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THOMAS BREZINA

KNICKERBOCKER-BANDE 4IMMER

BAND 2
SCHATTEN DER ZUKUNFT

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Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haftung der Autoren bzw.

Herausgeber und des Verlages ist ausgeschlossen.

1. Auflage

© 2018 Ecowin Verlag bei Benevento Publishing Salzburg–München, eine Marke der Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Gesetzt aus der Minion Pro, Dirty Ego

Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:

Red Bull Media House GmbH

Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15

5071 Wals bei Salzburg, Österreich

Lektorat: Anke Weber

Satz: MEDIA DESIGN: RIZNER.AT

Umschlaggestaltung: STEIGENBERGER, Agentur für Kommunikation, Katrin Steigenberger

ISBN 978-3-7110-0180-1

eISBN 978-3-7110-5245-2

Für meine Freundin Liesl

Sie ist am 7.4.2018
100 Jahre alt geworden.
Ich erkläre sie zum Ehren-Knickerbocker.
Sie ließ niemals locker
.

Achtung:

In diesem Buch ist, wie in einem Computerspiel, ein »Osterei« versteckt. Es handelt sich um ein Tier, das eindeutig nicht in die Geschichte gehört. Wer es entdeckt, sollte Seite 396 lesen.

Inhalt

VIER TÜREN, DIE ALLES VERÄNDERN

VORFREUDE

TÜR 1: NEW YORK

TÜR 2: IN DER NÄHE VON GRAZ

TÜR 3: WIEN

TÜR 4: SAN DIEGO

NICHTS WIE GEPLANT

1) UNBEHAGEN

2) DER UMSCHLAG

3) MAURO

4) DAS TREFFEN

5) DIE ZEIT LÄUFT

6) NEUE ANWEISUNG

7) STICHE

8) HACKEBEIL

9) WAS TUN?

10) PHILIP

11) NERVOSITÄT

12) HARTE FÄUSTE

13) HINTERHALT

14) GIFTGRÜN

15) ENTTÄUSCHUNGEN

16) GRATULATION

17) DER SCHLAG

18) DILEMMA

19) WHISKY

20) HASS

21) HOLLYWOOD RUMORS

22) EIN ENTSCHLUSS

23) FRAGEN

24) KLARER FALL

25) GEHEIME LABORS

26) DER ANRUF

27) ANDROPOTSCH

28) VERLETZT

29) DER KLUB

30) WHISKY UND OHRFEIGEN

31) KOMPLIZIERT

32) TRAGISCH

33) DER KREIS

34) ZUSATZAUFTRAG

35) BRYDGES PLACE

36) LIBRARY TABLE

37) FEHLER

38) VERSCHWUNDEN

39) LIEFERUNG ERFOLGT

40) SCHOCK

41) FALLE

42) KLAUS

43) VERSTECKTE EINGÄNGE

44) GRÜNDLICH

45) VOLLIDIOT

46) LETZTE STUFE

47) BEKANNT

48) CASTINGLISTEN

49) GEWALTIG

50) DIE WERKSTATT

51) MUSKELN

52) RACHEL

53) WARTEN

54) ERWACHEN

55) IDEEN

56) VORBEREITUNGEN

57) SCHWEISSTROPFEN

58) GELD

59) NOTRUF

60) TEST

61) DAS LÄUTEN

62) DAS TELEFONAT

63) EINE STUNDE

64) CARLO

65) WACH BLEIBEN

66) WINZIG

67) EINBRUCH

68) DER SPRAY

69) VERWUNDERUNG

70) ENTSCHULDIGUNGEN

71) STREIT

72) ERSTE STUFE

73) PÄSSE

74) NORMALE MENSCHEN

75) ZU KURZ

76) SEVEN DIALS

77) DAS MESSER

78) BLUT

79) SELBSTZERSTÖRUNG

80) ZUSAMMENSTOSS

81) HOLEN SIE MICH

82) CHAMPAGNER

83) ORTEN

84) SCHOOL OF ROCK

85) VERSCHWINDEN

86) FRAGEN

87) SCOTLAND YARD

88) HORROR-VIDEOS

89) ABFLUG

90) ABSCHLUSSBERICHT

91) ANKLAGE

92) ABSCHIED

93) DAS BEGRÄBNIS

DREI MONATE SPÄTER

94) BLOODFINGER

95) SCHEIDUNG

96) ROSEN

97) DIE »DAME«

98) VERDACHT

99) BESITZER

100) NICHT GANZ LEGAL

101) DIE VERFOLGUNG

102) NIEDERLAGE

103) RESPEKT

DREI WOCHEN DANACH

104) PLÄNE

DANKSAGUNG

ÜBER DEN AUTOR

VIER TÜREN, DIE ALLES VERÄNDERN

VORFREUDE

Am 12. Juli wurden vier Türen an vier verschiedenen Orten der Welt geöffnet. Dieser scheinbar so harmlose und alltägliche Vorgang sollte das Leben von vier Menschen völlig auf den Kopf stellen.

Die vier, das waren Lilo, Axel, Dominik und Paula, genannt Poppi. Sie kannten einander seit Kindertagen und hatten als Knickerbocker-Bande zahlreiche höchst mysteriöse Kriminalfälle gelöst.

Nach einem tragischen Unfall und einem heftigen Streit hatten sie einander zwanzig Jahre nicht gesehen. Doch eine mysteriöse Einladung hatte die vier an die Südküste Englands gelockt und sie wieder zusammengeführt.

Plötzlich standen sie sich mitten im Meer auf der winzigen Felseninsel Canon Island gegenüber.

Dort begegneten sie nicht nur alten Geistern, die nach einer lang zurückliegenden Bluttat keine Ruhe finden konnten, sondern sie erfuhren auch, dass die vielen Abenteuer in ihrer Kindheit kein Zufall gewesen waren. Die vier waren Versuchskaninchen für ein ungeheuerliches Experiment gewesen. Ohne ihr Wissen hatte jemand jahrelang eine Substanz an ihnen erprobt, um ihre Intelligenz, ihren Mut und ihre Kombinationsgabe zu steigern.

Der Mann, der in ihren Kindertagen hinter diesen Machenschaften gesteckt hatte, trug den Decknamen Hermes, weil er sich für einen Boten der Götter hielt. In all den Jahren ihrer Trennung hatte er sie nicht aus den Augen gelassen, und zwanzig Jahre später wollte er seine Versuchsreihe beenden.

Er verfolgte seinen teuflischen Plan und schreckte nicht davor zurück, die vier auf Canon Island den schlimmsten Prüfungen auszusetzen. Als sein Vorhaben zu scheitern drohte, sprengte er die Insel, um alle Spuren der Schrecken zu verwischen.

Danach lockte er sie zu einer letzten Herausforderung auf die Klippen von Beachy Head in der Nähe von Eastbourne. Dort wollte er sie zwingen, das schwächste Mitglied der Bande auszuwählen und in die Tiefe zu stoßen.

Axel, Lilo, Poppi und Dominik hatten überlebt. Hermes aber konnte entkommen und blieb seitdem spurlos verschwunden. Natürlich ermittelte die internationale Polizei – schließlich ging es um mehrfachen Mordversuch –, aber die Fahndung nach ihm blieb ohne Erfolg.

