Neulich in der Galaktischen Union

 

Das erste Buch Abdullah –

 

Roman von

Miguel de Torres

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2.

 

„Was für ein Ende für einen Raumkapitän!“

Abdullah zerrte an den Lederriemen, die seinen Ballonkörper an den Pfahl auf der Spitze des Holzstapels fesselten. Schweiß lief über seine Glatze und seine runde Stirn.

„Alles, was ich vom Leben erwartet habe, war genug Geld, um mir einen schönen, langen Lebensabend auf einem schönen, ruhigen Paradiesplaneten gönnen zu können! Das ist doch nicht zu viel verlangt, oder?“ Er heftete den Blick auf seinen Partner, den man ihm gegenüber auf dem zweiten Holzstoß festgebunden hatte. „Und du? Fällt dir gar nichts mehr ein?“

Tsarong versuchte, seine Knochenarme aus den Fesseln zu ziehen, doch die Riemen hielten seine Gelenke unnachgiebig fest. Der Scheinwerfer war längst abgeschaltet worden; die einzige Beleuchtung bestand nun in Dutzenden von Fackeln, die von zerlumpten Gestalten gehalten wurden. Andere schwangen Dreschflegel und Mistgabeln, und ihre grobknochigen Gesichtszüge waren wutverzerrt. Der Planet war vor Jahrhunderten von Menschen besiedelt und dann vergessen worden; seine Bewohner mussten in die Primitivität zurückgefallen sein.

„Zumindest wissen wir nun, was das rote Ausrufezeichen im Sternkatalog bedeutet“, antwortete Tsarong. Im Licht der Fackeln traten die Backenknochen seines schmalen Gesichts noch weiter hervor und ließen ihn mehr denn je einem mit Haut bespannten Gerippe ähneln.

„Wenn dich das tröstet ...“

„Heiligtumsschänder müssen brennen!“

„Es scheint sich ein Kult um das Wrack gebildet zu haben“, sagte Tsarong mit der Sachlichkeit eines Ethnologen.

Abdullah rollte mit den Augen. „Schon kapiert! Und dieser Sasside“, er deutete mit dem Kopf auf das Wesen mit dem Krötenkörper und dem Schlangenhals, „ist der Obergurgel.“

Der Hals des Sassiden befand sich in ständiger Bewegung, während der Kopf wie schwerelos an Ort und Stelle blieb. Ein stumpfer Reptilienblick glitt über das ungleiche Paar. Dann spannte der Krötenkörper seine Hinterbeine und katapultierte sich zwischen die beiden Holzstöße.

Die soeben noch tobende Menge verstummte.

Der Sasside entriss einem der Männer dessen Fackel und hielt sie mit seiner Krötenhand an die Basis von Abdullahs Scheiterhaufen. Rauch stieg auf, das Holz schwärzte sich. An Tsarongs Scheiterhaufen machte eine kichernde Alte das Gleiche.

„Heiligtumsschänder müssen brennen!“

Erste Flämmchen züngelten auf.

„Hast du nicht immer behauptet“, rief Abdullah, „solange du das Amulett von Phra Sivali trägst, kann dir nichts geschehen?“

Ein tiefes Brausen, das vom Himmel kam, übertönte Tsarongs Antwort. Ein Windstoß wirbelte Staub auf und ließ die Haare der Menschen und die Flammen der Fackeln flattern.

Und die Flammen, die an den beiden Scheiterhaufen leckten.

Das Brausen wurde lauter. Alle sahen nach oben. Getragen von einer Säule aus Licht, senkte sich ein stromlinienförmiges Metallungetüm herab.

Die Menschen stoben auseinander. Fackeln fielen zu Boden und erloschen oder schwelten weiter, Weihrauchgefäße zersprangen knackend. Eine Mistgabel flog durch die Luft und bohrte sich neben dem Sassiden in den Boden, der sich mit einem Riesensatz in Sicherheit brachte. Hundertfaches Angstgebrüll ging in dem Donner unter, den das landende Raumschiff verursachte.

„Der Teufel, der Teufel!“, schrien die Menschen. Einige warfen sich zu Boden und vergruben ihre Gesichter im Sand, andere stolperten in Richtung Kraterwall.

„Wer mag das sein?“, schrie Abdullah.

„Ganz egal!“ Tsarong schielte auf die Flammen zu seinen Füßen. „Schlimmer kann es jedenfalls nicht mehr kommen.“

Abdullah starrte mit brennenden Augen dem Raumschiff entgegen. Er zwinkerte, dann erkannte er das den ganzen Rumpf umspannende Logo: eine Spinne, die auf ein im Netz zappelndes Menschlein zukroch.

„Sag das bloß nicht!“, rief er durch das Dröhnen des Schiffsantriebs, vor Entsetzen bebend. „Es ist ein Raumer des Galaktischen Finanzkommissariats!“

3.

 

Der Sturm erstarb, als die Triebwerke des Raumschiffs in den Stand-by-Modus schalteten. Der Platz vor dem Wrack des Frachters war leergefegt, nicht einmal der Sasside ließ sich blicken.

