Der Talisman

Sir Walter Scott


 Published by OPU, 2017

Table of Contents
Der Talisman
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27

Kapitel 1

 

Noch hatte Syriens sengende Sonne nicht ihren höchsten Punkt am Horizont erreicht, als ein Ritter des roten Kreuzes, der seine ferne Heimat im Norden verlassen und sich dem Kreuzfahrerheere in Palästina angeschlossen hatte, langsam über die Sandsteppen hin ritt, die in der Nachbarschaft des Toten Meeres oder, wie es auch heißt, des Asphaltsees liegen, worein sich die Gewässer des Jordans ergießen, ohne wieder Abfluß zu finden. Der kriegerische Pilgersmann hatte sich während der Frühstunden des Tages zwischen Schroffen und Schluchten mühsam seinen Weg gebahnt, und als er diese gefahrvollen Felsenpässe endlich hinter sich gebracht hatte, war er hinausgetreten auf jene große, weite Ebene, wo in alter Zeit die verfluchten Städte die unmittelbare und schreckliche Rache des Allmächtigen herausgefordert hatten.

Durst, Strapaze, Weggefahr, alles war vergessen, als der einsame Reiter die schreckliche Katastrophe sich ins Gedächtnis rief, die das schöne, fruchtbare Tal von Siddim, einst wohlbewässert und berühmt als »Garten des Herrn«, in jene öde, grausige Wüstenei verwandelte, die verdammt ist zu ewiger Unfruchtbarkeit.

Als er der dunklen Masse flutenden Wassers ansichtig wurde, die in Farbe und Beschaffenheit so schroff absticht von dem Wasser aller anderen Seen, bekreuzte er sich und schauderte zurück. Unter dieser trägen Wasserflut lagen die einst so stolzen Städte der Ebene, denen des Himmels Donner oder der Ausbruch unterirdischen Feuers ihr Grab geschaufelt hatten, und deren Trümmer im Schoße jenes Sees verborgen wurden, der keinen lebendigen Fisch in seinem Busen birgt, der kein Schiff auf seiner Fläche trägt und, gleich als ob sein eignes grauses Bett der einzig taugliche Behälter sei für sein träges schweres Wasser, nicht wie andre Seen dem Weltmeere einen Tribut sendet. Das ganze Land rings umher war, wie zu den Tagen des Moses, »Schwefel und Salz; wo nichts gesäet wird, wo nichts lebt und wo nichts wächst.« Land und Meer hier heißen mit Recht tot, denn sie bringen nichts hervor, was an Leben erinnert, und selbst die Luft ermangelt gänzlich ihrer sonstigen gefiederten Bewohner, wahrscheinlich werden sie verscheucht durch den Geruch nach Erdpech und Schwefel, den die sengende Sonne aus den Wassern des Sees in dampfenden Wolken, die oft das Aussehen von Springquellen, annehmen, aufsteigen läßt. Massen des schleimigen, schweflichten Stoffes, den wir unter dem Namen Naphtha kennen, schwammen träge auf den stagnierenden, finsteren Fluten und führten jenem wogenden Gewölk fort und fort schwere, stickige Dämpfe zu, als grausiges Zeugnis für die Wahrheit der mosaischen Erzählung.

