Aus dem Amerikanischen von Doris Attwood

Impressum

Originalausgabe

Copyright © dieser Ausgabe 2018 by Festa Verlag, Leipzig

Titelbild: Arndt Drechsler

Alle Rechte vorbehalten

eISBN 978-3-86552-678-6

www.Festa-Verlag.de

Inhalt

Impressum

Einladung zum Mord

Barneys Bigfoot-Museum

Der Champion

Ab in die Grube

Spuk

Die direkte Art

Good Vibrations

Phil, der Vampir

Joes gerechte Strafe

Das erste Date

Der Santa Claus von Halloween

Die Hütte im Wald

Boo

Die Badewanne

Originaltitel- und Copyrightangaben

Richard Laymon

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Einladung zum Mord

Eine Geschichte. Du brauchst eine Geschichte. Die Zeit läuft dir davon.

Die Woche auf Hawaii wird sicher kein entspannter Urlaub, wenn diese Deadline immer noch über dir schwebt.

Du hast nur noch heute Abend und morgen, Mensch. Sonst wirst du die ganze Zeit nur finster in deine Mai Tais starren und dir deinen verdammten Kopf zerbrechen.

Shane startete das Textverarbeitungsprogramm, tippte das Datum und machte sich an die Arbeit.

»Ed will eine Geschichte für seine Einladung zum Mord-Sammlung. Jede Geschichte in dem Buch soll von einer 22 Jahre alten jungen Frau handeln, die in ihrer Wohnung tot aufgefunden wird. Das ist das verbindende Thema des Erzählbands.«

Das sollte doch ein Kinderspiel sein. Da gibt’s mindestens eine Million Ansatzpunkte.

Aber ich brauche einen speziellen Clou. Eine clevere Wendung.

Es darf keine gewöhnliche Detektivgeschichte sein. Nicht von mir. Davon bekommt er von den Krimiautoren sicher schon jede Menge. Von mir wird er eine Horrorstory oder einen Thriller erwarten. Einen richtigen Hammer. In diesem Buch werden sich ein paar viel dickere Fische tummeln als ich. Da will ich nicht wie eine Niete aussehen.

Ich muss mir irgendeinen heißen Scheiß einfallen lassen.

Heiß. Gott, ist das heiß hier drin.

Für gewöhnlich kühlte West-L. A. nachts ohnehin nur ein wenig ab. Aber momentan befanden sie sich außerdem in einer dieser Phasen, die jeden Sommer wiederkehrte und etwa zwei Wochen andauerte: Tagsüber stiegen die Temperaturen auf über 35 Grad, während sich die kühlende Meeresbrise verflüchtigte und die Hitze auch über Nacht nicht verschwand. Selbst bei geöffneten Fenstern blieb die Luft in der Wohnung erdrückend schwül. Shanes T-Shirt und Shorts waren bereits feucht und klebten vor Schweiß.

Eine lange, kalte Dusche würde sich großartig anfühlen.

Zuerst lässt du dir einen Plot einfallen. Die Dusche ist dann deine Belohnung.

Na schön. Das sollte nicht allzu schwierig werden.

Shane starrte aus dem Fenster und versuchte, sich zu konzentrieren. Ein Kniff. Eine Wendung. Okay.

»Idee! Ein Typ guckt sich diese Kleine aus. Sie ist 22, klar. Und eine echte Schönheit. Er steht total auf sie, will sie unbedingt. Eines Nachts bricht er in ihre Wohnung ein, mit der Absicht, sie zu vergewaltigen. Aber er findet sie ausgestreckt auf dem Boden liegend, tot. Ermordet. Cool. Aber was dann? Ist der Mörder noch in der Wohnung?«

Shane starrte auf den Computermonitor und las die bernsteinfarbenen Zeilen immer wieder.

Wie endet das Ganze? Was ist die große Wendung?

Shane fiel nichts ein.

Vergiss es.

»Aber mir gefällt die Idee von einem Kerl, der von einer Frau besessen ist. Vielleicht ist er allein in seiner erdrückend heißen Wohnung. Er klettert auf die Feuerleiter, um ein bisschen frische Luft zu schnappen.«

Ich wünschte, ich hätte eine Feuerleiter. Oder einen Balkon, verflucht noch mal.

»Direkt gegenüber von seinem Haus steht ein altes, verlassenes Wohngebäude. Zum Abriss freigegeben vielleicht. Aber während er dort draußen hockt und versucht, sich abzukühlen, taucht eine wunderschöne junge Frau in einem Fenster des unheimlichen alten Kastens auf. Sie ist die schönste Frau, die er jemals gesehen hat.«

Sehr schön! Jetzt läuft’s doch!

Plötzlich zerschmetterte lärmende, dröhnende Musik Shanes Gedanken.

Scheiße!

Kam das von draußen? Ja, aber es scheint auch direkt durch die Wände zu wummern.

Shane stand auf, lehnte sich über den Computermonitor und legte eine Hand auf die Wand. Sie vibrierte wie ein Trommelfell.

Gottverdammte moderne Billigwohnhäuser!

