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Kenny Lynn

Tod im Ferienpark


Einem guten Kollegen und Ideengeben, Helge Schulz. Mit beiden Füßen auf dem Boden stehen. Für alle, die Erfolg haben und den Boden unter ihren Füßen nicht verlieren. Ähnlichkeiten mit lebenden Person sind zufällig und nicht beabsichtigt, fiktive Orte schon.


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Sonntagmorgen

 

 

Waldemar Schmitz und sein Sohn Gregor fahren wie alle zwei Wochen, die gut vierzig Kilometer zum Angeln. Es ist 5:30 Uhr als sie an der Rezeption des Ferienparks, im kleinen Gunderath ankommen. Wie immer holen sie sich ihre Tageskarte für 9,50 € und der freundliche Nachtportier wünscht ihnen einen guten Fang. Das gemeinsame Angeln ist seit einigen Jahren zur Tradition geworden. Sie genießen die Fahrt hinaus in die Eifel, an den Heilbachsee. Die Natur ist dort sehr schön und man braucht nicht lange warten um Rehe oder Füchse zu sehen, wenn man etwas Glück hat. Wobei jedoch viele Eifelaner diesen Tieren weniger angetan sind, da sie immer wieder mit ihnen kollidieren, da sie keine Geschwindigkeitsbegrenzung bei ihrem Fahrstil kennen.

Wie immer machen sich Vater und Sohn nach ihrer Ankunft und dem Erwerb der Tagestageskarte, zu Fuß auf den Weg an den kleinen See. Wie alle zwei Wochen nehmen sie ihren Platz an der Grillhütte ein, dort kann man seine Sachen unterstellen und vor allem ist es trocken, wenn es regnet. Danach wird Position bezogen, denn eigentlich ist es immer ein kleiner Wettkampf zwischen Vater und Sohn, wer die meisten und größten Fische an Land zieht. Die Thermoskanne mit heißem Kaffee ist stets griffbereit, dann geht es auch schon los, wie jedes Mal. Sie werfen ihre Rute aus und dann heißt es geduldig warten. Beißen Sie schnell wird es ein guter Tag, dauert es aber länger, dann sind meist die großen Fische unterwegs. Da der Heilbachsee nicht sehr groß ist, kann man nicht sagen, welche Stelle der bessere Platz ist, um die größere Beute zu machen. So muss sich jeder in Geduld üben und warten, warten, warten. Als sie nach gut einer Stunde immer noch nichts gefangen haben, wird Vater Waldemar etwas ungeduldig, prompt erntet er Spott von seinem Sohn Gregor. Als dieser die Ungeduld seines Vaters bemerkt stichelt er natürlich weiter, schließlich will er ja gewinnen und die Scharte vom letzten Mal ausmerzen. Das war eine Niederlage, fast so blamabel wie das 2:3 damals 1978 in Cordoba gegen Österreich bei der Fußball WM. Gregor zieht seinen Vater auf:

„Und du wolltest immer bei den Indianern leben?“ fragt er und sieht seinen Vater seitlich aus den Augenwinkeln an, aber sein Blick ist trotzdem starr geradeaus auf den See gerichtet. Das ist jahrelange Übung.

„Warum nicht?“ knurrt der Vater.

„Weil du keine Geduld hast, wie Zuhause, wenn du etwas reparieren sollst.“

„Jetzt fang bloß nicht so an, du willst mich nur ablenken“ meint er grinsend.

„Pass auf und konzentriere dich, sonst wirst du nass, wenn der Killerhecht an deiner Angel zieht und dich in den Teich rein holt.“

Während dessen bleibt Gregor die Ruhe selbst. Dies hatte er zur Genüge bei der Bundeswehr gelernt, in seiner Ausbildung als Einzelkämpfer. Ruhe bewahren, den Feind nicht merken lassen das er beobachtet und durchschaut wird. In solchen Momenten muss er an seinen Ausbilder denken, der in vieler Hinsicht ein richtiges Schwein war. Der war so einer, der auf niemanden Rücksicht nahm, außer auf sich selbst. Komischerweise war er ihm in solchen Situationen trotzdem dankbar, dass er ihn damals so getriezt hatte. Das brachte ihm oftmals einen Vorteil, seinem Gegenüber ein. Diesmal ist es sein Vater, ein anderes mal ein Arbeitskollege oder auch schon mal ein paar Schläger, wenn er in Koblenz aus der Disco Heim will und sie meinen morgens um 4 Uhr, jemanden ärgern zu müssen, um ihren Spaß zu haben.

