ANDREW J. OFFUTT

 

Valeron, der Barbar

 

 

 

 

Roman

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

Der Autor 

 

VALERON, DER BARBAR 

1. Kaiser und Minister 

2. Minister und Barbar 

3. Barbar und Verlies 

4. Verlies und Prinzessin 

5. Dolch und Schwert 

6. Schwert und Zahn 

7. Wissenschaft und Aberglaube 

8. Barbar und Sklavin 

9. Garten und Boudoir 

10. Kaiserin und Kriegslord 

11. Schwert und Raumschiff 

12. Sklavin und Älterer 

13. Pferd und Automobil 

14. König und Barbar 

15. Barbar und König 

16. Zepter und Schwerter 

17. Schwerter und Könige 

18. Wisensa und - Wissenschaft 

19. Krieger und Kriegerin 

20. Kaiserin und Könige - und Barbar 

 

Das Buch

 

 

Sie leben auf künstlich geschaffenen Planeten, die eine Hauptwelt umkreisen, fliegen mit Raumschiffen, deren Steuerung sie nicht begreifen, sind Nutznießer von Energien, deren Quelle sie nicht kennen. Kurzum: Sie zehren noch immer von den technischen Errungenschaften und dem Wissen der »Alten«, ihren fernen Vorfahren.

Dieses Wissen ging im »Großen Grimm« verloren, als man die Wissenschaftler und Techniker erschlug. Die Bewohner des künstlichen Weltenverbunds fielen auf ein vortechnisches Niveau zurück. Sie kämpfen mit Speer und Schwert und leben in den unverstandenen, teilweise noch funktionierenden Anlagen der »Alten«. Und sie wissen eins: Droht die Einheit der Welten zu zerbrechen, werden sie vollends im Chaos versinken.

Valeron, der Kriegsherr des rückständigsten Planeten, ist mit seinen Raumschiffen und seiner Horde unterwegs zur Zentralwelt, um dem Kaiser zu huldigen. Er muss bei seiner Ankunft jedoch feststellen, dass man ihm, dem Barbaren, dem dummen Hinterwäldler, eine Falle gestellt hat. Und er sieht bald ein, dass seine ungeheuren Muskelkräfte allein nicht ausreichen werden, um das fein gesponnene Netz der Intrigen zu zerreißen...

 

Valeron, der Barbar, erstmals im Jahr 1977 erschienen, ist ein einzigartiger Hybrid aus Heroic Fantasy und geradezu archaischer Science Fiction - eine Hommage an Robert E. Howard, Lin Carter und Space Operas à la Flash Gordon gleichermaßen.

Der Apex-Verlag veröffentlicht diesen Klassiker der Fantasy/der Science Fantasy als durchgesehene Neu-Ausgabe in der deutschen Übersetzung von Lore Straßl (* 31. August 1930; † 3. Juni 2003).

  Der Autor

 

Andrew J. Offutt (* 16. August 1934, † 30. April 2013)

 

Andrew Jefferson Offutt war ein US-amerikanischer Autor von Fantasy- und Science-Fiction-Literatur. Er veröffentlichte seine Werke teilweise unter Variationen seines bürgerlichen Namens, vornehmlich als Andrew J. Offutt, teilweise unter den Pseudonymen John Cleve, Jeff Douglas oder J. X. Williams. Gelegentlich ist sein Name auch vollständig in Kleinbuchstaben als andrew j. offutt geschrieben. 

Offutt wuchs in einer Blockhütte in der Kleinstadt Taylorsville im Spencer County auf. Später siedelte er nach Louisville um und studierte mittels eines Stipendiums der Ford Foundation an der dortigen Universität. 1955 wurde ihm der Bachelor of Arts im Fach Englisch verliehen. 

Während seiner Arbeit in Lexington lernte er Jodie McCabe kennen, die er 1957 heiratete. Das Ehepaar Offutt war über fünfzig Jahre verheiratet und lebte im Rowan County im US-Bundesstaat Kentucky. Sie hatten vier Kinder, der älteste Sohn, Chris Offutt, ist heute ebenfalls als Schriftsteller und Drehbuch-Autor (True Blood, Weeds) bekannt. 

Andrew J. Offutts erste Publikation war die Kurzgeschichte And Gone Tomorrow, die 1954 in der US-amerikanischen Science-Fiction-Zeitschrift If veröffentlicht wurde. Nach dem Verkauf der Kurzgeschichte Blacksword (1959) an das Magazin Galaxy konzentrierte er sich zunehmend auf die Schriftstellerei. Mit Evil Is Live Spelled Backwards erschien 1970 sein erster Roman. 

Für den Romanzyklus Thieve's World (deutscher Titel: Diebeswelt) von Robert Lynn Asprin und Lynn Abbey schuf er die Figur Hanse und beschrieb sie zwischen 1987 und 1993 in drei Romanen: Shadowspawn (1987), Deathknight (1990) und The Shadow Of Sorcery (1993). 

Überdies verfasste er drei Romane über Conan sowie sechs Romane über Cormac MacArt, beides Figuren des Schriftstellers Robert E. Howard. 

Zwischen 1976 und 1978 war Offutt Präsident der Science Fiction and Fantasy Writers of America. Ende der 1970er Jahre gab er unter dem Titel Swords Against Darkness fünf Anthologien mit Kurzgeschichten weniger bekannter Autoren heraus. 

Unter bis zu zwölf verschiedenen Pseudonymen schrieb Offutt eine Vielzahl erotischer Romane, darunter die von 1982 bis 1984 entstandene Spaceways-Reihe, die unter dem Autorenpseudonym John Cleve publiziert wurde. 