Durch die Erlebnisse auf Canon Island waren die Freunde von früher wieder zu jenem eingeschworenen Team von einst zusammengewachsen. Sie waren vielleicht zwanzig Jahre älter geworden, aber das hatte nichts an der einmaligen Art ihrer Zusammenarbeit geändert. Im Gegenteil, ihr Zusammenhalt war sogar noch stärker, ihre Freundschaft noch tiefer geworden.

Für den Sommer hatten sie ein Wiedersehen in New York vereinbart, das nun kurz bevorstand. Alle vier freuten sich darauf, Zeit miteinander zu verbringen und ihre neue Verbundenheit zu genießen. Geplant war, dass Dominik ihnen die Stadt zeigte, in der er schon längere Zeit lebte und als Schauspieler arbeitete.

Für Lilo und Axel, die sich nach all den Jahren endlich ihre Liebe eingestanden hatten, würde der Flug nach New York die erste gemeinsame Reise sein.

Auch Poppi konnte es kaum erwarten, ihre Freunde wiederzusehen, aber bei ihr kamen noch andere Gründe dazu.

»Ich fühle mich schon ein bisschen schäbig, weil ich meinem wunderbaren Leben in Österreich entfliehen möchte«, hatte sie ihrer Freundin Amelie gestanden. »Denn eigentlich habe ich alles: den perfekten Mann, den perfekten Beruf, das perfekte Haus – und trotzdem sehne ich mich danach, einfach einmal auszubrechen.«

Insgeheim wusste sie natürlich, was an ihr nagte. Denn ganz so perfekt war Poppis Leben doch nicht. Ihr Wunsch nach einem Kind ging einfach nicht in Erfüllung, und sie hatte zwar begonnen, sich damit abzufinden, aber vielleicht suchte sie genau deshalb etwas Ablenkung. Die Zeit mit Lilo, Axel und Dominik würde sie bestimmt auf andere Gedanken bringen.

Amelie hatte sie über den kleinen Tisch des Kaffeehauses angelächelt und ihr mit der Espressotasse zugeprostet.

»Genieße es, und mach dir nicht immer so viele Gedanken«, hatte sie Poppi geraten.

Dominik freute sich auf die Ankunft der anderen. Er konnte sich den Stolz auf das, was er erreicht hatte, nicht verkneifen. Lilo, Axel und Poppi würden über die Größe und Lage seines Apartments am Central Park staunen, und er würde sie in die feinsten Restaurants und die angesagtesten Klubs führen, in denen ihn viele kannten und er öfters auch um Autogramme gebeten wurde.

Nein, er wollte nicht vor den anderen angeben. Höchstens ein klein wenig, aber das gestand er sich nur ungern ein. An ihm nagte nur immer noch das Gefühl, das er als Kind und Teenager gehabt hatte, dieses Gefühl, ein Außenseiter zu sein. Vielleicht wollte er sich deswegen noch immer vor den anderen beweisen.

Nur einen Tag vor dem großen Wiedersehen in New York veränderten vier geöffnete Türen alles …

TÜR 1: NEW YORK

Am 12. Juli war Dominiks letzter Drehtag für »Bad Boys«, eine Anwaltsserie, in der er den fiesen Nikolaus Kramer spielte, einen Typ, der immer nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht war. Dreizehn Folgen waren in dieser Saison bisher abgedreht worden, und nach einer Pause von vier Wochen sollten die Dreharbeiten weitergehen.

Am 13. Juli würden Lilo, Axel und Poppi in New York ankommen, und natürlich wollte Dominik sie vom Flughafen abholen. Er hatte eine dieser überlangen Limousinen bestellt, weil sie für ihn zu New York einfach dazugehörten.

Um kurz nach zehn Uhr am Vormittag, als er in einen der sechs maßgeschneiderten dunklen Anzüge schlüpfte, die er in der TV-Serie trug, wurde die zerkratzte Tür zu Dominiks Garderobe aufgerissen, und Larry platzte herein. Er war seit vier Jahren Dominiks Agent und nannte ihn oft »mein vielversprechendstes Pferd im Stall«. Nur zwanzig Minuten zuvor hatte Larry eine Neuigkeit erhalten, die er Dominik persönlich und nicht am Telefon überbringen wollte. Es galt, sofort zu reagieren.

»Was?« Dominik starrte Larry ungläubig an, nachdem er gehört hatte, was er ihm zu sagen hatte. »Das ist nicht dein Ernst. Du machst einen Scherz und lachst gleich los, oder?«

Stumm schüttelte Larry den Kopf und lehnte sich von innen gegen die Tür der Garderobe.

TÜR 2: IN DER NÄHE VON GRAZ

Die zweite Tür wurde im Gegensatz zur Garderobentür ganz leise geöffnet. Poppis Hand schob die hellbraune Tür, die keinen einzigen Kratzer hatte, langsam einen Spaltbreit auf. Ihre Hektik von vorhin war einer plötzlichen Ruhe gewichen.

Sie war voller Vorfreude auf die Reise nach New York und rechnete mit allem, aber nicht damit, was sich hinter der Tür abspielte.

Von einer Sekunde auf die andere stürzte für Poppi das ein, was sie für das unerschütterliche Fundament ihres Lebens gehalten hatte. Nie hätte sie angenommen, dass ihr so etwas einmal passieren würde. Plötzlich fühlte sie sich wie in einer ihrer Lieblingsserien, aber diesmal war sie eine der Hauptdarstellerinnen.

Einen Moment lang stand sie wie erstarrt da, dann drehte sie sich um und schlich davon. Sie hoffte inständig, alles würde sich als großer Irrtum erweisen, gleichzeitig aber war ihr klar, wie naiv und dumm diese Hoffnung war. Sie war bereits auf der Straße, als ihr der Grund für ihre Rückkehr wieder einfiel. Ohne ein Geräusch zu verursachen, huschte sie noch einmal in das Haus zurück und holte ihren Reisepass, den sie vergessen hatte. Auf halbem Weg zum Flughafen hatte sie es zum Glück bemerkt und sie war noch einmal zurückgefahren.

Aber war es wirklich ein Glück gewesen?

Wieder im Freien, füllten sich ihre Augen mit Tränen, und sie wischte sie energisch mit dem Ärmel der neuen grünen Leinenjacke fort. Sie wollte einfach nur weg, und die Reise nach New York erschien ihr wie ein Rettungsanker.

»Jetzt aber wirklich zum Flughafen, was?« Der Taxifahrer sah sie im Rückspiegel an, als sie sich auf die Rückbank fallen ließ.

»Ja.« Mehr brachte Poppi nicht heraus, da sie in ihrem Hals ein verdächtiges Kratzen spürte, das neue Tränen ankündigte.

Ihr Handy läutete. Poppi kramte hektisch in ihrer großen Lederhandtasche und fand es tief unten versteckt. War sie bemerkt worden? Wurde sie deshalb angerufen? Was sollte sie dann sagen?

Aber auf der Anzeige stand eine amerikanische Nummer. Poppi riss sich zusammen und zwang sich zu einem Lächeln, auch wenn man das durch das Telefon nicht sehen konnte.

»Hallo, hier Poppi«, meldete sie sich mit gezwungener Fröhlichkeit.