Die Ruhe seines Sohnes macht Waldemar in Situationen, wie dieser unruhig und nervös. Er nimmt seine Angel, holt sie ein und wirft sie erneut aus, immer und immer wieder, als ob er damit die Fische aus ihren Verstecken locken könnte. Er versucht es nun mehr in der Mitte des kleinen Sees, dann versucht er es möglichst in der Nähe des anderen Ufers. Als auch dieses nichts bringt, nimmt er die Stelle halb links bei der kleinen Schilfinsel in Angriff.

„Irgendwo müssen die Fische sich doch versteckt halten“ denkt er, als sich sein Haken irgendwo festzieht.

Er hat heute extra einen dieser neuartigen amerikanischen Wunderhaken mit Fanggarantie, aus der Fernsehwerbung benutzt. Langsam versucht er die Schnur ein wenig einzuholen bis sie stramm zieht. Bevor sie jedoch reißt lässt er nach, versucht seine Stellung etwas zu verändern. Tatsächlich kann er jetzt wieder etwas Schnur einholen und so einige wenige Zentimeter gutmachen. Doch plötzlich, zieht es dann wieder fürchterlich an der Leine, sodass sich seine Rute fast bis ins Wasser verbiegt. Gregor muss lachen, wie sein sooo erfahrener Anglerdaddy sich abmüht. Ganz langsam geht Waldemar hin und her und versucht so den Fisch aus der Reserve zu locken. Immer wieder hört man etwas wie ein Plätschern und Waldemar denkt:

„Hartnäckiges Viech, aber warte nur, ich bekomme dich doch, egal was du tust.“

Nach einer Weile, des ständigen Stellungswechsel und des stetigen ziehen und wieder loslassen, hat er das Gefühl, es würde sich etwas tun.

„Diese Taktik beibehalten“ denkt er und vor allem sich nichts anmerken lassen, obwohl langsam aber sicher seine Arme schlapp werden. Er bekommt schon langsam leichte Krämpfe in den Unterarmen, als ihm fast die Angel aus den Händen gleitet durch die Verkrampfung. Er wendet einen nun einen alten Bauerntrick an, indem er zieht und ruckartig wieder Leine gibt. Nach dem fünften oder sechsten Versuch bemerkt er, wie sich seine Arme und Hände wieder etwas entspannen. Sofort fängt er an seine Schnur einzuholen, Windung um Windung fährt er sie ein. Irgendetwas plätschert und das Schilf an der Insel bewegt sich leicht hin und her als er zieht.

„Aha! Da steckst du also. Du kommst wohl nicht den Weg, den ich möchte, aber du musst doch, ob du willst oder nicht“ denkt Waldemar Schmitz der ehemalige Vereinsmeister im Hochseefischen.

Es dauert eine ganze Weile, bis sich wirklich etwas tut.

„Nur noch ein kleines Stück“ denkt er, „dann habe ich dich.“

Eine letzte Anstrengung, ein allerletzter Kraftakt und der Fisch löst sich aus seinem Versteckt. Er wird von dem Altmeister der Hochseefischer über das Hindernis hinweg gezogen. Endlich lässt sich die Rolle leichter einziehen.

„Na, wer wird wohl dieses Mal gewinnen? Wer wird der Sieger sein? Erfahrung vor der Jugend, so muss es sein. Das liebe ich.“

Mit diesem Siegesgedanken holt Waldemar seine Leine ein. Doch plötzlich ruft er Gregor zu:

„Gregor komm her und lass alles liegen, das ist kein Fisch. Es muss ein totes Tier sein, was ertrunken ist. Kannst du mal nachsehen, ob du da drüben ran kommst?“

„Okay du Superangler, dann gibt es noch einen Braten heute Abend“ scherzt er, als er an die ihm angegebene Stelle läuft.