Die Flammen an den Füßen der beiden Scheiterhaufen fraßen sich unaufhaltsam empor, von Mücken umtanzt. Die Hitze erschwerte bereits das Atmen.

Tsarong reckte den Kopf, doch er konnte das hinter ihm gelandete Raumschiff nicht sehen.

„Finanzkommissariat? Bist du sicher? Dieser Planet ist doch gar kein Mitglied der Galaktischen Union!“

„Es ist ein Kurierraumer.“ Abdullah blinzelte in die Flammen. „Ein Unglück kommt selten allein ...“

Die Schleuse des Kurierraumers öffnete sich und eine Gangway schob sich herab. Ein Mann erschien in der Öffnung. Abdullah erkannte auf den ersten Blick, wen sie vor sich hatten, dazu hätte es weder der schwarzen Uniform noch der silbernen Spinnensymbole auf der Schirmmütze und dem rechten Kragenspiegel bedurft: Aschfarbene Haut, brüchig wie Jahrhunderte altes Aktenpapier, zeugte von lebenslänglichem Aufenthalt in den Tiefen eines Verwaltungsplaneten, wohin niemals ein Sonnenstrahl oder gar eine menschliche Gefühlsregung drang.

Ein seelenloser Blick aus tief in den Höhlen liegenden Augen traf Abdullah und ließ ihn trotz der Hitze schaudern.

„Ein Finanzvampir!“

Tsarong sackte in seinen Fesseln zusammen.

Der Finanzvampir glitt die Gangway herab und trat zwischen die beiden Scheiterhaufen. Er sah von Abdullah auf Tsarong und wieder zurück.

„Hadschi Abdullah Ibrahim“, sagte er mit der schneidenden Stimme eines Scharfrichters. „Miteigentümer und Vorstandsvorsitzender der INSCHALLAH AG, einer Wir-AG im Sinne des Gesetzes zur Förderung von Kleinunternehmern und zur Verbesserung der Unternehmensfinanzierung. Ich habe Ihnen ein Schreiben des Finanzkommissariats zu überreichen, datiert vom 29. September 2557, mithin gestern.“

Abdullah richtete sich auf, so weit seine Fesseln dies zuließen. Sein erzürnter Blick bohrte sich über die Flammen hinweg in das starre Gesicht des Finanzvampirs.

„Hadschi Abdullah Ibrahim ibn Hadschi abu l-Hasan Ali ibn Hadschi Muley Omar! So viel Zeit muss sein.“

„Was ist denn das für ein Schreiben?“, fragte Tsarong.

Der Finanzvampir zog ein mehrfach gefaltetes und mit einem roten Siegel versehenes Papier aus einer Uniformtasche. „Ein Bescheid über 20.114.179.362 Galakto und 16 Galaktocent Umsatzsteuervorauszahlung. Der Betrag ist sofort fällig, die Verzugszinsen betragen sechs Prozent pro Normjahr.“

Abdullah und Tsarong sahen sich mit zuckenden Mundwinkeln an, und wenn sie sich in einer angenehmeren Lage befunden hätten, wären sie gewiss in lautes Gelächter ausgebrochen.

„War gar nicht so einfach, Sie aufzutreiben“, sagte der Finanzvampir, „aber letztlich kriegen wir jeden.“ Er trat vor Abdullahs Scheiterhaufen und es schien, als ob die Flammen vor ihm zurückwichen. „Als Zeichnungsberechtigter der INSCHALLAH AG sind Sie verpflichtet, mit Ihrer Unterschrift die rechtswirksame Zustellung zu quittieren.“

„Zwanzig Milliarden?“ Abdullah schüttelte den Kopf und leckte einige Schweißtropfen von seiner Oberlippe. „Das ist doch Hirnriss pur! Die INSCHALLAH AG hat in ihrem zehnjährigem Bestehen nicht einmal zwei Millionen umgesetzt, geschweige denn verdient!“

„Das Galaktische Finanzkommissariat begeht keine Irrtümer, denn laut GU-Finanzrichtlinie MifID 417 vom 1. 4. 2322 ist es unfehlbar.“

Abdullah holte tief Atem. „Wissen Sie, was Sie mit Ihrem Steuerbescheid machen können?“, brüllte er.

Der Finanzvampir hob die rechte Hand. „Es ist meine Pflicht, Sie darauf hinzuweisen, dass alles, was Sie sagen, gegen Sie verwendet werden wird.“

Rauch drang Abdullah in Augen und Nase. Er hustete. „Niemals werde ich so einen Blödsinn unterschreiben, was auch immer geschieht.“

Der Finanzvampir wippte auf den Absätzen. „Nun gut. Eine Ersatzzustellung nach § 178 I Nr. 1 und 2 ZPO erscheint mir unter den obwaltenden Umständen nicht Erfolg versprechend. Ist eine Ersatzzustellung nicht durchführbar, kann das Schriftstück nach § 180 ZPO einfach an der Heimatadresse hinterlegt werden. Ich habe während des Anflugs Ihr Raumschiff geortet und werde das Schreiben dort deponieren.“

Er machte eine 180-Grad-Drehung auf den Hacken und stelzte in Richtung seines Raumers davon.

