Für alle diejenigen, die mich bis noch nicht kennen, möchte ich mich erst einmal vorstellen. Mein Name ist Jo Decker, ich bin 40 Jahre alt.
Aufgewachsen im rechtsrheinischen Köln. Nach der Schule habe ich meine Ausbildung bei der Polizei gemacht und gehofft, so die Welt ein wenig zu verbessern. Karriereziel war, den Status eines Derricks im wahren Leben zu erreichen. Daran sieht man, wie bescheuert der Mensch sein kann.
Nach der Ausbildung kam ich irgendwann zur Kripo. Mein Chef war eigentlich ganz okay und hatte auch einen guten Ruf im Hause, vor allem aber eine super Erfolgsstatistik. Im Laufe der Zeit erarbeitete ich mir so eine Art „Harry-Klein-Stellung“ als Assistent meines Chefs, Dieter Krämer. Also dachte ich:
„Es klappt schon mit deinem Traum, du musst nur etwas Geduld haben.“
Irgendwann, hieß es sogar, sollte ich den Platz meines Chefs einnehmen, wenn er in Pension geht. Das sollte auch gar nicht mal insoferner Zukunft sein. Ein paar Jahre noch lernen und Erfolg verbuchen, dann ist alles gelaufen, dachte ich. Das Karriereziel vor Augen, ein gutes Gehalt, das war schon die richtige Basis. Als ich auch noch meine Traumfrau, Marie-Christine kennen lernte und wir heirateten, dachte ich endlich am Ziel meiner Träume angekommen zu sein.
Eines Tages hatten wir, mein Chef und ich, einen Einsatz, der mein Leben grundlegend verändern sollte. Nur wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nichts davon. Wir arbeiteten verdeckt für die Sitte und waren schnell erfolgreich, dass wiederum brachte uns mit dem Rauschgiftdezernat zusammen.
Während dieses Auftrages starb Marie-Christine, meine Traumfrau, mein Leben. Sie starb durch eine Kugel, die für mich bestimmt war, während eines Einkaufbummels auf der Schildergasse in Köln. Der Drogenbaron Igor Belanov kannte mich von einem Einsatz und bevor ich handeln konnte, schoss er. Marie Christine starb durch seine Kugel, welche für mich gedacht war. Ich legte meine Marke ab, verließ die Polizei und ging nach Amerika.
Dort lernte ich Jessie Fraser, eine Polizistin aus Patterson, New Jersey kennen. Sie überredete mich Privat Detektiv zu werden, damit sich ein Fall nicht mehr so schnell wiederhole. Als ich dem zustimmen wollte, hängte ich eine Bedingung daran:
Ich würde es nicht ohne Jessie tun. Tatsächlich stimmte sie ohne zögern zu. Ich wusste, sie ist der beste Partner den man in der Branche bekommen kann.
Sie war sehr erfolgreich, das mit gerade 30 Jahren, sie war dynamisch, sehr attraktiv und der liebenswerte Mensch, nach Marie-Christine.
So jetzt kennt ihr mich ein wenig und könnt mich bei meinen Aufträgen begleiten.
So wie alle zwei Wochen am Sonntag mache ich mich auf den Weg zum Sportplatz, um meinen FC Demerath anzufeuern, obwohl ich weiß, dass es eigentlich sinnlos ist. Vor zwei Jahren sind die Jungs abgestiegen und seitdem haben sie den Anschluss einfach nicht mehr geschafft. Die Mannschaft ist auseinander gefallen, alles neue Spieler und immer wieder genauso schlechte Torhüter wie im Abstiegsjahr und dazu einen Trainer der die Regeln nicht beherrscht. So dümpelt das Team so vor sich hin und vor jeder neuen Saison heißt es immer wieder:
„Wir spielen dieses Jahr um den Aufstieg mit“, was aber spätestens am zehnten Spieltag schon keine Aussagekraft mehr hat, weil man dann nämlich schon im Abstiegskampf steht. Trotzdem gehe ich immer wieder hin. Warum? – Ich weiß es nicht!
Der Eine oder Andere hat schon mal gute Ansätze, doch nächste Saison ist er dann weg. Der Mannschaft fehlen einfach Teamgeist und ein Trainer, der sie in den Arsch tritt, wenn es nicht richtig läuft. Es gibt keinen Treiber der Kampfgeist vermittelt.
