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Auguste Lechner

Die Nibelungen

Glanzzeit und Untergang
eines mächtigen Volkes

Mit Illustrationen
von Karen Holländer-Schnur

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14. Auflage 2018

© 1960 Verlagsanstalt Tyrolia, Innsbruck
Umschlaggestaltung: Tyrolia-Verlag unter Verwendung
eines Bildes von Karen Holländer-Schnur
Layout und digitale Gestaltung:
Satzstudio Walter Schöpf, Oberperfuss
Lithographie: Athesia-Laserpoint, Innsbruck
Druck und Bindung: FINIDR, Tschechien
eISBN 978-3-7022-2613-8
E-Mail: buchverlag@tyrolia.at
www.tyrolia-verlag.at

Inhalt

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

Kapitel VII

Kapitel VIII

Kapitel IX

Kapitel X

Kapitel XI

Kapitel XII

I.

Im großen Saal der Burg zu Xanten ging König Siegmund mit zornigen Schritten auf und ab. Sieglinde, die Königin, saß im Erker und hielt die Nadel mit dem goldenen Faden müßig in der Hand, indes der kostbare Gürtel, an dem sie gestickt hatte, unbeachtet auf dem Boden lag. Sie sah zu Siegfried hinüber und ihr Gesicht war sehr bekümmert.

Siegfried stand an der Tür und blickte ein wenig unbehaglich dem würdigen grauhaarigen Ritter nach, der eben den Saal verlassen hatte und nun schnell den Gang hinabschritt.

Ja, da ging er! Und es mochten kaum drei Monde verflossen sein, seit er nach Xanten gekommen war, um den Sohn des Königs von Niederlanden in höfischer Sitte und allen ritterlichen Tugenden zu unterweisen. Siegfried dachte schuldbewusst darüber nach, wie viele Hofmeister schon gekommen und bald darauf erzürnt oder kopfschüttelnd wieder von dannen geritten waren. Es mochten wohl sechs oder sieben sein, die ihr Glück versucht hatten und meinten, es müsste doch wunderlich zugehen, wenn sie des ungebärdigen Königssohnes nicht Meister würden.

Fast wollte Siegfried Betrübnis überkommen, weil ihre Mühe und Plage so vergeblich war. Aber was sollte er tun? Das Leben in der väterlichen Burg gefiel ihm schon seit geraumer Zeit nicht mehr und manchmal war er mit sich selbst und aller Welt unzufrieden, ohne dass er recht wusste, woran es lag. Dann verübte er in seiner üblen Laune allerlei tolle Streiche, die seinen Vater erzürnten und seine Mutter betrübten.

Wenn die Lehrer von den Taten der Helden aus grauer Vorzeit erzählten, stieg eine unbezwingliche Sehnsucht in ihm auf fortzureiten, herrlich gerüstet, auf einem wilden Hengst, und die gleichen Abenteuer zu bestehen wie die berühmten alten Recken. Wenn fremde Ritter zu Gaste kamen und von den Kämpfen und Gefahren redeten, die sie bestanden hatten, dünkten ihn die Kampfspiele, die er mit den anderen Knaben im Burghofe austrug, dumm und kindisch. Er war viel stärker als seine Gefährten und besiegte sie immer; aber seine leichten Siege freuten ihn nicht. Wenn er auf dem Turm stand und über das weite Land blickte, schien ihm, als wäre er zu Xanten ein Gefangener. Vergaß er, was die strenge höfische Sitte befahl, so gab es Tadel und Strafe und – ja, das war freilich wahr – dann spielte er den würdigen Herren in seinem Trotz manchen bösen Schabernack. Und wenn … Die zornige Stimme seines Vaters riss den Knaben Siegfried jäh aus seinen unfrohen Gedanken. König Siegmund war vor ihm stehen geblieben. „Diesmal ist dein Maß voll!“, sagte er grollend. „Geh jetzt und komm mir nicht mehr unter die Augen, bis ich dich rufen lasse! Dann sollst du erfahren, was ich über dich beschlossen habe.“

Das hörte Siegfried ungern: Denn etwas Gutes hatte er gewiss nicht zu erwarten, meinte er. Vielleicht würde ihn der Vater in den Turm sperren oder ihm das Pferd wieder fortnehmen, das er ihm vor ein paar Tagen geschenkt hatte … oder weiß Gott, wie er ihn zu bestrafen gedachte! Indessen blieb ihm nichts übrig als zu gehorchen, und so verneigte er sich tief, warf einen reumütigen Blick in das traurige Gesicht seiner Mutter und ging.

Der König blieb stehen, wo er stand, starrte das dunkle Wandgetäfel an und versank abermals in düsteres Sinnen. Frau Sieglinde betrachtete ihren erzürnten Gemahl heimlich und sorgenvoll. Eine Weile wartete sie geduldig, aber weil das Schweigen kein Ende nehmen wollte, fasste sie sich ein Herz und fragte: „Was willst du tun, mein lieber Herr? Ich bitte dich, sei nicht allzu streng gegen Siegfried! Er ist noch sehr jung und …“ Der König fuhr herum, dass sie erschrocken verstummte. „Du sollst nicht für ihn bitten!“, sagte er finster. „Diesmal nicht mehr! Der Tollkopf muss endlich zu Verstande kommen und lernen sich zu bezähmen! Wie soll das sonst wohl gehen, wenn der wilde Bursche einmal König wird? Die vornehmsten Ritter und die besten Lehrer haben nichts ausgerichtet: Nun weiß ich nur noch ein einziges Mittel“, fuhr er grimmig fort. „Harte Arbeit ist eine gute Arznei gegen mancherlei! Ich will ihn zu Meister Mimer in die Lehre geben. Er ist ein kunstreicher Schmied und ein strenger Mann: Vielleicht werden seine rußigen Fäuste besser mit Siegfried fertig als alle höfischen Zuchtmeister.“

Also ließ der König Meister Mimer, der viele Stunden weit entfernt im Walde seine Schmiede hatte, zu sich kommen.