„Halthalthalthalt! Geben Sie her, ich unterschreibe alles! Aber Sie müssen mich und meinen Partner losbinden.“

Der Finanzvampir hielt an und machte eine erneute 180-Grad-Kehre. „Laut Artikel III-4267 der Galaktischen Verfassung darf ich nicht in die lokale Gerichtsbarkeit eingreifen.“

Abdullah verdrehte die Augen und zerrte an den Stricken. „Haben Sie denn überhaupt kein Herz, Mann?“

„Ich bin Beamter.“

„Wenn Sie mich nicht befreien, kann ich auch nichts unterschreiben.“ Ein neuerlicher Hustenanfall erschütterte Abdullah. Mit rauer Stimme fuhr er fort: „Es reicht ja, wenn Sie meine Arme losbinden. Damit greifen Sie nicht in die lokale Gerichtsbarkeit ein, das garantiere ich!“

Die Hände des Finanzvampirs schlossen und öffneten sich. „Nun gut, ich denke, das kann ich verantworten.“

Zwei Sätze brachten ihn zur Spitze des Scheiterhaufens. Wieder wichen die Flammen vor ihm zurück, als fürchteten sie sich vor der Kälte, die er ausstrahlte.

Kurz darauf waren Abdullahs Arme frei. Er stöhnte und rieb sich die geröteten Handgelenke.

„Zunächst die Zustellungsurkunde, bitte hier ...“

Der Finanzvampir reichte Abdullah das Papier und einen Stift. Der Raumkapitän kritzelte zwei Worte, doch der Vampir schüttelte den Kopf. „Der volle Name, bitte. So viel Zeit muss sein.“

„Was für ein Tag!“

„Ich mache nur meine Arbeit.“

Eine Flammenzunge versengte eine Ecke der Urkunde. Abdullah unterschrieb hastig. Der Finanzvampir steckte Urkunde und Stift wieder ein, zog ein anderes Papier hervor und drückte es dem Kapitän in die zitternden Finger. Grußlos sprang er auf den Boden, die Flammen schlossen sich hinter ihm. Sekunden später war er in der Schleuse seines Raumschiffs verschwunden, und die Gangway wurde eingezogen.

Unter schmerzhaften Verrenkungen löste Abdullah seine Fußfesseln. Er drehte sich einmal um sich selbst, doch mittlerweile war er auf allen Seiten vom Feuer eingeschlossen. Der Saum seines Kaftans glomm bereits. Endlich fasste er einen Entschluss und sprang mit der Eleganz eines Elefantenbabys, das durch einen Flammenreif gestoßen wird. Am unteren Rand des Scheiterhaufens kam er auf und brach in die Knie, doch die Angst half ihm wieder auf die Beine. Mit dem Steuerbescheid schlug er die Flämmchen aus, die an seinem Kaftan emporzüngelten, dann warf er das Schriftstück ins Feuer.

Während der Kurierraumer abhob und dabei einen neuen Staubsturm entfachte, stolperte Abdullah zu dem anderen Scheiterhaufen, dessen Rückseite von den Flammen noch nicht erfasst worden war. Mit letzter Kraft schleppte er sich empor und befreite seinen hustenden Partner. Zwei hämmernde Herzschläge später hatten beide wieder festen Boden unter ihren schwelenden Hinterteilen und rangen um Atem.

„Was nun?“, fragte Tsarong nach einer Weile. „Wir haben die Gaarsche Überbrückung immer noch nicht und ...“

Mit einem feuchten Klatschgeräusch landete ein Krötenkörper neben den beiden, ein Schlangenhals fuhr herab und eine lange Zunge flatterte nur Zentimeter vor Abdullahs Gesicht. Dann drehte sich der Kopf des Sassiden nach hinten.

„Der bössse Weltraumteufel issst weg!“, rief er. „Her sssu mir! Packt die Heiligtumsschänder! Heiligtumsschänder müsssen brennen!“

Tsarong sprang auf und versetzte dem Sassiden mit seinem Raumfahrerstiefel einen Tritt zwischen die Vorderbeine. Der Krötenkörper überschlug sich und begrub den Schlangenhals unter sich. Ein Metallplättchen fiel klimpernd zu Boden. Der Sasside zischte und wand sich. Seine Krötenbeine zuckten.

Abdullah streckte die Arme aus, und nachdem sein Partner ihm aufgeholfen hatte, blickte er sich um. Einige zerlumpte Gestalten erhoben sich ebenfalls und schüttelten eine dicke Schicht aus Staub und Erde ab.

„Nichts wie weg!“

Tsarong versetzte Abdullah einen aufmunternden Stoß in den Rücken. Bevor er ihm folgte, hob er das Metallplättchen vom Boden auf.

„Das ist doch ...“

Der Sasside kam auf die Beine und hüpfte zeternd in Richtung des Wracks davon. „Her sssu mir! Rettet euren Oberpriessster! Heiligtumsschänder müsssen brennen!“

Tsarong hetzte hinter Abdullah her. Hier war nichts mehr zu gewinnen, nicht einmal die unverzichtbare Gaarsche Überbrückung des 1. Asimovschen Robotergesetzes.