Es war das Büro von Dominiks Agenten. Natürlich war Poppi über den Anruf erstaunt.

Wenig später zuckte der Fahrer des Taxis erschrocken zusammen, weil Poppi laut »Nein!« geschrien hatte. Er betrachtete sie besorgt im Rückspiegel. Die junge Frau mit den glatten braunen Haaren musste soeben eine fürchterliche Nachricht erhalten haben.

TÜR 3: WIEN

Die Tür zu dem Raum im Keller war aus grauem Metall, feuerfest und immer doppelt verriegelt. Zwei Schlüssel waren nötig, um sie zu öffnen. Seine Mutter war sehr neugierig gewesen, und er wollte aus gutem Grund verbergen, was sich hinter der Tür befand.

Am 12. Juli sperrte er die beiden Sicherheitsschlösser der Tür auf. Eigentlich gab es keinen Grund mehr für diese Vorsichtsmaßnahme, denn seine Eltern waren seit einigen Jahren tot, und er lebte allein im Haus. Der Putzfrau hatte er untersagt, den Keller zu betreten.

Das Zimmer maß höchstens drei mal vier Meter. Eine Wand hatte er mit einer Korktapete beklebt und darauf zahlreiche Zeitungsausschnitte mit Pinnnadeln befestigt. Das Zeitungspapier war mittlerweile vergilbt und hatte braune Ränder. Zwanzig Jahre waren nicht spurlos vorübergegangen.

Die Berichte und Fotos zeigten Axel, Lilo, Poppi und Dominik in stolzen Posen.

Die zarte Poppi mit einer Dogge, die fast so groß war wie sie selbst. Das Tier blickte sie mit unendlich treuen Augen an, weil Poppi herausgefunden hatte, welches Gift ihm verabreicht worden war. Die Dogge konnte im letzten Moment gerettet werden, und Poppi wurde von der Stadtzeitung als Heldin gefeiert.

Dominik mit seinem arroganten Lächeln neben einem Superstar aus den USA. Die schlanke Schauspielerin, die bereits zwei Oscars zu Hause stehen hatte, legte einen Arm um Dominiks Schultern, als wäre der Teenager ihr Sohn. In dem Interview schwärmte sie über seine schauspielerischen Qualitäten. Bei Dreharbeiten in Salzburg war er zwei Wochen lang mit ihr vor der Kamera gestanden.

Axel und Lilo auf einem Siegespodest. Lilo war bei einem Skirennen des Unter-16-Teams Erste geworden, knapp vor Axel, der den Platz dahinter belegte. Sein Lächeln erschien etwas gequält, denn Axel wollte immer siegen, Zweiter zu werden, kam für ihn einer Niederlage gleich.

Wer die Zeitungsschnipsel aus der Nähe betrachtete, dem fielen zahlreiche kleine Löcher im Papier auf. Die meisten in den Gesichtern von Poppi, Lilo, Axel und Dominik. Einige andere, etwas verstreut, rundherum. Die Löcher hatten – dazu musste man nicht lange kombinieren – mit den Dartpfeilen zu tun, die am Rand der großen Pinnwand steckten. Er hatte die Bilder früher stundenlang damit beworfen.

Wie lächerlich! Er hasste sich selbst dafür. Es war nicht einmal zum Abreagieren gut gewesen. Außerdem hatte es nichts geändert.

Die Knickerbocker-Bande war der große Star geblieben, und nun waren sie zwanzig Jahre später wieder da. Der letzte Bericht über sie war erst einige Wochen alt, und er hatte ihn aus dem Internet ausgedruckt. Vier Dartpfeile steckten in den Köpfen von den nun erwachsenen vier Freunden.

Schon zu Schulzeiten hatte er Rachepläne entwickelt und in seinem Kopf immer und immer wieder durchgespielt. Aber erst im vergangenen Jahr war er so weit, dass er seine Pläne in die Tat umsetzen konnte. In den letzten Wochen und Monaten hatte er Vorbereitungen getroffen und die nötigen Kontakte geschlossen. Nun war endlich der Moment gekommen, um seinen Plan durchzuführen.

Zum Glück hatte er Geld genug, um die Racheaktion in großem Stil zu inszenieren. So konnte er sich zurücklehnen und den Untergang seiner schlimmsten Gegner genießen.

Sein Blick wanderte von der Pinnwand zu dem kleinen Schreibtisch davor. Auf einem Silbertablett lag dort ein Datenstick. Er hatte das Tablett vor langer Zeit bei Tiffany’s in New York für seine Mutter gekauft, die es aber nie verwendet hatte. Als er seinen Entschluss gefasst hatte, die Racheaktion endlich durchzuziehen, war es ihm wieder eingefallen.

Wie stilvoll, den Datenstick darauf zu präsentieren, wo doch New York der Ort werden sollte, an dem die »berühmte« Knickerbocker-Bande ihren Untergang erleben sollte. Er würde ihre Leben für immer zerstören.

Ihre Reise nach New York war der beste Zeitpunkt, den er sich wünschen konnte. Sie waren »glücklich« vereint, und sein Schlag würde sie alle auf einmal treffen.

TÜR 4: SAN DIEGO

Die vierte Tür war dick gepolstert und mit edlem Leder überzogen, das mit Hunderten Messingnieten an den Rändern angenagelt war.

In den Fenstern der Suite genauso wie in der Tür zum Balkon waren Glasscheiben, die auf den ersten Blick normal wirkten. In Wirklichkeit aber handelte es sich um eine Art Sicherheitsglas, das jedem Stuhl standhielt, der dagegen geworfen wurde. Außerdem dämpfte das Glas Schreie, die in so einer Suite schon einmal ausgestoßen werden konnten.

Es war ein warmer Morgen in Kalifornien, blauer Himmel, wenig Wolken und kaum Wind.

Die Tür konnte nur mithilfe eines sechsstelligen Codes geöffnet werden – sowohl von außen als auch von innen. Eine schlanke Frauenhand mit makellos lackierten Fingernägeln tippte die Ziffernfolge 8-3-2-9-1-7 ein. Ein kurzes Surren, und die Tür sprang auf.

Die beiden Räume, die dahinterlagen, hatten etwas Steriles. Man fühlte sich fast wie in einem Krankenhaus, auch wenn die Leitung des Hauses genau das vermeiden wollte. Vielmehr sollten sowohl Patienten als auch Angehörige den Eindruck haben, in einem luxuriösen Hotel zu Besuch zu sein.

Am Fenster saß ein alter Mann, in sich zusammengesunken und mit gebeugtem Rücken. Er drehte sich zur Tür, und in seinen trüben Augen blitzte kurz etwas wie Freude auf, als er die Besucherin sah.

»Guten Morgen, Onkel Ray.«

Sie wusste, wie sehr er sich über die Neuigkeit freuen würde, die sie mitbrachte. Sie hatte es kaum erwarten können, an diesem Morgen durch die Tür zu treten. Nur die vorgeschriebene Besuchszeit hatte sie daran gehindert, schon in der Nacht bei ihm aufzutauchen.

