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Fußnoten

1

Norbert Mecklenburg, Der Fall Judenbuche. Revision eines Fehlurteils, Bielefeld 2008, S. 46.

2

Ebd. S. 81.

3

Ebd. S. 82.

4

Konrad Schaum, Ironie und Ethik in Annette von Droste-Hülshoffs Judenbuche, Heidelberg 2004, S. 175.

5

Ebd. S. 176.

6

Ebd. S. 49.

1. Schnelleinstieg

Die »Droste« wurde wiederholt und Unbestrittene Bedeutung der Drosteunbestritten als die bedeutendste deutschsprachige Dichterin des 19. Jahrhunderts bezeichnet.

Das Lob gilt gleichermaßen ihren realistischen Balladen, ihren beeindruckenden Naturgedichten und ihrer geistlichen Lyrik, die in ihrer Ausdruckskraft sehr vieles von dem übertreffen, was von ihren Zeitgenossen geschrieben wurde, ob man sie nun den Klassik-Nachfolgern, der Romantik oder dem Biedermeier zurechnet. Viele machten ihre Verehrung und Wertschätzung deutlich, so auch die Dichterin Sarah Kirsch, sie schrieb 1973 in einem Gedicht: »Der Droste würde ich gerne Wasser reichen« und zählt dann auf, was sie alles gerne mit ihr gemeinsam machen würde.

Die Texte ihres Gedichtzyklus Das geistliche Jahr zeigen, wie sehr Annette von Droste-Hülshoff im christlichen Glauben verankert ist. Trotz ihrer inneren Kämpfe bleibt sie zeitlebens eine überzeugte katholische Christin, die auch ihre Kirche bewusst bejahte.

Obwohl die Droste in erster Linie Lyrikerin war, ist ihr Name für viele mit einer epischen Dichtung, der Judenbuche, verbunden. Dieses Werk beruht auf einer wahren Begebenheit, die Annette von Droste-Hülshoff seit ihrer Kindheit vertraut war. Die novellenhafte Erzählung Die Judenbuche wurde auf lange Sicht zu einem großen Erfolg. Der Nachruhm der Dichterin beruht vor allem auf dieser Geschichte. Dass ihr Judenbuche auf dem 20-Mark-ScheinPorträt in Deutschland jahrelang den 20-Mark-Schein zieren durfte, verdankt sie nicht ihren Gedichten und anderen Werken, sondern vor allem der Judenbuche, wie die Rückseite des Geldscheins auch deutlich macht. Hinter der Schreibfeder ist dort nämlich eine Buche zu sehen. Die Vorderseite zeigt ein Porträt der Dichterin und historische Gebäude der Stadt Meersburg, wo sie lange lebte. Der Lorbeerzweig ist als Hinweise auf ihren dichterischen Ruhm zu verstehen.

Abb. 1: 20-Mark-Schein mit Portrait von Droste-Hülshoff

Die Bedeutung der Droste im heutigen KulturlebenBedeutung der Dichterin kann man u. a. daran ablesen, dass es eine recht aktive Droste-Gesellschaft gibt, die in unregelmäßigen Abständen ein Jahrbuch herausgibt. Das Bild der Droste war nicht nur auf einem Geldschein abgebildet, sondern war auch zweimal in Briefmarkenserien der Deutschen Bundespost zu sehen. Die Stadt Meersburg vergibt etwa alle drei Jahre einen Droste-Preis, der ausschließlich an deutschsprachige Autorinnen im Rahmen der Meersburger Droste-Literaturtage verliehen wird. Daneben gibt es noch den Annette-von-Droste-Hülshoff-Preis, mit dem auch etwa alle drei Jahre vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe Autoren gewürdigt werden. Mehrere Schulen und auch sogar ein Asteroid sind nach ihr benannt.

Annette von Droste-Hülshoff ist auch über die deutschen Wirkung der Dichterin auch außerhalb der deutschen SprachgrenzeSprachgrenzen hinaus bekannt, weil ihre Werke in andere Sprachen übersetzt wurden. Im Jahrbuch 199196 der Droste-Gesellschaft konnte Zhang Yushu in einem Beitrag mit dem Titel Annette von Droste-Hülshoff nun in China sogar berichten, dass ein Band mit ins Chinesische übersetzten Gedichten der Droste veröffentlicht worden ist.

