Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

info@rivaverlag.de

Originalausgabe

1. Auflage 2019

© 2019 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Dr. Carina Heer

Umschlaggestaltung: Isabella Dorsch

Umschlagabbildung: Jens Van Zoest, shutterstock.com/PlusONE

E-Book-Konvertierung: Carsten Klein, Torgau

ISBN Print 978-3-7423-0757-6

ISBN E-Book (PDF) 978-3-7453-0339-1

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-7453-0340-7

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.rivaverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de


Für meine Eltern

... und die Tollste von allen.

Inhalt

Vorwort

Von großen Träumen und kleinen Schritten

Siegfried Rauch

Nicht quatschen – machen

Annette Frier

Was würden denn die Nachbarn denken?

Steffen Henssler

Nur nicht gierig werden

Klaus Meine

Rocken statt rasten

Anastasia Zampounidis

Besser kann es gar nicht werden

Götz Alsmann

Bitte keinen Anfängerfußball

Cynthia Barcomi

Be prepared – and be yourself

The BossHoss

Vor den Hits die Hundenummer

Max Giermann

Wer gut ist, darf auch mal schlecht sein

Britta Heidemann

Wenn ich schon im Wettkampf bin, kann ich mich auch anstrengen

Kim Wilde

Family first – Familie zuerst

Max Buskohl

Eigener Weg statt Überholspur

Atze Schröder

Flauschig bleiben

Nachwort

Viel Erfolg!

Dank

Über den Autor

Vorwort

Von großen Träumen und kleinen Schritten

Ich möchte Moderator werden. Was muss ich dafür tun?«, fragte ich als Teenager bei der ersten Berufsberatung unseres Gymnasiums. »Ganz schwierig«, sagte der Radio-Journalist, der uns an jenem Abend das weite Feld der Medienberufe vorstellte. Das könne nur in Ausnahmefällen funktionieren. Moderator – das wollen nämlich alle werden.

Achtzehn Jahre und über dreitausend Sendungen lang stehe ich nun schon in Diensten des ZDF. Das Zweite Deutsche Fernsehen kümmert sich sogar um mein Frühstück, das meist aus heißem Ingwerwasser, zwei Espressi und einer wunderbaren Gästeauswahl besteht. Bei Volle Kanne begrüße ich Tag für Tag einen prominenten Gast. Die Gästeauswahl ist dabei so bunt wie unsere Gesellschaft: von Helene Fischer über Deep Purple und Gregor Gysi bis Mark Forster, von Iris Berben bis Daniela Katzenberger. Alle haben sie vor allem eines gemeinsam: Sie gelten als erfolgreich.

Doch was ist Erfolg überhaupt? Seit ich als Kind meine Antwort auf die Frage »Was willst du mal werden?« gefunden hatte, wollte auch ich meine Träume wahr werden lassen und mit dem, was ich tue, Erfolge feiern.

Wie mühsam sich das anfangs gestaltete, wird mir rückblickend, mit dem Abstand der Jahre, besonders klar. Währenddessen habe ich es nie als schwer oder entbehrungsvoll empfunden. Ich zog früh zu Hause aus, um weiter in meiner Band spielen zu können und mein vertrautes Umfeld nicht zu verlieren, als meine Eltern und mein Bruder von Oberbayern zurück nach Franken zogen. Ich wohnte bei einer älteren Dame in einem kleinen Dachzimmer, machte Musik und trampte regelmäßig nach München, um in den Bavaria Filmstudios in diversen Praktika zu lernen, wie Film und Fernsehen funktionieren. Weil ich kein Auto hatte, stand ich oft schon um vier Uhr morgens an der Bundesstraße am Murnauer Ortsausgang und hielt den Daumen in die Höhe. Ich war morgens einer der Ersten in den Bavaria Studios, um für die Filmcrew und Schauspieler Kaffee zu kochen, und blieb meist mehr als zwölf Stunden. Während meines Kameravolontariates bei der Produktion der ersten »Marienhof«-Folgen wartete ich abends einmal drei Stunden im Regen an der Autobahnauffahrt, bis mich jemand wieder mit heim nahm.