Beruhig dich, beruhig dich. Ignorier es einfach.

Was, wenn das die ganze Nacht so weitergeht?

Das wird es nicht.

Vergiss es einfach.

Der Typ auf der Feuerleiter versucht sich abzukühlen. Das Mädel taucht auf der anderen Seite der Gasse auf. »Die Beleuchtung ist miserabel«, tippte Shane. »Kein Strom. Klar, das Gebäude soll ja abgerissen werden. Er sieht sie im Feuerschein. Kerzen. Kann sie nicht besonders gut erkennen. Eigentlich ist das Einzige, was er richtig sehen kann, ihr hübsches Gesicht. Ihr glänzendes blondes Haar. Sie unterhalten sich. Sie hat eine sinnliche Stimme. Lädt ihn ein, zu ihr rüberzukommen. Er zögert. Hat ein ungutes Gefühl. Wer ist sie? Was tut sie dort? Er will sie UNBEDINGT, aber er zögert, zu ihr zu gehen. Es ist eine miese Wohngegend. Überall Irre und Freaks. Erst am Abend ist er am Eingang der Gasse zwischen den zwei Gebäuden einer Obdachlosen mit lauter Tüten begegnet. Einer echten Hexe.

Nach langem Zögern lehnt er die Einladung schließlich ab. Er will gerade wieder in seine Wohnung zurück, um weitere Versuchungen zu vermeiden, als die Frau ein paar Kerzen aufs Fensterbrett stellt. Er kann sie von der Taille aufwärts sehen. Sie ist nackt. Sie streichelt über ihre Brüste und bittet ihn erneut, zu ihr zu kommen.

Also geht er doch. In der Gasse liegt überall ekliges Zeug, richtig gruselig. Nach einer Weile findet er schließlich eine kaputte Tür und betritt das Haus. Er schleicht durch den dunklen Korridor und eine unheimliche Treppe hinauf.

Gib ihm eine Taschenlampe.

Er folgt dem Flur im zweiten Stock, bis er die Tür der Wohnung gegenüber von seiner erreicht. Sie steht einen Spalt offen. Der Schein von Kerzenlicht im Inneren. Er tritt ein.

Und findet eine Leiche, ausgestreckt in einer Ecke des Raumes. Er richtet die Taschenlampe darauf. Die Leiche ist eine Frau – 22, natürlich. Ihre Kleider liegen über den Boden verstreut. Sie hat kein Gesicht, keine Haare. Von den Schultern bis zur Taille ist sie nur ein Haufen Blut.

Aus den Schatten tritt eine weitere Frau. Nackt. Sie trägt eine Maske mit dem Gesicht der Toten. Faltige Arme und Beine. Aber ein frischer, junger Oberkörper, der mit einer Art Geschirr aus Bindfaden festgeschnürt ist. Sie humpelt auf den Typen zu und liebkost dabei ihre prallen, perfekten Brüste, die sie der Leiche geklaut hat.

Sie lacht, gackert, sagt ihm, was für ein Prachtkerl er ist. Aufgrund seiner Reaktion vorhin in der Gasse, sagt sie, wusste sie sofort, dass sie sich keine Hoffnungen machen konnte, ihn je zu bekommen. Weil er zu wählerisch ist, um sich für eine wie sie zu interessieren. Also hat sie sich das gute Aussehen von einem Mädchen geborgt, das in der Gasse an ihr vorbeigegangen ist.

Er steht nur völlig perplex da, während sie immer näher kommt. ›Bin ich jetzt nicht auch hübsch? Bin ich jetzt nicht auch eine Schönheit?‹«

Shane glotzte grinsend auf den Monitor.

Hervorragend! Diese Geschichte ist ein echter Shane Malone: gruselig, pervers, sexy, mit einem Hauch von schwarzem Humor. Und ein paar netten thematischen Anspielungen auf Einsamkeit, Verzweiflung und den zweifelhaften Wert körperlicher Attraktivität. Das wird Ed aus den Socken hauen.

Aber was, wenn es zu viel des Guten war? Ed hatte Shane gewarnt, dass er keine allzu extremen Geschichten wollte.

Und das hier war verdammt noch mal ziemlich extrem. Die alte Tussi trug die Titten eines toten Mädchens!

Eine Weste aus Titten.

Scheiße! Harris hat das schon in Das Schweigen der Lämmer gebracht. Ein gottverdammter Bestseller! Alle werden denken, ich hätte das von ihm geklaut. Dabei hatte er die Idee von Gein, ohne Zweifel. Gein hat das schließlich wirklich gemacht. Aber sie werden trotzdem denken, ich hätte Harris’ Einfall kopiert.

Shane sank auf dem Stuhl zurück und starrte auf den Computermonitor.

Starrte und starrte.

Die Idee ist im Arsch. Ich muss mir was anderes ausdenken.

Die Musik dröhnte immer noch.

Allerdings hatte sie gar nicht wirklich gestört. Shane hatte sie kaum noch wahrgenommen, nachdem der Plot der Geschichte erst einmal in Gang gekommen war. Aber jetzt …

Was für ein Vollidiot lässt die Musik bitte so laut laufen?