Er sah ihr erwartungsvoll entgegen. Als ihm einfiel, dass er keine Perücke trug, griff er schnell nach dem Sonnenhut, der auf dem kleinen Tischchen neben seinem Fauteuil bereitlag. Dort stand auf einem Tablett auch sein Frühstück, aber er hatte weder den Orangensaft noch Fruchtsalat, Toast oder Marmelade angerührt. Ein bisschen Tee war das Einzige gewesen, das er sich gegönnt hatte. Appetit hatte er schon lange keinen mehr.

Als wäre es gestern gewesen, erinnerte sich der alte Mann an den Moment, als ihn seine Nichte als kleines Mädchen einmal im Schlafzimmer überrascht hatte. Er hatte sie und ihre Schwester bei sich aufgenommen, als sein Bruder und seine Schwägerin bei einem Helikopterabsturz tödlich verunglückt waren. Die Mädchen waren danach ein halbes Jahr bei ihm geblieben, anschließend hatte er sie in Internaten untergebracht. Kinder aufzuziehen war einfach nicht seine Sache.

Dorit hatte ihn damals gesehen, als er aus dem Badezimmer trat, nur ein Handtuch um seinen entstellten Körper gewickelt und ohne Perücke und Make-up. Nie würde er ihre Reaktion vergessen.

»Monster! Monster!« schreiend, war sie vor ihm geflüchtet.

Sie hatte recht gehabt. Eine Kriegsverletzung hatte ihn entstellt. Ganz in seiner Nähe war eine Granate explodiert, und Tausende Schrapnelle hatten sein Gesicht, seine Brust wie auch seine Arme und Beine zerfetzt. Die Wunden waren verheilt, aber das Narbengewebe sah widerlich aus, im besten Fall rosig, sonst gelblich und fahl. Er ekelte sich bis heute vor seinem eigenen Anblick.

»Sie ist bereit. Ich glaube, sie ist froh, es endlich hinter sich zu bringen«, verkündete Dorit.

»Sieht sie noch immer genauso aus wie das Original?«

Dorit öffnete ihre teure Handtasche und entnahm zwei Fotos, die sie nebeneinander vor ihn hinlegte.

Er nickte zufrieden.

»Dein Plan ist genial und perfekt. Ich werde ihn genauso durchziehen, wie du es vor drei Jahren vorgehabt hast.«

Auch das gefiel ihm, und er quittierte ihre Äußerung mit einem kurzen Nicken.

»Die OPs haben ein Vermögen gekostet, und sie ist ein Kunstwerk geworden.« Hermes erlaubte sich einen Moment von Zufriedenheit. »Wann wirst du die Aktion durchziehen?«

»Nach heutigem Stand der Dinge in drei Tagen. Da wollen sie Ellen’s Rooftop Bar besuchen. Das Treppenhaus kann sehr dunkel sein …« Es lag etwas Teuflisches in Dorits kleinem Grinsen. Ihr Onkel verstand sie gut.

Ja, er wusste, dass er sich auf Dorit verlassen konnte. Sie führte weiter, was er begonnen hatte. Bei seiner Rückkehr aus Europa hatte er ihr von der Versuchsreihe mit der Knickerbocker-Bande erzählt und vom Scheitern seiner Inszenierung auf Canon Island.

Dorit hatte schnell herausgefunden, dass ihr Onkel von der Interpol gesucht wurde. Da er aber immer nur seinen privaten Jet verwendete und in Europa fast die ganze Zeit auf seiner Jacht verbracht hatte, würde es schwierig werden, ihm kriminelle Handlungen nachzuweisen. Trotzdem war Vorsicht angebracht, und daher willigte Ray ein, sich von seiner Nichte entmündigen und in eine luxuriöse Anstalt für psychische Erkrankungen einweisen zu lassen.

Dorits ältere Schwester Natascha übernahm die Leitung des Unternehmens, das mit Luxuskosmetik Milliardenumsätze machte. Dorit selbst kümmerte sich um den Onkel und suchte mithilfe der besten Anwälte Wege, ihn vor einer Verhaftung zu bewahren.

Ray, der sich selbst noch immer Hermes nannte, hatte nicht nur an der Entwicklung eines Wundermittels gearbeitet, das Intelligenz und Reaktionsschnelligkeit steigern sollte. In seinem privaten, gut gesicherten Labor lagerte er noch ganz andere Substanzen und Technologien, die erst erprobt werden mussten. Die Vorbereitungen zu den Testreihen waren über viele Jahre gelaufen.

Am nächsten Tag würden seine langjährigen Testobjekte in New York eintreffen. Sie hielten ihn für tot oder glaubten, er sei untergetaucht, und ahnten nicht, dass sie erneut für seine Forschungen herhalten sollten.

Wenn die Erprobung abgeschlossen war, würde er diesmal alle vier beseitigen lassen. Das war unumgänglich, um alle Spuren verschwinden zu lassen. Und genau genommen würde es sogar fünf Opfer geben.

NICHTS WIE GEPLANT

1) UNBEHAGEN

Lilo blickte durch das Seitenfenster auf die vorbeifliegende Landschaft. Axel lenkte den Wagen. Sie konnte ihn leise vor sich hin schimpfen hören. Den Grund für seinen Ärger kannte sie, es war Lilo selbst.

Sie waren fast eine Stunde zu spät in Linz aufgebrochen, und der Verkehr auf der Westautobahn Richtung Wien war wesentlich dichter als erwartet.

Würden sie es rechtzeitig zum Flughafen schaffen? Ihre Maschine startete um 16.45 Uhr, und jetzt war es schon kurz vor drei. Die Chance, den Flug nach Frankfurt noch zu erwischen, lag – wie Lilo aus Gewohnheit im Kopf ausrechnete – bei weniger als dreißig Prozent.

Axel fuhr auf der linken Spur und blinkte jedes Auto an, ihm Platz zu machen. Ein BMW wollte nicht zur Seite weichen, und deshalb drückte Axel wütend auf die Hupe. Der Fahrer vor ihm gab schließlich nach, aber streckte Axel den Mittelfinger in die Höhe, als er überholte.

»Du fährst hundertsiebzig«, warnte Lilo ihn.

»Das muss ich, sonst können wir den Flug vergessen, und das Umbuchen wird uns ein Vermögen kosten.«

Lilo hielt es für ratsamer, Axel nicht weiter anzusprechen. Er war gereizt, und sie wollte nicht, dass er noch wütender wurde und vielleicht sogar explodierte.

Die Verspätung hatte einen triftigen Grund, den Lilo aber im Augenblick noch nicht zur Sprache bringen wollte. Sie war schon zwei Tage zuvor in Linz bei Axel angekommen. Er bewohnte dort mit seiner Tochter Lotta ein winziges Haus mit einem noch winzigeren Garten.

»Das kann sich sogar ein Trainer wie ich leisten«, hatte er Lilo fast entschuldigend erklärt, als sie zum ersten Mal auf Besuch gekommen war. Dieser Tag lag einige Wochen zurück und war nicht lange nach ihrer Rückkehr von Canon Island gewesen.

Axel hatte Lotta für dieses Wochenende zu seiner Mutter gebracht, weil er mit Lilo lieber allein sein wollte. Die drei Tage, die sie miteinander verbracht hatten, waren ein vorsichtiges Herantasten gewesen. Lilo fühlte sich wie ein Teenager, der Angst davor hatte, etwas falsch zu machen und zurückgewiesen zu werden.