„Du bist ein verständiger Mann“, sprach er zu ihm, „und darum kann ich offen mit dir reden. Mein Sohn Siegfried macht seinen Lehrern viel zu schaffen, so starr und tollköpfig, wie er ist. Das taugt nicht für einen König. Ehe er befehlen kann, muss er selbst Zucht und Ordnung und ernsthafte Arbeit lernen! Darum sollst du ihn in die Lehre nehmen.“

Der Schmied betrachtete den König überlegsam, ganz und gar nicht demütig. Seine kleinen Augen blitzten schlau aus dem Gesicht, in dessen Falten überall Ruß saß, obgleich er sich gewaschen hatte, so gut er es für nötig hielt. „Ich habe schon manchen Burschen zu Verstande gebracht“, sagte er bedächtig, „und an Hammer und Amboss kann sich viel Übermut austoben.“ Der König nickte zufrieden. „Das meine ich auch. Siegfried mag gleich mit dir gehen und du sollst ihn genauso behandeln, als wäre er ein gewöhnlicher Lehrling.“ Er sandte einen Kämmerer nach seinem Sohn. Unterdessen sah er heimlich mit Verwunderung die mächtigen Schultern des Schmiedes an und seine langen Arme, an denen die Hände wie Schaufeln hingen. Da trat Siegfried ein. Er wusste schon, was sein Vater über ihn bestimmt hatte, und sein junges Gesicht schien ernsthafter als sonst. Nur ein schneller, neugieriger Blick flog hinüber zu dem berühmten Schmied, der sein Lehrmeister werden sollte. Dann verbeugte sich der Knabe ehrerbietig vor dem König und der Königin und wartete schweigend. „Nun sollst du also mit Meister Mimer gehen“, sprach König Siegmund streng und merkte dabei zum ersten Male, dass er zu seinem Sohne hinaufsehen musste. „Ja, Vater“, sagte Siegfried so schnell, dass der König aufhorchte. Ei, seit wann war sein tollköpfiger Sohn so gefügig? Fast klang es doch, als freue sich der Knabe, die reiche Burg zu Xanten mit der rußigen Schmiede zu vertauschen!

Aber darüber dachte Siegfried nicht viel nach. Es schreckte ihn auch nicht, dass er arbeiten sollte wie ein gewöhnlicher Schmiedelehrling: Denn endlich durfte er fort aus den engen Mauern, hinaus in die Welt, die so weit und schön war und voll von Abenteuern! Ach, was wussten sie alle davon, wie er sich seit langem danach gesehnt hatte!

Freilich weinte die Königin, als er von ihr Abschied nahm, und das tat ihm Leid: Denn er liebte sie und war im Grunde seines Herzens keineswegs böse. „Weine nicht, Mutter“, sagte er ernsthaft, „wenn du wieder von mir hörst, wird man dir von meinen Kämpfen und Siegen erzählen, und wenn ich einmal zurückkehre, werde ich ein berühmter Recke sein!“

Frau Sieglinde verwies ihm sein prahlerisches Reden. „Eines Tages wirst du wohl ein tapferer Ritter sein“, meinte sie. „Aber vergiss nicht, dass du auch ein guter und weiser König werden sollst!“ „Ei freilich!“, versprach er leichten Sinnes und seine Gedanken flogen schon wieder voraus in die unbekannte weite Welt.

Bald darauf wanderte er, aller höfischen Zucht entronnen, mit Meister Mimer wohlgemut dem Walde zu. Sie wanderten viele Stunden lang. Der Schmied erzählte allerlei von seinem Handwerk und Siegfried fragte ihn begierig aus, wie denn alle die Waffen verfertigt würden, die in des Königs Rüstkammer hingen und die man ihm nie zu tragen erlaubt hatte. Heimlich nahm er sich vor, sich selbst sogleich ein gutes Schwert zu schmieden, denn es wurmte ihn schon lange, dass er noch keines besaß. Es wurde Nacht und im Walde war es stockdunkel wie in einem Sack. Siegfried stolperte hinter dem Schmied drein, den er gerade noch als schwarzen Schatten sehen konnte. Der Weg war schmal.

„Gib Acht“, warnte Meister Mimer, „wir müssen nun durch einen Sumpf! Halte dich an meinem Wams fest, sonst holen dich die Irrwische, wenn du vom Weg abkommst.“