Später als Produktionsfahrer, der neben den Schauspielern so ziemlich alles und jeden im Rahmen einer Produktion herumfährt, hatte ich immerhin ein Auto. Leider musste ich den Wagen nach Ende der Produktion wieder abgeben. Während meiner anschließenden Ausbildung bei Radio Oberland wurde ich wieder zum Tramper. Diesmal Richtung Garmisch-Partenkirchen. Dass ich dort die Nachrichten der Morgenshow gestalten konnte, war toll. Es bedeutete allerdings, dass ich noch früher aufstehen musste. Im Winter saß ich öfter mal in den Räumfahrzeugen, die mich kurz nach halb vier im Ort aufgabelten und Richtung Süden mitnahmen. Belastet haben mich diese kleinen Widrigkeiten nie. Das gehörte einfach dazu. Ohne die täglichen Herausforderungen zu meistern, ohne mein Durchhaltevermögen oder den Glauben an mich selbst wäre ich wohl nie beim Fernsehen gelandet.

Doch das Fernsehen hat eine besondere Eigenschaft: Es verwehrt den Blick hinter die Kulissen. Was es für mich bedeutet, jeden Tag den Zuschauer zu informieren und zu unterhalten, wissen die meisten Menschen nicht. Dass ich, um dorthin zu gelangen, oft im Winter um halb vier am Morgen in einem Räumfahrzeug gesessen habe, auch nicht. Was hinter den Menschen im Showgeschäft steckt, bleibt oft im Dunkeln.

Als ich vor einem Jahr mit diesem Buchprojekt begann, war mir nicht klar, was die Beschäftigung mit den Erfolgsmenschen für mich bedeuten würde. Nach all den Jahren, in denen ich im Fernsehen und im Radio moderiere, wollte ich noch mehr über einige meiner Lieblingsgäste wissen und sie unter anderen Vorzeichen in anderer Umgebung wiedersehen. Ich wollte wissen, was ich aus ihren Geschichten für mein eigenes Leben mitnehmen könnte.

Auch ich sehe von meinen prominenten Gästen oft nur die Oberfläche, in vielen Shows fehlt für tiefsinnige Gespräche einfach die Zeit.

Diese Zeit habe ich mir jetzt genommen.

Ich wollte erleben, wie hart es in der Küche von Fernsehstar Steffen Henssler wirklich zugeht, und kochte einen Abend lang mit ihm in seiner Profiküche. Mich interessierte, wer eigentlich der Mann hinter Deutschlands besten Parodisten Max Giermann ist, der mich einst bis zur Schmerzgrenze parodiert hatte, und lud ihn zu mir zum Kaffee ein. Warum legt Comedian Atze Schröder seine Maske eigentlich niemals ab und wie schafft er es, in der Öffentlichkeit unerkannt zu bleiben? Und wie konnte Götz Alsmann seine Karriere neben Zimmer frei! auf Erfolgskurs bringen?

Von vielen Antworten wurde ich überrascht. Scorpions-Sänger Klaus Meine verriet mir in den Peppermint Park Studios, wie es der Band aus Hannover gelungen war, in den Rock-Olymp aufzusteigen. Olympiasiegerin Britta Heidemann erklärte mir bei einer Fechtstunde, was Goldmedaillengewinner besser können und was es braucht, um alles aus sich herauszuholen. Mit Schauspielerin Annette Frier habe ich beim Dreh für die Erfolgssitcom Pastewka erlebt, warum Komödie bei Schauspielern als Königsdisziplin gilt. Und sie erklärte mir, warum sie ihre ganz eigene Definition von Erfolg hat.

Die Erfolgsmenschen gewähren Einblicke hinter die Kulissen des Showgeschäftes und der augenscheinlich schillernden Erfolge. Mein Erfolgsverständnis hat sich durch diese Begegnungen verändert. Ich bin gespannt, wie es Ihnen geht!