Und wer zur Hölle lässt sie überhaupt laufen? Der Lärm kam eindeutig aus 210. Die Wohnung hatte im vergangenen Monat noch leer gestanden.

Irgendjemand muss eingezogen sein, während ich bei der Arbeit war.

Irgendein verfluchter Irrer.

Blende sie einfach aus. Ignoriere sie.

Ein 22-jähriges Mädchen wird tot in seiner Wohnung gefunden. Ich brauche eine unerwartete Wendung.

Wie wär’s mit einer Geschichte aus der Perspektive einer jungen Frau?

Verflucht, dieser Krach!

»Anfangsszene: Das Mädel streift allein durch die Straßen der Stadt. Nervös, weil sie so spät noch unterwegs ist. Vielleicht glaubt sie, dass ihr jemand folgt. Sie hat Angst, beschleunigt ihren Schritt. Schließlich erreicht sie ihr Wohnhaus. Schließt die Haustür auf, geht rein. Endlich ist sie in Sicherheit. Erleichtert steigt sie die Stufen in den zweiten Stock hinauf. Die Tür zu ihrer Wohnung steht einen Spalt offen. Sie schaut hinein. Ihre Mitbewohnerin, ein 22-jähriges Mädchen – natürlich –, liegt tot auf dem Boden. Und der Mörder hockt über der Leiche, grinst das Hauptmädel über seine Schulter hinweg an, springt auf und stürzt auf sie zu.«

Er stürzt auf sie zu. Und was dann?

»Sie wirbelt herum, weicht aus und rennt los …«

Shane funkelte wütend die Wand an. Diese Musik!

Bin ich der Einzige in diesem ganzen verdammten Gebäude, den das in den Wahnsinn treibt?

Es ist Samstagnacht. Vielleicht sind ja alle ausgegangen – ins Kino, Freunde besuchen oder auf Partys.

Feierte der Freak in der Wohnung nebenan vielleicht auch eine Party? Es klang nicht danach. Keine Stimmen, kein Gelächter, keine Schritte hin und her gehender Personen. Nur diese dröhnende Musik.

Shane stand auf, lehnte sich über den Computermonitor und hämmerte gegen die Wand. »Hey! Könntest du da drüben vielleicht ein bisschen leiser sein? Ich versuche hier zu arbeiten.«

Die Musik wurde leiser.

»Danke.«

»Fick dich!«, brüllte eine weibliche Stimme auf der anderen Seite der Wand. Im nächsten Moment donnerte die Musik wieder, noch lauter als zuvor.

Shanes Herz klopfte wie wild.

Beruhige dich, beruhige dich.

Ich sollte da rübergehen und dieser Schlampe die Fresse polieren!

Nein, ich sollte mich wieder beruhigen.

Wie wär’s, wenn ich mich beim Vermieter beschwere? Sicher. Bei diesem Trottel. Dudley. Volltrottel, um genauer zu sein. Der würde mir nur wieder Stress machen. Falls er überhaupt zu Hause ist. Samstagnacht. Wahrscheinlich ist er irgendwo unterwegs und geht seinem Hobby nach – »Tussen klarmachen«, wie er es gerne nannte.

Und wenn ich die Bullen rufe?

Oh, das wäre wirklich wahnsinnig clever. Falls sie tatsächlich hier auftauchen und dieser Schlampe eine Verwarnung verpassen, hab ich eine Feindin fürs Leben. Wer weiß, was für einen Scheiß sie danach erst abzieht?

Und wenn ich doch erst mal dusche?

Du lässt dir zuerst eine Geschichte einfallen. Das war die Abmachung.

Okay. Die Kleine findet ihre Mitbewohnerin tot in der Wohnung. Der Mörder stürzt sich auf sie und sie wirbelt herum, weicht aus und rennt los, »durch die Tür. Rennt den Korridor runter, schreit um Hilfe. Niemand kommt, um ihr zu helfen. Der Mörder rast mit einem Messer in der Hand hinter ihr her.«

Und was passiert als Nächstes?

Diese Schlampe! Sagt mir ernsthaft, dass ich mich ficken soll!

Soll ich noch mal gegen die Wand hauen? Das würde auch wahnsinnig viel bringen. Sie würde die Musik wahrscheinlich nur noch lauter aufdrehen – falls das überhaupt möglich ist.

»Der Kerl ist ihr dicht auf den Fersen. Sie donnert gegen eine Wohnungstür. Die Tür schwingt auf. Die Kleine stürmt hindurch. Stolpert über eine Leiche. Sieht noch eine Leiche, sie sitzt an die Wand gelehnt.

Nette Idee. Mal angenommen, der …«

Schweiß brannte in Shanes Augen. Es war nichts in Reichweite, um ihn abzuwischen.

Mein Shirt.

Shane zog das T-Shirt aus. Obwohl es feucht war, saugte es den Schweiß problemlos auf. Eine Brise drang vom Fenster herein. Ganz leicht. Aber es fühlte sich gut an. Shane warf das T-Shirt auf den Boden, seufzte und blickte wieder auf den Monitor.