Frustrierend ist auch zu sehen, dass der Trainer immer wieder als Linienrichter fungieren muss, weil niemand da ist oder das Geld dafür fehlt. Wenn der Trainer bei einem unentschieden im Pokalspiel sagt:
„Das ist toll, es ist gleich Schluss und wir haben nicht verloren“ und nicht weiß, dass es eine Verlängerung gibt. Tja, ...... dann fragt man sich schon, was der eigentlich vermitteln will. Wie oft habe ich schon daran gedacht das Training zu übernehmen, den Kader aufzubauen und langfristig einzuspielen, Sponsoren zu angeln und eine richtig tolle Mannschaft und damit einen tollen Verein zu installieren, in dem jeder Spieler gerne spielen möchte. Einen Verein hervorbringen, über den man spricht, denn kein Verein in Daun und Umgebung hat so ein schlechtes Resümee und über keinen wird weniger berichtet als über den FC Demerath.
Wie immer, wenn das Spiel aus ist, mache ich mich auf den Heimweg. Während die Anderen noch im Clubhaus zusammen trinken. So kann einfach nichts aus diesem Verein werden, da nützt es auch nichts, wenn man sagt, dass der Verein einen der schönsten Rasenplätze der Umgebung hat.
Auf dem Heimweg frage ich mich dann: „Warum nach Hause gehen? Jessie ist doch in New Jersey bei ihren Eltern“.
Bei dem schönen Wetter kann man ruhig mal wieder einen Spaziergang machen.
Danach zu Hause die Sportschau ansehen und schauen ob der 1.FC Köln wieder direkt in die Bundesliga aufsteigt. Da die letzte Zeit etwas sehr stressig war, muss ich auch mal an mich denken. Der letzte Fall ist zwar erfolgreich abgeschlossen, doch er war sehr anstrengend, anstrengender als ich mir es eingestehen wollte. Doch jetzt erst mal ein wenig entspannen und ausruhen, dann sieht man weiter.
In diesem Moment muss ich an Jessie denken, die von ihren Eltern aus noch eine Freundin in Honolulu auf Oahu besuchen wollte. Ich Depp, wäre ich doch bloß mitgeflogen. Honolulu täte mir sicherlich auch ganz gut. Die Palmen und der weiße Strand, sich in der Sonne räkeln oder Schnorcheln gehen. Tja das wäre schon schön. Vielleicht sollte ich einfach hinfliegen und Jessie beim Sonnenbaden an der paradiesisch schönen Hanauma Bay überraschen.
Mit diesem Gedanken beschäftigt gehe ich den Weg durch das Oberdorf mit all seinen neuen Häusern, die sich zum Teil noch im Bau befinden. Immer wenn ich diesen Weg langgehe denke ich:
„Es gibt Menschen mit Geschmack und welche die nur das Geld haben, hier sieht man das ganz deutlich.“
Wie Recht ich damit habe kann man in vielen Ecken dieser Erde sehen, nicht nur in Demerath und der Eifel.
Ich gehe an meiner Haustüre vorbei in Richtung Demerather Driesch und Wacholder Heide, da ist es um diese Jahreszeit besonders schön. Vor allem ist es ruhig dort mit gut platzierten Bänken, die einem das Gefühl in der Landschaft geben, als sei man ganz weit weg. Man kommt sich vor wie in der Tundra oder der Heide, es fehlen nur die Heidschnucken oder die umherstreifenden Wölfe. Man kann hier seine Gedanken schweifen lassen, nachdenken was man als Nächstes tut oder über das was man besser hätte anders machen sollen, oder einfach nur den Augenblick genießen, so wie heute.
Ich setze mich auf die Bank an der Weggabelung, hier hat man das Gefühl, das man von der Welt abgeschnitten ist. Man hört hier nichts vom Dorf oder der Straße, die sowieso nicht viel befahren ist. Die beiden Ponys auf der Weide runden das Bild herrlich ab.