Auf diesen Schauplatz von Verödung schien die Sonne mit fast unerträglichem Glanze, und alles, was in der Natur lebte, schien sich vor den Strahlen verkrochen zu haben, mit alleiniger Ausnahme der einsamen Menschengestalt, die sich im Schritt durch den weichenden Sand weiter bewegte und das einzige atmende Geschöpf auf der weiten Fläche der Ebene zu sein schien. Die Kleidung, die der Reiter, und das Geschirr, das sein Roß trug, waren für jemand, der in solcher Gegend reisen wollte, mit eigentümlichem Ungeschick gewählt. Als ob der langärmlige Schuppenrock, die plattierten Handschuhe und die Brust- und Rückenplatte noch nicht als ausreichende Rüstungslast erachtet worden wären, hatte der Reiter sich noch den dreieckigen Schild um den Hals gehängt und den vergitterten Stahlhelm aufgesetzt, darüber noch Stahlhaube und Schuppenkragen gezogen. Der letztere saß dem Krieger über Genick und Schultern und füllte die Lücke zwischen Halsberge und Kopfstück aus. Achselstücke, Ellenbogenkacheln, Vorder- und Hinterschurz, Schenkelschienen, Kniestücke, Beinschienen und Rüstschuhe, in der Montur entsprechend den Kampfhandschuhen, vervollständigten die Rüstung des einsamen Reiters. Ein langes, breites, wuchtiges Schwert mit einem Griff in Form eines Kreuzes hing auf der einen, ein wuchtiger Dolch auf der anderen Seite. Auch trug der Ritter, am Sattel befestigt, mit einem Ende auf dem Steigbügel ruhend, die lange, an der Spitze mit Stahl beschlagene Lanze, seine eigentliche Waffe, die sich beim Reiten nach hinten zu senkte, während das an ihr steckende Fähnlein sich bald im Lufthauche bewegte, bald bei Windstille zusammenkroch. Als Ergänzungsstück dieser beschwerlichen Ausrüstung muß noch ein Oberrock aus gesticktem Zeug erwähnt werden, der zwar schon stark abgetragen, um nicht zu sagen zerschlissen war, aber insofern sich als recht nützlich erwies, als er die sengenden Strahlen der Sonne von dem Panzer fern hielt, den der Ritter sonst unmöglich hätte auf dem Leibe behalten können. Dieser Oberrock zeigte an verschiedenen Stellen das Wappen seines Besitzers, wenn auch stark verwischt. Es schien ein ruhender Leopard zu sein, mit der Devise: »Ich schlummere – weck mich nicht auf!« Auf dem Schilde schien die gleiche Wappenfigur skizziert gewesen zu sein, war aber von manchem Schwerthiebe zerkratzt und zerschunden worden. Der platte Oberteil seines wuchtigen, zylindrisch geformten Helms entbehrte alles Schmuckes. Durch dieses Festhalten an ihrer ungefügen Defensivrüstung schienen die aus nördlichen Ländern stammenden Kreuzfahrer auch der Natur von Land und Klima trotzen zu wollen, wohin sie den Krieg trugen.

Die Rüstung des Rosses war kaum weniger massig und wuchtig als die seines Reiters. Den Rücken deckte ein schwerer, mit Stahl überkleideter Sattel, der vorn mit einer Art Brustberge, ebenfalls aus Stahl, hinten mit einer Art Lenden- oder Schenkelberge zusammenhing. Dazu kam, am Sattelbogen hängend, der eiserne Streitkolben; die Zügel waren gekettelt, und das Stirngestell bestand aus einer Stahlplatte, in der sich für Augen und Nüstern Oeffnungen befanden, während mitten aus ihr heraus, an das Horn des sagenhaften Einhorns erinnernd, ein kurzer scharfer Stachel hervorragte.

Beiden jedoch, dem Ritter sowohl als seinem standhaften Rosse, war diese Last von Rüstung durch die Gewohnheit zur zweiten Natur geworden. Freilich fanden unzählige dieser aus Norden und Westen nach Palästina ziehenden Krieger den Tod, ehe sie des heißen Klimas gewohnt wurden; aber es gab auch genug darunter, denen das Klima nichts anhatte, die sich sogar unter seinem Einflusse wohl befanden, und zu dieser glücklicheren Zahl gehörte der einsame Reiter, der jetzt am Ufer des Toten Meeres entlang ritt. Er war von außerordentlicher Stärke, so daß er die Panzerschuppen so leicht trug wie Spinngewebe, und von einer so kräftigen Konstitution, daß er jedem Klimawechsel und allen Beschwerden und Entbehrungen Trotz bieten konnte. Sein Charakter schien mit diesen Eigenschaften seines Körpers in glücklicher Harmonie zu stehen, denn zu der Kraft und Zähigkeit, Anstrengungen zu ertragen, gesellte sich unter dem Anschein von Ruhe und Gleichgültigkeit eine heiße Ruhmbegier, bekanntlich ein hervorstechender Zug im Charakter der berühmten Söhne des normannischen Stammes, der ihnen überall in der Welt, wohin sie den gepanzerten Fuß setzten, die Herrschaft in die Hände gab.

