Teil 1: Einleitung

I. Zur Idee des Buches

Kommunalpolitik ist wichtig! Und sie findet praktisch vor der eigenen Haustür statt. Was in meiner Stadt oder Gemeinde politisch geschieht, kann ich häufig direkt beobachten, oder – wenn es in konkrete Ergebnisse umgesetzt wird – erfahre ich es nicht selten am eigenen Leibe. Viele Themen spielen in der Kommunalpolitik eine Rolle: Wird unser schönes Schwimmbad geschlossen? Was soll im neuen Baugebiet denn nun tatsächlich errichtet werden? Entstehen dort eine Kindertagesstätte und eine Flüchtlingsunterkunft? Bekommt mein Sportverein endlich höhere Zuschüsse? Oder auch: Warum verrottet der Spielplatz in unmittelbarer Nachbarschaft? Wird das Schulgebäude unserer Schule endlich renoviert?

Apropos, Schule! Die Gemeinde bzw. die kommunale Ebene wird heute noch immer – nicht ganz ohne Grund – als „Schule der Demokratie“ bezeichnet. Gemeint ist hier jetzt nicht, dass Lernstoff gepaukt werden soll, sondern dass man in der Gemeinde noch den politischen Durchblick haben kann (wie es in der Schule idealerweise ja auch sein sollte) und mitzumachen sich lohnt. In der Gemeinde können die Bürgerinnen und Bürger in einem breiten Maße Demokratie praktisch einüben. Wieso? Die örtlichen Verhältnisse gelten als überschaubar, die Problemlagen als durchschaubar, die Entscheidungsprozesse als unmittelbar beeinflussbar sowie Maßnahmen der Kommunalpolitik und Anwendungen des Kommunalrechts als persönlich erfahrbar. So wird den Gemeinden eine unverzichtbare Rolle als Ansprechpartner zugewiesen und die Notwendigkeit einer konkreten Bürgerbeteiligung eingefordert, in der die Gemeinde Beteiligungsmöglichkeiten anbietet, die jeder Einzelne nachfragen kann. Auf diese Weise soll das Interesse an kommunalen Entscheidungsprozessen gefördert werden. Tja, und wenn es dabei gut läuft, entsteht zwischen (Kommunal-)Politik und Bürgern etwas ziemlich Wichtiges, was als Bürgernähe bezeichnet werden kann.

Wenn also Kommunalpolitik wichtig ist, ist es auch von Bedeutung, dass die Kenntnisse über Kommunalpolitik verbreitet werden. Aber nicht nur das: Die Bürgerinnen und Bürger, ob jung oder alt, sollen die Vorgänge vor Ort, die um sie herum geschehen, verfolgen und kritisch beurteilen können. Und es geht noch darüber hinaus: Sie sollen auch ihrer Wahlmöglichkeit nachkommen können und sich in die kommunalpolitischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse einmischen – wann immer sie es für notwendig erachten. Denn Beteiligungsmöglichkeiten gibt es in den Kommunen in der Tat viele (übrigens eher im Gegensatz zu Bund und Land).

Dies entspricht auch der Idee dieses Buches. Einerseits geht es darum, einen allgemeinverständlichen Überblick über die Kommunalpolitik in Deutschland zu gewinnen und andererseits soll dieses Buch gerade im Hinblick auf die politischen Beteiligungsformen Anregungen für praktisches Mitmachen bieten. Dafür haben Caroline Heil und Bettina Schmitt ein anschauliches Planspiel für dieses Buch entwickelt, das im Grundsatz so auch in der kommunalpolitischen Praxis stattfinden könnte. Bei dem Planspiel „Ein Schwimmbad für Bündelsdorf“ wird ein Beschluss des Stadtrates der fiktiven Stadt Bündelsdorf nachempfunden. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nehmen dabei verschiedene Rollen wahr, so z. B. die eines Stadtrates, eines Journalisten, eines Vertreters eines Interessenverbandes oder die des Bürgermeisters.