»… Ein Mörder hat alle im Gebäude umgebracht. Aber warum sollte er so etwas tun? Nur weil er verrückt ist? Mal angenommen, er ist der Besitzer und es gibt eine Mietpreisbindung. Er will deshalb sämtliche Mieter loswerden, damit er alles in Eigentumswohnungen verwandeln kann?«

Bescheuert.

»Vergiss die Idee wieder, dass er alle anderen im Haus umgebracht hat. Er hat es nur auf die beiden Mädchen abgesehen, sonst auf niemanden. Er wohnt im Apartment neben ihnen. Er hat beschlossen, sie abzumurksen, weil er es einfach nicht mehr ertragen konnte, dass sie ihre beschissene Stereoanlage andauernd so verflucht laut aufdrehen!«

O Mann, ich komm ja wirklich wahnsinnig gut voran.

Zu laut! Zu heiß!

Die sanfte Brise war zwar besser als nichts, reichte jedoch kaum aus, um zu verhindern, dass Shane der Schweiß übers Gesicht, den Rücken und die Brust rann.

Gut möglich, dass das hier die elendigste Nacht in Shanes ganzem Leben war. Vielen Dank, Ed. Und vielen Dank dir, Schlampe!

Shane trat gegen die Wand, beugte sich dann zur Seite, hob das T-Shirt wieder auf und bremste ein paar rinnende Schweißtropfen aus.

Mir wird nie eine vernünftige Idee kommen. Nicht bei diesem verfluchten Lärm. Nicht solange mir diese Hitze den Schweiß schneller aus den Poren treibt, als ich ihn abwischen kann.

Dann geh doch duschen.

Ja!

Schon auf dem Weg ins Badezimmer fühlte Shane sich bereit. Die geschlossene Tür dämpfte den nervtötenden Beat der Musik. Das Prasseln des Wassers in der Badewanne würde den Lärm völlig übertönen.

Vielleicht bleibe ich einfach hier drin. Und gehe nie wieder raus.

Du hast den Computer angelassen, Blödmann. Toll gemacht. Hoffentlich explodiert er nicht oder so. Das wäre doch ein passendes Finale für diese unerquickliche Nacht.

Hey, dann hätte ich wenigstens eine gute Ausrede für Ed. Tut mir leid, aber ich fürchte, ich kann diese Geschichte nicht für dich schreiben. Mein Computer ist in die Luft geflogen.

Shane schälte sich aus den Shorts und betrachtete mit finsterer Miene das ausgemergelte Spiegelbild vor sich: kurzes Haar, das nass am Schädel klebte; Schweißtropfen unter den Augen und über der Oberlippe; gebräunte, glänzende Haut, so als wäre sie mit Öl eingerieben; und nicht gebräunte, durch die Badeklamotten vor der Sonne verborgene Haut, käseweiß und klamm.

Ich sollte in dieser Bude ’ne Klimaanlage einbauen. Vielleicht kauf ich mir so ein System, das man am Fenster installiert.

Sicher. Und wovon?

Von den 5000 Dollar Vorschuss, die ich für Das schwarze Zimmer gekriegt habe?

Die waren für Hawaii gedacht.

In zwei Tagen fliege ich über den Pazifik. Weg von alldem hier. Hawaii. Strände. Sanfte Brisen. Mai Tais. Vielleicht eine nette Bekanntschaft …

Mein Body ist doch gar nicht so übel. Fit und straff. Die Bräune sieht auch ziemlich gut aus und das Weiße sieht ja niemand. Es sei denn, ich zieh mir was an Land.

Shane grinste das Gesicht im Spiegel an, ging zur Badewanne, stieg hinein, schob den Vorhang vor und stellte das Wasser an. Es strömte aus dem Duschkopf. Herrlich kühl. Shane drückte oben auf den kleinen Knopf, und ein prasselnder Regen ergoss sich.

Wundervoll!

Vielleicht kann ich mir ja mit dem Geld von Ed eine Klimaanlage kaufen.

Aber zuerst muss ich die Geschichte mal schreiben.

Zuerst brauche ich eine vernünftige Idee.

Wie wär’s, wenn die 22-Jährige in der Dusche dran glauben muss? Irgendeine clevere Variante der Psycho-Story.

Vielleicht stellt sich das Mädchen in der Dusche am Ende als Mann heraus. Klar. Nur dass wir dann eine männliche Leiche haben. Aber sie muss weiblich sein.

Außerdem ist das dämlich. Alle würden behaupten, ich hätte bei Bloch abgekupfert. Dann könnte ich einfach sagen, dass es kein billiger Abklatsch ist, sondern eine Hommage. So nennen es sonst schließlich auch alle, wenn sie bei anderen klauen.

Shane setzte sich auf das kühle, glatte Email der Badewanne.

Denk nach, denk nach, denk nach.

Die Augen geschlossen, die Beine überkreuzt, während das herrlich kühle Nass prasselte, strömte, streichelte.

Ich könnte glatt hier einschlafen.

Kannst du nicht.

Denk nach! Eine 22-Jährige wird tot in ihrer Wohnung aufgefunden.