Doch nicht der gesamten normannischen Rasse winkte Fortuna, mit solch verführerischem Lohne, und was dem einsamenRitter auf seinem Zuge durch Palästina zuteil geworden war, hatte sich bloß auf zeitlichen Ruhm und, wie man ihm eingetrichtert hatte, »spirituelle« Vorrechte beschränkt. Darüber war sein bißchen Geld flöten gegangen, und zwar um so schneller, als er sich nicht, wie die Kreuzfahrer im allgemeinen, dazu verstehen mochte, seinen Lebensunterhalt auf Kosten der Einwohner Palästinas zu bestreiten. Er brandschatzte weder, noch plünderte oder erpreßte er; auch hatte er nie die Gelegenheit wahrgenommen, Lösegeld für Gefangene zu nehmen. Die paar Leute, die bei der Landung auf kleinasiatischem Boden sein Gefolge gebildet hatten, waren zusammengeschmolzen in dem Verhältnis, wie ihm die Mittel zu ihrem Unterhalt knapp wurden, bis auch der letzte Schildknappe im Spital hatte liegen bleiben müssen. Und so zog der Ritter nun einsam und allein im Lande weiter. Das war dem Kreuzfahrer indessen nicht weiter verdrießlich oder ängstlich, denn er hatte sich längst daran gewöhnt, in seinem guten Schwerte seinen sichersten Beschützer und in seinen frommen Gedanken seine besten Begleiter zu erblicken.

Die Natur machte aber auch unter dem eisernen Panzer und auf die geduldige Gemütsart des Ritters vom schlummernden Leoparden ihre Rechte geltend: er fühlte Appetit und das Bedürfnis nach Ruhe und war heilfroh, als er um die Mittagszeit ein Stück weit rechts vom Toten Meere den Brunnen fand, der ihm als Rastort bezeichnet worden war; ein paar Palmen standen in seiner Nähe, und sein getreues Roß wieherte freudig und schnoperte und trabte schneller, wie wenn es den labenden Quell witterte; aber ihm und seinem Reiter sollten, bevor sie die ersehnte Rast fanden, noch herbe Drangsal und Mühe bevorstehen.

Als der Ritter vom schlummernden Leoparden die noch immer ein gutes Stück entfernte Palmengruppe mit aufmerksamen Blicken musterte, war es ihm, als sähe er irgend ein Ding darin sich bewegen. Die ferne Gestalt hob sich von den Bäumen ab, die ihre Bewegungen teilweis verdeckten, bis er in ihr einen Berittenen erkannte, dessen Turban, langer Spieß und im Winde wehender Burnus in ihm den Sarazenen verrieten. Es gibt ein Sprichwort im Morgenlande: In der Wüste trifft niemand einen Freund … Dem Kreuzfahrer war es durchaus gleichgültig, ob der wie ein Sturmwind herangaloppierende Heide als Freund oder Feind sich ihm näherte; doch hätte er als geschworener Streiter des Herrn Jesus ihn als Feind vielleicht lieber kommen sehen denn als Freund. Er machte seine Lanze vom Sattel los, packte sie mit der Rechten, setzte sie mit halb erhobener Spitze in Ruhe, raffte die Zügel in die linke Faust, setzte dem Rosse die Sporen in die Weichen und sich selbst in Bereitschaft, dem Fremden mit dem ruhigen Selbstvertrauen gegenüberzutreten, das sich für den Sieger in manchem Strauße schickt.