VALERON, DER BARBAR

 

 

 

 

  1. Kaiser und Minister

 

 

 

»Dann ist Branarius endlich unter einem Herrscher vereint!«

»Ja, Sire. Er schlug den Haupttrupp der Sungoli und jagte den Rest in die Berge zurück. Rales car Shungol forderte er zum Zweikampf und tötete ihn. Jetzt haben die Sungoli versprochen, Frieden zu halten, und leisteten, wenn auch widerwillig, dem Mann, der unter ihnen aufwuchs, den Treueeid. Und sie achten ihn.«

Der Kaiser der Sechs Welten von Carmeis grinste auf sehr nicht-kaiserliche Weise. »Ich wusste, dass er es schaffen würde! Und ohne jemanden um Hilfe zu bitten.«

»Ja, Sire, ohne fremde Hilfe.« Der Ältere Saldon fügte hinzu: »Jetzt wird Valeron als Kriegslord von ganz Branarius anerkannt. Und er schuldet keiner anderen Welt auch nur das geringste.« Stolz sprach aus dem alten Branarier.

»Ah, Kriegslord lässt er sich nennen? Ein barbarischer Titel!« Der Kaiser strich über seinen buschigen grauen Bart und deutete mit einem Finger auf den Älteren. »Aber wir alle stehen in seiner Schuld, Saldon. Ich kann nur hoffen, dass die Sungoli auch weiterhin Valeron zumindest ein wenig Schwierigkeiten machen, denn sonst werde ich sie mit ihm haben und es könnte leicht soweit kommen, dass ich ihm über den Schildrand gegenüberstehe - oder vielleicht sogar Euch, Saldon, mit Euren Barbaren, in einer gewaltigen Schlacht.« Bei der Betonung des Wortes »Barbaren« wurde das Grinsen des Kaisers noch breiter.

Der Ältere von dem Planeten, auf dem lange schon Unruhe herrschte und den man die Barbarenwelt nannte, neigte den Kopf mit dem dünnen weißen Haar, durch das viel der rosigen Haut schimmerte.

»Valeron ist ein Kämpfer. Das Herz eines Kriegers schlägt in ihm«, sagte Kaiser Velquen mit dem respektvollen Ton des Mannes, der selbst einst das Waffenspiel geliebt hatte. »Seinesgleichen gibt es in unserer Zeit nur noch wenige. Nehmt diesen jungen Jallad von Nyor, um nur einen zu nennen - er verbringt mehr Zeit mit seinen Älteren als auf dem Thron, und überhaupt keine, wie ich hörte, mit Waffenübungen. Noch nicht einmal im Feld stand er je.« Er schüttelte das mächtige Haupt, das unter der sechszackigen Plastkrone schon die ersten kahlen Stellen zeigte. »Seit die Sechs Welten im Reich vereint sind, sind die Pflichten des Kaisers für einen alten Mann, der einst Schwert und Streitaxt schwang, nicht das, was er sich ersehnte.«

Velquen, Kaiser über sechs Planeten, lehnte sich in seinem Thron zurück. Leicht blinzelnd blickte er durch die lange Reihe marmorner Karyatiden zur schweren messingbeschlagenen Flügeltür des Thronsaals und durch sie hindurch, denn seine Gedanken waren anderswo.

Ohne Saldon von Branarius anzusehen murmelte er: »Die Götter wissen, wie oft ich mich nach einem Schwert sehnte - an Stelle von dem hier.« Er hob das Zepter und betrachtete es finster. »Und diesen.« Er zupfte missmutig an den wallenden Roben in Meerschaumgrün, der Farbe des Herrscherhauses. »Den Göttern sei gedankt für Männer wie Darcus Cannu, die statt eines unruhigen Schwertarms über einen scharfen Verstand und Geduld verfügen.«

Die lächelnden Blicke von Kaiser und Premierminister trafen sich in gegenseitigem Einverständnis.

Darcus Cannu war klein, im Gegensatz zu dem großen, kräftigen Velquen, sein Gesicht glatt, nicht bärtig wie das des Kaisers, seine Augen, vom Braun alten Leders, unterschieden sich stark von den aschgrauen seines Monarchen. Fünfzehn Zentimeter kleiner als sein Lehnsherr war Darcus Cannu, und er hatte auch noch mehr Haar als dieser - es hing in braunen Fransen über die Stirn. Auffallend an ihm waren die langen, nie ruhigen Finger, die nicht nur seine Nervosität, sondern auch seinen stets regen Verstand verrieten.

»Ich kann es mir nicht abgewöhnen! Jetzt rede ich schon wieder wie ein alter Mann. Als ob nicht die Stirnglatze und der graue Bart Beweis genug wären! Seht Euch diese Hände an, Saldon car Bredon! Wir alle sind alt!«

Der Kaiser hob die Hände. Die Haut glich zerknittertem Pergament mit braunen Flecken, die Adern hoben sich bläulich darunter ab. Unter der Last der Krone und der Jahre welkte mit ihnen sein Mannestum dahin. Stirnrunzelnd ließ er sie auf den Schoß sinken, als gefiele ihm gar nicht, was er sah, als verarge er der Zeit den Tribut, den sie sich nahm.

»Wie sehen seine Pläne aus, Saldon? Die Pläne des jungen Kriegers, der nun keinen mehr zu bekämpfen hat?«

Der Ältere Sardon zuckte die Achseln. »Sein erster Schritt, Sire, war Euch seiner - unserer unerschütterlichen Treue zu versichern.« Er deutete mit einem Kopfnicken auf die Schriftrolle auf Velquens Schoß. »Deshalb bin ich hier. Er beabsichtigt, ein größeres Branarius aufzubauen - nein, ein neues, eine siebte Welt, die sich aus der bisherigen Barbarenwelt erhebt.« Saldons Lächeln überzog sein Gesicht mit Hunderten von Runzeln. »Als Feldzeichen erwählte er einen uralten Vogel der Mutterwelt: den Phönix.«

Velquen schaute Darcus Cannu fragend an. »Was, in Kroys Namen, ist ein Phönix?«

»Ein legendärer Vogel, Sire, der sich im Feuer verjüngt aus der Asche erhob.«

Der Kaiser nickte. »Poetisch und passend. Ich wette, Valeron hat auch erst durch Saldon von ihm gehört. Bestreitet es nicht, alter Schlaukopf - und sagt ihm, mir gefällt die poetische Ader. Viel zu lange war Branarius als Barbarenwelt bekannt gewesen.« Als er sich wieder seinem Premierminister zuwandte, wirkte sein Lächeln verschmitzt. »Das wird uns teuer zu stehen körnen, Darcus. Es kostet, Standarte und Wappen zu wechseln, und es muss noch dazu schnell gehen, schließlich muss die siebte Welt angemessen vertreten sein. Dann brauchen wir einen siebten Thron in der Ratshalle der Könige.«