Dort angekommen muss Gregor zweimal hinschauen, bevor er dann langsam weitergeht.

„Das kann nicht sein“ denkt er und ruft: „Komm schnell her. Du musst die Polizei rufen, du hast einen Menschen am Haken und kein Tier.“

Waldemar wird ganz blass und sieht es erst als einen Scherz seines Sohnes an, der ihn nur von seinem Sieg ablenken will. Doch als er näher kommt, ist es wieder da, dieses flaue Gefühl in der Magengegend. Dann steigt ihm die Blässe wieder ins Gesicht, er muss Kotzen, als er sieht, dass es sich tatsächlich um einen Menschen handelt. Er kommt etwas näher heran und sieht eine rosafarbene Bluse mit vom Körper gespreizten Armen und einen blonden Haarschopf. Als er bei Gregor ankommt, sieht er auch die beigefarbene Hose, die sich im Wasser aufgebläht hat und so die Leiche am Schilf festgehalten hatte. Sein neuer amerikanischer Haken hängt genau im Gürtel, deshalb war es auch so schwer den Fang durch das Schilf zu bekommen.

Während Vater Waldemar soweit ist, dass er sein Handy bedienen kann, um die 112 anzurufen und diesen grausigen Fang zu melden, macht sich Gregor mit einem langen herumliegenden Ast daran die Leiche ans nahe Ufer zu holen. Zumindest sie aber so in Reichweite zu bekommen, dass man sie packen kann. Es ist lange her, dass Gregor, dass letzte Mal eine Leiche bergen musste, damals war es im Totenmaar. Ein unvernünftiger Schwimmer, der trotz Warnung und Verbot dort schwimmen ging. Er hatte die Tücke dieses Maares bei weitem unterschätzt und so kostete es ihn das Leben.

„Wieder ein Verrückter weniger auf dieser Welt“ hatte er damals noch gedacht. Das Gesicht dieser Wasserleiche stand ihm jetzt wieder vor Augen.

„Nicht schon wieder! Kann man denn niemals darüber hinwegkommen? Ich dachte, es wäre ein für alle Mal geschafft. Ich darf mir nur nichts anmerken lassen. Du musst jetzt stark bleiben und dir keine Blöße geben“ sagt er sich.

Dann macht er sich daran die Leiche aus dem See zu holen. Als er sie in Reichweite hat, packt er sie an den Schultern der Bluse und zieht sie zu sich heran. Er greift zu und zieht kräftig, bis er den Gürtel fassen kann, wo immer noch der Haken fest verankert ist. Jetzt kann er die Leiche mühelos an Land ziehen und am Ufer ablegen. Er dreht sie auf den Rücken, dann legt er die Arme neben den Körper auf die Erde. Er streckt die Beine geradeaus und richtet den Kopf in die Mitte, so als, ob sie den Himmel ansehen möchte. Dann fährt er der jungen Frau mit der Hand über das Gesicht und schließt ihr die Augen. Dabei kommt ihm ein Fernsehfilm in den Sinn, wo es um einen Medizinstudenten ging, der dem Tod immer und immer wieder begegnet war. Irgendwann erzählte er einer Kollegin, dass er beim ersten Mal versucht hatte dem Toten die Augen zu schließen und diese immer wieder aufgingen, sich einfach nicht schließen ließen. „Es war schrecklich“, sagte er. „Es war grausam, sie haben alle gelogen, die Augen gingen immer wieder auf.“

„Ausgerechnet jetzt, kommt dir so ein Scheiß in den Kopf“ denkt Gregor.

Sein Vater ist fix und fertig, einem Herzinfarkt nahe.

„Nur das nicht“ schießt es Gregor durch den Kopf. Dabei fällt ihm ein, dass er noch einen Flachmann mit Cognac eingepackt hatte. Diesen flößt er seinem Vater ein. Er trinkt ihn ohne Gegenwehr und gleich geht es ihm etwas besser.