Der Sarazene sprengte im fliegenden Galopp eines arabischen Reiters heran, der sein Tier mehr durch den Schenkeldruck und die Körperbeugung dirigiert, als durch fleißigen Gebrauch der Zügel, den er lose in der linken Hand hängen ließ. Auf diese Weise war er nicht behindert, den leichten, mit silbernen Fransen verzierten Rundschild aus Rhinozeroshaut zu schwingen: und das tat er auch mit einer Verve, als wenn er nicht anders dächte, als das kleine runde Ding der wuchtigen Lanze des fahrenden Ritters entgegenzustemmen. Dabei schien er damit zu rechnen, daß ihm der Leopardenritter entgegen reiten werde; der aber war mit den Manieren der Morgenländer viel zu vertraut, als daß er sein Roß mit unnützen Manövern ermattet hätte; er blieb im Gegenteil auf einundderselben Stelle, in der Zuversicht, durch das eigene Gewicht und die Wucht seines Rosses noch immer dem behenderen Gegner gegenüber im Vorteil zu sein, auch ohne es ihm in der Schnelligkeit und Gewandtheit gleichtun zu können. Dem Sarazenen fehlte es aber auch nicht an Klugheit: er sah ebenfalls ein, daß er es an Wucht dem anderen nicht gleichtäte, und machte, als er sich dem Christen auf ein paar Lanzenlängen genähert hatte, eine plötzliche Linksschwenkung und ritt ein paarmal um den Feind herum. Darauf wandte sich dieser, ohne jedoch von seinem Platze zu weichen, hielt sich immer so, daß er dem Feinde die Stirn bot, und vereitelte auf diese Weise dessen Versuche, ihn an einer verwundbaren Stelle zu fassen. Der Sarazene machte, als er nach einer Weile das Vergebliche seines Bemühens einsah, wieder Kehrt, zog sich auf hundert Schritte zurück, stürzte dann, wie ein Falke auf den Reiher, wieder auf den Ritter los, mußte sich jedoch abermals zurückziehen. Dreimal versuchte er es noch, ohne zum Nahkampfe zu kommen, da schien der Ritter die Geduld zu verlieren, denn er packte seinen Streitkolben und ließ ihn durch die Luft sausen in der Richtung nach des Emirs Kopfe, denn ein Emir war der Sarazene zum mindesten. Der aber bemerkte noch rechtzeitig die furchtbare Waffe und hob den kleinen Schild, sie aufzufangen, wurde aber trotzdem so schwer getroffen, daß er vom Pferde heruntersank. Aber er ließ dem Christen nicht die Zeit, aus diesem Unfall Nutzen zu ziehen, sondern war im Nu auf den Beinen, rief sein Roß, rannte ihm entgegen, schwang sich wieder hinauf, ohne den Steigbügel zu benützen, und hatte sich hiermit wieder in alle die Vorteile gesetzt, um die der Ritter ihn zu bringen vermeint hatte.

Dieser aber hatte seinen Streitkolben wieder an sich gebracht, und der Sarazene, der es nicht noch einmal darauf ankommen lassen wollte, mit dieser Waffe in Berührung zu kommen, hielt sich nun außer Wurfweite, spannte aber, nachdem er seinen langen Speer in den Sand gebohrt hatte, seinen Bogen, setzte sein Roß in Galopp, ritt ein paarmal um den Ritter herum und schoß dabei in einem fort seine Pfeile, vor denen den letzteren einzig und allein sein Panzer schützte. Endlich aber traf ihn doch ein Pfeil an einer minder geschützten Stelle, und er stürzte vom Rosse. Aber nicht wenig erschrocken war der Sarazene, als er, sich vom Rosse schwingend, zu dem Feinde herantrat, um dessen Wunde zu untersuchen, und sich plötzlich von ihm gepackt sah, denn der Ritter hatte bloß zu dieser List gegriffen, um den Gegner an sich heran zu bringen. Diesen rettete nun allein seine große körperliche Gewandtheit, infolge deren er Zeit gewann, sich von dem Schwertgurt zu lösen, an welchem der Ritter ihn gepackt hielt, und sich seiner Faust zu entwinden.

Dann schwang er sich abermals auf sein Roß, das seine Bewegungen mit dem Verstande eines menschlichen Wesens zu verfolgen schien, und sprengte in rasendem Galopp von dannen, sah sich aber genötigt, Schwert und Köcher preiszugeben, die ihm vom Gürtel gefallen waren, und die er aufzuheben keine Zeit mehr hatte. Ebenso war ihm im Handgemenge der Turban vom Kopfe geglitten. Infolge dieser Verluste schien er zum Abschluß eines Waffenstillstandes geneigt zu sein, ritt mit erhobener Hand, zum Zeichen, daß die Feindseligkeit ruhen sollte, zu dem Ritter heran und rief in der zwischen den Sarazenen und Kreuzfahrern üblichen Frankensprache: »Warum soll Krieg sein zwischen Dir und mir? Laß uns Frieden schließen!« – »Du findest mich zum Frieden bereit,« erwiderte der Ritter, »aber welche Bürgschaft gibst Du mir, daß Du den Waffenstillstand auch hältst?« – »Ein Anhänger des Propheten brach noch nie sein Wort,« erwiderte der Emir, »ich sollte weit eher Bürgschaft fordern von Dir, Nazarener, und wüßte ich nicht, daß Tapferkeit sich mit Verräterei nicht verträgt, so täte ich es auch.«