Was, wenn sie eine Schlampe war und es verdient hatte zu sterben? Eine echte Plage. Die ständig an ihrem Mann rumgemeckert hat. Und ihr Mann ist ein Krüppel im Rollstuhl. Ihrer Gnade völlig ausgeliefert. Eines schönen Abends kommt sie aus dem Badezimmer, nachdem sie geduscht hat, und er macht sie kalt.

Wie macht er sie kalt?

Mit Dartpfeilen. Das ist sein einziger Spaß im Leben: Darts zu werfen. Und sie macht ihm deswegen andauernd die Hölle heiß, weil er manchmal das Ziel verfehlt und kleine Löcher in der Wand verteilt.

Vielleicht hat die Schlampe seine Dartscheibe versteckt. Und das hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Sie kommt aus dem Badezimmer, tritt vielleicht auf eine Plastikplane, die er über dem Teppich ausgebreitet hat, um ihn vor dem Blut zu schützen, und zack! Er versenkt ein paar Pfeile mitten in ihrem Gesicht.

Nicht übel.

Lächelnd streckte sich Shane auf dem Boden der Badewanne aus.

Jetzt kommen wir der Sache langsam näher.

Kann man jemanden mit einem Dartpfeil umbringen? Wahrscheinlich. Ein gezielter, harter Wurf direkt in die Stirn. Durchdringt den Schädelknochen. Bohrt sich ins Gehirn. Vielleicht landet einer von ihnen ja auch in ihrem Auge.

Mitten ins Schwarze!

Sie könnte dunkelhäutig sein. Und schon hast du ein nettes Wortspiel: ins Schwarze, in die Schwarze.

Nein. Das geht zu weit. Das geht ins Lächerliche.

Aber hübsch widerlich – ein Dartpfeil, der in ihrem Augapfel steckt.

Wie dem auch sei, sie ist tot. Eine 22-Jährige, tot in ihrer Wohnung.

Und der Täter ist ein Krüppel im Rollstuhl. Deshalb braucht er Hilfe, um die Leiche wegzuschaffen. Er ruft seinen besten Freund an und lädt ihn auf eine Partie Darts zu sich ein. Der Freund zögert. Er will sich nicht mit der Zicke von Ehefrau rumschlagen müssen. Der Typ sagt: »Keine Sorge, sie wird uns nicht stören.«

Nie wieder.

Das ist richtig gut.

Also, der Freund kommt vorbei und findet die Schlampe tot auf dem Boden. Er ist schockiert, aber nicht sonderlich mitgenommen. Es braucht zwar ein bisschen Überzeugungsarbeit, aber schließlich willigt er ein, dem Mann beim Entsorgen der Leiche zu helfen. Er hat Angst, dass ihn jemand sehen könnte, wenn er versucht, sie aus dem Gebäude zu tragen, aber über der Gasse ist ein Balkon. Er und der Krüppel seilen die Leiche ab.

Wie wär’s, wenn sie sie einfach runterwerfen? Das wäre viel spaßiger.

So oder so, die Leiche landet am Ende in der Gasse. Der Freund geht runter, will sie mit dem Auto wegschaffen. Aber die Leiche ist nicht mehr da. Er kann sie nirgends finden. Er geht wieder rauf in die Wohnung.

Die beiden Typen debattieren noch, was sie jetzt tun sollen, als sie plötzlich Stimmen hören. Schreie. Sie gehen zum Balkon und schauen nach unten. Ein halbes Dutzend unheimlicher, zerlumpter Penner hat sich in der Gasse versammelt. Sie glotzen alle zu den beiden rauf. »Gebt uns noch eine! Wir wollen noch eine!«

Was haben sie mit ihr gemacht? Sie gegessen? Und sie haben immer noch Hunger. Wenn die beiden Typen ihnen keinen Nachschlag runterwerfen, kommen sie womöglich hoch und bedienen sich selbst.

Und was dann?

Shane setzte sich zitternd wieder auf.

Zu lange unter der kalten Dusche? Oder zittere ich vor Aufregung über die Geschichte?

Scheiße, so gut ist sie auch wieder nicht. Aber auch nicht so schlecht.

Aber ist sie gut genug?

Shane stellte das Wasser ab und stöhnte: Das gedämpfte Dröhnen der Musik war wieder zu hören. Shane stieg trotzdem aus der Wanne und zog ein Handtuch von der Stange.

Denk einfach nicht an den verdammten Lärm oder diese verfickte schwanzlutschende Schlampe nebenan. Denk an die Geschichte.

Ist sie wirklich zu Ende, wenn wir rausfinden, dass die Penner noch mehr wollen? Vielleicht könnte der Kerl im Rollstuhl ja seinen Kumpel vom Balkon schubsen. Aber was dann? Das wäre auf jeden Fall das Ende, wenn ich die Geschichte aus der Perspektive des Freundes erzähle. Aber wie soll ich dann den netten Einfall einbauen, dass der Krüppel seine Frau mit Dartpfeilen umbringt?

Nach dem Abtrocknen hängte Shane das Handtuch wieder über die Stange und öffnete die Badezimmertür. Die Musik hämmerte.