Wieder in Gedanken versunken stelle ich mir gerade vor, was Jessie für Augen machen würde, wenn ich morgen oder übermorgen im Hotel auftauchte. Das Hotel „Aqua Marina“ liegt direkt gegenüber dem Berühmten „Hawaiian Village Hotel“, sehr zentral gelegen am Waikiki Beach. Zwei Wochen ausspannen kann man gut gebrauchen, zwei Wochen Tauchen in er Hanauma Bay und den wildromantischen Waimea Falls Park besuchen, um wie ein kleines Kind den Wasserfall hinunterzuspringen.
Mittlerweile gehe ich weiter auf meinen Rundgang und komme an die Abzweigung, wo die große Schlehenhecke steht und der Weg zur Wacholder Heide weiter führt. Als ich so gehe, habe ich plötzlich das Gefühl, das irgendjemand hinter der Schlehenhecke sich verbirgt und mich beobachtet. Typische Berufskrankheit, ist doch kein Mensch zu sehen, also gehe ich schlendernd weiter und denke:
„Es war sicher ein Reh.“
Die gibt es oft und viele hier, gerade um diese Zeit, also weiter. Dann mache ich noch eine weiteren kleinen Halt bei der Eisenhaltigen Quelle, um mich etwas zu erfrischen. Dabei überlege ich noch, ob ich bevor es dann heimwärts geht, noch mal zum Steineberger Holzturm gehen soll. Bestimmt hat man heute eine gute Weitsicht über das Land mit den Vulkanen. Ein anderes Mal sage ich mir dann, weil es doch schon ganz schön steil darauf geht und dann noch die vielen Stufen, heute nicht. Das muss doch nicht mehr sein, da freue ich mich lieber auf mein kalte Kölsch im Freezer.
Zu Hause angekommen gilt mein erster Blick dem neuen Anrufbeantworter, kein Anruf, keine Nachricht von Jessie. Enttäuscht hole ich mir eine kühle Flasche Eifelbier, doch kein Kölsch und schalte den Fernseher ein. Erfreulich ist das der 1.FC Köln gewonnen hat, obwohl die Saison noch lang ist, steht die Hoffnung für den Wiederaufstieg gut. Dann springe ich unter die Dusche und gehe früh ins Bett. Ich lese noch ein wenig im neuen Patricia Shaw Roman „Im Tal der Träume“, dann mache ich die Augen zu und ich sehe Jessies Gesicht vor mir während ich einschlafe.
Als ich am nächsten Morgen aufwache oder vielmehr geweckt werde, ist es schon hell. Ich höre ein Stimmengewirr, welches mich aus dem Bett treibt. Verschlafen gehe ich zum Fenster und kann meinen Augen kaum trauen.
Da ist ein richtiger Menschenauflauf im Dorf. Demerath dieser verschlafene und von allen verlassene Ort, wo sich Fuchs und Hase im wahrsten Sinne des Wortes gute Nacht sagen, ist plötzlich aufgewacht. Es ist was los, eine richtige Sensation. Mal sehen was es gibt, vielleicht ist der Hund vom Nachbarn gestorben, dieser zottelige keifende Ratten verschnitt, denke ich. Wäre auch nicht schade drum. Vielleicht hat ja auch die Gans von nebenan beim Fressen und schimpfen einen Herzinfarkt erlitten? Alt genug ist das Viech ja.
Natürlich, wie kann es auch anders sein, unser Bürgermeister ist mitten im Geschehen drin. Wie immer, wenn irgendwo etwas los ist, steht er in seinem dunkelblauen Trainingsanzug da, als ob er nichts anderes besitzt.
Immer an vorderster Front, wenn es was gibt, ja nichts verpassen, Heinz Becker ist immer dabei. Irgendwie erinnert er mich manchmal an den Heinz Becker aus der Fernsehserie „Familie Heinz Becker“, neugierig und immer mit von der Partie sein. Muss der nicht auf der Arbeit sein um diese Zeit denke ich noch oder hat er wieder einmal Urlaub oder muss er Überstunden abbauen? Mal sehen. Bei Beamten weiß man nie so richtig, ob es Arbeit oder Freizeitgestaltung ist, wofür sie ihr Geld bekommen. Dann fällt mir ein: es ist ja Sonntag, da arbeiten auch die Beamten nicht.
Plötzlich erfasst mich eine innere Unruhe, die mir sagt:
„Halt, da stimmt irgendetwas nicht, da ist etwas passiert.“
Also streife ich mir meinen Jogginganzug über und mische mich unters Volk, wie man so schön sagt.