Siegfried sah die Irrwische wohl: Gespenstische, blasse Lichtlein hüpften vor ihnen hin und her, dass es einem schwindelte, wenn man hinsah. Manchmal glaubte der Knabe ein fahles Gesichtlein mit grün leuchtenden Augen zu erkennen, aber sogleich war es wieder verschwunden. Da prallte Mimer plötzlich gegen Siegfried zurück, fluchte laut und schleuderte mit seiner Stange etwas zur Seite, was ihnen im Wege war. Ein hässliches Zischen kam aus dem Sumpf und dann platschte es, als bewegte sich irgendetwas im Wasser fort. „Was war es denn?“, fragte Siegfried neugierig. „Oh“, antwortete Mimer mürrisch, „in den Tümpeln da wohnt allerhand Gewürm. Als ob wir nicht genug hätten an dem großen Lindwurm drüben im Drachenstein! Seine Brut kommt in der ganzen Gegend herum. Es sind recht possierliche Tierchen, die jungen Lindwürmer, schlank und zierlich und flink auf den Beinen. Oft wohnen sie lange Zeit in einem Sumpfloch und warten darauf, bis sie groß genug sind auf Raub auszugehen. Aber weil sie neugierig sind, müssen sie immer wieder herumlaufen und dann schlagen wir sie tot. Da bin ich eben gerade einem von ihnen auf den Rücken getreten und er hat nach meinem Fuß geschnappt.“ „Ein Lindwurm?“, wiederholte Siegfried entzückt und wäre gerne zurückgelaufen ihn zu suchen: Aber das ging freilich nicht. „Und sage mir, Meister, wo haust der alte Drache, von dem sie immer erzählen, der Vieh und Bauern raubt und den niemand töten kann?“ In seiner Aufregung zerrte er den Schmied heftig am Wams. „Willst du mich in den Sumpf werfen?“, schrie Mimer zornig. „Morgen, von der Schmiede aus, kannst du den Drachenfelsen sehen! So, nun bin ich wahrhaftig froh, dass wir wieder auf dem Trockenen sind. Siehst du den roten Schein da vorne zwischen den Bäumen? Das ist die Schmiede.“ Und er stapfte mit großen Schritten auf den Feuerschein zu.

Bald hörten sie Hammerschläge klingen. Mimers Gesellen arbeiteten abwechselnd Tag und Nacht, so viel hatte er zu tun: Denn er war weit bekannt wegen seiner Kunst. Siegfried musste sich ein wenig bücken, als sie durch die niedere Tür in die Werkstatt traten. Da glühte das Feuer in den Essen, die Schmiedegesellen hantierten mit rot angeleuchteten, verrußten Gesichtern und sahen aus wie Teufel aus der Hölle. Ein kleiner, halb nackter Bursche hockte auf der Erde und blies mit dem Balg ins Feuer. Es gab ein gespenstisches Gewinsel und Funkengarben stiegen knisternd in den Rauchfang. Dazu herrschte ein gräuliches Gelärm und Gehämmer. Siegfried erschien das alles schaurig-schön und er wäre gern gleich dageblieben. Aber der Meister schickte ihn nach hinten in die Kammer, wo schon die übrigen Gesellen schnarchten, und sagte: „Geh nur gleich schlafen, morgen soll es früh mit der Arbeit anfangen.“ Und weil er wirklich müde war, gehorchte Siegfried und stolperte in den dunklen Raum, in dem nur durch die halb offene Tür der Feuerschein drang. Nachdem er glücklich an verschiedenen Füßen vorbeigekommen war, fand er in einer Ecke ein freies Lager aus Stroh und Fellen, legte sich hin und schlief.

Er fuhr in die Höhe, als jemand ihn kräftig schüttelte. „He, willst du den ganzen Tag verschlafen?“, sagte ein rußiges Gesicht über ihm und er merkte, dass es heller Morgen war und die Sonne schon hoch am Himmel stand. Da fiel ihm erst wieder ein, wo er war. „Steh nur auf“, lachte der Berußte, „das ist mein Bett, ich habe die ganze Nacht gearbeitet, jetzt bist du an der Reihe.“

Das war nun freilich eine ungewohnte Redeweise für den Sohn eines Königs. Aber das kümmerte Siegfried wenig. Flink sprang er auf und lief hinaus in die Werkstatt. Der Meister und die Gesellen waren schon da. „Draußen ist eine Quelle, da kannst du dich waschen, wenn du willst! Aber man wird ohnehin gleich nichts mehr davon merken.“

Dennoch lief Siegfried vors Haus, weil er sich gerne schnell ein wenig umsehen wollte. Die Schmiede stand auf einer Lichtung mitten im Walde; der Boden stieg gleich hinter dem Hause zu einem Hügel an, an dessen Fuß eine Quelle entsprang. Siegfried rannte den Hügel hinauf: Er musste wissen, wie weit man von droben ins Land schauen konnte und wo der Drachenberg lag.

Da erblickte er nun weit draußen über den Bäumen ein Gewirr von Felsen, die wild und zerklüftet in den blauen Himmel starrten; eine schwarze Schlucht führte mitten hinein, man konnte nicht sehen, wie weit. Es schien Siegfried gewiss, dass dort der große Lindwurm wohnen musste, so unheimlich, wie der Berg herübersah! Er vergaß Meister Mimer und die Arbeit und seine Gedanken kreisten wie aufgeregte Vögel um den Drachenstein. Wenn er erst ein Schwert hatte, dann würde er hinwandern und den Lindwurm erschlagen! Und dann würden die Leute von weit her kommen und das tote Ungeheuer bestaunen und den Helden, der sie davon befreit hatte. Und dann … Der Knabe Siegfried kam sich unaussprechlich herrlich vor in seinen Träumen. Aber da wurde er sehr unsanft daraus geweckt. „Bist du im Stehen eingeschlafen?“, schrie Meister Mimer unwirsch und sah von drunten zu seinem Lehrling hinauf. „Vorwärts, komm herunter, bei mir heißt es arbeiten und nicht Maulaffen feilhalten!“ Da stieg Siegfried hinab und folgte dem Schmied gehorsam in die Werkstatt. Heimlich hatte ihn freilich sein Jähzorn überkommen und er hätte Meister Mimer gern im Genick gepackt und geschüttelt. Aber als er die gewaltigen Schultern ansah, schien es ihm doch nicht ganz rätlich.

