Fürstenkrone – 129 – Bau nicht dein Glück auf fremdes Leid

Fürstenkrone
– 129–

Bau nicht dein Glück auf fremdes Leid

Warum Komtess Gis an ihrer großen Liebe zweifeln musste ...

Charlotte Berg

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74093-311-1

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Tilo von Ayff schnitt im Park die Rosensträucher. Gisa wusste, dass er dabei nicht gern gestört wurde, dennoch ging sie auf ihn zu.

»Papa, ich möchte gern mit dir sprechen«, bat sie.

Tilo von Ayff hob den Kopf und streifte seine hübsche Tochter mit einem prüfenden Blick.

»Du weißt doch, dass ich nicht gestört werden will, wenn ich an den Rosen arbeite«, gab er ihr zur Antwort, denn er hatte erkannt, was Gisa ihm sagen wollte.

»Aber es ist sehr dringend!«, beharrte Gisa.

Herr von Ayff kräuselte ärgerlich die Stirn.

»Kind, was könnte es schon sein?«, fragte er ungeduldig. »Geh und sprich mit deiner Mutter.«

»Nein, ich muss es mit dir besprechen«, erwiderte Gisa, entschlossen, die entscheidende Aussprache mit dem Vater nicht mehr länger hinauszuschieben.

»Ich möchte heiraten!«, eröffnete sie ihm, ohne ihm eine Gelegenheit zu geben, sie nochmals abzuweisen.

»Alle jungen Mädchen möchten das«, erwiderte der Graf.

»Nein, du missverstehst mich, Papa«, entgegnete Gisa ungeduldig. »Ich habe mich verlobt.«

Der Graf zwang sich zu einem Schmunzeln.

»Da schau her! Der Fratz hat sich verlobt. Malte von Loewis hat dir auch lange genug den Hof gemacht. Herzlichen Glückwunsch!«

Gisa war das Blut bis unter die Haarwurzeln gestiegen.

»Nein, es ist nicht Malte von Loewis, Papa«, bekannte sie. »Es ist Dr. Friedmar Sutter.«

Tilo von Ayff spielte seine Rolle ausgezeichnet.

»Sutter? – Sutter? – Ich könnte mich gar nicht erinnern, ihm schon einmal begegnet zu sein«, sagte er.

»Aber er war schon einmal hier und hat dir einen Besuch gemacht«, half Gisa seinem Gedächtnis nach. »Er ist groß, schlank, ganz hellblond und hat große blaue Augen. Er hat ein schmales rassiges Gesicht und …«

Graf von Ayff wehrte lachend ab.

»So wie du ihn beschreibst, muss er aussehen wie ein junger Gott. Und was ist er? Aus welcher Familie stammt er?«

»Er ist noch sehr jung«, antwortete Gisa. »Aber er hat schon eine ganz gute Position, und er wird bestimmt Karriere machen«, versicherte sie begeistert.

»So wie du sprechen alle jungen Mädchen, die sich in einen Mann verliebt haben. Er ist der Schönste, der Beste, der Klügste und der Liebste. Aber das alles reicht nicht zu einer Ehe, mein Liebling. Du solltest dich einmal eingehend nach seinen Finanzen erkundigen.«

Gisa bog das Gespräch schnell ab.

»Darf er dir einen Besuch machen, Papa?«, fragte sie, als hätte sie all seine Einwände nicht gehört.

»Einen Besuch?« Graf von Ayff tat sehr überrascht. »Nun, darüber können wir noch sprechen. Zunächst fährst du ja morgen mit deiner Mutter nach Baden-Baden. Wenn du zurückkommst, werden wir weitersehen.«

Er wandte sich seinen Rosen wieder zu. »So, und jetzt lasse mich bitte in Ruhe arbeiten.«

Gisa hatte sich von dieser Aussprache weit mehr erhofft, dennoch war sie voller Zuversicht, als sie zurück zum Haus ging. Der Vater hatte Friedmar nicht von vornherein abgelehnt.

