Die großen Western – 244 – El Dorado

Die großen Western
– 244–

El Dorado

U. H. Wilken

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74092-867-4

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Schüsse fielen am Bahngelände. Die Kugeln ließen die Scheiben des Stationshauses bersten.

Drinnen detonierte eine Sprengladung und sprengte den Geldschrank.

Die Banditen sprangen über den bewußtlosen Eisenbahner und rafften Geldbündel aus den Flammen, stopften sie in die bereitgehaltenen Satteltaschen. Da näherte sich draußen ein Mann im Laufschritt, das Gewehr schußbereit erhoben. Es war ein Bahn-Marshal.

Einer der Banditen hob den Colt und zog den Stecher durch. Doch nur ein Klicken ertönte.

»Was ist, Yul«, stieß der blonde Komplice hervor.

»Verschossen, verdammter Büffelmist. Nimm du ihn aufs Korn, Joey!«

Joey Dellessandro drückte ab.

Der Bahn-Marshal verharrte unter dem Einschlag des Geschosses stocksteif, torkelte dann rückwärts. Schwer stürzte er auf die Schwellen und blieb reglos liegen.

Die Banditen hatten es gewagt, am hellen Tag die Bahnstation von Abilene zu überfallen.

Doch nun ging’s um mehr als die Beute – sie wollten schließlich die Skalpe behalten

Sie flohen im ausgetrockneten Graben neben dem Schienenstrang, vorbei an Hinterhöfen, erreichten endlich die Kornmühle am Mud River.

Keuchend hetzten sie in den Lagerstall. Mehlstaub wallte unter ihren Stiefeln auf. Hinten stampften vor dem noch geschlossenen kleinen Tor die bereitstehenden Sattelpferde.

Atemlos warfen die sechs Banditen die Satteltaschen auf die Pferde. Ächzend zog sich als erster Tennessee, der einzige ältere Bandit, in den Sattel.

»Clocky« Clochard stieß das Hintertor auf. Grell stieß der Sonnenschein herein.

Weit dehnte sich jenseits des Mud River die Kansas-Ebene mit ihrem sonnenverbrannten Blaugras. Gleich hinter der Festwiese von Abilene ragten die unzähligen Pfosten der riesigen Korrals in den Glutwind. Staubschwaden trieben über Herden brüllender Rinder hinweg. Fern buckelten sich graugrün die Hügel von Kansas.

Bewaffnete Männer näherten sich aus der Stadt, kamen hinter Eisenbahndepot und Holzhandlung hervor. Gleich hatten sie den Schienenweg der Kansas & Pacific Railroad erreicht.

»Wir reiten bis zur Dunkelheit«, entschied Yul verbissen. »Vorwärts, Jungs – zurück zu Sallie!«

Schon im Stall trieben sie die Pferde scharf an. Im Galopp hielten sie auf den schmutzigen kleinen Fluß zu und blieben Schienenstrang und Holzbrücke fern.

Auf prustenden Pferden durchquerten sie den trüben Fluß und sprengten weit abseits des Korrals und Treibercamps nach Westen.

Hinter ihnen versank die Rinderstadt unter Staub und Hitze.

Sie ritten einen riesigen Bogen.

Dann schlugen die Hufe ihrer Pferde über die Schwellen des Schienenstrangs, der westwärts nach Salina und Ellsworth führte.

»Der Marshal von Abilene wird uns hetzen«, befürchtete Jason, rutschte zum wiederholten Male im Sattel halb herum und blickte zurück.

»Unsinn!« Diesmal lachte Yul siegesgewiß. »Er muß in Abilene bleiben, sonst geht da alles drunter und drüber! Er ist doch nur Town Marshal!«

»Wer ist jetzt Marshal?« wollte Rock wissen. »Tom Smith? Oder dieser langhaarige Hickok?«

»Was quält ihr euch überhaupt damit herum?« Yul machte eine verächtliche Handbewegung. »Vielleicht Wild Bill James Butler Hickok? Dieser Affensohn ist doch viel zu faul, uns ’ne Woche lang zu folgen!«

»Aber der Schienenmarshal ist tot, Yul!« rief Dellesandro, noch immer verstört.