Ingo Nommsen

Düsseldorf, im Herbst 2018

Siegfried Rauch

Nicht quatschen – machen

Siegfried Rauch ist nicht nur ein bemerkenswerter Schauspieler gewesen. Er war auch einer der Männer, die nun wirklich eng mit meinem Einstieg in den Beruf verbunden sind. Sein Tod mit fünfundachtzig Jahren war für mich ein echter Schock. Hatten wir doch kurz vorher noch telefoniert und uns bei ihm getroffen. Es gab Zeiten, in denen wir uns weit öfter sahen als in den letzten Jahren. Über Monate hinweg sogar nahezu täglich, weil ich beim Dreh seiner ARD-Serie Wildbach einer der beiden Produktionsfahrer war.

Ein Herzinfarkt riss ihn im März 2018 ganz plötzlich aus dem Leben und ließ Familie, Freunde und viele Menschen wie mich ratlos zurück. Die Erinnerung bleibt. An einen Mann, der von meiner alten Heimat Murnau aus loszog, um die Filmwelt bis nach Hollywood zu erobern. Der in Patton – Rebell in Uniform genauso begeisterte wie als Traumschiffkapitän. Und der mir maßgeblich half, meinen Traum vom Film wahr werden zu lassen. Das werde ich ihm nie vergessen. Doch der Reihe nach.

Wie viele Teenager träumte auch ich von einem Leben auf der Bühne. Mit einem Vater, der Berufssoldat war, und einer Kosmetikerin als Mutter standen meine Chancen, beim Film einen Fuß in die Tür zu bekommen, allerdings nicht gerade gut. Verbindungen in die Welt meines Traumberufs gab es nur eine einzige – und die erwies sich eher als hinderlich: Ein entfernter Verwandter arbeitete beim Theater und redete meinen Eltern zu, ihren Sohn bloß nicht an die Schauspielschule zu lassen. Seine Warnung: »Da sind alle nackt, dieses moderne Theater – da sind nur noch Nackte auf der Bühne.« Meine Eltern waren dadurch sehr verschreckt. Dass sie mir dann trotzdem über Jahre den Schauspielunterricht finanzierten, rechne ich ihnen bis heute hoch an.

Fest stand: Das moderne Theater in seiner ganzen Nacktheit war das Meine nicht. Zu der Zeit war ich Boulevardtheater-Fan und filmtechnisch auf Blockbuster abonniert. Und genau da wollte ich hin: möglichst viele Zuschauer. Nur wie? Der Schritt zum Film funktionierte dann doch über Vitamin B, und zwar mein eigenes. Ich war Gitarrist in mehreren Bands und unsere Auftritte hatten mir einige Gitarrenschüler beschert. Einer davon war Benedikt, dessen Vater einer unserer bekanntesten Schauspieler in Deutschland war: Siegfried Rauch.

Wenn mir damals jemand gesagt hätte, dass wir einmal zusammen Fernsehserien und Filme machen würden, ich hätte es nicht geglaubt. Mit dem Kinoklassiker Le Mans hatte er zusammen mit seinem Freund Steve McQueen schon in den Siebzigerjahren internationalen Kultstatus erlangt. Ihm habe ich meinen ersten Schauspieljob beim Film zu verdanken.

Als Schüler im oberbayerischen Murnau nahm mein Wunsch, in der Medienbranche zu arbeiten, langsam Gestalt an. Genau zu der Zeit lernte ich Sigi kennen, Herrn Rauch, wie ich ihn damals noch nannte. Mein Gitarrenschüler Benedikt war der ältere seiner beiden Söhne. Er stand genau wie ich auf Rockmusik und wollte in erster Linie wissen, wie Status-Quo-Songs richtig gespielt werden, um damit in seiner eigenen Band zu reüssieren. Seine Gitarren, die er mit in den Unterricht brachte, waren Sahnestücke, die mich beeindruckten und von meinem bescheidenen Instrumenten-Budget Lichtjahre entfernt waren. Einmal packte er eine wunderbare alte Fender Stratocaster aus. Ein echtes Schätzchen, top in Schuss und mit allerfeinstem Klang. Auch sie stammte aus der Gitarrensammlung seines Vaters. Mein Staunen war nicht zu übersehen. »Mein Vater hat noch ein paar schöne Gitarren zu Hause«, sagte er. »Magst du nicht bei uns vorbeikommen und sie dir anschauen?« Ich wollte. Am liebsten wollte ich natürlich sogar auf ihnen spielen und vielleicht auch ein Wort mit dem Mann wechseln, den ich sonst nur von der Mattscheibe kannte.