Alle reden durcheinander, als der Polizist gerade einige befragen möchte. So stelle ich mich einfach dazu und höre, was denn eigentlich los ist. Immer wieder erreichen meine Ohren ausrufe wie:
„Das ist Mord, keine Frage!“
„Armer Kerl, das waren diese verdammten Russen!“
„Die haben ihn einfach kaltgemacht.“
„Wer wird wohl der Nächste sein, den man in den Büschen findet?“
Als einer der beiden Polizisten an mir vorbeigeht, frage ich ihn, was denn eigentlich passiert sei. Er sagt ganz aufgeregt:
„Spaziergänger die hier in Demerath Urlaub machen, wollten mit ihrem Hund den Morgenspaziergang erledigen. Dabei haben sie heute Früh hinter der Kläranlage einen Toten gefunden. Besser gesagt der Hund hat ihn gefunden.“
„Wissen sie denn schon wer er ist und wie er dahin kam? Wieso höre ich immer Mord? Wie ist er denn gestorben? Etwa zu viel getrunken und dann erstickt?“
„Wissen wir nicht und warum interessiert sie das denn überhaupt? Soll ich sie mit auf die Wache nehmen? Vielleicht haben sie ja etwas damit zu tun? Zeigen sie mir erst einmal ihren Ausweis, Herr Fragesteller.“
In diesem Augenblick fährt ein anthrazitfarbener 3er BMW vor mit wittlicher Kennzeichen. Noch eher der Fahrer anhält, geht die Türe auf und ich höre eine Stimme rufen:
„Ist schon okay guter Mann. Das ist Jo, ein ehemaliger Kollege von uns aus Köln.“
Ich drehe mich herum, weil ich es kaum glauben kann, aber es ist wahr. Es ist niemand anderes als Hauptkommissar Fred Schultze, der mit „tz“ wie er immer betont, aus Wittlich. Ein netter, umgänglicher Herr Anfang sechzig, der kurz vor seiner Pensionierung steht. Mit ihm kann man gut zusammenarbeiten, im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen hier ist er sehr Kooperativ und dankbar für jegliche Hilfe. Er verkörpert den echten Eifeler Landkommissar, welcher seine letzten Jahre in Wittlich verbringen muss, obwohl er immer noch am Rande von Daun wohnt. Dreißig Jahre Eifeldienst sollte man meinen, hinterlassen dann doch auch an einem Zugewanderten seine Spuren. Nicht so bei Fred Schultze.
Die Gegend um Daun ist immer noch wie ein Niemandsland. Daun hat eine eigene Polizeistation mit einem Mann an der Zentrale und einem Streifenwagen der mit zwei Mann besetzt, das ist alles. Das ist natürlich ein gefundenes Fressen für Verbrechen jeglicher Art. Der Streifenwagen wird irgendwo hin gerufen und man hat freies Schaffen, es sei denn eine Streife aus Mayen ist zufällig gerade in der Nähe. Dann wäre das ganz einfach Pech zu nennen. Das Team Daun ist im wahrsten Sinne veraltet, da die Mehrheit der 3 Beamten kurz vor der Pension stehen.
Im Gegensatz dazu ist das Team Mayen, bestehend aus echten Grünschnäbeln, ein ganz junges, unerfahrenes Team. Da hilft es auch nicht, wenn dort die schönsten Polizistinnen aus Rheinland-Pfalz mitfahren. Abschrecken tut das wohl kaum einen. Diebe, Einbrecher, Dealer oder was auch immer machen ihre Geschäfte in immer größerem Stil, sie haben ja ruhe hier. Man weiß doch, dass man hier immer freie Bahn hat. Also in vieler Hinsicht vorprogrammiertes Chaos.
