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Ulrike Renk

Seidenstadt-Leichen

Kriminalroman

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Copyright der Originalausgabe:

© 2005 Leporello, Krefeld

Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2017

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © Manninx / fotolia.com

ISBN 978-3-8392-5728-9

Haftungsausschluss

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Prolog

Sie lief so wie jeden Abend und so, wie viele andere auch. Die mit Fleece gefütterte dunkle Gore-Tex-Jacke schützte sie vor dem Nieselregen. Immer wenn sie unter einer Laterne hindurchlief leuchteten die Reflektoren an ihrem Arm auf und spiegelten sich in den Pfützen.

Links von ihr lag der Stadtwald, rechts der Großhüttenhof und danach die Hockeyanlage.

Die Steine knirschten überlaut unter ihren Schuhen bis sie sich der Hauptstraße näherte, die wie ein breites Band ihren Weg durchschnitt. Im Stand trabend wartete sie auf das Grün der Ampel. Der gelblich beleuchtete Kirchturm auf der anderen Seite schien frei im Raum zu schweben, so dicht hüllte der Nieselregen alles ein.

Als die Ampel umsprang überquerte sie die Straße. Ein anderer Jogger überholte sie und sie zuckte erschrocken zusammen. Zu tief war sie in ihren Gedanken versunken gewesen, sie hatte ihn nicht kommen hören.

Er nahm den Weg rechts an Kleinlosen vorbei und sie war froh alleine in die andere Richtung laufen zu können.

Jeder Schritt fiel ihr schwer und ihr wurde bewusst, dass sie nicht viel länger mit dem Laufen fortfahren konnte. Bald schon würde sie die Kraft nicht mehr aufbringen.

Wieder führte die abendliche Runde sie über die Nordtangente auf der der Verkehr unbeirrt rauschte. Die letzten Schritte an der Rennbahn vorbei und dann bis zum Parkplatz vor dem Stadtwaldhaus schaffte sie nur mit letzter Kraft.

Keuchend lehnte sie sich an einen Baum, den Atem in einer kleinen Wolke vor sich.

Sie würde die Runde verkürzen, zum Aufgeben war sie noch nicht bereit. Seit Jahren lief sie jeden Abend den gleichen Weg und diese Routine war einer der letzten Bezugspunkte, die ihr geblieben waren.

Kapitel 1

Jürgen Fischer trug den Karton in den vierten Stock. Er fluchte leise vor sich hin. Gerade heute musste der Aufzug ausfallen. Viel hatte er nicht, nur diesen einen Karton. Zweifelnd verlagerte er das Gewicht auf dem Treppenabsatz. In der Hand hielt er einen Zettel mit der Zimmernummer. Hier musste es sein.

Der Flur hinter der Glastür war leer, die verworrene Unruhe von Stimmengemurmel und Telefonklingeln drang zu ihm.

Er fand den Raum und drückte die Tür mit dem Ellenbogen auf.

Ein typisches Büro. Teppichboden von unbestimmter Farbe. Leere Regalwände. Ein Schreibtisch und ein unbequem aussehender Stuhl, Telefon, eine fleckige Schreibunterlage, Computer, aber kein Monitor. Ihm war ein neuer versprochen worden.

Seufzend stellte er den Karton ab. War es die richtige Entscheidung gewesen? Er sah aus dem Fenster, vor dem das Wetter in langen Schlieren gerann. Die Straße zog sich schnurgerade von dem Gebäude Richtung Innenstadt, in der Mitte die Straßenbahnschienen. Die Bäume hatten alles Laub verloren und es sah genauso trostlos aus wie er sich fühlte.

Dann überschlugen sich die Ereignisse.

Jemand steckte den Kopf zur Tür herein.

»Fischer? Hauptkommissar Jürgen Fischer?«

Sein Handy klingelte.

»Fischer, ja, das bin ich.«

»Tut mir leid, keine Zeit für eine formelle Vorstellung … ich brauch Sie.«

Fischer sah kurz auf das Display des Handys, es war die Nummer seiner Frau. Entschlossen drückte er das Handy aus, steckte es in die Tasche und folgte dem Mann.

Erst zwei Etagen tiefer holte er ihn atemlos ein.

Der Kollege führte ihn zu dem großen Parkplatz hinter dem Präsidium. Keuchend nahm Fischer auf dem Beifahrersitz Platz.

»Stephan«, stellte sich der Mann vor und ließ den Motor aufheulen. »Stephan Mertens.«

»Was ist denn passiert?«

»Es wurde ein Leichenfund gemeldet, oben an der Egelsbergmühle.« Mertens holte tief Luft und fuhr dann etwas langsamer fort. »Wir haben einen großen Krankenstand im Moment und vier Kollegen sind unterwegs wegen dieser blöden Bande …«

Er sah Fischer kurz von der Seite an, lachte.

