Monika Kiel-Hinrichsen

Beziehungs-

Weise

Partnerschaft
bewusst gestalten

Urachhaus

Inhalt

Vorwort

»Singledasein« oder
Unterwegs zum neuen Glück

Wo die Liebe hinfällt –
Der Blick durch die rosarote Brille

Verliebt, verlobt, verheiratet und das »verflixte siebte Jahr«

Midlife-Crisis in der Partnerschaft

Die Ursprungsfamilie –
Bedrohung oder Kraftquelle für die Partnerschaft?

Systemischer Blick auf Beziehungen und Familie

Paardynamik und Geschwisterfolge

Schattenboxen im Ring der Partnerschaft

Funkstörung – Sexualität auf dem Abstellgleis

Verliebt, verheiratet, geschieden?

Trennung fängt vor dem Abschied an

Und wieder allein – »Single mit Anhang«

Der Schmerz der Trennungskinder

Liebe im zweiten Anlauf –
Partnerschaft in einer Patchworkfamilie

Regenbogenbeziehungen

Aus alt mach neu –
Beziehungen auf dem Prüfstand

»Forever young« oder Die Weisheit des Alters

Das Licht am Ende des Weges

Schicksal und Freiheit in einer Partnerschaft

Beziehungspflege als Grundlage einer Partnerschaft

Die Leib- und Lebensgemeinschaft

Die Seelengemeinschaft

Gesprächskultur

Die Geistgemeinschaft

Rhythmen und Rituale in der Beziehung

»Taschen und Reißverschlüsse« in der Seele von Mann und Frau oder Warum Frauen und Männer so verschieden sind

Exkurs in die Paarberatung  

Transaktionsanalyse in der Paarberatung

Eltern, Kinder und Erwachsene in einer Person?

Paar-Biografiearbeit

Das verbindende Konfliktgespräch in der Beziehung – gewaltfrei miteinander reden

Vier Schritte der gewaltfreien Kommunikation

Schlusswort – Über die Treue

Anmerkungen

Literatur

Impressum

Vorwort

Partnerschaft und Familie stehen im 21. Jahrhundert in einem deutlichen Zeichen des Wandels. Wollen wir heute von »Familie« reden, müssen wir den traditionellen Begriff um verschiedenste Formen von Familienbildung erweitern. Wir sprechen von Kernfamilien, Großfamilien, Kleinfamilien, Single, Kleinstfamilien oder Ein-Eltern-Familien und Patchworkfamilien. Seit einigen Jahren tritt auch die Regenbogenfamilie, in der homosexuelle Partner mit Kindern zusammenleben, immer mehr in das allgemeine Bewusstsein. Ein Beziehungsleben verläuft damit häufig in neuen Formen und ist daraus resultierend auch anderen Herausforderungen ausgesetzt.

In den vergangenen fünfzig Jahren hat das Männer- und Frauenbild einen starken Wandel erfahren. Familie hat immer mehr die Aufgabe der wirtschaftlichen Erhaltung, der Daseinsvorsorge bei Krankheit, Invalidität und im Alter eingebüßt. War die Familie früher durch die Gemeinschaft und deren Traditionen getragen, so ist sie heute in die Freiheit der einzelnen Persönlichkeit entlassen. Sie hat sich zu einem Ort des Beziehungslebens und der Partnerschaftlichkeit entwickelt, in dem vor allem die innerfamiliären Intim- und Gefühlsbeziehungen gepflegt werden. Hieraus konnten eine neue Intimität und neue Möglichkeiten zur Verwirklichung der eigenen Liebesfähigkeit entstehen, die ihren Ursprung im letzten Jahrhundert, in den 60er-Jahren hat. Die damalige Generation hat sich gegen die Vorherrschaft alter Bluts- und Rechtsbande gewehrt. Kommunen und Wohngemeinschaften wurden gegründet. Durch die Hippiebewegung wurde die sexuelle Revolution eingeläutet, und die proletarische und bürgerliche Frauenbewegung fand ihren Höhepunkt in den Emanzipationsbestrebungen der 68er-Jahre. Frauen kämpften um ihre Rechte, beispielsweise nicht länger ans Haus gebunden zu sein oder keine Benachteiligungen in der Arbeitswelt hinnehmen zu müssen, sie wehrten sich gegen die männliche Unterdrückung, gegen den § 218 und die Scheidungsrechtsprechung.