Bei dem ersten Besuch in Linz hatte Axel Lilo sein Schlafzimmer überlassen und selbst auf dem Sofa im Wohnzimmer übernachtet. Lilo hatte es genossen, mit ihm Hände haltend spazieren zu gehen, sich unterwegs zu umarmen und zu küssen.

An den Abenden waren sie zu Hause geblieben. Sie kochten in Axels kleiner Küche, blödelten und redeten von alten Zeiten. Aber zu Lilos Kummer wollte sich kein Knistern zwischen ihnen einstellen. Da von Axel keine Signale kamen, mehr von ihr zu wollen, und er ihr vor dem Schlafengehen nur einen Kuss auf die Wange drückte, wagte auch sie keine weiteren Schritte. Lag es an ihr, hatte sie sich gefragt, als sie schon im Bett lag, oder wollte er ihr einfach Zeit lassen?

Erst zwei Wochen später, als Axel zu Lilo nach Innsbruck kam, schliefen sie zum ersten Mal miteinander. Lilo hatte in ihrem bisherigen Leben einige Flirts und One-Night-Stands gehabt, die für Lilo im Grunde alle enttäuschend verlaufen waren. Sie hatte die Schuld bei sich gesucht und sich in letzter Zeit immer tiefer in ihr Schneckenhaus zurückgezogen.

Mit Axel, so hatte sie gehofft, würde alles anders sein. Als sie dann aber in ihrer ersten gemeinsamen Nacht in seinem Arm lag, hatte sie enttäuscht zur Decke geblickt. Die Euphorie, von der sie geträumt hatte, hatte sich nicht eingestellt.

In den zwei Wochen danach telefonierten sie jeden Tag miteinander, wie sie das auch schon die Zeit davor getan hatten. Aber Lilo hatte nicht den Eindruck, dass sie sich nähergekommen waren. Wenn sie sich verabschiedeten, stieg in Lilo sogar ein Gefühl auf, als könnte sich Axel schon am nächsten Tag einfach nicht mehr melden.

Schließlich war es zu der Begegnung gekommen, die Lilo am meisten gefürchtet hatte. Axel besuchte sie in Innsbruck und brachte Lotta mit. In den Nächten vor diesem Wochenende war Lilo mehrmals aufgewacht und von Panik erfasst worden, Lotta könnte sie nicht mögen und Axel würde einfach abfahren und ihre gerade erst begonnene Beziehung für beendet erklären. Sie hatte ihm diese Ängste nie anvertraut, weil sie einfach keine Unsicherheit zeigen wollte. Es sollte aussehen, als wäre sie den Umgang mit Kindern gewohnt und würde sich freuen, Lotta in der nahen Zukunft wie ihre eigene Tochter zu betrachten.

Doch die beiden Tage hätten nicht besser laufen können. Die Zeit, die sie mit Besuchen im Innsbrucker Alpenzoo, den Kristallwelten in Wattens und dem Wasserpark verbrachten, verging wie im Flug. Lotta erwies sich als ein sehr aufgewecktes, fröhliches Mädchen, das mit seinen blauen Augen voller Neugier in die Welt blickte. Sie schien ihren Vater über alles zu lieben, obwohl Axel einen recht strengen Eindruck auf Lilo machte.

Lilo punktete bei Lotta mit Eis, das Axel eigentlich abgelehnt hatte, und einer kleinen Shoppingtour, bei der Lotta ein neues weißes Sommerkleid bekam sowie pinkfarbene Sportschuhe und das kleine Schminkset, das, laut ihrer Angabe, jedes Mädchen in der Klasse hatte.

Gleich am Sonntagabend, als Axel und Lotta bereits wieder in Linz waren, erhielt Lilo einen Anruf von ihr. Lotta bedankte sich artig für die Geschenke und wünschte sich sehr, dass Lilo sie bald besuchen käme. Der Bann schien gebrochen zu sein, und Lilo fühlte eine unendliche Erleichterung, von Lotta so schnell akzeptiert worden zu sein.

Während ihres Besuches in Innsbruck hatte Lotta in Lilos Arbeitszimmer übernachtet. Beim Einschlafen waren sie beide bei ihr geblieben und hatten ihr abwechselnd vorgelesen, bis ihr die Augen zufielen. Danach hatten sie sich in Lilos Schlafzimmer zurückgezogen. Sie beide schoben es auf Lottas Anwesenheit, dass sie in diesen Nächten nur nebeneinander geschlafen hatten und nicht miteinander.

Irgendwie hoffte Lilo, die Woche in New York würde Axel und ihr guttun. Ihre Verliebtheit war nicht abgeflaut, aber sie war zunehmend verunsichert. An ihr nagten ein Unbehagen und eine steigende Sorge, sie würde seine Erwartungen nicht erfüllen und er könnte das Interesse an ihr verlieren.

In New York aber konnte sich das alles ändern, damit hatte sie sich in der letzten Zeit beruhigt.

Sie war mit dem Zug nach Linz gekommen und von Axel am Bahnhof abgeholt worden. Er hatte sie geküsst und sie auf seine ruhige Art angelächelt, die Lilo so sehr an dem erwachsenen Axel mochte. Danach hatte er sie fest umarmt und ihr den Koffer abgenommen.

Am Vormittag vor der Abfahrt hatten sie Lotta zu Axels Mutter gebracht.

Immer wieder rollten vor Lilos Augen diese paar Stunden ab:

»Jana, darf ich im Garten Regenwürmer trommeln?«, fragte Lotta ihre Großmutter, die sich streng verbeten hatte, als Oma angesprochen zu werden, da sie erst Mitte fünfzig war.

»Was heißt das: ›Regenwürmer trommeln‹?«, wollte Lilo wissen.

»Ich stecke ein Brettchen in die Erde und trommle mit den Fingern, und dann kommen die Regenwürmer heraus«, erklärte ihr Lotta.

»Lauf!«, sagte Axels Mutter. Sofort sauste Lotta davon.

Frau Klingmeier musterte ihren Sohn und Lilo, die sie seit den Tagen der Knickerbocker-Bande kannte. »Und wie ist die neue Gemeinsamkeit?«, wollte sie wissen.

Axel blickte zu Lilo und hob fragend die Augenbrauen. Lilo lächelte verlegen zurück. »Sag du!«

»Schön«, lautete Axels knappe Antwort, die Lilo einen kleinen Stich versetzte. Frau Klingmeier nickte und stand auf, um Kaffee aus der Küche zu holen.

Lilo war kurz im Bad auf der Toilette gewesen. Als sie heraustrat, stand Lotta vor ihr und strahlte sie breit durch die erste Zahnlücke an. Herzlich lächelte Lilo zurück. »Komm mit«, bedeutete Lotta ihr. Lilo folgte ihr in ein anderes Zimmer.

Als sie an den Tisch zurückkehrte, war sie sehr schweigsam. Axel und seine Mutter besprachen einiges für die Woche und bemerkten Lilos Veränderung nicht. Lilo saß zuerst nur da und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Schließlich aber hatte sie das Gefühl zu ersticken. Sie brauchte dringend frische Luft, und vielleicht würde auch ein kurzer Spaziergang helfen. Sie entschuldigte sich, weil sie angeblich noch ein wichtiges Telefonat mit der Uni zu erledigen hatte, und verließ das Haus.

