäkchen Karin könnte ja tatsächlich für immer in Amerika bleiben, aus welchen Gründen auch immer. Und auf diese Idee war sie bis dahin noch gar nicht gekommen. Jetzt ging das große Geheule natürlich erst richtig los. Mama hat den ganzen Weg nach Hause geheult. Wie süß, die liebe Mama!
Ich saß also jetzt im Flugzeug nach London. Der erste Flug in meinem Leben und langsam bekam ich Beklemmungen und fing auch prompt an zu heulen. Ich war mutterseelenalleine und was wusste ich denn eigentlich über die USA, die Menschen, die Sprache, die Kultur? Nichts! Ich bin ja nun wirklich ein sehr spontaner, abenteuerlustiger Mensch aber für einen Moment hat´s mich dann doch erwischt mit einem kleinen Anflug von Panik. Ein netter Herr, der neben mir saß, fragte was los sei und ob er mir helfen könne, aber ich konnte noch nicht mal antworten wegen dem Kloß der mir im Hals steckte. In London angekommen, stellte ich dann mit Schrecken fest, dass ich von Gatwick nach Heathrow mit dem Shuttle-Bus fahren musste. Ich Depp hatte ein Ticket nach London-Gatwick gebucht, weil es billiger war und mir war nicht klar, dass die Flughäfen so weit auseinanderliegen. Tja, wenn man die Bauerntrampel vom Dorf schon mal in die große weite Welt gehen lässt…!
Das Busticket war so teuer, dass ich mir von dem Restgeld in meiner Tasche gerade mal einen Kaffee leisten konnte. Ich hatte blöderweise nur ein paar Mark in englische Pfund umgetauscht. Aber schließlich bin ich dann doch irgendwann in Heathrow angekommen und suchte mir nun einen geeigneten Schlafplatz in einem der Terminals. Da die Maschine nach New York erst am nächsten Morgen abfliegen sollte, musste ich wohl oder übel die Nacht am Flughafen verbringen. Warum ich das so gebucht hatte weiß ich auch nicht mehr. Wahrscheinlich war das Ticket am Vortag einfach viel billiger oder in der Früh ging kein passender Flug aus Köln raus, damit ich den Flug nach New York City hätte erwischen können. Durch die vielen neuen Eindrücke und die ganze Aufregung, hatte ich den Abschied und die Tränen schon wieder vergessen. Da saß ich also jetzt mit meinem riesengroßen Koffer, meinem Rucksack und nur ein paar Cent in der Tasche auf diesen super unbequemen Plastiksitzen des London Heathrow Flughafen. Mit einem Argusauge auf mein Gepäck und ständig in Panik das mir jemand ans Fell will. Aber auch diese Nacht habe ich irgendwie überlebt.
Am nächsten Morgen ging ich zu dem Meeting-Point, der uns vorab von der Organisation genannt wurde. Dort standen schon andere Mädchen, die die gleiche Idee hatten wie ich – Au-pair in Amerika. Ich stand neben einem blonden Mädchen als die Tickets verteilt wurden und kam mit ihr ins Gespräch. Sie war aus Mettmann bei Düsseldorf, hieß Claudia und war mir sofort sympathisch. Leider konnten wir in der Maschine nach New York nicht nebeneinandersitzen. Aber das war auch ganz okay, da ich nur geschlafen habe, aufgrund der ungewollt schlaflosen und sehr unbequemen Nacht am Flughafen von London Heathrow.