Fred kommt zu mir und sagt:
„Morgen Jo, schau dir bitte mal den Toten an. Kennst du ihn vielleicht?“
Ich folge ihm gleich zur Kläranlage. Ich betrachte mir den Toten genau. Die Kleidung kommt mir irgendwie bekannt vor, aber mit dem Gesicht kann ich nicht wirklich etwas anfangen, weil man kaum noch was davon erkennen kann. Nach kurzer Überlegung sage ich:
„Von der Kleidung her würde ich sagen, dass er gestern das Spiel hier mit angesehen hat.“
Dann schaue ich ihn mir eingehend an und untersuche ihn. Irgendwie habe ich das Gefühl ihn doch zu kennen, aber woher. Angestrengt überlege ich, während ich mir seine Sachen ansehe. Außer beim Fußball muss ich ihn schon mal gesehen haben. Beiläufig frage ich Fred:
„Weißt du wie er gestorben ist?“
„Schiebe die Jacke mal etwas höher und schau dir den Einstich genauer an. Der sieht aus, als ob man ihm eine Machete ins Kreuz gerammt hätte, aber sieh selbst mal, vielleicht fällt dir ja noch etwas auf.“
Als ich mir die Stichwunde eingehender ansehe, glaube ich auch erst, dass es von einer Machete sein könnte, so wie sie oft in Südamerika in den Urwaldgebieten vorkommt. Als ich schon fast Aufgeben will, bemerke ich doch noch etwas und sage:
„Fred komm mal her und sieh dir die Wunde genau an. Das kann das größte Schlachtermesser nicht anrichten. Siehst du hier diese Zacken ähnlichen Ausfransungen an der Wunde?“
„Ja du hast vollkommen Recht, muss ich wohl übersehen haben. Hab ja nicht mehr lange, nur noch bis Ende des Jahres. Wird auch langsam Zeit, ich bin zu alt dafür geworden. Aber was willst du damit sagen?“
„Solche Wunden verursachen nur Survival Messer, die aber hauptsächlich nur von der US Army verwendet werden, und zwar von Einzelkämpfer. Die Ausfransungen kommen von der Säge am Messer.“
„Wer sollte denn schon so ein Monstrum haben außerhalb der Armee?“
„Es gibt da eine zweite Möglichkeit: Entweder ist es ein Waffenfreak oder manche kaufen sich die Dinger auch im Army Second Hand Shop wie z.B. in Mayen oder vielen anderen Städten in Deutschland. Die haben solche Originale auch schon mal unter der Ladentheke.“
„Aber es wird doch keiner so dumm sein, es hier in der Gegend gekauft zu haben.“
„Geht auch nicht, denn für die Originale musst du schon in Städte wie Berlin, Frankfurt, Hamburg oder Köln fahren und selbst da ist es noch schwer an sie heranzukommen.“
„Also könnte es sein, das der Täter gar nicht von hier kommt.“
„Ich werde später mal mit Jessie telefonieren, sie ist gerade in den Staaten auf Besuch bei einer Freundin. Mal sehen ob irgendwelche Drogenlieferungen nach Deutschland gegangen sind in der letzten Zeit. Dann würde es nicht ganz so schwer sein den Käufer zu ermitteln, falls er es tatsächlich gekauft hat.“
„Okay, grüße sie von mir und melde dich so bald du etwas Näheres weißt.“
Ich mache mich wieder auf nach Hause, doch das Gesicht des Toten geht mir nicht mehr aus dem Sinn. Wenn ich einmal ein Gesicht gesehen habe, dann ist es auch wieder einzuordnen, egal wie zerschunden es ist. Ich muss nur erst mal ein paar Anhaltspunkte haben, wo ich anfangen kann. Was mich ganz besonders stutzig macht ist, das ich mir sicher bin, das der Mann woanders ermordet wurde und dann erst dorthin gebracht worden ist. Der Fundort ist auf keinen Fall der Tatort, dessen bin ich mir ganz sicher.
Sein Bild geht mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Sein Gesichtsausdruck, wenn man überhaupt davon reden kann, machte mir nicht den Eindruck, dass er überrascht wurde, sondern eher, dass er seinen Mörder kannte.
Keine Kampfspuren, keine Verkrampfungen – er musste ihn .....ja, warum nicht, oder sie gekannt haben. Vielleicht kannten sie sich sogar recht gut. Die meisten Menschen kennen sich hier recht gut, vor allem wenn sie zusammen aufgewachsen sind.