»Scheiße!«

Wenigstens fühlt sich die Wohnung nicht mehr wie ein Hochofen an. Wahrscheinlich ist sie noch genauso heiß wie vorher, nur ich bin jetzt abgekühlt. Aber nicht für lange, vor allem, wenn ich mich von dieser Musik nerven lasse.

Shane schlüpfte in ein Paar frische Laufshorts und ein kurzärmeliges Hemd, ließ die Knöpfe jedoch offen, um Luft an sich heranzulassen, und setzte sich dann wieder an den Computer.

Bleiben wir bei der Idee mit dem Typen im Rollstuhl? Kannibalismus? Penner? In letzter Zeit hab ich das alles ziemlich oft gebracht. Und das Ende ist auch nicht besonders Furcht einflößend.

Die Geschichte ist ganz in Ordnung, bis die Penner in der Gasse auftauchen. Aber wenn ich die wieder verwerfe, wohin ist dann die Leiche verschwunden?

Weggelaufen? Sie ist tot, um Himmels willen. Wenn du eine Zombie-Story daraus machst, torkelt die Alte nur irgendwann wieder zurück und dürstet nach Rache.

Schwachsinn.

Verdammt! Die Story kam mir gar nicht so übel vor, als ich noch unter der Dusche stand – und die Musik dieser Schlampe nicht hören konnte. Solange mir dieser Krach das Hirn zermalmt, kommt mir wahrscheinlich gar nichts richtig gut vor.

Ich sollte da rübergehen und ihr die Fresse einschlagen. Oder noch besser: ihre Stereoanlage zertrümmern.

Nein, sei einfach ganz höflich. Erkläre ihr die Situation. Bitte sie freundlich, die Lautstärke runterzudrehen.

Allein bei dem Gedanken daran begann Shanes Herz wie wild zu pochen.

Feigling.

Du musst das machen. Sonst hockst du nur hier, kochst immer mehr vor Wut und kriegst nie irgendwas gebacken.

Tu es!

Mit hämmerndem Herzen und trockenem Mund stand Shane vom Stuhl auf und ging zur Tür, blieb dann jedoch kurz stehen und knöpfte das Hemd zu.

Scheiße. Ich will das nicht machen.

Öffnete die Tür.

Vielleicht ist sie ja ganz nett, wer weiß? Nett, sicher. Sie hat mir gesagt, dass ich mich ficken soll.

Trat in den Korridor hinaus, ließ die Tür offen stehen und ging auf wackligen Beinen zur Nachbartür. Klopfte an.

Die Schlampe kann mich bei dem ganzen Lärm wahrscheinlich sowieso nicht hören.

Klopfte noch einmal.

Die Musik wurde leiser. »Ja? Wer ist da?«

»Ich bin’s, von nebenan.«

»Was willst du?«

»Ich möchte mich nur kurz mit Ihnen unterhalten.«

»Ja?«

Shane hörte ein metallisches Klicken.

»Wenn du hier rübergekommen bist, um mich zu nerven, weil …« Die Tür schwang auf. Der finstere Blick der Frau wurde etwas milder. Ebenso wie der Klang ihrer Stimme, als sie sagte: »Na, hallo. Du wohnst also nebenan, ja?« Sie prostete Shane mit ihrem Cocktailglas zu und fügte hinzu: »Freut mich, dich kennenzulernen.«

Shane brachte ein nervöses Lächeln zustande.

Gott, die Kleine war praktisch nackt. Alles, was sie anhatte, war ein schwarzes Negligé mit Spaghettiträgern. Dank des tiefen Ausschnitts waren die oberen Wölbungen ihrer Brüste zu erkennen. Das Kleidchen war kaum lang genug, um ihre Oberschenkel zu erreichen. Außerdem konnte Shane ohne Probleme durch den hauchdünnen Stoff sehen.

Jedes Mädchen, das in einem derartigen Aufzug seine Wohnungstür öffnete, musste entweder durchgeknallt oder ziemlich versaut sein. Vielleicht auch beides. Ihre Augen wirkten ein wenig gerötet. Vom Alkohol? Oder hatte sie geweint?

»Ich bin Francine«, stellte sie sich vor und streckte die Hand aus.

Widerwillig schüttelte Shane sie. »Ich bin Shane.«

»Freut mich. Warum kommst du nicht kurz rein?«

»Oh, ich möchte nicht stören.«

»Bitte!« Ein Lächeln zuckte um ihre prallen Lippen. »Komm kurz rein und trink was mit mir, okay? Hey, ich hab heute Geburtstag. Niemand sollte an seinem Geburtstag alleine sein, oder?«

Plötzlich empfand Shane ein wenig Mitleid mit der Frau. »Ich schätze, ich kann ein paar Minuten erübrigen. Aber für mich keinen Alkohol. Ich versuche zu arbeiten.«

»Sicher, klar. Wie wär’s mit einer Pepsi?«

»Das wäre nett, danke.«

Francine machte die Tür zu, gestikulierte mit ihrem Glas in Richtung eines Sofas und verschwand in die Küche.