Von dem Flug habe ich fast nichts mitbekommen, nicht mal gegessen habe ich. Die Stewardessen haben mich schlafen lassen. In New York angekommen, wurden wir im Bus in die Stadt gekarrt. Ich wollte laut rausschreien „I am the King of the World!“ wie Leonardo DiCaprio im Film Titanic als er vorne am Schiffsbug stand. Zum ersten Mal in meinem Leben in New York, in Amerika, mein Traum ist in Erfüllung gegangen! Vor einem ziemlich schicken Hotel, dem Omni Park Central Hotel, direkt am Central Park hielt der Bus. Es gab ein großes Durcheinander an der Rezeption, wer mit wem in ein Zimmer geht. Claudia und ich stellten uns zusammen an die Rezeption, damit wir vielleicht in ein gemeinsames Zimmer kamen. Und so war es dann auch. Wir gin-gen in unser Zimmer auf die 37. Etage und konnten endlich unsere Koffer auspacken und uns ein paar Minuten ausruhen. Außerdem waren noch eine Engländerin und eine Holländerin mit uns im Zimmer. Wir haben uns alle sehr gut verstanden, aber Claudia wurde meine „NYC-Freundin.“ Kaum eine halbe Stunde nachdem wir angekommen waren, standen Claudia und ich schon wieder auf der 57th Avenue und wollten die Stadt erkunden. Es war Ende März und erstaunlich warm draußen zwischen den Hochhäusern. Wir liefen zur 5th Avenue, gingen zu Bloomingdales und Macy´s und kamen aus dem Staunen gar nicht mehr raus. Herrschaftszeiten, war das cool hier! Abends hat uns um 22:00 Uhr so der Jetlag eingeholt, dass wir sofort ins Bett gegangen sind und wie die Murmeltiere geschlafen haben.
In einem Zimmer mit nur einem Bad, welches aber von vier Mädels bewohnt wird, kann man sich ungefähr vorstellen, wie es am Morgen in der Dusche und vor dem Spiegel zugeht. Klar, dass wir zum ersten Zusammentreffen mit allen anderen Teilnehmern zu spät kamen. Die nächsten drei Tage sollten Seminare zum Thema Au-pair in einem großen, eiskalten Seminarraum im Hotel stattfinden. Themen wie – was ist in den USA anders als in Europa, unterschiedliche Kulturen, was muss ich beachten, welche Regeln, Sitten und Bräuche sind zu beachten, wie gehe ich mit amerikanischen Kindern um und all diese Themen wurden besprochen. Für diejenigen, die in den Westen der USA wollten (wie mich), gab es noch ein separates Seminar zum Thema Erdbeben: Wie verhalte ich mich während eines Erdbebens mit Vorschriften, Tipps und Tricks. Diese, sollte jemand in solch eine Situation kommen, sowieso nicht befolgt werden vor lauter Aufregung und Angst, vermutete ich. Aber das sollte ich ja noch am eigenen Leib zu spüren bekommen. Trotzdem hatten wir noch ausreichend Zeit um uns zwischendurch die Freiheitsstatue, den Central Park, das Empire State Building und vieles mehr anzusehen.
Der Ausflug nach Liberty Island wurde von der Au-pair-Organisation veranstaltet und finanziert und alle wurden mit einem Bus dorthin gefahren. Auf dem Weg dorthin sind wir durch ziemlich schräge Stadtteile gefahren. Auf der Straße nach Brooklyn fuhren wir an einigen Obdachlosen vorbei, die hier offensichtlich unter den Brücken und in den Ladeneingängen wohnten. Wir haben natürlich alle gaffend an den Fenstern geklebt. Das muss so blöd ausgesehen haben, dass einer der Typen aufgesprungen ist, uns seine Bierdose in einer braunen Papiertüte hinterherschmiß und schimpfte wie ein Rohrspatz. Claudia und ich haben uns kaputtgelacht.
Die Freiheitsstatue fand ich sehr beeindruckend. Man kann über 215 Stufen oder auch mit einem Aufzug auf eine Plattform oberhalb des Sockels. Ich wäre gerne bis in den Kopf der Statue gestiegen aber leider hatten wir keine Zeit mehr und mussten wieder zurück in die Stadt nach Manhattan. Wir bekamen Gutscheine von verschiedenen Restaurants, wo wir abends essen gehen konnten. Claudia und ich fanden ganz in der Nähe des Hotels ein winziges, äthiopisches Restaurant, welches von außen ganz nett aussah. Das Essen war allerdings ganz grausam und meine Finger rochen noch drei Tage später nach undefinierbaren Gewürzen, da wir kein Besteck bekamen und mit den Händen essen mussten. Der Kellner sah sehr bizarr aus, mit einem riesigen Turban auf dem Kopf und einem Ziegenbart bis zum Bauch. Er hatte ein buntes Gewand an und roch so schlimm nach Schweiß, dass ich immer die Luft anhalten musste, sobald er an unseren Tisch kam.