Heute können wir an der großen Autonomie der Frauen und an der Emanzipation der Männer, aber auch an deren Verunsicherung die Entwicklungsfrüchte erleben. Die alte Rollenverteilung ist aufgehoben. Wir stehen menschlich gesehen auf dem Gipfel unserer Möglichkeiten, die sich ihren Weg durch Bewusstseinsentwicklung und Freiheitskämpfe sowie starke Individualisierung gebahnt haben. Im Idealfall ist heute für jeden alles möglich.

Die zunehmende Individualisierung hat aber auch ihren Tribut gefordert. Haben wir auf der einen Seite die Entwicklung des Ichs, unserer Persönlichkeit kultiviert, so erleben wir zunehmend im Gemeinschaftsleben große Verunsicherungen. Immer mehr sprechen wir heute von Lebensabschnittsgefährten (kurz »LAG«), die, wie der Name schon sagt, während einer bestimmten Lebens- und Entwicklungszeit ihren Weg miteinander gehen.

Wir stehen als Menschen an einem Kreuzungspunkt, durch den wir unsere Werte und Normen, die wir aus der Tradition heraus entwickelt haben, überprüfen können, sozusagen »mit unserem Ich durchdringen« können, um sie neu zu erwerben und somit als tragfähig und zu uns gehörig erleben zu können.

Grafisch lässt sich diese Entwicklung in einem nach oben spitz zulaufenden Dreieck darstellen: Wir haben uns aus den tragenden alten Familienbanden herausentwickelt und sind auf der Suche nach neuen Formen.

Wir sehen, Beziehungen zu führen unterliegt immer größeren Herausforderungen – und es gibt reichlich Ausweichmöglichkeiten!

Es existiert einfach kein gemütliches Nest mehr, in das man sich in einer Beziehung legen kann. Stattdessen bedeutet eine Paarbeziehung heute Arbeit an sich selbst und an sozialen Fähigkeiten.

Immer mehr treffen wir auf Menschen, die ohne feste Partnerbeziehung leben und sich auch bewusst nicht fest binden wollen bzw. im nächsten Schritt auch nicht mehr können.

Das Ende der Liebe heißt deshalb provokativ ein Buch des Autors Sven Hillenkamp.1 Generation Beziehungsunfähig nennt der junge Autor Michael Nast seinen Spiegel-Bestseller und beschreibt als Sprachrohr seiner Generation schonungslos die heutige Unverbindlichkeit und das Unvermögen, sich auf ein Du einzulassen.2

»Ich will mich nicht festlegen« oder »Ich will mich gerade auf mich selbst konzentrieren« scheinen geläufige Sätze zu sein, um aus einer Affäre wieder herauszukommen. So zeigt man dem anderen, dass man nicht an einer bleibenden Verbindung interessiert ist.

Wie kann eine Paarbeziehung trotzdem gelingen?

Ich möchte Ihnen durch anonymisierte und frei veränderte Beispiele aus meiner Beratungsarbeit und manchmal auch aus dem eigenen Leben Einblicke in verschiedene Lebenssituationen von Paaren unterschiedlichsten Alters geben. Daran anknüpfend sollen vor dem Hintergrund des humanistischen und des anthroposophischen Menschenbildes Wege aufgezeigt werden, die zu einem bewussten, verbindenden Beziehungsleben – in welches dennoch Brüche zu gehören scheinen – im Zeitalter der Moderne führen können.

»Singledasein« oder
Unterwegs zum neuen Glück

__ Jule hat gerade frustriert aufgehört zu telefonieren. Wieder einmal ist es einer dieser grauen Samstage, an denen sie allein in ihrer Wohnung herumhängt und eine Absage nach der anderen von ihren Freundinnen erhalten hat. Auch die letzte Solo-Freundin lebt jetzt in einer Beziehung! Zwar haben Miriam und Onno angeboten, sie könne doch mit ins Konzert kommen, doch Jule hat einfach keine Lust, immer das fünfte Rad am Wagen zu sein. Aber das Wochenende allein zu Haus verbringen möchte sie auch nicht. Sie hat schon eine richtige Sonntagsphobie: Das ist der Tag, an dem Pärchen und Familien das Straßenbild schmücken.

