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Arnd Lützeler     Sabina Berressem

Harmonietheorie

© 2018 Arnd Lützeler/ Sabina Berressem

Umschlaggestaltung, Illustration: Arnd Lützeler

Korrektur: Delia Machmüller

Herausgeber: Arnd Lützeler

Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN Taschenbuch: 978-3-7469-4246-9

ISBN Hardcover: 978-3-7469-4251-3

ISBN e-Book: 978-3-7469-4252-0

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für alle Menschen, zu denen wir in unserem Leben eine Beziehung aufbauen durften. Besonders seien hierbei unsere Eltern, unsere Ex-Partner und nicht zuletzt unsere Kinder genannt. Ihr alle habt uns zu den Menschen gemacht, die wir heute sind. Ohne Euch hätte es dieses Buch wahrscheinlich nie gegeben.

„Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim

Alten zu belassen und zu hoffen, dass sich etwas ändert“

Albert Einstein

Inhalt

Vorwort

Warum wir sind, wie wir sind

Reize

Das Zeitalter der hormonellen Umstellung

Die Medien-Eltern

Religionen, Kulturen und die Gesellschaft

Die rätselhafte, eigene Komponente

„Ich habe recht“

Auch Wahrheit ist relativ

...und nun?

Das Müll- und Geschenkproblem

Die Führungsrolle in Beziehungen

Der Gedankenleser

Geschlechterkommunikation

Das Zuhause der Angst: Das Unterbewusstsein

Unser Unterbewusstsein vergleicht

Die Angst und die Beziehungen

Das Gleiche ist eben nicht dasselbe

Lügen

Normale und stille Kompromisse

Menschen können sich nicht ändern, nur ihr Verhalten

Gut und Böse, Richtig und Falsch

Der Fehlermythos

Schuld

Das Festhalten an der Vergangenheit

Selbstwertverlust – Wir halten uns selbst für schlecht

Die angstbasierte Lüge vom Alleinsein

Die Frustration und der Verlust des Menschseins

Ein Lösungsansatz

Epilog

Vorwort

Als wir uns kennenlernten fanden wir schnell heraus, dass wir eine Gemeinsamkeit hatten. Menschen kamen zu uns, um uns von ihren Problemen zu berichten. Das waren nicht nur Freunde oder Bekannte, denn manchmal wurden wir auch in der Bahn oder sonst wo von wildfremden Menschen angesprochen, die scheinbar irgendwie das Bedürfnis zu verspürten, uns ein wenig über sich und ihre derzeitige Situation zu erzählen. Es zeigte sich, dass die meisten dieser Leute dasselbe bedrückte. Sie waren unzufrieden mit ihrem Leben, ihrer Arbeit, mit ihren Beziehungen. Sie waren unglücklich. Oftmals konnten wir diesen Menschen tatsächlich gute Ratschläge geben und ihnen kurzfristig helfen. Doch leider zeigte sich recht schnell, dass die Umsetzung der Ratschläge, die wir diesen Menschen gegeben hatten nicht sehr lange anhielt. So fiel mir bei ein paar meiner Freunde auf, dass sie sehr schnell wieder in alte Muster verfielen und sich mit denselben Problemen herumschlugen.

Einige kamen dann nach einer Zeit freudestrahlend an und erzählten, dass sie nun endlich in irgendeinem Buch ihre Lösung gefunden hätten. Diese gelesenen Lösungen kamen uns zumeist jedoch allesamt allzu bekannt vor. Denn sie waren fast immer nahezu identisch mit den Ratschlägen, die wir selbst diesen Menschen gegeben hatten. Doch auch die gelesene Fassung der möglichen Problemlösung hielt nicht lange an. Bereits kurze Zeit später standen diese Menschen wieder vor dem Berg an zwischenmenschlichen Problemen, der für sie unbezwingbar erschien. Schnell drängte sich bei uns die Frage auf: Was fehlte diesen Menschen, damit sie die Dinge, von denen sie selbst anfangs dachten, dass es der richtige Weg für sie sei, dauerhaft umsetzen konnten?

Durch unsere Berufe hatten wir glücklicherweise die Gelegenheit, mit sehr vielen unterschiedlichen Menschen über Beziehungsproblematiken und deren potentiellen Ursachen zu sprechen. Vor allem auch darüber, warum es vielen so schwerfiel, ihre eigenen Gewohnheiten teils nur ein kleines bisschen zu verändern, um so möglicherweise glücklicher zu werden. Zudem habe ich in meinem Beruf zumindest ansatzweise mit den Theorien über die Funktionsweise des menschlichen Gehirns, Kommunikationsmodellen und Empathie zu tun, weswegen ich mich schon länger mit dem menschlichen Verhalten untereinander beschäftigte. Somit fügten sich nach und nach immer mehr Puzzlestücke zusammen, die bei uns nicht nur dazu führten, uns allmählich die Probleme innerhalb menschlicher Beziehungen begreifbar zu machen, sondern auch noch zu erklären schienen, warum man seine eigenen Gewohnheiten so schwer ändern konnte. Der Grund für die Probleme innerhalb unserer Beziehungen und der Grund dafür, dass wir die richtigen Wege oftmals nicht beschreiten können, schien derselbe zu sein.