„Hast du das gesehen?“, rief er, als er den Kapitän eingeholt hatte. Er hielt das Metallplättchen hoch. „Das Abzeichen eines Kapitäns der Galaktischen Frachtflotte!“

„Schon kapiert.“ Abdullah wehrte zwei Planetenbewohner ab, die sich auf ihn gestürzt hatten wie zwei Anlageberater auf einen Neureichen. „Er muss sich bei dem Absturz einen Dachschaden geholt haben.“

Die beiden erreichten die einen halben Kilometer entfernt geparkte INSCHALLAH zehn Meter vor ihren Verfolgern. Abdullah ließ sich mit pfeifendem Atem in die offene Bodenschleuse fallen, während Tsarong den Hebel des Schließmechanismus herunterriss. Ein Dolch sirrte herein und bohrte sich neben seiner Schläfe in eine Gummi-Isolierung.

Das Schott schnappte zu. Ein dumpfes Schädel-auf-Metall-Dröhnen ließ darauf schließen, dass der vorderste der Verfolger nicht mehr rechtzeitig hatte bremsen können. Wutschreie erklangen, Steine prasselten gegen die Außenwand.

Es dauerte einige Minuten, bis die beiden sich so weit erholt hatten, dass sie die Schleuse verlassen und mit dem Aufzug ins Herz des Schiffes fahren konnten. In der Zentrale sackte Abdullah in den mit angerosteten Stahlrohren verstärkten Kommandantensessel. Seine Faust fuhr auf eine große, verbeulte Taste nieder, deren rote Farbe vom oftmaligen Gebrauch großflächig abgeblättert war.

„Notstart!“

Impressum

 

Miguel de Torres

Neulich in der Galaktischen Union – Das erste Buch Abdullah

2. eBook-Auflage – März 2018

© vss-verlag, Frankfurt

vssinternet@googlemail.com

Titelbild: Stefan Böttcher

Lektorat: Hermann Schladt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Für Richard Schöllhorn-Gaar

1957 – 2008

 

Freundschaft endet nicht mit dem Tod.

1.

 

„Und du bist sicher, dass das Wrack verlassen ist?“

„Sicher bin ich sicher! Wer interessiert sich schon für einen abgestürzten Raumfrachter, der so leer ist wie unser Bankkonto? Wir flitzen hinein, bauen das Ding aus und flitzen wieder zurück zur INSCHALLAH. Keiner der Bewohner dieses Hinterwäldlerplaneten wird etwas bemerken.“

Zwei Schatten huschten über eine Ebene, steinig wie das Herz eines Buchprüfers. Der eine Schatten bestand nur aus Rundungen: Auf einem birnenförmigen Körper saß ein Kugelkopf, der bei jedem Schritt der gedrungenen Beinchen hin- und herwackelte. Der andere Schatten hingegen war dürr und kantig und anderthalb Köpfe größer als der runde, seine Bewegungen wirkten abgehackt.

Als die beiden eine Bresche im Wall des Absturzkraters erreichten, durch die eine primitive Straße führte, blieben sie stehen.

„Zumindest eines ist sicher, Abdullah“, sagte der Kantige. „Wir sind nicht die Ersten hier.“

„Du meinst, jemand könnte das Wrack ausgeplündert haben?“ Der Runde warf die Ärmchen hoch. „So etwas sollte verboten sein!“

„Ist es ja auch.“

Im Licht des Doppel-Vollmonds betrachteten sie den stählernen Koloss, der in zweihundert Metern Entfernung aufragte. Wäre das Raumschiff intakt gewesen, hätte es einem der klobigen Speichergebäude geglichen, in denen die Galaktische Zentralbank die Staatsanleihen der bankrotten Mitgliedsplaneten aufbewahrte. Allerdings hatte die Wucht des Aufpralls den würfelförmigen Frachter zur Hälfte in den Boden gerammt. Was darüber hinausragte, war zerfurcht wie das Gesicht eines Kleinanlegers. Teile der Stirnverkleidung waren abgeplatzt, anstelle der beiden Dreißig-Meter-Frachtschleusen klafften gezackte Höhlen, und darunter zog sich ein tiefer Riss quer über die gesamte Breite.

„Ob da drin noch was heil ist?“, fragte der Kantige.

„Das will ich hoffen, denn ohne die Gaarsche Überbrückungsschaltung des 1. Asimovschen Robotergesetzes lässt der verdammte Navigationscomputer unser Raumschiff nicht mehr starten.“ Abdullah ballte die fleischigen Pranken. „Diese hirnrissige Sicherheitsrichtlinie! Die INSCHALLAH hat hundert Jahre gehalten und wird mindestens noch mal so lange halten.“

Die beiden schlichen über die Straße auf den abgestürzten Frachter zu. Abdullah fischte eine Taschenlampe aus dem Inneren seines Kaftans. Ihr harter Strahl spaltete die Dunkelheit und enthüllte zerschmolzene Triebwerksöffnungen und korkenzieherartig verdrehte Antennen.

Die Hoffnungen der beiden sanken weiter.