Danach schaut sich Gregor die junge Frau genauer an, die er gerade aus dem See geholt hat. Er entfernt den Haken an ihrem Gürtel und sieht jetzt erst das Abzeichen auf der Bluse, es ist vom Ferienpark.

„Sie muss eine Angestellte sein. Aber was hat sie denn hier unten am See in Dienstkleidung gemacht? Sie ist wunderschön, denn selbst im Tode macht sie noch den Eindruck eines friedlich schlafenden Engels. Ihre blonden Haare, die blauen Augen, der helle Teint ihrer Haut und die schlanke Figur ist einfach herrlich anzusehen“ denkt er noch, als sein Vater ganz nüchtern zu ihm sagt:

„Es ist die Bedienung aus dem Steakhaus, die kenne ich. Als ich mit deiner Mutter hier war, hat sie uns bedient. Schade das sie so jung sterben musste, denn sie war echt nett und zuvorkommend.“

Nach exakt sieben Minuten trifft die Feuerwehr ein. Nach weiteren dreißig Minuten, dann auch endlich die Polizei, dein Freund und Helfer. Zwanzig Minuten vor der Polizei ist Hardy Koslowski vom „Eifelexpress“ schon vor Ort. Wieder einmal ist der Journalist schneller als die Polizei. Er hat den Fundort längst gecheckt als die Herren in Grün eintreffen.

Sie nehmen die Personalien der beiden unglücklichen Angler auf und registrieren die Tote als Parkangestellte. Irgendwann viel, viel später trifft auch die Kripo aus Wittlich ein, Alfred Kowalski und sein junger Partner Gernot Gross. Kowalski schickt den jungen Kollegen an die Rezeption des Ferienparks, um die Tote junge Frau zu identifizieren. Als er den Empfang betritt, ist dieser leer, bis auf eine junge Frau ende zwanzig, stabil gebaut, mittelblond und mit leichtem holländischem Akzent. Sie sieht nur kurz beim Telefonieren auf und führt ihr Gespräch weiter. Gernot Gross wartete etwa fünf Minuten, in denen er sich mehrmals durch leichtes räuspern bemerkbar macht, jedoch gibt es keine Reaktion. Dann trommelt er mit den Fingerspitzen auf dem Empfangstresen herum, bis er die Stimme der jungen Frau vernimmt, die sagt:

„Melissa da nervt gerade Einer, komme gleich wieder.“

Säuselnd erhebt sie sich hinter dem Schreibtisch mit der kleinen Glasscheibe, legt den Hörer auf den Tisch, setzt ein Lächeln auf und sagt:

„Junge Mann was kann ich dir tun?“

„Oh“, sagt Gross, „ein bisschen Zeit widmen, damit bin ich schon zufrieden. Geht das?“

„Is de Bungalow nich sauber?“ gibt sie zur Antwort.

„Keine Ahnung, ich war in keinem Bungalow, ich komme unten vom See“, erwidert Gross und kramt in seiner Jackentasche herum.

„Ah, Vissen aan de Zee, hast Gluck met de vissen gehabt?“ schnurrt sie ihn an.

„Nee“, sagt er und findet endlich seinen Ausweis, den er ihr vor die Nase hält.

„Oh Politie. Sorry, was kann ich für sie tun?“

„Na endlich! Können sie mir sagen, ob sie eine junge Frau mit kurzen blonden Haaren aus dem Park kennen? Sie ist circa einmeterundsechzig groß, schlank und Schätzungsweise Anfang zwanzig“.

„Ja, das könnte Lisa Müller sein. Sie arbeitet manchmal hier an der Rezeption oder oben im Service“ meint sie und setzt ihr süßestes lächeln auf.

„Wie lange arbeitet diese Lisa, wie war noch ihr Familienname, schon hier?“

„Lisa Müller heißt sie. Seit gut zwei Jahren ist sie hier im Park beschäftigt. Sie ist eine unserer zuverlässigsten Kolleginnen und vor allem sehr flexibel einsetzbar und unkompliziert. Ist etwas mit ihr?“ Sagt sie, legt den Kopf etwas schief, schlägt die Augen einmal, zweimal dezent auf und zu und verzieht ihren Mund zu einem spitzen Lächeln.