Sie kann sich noch gut daran erinnern, wie es ihr selbst ging, als sie noch mit Jonas zusammengelebt hat. Der Sonntag war ein heiliger Tag, der möglichst ihnen gehören sollte. Ausschlafen, lange frühstücken und Zeit für Gespräche haben. Wie oft sind sie an den See oder zum Joggen in den Wald gefahren, und nicht selten kamen ihnen einzelne Spaziergänger entgegen, die den Kopf nach unten zu neigen schienen, wenn sich ihre Blicke trafen. Wie gut sie heute nachempfinden kann, wie es im Innern dieser Menschen ausgesehen haben mag. Jedenfalls geht es ihr heute so, dass sie niemandem in die Augen blicken mag, fast als schäme sie sich fürs Alleinsein. Manchmal möchte sie sich am liebsten ganz unter ihrer Bettdecke verkriechen. Doch dabei lernt sie auch niemanden kennen. Es ist ein verflixter Kreislauf. Die Arbeit in der Firma nimmt so viel Kraft in Anspruch, dass sie sich am Wochenende oft zu erschöpft fühlt, um sich noch in größere Aktivitäten zu stürzen.

Im letzten Monat haben ihre beiden besten Freundinnen zu einem Dinner geladen und extra für sie nach einem Solo-Freund Ausschau gehalten. Aber das war einfach nur peinlich und frustrierend, und sie war froh, als der Abend endlich zu Ende war. Der Mann war überhaupt nicht ihr Typ.

Manchmal zweifelt sie schon an sich selbst. Ob sie zu hohe Ansprüche hat? Jetzt hat ihre Freundin Sabrina übers Internet ihre »große Liebe« gefunden. Ob sie es auch mal probieren sollte? Oder lieber einen Versuch bei einer anderen Partnersuche-Agentur wagen? Aber da muss man oft gleich ein Jahresabo abschließen und außerdem einen psychologischen Test zu Persönlichkeit, Konfliktverhalten und Ängsten über sich ergehen lassen, damit ein psychologisches Partnerprofil erstellt werden kann. Eigentlich ist Jule das zu intim. Im Internet muss man oft nur einen Text über sich selbst verfassen. Aber wie soll ich mich nur beschreiben? Und vor allen Dingen, was suche ich denn eigentlich für einen Typ Mann?, denkt Jule. Sie wird sich noch einmal mit Sabrina beratschlagen.

Sabrina hat ihren Freund über eine Mobil-App kennengelernt, die nur übers Handy zu nutzen ist. Sie hat den Ruf, dass die Teilnehmer erst einmal etwas Lockeres, meist auf Sex ausgerichtete Begegnungen suchen. Es finden vielleicht mehrere Treffen statt, die trotzdem nichts Verbindliches haben müssen. Man kann bei dieser App auch feststellen, ob der andere noch weitere Kontakte hergestellt hat. Die Möglichkeit, »ganz viele Frauen bzw. Männer haben« zu können, ohne dass es zu einer richtigen Beziehung kommen muss, finden viele verlockend.

Nachdem sich Jule ausgiebig mit Freundinnen über diese App ausgetauscht hat, ist sie jedoch unsicher, ob sie sich in dieses »Single-Feld« begeben will. Besonders eine Freundin hat so schlechte Erfahrungen gemacht, dass sie noch heute fast allen Männern gegenüber misstrauisch ist.

Jule entscheidet sich gegen solche Partnersuche-Agenturen. Stattdessen konzentriert sie sich wieder mehr auf sich selbst. Sie legt das Partnerschaftsthema für eine Weile zur Seite und beginnt stattdessen, das erste Mal einen Single-Urlaub zu planen. Sie schließt sich einer Pilgerreisegruppe durch die Pyrenäen an und freut sich auf den Sommer. In der kommenden Woche beginnt ein fortlaufendes Seminar für kreatives Schreiben, eine gute Gelegenheit, sich vieler Themen bewusst zu werden. Und endlich fühlt sie auch einmal wieder Freude daran, Freunde zum Brunch einzuladen. Irgendwie kehrt ihr altes Selbstbewusstsein zurück, was nicht ohne Wirkung nach außen bleibt.