„So, nun zeig einmal, ob du einen Hammer anfassen kannst“, befahl der Schmied, zog eine glühende Eisenstange aus der Esse und legte sie über den Amboss. Da lagen auf der Bank die verschiedensten Hämmer. Den größten nahm Siegfried, schwang ihn über den Kopf, wie er es bei den Gesellen sah, und schlug zu. Oh Himmel, was waren das für Schläge! Das glühende Eisen splitterte, die Funken flogen in der ganzen Werkstatt herum, dass sich Meister Mimer, der neben ihm stand, eilig in Sicherheit brachte. Der Amboss klang und dröhnte und sank bei jedem Schlag ein Stücklein weiter in den Boden. Meister Mimer betrachtete seinen neuen Lehrling mit hellem Entsetzen. „Hör auf!“, brüllte er. „Du schlägst mir ja die ganze Werkstatt kurz und klein!“ Aber Siegfried konnte einfach nicht aufhören. Es freute ihn unbändig, so draufschlagen zu können und zu spüren, wie stark er war. Aber dem Meister gefiel das ganz und gar nicht, er packte ihn kurzerhand beim Kragen und riss ihn mit einem gewaltigen Ruck vom Amboss weg. „Was glaubst du denn, he?“, schrie er. „Vernünftig arbeiten sollst du lernen, nicht dreinschlagen wie ein Tollhäusler.“

Siegfried meinte verwundert, dass der Meister mindestens ebenso stark sein musste wie er selbst, und empfand einige Achtung vor dem rußigen Mann. Da sah er, wie die Gesellen beisammenstanden, zuschauten und lachten. Das erbitterte ihn und er ging zornigen Schrittes hinüber, packte den ersten und warf ihn in die Ecke. „Ich will euch lehren, über mich zu lachen“, sprach er. Aber sie lachten beileibe nicht mehr. Da ließ er sie in Ruhe und begann wieder zu arbeiten. Und weil er sich Mühe gab, stark und geschickt war, lernte er bald allerlei. Das Handwerk freute ihn und Meister Mimer dachte schon befriedigt bei sich, dass er ja seinen hochgeborenen Lehrling sehr schnell zu Verstande gebracht habe. Aber am gleichen Tag schlug Siegfried einen Gesellen windelweich, der gesagt hatte, aus ihm würde sein Lebtag weder ein Schmied noch ein König. Solche Raufhändel gab es immer öfter, je länger Siegfried in der Schmiede war, und das Gesicht des Meisters wurde allmählich bedenklich; denn die Gesellen murrten, weil ihnen dieser fürchterliche Lehrling in seinem Übermut allerlei Schabernack antat und weil sie ja den Sohn des Königs doch nicht gut verprügeln konnten.

Siegfried aber begann nun auch das Leben in der Schmiede wieder zu langweilen und er sehnte sich fort. Immer lag er Meister Mimer in den Ohren, doch nun endlich für sich selbst ein gutes Schwert schmieden zu dürfen. Mit dem Schwerte gedachte er dann fortzuziehen in die weite Welt.

Oft kamen Ritter in die Werkstatt und er sah mit heimlichem Neid, wie sie die herrlichen Rüstungen und die besten Waffen auswählten, Helme mit seltsamen Tierfiguren und Schilde mit schönen Wappen trugen und wie sie stolz und glänzend davonritten. Da war er dann immer den ganzen Tag übler Laune und verdarb in seinem Zorne manche Arbeit. Manchmal meinte er wohl, er sollte wieder heimkehren nach Xanten und ruhig nach höfischer Sitte leben und warten, bis er alt genug wäre, zum Ritter geschlagen zu werden. Aber er wusste, dass er es daheim nicht aushalten würde. Dem Meister Mimer gingen eines Tages seine zwei besten Gesellen auf und davon, weil sie neben Siegfried nicht mehr arbeiten mochten. Das ärgerte den Schmied nun freilich gewaltig und er begann den ungeratenen Lehrling weit fort zu wünschen. Aber was tun? Man konnte den Sohn des Königs nicht einfach aus dem Hause jagen wie irgendeinen anderen Taugenichts. Wie er so hin und her überlegte, kam ihm ein guter Gedanke. Er ging zu Siegfried, sah ihm eine Weile bei der Arbeit zu und fing dabei an zu erzählen, dass der Lindwurm im Drachenstein immer ärger in der Gegend wüte und alles in Furcht und Schrecken versetze. „Es ist ein Elend“, sprach er und zog das Gesicht in kummervolle Falten, „dass niemand im Lande ist, der dem gräulichen Drachen den Garaus macht. Die Bauern ziehen aus der Gegend fort, weil sie ihres Lebens nicht mehr sicher sind. Das fruchtbare Land um den Drachenberg verödet, dass es jammerschade ist.“

Siegfried hörte begierig zu und seine Augen glänzten. „Oh, hätte ich nur ein gutes Schwert“, sagte er sehnsüchtig, „ich wollte mit dem Ungetüm schon fertig werden!“ Mimer lachte laut. „Du? Ich sage dir, das haben schon ganz andere Leute als du gemeint! Sie sind zum Drachenberg geritten und nicht wiedergekommen. Rüstung und Schwert könntest du wohl von mir bekommen, aber den Drachen schlage dir ruhig aus dem Kopfe, so ein junger Bursche, wie du bist!“ Und er tat, als wollte er fortgehen. Aber nun ließ sich Siegfried nicht mehr abschütteln. „Meister“, bat er, „lass mich endlich ein Schwert schmieden! Du hast es mir schon lange versprochen.“

Der Schmied überlegte schnell. Wenn er dem Burschen Schwert und Rüstung gab, so war er sicher, dass der Tollkopf schnurstracks nach dem Drachenberge rennen würde! Und wer weiß – dieser Königssohn war stark wie ein Bär, behänd wie eine Wildkatze und Furcht schien er nicht zu kennen –, vielleicht gelang es ihm wirklich, das Ungeheuer zu erlegen! Dann wäre das Land vom Drachen befreit und er, Meister Mimer, von seinem fürchterlichen Lehrling: Denn der Held, der den Lindwurm erschlagen hatte, würde niemals wieder in seine Werkstatt zurückkehren!