Gross antwortet aus seiner unkomplizierten Art heraus, ebenso süffisant:

„Ja sie war ihre Kollegin. Sie wird nämlich nicht mehr kommen, weil wir sie gerade unten aus dem See gefischt haben. Und jetzt sorgen Sie bitte dafür, dass ich sofort den Chef hier herbekomme“ und fügt nun energisch hinzu: „Beenden Sie sofort ihr Privatgespräch mit ihrer Kollegin! Ist das klar?“

Nun fällt ihr die Farbe aus dem Gesicht. Sie sagt nur noch:

„Ja sofort.“

Unerwartet hat Gernot Gross wohl den richtigen Ton bei ihr getroffen. Zwei Minuten später steht ein Mann, ende dreißig in einem dunklen Anzug, mit weißem Hemd und quergestreifter Krawatte vor ihm.

Er ist etwa einmetersiebzig groß und hat ein gekauftes Lächeln aufgesetzt, als er seine Hand Gross entgegenstreckt und sagt:

„Boris Egerland, ich bin hier der Manager, der geschäftsführende Direktor dieses Parks. Wobei kann ich behilflich sein?“

Gross hält ihm seinen Ausweis unter die Nase und möchte wissen, wo sie sich in Ruhe unterhalten können. Daraufhin wird er links von der Rezeption durch eine Holztüre mit einer großen Glasscheibe, in ein dahinter liegendes kleines Büro geführt. Gross erkundigt sich nun ohne Umschweife nach der Angestellten Lisa Müller. Der Manager meint nur, dass er nicht jeden Mitarbeiter mit Namen kennen würde und deshalb die Personalabteilung anrufen müsse.

Er telefoniert kurz und nach wenigen Minuten steht eine Frau, was heißt eine Frau, ein Knaller von Frau in der Türe des kleinen Büros, was man hier Office nennt. Sie hält eine Akte in der linken Hand und streckt die Rechte zur Begrüßung hin und stellt sich vor:

„Guten Tag. Monica Belucci, Personalchefin dieses Parks.“

Gross bekommt schweißnasse Hände und denkt nur:

„Oh weia! Jetzt nur nicht zittern vor Aufregung und ganz ruhig bleiben.“

Sie nehmen Platz und sehen sich die Personalakte an. Nichts Außergewöhnliches. Er notiert sich die Adresse in Gunderath und möchte noch wissen:

„Hat Frau Lisa Müller einen Freund oder ist sie verheiratet? Ist sie hier aus der Gegend? Hat sie Verwandte, welche ihnen bekannt sind?“

Monica sagt:



„Sie ist nicht verheiratet, das müsste ich wissen, wegen der Steuerklasse. Freund? Weiß ich nicht und ja, sie ist nicht von hier. Sie kommt aus Chemnitz, dort wohnen auch ihre Eltern noch. Als sie hierherkam, gab sie die Adresse der Eltern mit an.“

Gross notiert die Adresse der Eltern, bedankt sich und geht wieder zum See zurück. Sofort empfängt ihn sein Chef von weitem mit den Worten:

„Wo bleibst du denn? Man du hast wieder eine Leitung heute. Ich schicke dich nur eine Kleinigkeit erledigen und du kommst zur neuen Bundesligasaison zurück. Hast du denn etwas erfahren können?“

„Ja Chef, machen wir später. Wisst ihr schon näheres über den Todeszeitpunkt und wie es passiert sein könnte?“

„Die Befragungen laufen noch und Dr. Brandner meint, dass sie schon fünf oder sechs Stunden im Wasser gelegen haben muss. Mehr bekommen wir nach der Obduktion.“

„Was sagt die Spusi? Haben die denn mal was Brauchbares gefunden?“

„Noch nicht, aber sie sind fleißig auf der Suche, wenn sie sich nicht wieder einmal alles selbst zertrampeln. Manchmal wünschte ich mir, nie diesen Posten hier angenommen zu haben. In solchen Situationen weiß ich wie gut ich es in Wattenscheid hatte.“