Planlos lief sie auf den Feldwegen herum, die sich hinter dem Garten erstreckten. Als sie schließlich umkehren wollte, musste sie jedoch feststellen, dass sie die Orientierung verloren hatte. Daher dauerte es auch ziemlich lange, bis sie endlich wieder vor dem Haus von Frau Klingmeier stand. Axel war anzumerken, wie sehr er sich beherrschen musste, um nicht laut loszuschimpfen, weil sie zu spät dran waren.

Von Lotta hatte er sich schon verabschiedet. Er drängte Lilo, sofort in den Wagen einzusteigen. Lilo konnte Frau Klingmeier gerade noch kurz zuwinken, dann trat er schon auf das Gaspedal.

»Wien: 75 Kilometer« stand auf der blauen Tafel am Rand der Autobahn, an der sie in diesem Moment vorbeifuhren.

»Wir versäumen den Flug«, schnaubte Axel und riss Lilo aus ihren Gedanken. Sie kämpfte damit, ihn auf etwas anzusprechen, was sie entsetzlich quälte.

Ihr Handy läutete. Sie hatte es im Auto zum Laden angesteckt und zog es nun hoch ans Ohr. Auf der Anzeige stand eine amerikanische Nummer, die ihr unbekannt war. Lilo meldete sich mit einem knappen »Hello?«.

»Yes, that’s me«, hörte Axel sie sagen. Er warf ihr einen kurzen Blick von der Seite zu, musste sich dann aber gleich wieder auf den Verkehr konzentrieren.

Aus dem Handy drang leise eine Frauenstimme. Auf Englisch sagte Lilo nach einer Weile: »Entschuldigung, wie stellen Sie sich das vor? Dominik kann doch nicht von einer Minute auf die andere verlangen, dass wir nach London kommen. Wir haben unsere Tickets schon gekauft und …«

Die Frau unterbrach Lilos aufgebrachten Redeschwall. Offensichtlich war sie noch nicht fertig und schien Lilo beruhigen zu wollen.

»Das ist nicht Ihr Ernst?«, sagte Lilo.

»Was ist?«, wollte Axel wissen. Lilo bedeutete ihm mit ihrer freien Hand, noch einen Moment Geduld zu haben. »Ich hoffe, ich habe mir das gemerkt.« Nach einer kurzen Pause sagte sie noch: »Ja, per WhatsApp ist es am besten. Mit allen Details.«

Nachdem sie sich verabschiedet und aufgelegt hatte, sagte sie zu Axel: »Das war das Büro von Dominiks Manager. Dominik muss sofort nach London, und wir treffen uns dort. Und wegen des Fluges musst du dir keine Sorgen machen. Auf uns wartet ein Flugzeug.«

»Wie meinst du das?«, wollte Axel wissen.

»Es ist egal, wann wir am Flughafen ankommen.«

Jetzt verstand er gar nichts mehr.

2) DER UMSCHLAG

»Hallo, Schätzchen, ich wollte dir noch eine gute Reise wünschen!«

Poppi schluckte. Sollte sie etwas sagen? Amelie war inzwischen eine ihrer besten Freundinnen in Graz geworden. Dabei kannte Poppi sie noch nicht so lange. Amelie und ihr Zwergpudel Richie waren erst vor ein paar Monaten in die Tierarztpraxis von Poppi und ihrem Mann gekommen. Und Poppi, die wegen ihrer Arbeit kaum Freundinnen hatte, hatte sie und ihren Hund bald ins Herz geschlossen.

»Lieb von dir, dass du anrufst.« Poppi versuchte, so zu klingen, als wäre alles bestens. Am liebsten wäre sie sofort mit ihren schrecklichen Neuigkeiten herausgeplatzt, aber irgendetwas hielt sie davon ab. Sie wusste selbst nicht, was es war. Die Freundin zeigte immer viel Interesse und Verständnis für Poppi und konnte gut zuhören. Trotzdem wollte Poppi jetzt nicht mit ihr reden!

»Du bist doch hoffentlich schon am Flughafen«, sagte Amelie.

»Fast. Ich hatte meinen Pass vergessen und musste noch einmal umkehren.«

»Ach, das ist mir auch schon einmal passiert. Aber zum Glück hast du es noch rechtzeitig bemerkt. Mit Pass ist es schon schwierig genug, in die USA einzureisen, ohne kommst du nicht einmal zum Flugzeug.«

Ob es so ein Glück war, dass sie hatte umkehren müssen, bezweifelte Poppi. Eine kleine Pause trat ein, und Amelie schien zu spüren, dass mit Poppi etwas nicht stimmte.

»Bist du schon sehr aufgeregt, deine Freunde von früher wiederzusehen?«

»Amelie, stell dir vor, ich fliege doch nicht nach New York.«

»Nicht, wieso nicht?«

»Dominik hat mich vor einer halben Stunde angerufen. Er muss sofort nach London und dort die ganze nächste Woche bleiben. Er wollte nicht sagen, wieso. Es muss etwas geschehen sein, bei dem es für ihn um viel geht.«

»Was kann das sein?«

»Das habe ich selbst nicht so ganz verstanden. Es dürfte sich um etwas Berufliches handeln.«

Amelie schnaubte empört. »Aber er hat euch doch eingeladen. Er kann euch nicht fünf Minuten vor dem Abflug wieder ausladen? Das ist eine Frechheit.«

Poppi sah das nicht ganz so. »Er lädt uns nicht aus, und es tut ihm auch schrecklich leid. Er hat mir versichert, wenn wir den Grund hören, werden wir ihn verstehen.«

»Und was ist jetzt? Fährst du wieder nach Hause?«

Poppi hatte ein Gefühl, als würde ihr Herzschlag kurz aussetzen. »Nein. Wir treffen ihn in London.«

»Dann fliegst du erst morgen?«

»Nein. Heute. Dominik hat einen Privatjet für uns organisiert. Er holt zuerst Lilo und Axel in Wien ab und landet dann in Graz, damit ich zusteigen kann.«

»Hat er so viel Geld?« Amelie klang neidisch.

»Scheinbar schon. Oder er hat ein sehr schlechtes Gewissen. Ich habe keine Ahnung, was so ein Jet kostet. Jedenfalls treffen wir uns in London.«

»Von welchem Flughafen fliegst du dann jetzt?«

»General Aviation heißt der Terminal. Er liegt gleich neben dem normalen Flughafen, habe ich erfahren. Amelie, ich muss Schluss machen. Wir sind gerade am Flughafen angekommen, und ich muss den Zugang zu den Privatflugzeugen suchen.«

Der Taxifahrer bedeutete ihr, sich keine Sorgen zu machen, da er wusste, wo sich der Zugang zum General Aviation Center befand. Er würde Poppi bis vor den Eingang fahren.

»Ich melde mich später noch einmal«, versprach Poppi. Sie wollte ihre Freundin nicht einfach so aus der Leitung werfen.

»Da bin ich unterwegs. Ich veranstalte heute eine Charity für mein Schulprojekt in Indien.«

»Alles Gute! Ich hoffe, die Leute spenden fleißig.«

»Danke, Schätzchen. Und dir einen guten Flug. Ich hoffe, es wird nicht zu unruhig in so einem kleinen Flieger. Ich würde da niemals meinen Fuß hineinsetzen. Wäre mir zu gefährlich.«

Diese Bemerkung trug nicht gerade zu Poppis Vorfreude auf den Flug im Privatjet bei. Sie spürte, wie langsam die Angst in ihr aufstieg, und wenn sie auf etwas verzichten konnte, dann darauf.