Shane setzte sich ans eine Ende des Sofas.

Das ist nicht besonders klug. Francine ist ganz offensichtlich ein bisschen durchgeknallt. Aber nicht wirklich eine Schlampe. Trotzdem: Nach unserer Unterhaltung ist sie vielleicht kooperativer und bereit, die Musik leiser zu drehen.

Die Stereoanlage und die beiden Lautsprecher standen auf dem Boden, direkt vor der Wand, an der Shane beim Arbeiten am Computer saß.

Wenn die Wand nicht da wäre, hätte ich sie mit einem Fußtritt umwerfen können.

Kein Wunder, dass der Krach so schlimm war.

Der Plattenteller war leer. Vor der Stereoanlage stapelten sich mehrere Kassettenhüllen.

»Und, wie gefällt dir diese Hitze?«, rief Francine.

»Überhaupt nicht.«

»In meiner letzten Wohnung hatte ich eine Klimaanlage.«

»So nah am Meer braucht man normalerweise keine. Höchstens für zwei Wochen im Sommer …«

»Ich möchte am liebsten schreien.«

Sie kam zurück, ein volles Glas in jeder Hand. Einer der Träger war von ihrer Schulter gerutscht. Als sie sich nach unten beugte, um Shane die Cola zu reichen, klaffte der Ausschnitt des Negligés noch weiter auf und entblößte ihre komplette Brust.

Mit Absicht?

Worauf hab ich mich da nur eingelassen?

Sie ließ sich neben Shane nieder, drehte sich zur Seite, legte einen Arm auf die Rückenlehne des Sofas, winkelte ein Bein an und hakte den Fuß hinter dem anderen Knie ein.

Shane blickte nach unten. Das Negligé war gerade lang genug, um Francines Schritt zu verhüllen.

Mannomann.

»Na dann«, sagte Francine und leerte ihren Drink in einem Zug.

»Alles Gute zum Geburtstag.«

»Gut? Bis eben war er richtig scheiße.«

»Das kommt bei Geburtstagen schon mal vor.«

»Mal sehen, wie du dich fühlst, wenn die große Zwei-zwei auf deinem Kuchen steht.«

»Schon passiert«, erwiderte Shane.

Die Kleine ist 22! Das Leben steckt doch voller Zufälle und Ironie!

»Du siehst keinen Tag älter aus als 19«, fand Francine.

»Du auch nicht«, log Shane. Die Gute sah eher wie knapp 30 aus.

»Das sagst du doch nur so.«

»Nein, es ist wahr.«

Francines Mundwinkel wanderte nach oben. »Findest du mich attraktiv?«

Ihr dunkles Haar war zerzaust, das Gesicht ein wenig aufgedunsen und gerötet. Obwohl sie älter aussah, als sie tatsächlich war, war sie wunderschön. Das ließ sich nicht leugnen. Von ihrem Körper ganz zu schweigen.

»Klar«, antwortete Shane. »Natürlich bist du attraktiv.«

Auch der andere Mundwinkel wanderte zitternd nach oben. »Du bist auch nicht so übel. Ich bin so froh, dass du rübergekommen bist. Ich hab mich so down gefühlt, das kannst du dir nicht vorstellen.«

»Mein Abend war auch nicht gerade der Hit.«

»Ich schätze, das ist wohl teilweise meine Schuld, was?«

»Na ja, ist schon okay.«

Sie trank noch einen Schluck und stellte das Glas dann auf den Tisch. »Tut mir leid, dass ich dich angebrüllt hab.« Sie lehnte sich näher. Mit zarten Fingern begann sie, Shanes Nacken zu streicheln. »Kannst du mir noch mal verzeihen?«

»Klar. Kein Problem. Aber ich sollte jetzt besser …«

Mit ihrer anderen Hand, feucht und kühl von dem Glas, drückte sie Shanes Oberschenkel. »Fühlt sich das nicht gut an? Schön kalt?«

»Hör mal, Francine …«

»Du hast so hübsche blaue Augen.«

»Ich hab heute Abend wirklich viel zu tun. Ich muss wieder zurück an die Arbeit.«

»Sicher? Musst du wirklich?« Die Hand kroch höher. Fingerspitzen glitten in das Hosenbein von Shanes Shorts.

»Hey!«

Die Hand zog sich zurück. Francine blickte Shane fest in die Augen und sagte: »Du willst mich. Ich weiß, dass du mich willst.«

»Tue ich nicht. Ehrlich. Aber trotzdem danke.«

Die Augen der Frau waren voller Schmerz. Einsamkeit. Verzweiflung.

»Es tut mir leid, Francine, aber …«

Mit einem Geräusch, das halb wie ein Knurren, halb wie ein Wimmern klang, warf sie sich auf Shane. Das Glas mit der Pepsi flog durch die Luft.

»Nein! Geh runter!«

Lippen. Nasse, sabbernde Lippen. Der saure Gestank von Gin. Fieberhaft an Knöpfen fummelnde Hände, die Shanes Hemd aufrissen. Grapschend, streichelnd, krallend.