2. Inhaltsangabe

Die Handlung spielt im 18. Jahrhundert in einer abgelegenen, ländlichen Gegend in Westfalen. Die erzählte Zeit entspricht der Lebensdauer der Hauptfigur Friedrich Mergel, am Anfang wird sein Geburtsjahr 1738 genannt. Am Ende wird als Todeszeitpunkt September 1788 angegeben.

Die Novelle spielt in dem abseits gelegenen, aber waldreichen westfälischen Ort der HandlungDorf B., wo Holz- und Jagdfrevel nur als Kavaliersdelikt gelten. Dadurch entsteht eine Verwirrung des Rechtsgefühls, weil das Gewohnheitsrecht sowie die öffentliche Meinung einerseits und das offizielle Recht andererseits einander entgegenstehen.

In diesem Dorf B. wird 1738 Friedrich Kindheit Friedrich MergelsMergel geboren. Er ist der einzige Sohn eines Halbmeiers, eines Bauern, der verpflichtet ist, an seinen Grundherrn einen Zins abzuführen. Friedrichs Vater hatte nach einer missglückten ersten kinderlosen Ehe die frühere Dorfschönheit Margreth geheiratet. Diese Verbindung kann seinen Abstieg zum verkommenen Säufer allerdings nur kurzzeitig aufhalten. Mergels sozialer Niedergang hat zur Folge, dass auch Margreth immer mehr herunterkommt und der Hof zusehends verfällt. Friedrich wächst deshalb in Armut und als Außenseiter auf, was sich noch verstärkt, als sein Vater im Brederholz tot aufgefunden wird und im Bewusstsein des Dorfes zu einer Spukgestalt wird.

Die Beschreibung von Friedrich Mergels Kindheit erklärt also, warum er zum sozialen Außenseiter wird: Der Vater, zu dem er eine starke Gefühlsbindung hatte, wird im Dorf verachtet. Auch finanziell ist er schlechter gestellt als seine Altersgenossen. Es gibt nur zwei Personengruppen, die in der Dorfgemeinschaft noch schlechter angesehen sind: Juden und Förster.

Abb. 2: Die Judenbuche als Milieustudie

Als Friedrich zwölf Jahre alt ist, kommt Margreths jüngerer Bruder, Simon Einfluss des Onkels Simon SemmlerSemmler, zu Besuch, um sich des Jungen anzunehmen und ihm Arbeit zu geben. Die Art, wie er von der Dichterin beschrieben wird, weckt unheimliche, fast diabolische Assoziationen. Simons Motive sind auch alles andere als uneigennützig. Die Dichterin lässt durchblicken, dass Semmler der Chef der »Blaukittel« (S. 22), einer berüchtigten Bande von Holzdieben, ist. Als Hirtenjunge eignet Friedrich sich hervorragend zum Kundschafter für die Raubzüge der Bande. Der Kontakt zum Onkel verändert sein Leben. Er wird zu Semmlers rechter Hand, hat von nun an Geld, achtet nun sehr auf sein Äußeres und entwickelt sich zum »Dorfelegant« (S. 22). Bald steht Friedrich sogar an der Spitze des jungen Volkes im Dorfe. Sein ständiger Begleiter wird Johannes Niemand, der für Simon als Schweinehirt arbeitet und wahrscheinlich sein unehelicher Sohn ist. Die große Ähnlichkeit zu Friedrich erschüttert Margreth, die die beiden Jungen bei der ersten Begegnung sogar miteinander verwechselt. Sie ist davon überzeugt, dass Simon die Vaterschaft durch einen Meineid abgestritten hat (»Ein falscher Eid, ein falscher Eid«, S. 19 f).