»Das ist es!« Yul zügelte das Pferd, und die Komplicen scharten sich auf den Schwellen um ihn. »Der Schienenmarshal arbeitete für die Eisenbahngesellschaft. Nicht Smith und nicht Hickok sind unsere Gegner. Der wahre Gegner ist die Bahngesellschaft! Die Union Pacific läßt Steckbriefe drucken und verspricht hohe Kopfprämien. Daran müssen wir denken!« Nach einem tiefen Atemzug grinste er und blickte in das Abendrot. »In Abilene werden sie glauben, daß wir in die Hügel geflüchtet sind. Tut mir richtig leid um diese Dummköpfe! Wir reiten nämlich nach Salina!«

»Willst du uns alle unter die Erde bringen?« ächzte der weißhaarige Tennessee.

»Niemand wird uns in Salina vermuten, Mann.« Yul ritt langsam an. »Ich sag euch: am gefährlichsten sind nicht die Reiter, die uns womöglich folgen. Die Telegrafenleitung ist es! Wir müssen sie unterbrechen. Die Nachricht wird schon durch sein, daran können wir nichts mehr ändern. Aber Rückfragen können wir verhindern!« Lächelnd sah er Rock an. »Du verstehst was von Morsen und so. Wir reiten zum nächsten Mast und klemmen uns dran.«

Im letzten Tageslicht ritten sie über den flachen Bahndamm. Über ihnen glitzerte der Draht der Telegrafenleitung im Sonnenuntergang. Der Hufschlag überdeckte das Summen.

Kurze Zeit später zog sich der schwarzhaarige Rock geschmeidig am Mast hoch, setzte eine kleine Zange an und klemmte den mitgebrachten Apparat an die Leitung.

Angespannt saßen die anderen in den Sätteln und blickten zu Rock hinauf.

Rock hörte Morsezeichen. Er könnte dazwischenfunken und eine falsche Nachricht absetzen. Da Yul das aber nicht verlangte, tat er es auch nicht und unterbrach lediglich die Leitung. Dann rutschte er langsam abwärts und schob den kleinen Apparat mit der Taste zurück in die Satteltasche.

»Nun?« drängte Yul. »Was ist?«

Rock stieg erst einmal in den Sattel, bevor er antwortete.

»Sie machen von Abilene aus die ganze Gegend rebellisch. Nach Osten zu Junction City und Topeka. Nach Westen zu Salina, Ellsworth und Russell. Auch Fort Riley im Norden und Hutchinson im Süden werden alarmiert.«

»Scheiße!« machte Yul seinem Herzen Luft. »Zu spät! Dann wimmelt es bald überall von Kopfgeldjägern! Die Bahngesellschaft wird fleißig mithelfen.« Er witterte wie ein Wildpferd in den Abendwind. Im Gesicht zuckte es. Wieder sah er Rock an. »Nichts von Wichita?«

»Nein, das kann aber eher durchgekommen sein, Yul.«

»Glaub’ ich nicht. Wichita liegt noch weiter im Süden am Hutchinson. Das ist unser zweites Ziel. Danach reiten wir zu Sallie.«

Sie ritten weiter.

Die Pferde hinterließen auf den Schwellen keine Spuren.

Amberfarben zog die Dämmerung über das Hügelland. Gespenstisch verschwommen tauchten vor den Reitern die hölzernen Verstrebungen der Brücke auf, die über den Saline River führte. Flußdunst stieg auf und benetzte die kaum noch erkennbaren Schienen auf der Brücke.

Der schlanke muskulöse Yul hielt an. Gebeugt saß er im Sattel. Argwöhnisch sah er auf das Brückengeländer.

Wieder scharten sich die fünf Komplicen um ihn. Fragend blickten sie auf den mittelblonden Yul. Er nagte auf der Unterlippe und rieb sich das starke Kinn.