Gespannt fuhr ich eine Woche später zu Benedikt. Ich hatte eine Filmstar-Villa mit Garten à la Hollywood erwartet und wurde überrascht. Die Familie wohnte auf dem Land. In einem wunderbaren alten Bauernhof auf dem Dorf mit Blick auf die Alpen. Dach, Wände und Böden hatte der Hausherr persönlich restauriert. Jahre später erfuhr ich, dass er eigentlich Architekt hatte werden wollen. »Aber ich war nicht so gut in Mathe und wäre wohl an der Statik gescheitert«, verriet mir Siegfried in einem unserer zahlreichen Gespräche. Bis zu seinem Tod baute er zumindest an seinem eigenen Zuhause mit großer Leidenschaft weiter.

Die Begrüßung, ein kurzes »Servus«, kam schon bei unserer ersten Begegnung so entspannt und freundlich, dass mir der Star aus Film und Fernsehen sofort sympathisch war. Meine anfängliche Ehrfurcht löste sich schnell auf. Benedikt und ich gingen in die Bauernstube und packten unsere Gitarren aus. Neben dem Kachelofen gab es jetzt Rock ’n’ Roll. Da saßen wir nun in einer gemütlichen bayerischen Sitzecke und ließen den Akkorden freien Lauf.

Plötzlich stand sein Vater mit einer wunderbaren halbakustischen Gitarre in der Tür. Eine Gibson ES-335, die um einiges älter war als ich. Ihr Klang war hervorragend, mit seinen Händen entlockte er ihr ganz nebenbei die Akkorde der von ihm geliebten Swingklassiker. Auch die Bluesstücke, die wir dann gemeinsam spielten, gingen ihm leicht von der Hand. Als er mir sein Schmuckstück reichte, konnte ich mein Glück kaum fassen. Mit den Saiten schwang ein Stück Geschichte mit. Eine solche Gitarre lässt dich einfach besser spielen.

Auch Siegfried begleitete die Faszination für Gitarren Zeit seines Lebens. Sogar auf dem Traumschiff hatte er immer eine dabei. Schon in jungen Jahren war er als Gitarrist unterwegs gewesen und hatte nach dem Krieg für sich und seine Familie Geld mit seiner Leidenschaft, der Musik, verdient. Er spielte vor allem in Clubs für die amerikanischen Soldaten. Sein Repertoire: das – wie Fachleute es heute nennen – Great American Songbook, herausragende Hits, die in den Jahren 1930 bis 1960 entstanden und um die Welt gingen. Sobald er eine Gitarre in der Hand hatte, kamen ihm auch Jahrzehnte später Sinatras Welthits locker aus der Hüfte. »Fly Me to the Moon«, »As Time Goes By« oder »The Lady Is a Tramp« – er hatte sie alle drauf. Wie damals in den Tanzlokalen, in denen er auch seine Frau Karin kennen und lieben lernte. Sie und die Familie waren für ihn bis zuletzt Dreh- und Angelpunkt seines Lebens. Auch wenn sich seine Frau selbst nach über sechzig gemeinsamen Jahren nie daran gewöhnen konnte, dass er zu viel Pfeife rauchte. »Sag der Karin bloß nix«, wies er mich fast immer an, wenn er sich in meiner Gegenwart eine angesteckt hatte.

Für seine Familie nahm er Rollen an, die er sonst nicht gespielt hätte. Denn trotz seiner riesigen Erfolge blieb er Zeit seines Lebens bescheiden. »Ich habe immer gedacht, das ist jetzt die letzte Rolle und dann kriegst du nie mehr eine«, verriet mir Siegfried in einer unserer gemeinsamen Sendungen. Seine Frau weiß, wie schwer es mitunter war. Auch diese Zeiten meisterten sie gemeinsam. Die glückliche Familie diente ihm als Rückzugsort und Quelle der Kraft für seine internationale Karriere. Dieser reale Ort der Zufriedenheit und Sicherheit war noch schöner als die Familie, der Siegfried Rauch zweiundfünfzig Folgen lang im Fernsehen vorstand: Die glückliche Familie hatte in den Achtzigerjahren Millionen von Zuschauern, Weltstar Maria Schell spielte seine Frau.