Wo die Liebe hinfällt –
Der Blick durch die rosarote Brille

__ Es ist Schulschluss. Helena rennt hastig die Treppen hinunter, um die Straßenbahn noch zu erreichen, dabei läuft sie dem neuen Kollegen Hendrik in die Arme. Ein braun gebranntes, offenes Gesicht, das von blonden Locken umspielt wird, blickt sie an. Hendrik nutzt die Gelegenheit und bittet sie um einen kollegialen Austausch.

»Ich muss zum Zahnarzt«, seufzt Helena und wirft ihre rote Haarmähne nach hinten. »Sollen wir uns verabreden?«

Am Abend sitzen sie im Club zusammen und tauschen sich bis tief in die Nacht über ihre Schulerfahrungen aus. Hendrik berührt sie dabei manchmal zart am Arm. Helena wundert sich, dass alles in ihr vibriert. Sie hat sich doch nicht etwa in Hendrik verliebt? Sie mag seine ruhige, besonnene Art, seine Stimme und sein gepflegtes Aussehen. Hendrik wiederum fühlt sich von Helena angezogen. Sie hat so etwas Unkompliziertes, Kumpelhaftes, das macht es ihm leicht, sich ihr gegenüber zu öffnen.

Die folgenden Wochen erleben die beiden als Highlight. Manchmal findet Helena kleine Briefe in ihrem Fach, die sie in der Pause »verschlingt«. Sie verbringen die meisten Nächte entweder bei ihr oder bei ihm und fühlen sich wie zwei Magnete zueinander hingezogen. Bis Hendrik nach einigen Monaten auf die Bremse tritt: »Mir wird es irgendwie zu eng mit uns. Ich hab das Gefühl, überhaupt kein eigenes Leben mehr zu haben. Meine Freunde haben sich von mir zurückgezogen, weil ich immer alle Treffen abgesagt habe. Ich brauche wieder mehr Zeit für mich!«

Helena ist verletzt, aber wenn sie ehrlich ist, geht es ihr nicht anders. Auch sie fühlt sich schon länger unfrei und reagiert Hendrik gegenüber manchmal gereizt. Sie beschließen, sich nur noch dreimal in der Woche zu sehen.

Es tritt eine größere Distanz auf, die Helena zu schaffen macht. Sie merkt, dass sie eifersüchtig auf seine Freunde reagiert, unter denen auch eine Ex-Freundin Hendriks ist. Und ihm geht ihr ständiges Nachfragen auf die Nerven, weil er den Eindruck hat, dass sie ihm nicht vertraut. Helena wirft ihm seine Wortkargheit vor und unterstellt ihm, er habe sich am Anfang ihrer Beziehung mit »falschen Federn« geschmückt. Denn er ist nicht mehr so gesprächig, und er achtet weniger auf sein Äußeres.

Es wechselt sich die Sehnsucht nach Zweisamkeit mit der Kritik am anderen ab, bis es zu einem handfesten Streit kommt. Die Grundsatzfrage »Beziehung – ja oder nein« taucht auf. Helena, jetzt Anfang dreißig, ist der »ewigen Verliebtheit« müde. Sie möchte endlich eine feste Beziehung und spricht von Kinderwunsch, fragt sich, ob Hendrik der Richtige ist. Ihr Bauchgefühl sagt Ja. Aber wenn er so unverbindlich wird, dann … Hendrik wird weich und wieder offener, allerdings bereitet ihm die Sache mit den Kindern Bauchweh. Er ist 29  Jahre und fühlt, dass er nach dem Studium gerne noch ein bisschen mehr Freiheit genießen möchte – die er sich aber gut mit Helena vorstellen kann.

Die Auseinandersetzung tut beiden gut. Sie suchen nach neuen Formen der Begegnung, aus der sich dann die Perspektive entwickelt, in einem Jahr zusammenzuziehen. Immer mehr freuen sie sich auf diese Zeit, sitzen manchmal samstags über der Zeitung und schauen sich Wohnungsangebote an. Aber bis zum nächsten Jahr ist ja Gott sei Dank noch ein bisschen Zeit.