»Was ist denn?« raunte Jason. »Stimmt was nicht?«

Ohne den Blick von der Brücke zu nehmen, antwortete Yul leise: »Eisenbahnbrücken werden meist von bahneigenen Posten gesichert. Das haben die Bahnleute aus dem Bürgerkrieg gelernt.«

»So ist es«, knurrte Tennessee. »Da wurden immer wieder Brücken hochgejagt. Brücken waren wichtige Knotenpunkte. Taktisch wichtig und so. Yul hat recht. Wir müssen entweder einen Umweg machen – oder damit rechnen, gesehen zu werden.«

»Dann werden sie glauben, daß wir Cowboys sind, die nach Salina wollen!« entgegnete Jason lächelnd. »Bis zur Stadt sind’s doch nur noch ein paar Meilen. Wir müssen rüber. Nach Süden ausweichen können wir nicht. Der Saline mündet hier in der Nähe in den Kansas River.« Jason war erstaunt über Yuls Vorsicht. »Reiten wir rüber, Yul! Wir sind doch auch über die Solomon-River-Brücke geritten!«

»Ja – weil ich wußte, daß sie nicht bewacht wird.«

»Wenn wir jede Brücke umgehen«, meinte Jason grimmig, »kommen wir nie zurück zu Sallie. Sie wird auf uns warten und sich Sorgen machen.«

Er ritt an, vorbei an Yul, und folgte den Schienen.

»Verdammt!« fluchte Yul. »Komm zurück, Jason! Wir reiten flußaufwärts durch den Saline!«

Jason winkte lässig ab und erreichte die Brücke. Die Nebel umschleierten ihn. Hell klang es herüber, als die Hufeisen über die Schienen schlugen. Dann pochten die Hufe dumpf über die Bohlen.

»Du hast ’nen richtigen Brückentick«, lästerte »Clocky« Clochard, als Jason kaum mehr zu sehen war. »Bist du nicht schwindelfrei, Yul?«

»Quatsch nicht!« fuhr Yul auf. »Wenn wir gesehen werden, können wir uns in Salina nicht ausruhen. Außerdem will ich, daß Rock ’ne Falschmeldung durchgibt…« Er verstummte und lauschte dem Hufschlag.

Jason befand sich jetzt mitten auf der Brücke. Und genau über dem Wasser des Saline hielt er an. Weder Yul noch die anderen sahen, wie er sich über das brüchige Geländer beugte.

Die Holzverstrebungen waren vom Rauch der Loks geschwärzt. Unten plätscherten die Wasser rastlos dahin.

Weit hing der Draht der Telegrafenleitung durch und summte im schwachen Wind. Dunkel und massig standen Fichten an den Uferhängen. In der Ferne blinzelten Lichter. Um diese Zeit war in Salina viel Betrieb.

Langsam ritt Jason weiter, lenkte sein Pferd über die Schwellen, weil rechts und links kaum Platz war. Bestimmt gab’s in der Nähe eine Furt für Reiter und Wagen. Dort konnte es ebensogut Ärger geben. Nein, überlegte Jason, zuviel Vorsicht kann in Feigheit ausarten. Diese jämmerliche Brücke ist keine Gefahr für uns. Dies ist auch der kürzeste Weg nach Salina – und dort gibt’s Whisky und vielleicht sogar ein Mädchen für die Nacht.

Die Brückenkonstruktion verstärkte den Hufschlag. Das Poltern tönte über die Flußniederung. Vor Jason schälten sich die Bäume beiderseits des Schienenstrangs aus dem Dunst. Er hatte nur noch ein paar Yard vor sich.

Yul hielt den Zügel straff. Er traute der Stille nicht. Für ihn war alles verdächtig. Ein einziger Fehler konnte ihnen allen das Leben kosten.

Der blonde Joey Dellesandro atmete schwer. Yul brauchte ihn nicht anzusehen, um zu wissen, was den jungen Komplicen bewegte. Joey hatte zum erstenmal einen Mann getötet – dazu noch einen Schienenmarshal! Die mächtige Eisenbahngesellschaft würde alles in Bewegung setzen, den Tod ihres Marshals zu sühnen.