Leider ging diese Zeit viel zu schnell vorüber. Es war super spannend und interessant in New York. „The City that never sleeps“, hat Frank Sinatra schon gesungen und genau so habe ich es auch empfunden. Claudia musste zu einer Familie in der Nähe von Philadelphia in den kleinen Ort Trooper. Sie wäre auch so gerne nach Kalifornien gekommen, wusste aber nicht, dass man das als „Favoriten-Ort“ hätte auswählen können auf dem Bewerbungsformular. Sie war da schon stinksauer. Die meisten Mädchen kamen an der US-Ostküste in Au-pair-Familien unter. Ein Mädchen aus der Gruppe, sie war wirklich eine Mega-Tussi, wurde von Ihrem „Au-pair-Vater“ direkt in New York am Hotel abgeholt. Er kam mit seinem super Rennschlitten vor das Hotel gefahren, stieg aus dem Auto mit solch einem lässigen Hüftschwung und einer Spiegel-Pilotenbrille auf der Nase, dass uns fast schwindelig wurde. Alle Mädchen standen da und hatten den Mund offenstehen. Die Tussi griff sich ihren rosaroten Koffer, schmiss ihn in den Kofferraum und säuselt dem Typ zu: „Hello George it is so nice to meet you.“
Uns ist fast die Kinnlade runtergefallen. Naja, die hatte wohl mal den Volltreffer gelandet. Eine superreiche Familie von der Upper East Side, was braucht man mehr?
Außer mir sollte nur noch ein Mädchen aus England mit an die Westküste. Sie hieß Janet und hat mir quasi das (Au-pair-) Leben gerettet. Am JFK-Flughafen sollten wir die Flugtickets für den Flug nach Kalifornien bekommen. Jemand drückte mir ein zerfleddertes Ticket in die Hand und sagt: „Damit kommst du nach Oakland.“
Oakland? „Ich will nicht nach Oakland“, rief ich, „ich muss nach San Francisco.“ Janet kam mir Gottseidank zu Hilfe und klärte mich auf, dass Oak-land ein etwas kleinerer Flughafen nördlich von San Francisco ist. Das Ticket sei so ausgestellt und bestimmt wisse die „Au-pair-Mama“ auch, dass sie mich da abholen müsse.
Ups, wie peinlich! Jaja, wenn die Landeier mal losgelassen werden.
„Okay, again what learned“, dachte ich mir. Ich nahm also das Ticket ohne auch nur einen weiteren Blick darauf zu werfen und ging zum Airline Schalter. Beim Check-In und der Kofferabgabe fiel plötzlich der Dame hinter dem Schalter auf, dass der Name auf dem Ticket nicht mit dem Namen in meinem Pass übereinstimmte. Ich dachte ich kriege einen Tobsuchtsanfall. Was denn jetzt schon wieder? Lasst mich doch einfach nach Kalifornien fliegen! Es stellte sich heraus, dass meine neue Au-pair-Mutter ein Flugticket für ein Mädchen aus England namens Elisabeth Gurman gebucht hatte. Die hat dann wohl abgesagt und meine US-Mom meinte wohl, sie könne dann die nächste Kandidatin mit diesem Ticket fliegen lassen. Wie bescheuert ist das denn? Konnte jemals auf diesem Planeten ein Hans Wurst mit dem Ticket von Lieschen Müller fliegen? Also das hätte doch sogar die Dame aus California wissen müssen, oder? Naja, es kam ja noch schlimmer. Spätestens hier wurde mir so langsam klar, dass die Amis auch nicht gerade die hellsten Leuchten am Baum waren. Da ich natürlich nicht so viel Geld für ein neues Ticket übrighatte, hat die gute Janet ausgeholfen und mir 300 Dollar geliehen. Ich sagte ihr, dass würde sie direkt am Flughafen in Oakland von meiner Au-pair-Mutter wieder zurückbekommen. Ich konnte ja froh sein, dass ich überhaupt noch einen Platz auf der Maschine bekam.