Je länger Meister Mimer darüber nachdachte, desto besser gefiel ihm sein Plan.

„Gut“, sagte er, „du hast nun gerade ein Jahr bei mir gearbeitet. Ich will dir also eine Rüstung geben und du kannst dir selbst ein gutes Schwert schmieden. Fange nur gleich damit an!“

Das ließ sich Siegfried ja nicht zweimal sagen und das Herz hüpfte ihm vor Freude. Der Meister tat sogar ein Übriges und suchte ihm ein besonders gutes Stück Eisen aus. Heimlich hatte er doch ein böses Gewissen, weil er den unverständigen Burschen so in das gefährliche Abenteuer laufen ließ: Denn vom Drachenstein war wirklich noch keiner zurückgekommen. Siegfried aber begann sogleich mit großem Fleiß sein Schwert zu schmieden und Meister Mimer half ihm selbst dabei. Und als es fertig war, meinte er, ein so gutes Schwert sei noch nie aus seiner Schmiede gekommen. Darauf wählten sie eine Rüstung aus, und als Siegfried sie angelegt hatte, war aus dem Schmiedelehrling ein stolzer Recke geworden.

Ungeduldig wartete er, bis es Abend wurde. Dann nahm er Schwert und Rüstung mit sich in die Kammer und legte sie in die Ecke neben dem kleinen Pförtlein, das ins Freie führte, denn er hatte beschlossen, noch in dieser Nacht fortzugehen.

Eine Weile lag er wach auf seinem Bett und horchte aufmerksam, ob die anderen Gesellen schon schliefen. Endlich erhob er sich leise, nahm seine Sachen und schlüpfte durch das Pförtlein hinaus. Keiner der Schläfer rührte sich: Wer schwer arbeitet, schläft gut. Aus der Werkstatt drang das Gelärm der Hämmer und der Rauchfang sprühte Funken. Lebe wohl, Meister Mimer, mir ist die Schmiede zu eng geworden!

Mit langen Schritten ging Siegfried über die Lichtung. Im Gebüsch legte er die Rüstung an, band den Helm auf, nahm Schwert und Schild und wanderte fort durch den Wald. Der Mond schien zwischen den Bäumen durch, spiegelte sein rundes Gesicht in dem blitzenden Schild und ließ den Harnisch funkeln wie lauter Silber. Er wusste nicht, wie lange er so gegangen war, da sah er, dass der Himmel über den Bäumen hell wurde. Bald darauf lichtete sich auch der Wald und er kam ins freie Land hinaus. Es war noch sehr früh am Morgen, die ersten Vögel zwitscherten verschlafen, in der Ebene lagen ein paar Gehöfte wie ausgestorben, der Wind lief über Felder, auf denen niemand das Korn geschnitten hatte, obwohl die Erntezeit vorüber war. In der Ferne ragten die Berge in den Himmel und vor ihnen erhob sich schwarz der Drachenstein mit seinen wilden Zacken und Klüften. In diesem Augenblick ging die Sonne auf. Siegfried blickte nach dem Felsen hinüber, seine Augen brannten vor Kampfgier. Ehe die Sonne heute unterging, würde das Ungeheuer, das da drüben hauste, tot sein! Da sah er plötzlich, dass ihm auf dem Wege, den er unwillkürlich eingeschlagen hatte, ein Ochsenkarren entgegenkam. Eine Frau saß darauf und zwei Kinder, allerlei Hausrat war aufgehäuft und nebenher ging ein Mann im Bauernkittel. Hinter dem Wagen aber trabte ein gesatteltes Pferd ohne Reiter. Der Bauer hielt sein Gefährt an und grüßte bescheiden. Er sah so bekümmert aus, dass ihn Siegfried fragte, was ihn denn so bedrücke. „Ach, edler Herr“, sagte der Mann, „siehst du den Hof da drüben? Er gehört mir. Aber ich muss fort mit allem, was mir noch geblieben ist, denn der Drache lässt uns nicht mehr leben. Er holt mir das Vieh von der Weide, er wälzt sich in den Feldern und verwüstet die ganze Ernte und wir selber dürfen uns kaum mehr aus dem Hause wagen, denn er hat schon den Sohn meines Nachbarn und einen Knecht weggeschleppt. Darum will ich mit Weib und Kindern fort, wie die Leute in den anderen Höfen auch. Aber du“ – er brach ab und sah Siegfried erschrocken an –, „wo willst du hin, edler Herr? Dieser Weg führt dich gerade zum Drachenstein. Geh nicht weiter – denn siehst du, erst gestern ist ein Ritter gekommen auf diesem Pferd da, er ist zum Drachenstein geritten, obwohl wir ihn gewarnt haben. Am Abend ist dann das Pferd allein in unseren Hof gerannt wie toll. Den Ritter haben wir nicht wieder gesehen – und alle die anderen, die es vor ihm schon versucht haben, auch nicht. Niemand kann das Ungeheuer besiegen.“