Wann immer ich Siegfried als Gitarrenlehrer seines Sohnes traf oder mit ihm telefonierte, weil ich Unterrichtsstunden verlegen musste, lag mir auf der Zunge, ihn nach einem Tipp in Sachen Film zu fragen. Doch ich traute mich lange nicht, ihn, den Star, auf seine Profession und seine Kontakte anzusprechen. Als ich mit siebzehn schließlich all meinen Mut zusammennahm und nach einer Empfehlung fragte, musste er nur kurz überlegen, dann ging er sein Telefonbuch durch und schrieb mir eine Telefonnummer auf. »Ruf den Joe an, der macht für viele Filme und Serien die Komparsen und kleine Textrollen. Sag einen Gruß von mir. Da geht bestimmt was«, sagte Siegfried, während ich mein Glück kaum fassen konnte. Diese Chance wollte ich mir nicht entgehen lassen. Ein weiteres Mal nahm ich meinen Mut zusammen und rief diesen Joe an. Und natürlich ging was, nämlich genau das Richtige für einen Einstieg ins Fernsehgeschäft. Joe entschied in der Filmstadt München über die Besetzung kleiner Schauspielrollen. Erst fragte er die klassischen Eckdaten ab. Größe, Haarfarbe, Alter. Einen 1,93-Meter-Mann konnte er gebrauchen. »Traust du dir zu, eine kleine Textrolle zu übernehmen?«, fragte Joe mich am Ende unseres Gespräches. »Das kriege ich hin«, antwortete der begeisterte Jungschauspieler in mir spontan. Mein erster Auftritt sollte laut Joe in einer bayerischen Komödie sein. Mit internationaler Besetzung. Ehrfürchtig lauschte ich den Worten dieses Joe, der offenbar wusste, wovon er sprach. Das schien eine Riesennummer zu werden. Einer von Louis de Funès’ Kollegen aus Der Gendarm von Saint Tropez sowie die erste Liga bayerischer Volksschauspieler, alle sollten sie mitspielen. Und ich. Zumindest als Komparse. Verzeihung: Edelkomparse. Immerhin war für meine Rolle ein Satz vorgesehen, für den ich zweihundertsiebzig Deutsche Mark bekommen sollte. Ein Vermögen für mich als Siebzehnjährigen.

Wobei Siegfried Rauch Text ja für reichlich überbewertet hielt. Ihm wurde überall zu viel geredet und dabei oft auch zerredet. »Zu viele Worte, mit denen nix gesagt wird«, stellte Siegfried fest, als wir wieder einmal über das Fernsehen und seine Zeiten beim Film sprachen. Die Kühe waren sein Lieblingsmotiv bei seinem kreativen Ausgleich – dem Malen. »Die Kühe schauen nur, die haben Charisma. Weil sie’s nicht wissen«, erklärte er mir damals. Wahrscheinlich stehen viele Schauspieler genau deshalb so ungern mit Tieren oder Kindern vor der Kamera. Du kannst nur verlieren.

Diese Sorge teilte ich als Teenager vor meinem hoffentlich wichtigen, ersten Satz beim Film nicht. Eine andere Sorge beschäftigte mich allerdings schon: Wie sollte ich am Wochenende zum Drehort kommen? Zum Glück ließen sich meine Eltern überreden. Zu einem Hollywood-Film mit internationaler Besetzung konnten sie nicht Nein sagen.

Sonntagmorgen um neun Uhr sollte es in einem Café am Münchener Nordfriedhof losgehen. Natürlich waren wir, wie immer, wenn Vater fuhr, viel zu früh dran. Nur eine ältere Dame wartete bereits vor dem verschlossenen Eingang des Cafés. »Sind wir hier richtig beim Film?«, fragte meine Mutter. Die Dame nickte und erwies sich als sehr auskunftsfreudig: »Mit dem Regisseur kann man sehr gut drehen, wir haben zusammen schon einige Filme gemacht.« Mein Vater wollte es genauer wissen. Sollte sein Sohn wirklich in einer Hollywood-Produktion mitspielen?