»Ich spreche in großen Rätseln, nicht wahr? Da haben Sie Ihren ersten Tag bei uns in Krefeld und ich überfall Sie mit ungefilterten Informationen.«

Fischer strich sich grinsend über seine kurzen, wintergrauen Haare. Dann wurde sein Blick ernst.

»Leichenfund? An einer Mühle?«

»Na ja, es wurde ein Leichenfund gemeldet. Eine unbekleidete Frau angeblich.«

»Angeblich? Es klingt nicht so, als ob Sie das besonders ernst nehmen.«

»Da haben Sie Recht. Tu ich auch nicht. In den letzten Monaten sind uns drei Leichen an verschiedenen Orten gemeldet worden. Es waren jedes Mal Schaufensterpuppen.«

»Schaufensterpuppen?« Fischer klang erleichtert.

»Ja, Schaufensterpuppen. Teure, nicht diese billigen Plastikdinger, sondern solche, die sehr echt aussehen. Keine von ihnen hatte allerdings einen Kopf. Ich habe mich erkundigt, diese Puppen werden aus einem Fiberglasgewebe hergestellt und zwar in einem Guss. Ihre Köpfe sind abgesägt worden.«

»Sie haben recherchiert? Weshalb? Das wird doch nur unter Ordnungswidrigkeit gefallen sein, oder? Verschmutzung … Müllbeseitigung.«

»Ja, es ist kein Fall für uns, obwohl wir immer zuerst gerufen werden. Weiß der Teufel warum das jetzt beim vierten Mal wieder so ist.« Konzentriert lenkte er den Wagen durch den dichten Innenstadtverkehr auf die Ausfallstraße. »Ich habe nur des Spaßes halber nachgeforscht. Irgendetwas … weiß auch nicht … die Funde sahen erschreckend realistisch aus. Sogar Kunstblut war verteilt worden, aber keine wirklich brauchbaren Spuren.«

»Klingt nach abgedrehten Jugendlichen.«

»Könnte sein, könnte sein.« Mertens Gesichtsausdruck verschloss sich.

Sie fuhren aus der Stadt heraus. Die Felder waren fahlbraun und einzelne Weizengarben klammerten sich immer noch an tote Stängel. Der Himmel schien wie von einer dünnen Folie überzogen, gefüllt mit Nässe, die nur auf den richtigen Moment wartete um herabzustürzen.

»Warum …«, Mertens ließ das Wort einen Moment zwischen ihnen in der Luft hängen. »Warum sind Sie hierhergekommen?«

»Warum ich mich habe nach Krefeld versetzen lassen?« Fischer fuhr mit der flachen Hand über sein Gesicht, spürte zwei Stellen, die zu flüchtig rasiert waren und kratzten. Mertens warf ihm einen Blick zu, nickte.

Die Frage hatte ihm seine Frau Susanne auch mehrfach gestellt ohne dass Jürgen Fischer sie zufriedenstellend hätte beantworten können. Ich weiß es doch auch nicht, war er versucht gewesen zu sagen. Doch das war genauso gelogen wie alles andere auch. Im Grunde kannte er die Antwort, wollte sie sich aber nicht eingestehen.

»Ich brauchte dringend eine Veränderung.«

Mertens zog die Augenbrauen hoch. »Aber Krefeld?«

»Ich war als Kind oft hier bei meiner Tante. Habe ein paar schöne Erinnerungen an die Stadt und als die Stelle dann frei wurde, bewarb ich mich.«

Die reinen Tatsachen stimmten, mit den wirklichen Beweggründen hatten sie wenig zu tun.

Die Straße wurde zu einem Weg, kurvig führte er durch die abgeernteten Felder. Massige Kopfweiden streckten ihre kahlen Äste in den Himmel.

»Da sind wir schon.« Mertens brachte den Wagen abrupt zum Stehen.

Ein unsicher aussehender alter Mann kam ihnen entgegen. Hinter ihm trottete ein Hund.

»Sind Sie … sind Sie von der Polizei?«

Jürgen Fischer musste unwillkürlich grinsen.

»Ja. Hauptkommissariat. Mertens.«

»Ich … ich dachte, die schicken einen Streifenwagen …«

»Na, das hatte ich auch gedacht.« Mertens murmelte den Satz nur. »Was liegt denn vor?«, fragte er dann.

»Da hinten liegt eine tote Frau. Nackt. Ich hätte sie fast nicht bemerkt, aber Ben«, er zeigte auf seinen Hund. »Ben hat sie entdeckt. Meine Enkelin hat mir ein Handy geschenkt. Erst wusste ich gar nicht, was ich denn damit sollte, aber nun war es ja ganz praktisch.«

»Das ist wahr.« Mertens räusperte sich. »Haben Sie die ähm … den Fund angefasst?«

»Gott bewahre, nein! Ich habe Ben weggezogen und dann angerufen. Ich solle hier bleiben, wurde mir gesagt.«

»Gut, gut, gut. Dann schauen wir mal.«

Er nickte Jürgen Fischer zu und die beiden gingen um das alte Gebäude herum. Der Wind pfiff durch die Mühle und sang seine schreckliche Winterlitanei, dass nichts jemals wieder blühen und sprießen würde. Schaudernd zog Fischer die Schultern hoch.