In der Folge entstand die Idee, die alltäglichen Dinge und Gespräche innerhalb einer Beziehung durch die Perspektive des jeweiligen Geschlechtes (ausnahmsweise einmal, ohne dabei unterbrochen zu werden) darzustellen, um so einen Einblick in die „andere Art zu denken“ zu ermöglichen. Wir erhofften uns durch die Sichtweise des Anderen die Ursache für all dies zu finden, indem wir zusammen ergründen wollten, woher unsere Ansichten und unsere Vorgehensweisen kamen. Am Ende hatten wir immer mehr das Gefühl, den Anderen tatsächlich besser verstehen zu können. Mit der Zeit wurden uns dadurch nicht nur die Ursachen unserer aktuellen alltäglichen Probleme, sondern auch die aus allen unseren vorangegangenen Beziehungen immer bewusster.

Letztlich wurde uns nach alledem klar, dass Alles, Kommunikation, Denkweise, unterschiedliche Erfahrungen, die daraus entstandenen unterschiedlichen neurologischen Verknüpfungen, Erziehung und jede Beziehung in unserem Leben zu den Problemen führte, mit denen wir uns die meiste Zeit unseres Lebens herumschlagen müssen. Gleichzeitig führten dieselben Gründe aber auch dazu, dass wir es nicht einfach ändern oder gute Ratschläge einfach so annehmen konnten. Die Situation schien verzwickt.

Je mehr wir uns also mit diesem Thema befassten, umso klarer wurde, dass wir weit ausholen mussten. So weit, dass man es nicht einfach mit einem kurzen Gespräch oder ein paar wenigen Sätzen erklären konnte. Folglich blieb uns gar nichts anderes übrig, als unseren Lösungsansatz zu verschriftlichen.

Dieses Buch stellt demnach den Versuch dar, diese ganzen verschiedenen Dinge zusammenführen, die unserer Ansicht nach für das Verständnis von Beziehungen nicht losgelöst voneinander betrachtet werden dürfen. Denn nur, wenn man das „Warum“ versteht, hat man die Chance, den Partner oder welchen Menschen auch immer in seinem Leben tatsächlich als Individuum zu begreifen. Auf dieser Basis ist man dann in der Lage, für sich selbst und für den anderen einen gemeinsamen Weg zu finden, ohne leiden zu müssen. Sei es, den gemeinsamen Weg zu optimieren, oder diesen guten Gewissens zu beenden, weil die Unterschiede einfach zu groß sind. Sie werden also mehr zu lesen bekommen als nur Theorien oder Ansichten über Verständnis, Toleranz oder Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Es geht um uns Menschen, um unser Leben, das von Anfang an ausschließlich von Beziehungen beeinflusst ist, die ihrerseits durch sämtliche zuvor gesammelten Lebenserfahrungen jedes Menschen der an der Beziehung beteiligt ist, geprägt sind.

Diese Erkenntnis ist zugegebenermaßen nicht gänzlich neu, aber für uns war sie gleichbedeutend mit einer Fülle an Themen, die bedacht werden mussten, um das eigentliche Problem zu verstehen und die Frage nach dauerhaften, nachhaltigen Lösungswegen beantworten zu können. Uns war klar, dass dieses Geflecht, welches jeden einzelnen von uns Menschen ausmacht, entschlüsselt werden musste, damit die eigentlichen Ursachen von Problemen in Beziehungen entlarvt werden konnten.

Denn es gibt kein Pauschalrezept für das Führen einer guten Beziehung. Die Probleme ähneln sich zwar häufig, aber sie sind trotzdem sehr verschieden. Einfach deswegen, weil sie allesamt auf den unterschiedlichsten, individuellen Erfahrungen der Beteiligten in der jeweiligen Beziehung basieren. Der in unseren Augen einzige Weg hin zu einem harmonischen Miteinander kann deswegen nur der sein, zu verstehen, warum wir selbst so sind wie wir sind und warum es uns so schwerfällt, Dinge in unserem eigenen Leben zu ändern. Denn nur, wenn man das wirklich begriffen hat versteht man mit einem Mal plötzlich auch, warum der jeweils Andere so ist, wie er ist. Warum er in Situationen, die Sie so oft nicht nachvollziehen können, so handeln muss wie er es tut. Warum er sich im Grunde nur mit den exakt gleichen Problemen in seinem Leben herumschlägt wie Sie.