Die beiden Autorinnen und der Autor hegen den bescheidenen Wunsch, dass die Leserinnen und Leser sich mit diesem Buch nicht nur über kommunalpolitische Zusammenhänge informieren können, sondern auch der Kommunalpolitik „auf den Zahn fühlen mögen“, was nichts anderes heißt als sich einzumischen. Fühlen sich dadurch auch interessierte junge Menschen angesprochen – schließlich erlaubt die Kommunalpolitik in der Gemeinde praktische Beteiligungsmöglichkeiten teilweise schon ab 14 Jahren –, würde uns dies umso mehr freuen.

II. Was versteht man unter einer Gemeinde?

Sachlich betrachtet ist eine Gemeinde die unterste selbständige Gebietseinheit im Rahmen des Staatsaufbaus, mit abgegrenztem Gebiet (Gemeindegebiet), eindeutigen personellen Zugehörigkeiten (Gemeindebürger, mit bestimmten politischen Teilhaberechten ausgestattet), eigenen Organen (Gemeindevertretung – Gemeinderat, Gemeindevorstand – (Ober-)Bürgermeister) und eigenen Kompetenzen (Selbstverwaltungsaufgaben). Grundlage für das politische Leben in einer Gemeinde ist das föderale System der Bundesrepublik Deutschland. Die Regelung kommunaler Strukturen, Aufgaben und Befugnisse ist grundsätzlich Sache der Bundesländer. Sie sind dabei an Artikel 28 des Grundgesetzes gebunden, dem zufolge in den Kreisen und Gemeinden eine aus allgemeinen, unmittelbaren, freien und geheimen Wahlen hervorgegangene Volksvertretung bestehen muss und die Gemeinden ihre Angelegenheiten im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung regeln sollen (kurze Bemerkung am Rande: Ein Blick in das Grundgesetz lohnt sich immer wieder mal, um die sinnstiftenden und stabilen Richtschnüre unseres Gemeinwesens nachvollziehen zu können). Dieses Grundrecht bezeichnet man als die Selbstverwaltungsgarantie der Gemeinden. Das Grundgesetz garantiert den Gemeinden dazu eine eigene Finanzausstattung und das Recht, Verfassungsbeschwerde zu erheben, wenn das Selbstverwaltungsrecht verletzt wird. Gesetzlich konkretisiert ist die kommunale Selbstverwaltung in den Landesverfassungen der einzelnen Bundesländer (auch ein Blick in die Landesverfassungen lohnt sich übrigens …). Die sogenannte Kommunalverfassung des jeweiligen Bundeslandes wird schließlich in einem Gesetz als Gemeindeordnung beschlossen. Die Gemeindeordnung enthält alle wichtigen Bestimmungen über Zuständigkeiten, Verfahrensregelungen, Rechte und Aufgaben der Gemeinden, ihre Beschlussorgane, ihre Finanz- und Wirtschaftsführung, die Kommunalaufsicht und die Rechte und Pflichten ihrer Wohnbevölkerung.

III. Zahl und Struktur der Gemeinden in Deutschland

Kommunalpolitik in Deutschland findet beachtlicherweise in über 11.000 Städten und Gemeinden statt, dazu kommen 294 Landkreise (Stand November 2017) als Gemeindeverbände, die überall dort tätig werden (sollen), wo eine einzelne Gemeinde für die Aufgabenerfüllung alleine zu schwach wäre (z. B. Krankenhaus, Berufsschule, Abfallbeseitigung) oder wo eine übergeordnete Erledigung einer Aufgabe in der Natur der Sache liegt, wie beim Bau von Kreisstraßen, beim Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), Trinkwasserversorgung bzw. Abwasserentsorgung. Die Vernetzung ist somit eine zentrale Aufgabe von Landkreisen. In den 107 Kreisfreien Städten Deutschlands (Stand 2017) werden sowohl die Aufgaben kreisangehöriger Gemeinden als auch die Aufgaben der Landkreise erledigt. Rund ein Drittel der Menschen in Deutschland lebt in Kreisfreien Städten, zwei Drittel in Landkreisen bzw. kreisangehörigen Gemeinden. Gemeinden und Landkreise sind unterschiedlich sozialökonomisch strukturiert und auch unterschiedlich groß (nach Fläche und vor allem einwohnermäßig). Das gilt einerseits innerhalb der Bundesländer, indem hier – meist orientiert am ländlichen Raum oder an den Verdichtungsgebieten – unterschiedliche Größenkategorien vorzufinden sind. Die äußeren Pole der jahrzehntelangen Entwicklung in Deutschland stellen hier Nordrhein-Westfalen mit 396 Gemeinden bei fast 18 Mio. Einwohnern und Rheinland-Pfalz mit 2.451 Gemeinden bei knapp 4 Mio. Einwohnern dar. Neben der Kommunalverfassung stellt wohl die jeweilige Gemeindegröße die wichtigste Variable für die Kommunalpolitik dar: für die Inhalte, für den Verlauf und für den Stil von Kommunalpolitik. In welchem Maße der Parteienstaat auch die Kommunalpolitik erobert hat, ist nicht zuletzt von der Größe der Gemeinde abhängig. Unterschiede in der Kommunalverfassung nach Größentypen gibt es in Deutschland nicht. Die jeweilige Gemeindeordnung gilt für alle Gemeinden in jedem Land gleich.