Das Taxi hielt vor einem modernen Glasbau mit großem Vordach. Poppi bezahlte den Fahrer, und er hob ihren Koffer aus dem Kofferraum. Vor ihr schoben sich zwei große Glastüren zur Seite, und sie betrat eine kleine Halle mit dunklem Steinboden und roten Ledersesseln für Wartende.

Hinter einer Theke lächelte ihr ein Mann entgegen, den sie in ihrem Alter schätzte. Sie ging auf ihn zu und nannte ihren Namen.

Er nickte immer wieder und begann, in die Tastatur seines Computers zu hämmern. Das Telefon, das neben der Tastatur stand, klingelte, und er nahm den Hörer ab, ohne den Blick vom Bildschirm zu wenden.

»General Aviation Desk.«

Der Mann hieß Ronald Lieb, wie Poppi auf dem Aluschild lesen konnte, das auf der Theke stand.

»Aha. Sie steht vor mir.« Er blickte Poppi an und erschien auf einmal nachdenklich.

Poppi lächelte unsicher.

Herr Lieb hatte den Hörer zwischen Ohr und Schulter geklemmt und tippte noch immer weiter.

»Für Sie ist etwas am Informationsschalter in der allgemeinen Abflughalle abgegeben worden. Sie müssten hinübergehen und es holen.«

»Für mich? Von wem?«

Er zuckte mit den Schultern, wobei ihm fast der Hörer runtergefallen wäre. »Das weiß die Kollegin auch nicht. Es ist ein Umschlag, der an Sie adressiert ist.«

»Aber das verstehe ich nicht.«

Ronald Lieb legte den Hörer auf. »Ich sehe hier noch keinen Flug für Sie.«

»Er muss gerade erst gebucht worden sein, glaube ich.«

»Ich schlage vor, Sie gehen schnell hinüber und holen den Umschlag, und inzwischen finde ich das für Sie heraus«, sagte er. Mit einem Blick auf Poppis großen, grünen Schalenkoffer fügte er hinzu. »Lassen Sie den einfach hier stehen.«

Wer hinterlegt für mich einen Umschlag, fragte sich Poppi, während sie zum Hauptgebäude des Flughafens ging.

In der Abflughalle war einiges los. An den Check-in-Schaltern hatten sich längere Menschenschlangen gebildet. INFO stand in gelben Leuchtbuchstaben über einem Kiosk aus Glas und Stahl. Hinter dem großen Fenster wartete eine füllige Dame.

»Sie haben einen Umschlag für mich«, sagte Poppi.

»Ihr Name bitte?«

»Paula Reder.«

Die Dame streckte ihr einen braunen A5-Umschlag entgegen. Poppi nahm ihn und betrachtete ihn von vorne und von hinten. Es stand nur ihr Name darauf, aber kein Absender.

Rund um sie eilten Reisende zu den Gates. Poppi wurde angerempelt und warf einen vorwurfsvollen Blick auf den Mann, der zu knapp an ihr vorbeigelaufen war. Er hatte nicht einmal den Anstand, sich zu entschuldigen. Poppi sah ihm kopfschüttelnd nach. Ein komischer Typ, der eine Sonnenbrille in der Halle trug und die Kappe tief ins Gesicht gezogen hatte. Er hatte eine schwarze Jeansjacke an, mehr konnte Poppi nicht erkennen. Wie alle anderen im Terminal schien er in großer Eile zu sein und verschwand zwischen den Leuten.

Die Lasche des Umschlages war nicht zugeklebt. Poppi zog sie auf und griff hinein. Sie stutzte, tastete und bog den Umschlag dann so auseinander, dass sie besser hineinsehen konnte. Sie drehte die Öffnung nach unten und schüttelte ihn, aber es fiel nichts in ihre Hand, die sie flach darunter hielt.

Der Umschlag war leer.

»Wer hat den für mich abgegeben?«, fragte sie die Dame am INFO-Schalter.

»Das kann ich Ihnen leider nicht sagen. Meine Kollegin hat ihn entgegengenommen, und wir hatten vor drei Minuten Schichtwechsel.«

»Können Sie Ihre Kollegin anrufen und fragen?«, bat Poppi.

Die rundliche Dame schüttelte bedauernd den Kopf. »Leider nicht möglich. Ich habe keine Nummer von ihr.«

»Aber es gibt doch sicher ein Büro, das ihre Nummer hat.«

»Das ist schon geschlossen. Ich kann Ihnen nur vorschlagen, morgen hier anzurufen. Da müsste sie wieder Dienst haben.«

Poppi bedankte sich für die Auskunft und machte ein paar Schritte in der Halle. Langsam drehte sie sich im Kreis und blickte sich um. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass Augen auf sie gerichtet waren. Sie konnte aber niemanden entdecken, der sie beobachtete.

»Computerausfall beim Einchecken«, hörte sie Leute schimpfen. Das also war der Grund für die Hektik rund um sie. Eine Lautsprecherstimme verkündete den Ausfall des Fluges nach Frankfurt. Es wäre Poppis Flug gewesen. In Frankfurt wollte sie sich mit Lilo und Axel in einem Airporthotel treffen. Zeitig am nächsten Morgen wäre ihr Abflug nach New York gewesen. Axel hatte ein besonders günstiges Angebot gefunden, bei dem sie aber von Frankfurt aus fliegen mussten.

Poppi faltete den Umschlag einmal und steckte ihn in ihre Handtasche. Sie nahm sich vor, ihn Lilo zu zeigen.

Als sie wieder im Warteraum vom General Aviation Center ankam, kehrte die Erinnerung an die Szene im Haus zurück, und wieder füllten sich ihre Augen mit Tränen. Sie nahm ein Taschentuch aus ihrer Tasche und wischte sie energisch weg.

»Frau Reder, ich habe Ihren Flug gefunden«, rief ihr Ronald Lieb entgegen.

Zur gleichen Zeit stieg ein Mann mit dunkler Kappe, Sonnenbrille und einer schwarzen Jeansjacke in einen kleinen Wagen. Er warf eine Reisetasche neben sich auf den Sitz. Sie war leer. Er startete den Motor und fuhr in Richtung Stadt.

3) MAURO

Mauro hieß eigentlich Mauricio, aber schon als kleiner Junge hatten ihn alle nur Mauro gerufen. Er mochte seinen Namen, und er mochte sich selbst. Zufrieden betrachtete er sich deshalb an diesem Tag im Spiegel, der neben der Tür seines winzigen Apartments hing.

Ja, er war eitel, und er stand dazu. Mauro war verliebt in sein dichtes, schwarzes Haar, das er gerne auf altmodische Art einölte, damit es glänzte. Seine Haut war makellos und leicht gebräunt, was ihn aussehen ließ, als wäre er gerade vom Urlaub in der Sonne zurückgekehrt. Unter seinem engen olivgrünen T-Shirt zeichneten sich gut definierte Muskeln ab und der berühmte Waschbrettbauch, der kein Gramm Fett erkennen ließ.