Wir sind davon überzeugt, dass die Erfahrungen, die Sie durch dieses Buch sammeln können das Potential besitzen, Ihr Leben und Ihre Beziehungen zu anderen Menschen positiver gestalten zu können. Vielleicht ist es sogar der Schlüssel für eine harmonische Beziehung, den Sie immer gesucht haben. Doch eines sollte Ihnen klar sein: Sie können Ihre Beziehung nicht durch bloßes Lesen schöner und harmonischer machen. Das können Sie nur selbst tun. Durch bewusstes Handeln. Insofern zeigt Ihnen dieses Buch zunächst nur einen Weg auf, den Sie nach und nach selbst beschreiten müssen. Doch im Gegensatz zu Anderen nehmen wir Sie auf einen kleinen Umweg mit. Um nämlich das komplexe System wirklich zu begreifen, welches hinter unseren Beziehungen steht, müssen wir uns weit mehr Bereiche und Dinge des Lebens genauer ansehen, als sie nun vielleicht denken. Möglicherweise werden sie sich auch das ein oder andere Mal wundern, doch am Ende werden Sie genau das erfahren haben, was Sie aus unserer Sicht für das erfolgreiche Angehen des Lösungsweges benötigen. Versprochen. Einiges wird Ihnen dabei vielleicht schon bekannt vorkommen, anderes wohl vermutlich eher nicht.

Dieses Buch wird nicht Sie ändern, wohl aber Ihre Einstellung zu den Ansichten und Meinungen anderer Menschen. Genau darin liegt die Lösung aller Probleme. Sie werden es erfahren.

Warum wir sind, wie wir sind

„Warum streiten wir uns andauernd?“ Ich denke, Sie kennen diesen Gedanken. Ich kenne ihn sehr gut, da er mir in meinen früheren Beziehungen sehr oft durch den Kopf ging. Denn ich will und wollte nie streiten. Ich wollte immer Harmonie in meinem Leben. Zudem ist es für mich als Mann sowieso mein höchstes Ziel, Ruhe zu haben. Zumindest dann, wenn ich mich in meinem geschützten Bereich befinde, in dem ich Energie tanken will. Bei meiner Partnerin, in meinem zu Hause.

Wenn es dann in einer Beziehung mal nicht so lief, habe ich oft an die Pubertät zurückgedacht. Jene Zeit also, in der wir Menschen so allmählich Interesse für das andere Geschlecht entwickeln. Als heranwachsender Junge habe ich mich jedes Jahr auf die Freibadsaison gefreut, um dann eben ab und an auf dem Bauch liegen oder eben etwas länger im Becken bleiben zu müssen. So lange, bis man „Es“ im weiteren Verlauf seines noch jungen Lebens dann irgendwann zum ersten Mal tat.

Gut, danach lag ich zumeist immer noch ab und an im Schwimmbad auf dem Bauch, wie eben viele junge Männer auch. Sollten sie sich manchmal also fragen, warum ihr Mann oder ihr Freund partout noch im Wasser bleiben möchte, dann gehen sie einfach davon aus, dass es ganz sicher etwas mit ihnen zu tun hat. Doch auch das lässt dann irgendwann nach. Das hat jedoch nicht unbedingt damit zu tun hat, dass wir unsere Partnerin nicht mehr attraktiv finden. Viel mehr lernen wir es einfach nur irgendwann in den Griff zu bekommen.

Aber bis zu diesem „ersten Mal“ sind Frauen für den werdenden Mann einfach etwas Mystisches und es wäre falsch zu behaupten, dass damals neben Sympathie nicht auch eine gehörige Portion Testosteron eine entscheidende Rolle gespielt hätte. Zumindest mehr, als es das im späteren Verlauf unseres Lebens tut. Sicher ging es uns auch irgendwie um Liebe. Aber die ist in diesen Tagen doch irgendwie anders gewesen. Sie war neu, interessant, nebulös und man wollte dieses Unbekannte, was man über Jahre seiner Kindheit im Grunde genommen einfach nur überhaupt nicht mochte, plötzlich kennenlernen. Genau kennenlernen.

Wenn ich mich also wieder einmal so richtig mit meiner Partnerin gestritten hatte, fragte ich mich häufig, ob das nicht ein Fehler im Programm sei. Wieso entwickeln wir diese Gefühle zum anderen Geschlecht, wenn es dann irgendwann später im Erwachsenenleben dazu führt, dass wir uns gegenseitig an die Kehle springen wollen? Wo zum Teufel war der Zauber hin?

Gut, es war und ist nicht immer alles schlecht, aber geschlechtliche Meinungsverschiedenheiten ziehen sich durch unsere Beziehungen wie ein roter Faden. Hierbei gibt es dann zwar auch die schöne Theorie, dass Streitigkeiten innerhalb einer Beziehung doch das „Salz in der Suppe“ seien, und ja, „Versöhnungssex ist der schönste“. Aber sind wir doch ehrlich, wer streitet sich schon wirklich gerne? Ich rede hier nicht von einer netten, impulsiveren Gangart, wie sie vor allem auch im mediterranen Raum verbreitet ist. Sie haben das vielleicht mal erlebt, Sie sind irgendwo in Italien bei Freunden zu Gast, die sich dann zwischendurch in ihrer Landessprache offenbar die übelsten Dinge um die Ohren werfen. Wenn Sie dann kurz davor sind, hinter den nächsten Tisch zu springen, um den bevorstehenden Tellerwürfen zu entgehen, erntet man aufgrund seines verängstigten Verhaltens nur verständnislose Blicke, da ja nur die Einkaufsliste geplant wurde.