Im Einzelnen stellen sich die Größenverhältnisse folgendermaßen dar: In Deutschland gibt es insgesamt nur 39 Städte mit mehr als 200.000 Einwohnern, die man – nach den kommunalen Gebietsreformen – noch mit Fug und Recht als „echte“ Großstädte bezeichnen kann. Davon liegen allein 15 in Nordrhein-Westfalen. In diesen 39 Städten leben gerade einmal knapp 25 % der Menschen in der Bundesrepublik, gegenüber ca. 42 %, die in Gemeinden bis 20.000 Einwohnern zu Hause sind. Deutschland ist ein schönes Land und das liegt auch daran, dass es viele sehenswerte dünn besiedelte Regionen mit ländlichem Charakter gibt. Die kleinste Gemeinde in Deutschland ist übrigens Gröde in Schleswig-Holstein mit 9 Einwohnern (Stand 2013) und die größte ist natürlich die Hauptstadt Berlin mit über 3,4 Mio. Einwohnern.

Die größeren Flächenländer der Bundesrepublik Deutschland kennen zudem noch eine Bezirksgliederung, die – von Bayern abgesehen – eine staatliche Verwaltungsgliederung darstellt und für die Kommunalpolitik aber insofern von Bedeutung ist, als die Bezirke eine zentrale Rolle in der Aufsicht des Staates über die Kommunen spielen (Kommunalaufsicht, die in der Regel gestaffelt ist: Landratsamt, Regierungspräsidium/Bezirksregierung, Innenministerium) sowie für die Erteilung von Genehmigungen. Die Existenz von Regierungspräsidien/Bezirksregierungen wird immer wieder in Frage gestellt, doch nicht nur als Aufsichts- und Genehmigungsbehörden haben sie sich bewährt. Sie entlasten die Ministerien von der Alltagsarbeit und sind so etwas wie das staatliche Schwert, das Gesetzen nach ihrer parlamentarischen Verabschiedung landeseinheitlich zur Durchsetzung verhilft, unabhängig von lokalen Interessen, die sich in Gemeinderäten und Kreistagen manifestieren.

IV. Die Aufgaben der Gemeinde

Der Aufgabenkatalog der Gemeinden ist heute stark ausdifferenziert. Da Gemeinden gut und vor allem problem- und bürgernah arbeiten sowie flexibel reagieren sollen und vorgegebene staatliche Normen und Vorgaben angemessen auf den Einzelfall anwenden können, erledigen sie nicht nur die Aufgaben ihres eigenen Wirkungskreises, sondern auch staatliche (Land und Bund); dies natürlich gegen Erstattung der damit der Gemeinde entstehenden zusätzlichen Kosten. Formal lassen sich zwei Aufgabenarten unterscheiden:

– Eigene Aufgaben der Gemeinden („Selbstverwaltungsaufgaben“, „Aufgaben des eigenen Wirkungskreises“),

– Freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben, z. B.:

– Einrichtung und Unterhaltung von Spielplätzen, Museen, Theatern, Jugendeinrichtungen, Bürgerhäusern,

– Wirtschaftsförderung,

– Städtepartnerschaften,

– Förderung von Vereinen.