Sie dachte an den Mann, den sie so sehr liebte.

Sie werden versuchen, dich mit einem anderen Mann zu verheiraten, hatte er gesagt.

Gisa lächelte vor sich hin.

Niemals wird ihnen das gelingen, dachte sie.

*

Herr Eichberg ging seinem Freund entgegen und reichte ihm die Hand.

»Nett von dir, mich hier zu besuchen«, sagte er. »Wie geht es deinen beiden Damen?«

»Danke, Viktor.« Tilo von Ayff ließ sich zu einem Sessel führen. »Ich habe Gisa und Maria gerade zur Bahn gebracht. Das Mädchen braucht dringend Luftveränderung.«

Herr Eichberg sah ihn besorgt an.

»Gisa ist doch nicht etwa krank?«, erkundigte er sich.

Herr von Ayff wiegte den Kopf.

»Vielleicht ist es eine Krankheit. Sie hat es sich in den Kopf gesetzt, diesen – diesen Sutter zu heiraten! Du weißt ja, dass ich ganz und gar dagegen bin.«

»Weil du möchtest, dass sie den Loewis heiratet«, warf Herr Eichberg ein.

»Ich möchte mein Kind in den Händen eines Mannes wissen, der eine gesicherte Zukunft hat«, verteidigte er sich. »Deshalb musst du mir helfen, Viktor. Dieser Dr. Sutter muss aus der Stadt verschwinden. Schicke ihn möglichst weit weg. Ich sagte dir bereits, Geld spielt dabei keine Rolle.«

Eichberg schüttelte den Kopf.

»Dass du so hartnäckig darauf bestehst, Tilo!« Er bot dem Freund Zigaretten an. »Im Übrigen ist die Sache nicht ganz so einfach, wie du sie dir vorstellst. Ich kann Dr. Sutter unmöglich verschicken wie ein kleines Kind.«

»Ich hatte gedacht, du könntest vielleicht einen Geschäftsfreund um Übernahme Doktor Sutters bitten. Er könnte ihm ein sehr günstiges Angebot unterbreiten. Du sagtest ja selbst, er wäre sehr tüchtig – und die finanzielle Seite würde ich regeln.«

Herr Eichberg zog die Stirn in Falten.

»Ich weiß nicht, Tilo. Ich kann mich jetzt noch nicht festlegen. Schließlich verliere ich in Doktor Sutter auch einen befähigten Mitarbeiter, das darfst du nicht vergessen.«

Graf Ayff erhob sich.

»Bis wann wirst du es dir überlegt haben, Viktor?«, fragte er.

»Ich rufe dich an«, wich Eichberg aus und reichte dem Freund die Hand zum Abschied.

*

Friedmar stand vor seinem Arbeitstisch und beobachtete eine Flüssigkeit über dem Bunsenbrenner. So ganz war er mit seinen Gedanken nicht bei der Sache. Seit vierzehn Tagen war Gisa schon in Baden-Baden, und er hatte erst zwei Ansichtskarten bekommen, die noch dazu – man konnte es sehen – in Eile geschrieben waren. Sollte Gisa ihn wirklich so bald vergessen haben? Er wollte es nicht glauben.

Nein, es war viel wahrscheinlicher, dass Gisa dauernd unter Aufsicht gehalten wurde und so keine Zeit fand, ihm zu schreiben – oder ihn gar einmal anzurufen, wie er es sich wünschte.

Man müsste reich sein, grübelte er. Wenn ich reich wäre, könnte ich vor den Grafen hintreten und sagen: Gib mir deine Tochter. Ich liebe sie.

Aber so?

Er würde mich nur auslachen und mich zur Tür hinausweisen, und dann wäre alles aus. Ein für alle Mal wäre es aus, und ich könnte Gisa nicht mehr wiedersehen – auch heimlich nicht mehr.

In diese Gedanken hinein rasselte das Telefon.

Friedmar zuckte erschrocken zusammen. Mit einer linkischen, unsicheren Bewegung hob Friedmar den Hörer auf.