»Wird schon schiefgehen, Joey«, beruhigte Yul den Blondschopf. »Laß uns erst mal in Wichita sein. Dann wirst du kaum mehr dran denken.«

»Ich hab’ ihn getötet, Yul!« flüsterte Joey. »Erschossen! Einfach so!«

»Wenn du’s nicht getan hättest, hätte er mich, dich oder einen der anderen Jungs umgelegt. Schienenmarshals sind wie die Bluthunde der Bahngesellschaft, Joey, keine richtigen Sternträger. Sie dürfen nur in den Zügen und auf Bahngelände tätig werden.«

»Aber wir waren ja drauf, Yul! Nur wegen ein paar lumpiger Dollars!«

Yul nickte vor sich hin. Ihm gefiel es auch nicht, daß sich der Überfall kaum gelohnt hatte. Die Beute war gering. Aber sechzig Dollar für jeden waren drin. Dafür mußte ein Cowboy zwei Monate hart arbeiten.

»Stimmt, wir waren auf Bahngelände, Joey, aber wir hatten den Schienenmarshal nicht gerufen. Du hast in Notwehr gehandelt.«

»Er war im Recht, Yul. Ich…«

»Du wirst irgendwann wieder schießen müssen«, unterbrach Yul ihn rauh. »Mit dem ersten Schuß fängt’s immer an. Denk nicht mehr dran, Joey.«

»Das sagst du so! Wie soll ich das denn machen? Kannst du mir das mal verraten?«

Yul wußte, daß Joey sich Vorwürfe machte. Gegen Gewissensbisse war kein Kraut gewachsen.

»Als ich den ersten Mann erschoß, war mir hinterher ganz flau im Magen, Joey. Doch dann sagte ich mir, daß der Kerl ja schließlich in meine Kugel reingelaufen war! Ja, ich weiß – ein Selbstbetrug war das, aber es half.«

Dellesandros Atem kam stoßweise über die weichen Lippen. Nervös rieb er sich die Wange, scheuerte mit dem Zügelleder daran.

»Was man sich auch vormacht, Yul – es ändert nichts an der Tatsache.«

Aus verkniffenen Augen starrte Yul durch die dünne Nebelwand auf die Brücke. Jason hatte sie eben verlassen; der Hufschlag seines Pferdes war nicht mehr zu hören.

»Ja«, murmelte er und machte einen Augenblick lang einen geistesabwesenden Eindruck, »du hast recht, aber es bleibt einem gar nichts anderes übrig, als sich zu täuschen.«

»Ich seh’ den Schienenmarshal jetzt noch vor mir, wie er zusammenbrach. Wie er starr über die Schienen blickte. Tot. Und ich frag’ mich, ob er Frau und Kinder gehabt hat und…«

»Hör auf! Schluß damit! Kein Schienenmarshal kann sich ’ne Familie leisten. Er wollte uns zusammenschießen. Das ist auch ’ne Tatsache!« Yuls braune Augen glänzten im Zorn. »Niemand wird uns ein Stück Brot geben, keiner hat einen Job für uns. Wir können gar nicht anders. Oder wir müssen verhungern! Denk’ noch mal an die Zeit zurück, als du für ein paar Cents die Koteimer einer Stadt wegschleppen mußtest! Ich hab dich aus diesem Scheißleben rausgeholt, sonst würdest du noch heute die Eimer vor der Stadt entleeren!«

»Ich weiß. Ja, daran sollte ich denken – dann komm ich über alles andere hinweg, glaub’ ich.«

Das klang nicht gerade so, als wäre er überzeugt. Darum blickte Yul ihn zweifelnd an.

»Wenn man uns erwischt, wird man uns kurzerhand aufknüpfen, Joey. Ohne großartige Verhandlung.« Yul bewegte die breiten Schultern, und das schwarze Hemd straffte sich. »Baumeln will ich nicht! Darum schieß ich!«

Er schien es sich recht leicht zu machen, doch Joey wußte, daß es genau das Gegenteil war.

»Wenn wir Sallie nicht hätten, Yul, müßten wir ewig im Sattel sein. Aber bei ihr finden wir Ruhe…«

Näherkommender dumpfer Hufschlag ließ ihn verstummen.

Jason ritt heran, blieb aber auf der Brücke und zog das Pferd halb herum. Beruhigend winkte er ab. Nebel ließen seine dunklen Konturen verschwimmen. Laut drang seine Stimme durch die Stille.

»Kommt!«

Sie hörten ihn leise auflachen. Er war sich völlig sicher, daß keine Gefahr drohte.

Jetzt ritt er wieder an.