»Verliebtheit macht blind« heißt ein altes Sprichwort. Aber wofür macht es denn eigentlich blind? Was wäre, wenn wir gleich zu Beginn einer Beziehung unser Gegenüber in der ganzen Komplexität seiner Persönlichkeit erkennen würden? Wahrscheinlich würden dann viele Beziehungen gar nicht erst zustande kommen. In der Verliebtheit begegnen wir dem Teil unseres Gegenübers, der er sein möchte und noch nicht sein kann. Gerade aus der Verliebtheit heraus, aus dieser starken Anziehungskraft zweier Menschen, schaffen wir es, über uns hinauszuwachsen, uns dem anderen von unserer besten Seite zu zeigen. Was Helena Hendrik in ihrer Auseinandersetzung unterstellt – er habe sich mit »falschen Federn« geschmückt –, können wir auch allgemeiner fassen: Wir haben etwas vom Urbild des anderen gesehen, an das wir uns in der Beziehung immer im positiven Sinne erinnern. Diesem Bild können wir treu bleiben, auch wenn wir den anderen nun wahrnehmen, wie er wirklich oder noch ist. Legen wir zu stark unser eigenes Wunschbild an, wird die Partnerschaft dadurch oft stark belastet.

Eine Partnerschaft hat ähnlich wie der Mensch eine eigene Biografie. Es werden Entwicklungsschritte gemeinsam erlebt, die in gewisser Weise den Siebenjahresrhythmen der individuellen biografischen Entwicklung ähneln. Allerdings lassen sich die Entwicklungsziele und Lernaufgaben in einer Partnerschaft nicht so leicht durchschauen, und es bedarf zuerst der Kenntnis dieses Phänomens, um daran Fragen in der eigenen Beziehung zu entwickeln und diesen nachzugehen, um zu eigenen Erkenntnissen zu kommen. Denn jede Beziehung ist selbstverständlich individuell geprägt, was heißt, dass die jeweilige Partnerbiografie einen Einfluss auf die Entwicklung und den Verlauf einer Beziehung hat.

Besonders die ersten drei Jahre einer Beziehung können unter diesem Gesichtspunkt von großer Bedeutung sein. So wie das kleine Kind in den ersten drei Jahren eine innige Bindung an die Eltern hat und gehen, sprechen und denken lernt und dann im dritten Lebensjahr »ich« zu sich selbst sagt, sind wir auch als Erwachsene in einer Beziehung besonders im ersten Jahr meist sehr aufeinander bezogen, fast so eng und manchmal symbiotisch verbunden wie Eltern und Kind.

Helena und Hendrik haben ihre Verliebtheit ausgekostet, bis Hendrik bremste und damit deutlich machte, dass er sich ein Stück weit in der Beziehung zu verlieren drohte.

Sich nach großer Nähe wieder voneinander zu entfernen tut weh und kann verunsichern, wie wir bei Helena gesehen haben. Konkurrenz und Verlustgefühle können sich breitmachen.

Erst wenn wir in der Beziehung lernen, über unsere Gefühle, Bedürfnisse und Wünsche offen zu sprechen, kann sich zwischen zwei Individuen das Tor vom Ich zum Du weiter öffnen. Hierin liegt dann ein großes Entwicklungspotenzial für die Partnerschaft – und damit kann ich mich auch wieder dem annähern, der ich sein möchte. Hier findet jetzt wie bei Helena und Hendrik die Grundsatzfrage Raum: »Beziehung – ja oder nein?«

Fragen zu können geht nicht ohne Nachdenken, ohne Reflexion der bereits gelebten Beziehungszeit:

• Was erlebe ich am anderen, was bedeutet er mir?

• Warum sind wir uns wohl begegnet?

• Was trennt uns, was haben wir gemeinsam?

• Weshalb sind wir zusammen, was verbindet uns?

• Wo kann die gemeinsame Aufgabe für die Zukunft liegen?