Als erstes sah er die Ferse und dann das Bein. Sein Blick wanderte weiter, höher. Ein wohlgeformter Po, der Rücken ein wenig schräg, die Schulterblätter standen hervor wie kleine Flügel.

Die grau-grüne Blässe verriet, dass die Seele diesen Körper verlassen hatte.

Es war keine Puppe.

 

Kapitel 2

Daniel Steinbach wachte auf und es war dunkel. Er war so steif, dass er sich kaum rühren konnte. Die Hüftknochen taten ihm weh und seine Füße waren kalt. Stöhnend zog er die Decke fester um sich. Es war nicht seine Decke, er lag nicht in seinem Bett.

Nein, natürlich nicht. Als er gestern Nacht nach Hause gekommen war, hatte er seine Frau nicht mehr stören wollen. Er schlief auf dem Sofa. Deshalb war es auch so dunkel, seine Frau ließ im Wohnzimmer immer die Rollläden herunter.

Karin, seine Frau. Der Gedanke an sie verstörte ihn. Als er sie vor ein paar Jahren das erste Mal traf, war er fasziniert von dieser lebhaften Frau, die das Leben mit Löffeln zu essen schien. Sie besaß wenig Hemmungen und probierte alles Neue eifrig und voller Begeisterung aus. Fröhlich, laut, lebhaft. Eine Menge Attribute fielen ihm zu ihr ein. Er hatte sich anstecken lassen von ihr, war in ihren Strudel gezogen worden. Ihr Leben, das so komplett das Gegenteil zu seinem bisherigen Leben darstellte. Überglücklich war er, als sie einwilligte, ihn zu heiraten.

Hinter ihm lagen schon eine ganze Reihe an Affären und Beziehungen. Nie zuvor war jedoch in ihm der Wunsch aufgetaucht sich derart fest zu binden. In diesem Punkt betrog er sich und wusste es auch. Daniel hatte Karin einfangen, sie besitzen wollen. Ein Leben ohne sie war für ihn nicht mehr vorstellbar. Mit Karin alt werden, sogar Kinder waren auf einmal möglich.

Karin. Er würde nicht mehr schlafen können, der Gedanke an sie erfüllte ihn mit Wut.

Daniel Steinbach kämpfte sich aus der Decke und stand auf, streckte seine schmerzenden Knochen. Er zog die Rollläden hoch und öffnete die Terrassentür. Die Luft war klar und kalt, der Rasen hinter dem Haus von einer dicken Tauschicht überzogen. Ihn fror.

Sein Bademantel war im Schlafzimmer. Da war auch Karin.

Er lauschte in die dichte Stille, die ihn umgab. Nirgendwo im Haus rührte sich etwas, sogar die Uhren schienen stehen geblieben zu sein.

Stöhnend kehrte er zum Sofa zurück, schlang sich die Wolldecke um die Schultern und ging so in die Küche, um Kaffee zu kochen.

Das leise Blubbern der Maschine durchbrach die Stille und nun konnte er auch die anderen leisen Geräusche innerhalb und außerhalb des Hauses vernehmen. Auf den Feldern hinter dem Haus hockten Krähen und suchten die letzten Getreidekörner. Ihre disharmonischen Schreie ließen Steinbach immer wieder zusammenzucken. Dichter Nebel lag über den Gräben, die die Felder und Wiesen begrenzten und der Tagesanbruch schien stundenlang fortdauern zu wollen.

Das Gebälk im Haus knackte und mit einem leisen Tocken sprang die Heizung an.

Langsam ging er durch die Zimmer. Küche, Wohnzimmer, Karins Arbeitszimmer. Sie arbeitete als Innenarchitektin und brachte sich oft Arbeit mit nach Hause. Stromlinienförmige 50er-Jahre Möbel, die so aussahen als würden sie jeden Moment abheben und wegfliegen, füllten den Raum. Ihr persönliches Stück Geisterwelt, er fand es unheimlich.

Das Zimmer stand in starkem Kontrast zum Rest des Hauses, das in gediegenem Landhausstil eingerichtet war. Möbel, die auch Karin ausgesucht hatte. Sie war voller Widersprüche. Daniel Steinbach schüttelte den Kopf und zog die Tür zu ihrem Zimmer zu. Er wollte nicht über sie nachdenken.

Kaffeeduft drang aus der Küche zu ihm. Langsam erwärmten sich die Räume, es gluckerte in den Heizungsrohren. Mit einer großen Tasse Kaffee kehrte er zum Sofa zurück. Er hielt sein Gesicht über den Becher und spürte, wie es von dem heißen Dampf feucht wurde. Nachdenklich trank er einen Schluck, spürte die Wärme, die sich in ihm ausbreitete.