Als ich gegen Mittag noch einmal rausgehe um mir den Tatort in Ruhe anzusehen, kommt Frieda Jax, die lebende Bildzeitung von Demerath heraus und sagt:
„Hast du das heute Morgen gesehen was hier los war?“
„Mmh“, sage ich und nicke kurz um schnell weiter zu gehen, aber sie lässt nicht locker und meint:
„Armer Kerl der Frank Saxler, hat er nicht verdient, dass er so endet. Ich habe ihn immer gewarnt und gesagt er soll sich seinen Umgang besser aussuchen.“
Mit einem Mal fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Frieda hat Recht, es ist Frank Saxler der Bruder von Stefan Saxler. Warum bin ich da nicht gleich drauf gekommen? Klar, ich habe ihn vielleicht nur zwei oder dreimal gesehen. Also mache ich kehrt und setze mich ins Auto und fahre bei Stefan in Meiserich vorbei. Doch der ist nicht zu Hause. Zurück daheim versuche ich sofort Jessie zu erreichen. Ich wähle ihre Nummer und warte auf das Freizeichen. Manchmal hat man das Gefühl, das so ein Verbindungsaufbau ewig lange dauert. Doch gerade als ich auflegen will höre ich am anderen Ende eine mir vertraute Stimme und ich sage:
„Hallo Jessie wie geht es dir?“
„Schön, dass du anrufst, habe gerade an dich gedacht. Mir geht es gut, habe wenig Zeit und genieße den Rest der wenigen Tage die verbleiben zum Entspannen.“
Kurz erzähle ich ihr was passiert ist und bitte sie ganz höflich doch mal ihre alten Verbindungen spielen zu lassen. Sicher könne sie nachfragen, ob es sein kann das eine Ladung dieser Messer nach Deutschland gegangen ist.
Am Abend fahre ich dann nochmals zu Stefan Saxler, aber wieder nichts. Der Alois Schmitz, sein Nachbar, ein alter etwas seltsamer Eifelbauer meint nur als er mich sieht:
„Brauchst gar nicht zu schellen oder zu klopfen, den hab ich schon ein paar Tage nicht mehr gesehen. Habe schon seit fast einer Woche seine Katzen und den Hund gefüttert, kommt ja keiner die armen Kerlchen zu füttern.“
Ich drücke ihm zwanzig Euro in die Hand und bitte ihn sie bis auf weiteres zu versorgen. Erst schaut er mich an als wäre ich, das siebte Weltwunder, dann schaut er auf den Schein, grinst und.........packt zu.
„Ja, mach ich“, sagt er und geht Kopfschüttelnd in sein Haus zurück.
Irgendwann am späten Abend klingelt mein Telefon, zu meiner großen Freude ist es Jessie. Sie arbeitet immer wie der geölte Blitz. Das Fazit ist, das die echten Originale überhaupt nicht im Handel zu erwerben sind. Alles was man dort bekommt sind Imitate aus Asien, ganz besonders seit den „Rambo-Filmen“ mit Sylvester Stallone.
Ich bedanke mich, wünsche ihr noch einen schönen Aufenthalt und schicke einen dicken Kuss durch die Leitung, dann legt sie den Hörer auf. Ich frage mich, ob ich nicht irgendetwas übersehen habe. Ist das alles nur ein dummer Zufall oder gar ein ganz blöder Unfall gewesen? Und warum ist Stefan nicht zu Hause? Fragen über Fragen die einem durch den Kopf gehen.
Dann kommt mir bevor ich einschlafe doch noch eine Idee. Ich werde morgen einfach mit Kuchen zu Frieda gehen und mit ihr Kaffee trinken, sicher werde ich dabei mehr über Frank und seinen Bruder erfahren können. Es machte mir im Nachhinein den Eindruck, dass Frieda die beiden recht gut kennt. Trotzdem werde ich mir auch den Tatort nochmals ansehen und gründlich untersuchen. Sicher haben wir etwas übersehen und wenn es noch so klein und winzig ist.