»Eine notwendige Ausgabe«, sagte Darcus Cannu mit seiner sanften Stimme. »Die Steuern von der neuen Mitgliedswelt werden sie bald wieder hereinbringen.«

Saldon drehte sich scharf zu dem Minister herum, doch Velquen schüttelte den Kopf und sprach als erster: »Steuern von einer Nation, die in ihren Kinderschuhen steckt? Von einem Volk, das gerade erst ein Ende der ständigen Ausbeutung durch die Sungoli gefunden hat? Nein, nein, ich fürchte, wir müssen noch eine Weile auf Steuern von Branarius warten, Darcus, eine sehr lange Weile. Ich möchte wetten, dass Valeron noch nicht einmal einen Thron hat.« Er warf Saldon einen fragenden Blick zu.

»Sire, er hat den schwarzen Thron der Sungoli-Häuptlinge in die Hauptstadt schaffen lassen - den Thron von Rales. Er ist aus einem Basaltblock gehauen.«

»Ein schwarzer Thron aus Vulkangestein für einen vulkanischen Mann!« Erneut schüttelte Velquen den Kopf und tupfte mit dem Finger auf Darcus Cannus schmale Brust. »Habt Ihr gehört? Sehr schlau von ihm, den Sungoli-Thron zu übernehmen - ein weiterer Rat unseres Freundes Saldon, sicherlich. Es kostet auch weniger, als ein Monstrum wie dieses herstellen zu lassen.« Der Kaiser klopfte mit leberfleckiger Hand auf die Armstütze des hochlehnigen Throns aus seegrünem Plast. »Nein, wir werden die Ausgaben schon selbst bestreiten müssen. Wie ich schon sagte, so schnell werden keine Steuern von Branarius kommen.«

Das dünne Lächeln Darcus Cannus war nicht viel mehr als ein leichtes Verziehen seiner Gesichtsmuskeln. »Um den anderen gerecht zu werden, Sire, würde ich meinen, dass auch kein siebtes Schwert und kein siebter Thron für eine Welt nötig sind, die noch nicht dem Reich angehört und dem Rat der Könige.«

Saldons Miene blieb unbewegt - doch nur, weil er sie mit aller Willenskraft beherrschte. Er war ein alter Mann, ja ein Greis in einer Zeit, da Neugeborene damit rechnen konnten, vielleicht dreiundvierzig Jahre alt zu werden, wenn sie das erste Jahr überlebten. Er war um ein ganzes Jahrzehnt älter als der Kaiser, den man auf einundfünfzig schätzte. Saldon war ein Älterer, ein Priester, dem Gott Wisensa geweiht. Selbstkontrolle hatte er gelernt, als Valeron noch nicht geboren war und Darcus Cannu auf den Knien seines Tutors saß. Mit ausdruckslosem Gesicht blickte Saldon auf Cannu und ließ ihn nicht aus den Augen.

»Tsk, tsk, Darcus!«, tadelte Velquen sanft. »Wie könnt Ihr nur so herzlos sein, selbst im Namen der Gerechtigkeit. Ich spaßte, als ich den Älteren einen Barbaren nannte, und er wusste, dass ich es nicht ernst oder böse meinte. Doch fürchte ich, Euch nimmt er ernst.« Eine Warnung sprach aus des Kaisers Worten, keiner zweifelte daran. »Doch das sind Dinge, die wir später mit dem... dem Kriegslord selbst besprechen können.« Er schüttelte den Kopf über den Titel. »Saldon, bitte richtet ihm folgendes aus... Nein! Schreiber!«

Zwischen zwei der weiblichen Säulengestalten, die die Galerie um den großen Saal stützten, kam ein vierter bejahrter Mann. Der schon fast kahle Carmeianer trug Federkiel und Papier, und vom Gürtel, der sein Gewand zusammenhielt, hing wie ein Amtszeichen ein Tintenfass. Zu Füßen des Kaisers ließ er sich auf der obersten Stufe, die der rote Teppich weich polsterte, nieder.

»Velquen«, diktierte der Kaiser und starrte auf die Wand, während die Feder des Hofschreibers über das Papier kratzte. »Kaiser der Sieben Welten von Carmeis, an Valeron, Kriegslord der Siebenten: Heil... Nein... ah... schreibt lieber Heil, alter Freund. Hmm... Unsere herzlichsten Glückwünsche, auch im Namen des Rates der Könige, zu Eurem absoluten und endgültigen Sieg über die Sungoli und zur Vereinigung der Stämme unter einer Fahne. Die schwarze Standarte für Branarius, die so lange hier hing, wird von Eurem... ah... Phönix abgelöst, sobald wir ein Modell von Euch erhalten haben, nach dem unsere Zeichner und Näherinnen sich richten können. Zweifellos... ah... zweifellos seid Ihr sehr damit beschäftigt, eine Nation und eine Welt aufzubauen, aber Wir... Nein ändert das zu ich, Schreiber, möchte Euch gern so bald wie möglich sehen. Wir haben viel über gewiss mehr als einem Pokal Wein zu besprechen. Es ist... hm... Es ist noch jemand hier, der Euch gern sehen möchte. Ich will damit sagen, es ist eine der wichtigen Sachen, die wir erörtern müssen. Hm. Unterschreibt mit Velquen und lasst die Titel und den ganzen Kram weg.«

Der Schreiber nickte und stieg die Stufen der Thronplattform hinunter. Den Brief, dessen Tinte noch nass war, hielt er auf Armeslänge von sich.