Er kam sich albern vor, hier unter der Decke zu sitzen, in T-Shirt und Unterhose, ungewaschen, frierend, ärgerlich.

Lauschend hob er den Kopf. Noch immer war von oben kein Geräusch zu hören. Hilflosigkeit machte sich in ihm breit. Er dachte an die bösen Worte, die sie sich gestern an den Kopf geworfen hatten, einsilbig, wie Bälle, die sie viel zu schnell schlugen.

 

Das erste Licht des Tages schlich sich ängstlich und ohne Selbstvertrauen durch die Vorhänge. Sabine Thelen blinzelte. Sie hatte kaum geschlafen, nein, eigentlich war sie hellwach. Der Abend hatte sie mit Erinnerungen überfallen und diese ließen sie nicht los, gingen weiter und weiter, hielten sie vom Schlafen ab.

Das war nichts Neues für sie, seit Wochen hatte sie nicht richtig schlafen können. Müde fühlte sie sich nicht, nur erschöpft bis auf die Knochen. Die Müdigkeit würde erst später kommen, das kannte sie schon. Schlafen konnte sie dann trotzdem nicht.

Im Laufe dieser Nacht traf sie eine Entscheidung. Nach einem schnellen Frühstück schlüpfte sie in warme Kleidung und verließ zielstrebig die Wohnung. Der Atem blieb vor ihr in der Luft hängen und ihre Füße zogen im silbrigen Tau eine Spur durchs Gras.

Ihr Wagen war unweit der Wohnung am Straßenrand geparkt. Ein wenig zitterten ihre Finger, als sie die Tür aufschloss, aber sie ignorierte ihre Unsicherheit.

Keine zehn Minuten später bog sie auf den großen Parkplatz ein, fand auf Anhieb eine Lücke und hielt das für ein gutes Zeichen.

Der Aufzug war mal wieder defekt, doch sie stieg sowieso lieber die Treppen hoch.

Stimmengemurmel drang aus dem Besprechungszimmer, deshalb ging sie nicht zu ihrem Büro.

Sie zögerte einen Moment, dann öffnete sie entschlossen die Tür, trat ein.

»Sabine!«

Die Kollegen sahen überrascht auf. Sie ließ den Blick über die Gesichter wandern, blieb an einem neuen, unbekannten hängen.

Ein großer Mann, glatt rasiert, kurzes Stoppelhaar in der Farbe von Eisenspänen, dunkelblaue Augen, die sie wach und interessiert ansahen.

»Melde mich zurück zum Dienst.« Es sollte lustig klingen, misslang ihr aber gründlich. »Was liegt an?«

 

 

 

 

Kapitel 3

»Mord.«

»Mord?« Sabine Thelen nahm sich einen der Becher, die auf dem weißen Resopaltisch standen und die Thermoskanne.

»Ja, eine Frau zwischen 30 und 40, schätz ich. Unbekleidet.«

»Bekannt?«

»Nein, noch nicht. Die Identifizierung erweist sich ein wenig schwierig zu diesem Zeitpunkt.«

Hauptkommissarin Sabine Thelen zog die Augenbrauen hoch, sah Stephan Mertens an.

»Schwierig?«

»Nun ja … der Kopf fehlt. Wir haben alle Vermisstenanzeigen der letzten Wochen überprüft, aber niemand hat hier eine junge Frau vermisst gemeldet. Ich habe eine Anfrage in die umliegenden Bezirke geschickt. Das übliche Prozedere.«

»Außerdem«, Jürgen Fischer meldete sich das erste Mal zu Wort. »Außerdem haben wir ja noch keinen Bericht von der Pathologie. Ich bin übrigens Jürgen Fischer.«

Er stand auf und streckte ihr die Hand über den Tisch hinweg entgegen. Sein Händedruck war fest, die Hand warm. Sabine Thelen merkte, dass ihr das Blut in den Kopf stieg und wunderte sich über sich selbst.

»Thelen. Sabine Thelen.«

»Die Leiche ist nach Duisburg zur Pathologie gebracht worden. Dr. Maier wollte sich so schnell wie möglich melden, um die ersten Ergebnisse durchzugeben.«

»Spuren?«

»Nichts Brauchbares. Sollte etwas da gewesen sein, so hat es Ben vernichtet.«

»Ben?«

»Nun ja«, Stephan Mertens lachte, »der Hund des Mannes, der die Leiche entdeckt hat. So ein fast hüfthohes Viech.«

»Er hat den Boden um die Leiche quasi durchpflügt«, fügte Jürgen Fischer hinzu, sein Tonfall war einige Grad ernster als der Mertens’.

»Zu dumm. Ich nehme an, dass die Spurensicherung trotzdem im Einsatz ist?« Sabines Blick glitt zum Fenster. Es regnete wieder.

Jürgen Fischer sah sie an und drehte sich dann zu der großen Fensterfront um.