Der Kreuzritter fühlte sich beschämt über sein Mißtrauen bei dem Beweise des Gegenteils von seiten des Sarazenen. »Beim Griff meines Schwertes!« sagte er, die Hand darauf legend, »da das Schicksal es fügt, daß wir beisammen bleiben sollen, will ich Dein treuer Kamerad sein, Sarazene.« – »Bei Mohammed, dem Propheten, und bei Allah, seinem Gott,« erwiderte sein bisheriger Feind, »erkläre ich, daß in meinem Herzen wider Dich kein Verrat wohnt; komm mit zur Quelle, denn es naht die Zeit der Ruhe, und ihr kühlendes Naß hatte kaum meine Lippen erfrischt, als Deine Ankunft mich zum Kampfe rief.«

Der Leopardenritter erklärte sich mit Freuden bereit, der Aufforderung zu folgen, und vereint ritten nun die beiden Krieger, die sich eben noch bekämpft hatten, ohne einen Anschein von Mißtrauen oder Zorn zu der kleinen Palmengruppe hin.

Kapitel 2

 

Christ und Sarazene, die eben noch alles aufgeboten hatten, einander zu vernichten, näherten sich langsam der Quelle unter den Palmbäumen, versunken in die eigenen Betrachtungen und zum erstenmal Atem schöpfend nach einem Kampfe, der leicht für beide tödlich hätte werden können. Das Pferd des Sarazenen schien weniger ermüdet als das Streitroß des Europäers. Während der edle Araberhengst bis auf die Schaumflocken, die noch an Zaum und Schabracke sichtbar waren, schon völlig wieder trocken war, trieften die Schenkel des anderen Tieres noch von Schweiß. In dem lockeren Boden sank es zufolge der schweren Panzerung bei jedem Tritt so tief mit den Hufen ein, daß der Ritter schließlich aus dem Sattel sprang und es am Zaume führte.

»Recht von Euch,« sagte der Sarazene, »daß Ihr Eurem Pferde die Last erleichtert; was wollt Ihr bloß in der Wüste mit einem Tiere, das bei jedem Tritt bis über das Hufeisen einsinkt?« – »Sarazene,« versetzte der Ritter, ärgerlich über diese Worte des anderen, »Du redest, wie Du es verstehst. Aber mein Roß hat mich in meiner Heimat schon über einen so breiten See getragen, wie Du ihn dort hinter uns liegen siehst, ohne ein Haar über seinem Hufe zu netzen.« – »Man sagt nicht mit Unrecht,« erwiderte der Sarazene mit einem an Verachtung streifenden Lächeln, »hörst Du einen Franken, so hörst Du eine Fabel.« – »Es ist nicht höflich von Dir, Ungläubiger, in das Wort eines Ritters Zweifel zu setzen,« sagte der Kreuzfahrer; »glaubst Du, ich spreche eine Unwahrheit, wenn ich Dir sage, daß ich, einer von fünfhundert Reitern – meilenweit auf Wasser, so fest wie Kristall, geritten bin?« – »Was Du sagst!« rief der Muselmann, »auf jenem Lande dort drüben ruht der Fluch Gottes; in seinen Wellen versinkt nichts, er wirft alles an sein Ufer; aber weder das Tote Meer, noch einer der sieben Ozeane, die die Erde umgürten, werden den Druck eines Pferdehufes aushalten, so wenig, wie das rote Meer den Durchzug Pharaos und seines Heeres duldete.« – »Sarazene, Du sprichst, wie Du es verstehst,« wiederholte der Ritter, »die Hitze in Eurem Lande verwandelt den Boden in eine wie Wasser unsichere Masse; in meiner Heimat verwandelt die Kälte hingegen das Wasser oft in einen felsenfesten Stoff… Reden wir nicht weiter davon; denn die Vorstellung eines im Mondlicht schimmernden ruhigen, klaren Wintersees vermehrt mir nur die Schrecknisse dieser wilden Wüste, in deren Bereich die Luft, die man atmet, dem Dampfe eines Schmelzofens gleicht.«