Darcus Cannu beachtete Saldon nicht, dessen Augen immer noch auf ihn gerichtet waren, sondern blickte nachdenklich auf seinen Monarchen. Beide wussten sehr wohl, was Velquen mit den Worten »es ist noch jemand hier, der Euch gern sehen möchte«, gemeint hatte. Der Hinweis auf sie, als wichtige Sache zur Erörterung zwischen Kaiser und unbeweibtem König und Kriegslord, sagte beiden etwas, und würde seine Wirkung auf Valeron nicht verfehlen. Doch da sie als Priester und Staatsmann Beherrschung gewohnt waren, blieb die Miene der beiden unbewegt.

Der Ältere Saldon, Erster Ratgeber des Kriegslords von Branarius, fand die Aussicht, dass Velquen ein Bündnis mit Valeron versüßen wollte, indem er ihn zum Gatten seiner Tochter machte, sehr vielversprechend. Er dachte stumm darüber nach.

Velquen war selbst einst Krieger gewesen, ehe sein flammendes Haar zur Asche geworden war, die der Wind der Zeit mit sich trug, und seine Brust mit dem Bauch vereint über den Gürtel quoll. Bewunderung und Hochachtung empfand er für den jungen Eroberer von Branarius, und er sah ein wenig seines Selbst in ihm, wie es vor Jahren gewesen war. Auch ließ seine Bemerkung gegenüber Saldon - selbst wenn sie scherzhaft gemeint gewesen war - schließen, dass zumindest ein Hauch von Besorgnis ihn quälte, der junge Eroberer könne nach seinem Thron greifen wollen. Würde er jedoch nach dem Tod seines Schwiegervaters rechtmäßig sein, wäre zusätzlich noch die Sicherheit gegeben, dass er Velquens Enkeln - seine beiden Söhne hatte er vor siebzehn Jahren in einer Schlacht verloren - erhalten bliebe. Dass sein Geschlecht, seine Dynastie durch seine Tochter fortbestehen würden, damit sein Leben überhaupt einen Sinn gehabt hatte, war die einzige Hoffnung des alten Kaisers, der sechzehn Jahre in Frieden geherrscht hatte.

Die Gerüchte stimmten also, dachte Saldon, dass Velquen seine Tochter Aleysha Valeron geben wollte, und damit nach seinem Dahinscheiden den Kaiserthron! Mit einer Viertebenenübung gelang es ihm, seine unbewegte Miene beizubehalten und sich seine freudige Erregung nicht anmerken zu lassen. Weiter hing er seinen Gedanken in der Stille nach, die nach dem Abgang des Schreibers eingesetzt hatte. Saldon car Bredons barbarischer Lehnsherr hatte die Unschlagbaren geschlagen, das Unmögliche vollbracht, die Unvereinbaren zu vereinen und die Unlenkbaren zu lenken. Die fünf Könige mussten ihn anerkennen, ob er nun von den Sungoli erzogen und »unzivilisiert« oder nicht war.

Auch jetzt ruhten Saldons Augen weiter auf Darcus Cannu, studierten ihn, beobachteten ihn, versuchten seine Gedanken zu lesen. Doch dessen Miene war so unbewegt wie seine eigene.

 

Als der Ältere Saldon aufrechter Haltung den letzten Schritt über den langen roten Teppich getan hatte und durch die achtzig Meter vom Thron entfernte Tür getreten war, wandte Darcus Cannu sich an den Monarchen.

»Sire, gestattet Ihr, dass ich offen spreche?«

»Ich hätte es nicht gern, tätet Ihr es jetzt nicht, Premierminister.« Mit leicht zusammengekniffenen Lidern blickte Velquen zu den milchigen Kugeln hoch, die von der Decke hingen - dem' unheimlichen unfehlbaren Licht der Alten.

Darcus Cannu verneigte sich. »Sollen wir tatsächlich eine Vermählung Prinzessin Aleyshas mit diesem barbarischen Kriegslord - Kriegslord! - in Betracht ziehen? Eure Majestät, allein diese Titulierung verrät das wahre Wesen dieser Wilden! Ein Mann, der von diesen Sungoli-Söhnen von Kroy großgezogen wurde! Der keine andere Sprache als die des Schwertes spricht und dessen Definition für Frieden schließen, Kompromiss und herrschen die gleiche ist, Vernichtung, nämlich!«

Velquens weiches Lächeln war verschwunden. »Habt Ihr vergessen, dass ich Seite an Seite mit seinem Vater kämpfte? Er allein kam mir zu Hilfe, als ich sie dringend benötigte, damals, vor sechsundzwanzig Jahren! Habt Ihr vergessen, dass wir Freunde sind? Und dass Männer wie Saldon einen Stammeskodex haben, der unsere Begriffe von Gerechtigkeit und Ehre weit überragt, und das, obwohl wir uns zivilisiert nennen. Valeron hatte bis jetzt noch nicht die nötige Zeit, Darcus, um die von der Höflichkeit geforderten Lügen, Täuschungen und Spitzfindigkeiten der - Zivilisation zu lernen. Könnt Ihr wahrhaftig vergessen haben, dass sein Vater ein großartiger Mann war, ein Mann, dem die Ehre über alles ging - der Grund, weshalb die Sungoli ihn töteten! Seht Ihr denn nicht ein, dass Valeron etwas fertiggebracht hat, was kein anderer gekonnt hätte - auch ich nicht! Wie kommt es, dass der Verstand, den ich am meisten schätze, diese Tatsachen nicht anerkennen will?«

Der schlanke Mann in der purpurroten Robe dankte durch eine Verneigung für das Kompliment. »Ich erinnere mich, Sire, dass Va... dass Lord Valeron von den Sungoli aufgezogen wurde - von gelbäugigen Tieren, die Vortäuschen, Menschen zu sein. Ich erinnere mich, wie er von ihnen lernte zu plündern, zu schänden und grausam zu sein. Ein Ungeheuer von Mann ist er, ein kampfsüchtiger Kriegslord, mit den Manieren von Wilden und dem Misstrauen eines Raubtiers aus tiefster Wildnis.«

Velquen hatte sich wie sprungbereit in seinem gewaltigen Thron aufgerichtet. Brennende Wut funkelte in seinen Augen. Darcus Cannu erkannte, dass er zu weit gegangen war. Er hätte warten und subtiler Vorgehen sollen! Nur einen Herzschlag begegnete er den grimmig blitzenden grauen Augen, dann senkte er seinen Blick - nicht aus Angst, sondern weil sein Verstand es ihm riet.