Manches Mal kann ein Fall hier in der Eifel recht amüsant werden, weil es hier Dörfer gibt, wo jeder Zweite entweder Jax, Michels oder auch Saxler heißt. Die Eifelmentalität hat sich zwar durch die vielen zugezogenen aus dem Kölner Umland, dem Ruhrpott und aus Holland geändert, im Gegensatz zu der Zeit vor vierzig oder fünfzig Jahren. Das war die Zeit als der Dorfpfarrer und der Herr Lehrer noch das Gesetz waren, welche für Recht, Ordnung und Sittlichkeit sorgten, mehr oder weniger jedenfalls. Deshalb war es damals auch so schwierig für zugewanderte hier Fuß zufassen und sich zu integrieren. Heute ist das anders, heute lebt man nicht nur selber von den Fremden, sondern mit den zugezogenen und die ganze Region profitiert von dieser Entwicklung. Man ist offener für fast alles. Der Pfarrer hat eigentlich keinen echten Einfluss mehr auf die Bewohner seiner Gemeinde, außer auf die ganz Alten. Der Lehrer ist froh wenn er zufriedengelassen wird und seine Arbeit machen darf. Genau wie in der Stadt. Wenn jedoch die Politik etwas will, dann........ ja dann, wird wie früher die Kirche herangezogen, dann ist der Pfarrer immer dabei oder gar der Bischof. Man sichert sich so ein wenig Rückendeckung und hält sich die Kirche warm, irgendwann könnte man wieder die Stimmen der Kirche für eine Wiederwahl einsetzen.
Das alles hat dazu geführt das im Laufe der Zeit, auch hier in der Eifel, es nicht anders ist wie in den Städten. Korruption wie bei der Mafia, die Unmoral so sagen die Alten, ist wie in Sodom und Gomorrha, doch sonst ist das Leben hier sehr viel entschieden ruhiger.
Ein alter Mann sagte mir einmal:
„Selbst gestorben wird hier langsamer, man hat ja schließlich Zeit genug dazu.“
Am anderen Morgen mache ich mich nach dem Frühstück ganz unauffällig auf zur Kläranlage. Nach einigem Stöbern sehe ich Fußabdrücke die mir sonderbar erscheinen. Abdrücke die eindeutig von Springerstiefeln stammen und ein zweiter Abdruck von einem Basketballstiefel.
Soll ich jetzt daraus schließen dass es ein Neonazi oder etwa ein Skinhead war? Oder doch vielleicht ein GI?
Warum müssen manche Fälle so kompliziert erscheinen?
Wollte hier jemand bewusst eine falsche Fährte legen?
Einige in der Gegend kennen sich damit gut aus, weil hier viele Jagdgesellschaften abgehalten werden. Sei es nun mit den Freunden, Verwandten oder Geschäftsfreunden. Es wird Jagd auf Tiere oder auf Land gemacht, auf Geschäfte oder die Frau des Nachbarn.
Durch die vielen Städter gibt es natürlich auch viele Fremde, Jagdpächter die wie balzende Auerhähne vor ihren Freunden und Geschäftspartnern angeben und ab und zu in der Gegend zu einer Jagd einladen. Freizeitjäger halt!
Als ich mir noch einmal und das nun schon zum fünften oder sechsten Male den Tatort beschaue, bemerke ich tatsächlich ganz feine Schleifspuren von zwei Absätzen. Also habe ich richtig vermutet, der Tatort liegt woanders. Der Tote ist erst später hier abgelegt worden. Aber warum sollte der Eindruck erweckt werden das Frank Saxler hier ermordet wurde? Sollte das vom Täter ablenken?
Warum? Warum? Immer wieder dieses warum. Irgendjemand hat hier etwas zu vertuschen, und zwar muss das so viel sein, das er vor einem Mord nicht zurückschreckt. Aber was hat er zu vertuschen? Das ist hier die große Frage.
Also mache ich mich dann an diesem Nachmittag mit einigen Kuchenstücken auf und besuche Frieda. Als sie aufmacht sage ich:
„Lust auf ein Friedensangebot?“
Sie ist vollkommen sprachlos, was bei ihr eigentlich nie der Fall ist. Dann legt sie den Kopf etwas zur Seite, lächelt als wolle sie mich zwischen Tür und Angel in ihr Bett ziehen und sagt etwas abschätzend:
„Ja.....sieht gut aus.“
Als wir es dann geschafft haben in der Küche den Tisch zu decken und den Kaffee zu kochen, meint sie:
„Und womit habe ich das verdient?“
„Och ich war heute Morgen etwas kurz angebunden. Sagen wir eine kleine Wiedergutmachung?“
„Angenommen“, sagt sie und lacht.