Christ und Sarazene bildeten einen auffallenden Kontrast. Der erstere war eine kräftige Gotengestalt mit braunem Haar, das sich in dichter, reicher Fülle um den jetzt vom Helm entblößten Kopf kräuselte. Sein von der Sonne des Orients gebräuntes Gesicht zeigte eine viel dunklere Farbe als der Hals oder sein helles blaues Auge oder die Farbe von Haar und Bart vermuten ließen. Ein dichter Schnurrbart beschattete seine Oberlippe, sein Kinn aber war nach normannischer Sitte glatt rasiert. Seine Nase zeigte die griechische Form; der Mund war wohl etwas groß, aber mit einer Reihe starker und schöner weißer Zähne besetzt; der kleine Kopf ruhte anmutig auf dem Halse. Er konnte nicht über dreißig sein; wenn man aber den Einfluß von Klima und Strapazen in Anschlag brachte, konnte er gut für drei bis vier Jahre jünger gelten. Er war groß und von kräftigem Körperbau; seine Hände waren lang, schön und ebenmäßig; besonders stark und groß aber waren die Handgelenke und die Arme sehr muskulös und wohlgebildet. In seiner Sprache und seinen Bewegungen lag kriegerische Kühnheit und sorglose Freimütigkeit; seine Stimme hatte den Ton eines Mannes, der mehr gewohnt ist zu befehlen, als zu gehorchen.

Der sarazenische Emir war übermittelgroß, aber doch um ein paar Zoll kleiner als der Europäer, dessen Größe der eines Riesen gleichkam. Seine schmächtigen Gliedmaßen, die langen, mageren Hände und Arme waren zwar seiner Person und dem Ausdruck seines Gesichts angemessen, gaben aber von seiner Kraft und Gewandtheit keine Vorstellung. Sein Gesicht hatte mit dem morgenländischen Stamme, dem er entsprossen war, natürlich allgemeine Aehnlichkeit: es war klein, wohlgebildet und zart, doch dunkel gebräunt von der morgenländischen Sonne. Es verlief in einem wallenden schwarzen Barte, der mit besonderer Sorgfalt gepflegt zu sein schien; die Nase war gerade und regelmäßig; das schwarze, tiefliegende Auge funkelte, und seine Zähne waren wie Elfenbein seiner Wüsten. Er stand in der Blüte seiner Jahre und hätte für schön gelten können, wäre seine Stirn nicht zu schmal und sein Gesicht, wenigstens nach europäischen Begriffen, nicht zu hager und spitz gewesen. Sein Benehmen zeigte Ernst, Anmut und Würde.

Ihr Vorrat an Lebensmitteln war karg, das Mahl des Sarazenen aber noch weit karger als das des Europäers. Eine Handvoll Datteln und ein Stück grobes Gerstenbrot stillten ihm den Hunger, und ein paar Züge aus dem Quell, an dem sie ruhten, den Durst. Der Christ aß etwas kaltes Schweinefleisch, das dem Muselmann ein Greuel war; und den Durst löschte er aus einer ledernen Flasche, die etwas Besseres als Wasser enthielt. Der Sarazene, der mit seiner Mahlzeit zuerst fertig war, nahm auch zuerst das Wort. »Tapferer Nazarener,« sagte er, »geziemt es sich wohl, daß einer, der wie ein Mann kämpft, sich wie ein Hund oder Wolf nährt? Selbst ein irrgläubiger Jude schaudert vor der Kost zurück, die Ihr genießt.« – »Tapferer Sarazene,« antwortete der Christ, über den unerwarteten Vorwurf einigermaßen befremdet, »ich bediene mich eben meiner christlichen Freiheit, zu genießen, was den Juden verboten ist. Wir haben eine bessere Rechtfertigung für unser Tun und Lassen – Ave Maria! – wir wollen Gott für seine Gaben dankbar sein.« Bei diesen Worten tat er einen langen Zug aus der ledernen Flasche. – »Das nennt Ihr auch Freiheit,« sagte der Sarazene, »wie Ihr Euch tierisch sättigt, so stillt Ihr auch viehisch Euren Durst!« – »Törichter Sarazene,« versetzte der Christ ohne Zögern, »Du lästerst Deinen Vorfahren Ismael. Der Saft der Traube ist dem Menschen gegeben zu weisem Gebrauch; Wein erfreut des Menschen Herz nach der Arbeit, erquickt ihn in der Krankheit und tröstet ihn im Kummer. Wer ihn so genießt, mag Gott ebenso für seinen Wein danken, wie für sein täglich Brot; wer aber die Gabe Gottes mißbraucht, ist kein größerer Tor in seinem Rausche als Du bei Deiner Enthaltsamkeit.«