»Wir drehen eine bayerische Liebeskomödie. Aber es wird wohl auch eine Hardcore-Version gedreht«, verriet die Dame meinem Vater. Der Satz der älteren Kollegin, die da wie ich auf das Filmteam wartete, überraschte nicht nur mich. Am allermeisten verwunderte mich dabei jedoch, dass meine Eltern offensichtlich wussten, was das war: eine Hardcore-Version.

Einblicke in dieses mir bis heute fremde Genre erlangte ich an dem Tag nicht. Aber anschauen wollte ich mir auf jeden Fall alles, was auch immer auf mich zukommen sollte. Ich sicherte meinen Eltern zu, den Dreh über sehr gut allein klarzukommen und mich ordentlich zu benehmen. Mit sichtlich gemischten Gefühlen ließen mich meine Eltern schließlich am Ort des Geschehens zurück.

Meine erste Rolle ist schnell umrissen: Ich sollte einen von vier Sargträgern spielen. Den, der den Sarg schließlich fallen lässt. Leider auf genau jene Dame, die meinen Eltern so erfreut erste Auskunft erteilt hatte. Mit dem kleinen Nachsatz: »Jetzt können Sie Ihren Gatten mal auf Händen tragen.« Eine Liebeskomödie eben.

Der Sarg war natürlich leer und leicht. Ihn aber einfach so auf die Dame fallen zu lassen, stellte sich als eine Herausforderung für mich dar. »Wirf ihn ruhig auf mich, keine Angst«, ermutigte mich die ältere Kollegin. »Ich halte das aus.« Ich warf, und sie hielt es aus.

Mein erster Tag beim Film war sehr interessant. Auch die unfassbar vielen Menschen mit ihren Aufgaben hinter der Kamera sah ich mir genau an. Die Lockerheit und der Spaß, mit dem hier alle bei der Sache waren, überraschten mich. Hier wurde viel gelacht. In der Mittagspause wurden Geschichten von Dreharbeiten in der ganzen Welt ausgetauscht. Sobald die Kamera lief, waren jedoch alle hochkonzentriert. Jeder Meter Film kostete Geld und dessen war sich das ganze Team bewusst.

Dass so ein Filmset später einmal zu meinem Alltag gehören würde, hätte ich damals nicht zu träumen gewagt. Bei meinem ersten Filmdreh stimmte sogar die Verpflegung. Es gab reichlich von einer meiner damaligen Leibspeise: Brathähnchen. Die waren an dem Tag übrigens die Einzigen, die nackte Haut zeigten.

Der Kontakt zu Joe sollte mir noch viele kleine Auftritte in Serien wie der Löwengrube oder TV-Filmen bescheren. Jeder Auftritt war für mich ein unbezahlbares Reinschnuppern in eine Welt, mit der meine Familie nun so gar nichts zu tun hatte. Und da ich in den meisten Fällen auch wenig zu sagen hatte, ließ das anfängliche Lampenfieber immer mehr nach.

Bei Filmdrehs, ob als Praktikant oder Schauspieler, tat ich, was mir Siegfried Rauch in unseren Gesprächen immer wieder ans Herz legte: beobachten, lernen, verstehen. Vor allem vermied ich es, die Hauptdarsteller zu oft anzusprechen. Das hat auch Siegfried nie gemacht. Seine Freundschaft zu Hollywood-Legende Steve McQueen wäre wohl nie entstanden, hätte er sich wie große Teile des Le Mans-Filmteams verhalten. Die rund dreihundertfünfzig Menschen am Set wollten nämlich alle mit dem berühmten Hauptdarsteller sprechen. Nur ganz kurz. Die Überlegungen des Bayern sind da gut nachvollziehbar. »Wenn die ihn alle einmal am Tag anquatschen, hat der ja keine Zeit mehr zu arbeiten«, erzählte mir Siegfried ganz trocken.