Er vernahm das laute Seufzen des Kaisers, sah seine Hand den Bart streichen, und wusste aus langer Erfahrung, dass er sich bemühte, seinen Zorn zu unterdrücken. Das war Selbstbeherrschung, wie sie seiner nahekam, doch nie gleichwertig sein würde.

Velquen car Velden hatte Selbstbeherrschung gelernt, der Not gehorchend, als er den Thron bestiegen hatte, nachdem er dem Tod seines Vaters Velden folgend, den Mann besiegte, der ihn ihm hatte streitig machen wollen. Vielleicht würde der Barbar sie genauso gewinnen - aus Notwendigkeit -, doch zu welchem Preis inzwischen? Die unerlässliche Selbstkontrolle eines Mannes, der ein kriegerisches Volk auf fernen Welten regierte, die vor Jahrhunderten aufgegeben worden oder verlorengegangen waren - konnte ein Mann wie Valeron sie schnell genug erlernen? Seit sechzehn Jahren herrschte Frieden zwischen Carmeis und seinen angeschlossenen Welten, und innerhalb des Rates der Könige. Saldon, das wusste Darcus Cannu, und es beunruhigte ihn, verfügte über die gleiche Selbstbeherrschung wie er - und außerdem über eine Intelligenz, der es nicht an gesundem Menschenverstand und Schläue mangelte.

Weiter stieß der Premierminister mit seinen Überlegungen vor. Seit Jahren war ihm klar, dass er fähiger und geeigneter war zu herrschen als Velquen, nur war er dessen größerer Stärke und Persönlichkeit unterlegen, genau wie Saldon in diesen Beziehungen Valeron. Er, Darcus Cannu, war ein wahrer Herrscher!! Aber dieser Barbar, dieser rüpelhafte Primitivling verdiente weder Aleysha noch den Thron und würde ihnen in aller Wahrscheinlichkeit auch keine Ehre machen.

Darcus Cannu wartete ab. Er stand in straffer Haltung. Schweiß rann über seinen Rücken unter der roten Robe. Immer trug er Rot, denn er war in vergilbten Schriften auf etwas gestoßen, von dem Velquen nichts wusste: nämlich, dass in alter Zeit Purpur die Farbe der Herrscher gewesen war, nicht Seegrün. Er wartete, und der Kaiser sprach. Seine Stimme war wieder völlig ruhig, nachdem er seinen Zorn überwunden hatte. Cannu hatte schon vor langer Zeit gelernt, in einem solchen Fall zu schweigen, bis Velquen seine Gefühlsaufwallung unterdrückt hatte.

»Ja«, sagte er, und sein Minister hob langsam den Kopf.

Velquen lehnte sich wieder zurück und blickte die lange Reihe weiblich gestalteter Säulen entlang. »Ja, Valeron ist ein Raubtier - ein sehr kluges Raubtier, genau wie ich in seinem Alter - und so muss es sein. Ihr könnt herrschen, Darcus, aber Ihr könntet Euch ein Reich weder erobern noch es halten. Entsinnt Ihr Euch, alter Freund, als ich diesen verdammt unbequemen Thron bestieg? Ich war inzwischen klug genug, auf weisen Rat - auf Euren Rat, Darcus - zu hören. Und ich glaube, denkt an meine Worte,

Freund, Valeron ist es ebenfalls. Vorher hatte es nur den Kampf, den Krieg, für mich gegeben, so, wie es bei Valeron der Fall ist - oder war? Nur ein Mann mit den Sinnen eines Raubtiers konnte sich aus den Reihen der Sungoli erheben, sie besiegen und beherrschen - und die wilden Branarier, die bisher nur ergebene Treue gegenüber ihrem eigenen kleinen Stamm kannten. Für Saldon würden sie nur Hohn empfinden, genau wie für Euch oder den jungen Jallad von Nyor mit seinem Interesse für die alte Lehre von Wisensa. Es genügt nicht, einen Thron zu gewinnen - oder ihn sich zu nehmen. Man muss ihn auch halten können. Nennt mir doch einen besseren Schwiegersohn, Darcus... Nein, lieber nicht. Uns mangelt die Zeit, eine ganze Liste durchzugehen und jeden Namen abzuhaken. Und noch etwas, Darcus, etwas, das von keiner geringen Bedeutung ist - Aleysha selbst.«

Velquen las die Frage in Cannus Blick und beantwortete sie. »Ihr habt sie selbst gehört, Darcus. Sie verliebte sich in ihn, vor sechs Jahren schon, als sie erst dreizehn war. Sie...«

»Kindliche Überspanntheit, missverstandene Romantik, Sire. Sie hat ihn in diesen sechs Jahren nicht mehr gesehen. Und wie Ihr selbst sagtet, war sie da dreizehn, ein Kind - und viel mehr ist sie wahrhaftig auch jetzt nicht.« Darcus Cannu gestikulierte mit dem dünnen Arm im weitfallenden Ärmel.

»Das bildet Ihr Euch ein, weil Ihr alt seid, Darcus, genau wie ich. Ah, straft mich nicht mit Eurem Blick, es ist so, damit müsst auch Ihr Euch abfinden. Aber Aleysha ist durchaus kein Kind mehr, sie ist eine junge Frau - und Valeron ist ihrer würdig. Hm! Vielleicht ist sie sogar seiner würdig!«

»Sire! Die Prinzessin ist hier, in diesem Palast, aufgewachsen, in Sanftheit und Hochachtung. Könnt Ihr Euch vorstellen...« Cannu zögerte, denn entschloss er sich, den Satz doch zu beenden. »Könnt Ihr Euch diesen groben Barbaren in ihrem Hochzeitsbett vorstellen?«

Velquen lachte, laut und schallend, mit zurückgeworfenem Kopf. Da sah Cannu den Krieger vergangener Zeit in seinem Herrscher, und wusste, dass nichts ihn überzeugen könnte.