Das klare Auge des Sarazenen funkelte bei diesem Spotte, und seine Hand suchte den Griff des Dolches … aber er hielt klugerweise an sich. »Deine Worte, Nazarener,« sagte er, »erzürnen mich nicht, weil Deine Unwissenheit mein Mitleid erregt. Siehst Du nicht, trotz Deiner Blindheit, daß die Freiheit, mit der Du prahlst, in allem, was Deiner Glückseligkeit am teuersten ist, die größte Beschränkung erleidet? Bindet Dich nicht Dein Gesetz an eine einzige Gattin, gleichviel ob sie krank oder gesund, fruchtbar oder unfruchtbar ist? gleichviel ob Du glücklich mit ihr lebst oder unglücklich?«

»Nun, bei seinem Namen, den ich im Himmel am höchsten verehre,« sagte der Christ, »bei ihrem Namen, den ich auf Erden am höchsten halte, Du bist ein verblendeter Ungläubiger! Die Liebe, die einen treuen Ritter an eine einzige Holde und Treue bindet, ist ein Diamant; die Neigung aber, die Du unter Deine dienstbaren Weiber und Sklavinnen verteilst, ist nur ein Splitter davon!«

»Nun, bei der heiligen Kaaba!« sagte der Emir, »Du bist ein Tor, ein Narr, der seine eiserne Kette liebt, als ob sie von Gold wäre. Betrachte diesen Ring! Die Hälfte seiner Schönheit verlöre er, wenn sein Siegel nicht mit diesen geringeren Brillanten gefaßt wäre, die ihn zieren und hervorheben. Der Diamant in der Mitte ist der Mann, dessen Wert auf ihm allein beruht; dieser Kreis von geringeren Juwelen sind Weiber, die von ihm den Glanz leihen, den er ihnen mitteilt, wie es ihm am angemessensten scheint. Nimm den Mittelstein aus dem Ringe, und der Diamant bleibt so wertvoll wie früher, während die geringeren Edelsteine den geringeren Wert haben.«

»Sarazene,« entgegnete der Kreuzfahrer, »Du sprichst wie einer, der nie ein Weib sah, das der Liebe eines Kriegers wert war. Glaube mir, wenn Du die europäischen Frauen sehen könntest, denen wir Ritter, nächst Gott, Treue und Ergebenheit geloben, so würdest Du bald die armseligen Sklavinnen Deines Harems verabscheuen. Die Schönheit unserer Jungfrauen leiht unseren Speeren Kraft und schärft unsere Schwerter; ihr Wort ist uns Gesetz: und so wenig eine ausgelöschte Lampe leuchtet, so wenig wird ein Ritter sich durch Waffentaten auszeichnen, wenn er keine Herzensgeliebte hat.«

»Ich habe von dieser Narrheit der abendländischen Krieger gehört,« sagte der Emir, »und habe es immer für ein begleitendes Symptom dieser Narrheit gehalten, daß Ihr in unser Land kommt, um ein leeres Grab in Besitz zu nehmen. Aber die Franken, die ich traf, haben die Schönheit ihrer Frauen allzeit so hoch erhoben, daß ich Reize, die so tapfere Krieger in Werkzeuge ihres Vergnügens verwandeln können, ganz gern einmal mit eigenen Augen sehen möchte.« – »Tapferer Sarazene,« versetzte der Ritter, »befände ich mich nicht auf einer Wallfahrt nach dem heiligen Grabe, so sollte es mein Stolz sein, Dich unter sicherem Geleite nach dem Lager Richards von England zu führen, wo Du einen kleinen Kreis der ersten Schönheiten Frankreichs und Britanniens sehen solltest, dessen Glanz den Schimmer Deiner Diamanten weit überstrahlt.« – »Nun, diese Einladung nehme ich an; aber Deinen Plan, der Dich hierher führt, mußt Du aufgeben; denn glaube mir, ohne Paß nach Jerusalem ziehen, heißt sein Leben mutwillig aufs Spiel setzen.« – »Ich habe einen Paß,« entgegnete der Ritter, ein Pergament hervorziehend, »von Saladins Hand und mit seinem Siegel versehen.«