Stimmt, da kommen einfache Mathematik und gesunder Menschenverstand zusammen. Als sich Steve McQueen wunderte, warum sein Co-Star nie außerhalb des Sets mit ihm sprach, erklärte Siegfried ihm den Grund dafür. Der Amerikaner war beeindruckt. Es war der Beginn einer lebenslangen Freundschaft. Steve McQueen wurde sogar Patenonkel meines Gitarrenschülers Benedikt. Bis zu Steves Tod in Folge einer Krebserkrankung hielt die Freundschaft zwischen Kalifornien und Oberbayern. Die Geschichte von Steve McQueen, der im Porsche in Murnau am Staffelsee nach dem Weg zu seinem Freund Siegfried Rauch fragt, erzählen sich die Einheimischen noch heute. Wer rechnet schon damit, dass der Held aus den Kinofilmen plötzlich im Auto nebenan sitzt?

Wer sich heute das Spiel Siegfried Rauchs genauer anschaut, merkt, wie sehr sein Schaffen durch die Arbeit mit Steve McQueen beeinflusst wurde. »Der Steve konnte ganze Geschichten mit einem Blick erzählen«, sagte Siegfried einmal, als er mit mir am Frühstücks­tisch saß. Von Steve hatte Siegfried viel gelernt. Nicht die Sätze einfach abfeuern, sondern Pausen setzen. Den Spielpartner fixieren, kurz zum Horizont schauen und wieder zurück. Wobei das mit strahlend blauen Augen, wie Steve und Siegfried sie hatten, natürlich besonders gut funktioniert. Heute versuche ich, mir in wichtigen Momenten einen Augenblick des stillen Blicks zu gönnen. Innehalten hilft, nicht nur vor der Kamera. Bei vielen Gästen in so manchen Livesendungen habe ich genau das beobachtet. Die besten Antworten kommen nach Gesprächspausen, in denen sich jeder Zeit nimmt, seine Gedanken zu sammeln.

In der Zwischenzeit wurde aus meiner fast spielerischen Vorliebe für den Film langsam Ernst. Als ich nach dem Abitur ins Berufsleben startete, machte ich nach diversen Praktika in Österreich Station. Dort wurde die Serie Wildbach produziert, mit Siegfried Rauch in der Hauptrolle, als Chef der Bergwacht. Ein spannendes Dreivierteljahr verbrachte ich im Alpbachtal. Die Dreharbeiten in den traumhaften Tiroler Alpen waren hart, doch ich lernte eine Menge über mich und den Film. Nicht quatschen – machen, ganz nach Siegfrieds Devise. Auch, wenn es mal wirklich Überwindung kostete.

Als Fahrer und Mädchen für alles war ich teilweise neunzehn Stunden auf den Beinen. Morgens brachte ich die Schauspieler in die Maske, danach an den Drehort. Dazwischen organisierte ich das Frühstück für das gesamte Team, half am Set mit und ging zur Hand, wo Hilfe gebraucht wurde. Teilweise gab es in der Nacht noch Fahrten nach München. Die Kurierfahrten mit Material gingen ins Kopierwerk, wo die gedrehten Filmrollen entwickelt wurden. Oft musste danach noch irgendein Schauspieler vom Flughafen abgeholt werden. Das Gute: Als Fahrer hatte ich immer Zugriff auf einen schönen Fuhrpark. Damals bin ich gern mit Tempomat auf die Autobahn und über Kufstein nach München ins Kopierwerk gerast, mit sage und schreibe zweihundertdreißig Stundenkilometern. Doch seit einem Sekundenschlaf damals, der von einigen Schutzengeln begleitet wurde, rase ich nicht mehr. Als ich nachts am Steuer die Augen wieder aufmachte, war ich kurz vor der Leitplanke und konnte die Rennflunder, mit der ich unterwegs war, gerade noch wieder zurück auf die Spur lenken.