Nein, ich rede von der Art Streit, bei dem man seinen Partner oft aus einem Unverständnis für diesen tief verletzt und man auch selbst aus dem gleichen Grund heraus verletzt wird. Meinungsverschiedenheiten also, die häufig mit den Unterschieden zwischen Mann und Frau begründet werden. Die wir in diesen Streitereien eigentlich nie richtig lösen. Zumeist kommen wir darin irgendwann an den Punkt, dass man nicht mehr streiten möchte. Oder wir erinnern uns plötzlich daran, dass es ja auch einen Grund gibt, weswegen man sich den Anderen zum Partner ausgesucht hat. Dann, ja dann lieben sich manche zur Versöhnung, aber das Problem bleibt trotzdem bestehen, und es wartet so lange im Untergrund, bis es erneut herausbricht. Manchmal dann noch schlimmer als zuvor. Mit der Zeit vergessen wir dann immer mehr, warum wir uns ausgerechnet diesen Partner ausgesucht haben und die Beziehung endet in irgendeiner Form der Frustration.

Derartiges erleben wir so oft, dass uns dieses Problem komplett aussichtslos zu sein scheint. Doch ist es das tatsächlich? Nun, zugegeben, zu diesem Thema gibt es Meinungen wie Sand am Meer. Wenn man diese Meinung dann noch in gedruckter Form auf Papier bringt, glauben viele, die dieser Meinung dann ein paar Wochen mit der Gewissheit folgen, es nun endlich begriffen zu haben. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem das Buch dann den Weg über das Bücherregal und dem Karton im Keller zum Flohmarkt oder zum Altpapiercontainer gefunden hat. Das liegt ganz einfach daran, dass wir Meinungen von anderen Menschen nicht einfach glauben können. Dafür bräuchten wir nämlich eine Unmenge an Vertrauen dem anderen gegenüber. Doch es ist eher selten, dass wir einen Menschen treffen, bei dem dies so ist.

Nein, wenn wir wirklich etwas lernen und Erfahrungen sammeln wollen, dann ist tatsächlich wesentlich mehr erforderlich. Eine große Hilfe wäre es hier, wenn wir genau wüssten, wie der Andere tickt. Doch dafür würde es schon eines Einblickes in seinen Kopf bedürfen. Nein, bitte legen Sie das Beil wieder zur Seite und versuchen Sie, diesen womöglich gerade bestehenden inneren Drang für die nächsten paar Stunden nicht nachzugeben. Denn ein solcher Einblick geht selbstverständlich nicht wortwörtlich. Aber vielleicht ist es auf andere Art und Weise möglich, diesen Einblick zu bekommen. Schauen wir uns in diesem Zusammenhang einfach einmal an, wie wir Menschen uns im Verlauf unseres Lebens entwickeln. Genauer gesagt, wie wir Erfahrungen sammeln und welche Bedeutung diese für uns haben.

Für uns Menschen ist es von Beginn an leicht, Erfahrungen zu machen. Denn diese sammeln wir in der Hauptsache über Beziehungen. Was das betrifft, haben wir Glück. Denn wir Menschen leben von Anfang an in Beziehungen. Ständig, egal ob partnerschaftliche, familiäre oder berufliche Beziehungen, Interaktion mit Anderen bestimmen ständig unser Leben. Das beginnt bereits vor unserer Geburt. Damit meine ich nicht nur jene wunderbare, sternenklare Nacht am Strand von Irgendwo, von der Vater oder Mutter oftmals erzählen, während man sich innerlich an das andere Ende des Universums wünscht und verzweifelt versucht, diese Bilder wieder aus dem Kopf zu bekommen, die langsam in ihren Gehirnwindungen den Weg dahin suchen, wo über Übelkeit und Erbrechen entschieden wird.

Es geht vielmehr darum, ob die Beziehung unserer Eltern zu diesem Zeitpunkt wirklich so gefestigt war, dass sie bereit dazu waren, Eltern zu werden. Doch diese Frage wird fast immer erst dann beantwortet, wenn wir schon geboren sind. Und auch davon hängt ganz entscheidend ab, wie sich die Beziehung unserer Eltern zu uns gestaltetet. Denken Sie beispielsweise an die vielen alleinerziehenden Elternteile, bei denen sich der Vater, aber auch ab und an die Mutter aus dem Staub gemacht haben, weil sie diese Art von Verantwortung einfach nicht mit ihrem bisherigen Leben in Einklang bringen konnten. Alleine das hat bei diesen Kindern schon einen massiven Einfluss auf die Parameter für deren weiteres Leben.

Doch noch bevor ein derartiges Ereignis den Lauf unseres weiteren Lebens beeinflussen könnte, wurde dieses bereits an anderer Stelle massiv durch unsere Eltern, genauer gesagt durch unseren Vater beeinflusst. Denn während wir im Grunde genommen gerade erst im Mutterleib angekommen waren, wurde bereits unser Geschlecht bestimmt. Wahrscheinlich eine der gewichtigsten Ereignisse im Hinblick auf den Verlauf unseres gesamten weiteren Lebens.