Abdullah schaltete die Lampe wieder aus. Während des Anflugs hatten sie zwar keinerlei energetische Aktivität gemessen, aber auf einem Planeten, dessen Kultur laut Sternkatalog jener des europäischen Mittelalters entsprach, war man vor Überraschungen nie sicher.

Sie hatten sich dem Wrack bis auf fünfzig Meter genähert, als Abdullah nach links deutete.

„Tsarong?“

„Was ist?“, fragte der Kantige.

Die Taschenlampe flammte abermals auf und beleuchtete eine mannshohe Pyramide von aufgeschichtetem Holz, aus deren Spitze ein zwei Meter langer Pfahl ragte.

Tsarong wies auf die andere Seite der Straße. „Da drüben ist noch so ein Ding.“

„Wozu das dienen mag?“

„Keine Ahnung, aber mir wäre erheblich wohler, wenn ich wüsste, was das rote Ausrufezeichen im Sternkatalog zu bedeuten hat.“

„Und mir“, sagte Abdullah und schaltete die Lampe wieder aus, „wäre erheblich wohler, wenn wir uns die Gaarsche Überbrückung kaufen könnten. Ich kenne da ein paar Schwarzhändler, die mir noch einen Gefallen ...“

Mit einem Knacken, als ob dünnes Holz splitterte, brach der Boden unter den beiden weg. Zwei ungleiche Armpaare wirbelten durch die Luft, dann kam, inmitten eines Regens aus Staub und Spänen, der Aufprall auf lockerer Erde.

„Was ...“

Schmerzende Helligkeit ließ die beiden die Arme hochreißen, und das an- und abschwellende Jaulen einer verstimmten Raumschiffssirene dröhnte durch die bislang so stille Nacht.

Mit zitternden Gliedern rafften Abdullah und Tsarong sich auf, schüttelten Staub und Holzsplitter aus ihren Kleidern und sahen sich um. Sie standen auf dem Boden einer Fallgrube, deren gezackter Rand sich hoch über ihnen gegen grelles Scheinwerferlicht abzeichnete.

„Das kann ja auch nur mir passieren!“, rief Abdullah und schlug mit der Taschenlampe, an die er sich während des Sturzes geklammert hatte wie ein Parteivorsitzender an seinen Stuhl, gegen die Wand der Grube. Sein Dreifachkinn bebte. „Kann denn nicht ein einziges Mal in meinem Leben alles glattgehen?“

Ein Schatten tänzelte über sie hinweg, und ihre Köpfe ruckten hoch. Mit vom Scheinwerferlicht tränenden Augen erkannte Abdullah einen meterlangen Hals, der in einem Schlangenkopf endete. Das Maul öffnete sich, eine gespaltene Zunge fuhr heraus und ein zischendes Gelächter erklang, das sogar das Sirenengeheul übertönte.

„Heiligtumsschänder haben den Tempel des fliegenden Gottes HISSSARLIK SSSIEBEN entweiht! Kommt, ihr Gläubigen, kommt alle sssum Tempel, um die Heiligtumsschänder sssu bessstrafen!“

4.

 

Innerhalb des vom Bordcomputer freigegebenen Zehn-Lichtjahre-Radius befand sich nur ein Planet, auf dem sie – mit viel Glück – die Gaarsche Überbrückung auftreiben konnten: Grux. Am Rand des Einflussbereichs der Galaktischen Union gelegen, hatte er sich im Lauf der Jahrhunderte zu einem galaktischen Schmelztiegel entwickelt. Hier fand man nicht nur Vertreter der mehr als tausend GU-Mitgliedsplaneten, sondern auch Niederlassungen aller bedeutender Firmen, Banken und Unterwelt-Organisationen.

Mit Tsarong im Pilotensitz legte die INSCHALLAH eine Bilderbuchlandung hin, zumindest wenn man das Alter des Schiffes berücksichtigte. Zwar ging dabei die dritte Landestütze zu Bruch, doch da die restlichen neun hielten und sich das Schiff nicht mehr als zehn Grad neigte, bestand nicht allzu viel Grund zur Sorge.

Sie machten sich landfein: Abdullah vertauschte seinen mitgenommenen Kaftan mit einer goldbetressten roten Fantasieuniform, die er nur zu besonderen Anlässen aus der wurmstichigen Holztruhe in seiner Kapitänskajüte holte. Die obersten fünf Knöpfe der Weste ließen sich zwar nicht mehr schließen und den Gürtel mit der prunkvollen Schnalle hatte er schon vor Jahren durch einen deutlich längeren Lederriemen ersetzen müssen, aber er sah immer noch eindrucksvoll genug aus – wie der Oberbongo des Kafiri-Planeten auf Staatsbesuch beim GU-Kommissar für Entwicklung.

Tsarong hingegen trug wie meist eine schlichte dunkelblaue Raumfahrerkluft mit einer Unzahl von Taschen an Brust, Ärmeln und Beinen, die verhinderten, dass er wie ein in der Folterkammer gestrecktes Skelett aussah, das man in einen Anzug gesteckt hatte.