Ich fasse das nicht. Gott, ich fasse das einfach nicht!

Dann zogen sich Mund und Hände plötzlich wieder zurück. Shane hing auf dem Sofa, die Hände unter Francines Körper gefangen, und schnappte nach Luft, während die Wahnsinnige den Rücken durchstreckte und ihr Negligé abstreifte.

»Nicht. Bitte.«

»Das liebst du doch.« Sie beugte sich nach unten und presste eine Brust auf Shanes Mund.

Und kippte nach hinten, als Shane sich aufbäumte und zur Seite drehte.

Sie streifte mit dem Rücken die Kante des Couchtisches. Ihr Kopf knallte dagegen. Der Tisch rutschte weg und ihr Glas fiel um. Schließlich glitt sie ganz vom Sofa und landete auf dem Boden.

Sie lag ausgestreckt, mit dem Gesicht nach unten, zwischen dem Tisch und dem Sofa.

Shane krabbelte zum Ende der Couch. Stand auf. Starrte auf Francine hinunter. Spürte eine heiße Welle aus Scham und Ekel. Wirbelte herum, krümmte sich zusammen und übergab sich.

Ich hätte sie nicht wegstoßen sollen. O Gott, ich hätte sie nicht wegstoßen sollen.

Warum hab ich sie nicht einfach machen lassen, was sie wollte?

Shane wich einen Schritt von der Sauerei auf dem Teppich zurück und glotzte auf Francine hinab.

Was, wenn sie tot ist? Wenn ich sie umgebracht hab?

Wer sagt denn, dass sie tot ist? Wahrscheinlich ist sie nur bewusstlos. Das kommt doch nur in billigen Filmen vor, dass Leute bei einem Streit geschubst werden, stürzen und von einer kleinen Beule am Kopf sterben. Wahrscheinlich wacht sie in ein paar Minuten wieder auf.

Aber wenn sie es tut, will ich nicht hier sein.

Shane starrte auf ihren leblosen Körper, kniete sich neben den Couchtisch und hob das Pepsi-Glas auf.

Sonst noch irgendwas mit Fingerabdrücken?

Eigentlich nur das Glas.

Nimm das nicht mit! Mein Gott! Das ist doch, als würdest du akzeptieren, dass sie tot ist, und deine Schuld eingestehen.

Aber Shane behielt das Glas in der Hand. Eilte zur Tür. Wickelte die Hand in einen Hemdzipfel und drehte am Türknauf. Warf einen Blick in den Korridor.

Leer. Ruhig.

Trat hinaus, ließ die Tür zufallen und setzte sich hastig in Bewegung.

Sie kann nicht tot sein. Aber wenn sie es ist, können sie es auf keinen Fall mir anhängen. Keine greifbaren Beweise. Das Erbrochene! Sie werden wissen, dass noch jemand da war. Aber sie werden nicht wissen, wer. Am Ende werden sie zu dem Schluss kommen, dass es ein Unfall war. Sie war betrunken, ist gestürzt und hat sich den Kopf gestoßen. Bei der Autopsie werden sie ihren Blutalkohol überprüfen, feststellen, dass sie total besoffen war, und …

Es wird keine Autopsie geben! Es geht ihr gut.

Was, wenn ich mich ausgesperrt habe?

Aber die Tür stand immer noch offen. Shane huschte hinein, verriegelte sie und lehnte sich heftig keuchend dagegen.

In Sicherheit.

Gott, warum musste ich auch da rübergehen?

Es geht ihr gut. Nur ein kleiner Schlag gegen den Kopf.

Shane stieß sich von der Tür ab, taumelte zum Schreibtisch hinüber und ließ sich auf den Stuhl fallen. Die Musik drang leise durch die Wand.

Dreh sie auf, Francine. Komm schon, lass es richtig krachen.

Auf dem Computerbildschirm flimmerte Shanes letzter Satz. »Er hat beschlossen, sie abzumurksen, weil er es einfach nicht mehr ertragen konnte, dass sie ihre beschissene Stereoanlage andauernd so verflucht laut aufdreht!«

Nein, nein, nein, nein, nein!

»Shane?«

Kaum mehr als ein Flüstern durch die Wand.

»Francine?« Shane stand vom Stuhl auf. Mit hämmerndem Herzen. Spürte ein warmes Gefühl der Erleichterung. »Francine, geht’s dir gut?«

»Fick dich.«

»Tut mir leid, dass ich dir wehgetan hab, aber …«

Ein Knall dröhnte in Shanes Ohren. Weißer Staub und Splitter explodierten keinen halben Meter rechts aus der Wand.

Shane hörte etwas an sich vorbeirauschen.

In der Wand befand sich ein Loch von der Größe eines Zehncentstücks.

Sie hat auf mich geschossen!

»Francine!«

Die nächste Kugel schlug in Shanes Brust ein.

22-jährige Frau tot in ihrer Wohnung gefunden.

O Scheiße.

Shane fiel auf den Stuhl, sah, wie das Blut über den Computermonitor und die Tastatur spritzte – und dann starrte sie auf das sprudelnde Loch zwischen ihren Brüsten hinunter.