Bei einem ihrer vielen Versuche, die »Blaukittel« (S. 22) zu ergreifen, stoßen die Förster auf Friedrich Mergel, der seine Tiere hütet. Als Friedrich die Gruppe bemerkt, warnt er die Blaukittel durch einen langen, lauten Pfiff, der angeblich seinem Hund gegolten hat. Dies ruft den Zorn des Försters Mord am Förster BrandisBrandis hervor, der den Grund des Pfiffs ahnt, die anderen Förster vorausschickt und Friedrich dann beleidigt und in seiner Ehre verletzt. Aus Ärger darüber schickt dieser ihn bewusst auf den falschen Weg und damit in die Hände der gewalttätigen Blaukittel. Ihm ist wohl klar, dass er den Förster damit dem Tod ausliefert. Dennoch nimmt ihn der Mord an Brandis persönlich so stark mit, dass er sogar krank wird (»O mein Leib, mein Kopf!«, S. 29). Bei der bald folgenden Gerichtsverhandlung tritt Friedrich aber wieder sicher auf. Er gibt nur zu, was ohnehin bereits bekannt ist. Über die Herkunft einer Axt, der Mordwaffe, weiß er angeblich nichts, obwohl ihm ein »ausgebrochener Splitter« (S. 32) endgültig klar macht, dass sein Onkel der Mörder sein muss. Am nächsten Sonntag will Friedrich zur Beichte gehen, weil er unter seiner schweren Schuld leidet (»Ich habe schwere Schuld, […] dass ich ihn den unrecht Weg geschickt«, (S. 34). Er lässt sich aber von Simon wieder davon abbringen, der ihn unter Druck setzt, kein Zeugnis gegen seinen nächsten abzulegen.

Der Mord bleibt unaufgeklärt, die Holzfrevler lassen sich seitdem nicht wieder blicken.

Vier Jahre später findet eine Dorfhochzeit als WendepunktDorfhochzeit statt. Friedrich, dessen Charakter sich immer stärker zum Schlechten verändert, tritt dabei recht bestimmend und großspurig auf. Er will seine Führungsrolle in der Dorfjugend unterstreichen. Als sein ständiger Begleiter Johannes Niemand als Butterdieb entlarvt wird, fühlt sich Friedrich in seiner Würde verletzt und beschimpft Johannes als »Lumpenhund!« (S. 38). Um von dem Geschehen abzulenken, protzt er mit seiner silbernen Uhr. Sein Widersacher Wilm Hülsmeyer mutmaßt, dass Johannes die Uhr gar nicht bezahlt haben könnte. Tatsächlich wird Johannes kurz darauf von dem Juden Aaron öffentlich gemahnt, die 10 Taler für diese Uhr endlich zu bezahlen. Friedrich sieht sich dem öffentlichen Gelächter ausgesetzt und erneut gedemütigt. Er verlässt, im Innersten getroffen, die Hochzeit.

Abb. 3: Die Dorfhochzeit als Wendepunkt der Novelle

Wenige Tage später wird der Jude Mord am Juden Aaron und Friedrichs FluchtAaron im Wald ermordet aufgefunden. Friedrich gerät schnell in Verdacht, doch als er verhaftet werden soll, ist er schon geflohen und kann nicht gefunden werden. Mit Friedrich ist auch sein Freund Johannes Niemand verschwunden. Die Juden der Gegend kaufen bald darauf die Buche, unter der der Mord geschehen ist, und versehen sie mit einer Inschrift in hebräischer Sprache, deren Übersetzung erst am Ende des Buches mitgeteilt wird: »Wenn du dich diesem Orte nahest, so wird es dir ergehen, wie du mir getan hast« (S. 58). Etwa ein halbes Jahr nach dem Mord sagt im Gefängnis ein Mitglied einer Bande aus, er bereue von seinen Untaten vor allem den Mord an einem jüdischen Glaubensgenossen namens Aaron, den er im Walde erschlagen habe. Seitdem gilt es im Ort als zweifelhaft, ob Friedrich den Juden wirklich umgebracht hat.