„Chef erzählen sie mir nichts von Wattenscheid, sonst muss ich ihnen von meinem Kollegen aus Gelsenkirchen erzählen.“

„Lieber nicht“, sagt Hauptkommissar Alfred Kowalski lachend. „Aber tue mir einen Gefallen und kümmere dich um Koslowski, den Journalisten, der schnüffelt schon wieder zu lange hier herum.“

„Mach ich Chef“, sagt Gross und geht auf die Suche nach besagtem Koslowski.

Beide kennen sich schon gut fünf Jahre und gehen ab und zu gemeinsam mal ein Bier in Kirchweiler, im Gasthaus „Zum Idderjen“ trinken. Dort hat der Wirt Reisdorf Kölsch vom Fass. Manchmal arbeiten sie auch zusammen, nur darf es niemand erfahren. Sie haben ein Abkommen, wenn einer etwas hat was der Andere gebrauchen kann, dann spielen sie es sich gegenseitig zu. So hat jeder seinen Nutzen von der Arbeit des Anderen. Bei Hardy Koslowski ist es die Story, bei Gross die Spur oder eine fehlende Information. Schließlich will auch er weiterkommen und nicht für immer der kleine Assistent vom großen Kommissar Alfred Kowalski aus Wattenscheid bleiben.

*

Nach kurzem Suchen findet er ihn mitten im Gewühl der Beamten mit seinem Notizblock und der Canon D40 über der Schulter. Koslowski, ein Mann um die fünfzig, etwas weiß-grau meliert, mit Bart und Brille. Seinen Bauch kann man auch nicht übersehen, er ist halt ein echter Feinschmecker, ein ganz gemütlicher. Aber wehe, wenn er einen Lauf hat, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann gibt es kein Halten mehr. Schnell ist Gross bei ihm und begrüßt ihn.

„Und......hast du schon was Brauchbares gefunden, alter Halunke?“

„Noch nicht.“ meint Koslowski „Wie sieht es bei dir aus?“

„Niete“ kommt die Antwort.

„Eines kann ich aber jetzt schon sagen: Die Tote hat keine Anzeichen von äußerer Gewalt, das ist sicher.“

„Unfall durch Ertrinken meinst du?“

„Vielleicht?“, erwidert Koslowski

„Wenn ich das Ergebnis aus der Gerichtsmedizin habe gebe ich dir Bescheid.“

„Dann bis dieser Tage Gross“, sagt er und macht sich vom Acker.

Gernot Gross geht zurück zu seinem Chef.

„Ist er weg?“, fragt dieser.

„Klar.“

„Könntest du noch einmal zur Rezeption gehen und dort nachfragen, ob die Tote eine Personalwohnung im Park hat?“

Wie gerufen kommt Gernot dieser Auftrag, obwohl er die Adresse ja schon hat. Vielleicht wird er ganz zufällig noch mal zu dieser Monica geschickt, der Personalchefin.

Wieder geht er zu der säuselnden Rezeptionistin mit dem holländischen Akzent, wenn sie keine Lust auf Gäste hat. Doch kommt man ihr auf die Schliche, dann spricht sie perfekt Deutsch ohne jeglichen Akzent. Als er eintritt, sagt sie, dieses Mal ohne ihn lange warten zu lassen:

„Noch etwas vergessen?“

„Ja. Hat diese Lisa Müller im Park eine Personalwohnung oder so etwas Ähnliches?“

„Nein, sie wohnt unten im Dorf, gleich links, erstes Haus Nummer zwei bei Meier.“

„Danke schön für diesen Hinweis. Ach, noch etwas. Könnten sie mir für Morgen nochmal einen Termin bei ihrer Personalchefin machen, so gegen vierzehn Uhr?“

„Mache ich, geht klar. Trinken wir hinterher einen Kaffee zusammen? Ich lade sie ein.“

„Können wir drüber reden“, sagt Gross, dreht sich zum Gehen um und grinst vor Freude. Erst mal die Personalchefin, dann die Rezeptine. Der Tag ist also noch zu retten.