Die Au-pair-Familie von Janet war natürlich schon am Flughafen als wir ankamen und jubelte ihr entgegen. Nur von meiner Familie war weit und breit nichts zu sehen. War ja klar. Warum hätte das auch klappen sollen? Jetzt standen wir alle da rum und warteten, da Janet die Kohle für das Ticket von meiner US-Mutter wiederhaben wollte. Es dauerte und dauerte. Handys gab es ja damals nicht und daher blieb uns auch nichts Anderes übrig als zu war-ten. Als meine Au-pair-Mutter Rachel dann endlich nach über einer Stunde total abgehetzt angestürmt kam und sich tausend Mal bei mir entschuldigte, erzählte Janet ihr kurz die Geschichte von meinem Flugticket. Sie zückte sofort ihre Geldbörse, gab Janet das Geld und wir konnten endlich nach Hause fahren. Jetzt war ich endlich angekommen und auch schon sehr viel entspannter.
Im Auto schlief ich nach ein paar Minuten Fahrt direkt ein. Rachel ließ mich schlafen und schwieg auf der ganzen Strecke bis nach Hause. Als wir dort ankamen war ich so müde und durcheinander, dass ich das Haus und die Umgebung gar nicht richtig wahrnehmen konnte. Wir sind ins Haus gegangen und Rachel hat mir mein Zimmer und das Bad gezeigt und ich bin sofort todmüde ins Bett gefallen. Mittags wurde ich wach, Kindergeschrei hat mich aus dem Schlaf gerissen und es dauerte eine Weile bis ich realisiert habe, wo ich eigentlich war. Etwas benebelt ging ich aus dem Zimmer in den Flur und plötzlich kam mir ein riesengroßer Dobermann entgegen und beschnüffelte mich. Ich hatte noch nie Angst vor großen Hunden, da wir zuhause auch schon immer Hunde hatten und ich große sabbernde Hunde gewöhnt war. Sammy, so hieß der Dobermann und ich waren sofort dicke Freunde und haben im Flur getobt und geknuddelt. Sammy war der coolste Hund den ich jemals kennengelernt hatte.
Plötzlich stand er vor mir. 1,90 m groß, braungebrannt, dunkle Haare, dunkle Augen und Schnauzbart (hier sei erwähnt, dass das zu der Zeit noch In war). Also Magnum Life und in Farbe. Mein neuer „Dad“ Daniel. Er raunzte nur kurz: „hi how are you doing?“ und ging an mir vorbei ins Wohnzimmer. Ich dachte nur „was für ein arroganter Schnösel.“ Er ließ mich auch von der ersten Sekunde an spüren, dass ich in seinen Augen nur ein ganz niederes Wesen war. Rachel dagegen war super nett, fast schon etwas übertrieben. Naja wie die Amis halt so sind. Sie machte mich mit Baby Jennifer bekannt, ein kleines, dickes, properes Brömmelchen mit dicken Speckbeinchen und Speckärmchen und einem großen Schnulli im Gesicht. Dann zeigte sie mir das Haus, den Garten, in dem Orangen und Zitronenbäume wuchsen und schließlich „mein Auto“.