Unter dem Spiegel stand eine Kommode mit drei Laden. Mauro zog die oberste Lade auf und entnahm ihr eine Pistole der Marke KAHR, Typ K40 und schob sie sich hinten in den Bund seiner sandfarbenen Leinenhose. Danach nahm er eine dunkelblaue Leinenjacke vom Haken und schlüpfte hinein. Sie würde die Waffe verdecken. Aus der zweiten Lade holte er eine Sonnenbrille und setzte sie auf.

Die Brillengläser waren groß und sehr dunkel. Sie verdeckten einen Großteil seines Gesichtes, was auch beabsichtigt war.

Die tiefste der drei Laden enthielt eine absperrbare Hand-kasse mit Nummernschloss. Mauro drehte die Rädchen und hob den Deckel. In der Kasse waren sein Vorrat an Marihuana und ein Bündel Zwanzig-Dollar-Noten. Er nahm ein paar und steckte sie, ohne sie zu zählen, in die linke Hosentasche.

Es war Zeit aufzubrechen. Sein erstes Ziel waren die Flyer-TV-Studios. Er hatte eine gefälschte Zutrittskarte und würde die Garderobe von einem gewissen Dominik Kascha aufsuchen. Er kannte den Mann, der ein paar Jahre älter war als Mauro, und er hasste ihn aus tiefstem Herzen. Dafür gab es mehrere Gründe, die Mauro aber lieber verdrängte.

Dieser Dominik Kascha würde auf jeden Fall einen Schock versetzt bekommen, den er nicht so schnell vergessen würde.

Für den nächsten Tag hatte er schon weitere Anweisungen. Sie würden ihn auf den JFK-Flughafen von New York führen, wo drei Leute ankommen sollten, die er nur von Fotos kannte.

Sein Auftrag war es, Kascha und den anderen dreien klarzumachen, dass sie den Datenstick in ihrem Gepäck sofort rausrücken sollten.

4) DAS TREFFEN

Dorit würde sich nie auf einen Mann verlassen. Männer eigneten sich höchstens zum Vergnügen. Sie verstand die Schwarze Witwe, die das Männchen nach dem Geschlechtsakt auffraß. Spinne müsste man sein, dachte sie manchmal.

Für das Vorhaben, das sie im Auftrag ihres Onkels ausführte, war Dorit aber auf Unterstützung angewiesen. Es gab dabei einiges an Schmutzarbeit zu erledigen, die sie selbst weder leisten wollte noch leisten konnte – und zu der ihr vor allem auch die Kaltblütigkeit fehlte. Dorit hatte dafür – davon war sie überzeugt – eine perfekte Helferin gefunden.

Ihr Name war Elena, jedenfalls behauptete sie das. Ob er stimmte oder nicht, war Dorit egal. Elena war ihr von einem Kriegskameraden ihres Onkels empfohlen worden. Sie hatte früher im arabischen Raum – wenn Dorit das richtig verstanden hatte – Einheiten eines Spezialkommandos angeführt und war ihr als kaltblütig und unerschrocken beschrieben worden.

Vor allem aber, und das war das Wichtigste für Dorits Pläne, eilte Elena der Ruf voraus, sehr wendig und scharfsinnig im Denken zu sein.

Als Schönheit konnte man sie allerdings nicht bezeichnen. Die kräftige Frau mit der gedrungenen Gestalt, die fast männliche Gesichtszüge besaß, erwartete Dorit auf einer Bank im Central Park nahe des Spielplatzes. Ihr Haar war kurz, und sie wirkte alles andere als anziehend. Dorit und Elena waren umgeben von Vätern und Müttern, die ihre lieben Kleinen beaufsichtigten. Einige schaukelten Babys in Kinderwägen. Während Dorit den einen oder anderen begehrlichen Blick eines Vaters erntete, achtete niemand auf Elena.

»Wieso kann die Sache nicht wie geplant stattfinden?«, wollte Dorit ohne irgendeine Begrüßung wissen.

»Ich habe Kascha die ganze Zeit beobachten lassen und dadurch am Morgen erfahren, dass er nach London fliegt. Heute Abend bereits. Er soll für eine Rolle in einem Blockbuster gecastet werden.«

»Und die anderen drei?«

»Die wurden umgeleitet nach London.«

Dorit hasste unvorhergesehene Zwischenfälle, die ihre Pläne störten.

»Werden sie in London bleiben? Oder kommen sie dann doch nach New York?«

Elena trug eine Sonnenbrille und setzte sich nun eine Schirmkappe auf, weil ihr die Sonne zu stark auf den Kopf brannte. Die kurzen Haare boten zu wenig Schutz. Lässig schlug sie ihre Beine, die in Combathosen steckten, übereinander.

»Ich glaube, das hängt davon ab, ob Kascha die Rolle bekommt. Es scheint jemand im Cast ausgefallen zu sein, und er springt ein. Die Dreharbeiten beginnen bereits in zehn Tagen.«

Wie Elena das immer alles herausfand, blieb Dorit ein Rätsel. Aber auch das war ihr egal, Hauptsache, sie hatte alle Informationen.

»Entweder müssen wir die Sache abblasen oder sie nach London verlegen. Das ist Ihre Entscheidung!«, sagte Elena.

Ob diese Frau überhaupt menschliche Gefühle kannte, kam Dorit in den Sinn. Sie erschien Dorit plötzlich wie ein Roboter, der in einer menschlichen Haut steckte.

»Geht das, alles zu verlegen?«

»Natürlich. Ich fliege mit P2 nach London und suche dort den geeigneten Ort. Innerhalb der nächsten drei Tage ist die Sache erledigt.«

»Aber die Flüge? Wir müssen P1 doch zurückbringen?«

»Natürlich alles nur mit Privatjets. Ich habe da meine Leute, die hundertprozentig diskret sind.«

»Wann können Sie wegfliegen?«

Elena stand auf, Dorit blieb sitzen. Mit ihren Stöckelschuhen war sie etwa einen Kopf größer als Elena, und sie spürte, wie wenig Elena das gefiel.

»Ich treffe alle Vorbereitungen. Ich brauche hundertfünfzigtausend Dollar und den gleichen Betrag in Pfund. Bar natürlich.«

»In Ordnung.« Dorit schreckten die Beträge nicht im Geringsten. Ihr Onkel hatte sie mit einem Konto ausgestattet, das scheinbar unerschöpflich zu sein schien. »Ist P2 im Umgang mit Spritzen vertraut.«

»Selbstverständlich.«

Von ihrem Onkel wusste Dorit, wie wichtig es war, die Injektionen präzise auszuführen. Getestet wurde eine der genialsten Entwicklungen des jungen Jahrtausends, die – wenn die Tests am Menschen erfolgreich verliefen – direkten Zugang zum Gehirn von anderen bot.

5) DIE ZEIT LÄUFT

»Dominik, noch einmal«, sagte die Regieassistentin. Da er nicht reagierte, wedelte sie mit dem Skript. »Dominik, von vorne.«

»Sorry!« Dominik war nicht bei der Sache. Wie sollte er sich auf diese lächerlichen Textzeilen konzentrieren, wenn etwas vor ihm lag, was sein gesamtes Leben verändern könnte.