»Sutter?«, meldete er sich.

»Eichberg. Herr Doktor Sutter, kommen Sie doch bitte in mein Büro. Ich möchte etwas mit Ihnen besprechen«, vernahm er die Stimme seines Chefs.

»Ich komme sofort, Herr Eichberg«, antwortete er hastig und legte auf.

Wenige Minuten später saß Friedmar Sutter seinem Chef gegenüber.

»Herr Doktor Sutter, ich habe hier den Brief eines Geschäftsfreundes aus Argentinien, Gonzales. Ich weiß nicht, ob Ihnen der Name ein Begriff ist?« Viktor Eichberg sah Friedmar fragend an.

Friedmar verneigte sich leicht im Sitzen.

»Eine befreundete Firma, nicht wahr?«, sagte er.

Eichberg nickte befriedigt.

»Ganz recht«, bestätigte er. »Nun – die Firma Gonzales hat vielleicht sogar eine größere Zukunft als wir.« Er räusperte sich abermals. Es war wirklich nicht so einfach, die Bitte des Geschäftsfreundes zu erfüllen, ohne allzu viel zu verraten. »Die Firma Gonzales also bittet mich um meine Hilfe. Sie sucht einen deutschen Chemiker – einen jungen begabten Chemiker, der nach Einarbeitung drüben eine verantwortliche Stelle übernehmen soll – wenn nicht gar in absehbarer Zeit die gesamte Leitung der Werke – stellvertretend für Herrn Gonzales, natürlich.« Er hielt den Atem an und blickte Friedmar fest an. »Ich dachte dabei an Sie. Sie wären für diese Position wie geschaffen – jung, begabt, fleißig und zu den besten Hoffnungen berechtigend. Ich brauche Ihnen nicht erst zu sagen, dass Sie drüben die Gelegenheit hätten, bedeutend mehr zu verdienen, als ich Ihnen trotz Ihrer guten Leistungen zahlen kann. Ganz abgesehen davon, dass Sie, so weit dies jetzt vorauszusehen ist, in den nächsten fünf bis zehn Jahren kaum die Möglichkeit haben würden, in meinem Betrieb aufzurücken.« Er zuckte bedauernd die Schultern. »Ganz einfach deshalb, weil niemand anders Platz macht für Sie.«

Friedmar hatte in seiner begreiflichen Erregung Halt gesucht an den Sessellehnen und umklammerte sie so fest, dass sich seine Knöchel weiß abzeichneten.

Das ist ein Angebot des Himmels, dachte er. Wenn ich es in Argentinien zu etwas gebracht habe, werde ich ohne Scheu vor den Grafen Ayff hintreten und ihn um die Hand seiner Tochter bitten können. – Selbst wenn er sie mir dann noch versagte, würde ich Gisa ohne Gewissensbisse heiraten können, denn dann wäre ich in der Lage, ihr ein sorgenfreies Leben bieten zu können. Dann wüsste ich ganz genau, dass es in meiner Macht läge, sie glücklich zu machen.

»Sie müssen sich nicht jetzt gleich entscheiden, Herr Doktor«, sagte Eichberg in all diese Überlegungen hinein.

»Danke!« Friedmar war sehr verwirrt. »Vielen Dank, Herr Eichberg. Ihr Angebot ist außergewöhnlich und das Vertrauen, das Sie in mich setzen, verpflichtet mich sehr. – Doch bitte, verstehen Sie, wenn ich nicht jetzt gleich eine bindende Zusage geben kann. Es kommt alles so plötzlich. Ich hatte nie an die Möglichkeit gedacht, ins Ausland zu gehen.«

Eichberg lächelte. »Natürlich habe ich Verständnis dafür. Überschlafen Sie die Sache einmal. Denken Sie in Ruhe über alles nach. Und wenn Sie noch Fragen haben, ich werde sie Ihnen gern beantworten, so weit ich dazu in der Lage bin. Darf ich damit rechnen, dass Sie mir morgen eine Antwort auf meine Frage geben werden?«, erkundigte er sich.