Ist es beim kleinen Kind das Ich-Sagen im dritten Lebensjahr, so ist es in der Partnerschaft das bewusste »Wir-Sagen«, das uns eine gemeinsame Identität verleiht. Doch diese hat man nicht einfach, sie muss erst errungen werden, und wie beim Kind gibt es auch immer wieder »Trotzanfälle« in der Beziehung, um diese neue Identität durch Widerstand zu vertiefen und stabiler werden zu lassen. Hier entsteht Bewusstheit für die gemeinsame Beziehung.

Die ersten sieben Jahre einer Beziehung sind zudem ähnlich wie in der seelischen Entwicklung das Alter von 21  bis 28 Jahren geprägt von den Phänomenen der sogenannten »Empfindungsseele«, des Teils der Seele, in dem wir vorwiegend mit Empfindungen agieren und reagieren. Wir können sie vergleichen mit der »Lehr- und Gesellenzeit«. Es geht darum, gemeinsame Erfahrungen zu sammeln, darin den eigenen Standpunkt, die eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu erkennen und im Austausch mit dem Partner zu reflektieren.

Eine soziale Gemeinschaft entsteht aber nur dadurch, dass es zunehmend darum geht, sich auf den anderen einzulassen und hierbei eigene Gewohnheiten aus der Kindheit oder gegebenenfalls auch aus früherer Partnerschaft so zu verwandeln, dass etwas Neues, Gemeinsames in der Beziehung entstehen kann. Werden hierbei zu hohe eigene Maßstäbe an den Partner angelegt, kann dies schnell zu existenziellen Konflikten führen, was dann zu einer Überwachheit für die Schwächen und Schattenseiten des anderen führen kann und eine Gefahr für die Fortsetzung der Beziehung bedeutet. Deshalb sind in dieser Phase die wichtigsten Voraussetzungen: Achtsamkeit und Akzeptanz dem Fremden gegenüber, gepaart mit Milde und gegenseitiger Offenheit.

Sie können sich selbst oder als Paar Fragen stellen wie:

• Welche Gewohnheiten sind für dich/für mich wichtig?

• Gibt es Gewohnheiten an mir, die dich irritieren oder gar stören?

• Welche Gewohnheiten würden wir gerne gemeinsam anstreben und entwickeln?

Hierbei helfen gemeinsam erstellte Regeln, denn sie haben etwas mit Gewohnheiten und Ritualen zu tun, und jeder wird andere Lebensformen mitbringen. Bis sich gemeinsame Gewohnheiten gebildet haben, braucht es Zeit und immer wieder das Gespräch, um zu reflektieren, wo jeder steht.

Weitere Fragen, die Sie sich zu diesem Lebensabschnitt in Ihrer Beziehung stellen können:

• Sind Sie leicht »entflammbar«?

• Verlieben Sie sich schnell mal in jemanden?

• Welche Gefühle löst Verliebtheit in Ihnen aus?

• Haben Sie Bindungsängste?

• Was denken Sie über sich im Verlaufe einer Beziehung?

• Inwieweit wirkt Ihr Mutterbild/Ihr Vaterbild in Ihre Beziehung hinein?

• Haben Sie einen bestimmten Typus, in den Sie sich verlieben?

• Haben Sie hohe Erwartungen an Ihren Partner?

• Sind Sie schnell eifersüchtig und neigen Sie zu Konkurrenz?

• Verlieren Sie sich leicht in einer »Symbiose«?

• Was hilft Ihnen, »bei sich« zu bleiben?

Verliebt, verlobt, verheiratet und das »verflixte siebte Jahr«

__ Tina tritt kräftig in die Pedale ihres Fahrrades, in dessen Anhänger der zweijährige Max und Lina, die in wenigen Tagen ihren vierten Geburtstag feiert, sitzen. Die Strecke bergauf ist die schlimmste, sie ist völlig atemlos. Das ist aber nicht nur beim Radfahren so!, denkt Tina. Sie kann sich nicht mehr an den letzten gemeinsam verbrachten Paarabend erinnern, so lange ist der schon her. Seit die Kinder da sind und neben geteilter Elternzeit beide ihren Berufen nachgehen, bleibt wenig Raum für die Beziehung. Alex hat gerade eine führende Position im Management bekommen und gibt auch am Wochenende eine Schulung nach der anderen, während sie die Kinder versorgt und ihre Vorbereitungen fürs Referendariat macht. Der einzige Termin, den sie sich beide verlässlich freihalten, ist ihr gemeinsamer Tangoabend.