»Keine idealen Bedingungen«, murmelte er kaum hörbar. »Gibt es eigentlich irgendwelche Unterlagen über die Schaufensterpuppen? Fotos? Wo sind die Puppen eigentlich?«

»Schaufensterpuppen?« Sabine Thelen schaute überrascht auf.

»Na, wir hatten diese Fälle in den vergangenen Wochen … Schaufensterpuppen wurden an verschiedenen Stellen gefunden, auch ohne Kopf.« Stephan Mertens raschelte mit den Unterlagen.

»Ach?«

»Ja, eifrige Bürger hatten Leichenfunde gemeldet. Ich muss zugeben, dass es tatsächlich sehr echt aussah.« Mertens sah Sabine eindringlich an. »Aber wir haben es unter grobem Unfug abgehakt. Die Puppen sind nach Elfrath in die Müllverbrennung gewandert.«

»Hat da jemand geübt?« Fischer holte eine Schachtel Zigaretten aus seiner Jackentasche. »Darf ich?« Fragend hielt er die Schachtel hoch.

»Ja, klar, es darf geraucht werden.« Eine junge Kollegin nahm die Thermoskanne, die inzwischen leer war und verließ den Raum.

Kurz darauf kam sie mit frischem Kaffee und Aschenbechern zurück.

»Geübt?« Sabine Thelen goss sich die Tasse voll. Sie nahm einen Löffel und rührte gedankenverloren, obwohl der Kaffee schwarz war. Plötzlich beugte sie sich über den Tisch, griff Fischers Zigarettenpackung. Sie zog eine aus der Packung, spielte damit herum.

»Geübt. Das erscheint mir irgendwie sehr schräg, aber anderseits auch passend. Ausprobieren. Testen.«

Sabine hielt sich die Zigarette für einen Moment unter die Nase.

»Testen. Sich austesten. Die Gegebenheiten austesten.«

Heftig griff sie nach Fischers Feuerzeug und steckte sich die Zigarette an.

»Sabine!« Mertens klang entsetzt. »Du rauchst wieder?«

Sie warf ihm einen kalten Blick zu und er zuckte zusammen.

»Ja, geübt. Irgendwie erscheint es mir, als hätten die Fälle einen Zusammenhang. So, als hätte jemand ausprobiert, wie er die Leiche am effektivsten drapiert.« Jürgen Fischer war sich nicht ganz sicher, ob er das Recht hatte als Neuer solche Vermutungen aufzustellen. Im Grunde wusste er zu wenig über die Fälle, hatte nur die Informationen von Stephan Mertens. Trotzdem fuhr er fort. »Wann sie gefunden wird vielleicht auch. Wie schnell jemand darauf aufmerksam wird und wie die Leute reagieren. Ich könnte mir gut vorstellen, dass der Täter es aus der Nähe beobachtet hat.«

»Haben wir denn gar nichts mehr über diese Puppenfälle?« Ein junger Beamter stellte die Frage. Er sah Jürgen Fischer an, grinste. »Ich bin Oliver Brackhausen. Willkommen hier.«

»Nun ja, beim ersten Mal ist eine Streife gerufen worden.« Mertens kam wieder zum Thema zurück. »Sie hat uns nur eine Aktennotiz zukommen lassen. Beim zweiten Mal habe ich die Meldung zufällig über Funk gehört und bin hingefahren, weiß auch nicht warum. Es waren keine billigen Puppen, ich glaube, das hat mich so irritiert. Und es sah verblüffend echt aus. Die Finder waren immer zu Tode erschrocken … aber Unterlagen gibt es leider keine darüber, jedenfalls nicht bei uns.«

Sabine Thelen ließ die Kippe zischend in ihrem Kaffee sterben. »Weshalb sind wir eigentlich so wenige?« Sie sah in die Runde.

»Grippe. Sie hat schlimm zugeschlagen. Und Günther, Dieter und Konsorten sind auf der Jagd nach einer Bande, die regelmäßig die Reitställe ausräumt. Sie haben eine Spur die nach Holland führt.«

»Eine Bande, die Reitställe ausräumt? Hatten wir das nicht schon mal? Gibt es sonst noch etwas, was ich wissen sollte, etwas, was ich in den letzten Wochen verpasst habe?«

Während die Kollegen Sabine über den neuesten, hausinternen Klatsch und andere Veränderungen aufklärten, lehnte Jürgen Fischer sich zurück und betrachtete die Frau.

Sie hatte schulterlange, blonde Haare, die unregelmäßig wuchsen und lange schon keinen Frisör mehr gesehen hatten. Trotzdem glänzten sie, als wären sie frisch gewaschen. Ihre blauen Augen sahen wachsam in die Runde, aber dunkle Ringe lagen darunter und zeugten von Schlaflosigkeit und Kummer. Dass sie sich eine Zigarette nahm, hatte eine unterschwellige Verstörung hervorgerufen. Obwohl Jürgen Fischer sich nicht für besonders feinfühlig hielt, spürte er diese Schwingungen genau.