»Ja! Ja! Wie gut ich ihn mir im Bett mit ihr vorstellen kann!

Und ich sehe, wie meine sanfte Tochter in einer Nacht zur Frau wird!« Er schüttelte sich vor Lachen.

Der Premierminister schauderte. Er war ein kultivierter Mann und stolz darauf - stolz auf seinen Verstand und auf sein Amt; ein Mann, der wenig Zeit und kaum Verlangen nach Frauen hatte. Ein Ausdruck überzog sein Gesicht, den er unterdrückt hätte, wäre nicht der Blick seines Monarchen der vergoldeten Decke zugewandt gewesen. Als Darcus Cannu sprach, war seine Stimme weich und beherrscht wie immer. »Wenn wir uns mit der Prinzessin befassen, Sire, wollen wir es als Vater und väterlicher Freund tun. Wird Valeron sie glücklich machen? Er ist wohl nicht gerade für Zärtlichkeit bekannt. Und -  kann sie, mit ihrem sanften Wesen, ihn halten? Keine konnte es bisher. Seine... ah... Bettmanieren sind gewiss... ah... etwas zügellos. Wie viele Kinder schreibt man ihm zu? Fünfzehn?«

Velquens Gelächter erschallte noch dröhnender. Der Premierminister ballte die Fäuste und kniff die Lippen zusammen. Erst nach einer Weile senkte der Kaiser den Kopf und blickte seinen Ratgeber an. Seine Augen waren feucht vor Heiterkeit, bemerkte Darcus voll Abscheu.

»Da kann es sich nur um einen Rechenfehler handeln, Darcus. Vorsicht kennt er nicht. Zweifellos gibt es viel mehr cari Valeroni! Ihr Götter, verdient - oder will - eine Braut denn einen unerfahren verlegenen und tollpatschigen Mann im Ehebett? Wir dürften auch unsere liebe Not haben, einen für sie zu finden, der selbst noch unberührt ist. Mit Euren Argumenten, mein lieber Darcus, sprecht Ihr nur fir ihn, denn Ihr erinnert mich immer mehr an mich, wie ich war, ehe ich mir dieses Haar am Kinn wachsen ließ, um den Verlust hier wettzumachen.« Er pochte auf seine Stirnglatze. »Und glaubt Ihr etwa gar, ich hätte all die neunzehn Jahre, seit dem Tod der Kaiserin, allein geschlafen?«

Darcus kämpfte um seine Haltung. Dass er sein Bett stets allein aufsuchte, war eine wohlbekannte Tatsache, mit der Velquen ihn mehr als einmal aufgezogen hatte. »Aber Ihr...«

»Wartet!«, sagte Velquen und seine Heiterkeit schwand wie die Sonne im Schneesturm. »Was Aleysha betrifft - gebt es doch zu!

Wir haben sie verzogen! Wir alle. Sie sagt sie liebt Valeron. Sie will ihn haben. Und sie ist Frau genug, ihn glücklich zu machen und zu halten. Sie - ihr Götter!« Verblüffung überzog des Kaisers Gesicht, als er den anderen anstarrte. »Darcus - Ihr - es kann doch nicht möglich sein, dass...«

Darcus Cannu lächelte gewinnend. »Dass ich sie liebe, meint Ihr? Natürlich liebe ich sie, alter Freund. Sie ist Eure Tochter und wahrlich liebenswert. Doch wischt diesen Ausdruck von Eurem Gesicht, Sire. Ihr kennt doch meine Einstellung zu Frauen, und habt Ihr nicht vor einer kurzen Weile erst gehört, dass ich sie Kind nannte?«

»Hm, ich muss mich wohl für diesen Gedanken entschuldigen«, sagte Velquen. »Einen Augenblick lang fragte ich mich... Ihr... und dieser Thron...« Seine Augen bohrten sich so tief in die seines Ratgebers, wie sonst vielleicht nur ein von einem starken Bogen abgeschickter Pfeil es könnte.

»Der Thron? Sire! Darcus car Nu steht dem Thron so nahe, wie ein Mann meinesgleichen es nur kann. Ich mache mir doch keine weiteren Illusionen - oh, nein!«

Von der Rechtschaffenheit seines Premierministers überzeugt, entspannte der Kaiser sich wieder, und Darcus Cannu ebenfalls.

»Soll ich mich ein zweites Mal entschuldigen? Nun, warum nicht. Doch wieder zu Valeron, Darcus. Der Mann ist sowohl intelligent als auch schlau genug, eine gute eheliche Beziehung zu meiner Tochter aufrechtzuerhalten - und wenn aus keinem anderen Grund als dem, dass sie mein Fleisch und Blut ist, und ich, der Kaiser, nahezu zweiundfünfzig Jahre zähle und nicht für immer leben werde. Schon gar nicht mit diesem Wanst! Und der Thron muss in starken Händen bleiben! Keinesfalls dürfen die Sieben Welten erneut all den Schrecken und dem Chaos eines Interregnums ausgesetzt werden wie zu jener furchtbaren Zeit, nachdem der Zorn Sienses uns von - nun, von wo immer auch die Alten sind - getrennt hat. Und Aleysha ist eine junge Frau, eine sanfte, sehr junge Frau, kein Herrscher mit starker Hand.«

»Dann ist es also Euer fester Plan. Dieser - dieser Barbar soll schließlich Kaiser werden!«

Die Worte entschlüpften Darcus in seiner Aufregung. Zu spät presste er die Lippen zusammen. Das war ein Fehler gewesen. Velquen blickte, nein starrte ihn an. Hatte er sich verraten?

Unter dem eisigen Blick seines Monarchen wurde Darcus Cannus Gesicht zu einer Maske, unter der er sich selbst verwünschte.