Nach 28 Rückkehr Friedrichs nach 28 JahrenJahren kehrt Johannes Niemand als abgearbeiteter und gebrechlicher Greis aus türkischer Sklaverei in das Heimatdorf zurück. Die Gutsherrschaft nimmt sich seiner an und sorgt für eine Unterkunft und für seinen Lebensunterhalt. Der Heimgekehrte erfährt, dass Simon völlig verarmt und Margreth in geistiger Dumpfheit schon vor langer Zeit gestorben sind. Er reagiert überrascht, als ihm gesagt wird, dass Friedrich den Mord am Juden Aaron vermutlich gar nicht begangen habe und ihre gemeinsame Flucht eigentlich unnötig gewesen sei. Nachdenklich sagt er: »Also ganz umsonst […] ganz umsonst so viel ausgestanden!« (S. 50). Dann erzählt er von seiner und Friedrichs Flucht und von ihren Erlebnissen. Die beiden hatten sich, als sie in Sicherheit waren, zunächst als wanderende Handwerksburschen ausgegeben und sich dann von den Österreichern als Soldaten anwerben lassen, die im Türkenkrieg eingesetzt werden sollten. Der Heimgekehrte wurde dann bei seinem ersten Kriegseinsatz gefangen genommen und musste 24 Jahre lang ein hartes Leben als Arbeitssklave führen, bis er unter schwierigsten Umständen wieder nach Europa zurückkehren konnte.

Abb. 4: Der Ausgang der Novelle

Johannes Niemand übernimmt nun für den Grundherrn kleine Aufträge, kommt aber eines Tages von einem Botengang nicht zurück. Es wird erfolglos nach ihm gesucht, erst nach 14 Tagen wird er in den Ästen der Judenbuche erhängt aufgefunden. Als man ihm die Halsbinde löst, erkennt ihn der Gutsherr an einer Narbe als Friedrich Mergel. Durch die Enthüllung des Inhalts der Schrift an dem Baum wird nun klar, dass Friedrich Mergel doch der Mörder Aarons war und dass er, an den Ort der Tat zurückgekehrt, die gerechte Selbstmord als SühneStrafe für sein Tun gefunden hat. Die vier silbernen Westenknöpfe, die der Gutsherr in seinem Kämmerchen findet, waren also kein »Andenken von Mergel« (S. 56), sondern seine eigene Knöpfe und zugleich das letzte, was Friedrich in der Sklaverei von seinem alten Leben geblieben ist. Friedrichs Leiche wird auf dem Schindanger verscharrt.

3. Figuren

Alle Figuren der Erzählung sind in irgendeiner Form Teil der Dorfgemeinschaft. Die besondere Lage des Dorfes bestimmt das Denken und Verhalten der Bewohner.

Abb. 5: Zusammenhang zwischen Handlungsort und Verhalten der Figuren

Vor dem Hintergrund dieses Wertesystems, dieser Verhaltensregeln, der besonderen örtlichen Gegebenheiten und Gruppenidentität sind auch die Figuren zu verstehen, die in der Geschichte eine wichtige Rolle spielen.

Hauptfiguren

Abb. 6: Figurenkonstellation

Friedrich Mergel: Friedrich Mergel wächst in schwierigen familiären und sozialen Verhältnissen auf und entwickelt sich in der Außenseiter in der DorfgemeinschaftDorfgemeinschaft zum Außenseiter. Wesentlichen Anteil daran hat der Tod seines Vaters im Brederholz. Er wird zum »Gespenst des Brederholzes« (S. 11), wodurch sich Friedrich immer wieder dem Gespött der Spielkameraden ausgesetzt sieht.

Als er dann in den Dienst von Simon Semmler tritt, gibt ihm das die Chance, seine Außenseiterrolle zu verlassen. Von nun an werden ungebändigter Ehrgeiz und Hang zum Großtun seine wichtigsten Handlungsmotive, wie der Erzähler herausstellt. Er war nur noch selten bei der Mutter, sondern wurde zur rechten Hand Simons: »Der Knabe war seitdem wie verwandelt, das träumerische Wesen gänzlich von ihm gewichen, er trat fest auf, fing an, sein Äußeres zu beachten und bald in den Ruf eines hübschen, gewandten Burschen zu kommen« (S. 21). Er Suche nach Anerkennungentwickelt sich sogar zu einem Führer der Dorfjugend, der viel Geld verbraucht, um sich herauszuputzen, und der auf jede Art von Spott sehr empfindlich reagiert und sich auch mit der Faust Respekt verschafft.

Doch seine neue Position steht auf unsicheren Füßen. Durch die Verbindung mit den kriminellen Machenschaften Simon Semmlers Verstrickung in das Böse35