Sabine Thelen stellte all die Fragen, die er auch stellen würde.

Er beschloss, sie zu mögen.

Kapitel 4

»Wer ist denn der Neue?« Sabine und Stephan gingen den langen Flur hinunter. Seit Wochen war sie nicht mehr in ihrem Büro gewesen und sie hatte ein wenig Angst davor, es zu betreten.

»Tja, so genau weiß ich es auch nicht. Heute ist sein erster Tag hier, er hat jetzt sicher einen guten Eindruck von uns bekommen. Am Freitag hat der Chef ihn kurz herumgeführt, aber du weißt ja, wie das abläuft.« Mertens grinste. »Er hat sich auf die freigewordene Stelle beworben …«

Plötzlich fiel ihm ein wessen Stelle es war, die Fischer besetzte. Auch Sabine wurde das schlagartig klar. Sie blieb stehen und zog zischend die Luft zwischen zusammengebissenen Zähnen ein.

»Weiß er …?«

»Nein, ich denke nicht. Ich, wir alle haben dich eigentlich schon letzte Woche wieder zurückerwartet. Ich meine, nicht dass du im Moment arbeiten müsstest, du bist unbefristet beurlaubt, oder?«

»Guter Gott, Stephan, weißt du eigentlich wie schrecklich es ist, zu Hause zu sitzen und sich von Erinnerungen und Gedanken jagen zu lassen? Ich habe es nicht mehr ausgehalten. Aber letzte Woche konnte ich mich nicht aufraffen, obwohl ich dem Chef gesagt habe, dass ich wiederkomme.«

Sabine Thelen schluckte hart, dann schüttelte sie den Kopf und ging weiter. Nur kurz zögerte sie an der Tür zu ihrem Zimmer. Das Metall der Klinke lag kühl in ihrer Hand. Sie drückte sie herunter, trat ein.

Nichts hatte sich in dem Raum verändert, alles war an seinem Platz. Die Raumpflegerin hatte pflichtschuldig gesaugt und den Staub weggewischt. Ein Aktenstapel lag wie verloren in der Mitte des Schreibtisches. Die beiden Bilder standen in ihren schlichten Rahmen da, wo sie immer gestanden hatten.

Sabine nahm sie und stopfte sie ohne darauf zu schauen in die Schublade.

»Hast du eine Zigarette?« Ihre Stimme verkam zu einem kaum hörbaren Flüstern.

Stephan zog die Schachtel hervor und reichte sie ihr wortlos. Ihre Finger zitterten und sie schaffte es nicht, das Feuerzeug zu bedienen.

»Gib her.« Stephan nahm es ihr ab, wölbte schützend die Finger und gab ihr Feuer. Sie zog an der Zigarette und begann zu weinen, nur wenige Augenblicke lang. Dann wischte sie sich mit einer schnellen, wütenden Bewegung die Tränen aus dem Gesicht.

»Ich … du … ach, Scheiße!«

»Sabine, vielleicht war es doch zu früh. Meinst du nicht, du solltest nach Hause gehen?«

»Nein! Ganz sicher nicht. Es gibt Arbeit, lass sie uns tun.«

»Na gut. Ich werde versuchen noch irgendetwas über diese Puppengeschichte zusammen zu kratzen.«

»Okay, ich will mir den Tatort ansehen.«

Sabine Thelen drehte sich um und trat zurück in den Flur. Es war ein Test gewesen, das war ihr bewusst. Ob sie ihn wirklich bestanden hatte, konnte sie noch nicht endgültig sagen. Immerhin war sie nicht zusammengebrochen.

Sie drückte die Zigarette in einem der großen Standaschenbecher aus und fühlte sich auf einmal sehr viel leichter.

 

Jürgen Fischer nahm die wenigen Sachen aus seinem Karton. Das Bild von Susanne mit den beiden Jungen stellte er auf den Schreibtisch. Einige Minuten lang schob er es von einer Seite zur anderen, änderte den Winkel. Schließlich gab er auf. Es war nicht die Position, es war das Bild, das ihn verstörte.

Seine Frau hatte erst mit Unverständnis reagiert, als er ihr sagte, dass er sich versetzen lassen wolle. Ihr kleines Häuschen war fast abbezahlt, der jüngste Sohn würde mit einigem Glück im nächsten Jahr sein Abitur machen. Bei allen weiteren Gesprächen über ihre Zukunft baute Susanne eine Mauer um sich, die Jürgen Fischer nicht durchdringen konnte.

Sie einigten sich darauf, dass sie vorerst eine Wochenendbeziehung führen würden. Es schien Fischers Frau fast egal zu sein.

In Jürgen Fischers Magen breitete sich ein unangenehmer Druck aus, den er auf zu viel Kaffeekonsum schob, dabei aber wusste, dass er sich betrog.