»Gute Nacht, Darcus«, verabschiedete ihn der Kaiser knapp.

 

Früh am Morgen verließ der Ältere, Saldon car Bredon von Branarius, Erster Berater des Kriegslords Valeron, mit seinem dreißig Mann starken Reitertrupp die alte befestigte Stadt. Er hatte dem Kaiser versichert, wenn er das nächste Mal die roten Umhänge und den Phönix von Branarius sähe, würde sein Herrscher, der Kriegslord, ihm den Ehrenbesuch abstatten. Saldon verlor kein Wort über seine Verwunderung, dass Darcus Cannu nicht am offiziellen Abschied teilgenommen hatte.

Saldon lehnte die ihm angebotene Sänfte ab und schwang die dünnen Beine über den Pferderücken. Das zusammengerollte Schreiben des Kaisers in seiner Hülle schob er in seine lehmfarbene Robe. Im gemessenen Trott führte er seinen Trupp aus der Stadt. Erhobenen Hauptes blickte er stolz geradeaus, in straffer Haltung, trotz seiner fortgeschrittenen Jahre, und achtete der neugierigen Blicke der Menschenmenge nicht.

Sie fragen sich, ob ich Kinder fresse, dachte er, und presste schnell die Lippen zusammen. Wenn ich lächelte, würden sie vielleicht gar behaupten, ich hätte die Zähne gefletscht! Sein Gesicht nahm die gütige Miene des Wisensapriesters an und er hing seinen Gedanken nach. Ob des Kaisers Plan, die Prinzessin an Valeron zu vermählen, weise ist? überlegte er. Valeron würde mit Widerstand rechnen müssen. Welcher Carmeianer würde schon einem Branarier trauen oder freundliche Gefühle entgegenbringen, nach all den Jahren, da Branarius als die Barbarenwelt unter der schwarzen Flagge bekannt gewesen war! Und Darcus Cannu? Valeron würde nicht lange genug mit ihm auskommen, um sich überhaupt an seinen neumodischen Namen zu erinnern. Für Nadhs Sohn mochte es besser sein, wenn er ihm die Schriftrolle des Kaisers nicht aushändigte! Aber er wusste, dass er es doch tun würde. Kurz darauf schoss der branarische Raumer in den Himmel und zog einen Schwanz schimmernder Luft - ähnlich dem Flimmern eines heißen Tages - hinter sich her. An den - glücklicherweise - unkomplizierten Instrumenten saß Saldon und lächelte dünn.

Obgleich wir zu Pfeil und Bogen, Streitäxten, Schwertern, Schilden und Pferden zurückgesunken sind, dachte er, fliegen wir immer noch mit den Raumfähren der Alten. Mit gerunzelter Stirn fügte er, genauso stumm wie zuvor, hinzu: Auch wenn wir sie nicht verstehen.

 

 

 

 

 

 

  2. Minister und Barbar

 

 

 

Valeron, Sohn Nadhs, genannt der Mächtige, von Wisensas und Branars und weiterer Götter Gnaden - und durch sein eigenes drei Fuß langes Schwert -, Kriegslord von Branarius, stieß eine neue Verwünschung aus. Einen finsteren Blick warf er auf die kunstvoll verzierte Tür des kaiserlichen Thronsaals. Die graugrünen Augen verengten sich noch mehr. Die Finger verkrampften sich um den schwarzen Griff seines Breitschwertes.

Wütend wandte er sich von der Tür ab und schritt, zum hundertsten Mal vielleicht, durch den Vorraum. Mit seinen glänzenden, bis hoch über die Knie reichenden Stiefeln stapfte er über den dichten roten Teppich. Er achtete nicht auf die herrliche Arbeit der Weber von Marioie, die unzählige Jahre damit zugebracht hatten, ihre Segenswünsche und Gebete hineinzuweben - und nicht zu vergessen, jenen einen Fehler, den sie machen mussten, denn nur Mario war vollkommen.

Vor einer Woche war Saldon mit Velquens Einladung nach Branarius zurückgekehrt. Nachdem Valedon und Saldon sich eingehend über die offenbare Absicht des Kaisers unterhalten hatten, zögerte der neue Herrscher nicht, die Zügel seines jungen Reiches in die Hände Saldons und Dernons zu legen. Er hatte befohlen, seine besten Gewänder - die meisten kaum mehr als ein paar Tage alt - einzupacken, und sich widerstrebend den Händen des Barbiers anvertraut, nach dem Saldon geschickt hatte, während Dernon seine Begleiter aussuchte. (»Zwanzig Mann, und nicht die allerbesten«, hatte Valeron ihn angewiesen. »Die besten könnten während meiner Abwesenheit hier gebraucht werden!«) Diese zwanzig Mann waren vor ihm an Bord des Flaggschiffs gebracht worden, genau wie die sorgsam ausgewählten Geschenke.

Wirklich nur ein Mann war imstande, ihn zu dieser Zeit von Jaksin, der Hauptstadt von Branarius, fortzulocken: Velquen. Und selbst er nur aus einem Grund: einer möglichen Verbindung zum Kaiserhaus durch eine Vermählung mit Velquens Tochter. Dass der Kaiser mit ihm darüber sprechen wollte, genügte Valeron, diese Reise zu machen. Ein lächelndes, fast noch kindliches Gesicht schob sich vor Valerons inneres Auge. Ein olivfarbenes Antlitz, mit dem keines auf Branarius sich messen konnte; ein sanftes Oval, von Seidenhaar eingerahmt, das seegrün - der Farbe des Kaiserhauses - getönt war.