– Pflichtige Selbstverwaltungsaufgaben, z. B.:

– Verwaltung von Schulen,

– Bauleitplanung,

– Wohngeld,

– Abfallbeseitigung,

– Abwasserbeseitigung,

– Jugendhilfe,

– Kindertagesstätten,

– Staatliche Aufgaben, die den Gemeinden aus Zweckmäßigkeitsgründen lediglich übertragen sind („Auftragsangelegenheiten“, „Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises“), z. B.:

– Ausländerangelegenheiten,

– Bauaufsicht,

– Melderecht,

– Ordnungsrecht,

– Zivilschutz.

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Ob es sich um den ersten oder zweiten Aufgabentyp handelt, lässt sich mit Hilfe folgender Fragen beantworten:

1.   Ist die Gemeinde bei der Erledigung einer Aufgabe frei oder besitzen staatliche Behörden hier ein Weisungsrecht?

2.   Ist die Gemeinde bei der Erledigung einer Aufgabe lediglich der Rechtsaufsicht unterworfen oder kontrolliert der Staat auch, ob die Aufgabe zweckmäßig erledigt worden ist (Fachaufsicht)?

3.   Wer ist für die Erledigung einer Aufgabe letztlich zuständig: der Rat oder der Hauptverwaltungsbeamte (Bürgermeister)?

4.   Wer ist der Adressat bei einem Widerspruch gegen das Verwaltungshandeln: der Rat oder die staatliche Fachaufsicht?

Im jeweils ersten Fall haben wir es mit Selbstverwaltungsaufgaben, im zweiten mit staatlichen Aufgaben zu tun. Die Abgrenzung zwischen beiden Aufgabenarten lässt sich nicht immer sauber vollziehen; in der alltäglichen Verwaltungspraxis wird hier auch nicht getrennt, da die kommunalen Ämter ausschließlich nach Gegenstandsbereichen geordnet sind.

Danach gibt es weisungsfreie (1. und 2.) und weisungsgebundene Aufgaben (3. und 4.):

1.   Freiwillige Aufgaben: Ihre Erfüllung ist ganz in das Belieben einer Gemeinde gestellt. Somit ist es z. B. ausschließlich Sache der Gemeinde, ob sie sich ein Museum, ein Theater, eine Parkanlage, ein Schwimmbad oder eine Gemeindehalle leisten will und wie diese Einrichtungen aussehen sollen. Das Land kann sich dort von Rechts wegen nicht einmischen.

2.   Pflichtaufgaben ohne Weisung müssen lediglich wahrgenommen werden, ohne dass das Land sich in das „Wie“ der Aufgabenwahrnehmung einmischt. So muss die Gemeinde zwar als Schulträger die Schule bauen, aber wie sie architektonisch gestaltet wird, ist ihre Sache (siehe Bauleitplanung, z. B. aber auch Abwasserbeseitigung oder Katastrophenschutz).

3.   Pflichtaufgaben nach Weisung müssen nicht nur durchgeführt werden, auch die Art und Weise ihrer Durchführung ist vorgeschrieben (z. B. Bauaufsicht, Gemeindewahlen).

4.   Staatliche Aufgaben (nur in einem Teil der Bundesländer). Hier fungiert die Gemeinde als staatliche Unterbehörde (z. B. für alle Angelegenheiten, die mit innerer Sicherheit zusammenhängen, etwa Polizei).

Lediglich im Bereich der weisungsfreien Aufgaben hat der Rat das letzte Wort.

Ihrem Inhalt nach ist Kommunalpolitik Gesellschaftspolitik – selbst im Rahmen gesetzlicher Vorgaben von Bund und Land – mit erstaunlichen Spielräumen. Zu den Aufgaben, die Kommunalpolitik wahrnimmt, gehören heute vorwiegend

Gewerbeförderung: einmal, weil die Gewerbesteuer eine wichtige Einnahmequelle der Gemeinden darstellt, zum andern weil das Gewerbe Arbeitsplätze anbietet. Die gewerblichen Unternehmen und ihre Interessen stehen damit automatisch im Fokus der Kommunalpolitik. Einen Gegensatz von Kapital und Arbeit gibt es hier nicht, denn auch abhängig Beschäftigte und Gewerkschaften sind für die Sicherheit der Arbeitsplätze und deren Vermehrung.