Zudem haben wir bereits unsere erste existentielle Beziehung, nämlich die zu unserer Mutter im Mutterleib. Ohne diese wären wir gestorben noch bevor wir überhaupt geboren wären.

Während hierbei jedoch der von der Natur vorgegebene Ablauf immer noch einigermaßen gut funktioniert, wir relativ ungestört zu einem nahezu vollständigen menschlichen Wesen heranreifen können und allenfalls wir es sind, die auf das Leben, den Schlafrhythmus und ganz allgemein den Tagesablauf unserer Mutter prägen, so ändert sich dies schlagartig mit unserer Geburt. Nun sind wir mittendrin im Netz der Beziehungen zu anderen Menschen, dem wir uns im Laufe unseres Lebens nicht mehr entziehen können.

Zugegeben, dies klingt zunächst irgendwie negativ. Dabei sind diese Beziehungen keinesfalls immer eine Belastung für uns. Im Gegenteil, denn sehr häufig profitieren wir von Beziehungen. Sie sind für uns oft sogar überlebenswichtig. Dies gilt sicherlich im Besonderen für Kinder und Heranwachsende, auch wenn nun der ein oder andere Pubertierende sein geistiges Veto einlegen wird und verzweifelt nach einer Tür sucht, die er nun trotzig zuschlagen kann. Doch ohne unsere Eltern würden wir in unseren ersten Jahren verhungern und verdursten. Genau diese „materielle Beziehung“ erhält uns am Leben.

Aber neben diesen Abhängigkeitsbeziehungen gibt es eben auch die zwischenmenschlichen, die persönlichen, die, welche uns vom Babyalter an prägen und gegen die wir uns nicht wehren können. Hier könnte man meinen, dass der Schlamassel beginnt. Und Sie dürfen mir glauben, es wird schwierig auf diesem Planeten auch nur einen Therapeuten zu finden, der die Ursache menschlicher Probleme nicht zunächst in Erfahrungen oder Prägungen der Kindheit oder Jugend vermutet, die durch irgendeine Beziehung entstanden sind.

Dies ist auch nicht von der Hand zu weisen. Denn wie Sie bestimmt schon des Öfteren gehört haben, alles, was wir als unsere Probleme bezeichnen, entsteht durch Beziehungen zu anderen Menschen. Insbesondere in unserer Kindheit und Jugend. Ich befürchte jedoch, dass Sie sich über die Tragweite dieser Tatsache im Hinblick auf Ihr eigenes Leben nur unzureichend bewusst sind.

Hierzu ein kleines Beispiel. Was glauben Sie, warum Männer den Ruf haben, bei jeder noch so kleinen Erkältung eine Nahtoderfahrung zu machen? Gut, das trifft bei leibe nicht auf alle Männer zu und ich habe auch schon erlebt, dass dieses pauschale Vorurteil gerade auch von den Frauen verbreitet wurde, denen man im Krankheitsfalls ebenfalls etwas zu schreiben reichen musste, damit sie ihren letzten Willen zu Papier bringen konnten. Aber wo kommt dieses Verhalten her?

Nun, die naheliegendste Antwort ist oftmals die Richtige: Diese Menschen sind so erzogen worden. Zwar haben es einige Menschen in unserer Gesellschaft bereits vergessen, aber die Zeiten des Patriarchats sind noch nicht allzu lange vorbei. Aber auch, wenn die Gleichberechtigung der Frau in den letzten vierzig Jahren in Deutschland große Fortschritte gemacht hat, so befinden wir uns dennoch allenfalls in einer Art Übergangsphase. Wie sollte es auch anders sein, denn glauben Sie, dass man eine Jahrtausend andauernde Hierarchiestruktur innerhalb einer Gesellschaft mal eben umkrempeln kann? Insofern ist es nicht verwunderlich, dass in vielen Köpfen immer noch der Gedanke des „Stammhalters“ herumgeistert.

Meine Mutter beispielsweise konnte bis zu ihrem Tod nicht verstehen, warum ich nicht darauf bestanden habe, dass meine Kinder meinen Nachnahmen führen. Ich trage also die Last mit mir herum, für das Verschwinden unserer Namenslinie verantwortlich zu sein.

Ich weiß natürlich nicht, was Sie getan hätten, aber ich weiß, dass es meine Kinder sind. Nachnamen und Namenslinien sind mir persönlich völlig egal. Das liegt wohl auch daran, dass ich bereits einer Generation angehöre, bei der der Emanzipationsgedanke, also der beginnende Umbruch der Gesellschaft bereits stattgefunden hat. Bei meiner Mutter war das selbst als Frau noch nicht der Fall.

Auch heute gibt es noch viele Familien, denen derartiges wichtig ist, und dort wird der „Thronfolger“ eben besonders geschützt. Er darf „nicht sterben“, auch, wenn er hoffentlich in der realen Welt immer weit davon entfernt ist.