Zu guter Letzt griff Abdullah nach seinem Gehstock; einst von glänzendem Schwarz, war er nun matt vom Alter, und an einigen Stellen schimmerte hellbraunes Holz durch die dünne Farbschicht.

Tsarong deutete auf das Utensil, das sein Partner mit der Nonchalance eines Barons von achthundertjährigem Adel zu handhaben pflegte. „Willst du dieses Ding wirklich mitnehmen?“

„Mein Freund!“ Abdullah warf sich in die Brust, stellte die Spitze des Stocks vor sich auf den Boden und ließ den geschwungenen Griff kreisen, der in einer geschnitzten Dämonenfratze endete. „Ganz abgesehen davon, dass mich dieses Ding distinguiert aussehen lässt, übersteigt sein ideeller Wert den materiellen bei Weitem! Habe ich dir schon erzählt, dass mir dieses Ding vor über zwanzig Jahren vom König des Walla-Walla-Planeten verliehen wurde zum Dank dafür, dass ich seine Welt im Alleingang vor einer Raumschiffsladung fehlprogrammierter Massage-Robots gerettet habe? Seine Majestät gelobte mir nicht nur unverbrüchliche Freundschaft, sondern versicherte auch, in dem Walla-Wagong – den du dieses Ding zu nennen beliebst – sei ein mächtiger Schutzgeist eingeschlossen.“

Tsarong ahmte Abdullahs pompöse Haltung nach, was ihn einer schwangeren Laterne ähneln ließ, packte sein Amulett an der Goldkette und zog es aus dem Kragen. In Glasplastik war eine vier Zentimeter hohe Figur aus rot-schwarzem Holz eingeschweißt. Sie stellte einen Mann dar, der in der rechten Hand einen Stock hielt und in der linken das Ende eines über die Schulter geworfenen Sacks.

„Und habe ich dir schon erzählt, dass mir dieses Idol von meinem ebenfalls Tsarong genannten Urahn hinterlassen wurde? Es stellt Phra Sivali Arahant dar, einen der Schüler des Buddhas. Der letzte Dalai Lama hat es persönlich gesegnet, auf dass seinem Träger nichts Böses widerfahre.“ Er ließ das Amulett wieder unter seine Jacke gleiten.

„Was“, fragte Abdullah stirnrunzelnd, „ist also der Unterschied zwischen diesen beiden Geschichten?“

„Die meine ist wahr.“

Abdullah packte den Walla-Wagong in der Mitte und hielt ihn wie ein Zepter hoch. „Die Wahrheit, mein Freund, ist eine Hure. Das wird dir jeder Politiker bestätigen.“

Sie verließen das Schiff durch die kleine Personenschleuse in Bodennähe. Im Abstand von fünfzig Metern wandte Abdullah sich noch einmal um. Er breitete die Arme aus, und seine fleischige Miene zerfloss zu einem glückseligen Lächeln.

„Ist sie nicht eindrucksvoll? Im ganzen Universum gibt es kein schöneres Schiff!“

Auch Tsarong legte den Kopf in den Nacken. „Zumindest keines, das uns gehört.“

Aus dieser Perspektive sah die INSCHALLAH tatsächlich eindrucksvoll aus, obwohl sie einen der kleinsten Frachtertypen in der GU repräsentierte: eine sechzig Meter durchmessende Kugel, die auf einem etwa zwanzig Meter hohen und dreißig Meter durchmessenden Zylinder saß, der sowohl den Antigravitations- als auch den Sternenantrieb beherbergte. Die abgebröckelte Farbe, die den Schiffsnamen zu einem schwer lesbaren SCHALL verkürzte, und die zernarbte und an vielen Stellen verbeulte Außenhaut nahmen ihr allerdings einiges von ihrer Würde, von den drei geknickten Landestützen ganz zu schweigen.

„Wir sollten besser etwas Abstand gewinnen ...“

An der roten Bodenmarkierung, die die Begrenzung des Standplatzes kennzeichnete, wartete ein Robottaxi. Doch als sie einsteigen wollten, raste unter Sirenengeheul ein Wagen heran, auf dessen Seite das gefürchtete Spinnenlogo prangte.

„Nichts wie weg!“

Abdullah zwängte sich durch die Tür des Taxis und ließ sich auf die Rückbank fallen. Tsarong zog seinen Kopf ein, sprang hinterher und schlug die Tür zu.

Draußen hielt der Wagen mit qualmenden Reifen an, quer vor dem Robottaxi. Die Sirene verstummte.

Tsarong drückte den Startknopf. „Rückwärts ausparken und mit Höchstgeschwindigkeit zum Abfertigungsgebäude!“

Nichts geschah.

„Gib dir keine Mühe.“ Abdullah deutete mit dem Walla-Wagong auf das Fahrzeug, dem ein Finanzvampir entstieg. Mit der üblichen ausdrucksleeren Miene hielt er einen kleinen Sender hoch. „Er hat das Taxi blockiert.“

Der Finanzvampir ähnelte seinem Kollegen auf dem Mittelalter-Planeten wie ein Formblatt dem anderen; abgesehen von den Rangabzeichen auf dem rechten Ärmel sowie einer mikroskopisch in die Uniform eingearbeiteten Dienstnummer gab es kaum Unterscheidungsmerkmale.