Wie jetzt? Was war das denn? Ich dachte da würde ein schickes Golf Cabriolet auf mich warten?! Da stand ein uralter klappriger, orangefarbener VW Golf mit Automatikgetriebe. Mir fiel die Kinnlade runter, aber ich habe versucht mir nichts anmerken zu lassen. Naja, war ja auch egal. Hauptsache ein Auto und ich konnte weg, wann immer ich wollte. Es gab nur ein kleines Problem. Rachel hat mir striktes Fahrverbot mit Kind Jennifer gegeben. Ich solle erstmal den „California Drivers License“, also den US-Führerschein machen und dann würden wir schon sehen. Aber weitere Strecken wie z.B. nach Santa Cruz an den Strand käme gar nicht in Frage, und schon überhaupt nicht mit Jennifer. „Toll“, dachte ich mir, „jetzt hockst du hier in Kalifornien, nur ein paar Kilometer von den schönsten Stränden entfernt, und kommst nicht hin.“ Naja, ich musste jetzt wohl erstmal abwarten und mich vorsichtig an die Sache herantasten.
Rachel hatte sich ein paar Tage frei genommen, um mir ein paar Dinge in der näheren Umgebung zu zeigen. Wir fuhren zu einem großen Park in der Nähe mit Spielplatz, zu dem ich dann später mit Jennifer tagsüber hinfahren würde. Sie zeigte mir das nächste Shopping-Center mit verschiedenen Geschäften und einem großen Lebensmittel-Laden. Die Bibliothek in der ich auch deutsche Bücher ausleihen konnte, einen Spezialitäten-Laden in dem ich Nutella und Schwarzbrot kaufen konnte und alles was uns wichtig erschien. Sie war sehr freundlich und hilfsbereit. Aber auf diese Weise konnte sie natürlich auch feststellen, wie ich mit Jennifer umging. Die war ja auf allen Touren mit dabei. Es schien allerdings, als wäre Rachel ganz zufrieden mit mir. Am folgenden Tag fuhr sie mit mir zur Fahrschule, dem Department of Motor Vehicles, in dem ich mich für den Führerschein anmelden konnte. Es lagen Theorie-Fragebögen in verschiedenen Fremdsprachen aus: Spanisch, Französisch und auch Deutsch. Ich habe dann die Bögen auf die Schnelle durchgelesen. War ja nichts Anderes als beim deutschen Führerschein, nur alles viel einfacher und viel weniger zu lernen. Am darauffolgenden Samstag fuhr ich alleine zur Fahrschule und habe den theoretischen Test gemacht. Nach ein paar Minuten war ich fertig und konnte meinen Testbogen abgeben. Bestanden!
Mit dem eigenen Auto durfte ich die Praxisprüfung fahren. Ich sollte nur einmal um den Block fahren, rückwärts einparken und das war´s. Schon hatte ich meinen Führerschein, den „California Drivers License“ in der Tasche. Dieser gilt auch als Identifikationskarte und Ausweis, quasi wie der deutsche Personalausweis. Jetzt konnte ich also auch mit Jennifer im Auto durch die Gegend fahren. Rachel war superängstlich. Bis ich ihr dann mal erzählte, welch einen Aufwand wir in Deutschland betreiben müssen, um einen Führerschein zu machen. Danach war sie etwas entspannter.
Am darauffolgenden Montag mussten Rachel und Daniel wieder zur Arbeit. Ich musste also morgens kurz bevor sie das Haus verließen aufstehen und mich um Jennifer kümmern. Rachel hatte mir zwischenzeitlich gesagt was ich wie zu tun habe und wie ich den Tag mit dem Kind gestalten sollte. Sie ließ mich wissen, wie wichtig es sei, gut auf das Kind aufzupassen, da Jennifer ein absolutes Wunschkind war nach einigen Fehlgeburten. Die Jüngste war Rachel ja nun auch nicht mehr, daher war es mit weiteren Kindern eher schlecht bestellt. Jennifer war also ihr „Ein und Alles“, die beiden liebten sie wirklich abgöttisch und haben ihr auch alles durchgehen lassen. Da waren alle Anstrengungen meinerseits, dem Kind etwas Erziehung angedeihen zu lassen, vollkommen umsonst. Rachel und Daniel haben ihr alles vorne und hinten reingesteckt. Es schien mir, als hätten sie permanent ein schlechtes Gewissen, weil sie das Kind den ganzen Tag über in die Obhut eines fremden Menschen gegeben haben. Aber die Entscheidung haben sie ja selbst getroffen. Sie wollten lieber Karriere machen als auf ihr Kind aufzupassen. Jennifer mochte mich aber sehr und hing den ganzen Tag wie eine Klette an mir. Anfangs fand ich das ja noch süß. Mit der Zeit ging es mir aber auf die Nerven, weil sie sofort das Heulen anfing, sobald ich auch nur drei Sekunden aus dem Zimmer ging.