Zurück bei Kowalski, erkundigt er sich den nach Neuigkeiten. Dieser bestätigt ihm nur, was er eh schon von Koslowski erfahren hatte: keinerlei Gewaltanwendung sichtbar.

„Vielleicht ist sie gestolpert und in den See gefallen“ denkt er gerade als sie wieder bei den beiden Anglern ankommen.

„Sie haben wirklich niemanden hier gesehen? Herr… Äh Schmitz“ meint Gernot wie abwesend.

„Nein, wirklich nicht. Wir beide waren ganz alleine hier, bis diese Frau bei mir an der Angel hing“ erwidert Vater Waldemar.

„Schon gut“, sagt Gernot, „Ich glaube ihnen, sie brauchen sich nicht aufzuregen.“

„Dann erzählen sie, das auch bitte ihren Kollegen. Die sind nämlich der Meinung, wir hätten sie umgebracht. Mein Sohn Gregor und ich gehen alle zwei Wochen hier angeln, doch so etwas ist uns noch nie passiert.“

„Ich werde mich darum kümmern Herr Schmitz, ganz bestimmt. Das verspreche ich ihnen. Sie können bald nach Hause.“

„Danke“, sagt er nur kurz, bevor er den Tränen nahe in sich zusammensinkt. Gregor sein Sohn eilt sofort an die Seite seines Vaters. So kennt er seinen Vater nicht, er ist viel gewohnt, aber das schien ihm doch zu viel zu sein. Ein kerniger aber liebenswerter Mensch ist er stets gewesen, sein Vater. Doch das ihn schon eine bloße Anschuldigung dieser Dorftrottel so aus der Bahn bringen kann, hat er sich auch nicht träumen lassen.

Gross macht sich mit Kowalski auf den Weg ins Büro. Wie immer sitzt Gernot Gross am Steuer des Dienstwagens, als Kowalski wie beiläufig zu ihm sagt:

„Schlag dir die Personalchefin aus dem Kopf und geh einen Kaffee mit der molligen Holländerin trinken.“

Es kracht im Getriebe und der Wagen springt und ruckt, bis er mitten auf der Straße stehen bleibt. Gross ist schweißgebadet und sagt zu seinem Chef:

„Was erzählen sie da?“

„Gross hör mir einfach nur einmal zu. Der Ferienpark hier ist wie eine Bildzeitung, nur viel schneller. Hier wird mit dem Telefon und dem Handy getrommelt per SMS. Lass die Finger von ihr, das ist eine Nummer zu groß für dich. Hör auf meinen Rat.“

„Chef kennen sie die Personalchefin eigentlich? Das ist die Frau meines Lebens, die muss ich einfach wiedersehen.“

„Mach was ich dir sage, sonst hast du schneller ärger, als dir lieb ist.“

„Sie sind wie meine Mutter. Wissen sie das?“

Das ist das Letzte, was Gernot Gross während der Fahrt noch mit seinem Chef spricht.

Es ist noch nicht einmal Mittag, der halbe Dienst liegt noch vor ihnen und dann auch noch diese blöden Ratschläge. Der Alte weiß wohl alles.

„Er ist schneller als ein Buschfeuer“ denkt Gross und gibt Gas.

Nach einer Weile bemerkt er, dass Kowalski ihn immer wieder aus den Augenwinkeln ansieht.

„Warte ab, ich bleibe diesmal hart“ denkt er.

Dann kommen sie vor ihrem Büro an und gehen hinein.

„Kaffee?“, fragt Gross.

„Mmmmh“, brummt Kowalski.

Als er ihm den Kaffee bringt, Milch und Zucker hinstellt, meint er:

„Frieden Chef? Sie haben ja wieder mal Recht, ich werd’s beachten. Danke für den Hinweis.“

„Schon gut, nimm’s nicht so tragisch. Kann jedem einmal passieren.“

Danach plätschert der Tag nur noch dahin, bis der Feierabend endlich da ist.