Der Sarazene beugte sein Haupt, als er Siegel und Handschrift des berühmten Sultans von Aegypten und Syrien erkannte, und nachdem er die Schrift mit tiefer Ehrfurcht geküßt, drückte er sie an die Stirn und gab sie dem Christen mit den Worten zurück: »Voreiliger Franke, Du hast gegen unser beider Blut gesündigt, indem Du mir dies nicht zeigtest, als wir einander trafen.« – »Ihr kamt mit erhobenem Speer,« sagte der Ritter. »Hätte ein Trupp von Sarazenen mich überfallen, so würde es sich mit meiner Ehre vertragen haben, den Paß des Sultans vorzuzeigen; einem einzigen Manne gegenüber durft' ich's nicht.« – »Und doch war ein Mann hinreichend, Eure Reise zu unterbrechen,« entgegnete der Sarazene stolz. – »Allerdings, tapferer Muselmane,« erwiderte der Christ, »aber solcher, wie Du bist, gibt es wenige.« – »Du läßt uns bloß Gerechtigkeit widerfahren,« sagte der Sarazene, sichtlich ebenso befriedigt durch die schmeichelhafte Aeußerung des Europäers, wie vorher über seine stolze Prahlerei verdrossen. »Von uns würdest Du kein Unrecht erleiden; doch wohl mir, daß ich Dich nicht tötete, da der Schutzbrief des Königs der Könige Dich sichert.« – »Ich freue mich, daß dieser Paß mir gute Dienste leisten wird,« versetzte der Ritter; »denn die Straße wird, heißt es, von Räuberhorden beunruhigt.« – »Man hat Dir die Wahrheit gesagt, tapferer Christ,« sagte der Sarazene, »aber ich schwöre Dir beim Turban des Propheten, solltest Du in einen Schlupfwinkel solcher Elenden geraten, so will ich selbst es auf mich nehmen, Dich zu rächen.«

»Mein Gelübde steht im Himmel verbucht,« erwiderte der Ritter, »und ich muß Euch bitten, mir den Weg zu einem Rastorte für diesen Abend zu zeigen.« – »Den werdet Ihr unter meines Vaters Zelte finden,« antwortete der Sarazene. – »Heute nacht,« sagte der Christ, »muß ich in Gebet und Buße bei einem heiligen Manne, Theoderich von Engaddi, zubringen, der in dieser Wildnis wohnt und sein Leben dem Dienste Gottes geweiht hat.« – »Dorthin wenigstens will ich Euch begleiten,« versetzte der Sarazene. – »Das würde mir recht sein,« sagte der Christ, »wenn nicht des guten Paters künftige Sicherheit dadurch gefährdet würde; die grausame Hand Eures Volkes hat sich gerötet vom Blute der Diener des Herrn, und deshalb kommen wir mit Schwert und Lanze, um die Heiligen zu schützen, die in diesem Lande der Verheißung und der Wunder für uns beten.«

»Nazarener,« erwiderte der Muselmane, »Griechen und Syrier haben gelogen; denn wir handeln nur nach dem Worte des Nachfolgers des Propheten, das da lautet: »Gehet hin, das Land den Ungläubigen zu entreißen; aber betragt euch als wahre Krieger, tötet weder Greise noch Sieche, weder Weiber noch Kinder. Verheert nicht das Land, zerstört nicht Korn und Obstbäume, denn sie sind Gaben Allahs. Haltet Wort, wenn ihr einen Bund geschlossen habt, und wenn es euch zum Schaden wäre. Erschlagt keinen, der in eurem Lande lebt, wenn er nichts anderes will, als zu seinem Gotte beten.«

»Der Anachoret, den ich besuchen will,« sagte der Ritter, »soll kein Priester sein… aber uns gilt er als Heiliger, und ich werde ihn mit meiner Lanze schützen gegen Heiden und Ungläubige.« – »Dein Heiliger von Engaddi,« sagte der Sarazene, »wird sowohl von Türken als Arabern beschützt, und wenn er sich auch manchmal in einem sonderbaren Zustande befindet, so zeigt er sich im allgemeinen als Nachfolger seines Propheten, so daß er den Schutz dessen verdient, der gesandt wurde – «

»Nun, bei Unserer lieben Frau, Sarazene, wagst Du den Kameltreiber von Mekka in einem Atem zu nennen mit – «

Heftiger Zorn blitzte in den Augen des Emirs, aber wiederum bezwang er sich und sagte gelassen und würdevoll: »Schmähe den nicht, den Du nicht kennst; schmähe ihn schon darum nicht, weil wir den Stifter Deiner Religion verehren und nur die Lehre verdammen, die Eure Priester daraus gesponnen haben. Ich will Dich zur Höhle des Eremiten führen, denn ohne meine Hilfe würdest Du sie schwerlich erreichen.«