Mein aufregendster Einsatz war jedoch ein Helikopter-Catering. Beim Dreh auf einem Gipfel musste ich eine Gulaschkanone auf den Berg schaffen. Mit einem Hubschrauber. Nur: Ich war bis zu diesem Augenblick noch nie zuvor in meinem Leben geflogen. Nicht im Flugzeug, und schon gar nicht in einem Hubschrauber. Plötzlich saß ich in einem verglasten Cockpit auf dem Co-Piloten-Platz, mit zehn Litern Gulaschsuppe zwischen den Beinen. Ich hatte Angst, als wir abhoben, große Angst. Dass der Pilot einer der besten Stuntpiloten war, beruhigte mich überhaupt nicht. Als der Hubschrauber an einer Steilwand entlang senkrecht nach oben flog, versuchte mich der österreichische Crack zu beruhigen: »Mach dir ned ins Hemd, rechts ist der Rotor eh a bissl kürzer.«

Der Höhepunkt stand mir allerdings noch bevor: die Landung auf der Wiese hinter dem Gipfel. Den Moment, als der Hubschrauber über die Kante der Steilwand flog und den Blick auf eine schier endlose, kräftig grüne Bergwiese freigab, werde ich nie vergessen. Eingerahmt von den Alpen standen Schauspieler und Filmteam wie Miniaturfiguren in einer unwirklich schönen Natur. Die Sonne strahlte vom Himmel, als wir uns langsam der leicht abschüssigen Wiese näherten, auf der so schräg natürlich kein Hubschrauber landen konnte. Der Pilot flog knapp über den Boden und blieb etwa einen halben Meter in der Luft stehen. Mit großen Augen schaute ich ihn an. Und jetzt? Ich musste in der Luft aussteigen und die Gulaschkanone aus dem Helikopter wuchten. Doch damit nicht genug. Danach ging es wieder ins Tal, um Nachschub zu holen. Ab der zweiten Tour war ich entspannter, und nach und nach begann das Ganze richtig Spaß zu machen. Das Fliegen und insbesondere die seltenen Erlebnisse im Helikopter liebe ich bis heute.

Dass der Helikopter auf dem Weg in die Höhe das sicherere Transportmittel sein kann, stellte ich etwas später fest. Mit dem Allradbus fuhr ich auf winterlich verschneiten und entsprechend glatten Wegen in Richtung Gamskopf-Gipfel. Mit mir im Bus: Siegfried Rauch und weitere Darsteller. Wie immer war ich in Eile, denn der Rest des Teams wartete bereits auf uns. Nach einer Linkskurve merkte ich, dass uns auf der Fahrerseite keine zwei Meter mehr von einem abschüssigen Steilhang trennten. Gerade als ich im Stillen für meinen Allradantrieb dankte, merkte ich, wie der Bus plötzlich auf eisglatter Fahrbahn seinen Halt verlor, zum Stehen kam und langsam in Richtung Abgrund rutschte. Auch meine Passagiere waren sich schnell der brenzligen Situation bewusst. Auf den Bänken hinten fingen meine Mitfahrer an zu schreien. Ich blickte hilflos dem Abgrund entgegen und schickte ein stummes Gebet zum Himmel. In dieser Situation half es weder zu bremsen noch einen anderen Gang einzulegen. Der Wagen rutschte unaufhaltsam weiter. Als ich auf den Beifahrersitz blickte, sah ich den Einzigen im Auto, der offenbar keine Angst hatte und komplett ruhig blieb. Siegfried Rauch schaute mich entspannt an und nickte mir aufmunternd zu. Wird schon werden, las ich in seinem Blick. Einen Moment später griffen die Räder wieder. Ich setzte meinen Weg in Richtung Gipfel fort. Erleichterung machte sich breit. Bis zum Aussteigen am Drehort blieb es im Bus mucksmäuschenstill.

Wenn mir heute etwas auf der Zunge liegt, versuche ich an Sigis Worte zu denken. In vielen Gesprächssituationen ist weniger eben doch mehr.

Mein erster Job beim Film kam mir zwanzig Jahre später wieder in den Sinn. Die DVD fand ich im Internet, kaufte sie und sah sie mir auf der Suche nach meinem ersten Satz im Schnelldurchlauf an. Das Filmerlebnis endete in einem kleinen Schreckmoment und einer rückblickend sehr lustigen Erkenntnis: Das Lampenfieber vor dem ersten Satz war unnötig gewesen, denn ich hatte völlig umsonst gequatscht. Sie hatten mich nachsynchronisiert.