An einem Abend, als wir alle zusammen am Tisch saßen und gegessen hatten geschah dann etwas wirklich Komisches. Jennifer saß in ihrem Kinderhochstuhl und wippte immer vor und zurück. Daniel sagte immer wieder „Don´t Jennifer“, aber sie wippte und wippte und bekam immer mehr Schwung drauf. Irgendwie habe ich es kommen sehen. Plötzlich verlor sie beim Zurückwippen das Gleichgewicht und fiel samt Stuhl mit ihrem Kopf gegen die Tür. Das hat ganz schön geknallt. Ich musste mir das Lachen verkneifen, weil das echt so lustig aussah. Dieses kleine dicke Michelin-Männchen lag da rücklings wie ein Käfer auf dem Boden, die Augen und den Mund aufgerissen, zum Schreien luftholend.
Daniel wäre fast ausgetickt! Er schrie und tobte wie ein Irrer. Er hat Jennifer hochgehoben und ist wie ein Wilder durch das Haus gerannt und hat gebrüllt „We need to go to the hospital. Her Head got injured.“
So ein Blödsinn, dachte ich mir. Eine fette Beule wird sie haben und sonst nichts. Also sind die beiden mit ihr ins Krankenhaus gefahren und ich konnte alles aufräumen. Aber wenigstens hatte ich meine Ruhe. Es dauerte gute zwei Stunden bis sie wieder zurückkamen und Jennifer lag schlafend in Daniels Armen. Und was war? Natürlich nichts, nur eine fette Beule am dicken Pfannkuchenkopf. Dummes, dummes kleines Michelin-Männchen.
Zwei Wochen nach meiner Ankunft in Kalifornien wollten Rachel und Daniel mich mitnehmen zum Barbecue bei Freunden, die auch ein Au-pair-Mädchen aus Deutschland hatten. Ich habe mich gefreut endlich wieder einmal jemanden zu treffen mit dem ich deutsch ratschen konnte. Wir fuhren in den Nachbarort Santa Clara. Die Freunde von Rachel und Daniel waren sehr nett. Ihr kleiner Junge hieß Jason und war im gleichen Alter wie Jennifer. Als ich Nicole aus Köln das erste Mal sah dachte ich nur „Was ist das denn für eine verpeilte Grunge-Tusse?“ Wasserstoffblond gefärbte Haare, fett geschminkt mit Kajalstift weit über die Augen hinausgezogen, Klamotten, damit würde ich noch nicht mal zur Nachtschicht gehen. Aber das war in dem Moment egal. Sie war Deutsche, sie kam aus Kölle, sie war cool und witzig und wurde sofort meine Freundin.
Wir saßen den ganzen Nachmittag draußen im Garten und quatschten während „unsere Familien“ drinnen waren. Nicole erzählte mir, was sie in den vergangenen drei Monaten, die sie schon da war, erlebt hatte. Sie erzählte von einer Männer-WG in Mountain View, einem Nachbarort. Einer der WG-Typen war ein Deutscher und hieß Rainer. Da Nicole kein Auto hatte meinte sie, ich solle sie am nächsten Freitag abholen und wir würden zusammen nach Mountain View fahren, die Jungs wären echt cool.