Infrastrukturpolitik kann man als Folge davon betrachten: Es muss alles von Seiten der Gemeinde getan werden, damit sie als Standort attraktiv bleibt. Dazu gehören auch die Bereitstellung von Kindergartenplätzen und der Bau von Schulen sowie die Ausweisung von Baugebieten und die Bereitstellung von Wohnraum. Sport- und Freizeitangebote sind notwendig als Ergänzung dazu. Nimmt man das alles zusammen, könnte man – etwas verkürzt – den Inhalt von Kommunalpolitik mit „Brot und Spiele“ etikettieren.

– Als wichtige Aufgabe hinzugekommen ist inzwischen die Zuwanderungs- und Integrationspolitik.

Sozialpolitik spielt als kommunale Aufgabe z. T. eine erhebliche Rolle. Im Allgemeinen sind die Landkreise in Angelegenheiten der Sozialhilfe zuständig.

V. Wer ist die zentrale Figur? – Die Bürgermeisterin/der Bürgermeister

1. Stellung und Aufgaben der Bürgermeisterin/des Bürgermeisters

Die hauptamtlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Deutschland spielen in der Kommunalpolitik, etwas salopp formuliert, „die erste Geige“ und üben in den Gemeinden drei wesentliche Funktionen aus:

– die Leitung der gesamten Verwaltung,

– den Vorsitz im Rat,

– die Vertretung der Gemeinde nach außen, sei es als Repräsentation oder als Rechtsvertretung.

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Ihre Aufgabe als Chef der Verwaltung besteht darin, die Beschlüsse des Rates und anderer kommunaler Gremien (z. B. Ausschüsse und Bezirksvertretungen) zum einen vorzubereiten und sie zum anderen durchzuführen. Er oder sie entscheidet außerdem in allen Angelegenheiten, die ihnen zur Entscheidung übertragen worden sind. Welche Angelegenheiten dies sein mögen, kann in einer Kleinstadt allerdings schon anders gewichtet sein als in einer Großstadt. Eine der grundsätzlich herausragenden Aufgaben ist der Vorsitz im Rat. Der Bürgermeister gibt z. B. den Zeitpunkt und den Ort der Ratssitzungen bekannt und setzt die Tagesordnungspunkte fest. Dabei leitet er oder sie die Sitzungen, achtet auf die ordnungsgemäße Durchführung und übt das Hausrecht aus. Entsprechend detaillierte Einzelheiten sind in der jeweiligen Geschäftsordnung des Rates einer Gemeinde aufgeführt.

Die Bürgermeister vertreten außerdem als oberste kommunale Repräsentanten den Rat und die Gemeinde nach außen, d. h., er oder sie repräsentiert bei Empfängen (z. B. für ausländische Delegationen), pflegt direkte Kontakte zur Presse, agiert sozusagen als ein „kommunaler Außenminister“ bei Städtepartnerschaften oder führt persönlich Ehrungen von verdienten Bürgern durch. Insbesondere bei den Repräsentationsaufgaben werden die hauptamtlichen Bürgermeister von ihren ehrenamtlichen Stellvertreterinnen und Stellvertretern unterstützt.

Letztlich sind die hauptamtlichen Bürgermeister für die innere Organisation der Gemeindeverwaltung, die Geschäftsverteilung, die Erledigung der Geschäfte der laufenden Verwaltung und grundsätzlich auch für die Erledigung der übertragenen staatlichen Aufgaben (Auftragsangelegenheiten) eigenverantwortlich zuständig.

An der Stelle sei übrigens darauf hingewiesen, dass Frauen im Bürgermeisteramt in Deutschland bzw. in den deutschen Bundesländern eher selten anzutreffen sind. Nur jedes zehnte Rathaus wird von einer Frau regiert. Hier gibt es also noch einigen Nachholbedarf. Dabei ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf häufig ein Problem. Der Job des Bürgermeisters ist nicht unbedingt familienfreundlich zu nennen. Man hat so gut wie kein Wochenende frei und viele Leute tragen praktisch zu jeder Tages- und Nachtzeit ihre Wünsche, Forderungen und Nöte vor. Dennoch üben die allermeisten Bürgermeister und Bürgermeisterinnen ihr Amt gerne aus.