Siegfried tat der Bauer von Herzen Leid, weil er so von Haus und Hof fortmusste. „Hör zu!“, sprach er. „Du brauchst nicht weit zu fahren: Denn heute Abend kannst du wieder zurückkehren. Dann wird der Drache tot sein“ – er brach plötzlich ab und starrte einen Augenblick stumm zu Boden – „oder ich“, fügte er ernst hinzu. Der Bauer hob entsetzt die Hände auf. „Tue es nicht, Herr!“

Siegfried schüttelte den Kopf. Die alte Kampfbegier überkam ihn wieder und ein grimmiger Zorn gegen das unbekannte Scheusal. „Ihr sollt wieder in Frieden auf euren Höfen leben, das verspreche ich dir“, sagte er. „Ich werde mich schon meiner Haut zu wehren wissen! Und nun gehab dich wohl!“

Als der Bauer sah, dass er den jungen Ritter nicht von seinem Vorsatz abbringen konnte, sagte er endlich: „Herr, willst du nicht wenigstens das Pferd nehmen? Es ist noch weit und du wirst sonst müde vom Weg.“ Das nahm Siegfried freilich dankbar an, stieg auf und ritt weiter nach dem Drachenberg.

Er kam an verödeten Gehöften vorbei, da und dort bleichten ein paar Tierknochen in der Sonne, die Felder waren zerstampft und die Erde aufgewühlt. Spuren wie von riesigen Tatzen liefen zur Schlucht im Drachenstein hinauf, tief in die Erde eingedrückt. Das Pferd begann plötzlich unruhig zu werden. Es schnaubte und zitterte, prallte zurück, ging wieder zögernd einen Schritt vor, fing mit weit geöffneten Nüstern die furchtbare Witterung auf, die ihm entgegenkam, und versuchte zu flüchten. Da sprang Siegfried ab, band es ein wenig seitwärts an einen Baum und ging auf den Felsen zu.

Langsam, Schritt für Schritt, näherte er sich dem Eingang der Schlucht. Zu beiden Seiten ragten die Wände senkrecht auf, schwarz und glänzend vor Nässe. Der Boden war feucht und Modergeruch stieg davon auf. Es gedieh keine Blume und kein Baum an diesem schrecklichen Platz.

Nur droben am Rande der Schlucht, wo ein wenig Erde und Rasen die Felsen bedeckte, wuchs eine junge Linde. Manchmal fuhr der Wind durch ihre kleine Krone, dann flüsterten die Blätter leise und eins oder das andere fiel zu Boden. Denn der Sommer ging zu Ende. Die Spuren der riesigen Tatzen waren überall eingedrückt und ein sonderbarer Geruch lag in der Luft, der einem fast den Atem nahm.

In diesem Augenblick hörte Siegfried ein Geräusch. Es war ein Schleifen und Scharren, als reibe sich etwas am Gestein. Die Schlucht war sehr eng geworden und bog sich jetzt um einen Felsvorsprung, sodass Siegfried nicht weiter sehen konnte. Mit großer Vorsicht spähte er um die Felskante: Und was er da sah, ließ ihm das Blut in den Adern erstarren. Da lag das scheußlichste Ungetüm, das je die Hölle ausgespien haben mochte, und rieb unaufhörlich seinen Kopf am Felsen. Und – oh Gott, was war das für ein fürchterlicher Kopf! Riesig, grau und unförmig wie ein Steinklotz, aber grässlich lebendig! Ein Rachen wie von einer ungeheuren Eidechse, von einem mörderischen Gebiss starrend. Aus den weit offenen feuerroten Nasenlöchern wölkte der Atem wie Dampf. Vom Halse abwärts über den Rücken lief ein stacheliger Kamm, und der ganze gewaltige Drachenleib war mit grauen Schuppen bedeckt. Und da lag dieses Untier, kratzte sich am Gestein und stieß dazu behaglich grunzende Laute aus. Aber noch etwas sah Siegfried: Es war ein ziemlich großer runder Felsenkessel, der die Schlucht abschloss, und auf dem schwarzen Boden lagen überall zerbeulte Harnische, seltsam verbogene Schilde, Helme, die wie zerbissen aussahen, da und dort ein Knochen …, aber es waren keine Tierknochen, dachte er mit Grausen. Er spürte, wie es ihm sonderbar im Kopfe wurde. „Das kommt von der giftigen Ausdünstung des Drachen, ich muss ein wenig zurückgehen, wo die Luft frischer ist“, überlegte er. Aber er hatte keine Zeit mehr dazu, denn in diesem Augenblick sah ihn der Drache. Der scheußliche Kopf erstarrte und die Augen, diese fürchterlichen steingrauen, toten Augen richteten sich auf ihn mit einem Blick voll so höllischer Bösartigkeit, dass ihm das Mark in den Knochen gefror. Ganz langsam schob sich der Kopf jetzt vor, in den zusammengerollten Riesenleib kam Bewegung, die Vordertatzen streckten sich heraus, entsetzliche Krallen gruben sich in die Erde … So kroch das Scheusal auf ihn zu, ohne ihn aus den Augen zu lassen, langsam, als wäre es seiner Beute sicher. Siegfried sah es herankommen, aber er vermochte kein Glied zu rühren. Wie eine Lähmung hatte es ihn überfallen, die von diesen entsetzlichen Augen ausging. Nun war der Schädel mit den dampfenden Nüstern nur mehr wenige Schritte vor ihm. Der ganze Leib war jetzt ausgestreckt, eine graue Walze, die wohl fünf Männerlängen haben mochte und so dick war wie eine hundertjährige Eiche. Der Schwanz peitschte den Boden, als freute sich das Scheusal, seinem Opfer nun gleich mühelos den Garaus zu machen.