So springen die Eltern beim kleinsten Kratzer hilfeschreiend empor und leben ihren Schutztrieb aus. Nicht, dass wir uns hier falsch verstehen, wir haben selbstverständlich die Verantwortung, uns um unsere Kinder zu kümmern und für sie da zu sein. Insbesondere auch dann, wenn sie sich verletzen. Aber haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, warum an so vielen Spielplätzen der Boden mit Sand oder mit Rindenmulch befüllt ist und nicht mit Beton? Glauben Sie mir einfach, aus fünfzig Zentimeter Höhe wird sich Ihr Sprössling nichts tun, wenn er in den Sand fällt. Das gehört zu dem Plan der Leute, die solche Spielplätze konstruiert haben.

Aber die eigentliche Wurzel des Übels ist der Gefahrenradar dieser Eltern. Ich habe einmal einen dreijährigen Jungen völlig sicher in relativ hohem Tempo einen abschüssigen Weg mit seinem Roller herunterfahren sehen. Als die Mutter ihm zurief, er solle aufpassen und nicht fallen, erschrak der Junge kurz und drehte seinen Kopf nach links, um Blickkontakt mit seiner Mutter herzustellen. Gleichzeitig bewegten sich seine Arme in entgegengesetzter Richtung zum Kopf, was im Bewegungsfluss eines Menschen völlig normal ist.

Somit verriss er den Lenker und knallte im vollen Tempo auf den Beton.

Jetzt geschah aber erst das eigentliche Übel, und wenn Sie selbst Kinder haben, ist es Ihnen vielleicht auch schon einmal aufgefallen. Der Junge hatte sich offenkundig weh getan, aber er weinte nicht. Noch nicht. Er sah zunächst zu seiner Mutter und wartete einen kurzen Moment ab, wie sie reagieren würde. Da diese aber schon auf ihn zulief und den Namen Ihres Sohnes verängstigt und voller Sorge schrie, hatte der Junge in Bruchteilen von Sekunden realisiert, dass es jetzt wohl an der Zeit sei, mit dem Schreien und Weinen zu beginnen.

Die Mutter konnte stolz auf ihren Sohn sein, denn ohne, dass sie es bewusst wollte, hatte er von ihr etwas gelernt. Oder besser gesagt, es wurde eine Erfahrung in seinem Schmerzzentrum abgespeichert. Denn er wusste ab diesem Zeitpunkt, dass dieses bislang noch nicht genauer definierte Schmerzgefühl, welches er nach dem Sturz sicherlich gehabt hatte, wohl ein besonders schlimmes sein müsse.

Eine ähnliche Lernerfahrung finden sie auch in anderen Situationen. So kann es sein, dass sie häufiger und vor allem regelmäßiger auf Toilette müssen als andere Menschen, was nicht zwingend immer eine physiologische Ursache haben muss. Fragen Sie doch mal Ihre Mutter oder Ihren Vater, wie sie es damals geschafft haben, Sie ans Töpfchen zu gewöhnen. Einige Eltern versuchen ihre Kinder nämlich trocken zu bekommen, indem sie sie zu regelmäßigen Zeiten, auch in der Nacht auf das Töpfchen setzen und so lange warten, bis etwas kommt. Das spart dann zwar schnell die Kosten für Windeln, sorgt aber auch dafür, dass ihr Gehirn selbst bei geringen Füllständen ihrer Blase Alarm schlägt. Das wurde ihnen ja genauso beigebracht, und selbstverständlich nur mit den besten Absichten.

Eltern programmieren also durch ihr Verhalten ihre Kinder in entscheidender Weise. Insofern ist es auch überhaupt nicht verwunderlich, dass die Stammhalter dieser Welt auch nur bei der kleinsten Schramme aufgrund entsetzter Blicke zu dem mutiert sind, was bei ihnen zu Hause vielleicht zurzeit an 36,8 Grad „Fieber“ und leichtem Schnupfen verstirbt. Seien sie nachsichtig, denn er empfindet es wirklich so. Aber nicht, weil er leiden will, sondern einfach nur, weil es ihm beigebracht worden ist. Bedenken Sie zudem, durch die vielen Einzelkinder sind in den letzten Jahrzehnten auch viele Frauen zu einer Art modernen Stammhalter geworden, und die habe ich auch schon in ähnlicher Weise leiden sehen.

An den genannten Beispielen sehen Sie sehr deutlich, wie unsere frühkindliche Beziehung zu unseren Eltern, unsere geistige Entwicklung und der Entwicklung zu dem Menschen, der wir sind, im Zusammenhang steht.

Aber sehen wir uns noch etwas Anderes an. Die Tatsache nämlich, dass sich im Grunde genommen niemand von uns an seine ersten drei Jahre erinnern kann. Dies liegt einfach daran, dass sich damals unser Langzeitgedächtnis erst noch entwickeln musste.

Doch wenn man sich die genannten Beispiele genauer ansieht, könnte man fast meinen, dass der Grund für diese verzögerte Gedächtnisentwicklung derjenige ist, dass unser Gehirn in dieser frühen Zeit unserer Entwicklung mit etwas Anderem beschäftigt ist. Mit dem Aufspielen einer Art Grundprogramm, welches dafür verantwortlich ist, mit welcher Intensität wir dann den Rest unseres Lebens bestimmte Reize wie Schmerz oder Harndrang wahrnehmen.