Nur nicht dran denken!, ermahnt sich Tina selbst. Ihr steigen die Tränen in die Augen. Dieser verfluchte Wind! – Nein, Tina, es ist nicht der Wind!, brüllt es aus ihr heraus.

Alex und Tina haben sich vor knapp sieben Jahren beim Tangotanzen kennengelernt. Beide waren im Fortgeschrittenenkurs, und sie erinnert sich noch heute daran, mit welcher Sicherheit Alex sie bei den Figuren durch den Tanzsaal geführt hat: die Geschmeidigkeit seines Körpers, der leichte Druck seiner Hände auf ihrem Rücken beim Richtungswechsel. Es knisterte sofort zwischen ihnen – und das Tangotanzen wurde zu einer gemeinsamen Leidenschaft in ihrer Beziehung.

Alex hatte schon damals einen Hang zu alten Traditionen – diesem Umstand verdankt sie ihren kleinen Verlobungsring und den romantischen Moment, als er während eines kurzen Wochenendtrips in Venedig stilvoll um ihre Hand angehalten hat. Ihre Freundinnen haben sie um diese Tatsache beneidet. Und heute? In gewisser Weise hat auch hier die Tradition sie eingeholt: Trotz gemeinsamer Elternzeit ist sie es, die den Hauptpart mit den Kindern meistert. Sie leben jetzt seit vier Jahren zusammen, waren in der Schwangerschaft mit Lina in eine Altbauwohnung ins Stadtzentrum gezogen, damit sie nur ein Auto brauchten. Seitdem ist Alex zielstrebig die Karriereleiter hinaufgestiegen. Genau wie sein Vater, denkt Tina. Genau wie meine Schwiegermutter, denkt Alex. Wenn er nach Hause kommt, geht ihm das »geniale Chaos«, welches Tina und die Kinder verbreiten, auf den Wecker. Er ist eher pedantisch und fängt dann an, hinter Tina herzuräumen. Das setzt sie unter Druck und ärgert sie maßlos, sodass sie oft um »Nichtigkeiten« streiten. Alex braucht Klarheit, Rhythmus und genaue Absprachen, Tina ist eher ein spontaner Typ. Sie kann auch mal alles über den Haufen werfen und sich auf Ungeplantes einlassen. Ein Kernkonflikt in ihrer Beziehung.

Während Alex Erlebtes und Belastendes schnell thematisieren muss, findet Tina es mühselig, jeden Schritt in ihrem Leben zu rechtfertigen und über ihre Gefühle zu sprechen. Jeder hat Erwartungen an den anderen, die von gemeinsamen Unternehmungen, mehr Nähe und Sexualität bis hin zu mehr Zeit für sich selbst gehen. In den letzten Monaten eskalieren die Streitgespräche schnell, und es kommt zu unschönen Vorwürfen, die zu noch mehr Distanz führen. Das geht schon so weit, dass darunter die Freude am gemeinsamen Tanzen leidet und Alex an sich wahrnimmt, wie er sich über die Viertelstunde Partnerwechsel beim Tango freut, was Tina feinsinnig spürt.

Sie nimmt ihr Misstrauen zum Anlass, mit Alex über eine Paarberatung zu sprechen.

»Das verflixte siebte Jahr« weist auf ein altes Geheimnis hin, das sich in der Bedeutung der Zahl Sieben in Märchen, Mythen und der Religion, aber auch als Rhythmus in der biografischen Entwicklung zeigt und ebenso in Beziehungen zutage tritt. Tina und Alex sind in ihrem siebten Beziehungsjahr, und es scheint, als neige sich ihr »Beziehungsvorrat« dem Ende entgegen. Sehnsuchtsvoll geht der Blick zurück zum Anfang der Beziehung und konfrontiert das Paar mit seinem alten Liebesideal. So wie damals soll es wieder oder gar immer sein!