Die hauptamtlichen Bürgermeister üben eine prägende Gestaltungskraft auf den kommunalen Entscheidungsprozess aus. Das hat wohl auch etwas mit der Anziehungskraft von (gestalterischer) Macht zu tun. Jedoch ist die Frage zu stellen, ob die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in der Lage sind, unabhängig von ihrer zumeist existierenden Parteizugehörigkeit, eine eigenständige und starke Rolle zu spielen. Es ist zu erkennen, dass in der Regel ausgeprägte Persönlichkeiten unter den hauptamtlichen Bürgermeistern das „Licht der kommunalen Öffentlichkeit“ auf sich ziehen und in den Mittelpunkt der lokalen Presseberichterstattung rücken.

Die Bürgermeister sind dann erfolgreich, wenn sie über verwaltungsfachliche Qualifikationen und soziale Kompetenzen verfügen und sich bürgernah (z. B. durch offenes Auftreten, Redegewandtheit, Glaubwürdigkeit) zeigen. Auf diese Weise ist es wahrscheinlich, dass sie den kommunalen Entscheidungsprozess tatsächlich aktiv gestalten und mit einem angemessenen Führungsanspruch versehen.

2. Die Direktwahl

Mittlerweile wählen die Bürgerinnen und Bürger in allen Flächenländern der Bundesrepublik Deutschland ihre Bürgermeister direkt (zumeist auch analog die Landräte in den Kreisen). Zahlreiche Landesregierungen leiteten kommunalpolitische Reformen ein, die ihre Impulse aus dem Prozess der deutschen Vereinigung 1989/1990 bezogen. Bis in die Mitte der 1990er Jahre hinein gab es nur in Baden-Württemberg und Bayern die Direkt- oder Urwahl des Bürgermeisters. Ansonsten wählten die Bürgerinnen und Bürger im Sinne einer strikten repräsentativen Demokratie ihre kommunalen Vertretungsorgane bzw. Räte, welche aus ihrer Mitte dann die Bürgermeister selbst bestimmten. Mit den Reformen zu verstärkter Bürgerbeteiligung (siehe hier insbesondere Bürgerbegehren und Bürgerentscheid) wurden die Beteiligungsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger in den Kommunen ausgeweitet und die Qualität der Kommunalpolitik verbessert: Ein durch die Direktwahl gestärkter Bürgermeister sollte mehr Verantwortlichkeit und Transparenz des kommunalen Entscheidungsprozesses und eine unmittelbarere Rückkopplung an die Bürgerinnen und Bürger ermöglichen. Denn diese Volkswahl bedeutet durchaus einen Zuwachs an Legitimation und damit eine Art zusätzliche „Beglaubigung“, die mit entsprechenden Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger einhergeht. Diese Entwicklung wurde auch als Weg zur Dominanz des Bürgermeisters charakterisiert.

Die Direktwahl der Bürgermeister in den Städten und Gemeinden und (vom Wahlverfahren deckungsgleich) der Landräte in den Kreisen funktioniert in der Regel nach den Prinzipien der Mehrheitswahl, d. h., gewählt ist, wer mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen erhalten hat. Erreicht keiner der Kandidaten im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit, also über 50 Prozent der Stimmen, findet in den meisten Bundesländern nach der Direktwahl eine Stichwahl unter den zwei Bewerbern mit den höchsten Stimmenanteilen statt.

Tabelle 1: Urwahl von hauptamtlichen Bürgermeistern in den Bundesländern1

Bundesland

Amtszeit in Jahren

Abwahl

Altersgrenzen

Baden-Württemberg

8

nein

25–65

Bayern

6

nein

18–67

Brandenburg

8

ja

mind. 18

Hessen

6

ja

mind. 18

Mecklenburg-Vorpommern

7–92

ja

18–60/643

Niedersachsen

5

ja

23–67

Nordrhein-Westfalen

5

ja

mind. 23

Rheinland-Pfalz

8

ja

23–65

Saarland

10

ja

25–65

Sachsen

7

ja

18–65

Sachsen-Anhalt

7

ja

21–65

Schleswig-Holstein

6–82

ja

27–62

Thüringen

6

ja

21–65

Quelle: Eigene Darstellung

1 Die Bürgermeister der Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg sind vergleichbar mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer und werden nicht direkt gewählt.

2 Die Gemeindeordnungen von Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein nennen diesen flexiblen Zeitraum für eine Amtsperiode.