Was nach heutigem Stand der Forschung mehr oder weniger gesichert ist, ist, dass sich die Nervenfasern unseres Gehirns bis zu unserem zweiten Lebensjahr quasi vollständig „entwickelt“ haben. Zumindest die Grundstruktur. Auch, wenn sich diese bis zum Erwachsenenalter noch ein paar mal umbaut oder spezialisiert, könnte man so trotzdem sagen, dass bereits im frühen Kindesalter der genetische Bauplan unseres zentralen Nervensystems soweit fortgeschritten ist, dass nach der Vorinstallation nun mit dem Beginn der Installation des Betriebssystems begonnen werden kann.

Selbstverständlich sind wir dann noch keine Einsteins, auch wenn dies einige Eltern immer ganz gerne über ihre Kinder behaupten. Doch alleine diese Aussage beweist im Grunde nur Einsteins Relativitätstheorie, insofern möchte ich diesen Eltern auch nicht widersprechen. Gemessen an ihnen selbst mögen diese Kinder wie Genies wirken. Alles ist eben relativ.

Nur die anatomischen Voraussetzungen reichen einfach nicht. Wie ein Computer, der auf unserem Schreibtisch steht, brauchen wir genügend Speicherkapazität und natürlich Programme, die unser Gehirn nutzen. Diese gespeicherten Programme, die Software unseres Lebens, ist der zweite wichtige Teil, ohne den das Gehirn nicht das volle Potential ausschöpfen kann. Diese Programme sind das Ergebnis der Prägungen all unserer Beziehungen, dem Erlernten durch Erfahrungen, der Imitation unseres Umfeldes und das alles von unserer Geburt an bis zum Tod

Reize

Doch was genau geschieht nun in unseren Beziehungen, damit unsere Programme aufgespielt und Erfahrungen gesammelt werden, die uns prägen und somit aus uns einen individuellen Menschen machen, der ständig auf diese Erfahrungen zurückgreifen kann? Nun, dazu benötigen wir zunächst einmal Reize.

Reize, die unsere Sinnesorgane wahrnehmen können. Reize, die wir fühlen, sehen, hören, die wir schmecken können. Dabei haben wir Glück, denn wir werden geradezu überschüttet mit Reizen und das von Anfang an. Überschüttet im wahrsten Sinne des Wortes, denn alleine in einem einzigen Augenblick nehmen wir alleine in unserem Unterbewusstsein einige Millionen Informationen nur über unsere Sinnesorgane auf.

Allerdings sind diese nicht immer für uns interessant. Stellen Sie sich zum Beispiel eine Raufasertapete vor. Sie werden alleine bei diesem Anblick die Struktur mit allen Fasern erfassen. Sie sehen alles, trotzdem werden Sie nur einen Augenblick später nicht mehr wissen, wie diese Struktur ausgesehen hat. Es wird als ein Reiz abgespeichert, nämlich, dass es sich um eine Raufasertapete handelt. Jedes weitere Merkmal ist für uns uninteressant und wird quasi umgehend gelöscht. Das ist auch gut so, denn ansonsten würden wir aufgrund der alltäglichen Reizüberflutung was das Speichern von Informationen anbelangt sehr schnell an unsere Grenzen gelangen. Gespeichert wird also erst einmal das, was für unser Leben ausreicht, beziehungsweise das, was uns in irgendeiner Form interessant vorkommt.

Was genau bei uns den Ausschlag dafür gibt, was wir interessant oder uninteressant finden, darüber können wir nur mutmaßen. Das tun Eltern auch, ebenso Verwandte und Bekannte. So überhäufen sie den neuen Erdenbewohner von Anfang an mit Kuscheltieren, Mobiles, Puppen und anderen Spielsachen, die von den Eltern entweder nach ein paar Wochen im Keller in einem Karton verstaut, oder aber irgendwann wenn die Zeit gekommen ist in dem großen schwarzen Sammelbehälter gelagert werden, der in der Regel alle zwei Wochen geleert wird.

Doch einige dieser Sachen bleiben eine Zeitlang bei dem Kind. Zum einen die, für die sich das Kind am meisten zu interessiert scheint und mit denen es sich tatsächlich beschäftigt. Zum anderen aber gerade auch die Dinge, die für unsere Eltern einen besonderen Reiz haben oder ihren Vorstellungen am ehesten entsprechen. Damit soll ihr Sprössling spielen. Kriegsspielzeug, Plastikwaffen oder Minisoldaten werden so oftmals von vornherein aus dem Kinderzimmer verbannt, genauso wie Plastikspielzeug oder andere Dinge, die zugegebenermaßen oft tatsächlich einfach nur Müll sind. Auch die Gestaltung des Kinderzimmers ist von unseren Eltern generalstabsmäßig geplant. Zumeist geschlechtsspezifisch, wie man es halt kennt: Rosafarbene Tapeten für die Mädchen mit Prinzessinnenbordüren, blaue für die Jungs mit Automobilen oder Fußbällen.

Egal, wo wir also hingucken, wir werden überall Reizen ausgesetzt und unsere Eltern bestimmen von Anfang an, welche das sind.