Da fühlte Siegfried, wie ihn eine furchtbare Wut packte. Mit einer verzweifelten Anstrengung gelang es ihm, den Schild vor das Gesicht zu reißen, und im gleichen Augenblick wich die Lähmung von ihm. Im Nu flog das Schwert heraus, ein Sprung nach vorn – und nun begann ein solcher Höllentanz, dass ihm Hören und Sehen verging. Er wusste nicht mehr, was er tat, er sprang vor, er sprang zurück, er schlug und schlug, wohin er traf, mit rasender Schnelligkeit. Rings um ihn wand und krümmte sich der Drachenleib, der heiße, stinkende Atem erstickte ihn fast, der Rachen klappte weit auf vor seinem Gesicht; er hieb drauflos, immerfort, immer wieder – der Schädel musste aus Stein sein! Eine Tatze langte nach ihm, ein Schlag – die Tatze hing losgetrennt kraftlos herab – hab Dank, Meister Mimer, es ist doch ein gutes Schwert! – Aber nun umschlang ihn der Schwanz, presste ihm die Beine zusammen – nur jetzt nicht niederstürzen, sonst ist es aus! Dreimal, viermal schlug er mit verzweifelter Kraft zu, dann war er frei von der furchtbaren Umklammerung, da lag der Schwanz und zuckte noch ein wenig. Aber nun hatte der Drache den Schild mit den Zähnen gepackt, der Verlust seines Schwanzes schien ihn gar nicht zu stören. Siegfried meinte, der Arm würde ihm vom Leibe gerissen, aber den Schild durfte er nicht loslassen! Wieder fielen die Schläge hageldicht auf das mörderische Maul, zwischen die heimtückischen, steinernen Augen. Plötzlich ließ der Drache los, gerade noch früh genug, denn Siegfried fühlte, wie seine Arme zu erlahmen begannen. Was kam nun? Ein wenig wich das Ungetüm zurück, er konnte ein paar tiefe Atemzüge tun – aber im nächsten Augenblick richtete sich der Drache auf den Hinterbeinen zu einer furchtbaren Höhe auf, sein Rachen öffnete sich zu einem gähnenden, feuerroten Schlund, hing einen Augenblick hoch über Siegfried – dann stürzte er auf ihn herab. Siegfried riss den Schild über den Kopf, er hatte in diesem einen Augenblick gesehen, dass die Haut unten am Halse des Drachen weich und schlaff und ohne Schuppen war. Dahin richtete er blitzschnell die Spitze seines Schwertes: Es war das Einzige, was er noch tun konnte. Er spürte, wie die Klinge tief eindrang, etwas strömte über seine Hand, an der der Handschuh schon lange zerrissen war. Ein grässliches Röcheln und Gurgeln drang noch wie aus weiter Ferne an seine Ohren, dann sank schwer und leblos der Leib des Drachen über ihm zusammen. Siegfried hatte keine Kraft mehr, zur Seite zu springen: Vor seinen Augen wurde es dunkel. Er fühlte, wie ihm die Sinne schwinden wollten, und er wehrte sich verzweifelt dagegen. Ich darf nicht hier liegen bleiben, dachte er, hier kann ich nicht atmen! Ich muss nur wieder Luft haben, dann ist alles gut. Mühsam wälzte er den zuckenden Kopf des Ungeheuers von sich weg. Das Schwert steckte bis an den Griff weit drunten im Halse und die Spitze musste dem Lindwurm gerade ins Herz gedrungen sein. Noch immer quoll dick und farblos dieses sonderbare Blut heraus, das ganz anders war als das Blut ehrlicher Tiere. Mochte das Schwert stecken bleiben und das Blut weiterfließen, Siegfried kümmerte nichts mehr: Er musste nur fort und wieder kühle, reine Luft atmen. Sterbensmüde wankte er aus der Schlucht. Halb blind vor Erschöpfung, stolperte er draußen auf den Baum zu, wo er sein Pferd angebunden hatte, und warf sich ins Gras. Das Pferd wieherte leise und schnaubte ihm ins Gesicht: Es schien froh zu sein, dass sein neuer Herr zu ihm zurückgekehrt war.

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Aber der Harnisch drückte, als ob der ganze Körper zerschlagen wäre, und so zog ihn Siegfried aus, das Hemd klebte nass am Leibe, da legte er es auch ab. So lag er eine Weile da und atmete in tiefen Zügen. Bald fühlte er, wie seine Kräfte wiederkehrten und die Freude darüber, dass er nun wirklich den Drachen getötet hatte. Er beschloss, gleich noch einmal in die Schlucht zurückzugehen, Schwert und Schild zu holen und das tote Ungeheuer zu betrachten. Als er aufstand, fiel ihm an seiner rechten Hand etwas Sonderbares auf: Es schien ihm, als hätte sie an manchen Stellen so etwas wie eine zweite Haut, die sich nicht wegkratzen und nicht ritzen ließ und so fest saß, als wäre sie angewachsen. Während er sie noch verwundert anstarrte, fiel ihm ein, dass ihm da das Blut des Drachen darüber geflossen war. Er stieß einen leisen Ruf aus. Ei, hatte er nicht immer gehört, dass Drachenblut unverwundbar mache? Schnellen Schrittes ging er wieder in die Schlucht hinauf. Schlaff und zusammengesunken lag der riesige Schuppenleib und die Zunge hing ihm schwarz aus dem Rachen. Das Blut hatte aufgehört zu rinnen, aber in einer Vertiefung an der Seite war ein kleiner See davon zusammengeflossen. Da zog sich Siegfried eilig vollends aus und badete den ganzen Körper im Drachenblute. Das ist gut im Kampfe, dachte er fröhlich und fühlte, wie sich die neue Haut fest und geschmeidig um ihn legte. Ein kühler Luftzug strich über die Schlucht hin und droben in der Krone der kleinen Linde löste sich ein Blatt. Langsam taumelte es herab und fiel auf Siegfrieds Rücken. Da legte es sich unbemerkt auf die Haut, gerade unter der Schulter. So blieb diese kleine Stelle ungeschützt.