»Gern, Herr Eichberg. Ich hätte nur noch eine Bitte an Sie«, antwortete er zögernd.

Eichberg lächelte noch immer.

»Wenn ich sie Ihnen erfüllen kann, ist sie schon gewährt«, versprach er.

»Danke, Herr Eichberg. Ich würde Sie bitten, mich bis morgen zu beurlauben. Ich möchte die Entscheidung nicht gern allein treffen. Es gäbe da jemanden, der vielleicht etwas dazu zu sagen hätte. Ich weiß nicht, ob Sie das verstehen werden – aber …« Er brach ab und blickte Herrn Eichberg unsicher an.

Eichberg ahnte natürlich, wen Friedmar meinte, und er glaubte auch zu wissen, dass Friedmar seine freie Zeit dazu zu benutzen wünschte, Gisa von Ayff in Baden-Baden aufzusuchen, um mit ihr zu beraten.

Es hätte für ihn zwei Gründe gegeben, diese Zusammenkunft der beiden jungen Leute zu verhindern. Erstens wusste er ganz genau, dass es gegen den Wunsch seines Freundes Tilo von Ayff sein würde, wenn er Friedmar Sutter zu dieser Fahrt beurlaubte – und zweitens bat Herr Gonzales ihn außerordentlich um einen jungen, gut aussehenden Mann, der keinerlei Verpflichtungen oder Bindungen hatte – ja, der nicht einmal mehr Verwandte in Deutschland zurücklassen würde, wenn er seine Heimat in der neuen Welt suchte.

Dennoch sagte Eichberg:

»Selbstverständlich sind Sie beurlaubt, Herr Doktor Sutter. Schon, damit Sie nichts anstellen bis morgen, denn Sie werden von jetzt ab doch mit Ihren Gedanken nicht mehr recht bei der Arbeit sein können, nicht wahr?«

Friedmar erhob sich. Er nahm die ausgestreckte Rechte des Älteren und drückte sie dankbar.

»Danke!«, stammelte er glücklich. »Vielen Dank – für alles!« Dann eilte er hinaus.

*

Gisa von Ayff traf sich mit Dr. Friedmar Sutter in einem kleinen Lesezimmer des Hotels, in dem sie mit ihrer Mutter wohnte. Sie waren ungestört, und glücklich lag sie in seinen Armen.

Dann ließ sie sich von Friedmar zu einer Polsterbank führen. Sie hielt seine Hände in den ihren und sah ihm in die Augen.

»Weißt du, Lieber, die Unmöglichkeit dir zu schreiben, machte mich so unglücklich. Doch jetzt bin ich glücklich, dass ich dazu keine Gelegenheit fand. Du wärest sonst wohl niemals nach hier gekommen, und wer weiß, wann wir uns dann wiedergesehen hätten?« Friedmar besann sich auf die Ursache seiner Reise. Er zog die schmalen zarten Frauenhände an seine Lippen und schmiegte seine Wangen daran.

»Gisa, ich bin nicht nur gekommen, weil du mir die versprochenen Briefe nicht geschrieben hast«, begann er vorsichtig. »Es ist etwas geschehen, was unser beider Leben vielleicht bedeutend beeinflussen kann. Ich möchte keine Entscheidung treffen, ohne deine Meinung vorher gehört zu haben.«

»Ist es – etwas Hässliches?«, erkundigte sie sich ängstlich.

Friedmar legte seinen Arm um Gisa und zog sie fest an sich.

»Das kommt ganz darauf an, wie man es ansieht, Liebling«, antwortete er, und dann berichtete er von dem Angebot, das Herr Eichberg ihm am Morgen unterbreitet hatte.

Als er geendet hatte, war es ein Weilchen still zwischen ihnen. Gisa hatte ihr Gesicht leicht abgewandt, doch Friedmar gewahrte, wie sehr es darin arbeitete. Er war begierig zu erfahren, welche Meinung sie darüber hatte, doch er ließ ihr Zeit und drängte sie nicht.