Jemand hatte im Laufe des Vormittags einen Computermonitor in sein Büro gestellt. Fischer kroch unter den Schreibtisch und bemühte sich, die Kabel in die richtigen Buchsen zu stecken. Aus irgendeinem Grund wollte das Ding jedoch nicht starten. Fischer fluchte leise, als sich die Tür öffnete und Stephan Mertens eintrat.

»Fischer?«

»Ja, hier unten.« Seine Stimme klang dumpf. Er kroch unter dem Schreibtisch hervor.

»Ich bin technisch hoffnungslos unterbemittelt. Haben Sie eine Ahnung wie ich dieses Ding zum Laufen bringen kann?«

Mertens kniete neben Fischer und kontrollierte die Stecker. Dann lachte Stephan plötzlich auf.

»Es funktioniert meistens, wenn man auch den Strom einschaltet.« Er drückte auf einen Schalter.

»Himmel, Sie müssen mich für einen kompletten Trottel halten.«

Mertens lachte wieder.

»Nein, eigentlich nicht. Ihnen eilt ein guter Ruf voraus. Hohe Aufklärungsquote …«

»Sonst nichts?« Fischer stand auf und streckte sich.

»Och, nur der übliche Klatsch. Hart aber fair, neigt hin und wieder zu leicht cholerischem Verhalten.«

»Ja, die Buschtrommeln.«

»Deswegen bin ich aber nicht hier. Ich wollte nach Duisburg zur Pathologie. Kommen Sie mit?«

Fischer warf einen schnellen Blick durch sein neues Büro. Es gab nichts, was er hätte tun können. Er war niemandem bisher zugeteilt worden und bis auf ein kurzes Gespräch mit dem Polizeichef am Freitag hatte er keine weitere Einweisung bekommen.

»Solche Fälle haben wir selten hier.« Jürgen Fischer bekam fast den Eindruck, dass Stephan Mertens ihn mit diesen Worten beruhigen wollte. »Gewöhnlich sind es Streitigkeiten unter verfeindeten Banden, Familiendramen oder eskalierte Auseinandersetzungen die zu Totschlag oder Mord führen.«

»Ja, aber all das kann man hier doch nicht ausschließen. Totschlag im Affekt nicht, dafür ist es zu gut in Szene gesetzt und ich bin mir sicher, dass es einen Zusammenhang mit den Schaufensterpuppen gibt.« Fischer starrte aus dem Wagenfenster.

Mertens lenkte den Wagen durch den dichten Verkehr. Es regnete nicht mehr, nieselte nur noch. Die Luft schien noch grauer zu sein.

»Das Opfer ist wichtig.« Fischer murmelte fast unhörbar. »Wenn wir wissen, wer sie ist und was mit ihr passiert ist, dann sind wir ein großes Stück weiter.«

»Ich habe noch mal nachgesehen. Weder in Krefeld noch in den umliegenden Städten ist eine junge Frau als vermisst gemeldet worden. Ein älterer Mann, der Alzheimer im Anfangsstadium hat, ist gestern nach einem Spaziergang nicht ins Altenheim zurückgekehrt. Zwei Mädels sind am Wochenende nach der Disco nicht nach Hause gekommen. Die eine Mutter war sehr aufgeregt, die andere erklärte, dass das schon öfters vorgekommen wäre und die beiden sicher wieder auftauchen.«

»Ich würde mich wundern, wenn es eine einfache und schnelle Lösung für diesen Fall gibt. Vorsätzliche Morde sind in Deutschland relativ selten. Wir wissen alle, weshalb.«

»Nämlich?«

»Wenn wir erst einmal darüber nachgedacht haben, morden wir dann doch lieber nicht. Im Affekt, aus Wut, ja. Das passiert. Ein Wort gibt das andere und dann wird ein Messer gezückt, ein schwerer Gegenstand gehoben, und … schon ist es passiert. Sicherlich gibt es die eine oder andere Tat, die vorsätzlich geschieht, um ein anderes Verbrechen zu vertuschen. Pädophile, denen aufgeht, dass ihre Lust ein jähes Ende hat, sobald die Kleine es ihrer Mutter erzählt. Ein Sexualverbrechen, das ausartet. Mal sehen, ob die Frau missbraucht worden ist. Das wäre dann schon mal ein Ansatzpunkt.«

Fischer rieb sich wieder mit beiden Händen über das Gesicht, als wüsche er sich ohne Wasser. Das tat er oft, wenn er nachdachte.

Kapitel 5

Sie träumte, sie läge in einem Eisloch und fröre ganz entsetzlich. Dann träumte sie nichts mehr, wurde wach. Doch es war wie ein bewusstloses Wachsein, sie war nur ein wenig weggetreten.

Erst der hämmernde Schmerz über ihren Augen setzte ihre Gedanken in Bewegung. Sie versuchte sich zu bewegen, aber es ging nicht. Ich habe einen Unfall gehabt, dachte sie erschrocken. Ich kann mich nicht mehr rühren, bin blind.