Er zog das Schwert aus dem Halse des toten Untieres, legte Gewand und Rüstung an und kehrte zum Pferd zurück. Ehe er fortritt, blickte er von dem Hügel aus noch eine Weile über das Land. Er sah die Gehöfte, die Wiesen und Äcker, wie sie friedlich in der Sonne lagen, und eine große Freude überkam ihn. Nun können die Bauern wieder ruhig heimkehren, dachte er und es erschien ihm zum ersten Mal im Leben schön, anderen Menschen geholfen zu haben. Nachdenklich ließ er sein Pferd gehen, wie es wollte: Etwas war anders mit ihm geworden, fühlte er, aber er hätte nicht sagen können, was es war.

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Die Ereignisse aus Siegfrieds Jugend, die im mittelhochdeutschen Epos erst im Verlauf der Handlung erwähnt werden, sind hier der chronologischen Reihenfolge wegen vorangestellt; der Inhalt des Nibelungenliedes beginnt mit dem 3. Kapitel.

II.

Als Meister Mimer in der Frühe entdeckt hatte, dass sein Lehrling verschwunden war, nickte er grimmig. Es war also genau so gekommen, wie er es vorausgesehen hatte! Nun – er wusch seine Hände in Unschuld, früher oder später hätte der wilde Bursche doch bei irgendeinem tollen Abenteuer sein Ende gefunden. So tröstete sich Meister Mimer und sandte pflichtschuldig einen Knecht zu König Siegmund, um ihm zu melden, dass sein Sohn heimlich auf und davon gegangen sei. Er ließ auch sagen, dass er fürchte, Siegfried wollte zum Drachenstein, da er oft geprahlt habe, er werde einmal den Drachen töten.

Da war der Schrecken groß in der Burg zu Xanten. Die Königin weinte um ihren wilden Sohn, denn sie meinte, er wäre gewiss zu dieser Stunde schon tot. Der König aber befahl sogleich seinen tapfersten Rittern und besten Knechten sich zu rüsten. „Ich will selbst nach dem Drachenstein reiten“, sprach er. „Und wenn Siegfried tot ist, werden wir ihn rächen. Wer aber nicht mitreiten will, der mag ruhig daheim bleiben. Denn keiner von uns weiß, ob er wiederkommt.“

Aber niemand mochte zurückbleiben. So ritten sie bald durch das Burgtor hinaus, ein kleines, schweigsames, entschlossenes Häuflein, und schlugen den Weg nach Süden ein.

Sie waren noch nicht weit geritten, da kam ihnen ein einzelner Recke entgegen. Er schien jung und schlank, wie er so geschmeidig zu Pferde saß. „Wir wollen diesen Ritter fragen“, sprach Siegmund, „vielleicht weiß er etwas von Siegfried, da er aus der Gegend kommt.“

Der fremde Recke hielt plötzlich an. Er sprang ab und nahm sein Pferd am Zügel. So ging er dem König entgegen. Dieser betrachtete ihn zuerst verwundert, dann wurde sein Blick starr. Sein Pferd bekam die Sporen eingedrückt, dass es mit einem erschrockenen Satz vorwärts schoss. Im nächsten Augenblick hielten sie voreinander. Der junge Ritter verneigte sich tief. „Vater, ich wollte heimreiten nach Xanten, wenn du es mir erlaubst“, sagte er höflich und sah ein wenig unsicher zu Siegmund hinauf.

Der König vermochte nicht sofort zu sprechen, er fuhr sich mit der Hand über die Stirn, als wüsste er nicht, ob er wache oder träume.

„Siegfried“, sagte er dann und seine Stimme klang heiser, „Siegfried, bist du wirklich zurückgekommen?“ „Ja, Vater“, sagte Siegfried verwundert. Er verstand nicht, was den König so erschütterte. Allmählich schien Siegmund zu sich zu kommen, als die Ritter seinen Sohn mit lauten freudigen Zurufen begrüßten. Als wäre eine schwere Last von ihm genommen, richtete er sich im Sattel auf und die Freude überzog sein Gesicht mit jäher Helligkeit. Er wandte sein Pferd. „Steig auf, wir wollen so schnell wie möglich wieder in Xanten sein! Deine Mutter ist in großer Sorge um dich: Denn Meister Mimer hat uns die Botschaft geschickt, du wärest nach dem Drachenstein gegangen.“ Siegfried sprang in den Sattel und lenkte das Pferd neben seinen Vater. „Dort komme ich her.“

Herr Siegmund sah aus, als habe er ihn nicht verstanden. „Wo kommst du her?“

„Vom Drachenstein, Vater. Und ich habe den Lindwurm erschlagen.“

Der König riss seinem Pferd den Zaum ins Maul, dass es hoch aufstieg.