Weniger als zehn Stunden nach Saldons Rückkehr, waren Valeron und sein Gefolge bereits unterwegs zur Hauptwelt, quer durch das luftlose Meer des Alls. Keinen Gedanken verschwendete der Kriegslord von Branarius daran, wie es wohl gewesen sein mochte, als der Weltraum eine bekannte, vielbefahrene See gewesen war, durch die die Menschen von Stern zu Stern gereist und ihre Schiffe mehr gewesen waren als nur Raumfähren, so von den Alten programmiert, dass sie sich bloß zwischen Carmeis und seinen sechs Satelliten bewegen konnten. Satelliten, die die Alten, wie die Zacken der kaiserlichen Krone, rings um die Zentralwelt platziert hatten. Dabei hatte er viel Zeit, seinen Gedanken nachzuhängen. Jede Welt befand sich genau zwei Schiffstage von der nächsten entfernt, genau wie zur Hauptwelt Carmeis, um die sie ihre Bahn zogen.

Die letzte Begegnung zwischen dem aufstrebenden Häuptling von Branarius und dem Kaiser hatte auf der glasigen Oberfläche des carmeianischen Raumhafens stattgefunden, nur einen Kilometer außerhalb der glitzernden Türme und Säulen der Stadt. Das lag drei Jahre zurück, als Valeron den langen Feldzug gegen die Sungoli begonnen hatte. Aleysha hatte er seit sechs Jahren nicht mehr gesehen. Damals war er ein feuriger Krieger von zwanzig gewesen, ein Bursche mit nackten Armen, Raubtieraugen, ungestutztem Haar und Bart, von einer fernen Welt, und sie eine bildhübsche Dreizehnjährige, die zwischen Vorhängen aus pflaumenrotem Samt - der das ungewöhnliche Blassgrün ihres getönten Haares hervorgehoben hatte - hervorspähte. Ihr Vater rief sie herbei, und sie hatte leicht verlegen gebeten, die Muskeln des Besuchers berühren zu dürfen. Velquen hatte gelacht, und er, Valeron, hatte sie vom Boden gehoben, ihre Hand zwischen Ellenbeuge und den Oberarmmuskeln festgeklemmt, und sie an ihren seegrünen Zöpfen gezogen.

Jetzt ist sie neunzehn, an der Schwelle zum Frausein, dachte Valeron während der langweiligen Raumreise. Das Ritual der Mannwerdung wurde mit vierzehn durchgeführt, und in vielen Fällen war ein Mädchen von neunzehn längst schon Frau. Er kannte Großmütter von siebenundzwanzig Wintern - ein Jahr nur hatten sie ihm voraus. Doch er fühlte sich viel älter, nach den drei Jahren des Krieges und mehr, und er wusste, dass er bedeutend weiser war, auch ohne Saldon - Siense und Branar sei gedankt!

Doch immer noch war er feurig, und auch jetzt noch zog er es vor, die Arme unbekleidet zu lassen, weil es bequemer war - ja, und auch um seine mächtigen Arm- und Schultermuskeln zu zeigen.

Die winzigen Fältchen um seine grüngrauen Augen hatten Sonne, Kälte und Wind des felsigen Branarius gezogen, mit dem etwas fehlgelaufen sein musste, als es vor unvordenklicher Zeit in die Umlaufbahn gebracht worden war. Jetzt waren die Augen in dem ausdruckslosen Gesicht Schlitze, die Monat um Monat, Jahr um Jahr des Kampfes um Leben und Tod in der Sonne, der Mühen und des ständigen Studierens nie ausreichender Karten geschnitten hatten.

Bei diesem Gedanken beschloss er, sofort nach seiner Rückkehr Kartenzeichner einzusetzen, und er fluchte in zwei Sprachen, dass er nicht schon eher daran gedacht hatte.

Jetzt war er ein Eroberer.

Jetzt war er Branarius' Held und absolut selbstbewusst. Jetzt durfte er auf den Rat anderer hören und ihn auch befolgen. Der von Bergsungoli aufgezogene Waise fühlte sich nun durchaus als zivilisierter Herrscher auf seinem Thron aus glänzend schwarzem Stein. Sogar ein paar graue Fäden durchzogen sein rotes Haar, das augenblicklich durch einen stählernen Kriegsknoten am Nacken gebändigt, lose und gerade den Rücken herabfiel. Jetzt hatte er seine Klinge mit dem Blut der besten Sungolikämpfer gerötet, sie geschlagen und die traurigen Überreste in die Berge gejagt, wo sie keine Gelegenheit mehr zu morden, schänden und stehlen hatten. Den Stamm der plündernden Herkathon hatte er aufgerieben und den mächtigen Rales mit seinen gelben Augen und dem kahlen Schädel eigenhändig getötet. Jetzt war er Kriegslord von Branarius.

Und Velquen beabsichtigte ihn zum Mann seiner Tochter zu machen! Ob der Kaiser Angst vor mir hat?, fragte er sich. Vermutlich nicht, antwortete er sich selbst widerstrebend.

Der Kaiser empfand Hochachtung für ihn, bewunderte ihn möglicherweise sogar, war ihm verbunden und schätzte, dass er einen guten Schwiegersohn abgeben würde, der ihm die beiden eigenen Söhne ersetzen sollte, die in jenem kurzen sinnlosen Krieg vor sechzehn Jahren ihr Leben hatten lassen müssen. Für Velquen, dachte Valeron, stellte er eine wertvolle Versicherung dar, falls es auf den anderen Welten oder auf Carmeis selbst zu Zwisten kommen würde. Niemand traute Vidul, seit er den König von Lavian getötet und sich auf den Radthron gesetzt hatte...

Vielleicht traut auch niemand den Branariern oder ihrem Führer, grübelte er, nun, da er vielleicht nicht mehr von Eroberungszügen lassen konnte. Es würde zu ausweichenden Antworten kommen, zu Wortgefechten, ja vielleicht sogar zu nur vorgetäuschten Bündnissen...

Valeron lächelte, als er versuchte, sich in Velquen hineinzudenken, während sein Schiff auf Carmeis zu schoss. Er hätte keine weiteren Ambitionen, als eine Großmacht auf Branarius zu errichten, wo es bisher bloß einander feindselig gesinnte und ständig in Fehde liegende Stämme gegeben hatte zwischen den roten und ockerfarbenen Dünen, die nur von Felsen unterbrochen und von den zerklüfteten Gebirgen und einzelnen Bergen der Barbarenwelt überschattet wurden.