Nun gibt es eine Studie1, bei der untersucht worden ist, ob neben der Prägung durch frühkindliche Reize vielleicht doch noch irgendetwas Anderes eine Rolle spielt, wenn es darum geht, welche Reize uns am ehesten interessieren. Dabei wurde bei Mädchen und Jungen im Alter zwischen neun Monaten und drei Jahren versucht, herauszufinden, ob das Geschlecht einen Einfluss auf die Wahl zwischen Puppe oder Auto hat. Dies wurde von den Forschern nach Beendigung der Studie bejaht. Wir können also gar nichts für unsere Vorlieben, sie sind uns in die Wiege gelegt. Zumindest dann, wenn wir dieser Studie glauben.

Ich habe da allerdings meine Zweifel, ich hoffe sogar inständig, dass diese Studie nicht repräsentativ ist. Denn das würde bedeuten, dass die kleinen Probanden in ihren ersten Jahren in einem, wahrscheinlich sterilem Zimmer ohne jeglichen Kontakt zur Außenwelt aufgewachsen wären. Denn nur dann wären frühkindliche, geschlechtsspezifische Prägungen durch die Eltern bei den untersuchten Kindern ausgeschlossen und das Ergebnis als solches irgendwie nachvollziehbar und repräsentativ. Die Studie fand jedoch in einem Kindergarten statt, mindestens neun Monate nach der Geburt.

An einer weiteren Studie2, die das Ergebnis der erstgenannten vermeintlich bestätigte, wurde erklärt, dass für unsere genetische Spielzeugselektion wahrscheinlich die Androgene verantwortlich seien. Konkret das Geschlechtshormon Testosteron. Begründet wurde dies, dass Mädchen, die im Mutterleib vermehrt dem männlichen Geschlechtshor mon ausgesetzt gewesen seien, auffällig oft Verhaltensweisen an den Tag legten, die eher den Jungen zugeordnet werden.

Jetzt weiß ich natürlich nicht, auf wie viele Mädchen eine derartige hormonelle „Anomalie“ zutrifft. Doch, wenn ich mich beispielsweise an meine Grundschulzeit erinnere, dann wurde ich insgesamt von drei Mädchen aus meiner Klasse verprügelt. Einfach so, scheinbar nur, weil sie es konnten. Insofern habe ich aus diesen ganz persönlichen Gründen im Hinblick von Unterschieden von Männern und Frauen auch an der Aussagekraft dieser Studie einige Zweifel. Zwar ist es nicht von der Hand zu weisen, dass derartige Hormonüberschüttungen im Mutterleib einen nicht zu verkennenden Einfluss auf unsere Entwicklung haben, aber beim Spielzeug?

Ich bin weder Soziologe noch Hirnforscher, doch es erscheint mir unter Berücksichtigung des lückenhaften Wissenstandes bei der Entwicklung unseres Gehirns doch eher fragwürdig, ob diese Ergebnisse allgemeingültig sind. Zumindest erklären sie wenn überhaupt nur ansatzweise die unterschiedlichen Prägungen beider Geschlechter. Es scheint somit weiterhin nur festzustehen, dass es hüben wie drüben Unterschiede gibt.

Ich kann mich im Übrigen noch an eine Menge weiterer Fälle erinnern, wo sich Mädchen in meiner Gegenwart "geschlechtsuntypisch" verhalten haben. Das waren oft gerade auch die „Prinzessinnen“, die mit dem unschuldigen Blick und den sauberen Kleidchen in rosa und mit Rüschen. Wenn es dann beim Spielen mit diesen Mädchen irgendein Problem gab, also etwas kaputtging oder man sich stritt, war das, was folgte oft von vornherein klar:

Die Schuld bekamen immer wir Jungs. Egal, was tatsächlich geschehen war oder was wir sagten. Denn gegen eines hatten wir keine Chance, die Tränen dieser Mädchen. Ich bin bestimmt kein Mensch mit vielen Vorurteilen gegenüber dem anderen Geschlecht, aber in einem bin ich mir sicher: Der Verdacht, dass manche Frauen Weinen bewusst einsetzen können, um ihre Ziele zu erreichen, hat sich für mich schon in diesen Zeiten bestätigt. Aber Gott sei Dank haben nicht alle Eltern ihren weiblichen Nachwuchs von vornherein für vollkommen unschuldig gehalten. Folglich hat wohl auch nur ein kleiner Teil der Frauen diese fragwürdige Erfahrung im Kindesalter gelernt und wendet sie heute noch an.

Doch wie man an diesem Beispiel erneut ganz gut sehen kann, reichen Reize durch bestimmtes Spielzeug oder Situationen im Hinblick auf unsere persönlichen Lernerfahrungen alleine nicht aus. Dabei ist es auch nicht groß von Bedeutung, ob wir den Reiz durch unser Verhalten selber setzen oder ob wir einen Reiz von außen wahrnehmen. Wir brauchen also immer auch jemanden, der auf unseren Reiz eine bestimmte Reaktion zeigt. Oder etwas, das uns sagt oder erklärt, was dieser Reiz eigentlich ist.