Den beiden Partnern blieb nichts anderes übrig, als wieder auszusteigen und dem Vampir mit gesenkten Köpfen entgegenzublicken.

„Das ist ihr Raumschiff, die INSCHALLAH?“, fragte er.

Abdullah und Tsarong warfen sich einen langen Blick zu. Sie nickten. „Was ...“

Der Finanzvampir schnippte mit den Fingern; ein trockener Laut, als bräche der Unterarmknochen eines Steuersünders. Aus seinem Wagen stiegen zwei Männer in grünen Uniformen und gingen auf die INSCHALLAH zu. Während die Polizisten die Schleuse versiegelten, entfaltete der Finanzvampir eine Urkunde.

„Im Namen der Galaktischen Kommission ergeht folgendes Urteil des Obersten Finanzgerichts: Das Raumschiff INSCHALLAH, registriert auf Terra, wird zur Sicherstellung einer Steuerschuld in Höhe von 20.114.179.362 Galakto und 16 Galaktocent gepfändet, mit allem, was sich darin befindet.“

Abdullah walzte auf den Finanzvampir zu wie ein Panzer auf einen Studenten. Tsarong erwischte gerade noch den Gürtel seines wutschnaubenden Partners und hielt diesen daran unter Aufbietung aller Kräfte zurück. Das spitze Ende des Walla-Wagongs tanzte vor dem papierbleichen Vampirgesicht, in dem kein einziger Muskel zuckte.

„Was geschieht mit gepfändeten Raumschiffen?“, fragte Tsarong, vor Anstrengung keuchend.

„Sie werden in der Regel versteigert, aber wenn ich mir dieses Ding so ansehe, kann ich mir nur noch eine Verschrottung vorstellen.“

Abdullah stieß einen Schrei aus und riss sich los. Doch bevor er den Vampir erreichte, drückte dieser einen Knopf an seinem Gürtel. Ein helles Zing! erklang, der Kapitän wurde meterweit zurückgeschleudert und landete auf seinem breiten Hinterteil. Tsarong eilte zu ihm.

„Und womit sollen wir nun unseren Lebensunterhalt verdienen?“, fragte er den Finanzvampir.

Der faltete die Urkunde zusammen und steckte sie wieder ein.

„Ich mache nur meine Arbeit.“

Er knallte die Hacken zusammen, drehte sich auf den Absätzen und schritt zu seinem Fahrzeug zurück, wo die beiden Polizisten auf ihn warteten. Sekunden später verschwand der Wagen in der Ferne.

Tsarong half dem Kapitän auf die Beine.

„Was nun?“, fragte Abdullah mit rotem Gesicht.

„Wir sollten die ganze Angelegenheit einem Experten übergeben. Auf einem Planeten wie Grux muss es doch von galaktischen Steuer- und Subventionsberatern nur so wimmeln.“ Tsarong reichte dem Kapitän den Stock, der diesem entfallen war. „Ein Irrtum ist schließlich ein Irrtum, oder? Es muss eine Möglichkeit geben, Einspruch einzulegen und den Steuerbescheid für nichtig zu erklären.“

„Irrtum! Klar! Anders kann es gar nicht sein!“ Abdullah schlug seinem Partner auf den Rücken, so dass dieser einen halben Meter nach vorn geschleudert wurde. „Du bist mein Retter! Aber wer, hm ...“ In seinem Gesicht arbeitete es, dann hob er den Kopf. Seine wasserblauen Augen funkelten. „MacNab! Natürlich! Der weiß sicher Rat.“

„MacNab?“

„Du kennst ihn nicht, ist schon eine Weile her. Er stammt vom Planeten Nova Nova Scotia und hat sich anno ’40 hier niedergelassen, in Glux, der Hauptstadt von Grux. Hoffentlich wohnt er noch da ... Der kennt sich nicht nur mit den Gesetzen aus – man hat ihn meines Wissens nie rechtskräftig verurteilt –, sondern hat auch Verbindungen zu allen möglichen einflussreichen Leuten, in der Ober- ebenso wie in der Unterwelt.“

„Und wo finden wir diesen Wunderknaben?“

„Das ist einfach: in der größten, lautesten und verräuchertsten Kneipe des ganzen Planeten!“

5.

 

„Die größte, lauteste und verräuchertste Kneipe des ganzen Planeten?“ Der Harraner streckte einen kurzen Echsenarm aus. „Das ist zweifellos die Gaststätte zum gegrillten Normenkontrolleur, die zweite Gasse rechts, gleich an der Ecke.“ Seine hohe Stimme drang verzerrt unter der Maske hervor, die seine für Menschen schädlichen Atemprodukte filterte.