Die Schwärze um sie herum war dicht wie Tinte, obwohl sie die Augen nun weit aufriss.

Sie lenkte ihre Gedanken durch den Nebel des Schmerzes hindurch zu ihrer rechten Schulter und den Arm hinunter. Die Muskeln ließen sich anspannen, doch heben konnte sie den Arm nicht. Nach und nach ging sie ihre Körperteile durch. Sie konnte alles fühlen, aber nichts bewegen.

Die Luft um sie war kalt und dick, wie Wasser an der Grenze zum Gefrierpunkt. Es war kein Traum, sie fror erbärmlich.

Ihr Herz raste erst und dann verlangsamte sich der Puls. In immer langsamerem Rhythmus schlug das Herz gegen ihre Rippen.

Kapitel 6

Gerade als Stephan Mertens aus dem Wagen stieg, öffnete der Himmel seine Schleusen. Er rannte den kurzen Weg vom Parkplatz bis zum Präsidium, trotzdem lief ihm der kalte Regen den Nacken hinunter in den Kragen. Fluchend stieß er die Glastür auf und schüttelte seinen Haarschopf wie ein nasser Hund.

Ein Mann stand verloren in der Eingangshalle. Der Pförtner saß nicht an seinem Platz. Mertens widerstand der Versuchung wortlos an dem Mann vorbei zu gehen.

»Kann ich Ihnen helfen?«

»Ich wollte eine Anzeige aufgeben.«

In welcher Rubrik, dachte Mertens und grinste leicht, Immobilien oder Automarkt?

»Eine Anzeige? Weshalb?«

»Meine Frau ist verschwunden.«

Die Falten in dem Gesicht des Mannes waren klar und scharf, wie mit dem Rasiermesser geschnitten. Er sah bleich aus wie ein Pilz.

Mertens ballte die Hände zu Fäusten, sein Herzschlag vibrierte plötzlich bis in die Fingerspitzen.

»Kommen Sie mit.«

Es dauerte einen Moment, bis Mertens’ Computer hochgefahren war.

»Daniel, Daniel Steinbach.«

Der Mann beantwortete merkwürdig unaufgeregt die Fragen.

»Meine Frau Karin ist weg.«

»Einen Augenblick«, Mertens notierte Name und Anschrift in das Formular. Sabine Thelen ging an der offenen Zimmertür vorbei, warf einen kurzen Blick hinein. Mertens nickte ihr zu und sie betrat zögernd das Zimmer, zog sich einen Stuhl heran.

»Ihre Frau ist also weg?«

»Ja.«

»Seit wann?«

»Samstag, vermutlich.«

»Sie sind sich nicht sicher?«

»Nein.«

Mertens hob erstaunt den Kopf. Die Antworten kamen so kurz und knapp heraus, dass es merkwürdig wirkte. Der Mann wirkte weder richtig beunruhigt noch emotional berührt. Ungewöhnlich für jemanden der das Verschwinden einer ihm nahestehenden Person meldet.

Stephan Mertens schätzte Daniel Steinbach auf Mitte 40. Er hatte sehr kurzgeschnittene, dunkle Haare die an den Schläfen die ersten grauen Spuren aufwiesen. Die blauen Augen standen in Kontrast zu dem dunklen Teint und eine wache Intelligenz blitzte in ihnen auf.

Steinbach hatte seinen Mantel anbehalten und ein Bein über das andere geschlagen. Er sah locker und entspannt aus, hätte vom Wetter reden können.

Stephan Mertens horchte auf ein Stocken in Steinbachs Stimme, schnelleres Atmen, irgendein Anzeichen von Kummer und Sorge. Es gab keines.

»Nun erzählen Sie doch mal.« Sabine Thelen beugte sich vor, die Haare fielen ihr ins Gesicht und sie schüttelte sie ungeduldig weg.

»Nun, ich war Samstagabend unterwegs mit einem Kunden und bin erst spät nach Hause gekommen. Ich habe auf dem Sofa geschlafen, um meine Frau nicht zu wecken. Sonntag, gegen Mittag etwa, stellte ich fest, dass sie das Haus verlassen haben musste.«

Stephan Mertens kniff die Augen zusammen. Daniel Steinbach war ruhig, zu ruhig oder am Rand der Verzweiflung.

»Gestern Mittag haben Sie festgestellt, dass Ihre Frau das Haus verlassen haben muss, und Sie kommen erst heute zu uns. Ist das schon öfter vorgekommen?«

»Was?«

»Dass Ihre Frau weggeht, ohne Ihnen etwas zu sagen.«

Steinbach schwieg. Stephan Mertens nahm die Schachtel Zigaretten vom Tisch, bot sie Sabine an, doch diese schüttelte den Kopf. Er zündete eine an, inhalierte tief und hielt den Rauch lange Zeit in der Lunge. Immer noch wartete er. Wartete darauf, dass Steinbach irgendeine Gefühlsregung zeigte. Schließlich brach Mertens das Schweigen.