Sie kichert verlegen weil sie vor Aufregung den Kaffee schon in die Untertasse gegossen hat. Nach einer Entschuldigung setzt sie sich auf die andere Seite des Tisches und genießt erst einmal den Kuchen und den Augenblick. Dann frage ich sie:
„Sag’ mal Frieda, was war der Frank eigentlich für ein Mensch? Du kanntest ihn ja anscheinend recht gut.“
„Nun ja ich kenne die ganze Familie sehr gut, jetzt muss man ja sagen ich kannte sie sehr gut. Seine Mutter war damals meine beste Freundin und sein Vater..........Na ja, der war halt mal mein größter Schwarm, aber das ist schon lange, lange her. Die beiden Jungen sind wie meine eigenen Kinder........... oder sagen wir lieber wie Neffen. Ihre Eltern kamen vor fast zwanzig Jahren bei einem mysteriösen Autounfall beide ums Leben. Seit dem wohnen, sorry wohnten die Jungen bei mir und ich habe sie großgezogen. Als sie beide 18 Jahre alt waren zogen sie gemeinsam auf den Hof ihrer Eltern, welcher bis dato vermietet war. Wenn sie nicht monatelang auf Tour sind leben sie dort und kommen mich regelmäßig besuchen.“
„Kannst du dir vorstellen, warum man Frank hätte umbringen können?“, frage ich.
„Ich habe mich immer gefragt, womit die Jungs ihr Geld verdienen, aber nie eine wirklich klare und direkte Antwort von ihnen erhalten. Das Erbe aus der Lebensversicherung gab es auf keinen Fall her, das sie dauernd auf Reisen gehen konnten, ohne zu arbeiten, das steht fest. Einmal habe ich Frank direkt gefragt, ob er etwa mit Drogen dealt oder Damen gegen Geld das Wochenende verschönert. Frank war ja verdammt hübsch, genau wie sein Vater in dem Alter“ sagt sie mit einem verträumten Lächeln im Gesicht. „Aber er hat nur gelacht und gesagt dass ich mir keine Gedanken machen brauche. Stefan ist so ein ganz anderer Typ als der Frank. Stefan ist eher der schüchterne, etwas verschlossene aber genauso lieb wie sein Bruder. Er kommt da eher auf seine Mutter, schüchtern aber risikobereit.“
„Was machen die Beiden beruflich, wenn ich fragen darf?“
„Nun Frank ist so etwas wie Künstler, er hat Kunst in Köln studiert und jetzt macht er Studien- und Fotoreisen in die ganze Welt. Stefan hat was Kaufmännisches gelernt und sich dann mit der Börse und Versicherungen eingelassen.“
„Wieso eingelassen?“
„Weil er damit mal schwer auf die Nase gefallen ist und das ist noch gar nicht so lange her. Er hat sich total verspekuliert und beinahe wäre der Hof weg gewesen, wenn Frank nicht im letzten Augenblick dahinter gekommen wäre und das Geld bezahlt hätte. Ja der Frank, das war schon immer ein feiner, ein ganz feiner Kerl, wie sein Papa.“
„Ich sehe eigentlich immer noch kein Motiv dafür dass Frank sterben musste.“
„Vielleicht ist es auch nur ein dummer Zufall, sodass Frank einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort war, oder nur verwechselt wurde.“
„Aber mit wem? Das ist die nächste Frage, die zu beantworten ist.“
„Jo darf ich dich um etwas bitten?“
Ich nicke.
„Finde den der das getan hat.“
„Das verspreche ich dir.“
Ich mache mich wieder auf den Weg, da es nun doch schon recht spät geworden ist. Für diesen Tag konnte ich eh nichts mehr tun. Die folgenden Tage muss ich damit verbringen mich in der Gegend, um zu sehen, nach irgendwelchen Spuren oder Anhaltspunkten zu suchen. Hoffentlich verläuft nicht alles irgendwie im Sand. Ist schon eine komische Geschichte.
Da wird einfach so ein junger Mann mit siebenundzwanzig Jahren ermordet ohne Motiv wie es scheint. Oder gibt es doch ein Motiv? Aber was für eines?
Fragen, fragen, fragen. Ich hasse solche Fälle, aber sie haben auch ihren Reiz. Man muss nur das Sehen was die Anderen übersehen haben und danach muss ich suchen.