Abdullah beugte den Oberkörper vor und quetschte dabei mit seinem Hinterteil den Insektenkörper eines Symarers gegen eine Hauswand. „Vielen Dank, guter Mann. Zum gegrillten ... Was ist denn das für ein Name?“

Am Zucken seiner Glieder war zu erkennen, dass der Harraner lachte. „Ach, der bezieht sich auf ein lange zurückliegendes Vorkommnis, das nie völlig aufgeklärt wurde. Sie wissen ja, die Leute reden gern ... Wohl bekomm’s!“

Der Harraner verschwand in der Menge, die sich durch die steilen Gassen der Gluxschen Altstadt drängte.

„Mittagessen ist gestrichen“, sagte Abdullah bestimmt.

Die Normenkontrolleure überwachten die Einhaltung der nach Hunderttausenden zählenden Richtlinien und Normen der Galaktischen Union und verbargen ihre Identität stets unter einfallsreichen und unverdächtigen Verkleidungen. Ihr Urteil vernichtete Existenzen und trieb die Selbstmordrate von einem Rekord zum nächsten. Allerdings war der Beruf des Normenkontrolleurs risikobehaftet.

Die Gaststätte zum gegrillten Normenkontrolleur bestand im Wesentlichen aus einem mehr als zwanzig mal zwanzig Meter messenden Raum für Sauerstoffatmer, der durch Schleusen mit einem halben Dutzend kleinerer Räume verbunden war, in denen die unterschiedlichsten Atmosphären herrschten, von Methangas für die stämmigen Keraks bis zum absoluten Vakuum, das die steinähnlichen Silikkas zur Nahrungsaufnahme benötigten.

Von Sauerstoff war allerdings nicht viel zu bemerken. Tsarong rang um Atem und rieb sich die tränenden Augen, als er hinter Abdullah in den Schankraum trat. Dichter Qualm schwebte wie eine der Entladung entgegenfiebernde Gewitterwolke über den Hunderten von Köpfen, die zumeist Menschen oder Menschenähnlichen gehörten.

„Ich dachte“, schrie Tsarong durch das Stimmengewirr, „in der gesamten GU herrscht absolutes Rauchverbot?“

Abdullah schob einen gertenschlanken Kellner beiseite, der sich zwischen den beiden hindurchzudrängen versuchte.

„Das ist eine Gesetzeslücke, oder besser gesagt eine Kollision zwischen dem Rauchverbot und der Antidiskriminierungsrichtlinie“, antwortete er ebenso laut. „Manche Fremdintelligenzen benötigen die Verbrennungsprodukte von tabakähnlichen Substanzen für ihren Stoffwechsel. Vor dem Galaktischen Gerichtshof ist deshalb seit über zwanzig Jahren ein Verfahren anhängig.“

Sie bahnten sich einen Weg zu der die ganze Rückseite einnehmenden Bar, hinter der eine Handvoll Kellner die auf sie einprasselnden Bestellungen erledigten. Die zierlichen Gestalten zweier Roswells musterten die Neuankömmlinge aus großen Augen, und ihre lippenlosen Münder tuschelten.

Abdullah stellte sich auf die Zehenspitzen und ließ seine Blicke über die Zechenden gleiten. Dann sprang er hoch und schwenkte den Walla-Wagong.

„MacNab! Angus MacNab!“

Der massige Körper des Kapitäns pflügte durch den überfüllten Raum, Tsarong folgte in seinem Kielwasser. Sie hielten vor einem mit vier Männern mittleren Alters besetzen Tisch an, die zu den beiden aufsahen. Einer davon, ein schmächtiger Mann mit strohblonden Haaren und einem Fuchsgesicht, fixierte Abdullah mit glasigem Blick.

Angus MacNab sprang so rasch auf, dass sein Stuhl umkippte. Er schwankte leicht, und die Jacke seines grauen Anzugs schlotterte ihm am Leib. Die Ärmel waren mehrfach geflickt, der Kragen eingerissen.

„Hadschi Abdullah!“, rief er. Sein rechter Arm schoss zur Begrüßung hoch und fegte dabei ein leeres Bierglas auf den Boden.

Abdullahs Haltung wurde steif. „Hadschi Abdullah Ibrahim ibn Hadschi abu l-Hasan Ali ibn Hadschi Muley Omar. So viel Zeit muss sein.“ Er entspannte sich wieder. „Angus MacNab, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie ich mich freue, dich zu sehen!“

Obwohl nicht mehr ganz nüchtern, besaß MacNab doch noch die Geistesgegenwart, Abdullahs Umarmungsversuch auszuweichen, der ihm ein paar gebrochene Rippen oder zumindest schwere Prellungen beschert hätte.

„Die Freude ist ganz auf meiner Seite.“ MacNab schielte auf seine drei Begleiter, von denen keiner besser gekleidet war als er selbst. Alle saßen vor leeren Gläsern und hefteten durstige Blicke auf die Neuankömmlinge. „Wir überlegten gerade, eine neue Runde zu bestellen ...“

Tsarong sah zur Decke, wo die Rauchwolke an Konzentration zugenommen hatte, und Abdullah zog den einzigen leeren Stuhl des Nachbartischs heran.

„Das da“, sagte er und deutete auf seinen Begleiter, „ist mein Freund und Partner Tsarong, der letzte reinblütige Tibeter. Wir haben da ein kleines Problem, und du kannst uns vielleicht weiterhelfen ...“