3 Bei Wiederwahl.

Die Bürgermeisterdirektwahlen zeichnen sich, wie Kommunalwahlen insgesamt, in den deutschen Bundesländern (bei gebotener differenzierter Sichtweise) durch eine eher geringe Wahlbeteiligung aus. Die durchschnittliche Wahlbeteiligung liegt nicht selten unter 50 Prozent. Dabei unterscheidet sich die Wahlbeteiligung in den Kommunen teilweise jedoch erheblich. Insgesamt wird erkennbar, dass die Wahlbeteiligung mit der Gemeindegröße sinkt. Man kann auch einen Zusammenhang zwischen Größe der Kommune, Kandidatenangebot und Parteieneinfluss erkennen: Je kleiner die Kommune ist, desto konzentrierter ist das Kandidatenangebot. Je größer wiederum die Gemeinde ist, desto größer ist der Einfluss der Parteien auf die Bürgermeisterwahl und desto größer ist das Kandidatenangebot. Im Vergleich zu den Ratswahlen ist der Einfluss der Parteiorientierung auf das Wahlverhalten bei Bürgermeisterwahlen jedoch eher gering. Die Kandidatenorientierung wird als stärkerer Einflussfaktor ausgemacht. Diese ist wiederum von der Kandidatenkonstellation, dem taktischen und strategischen Wahlverhalten der Anhänger kleinerer Parteien und dem Kandidatenprofil abhängig. Hingegen kann man einen niedrigen Stammwähleranteil beobachten, weswegen man die Bürgermeisterwahl in Abgrenzung zu den Ratswahlen eindeutig als Personenwahl einstufen kann. So führt die herausragende Position der Bürgermeisterkandidaten in den jeweiligen Kommunen zu einer recht dominierenden Personenwahrnehmung. Die Wahl des Gemeinderates kann dabei etwas in den Hintergrund treten.

Prägende und mittlerweile generalisierende Kennzeichen für die Bürgermeisterwahl als Personenwahlen in Deutschland sind bisher

– ein relativ niedriger Stammwähleranteil,

– ein schwächerer Einfluss der Parteiorientierung auf das Wahlverhalten,

– eine zunehmende Kommunalorientierung der Wählerinnen und Wähler,

– eine Profil- bzw. Kandidatenorientierung als stärkster Erklärungsfaktor.

VI. Wer entscheidet grundsätzlich? – Der Gemeinderat

1. Aufgaben

Der Rat bzw. Gemeinderat ist das Hauptorgan der Gemeinde und entscheidet grundsätzlich in allen Angelegenheiten, die das Gesetz nicht ausdrücklich einem anderen Organ zugewiesen hat. Als politische Vertretung der Bürgerschaft bzw. sogenannte Vertretungskörperschaft obliegt dem Rat im eigentlichen Sinne die Zuständigkeit für alle Grundsatz- und Leitungsentscheidungen. Er bildet für verschiedene Aufgabengebiete Ausschüsse, die entsprechend der Fraktionsstärke besetzt werden.

Die Aufgaben des Rates sind sehr umfangreich. Wie lassen sich diese möglichst ausschöpfend umschreiben?

– Probleme, Missstände in der Gemeinde aufzeigen und ansprechen,

– neue Aufgaben und Problemlösungen aufzeigen,

– der Verwaltung Aufträge erteilen (auf jeden Fall eine der wichtigsten Aufgaben),

– Richtlinien und Grundsätze vorgeben, nach denen die Verwaltung arbeiten kann,

– die Verwaltung kontrollieren (eine beachtliche Herausforderung),

– Führungspersonal wählen bzw. ernennen (siehe Dezernenten),

– durch Satzungen örtliches Recht setzen.

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Aufgrund der Komplexität und der Vielzahl der Aufgaben kann der Rat im Rahmen einer Arbeitsteilung Entscheidungskompetenzen an Ausschüsse oder Bezirksvertretungen übertragen sowie auch an den Bürgermeister delegieren. Entscheidungsrecht besitzt der Rat auch über die Haushaltssatzung und den Stellenplan der Gemeinde. Für ehrenamtliche Ratsmitglieder ist es aber schwierig genug, die von den Gemeindeordnungen beabsichtigte Kontrolle der hauptamtlichen Verwaltung zu gewährleisten.