Cover
Carl Lentz - Lebe den Moment

NLB Neues Leben Bibel, Copyright © 2006, SCM R.Brockhaus, Witten.

Dieses Buch widme ich den vier Menschen, von denen ich ehrlich sagen kann: »Ich liebe euch seit dem Moment, an dem ich euch das erste Mal sah.«

Laura Jayne Lentz, ich bin Gott auf ewig dankbar dafür, dass ich dein Ehemann sein darf. Die Menschen können es nur schwer glauben, wenn ich ihnen sage, dass ich von dem Moment an, an dem ich dich das erste Mal sah, ehrlich wusste, dass ich dich heiraten werde. An jenem Tag in Australien rief ich meine Mutter an und sagte: »Mama, heute habe ich die Frau gesehen, die ich heiraten werde.« Zum Glück kann Cathy Lentz das bestätigen, und ich bin froh, dass ich diesen Moment nie vergessen werde. Du bist ein besserer Mensch als ich, deine Beziehung mit Jesus inspiriert mich, tiefer in meiner eigenen Seele zu graben und täglich zu wachsen, und die Art und Weise, wie du anderen Menschen Gnade gibst, sucht ihresgleichen. Gnade zu vergeben. Gnade, das zu nehmen, was uns im Leben über den Weg läuft und es zu nutzen. Gnade, mich meiner Rolle als Mann, Vater, Ehemann und Freund gerecht werden zu lassen, ohne mich zu verurteilen und zu zweifeln. Ich könnte und sollte ein ganzes Buch über dich schreiben. Vielleicht werde ich das irgendwann. Aber danke, dass du schon so lange zu mir hältst – lange genug, um genügend Material zu haben, um überhaupt ein Buch zu schreiben! Ich hätte sonst schon längst irgendwo unterwegs aufgegeben. Aber diese Option hast du mir nie gelassen. Dafür bin ich dankbar. Du bist meine beste Freundin, dich zu lieben fällt nicht schwer und dir gehört für immer mein ganzes Herz. Ich liebe dich!

Ava Angel Lentz, Charlie Jayne Lentz und Roman Stephen (und manchmal Roger) Lentz: Meine Liebe zu euch lässt sich nicht in Worte fassen.

Danke, Ava, dass ich vor deinen Freunden schlechte Witze erzählen und dich zur Schule fahren und dort warten darf, weil ich dir gerne dabei zusehe, wie du den ganzen Weg bis hinein gehst, denn ich kann nicht genug von dir bekommen. Bitte frage Gott doch mal, ob er nicht deinen Wachstumsprozess etwas verzögern kann. Das einzige, das schneller wächst als deine Beine, ist deine Leidenschaft, mehr über Gott zu erfahren – und deine Anmut und Klasse, die dich bereits jetzt von allen anderen abhebt. Ich wünsche dir, dass du diese Anmut und Klasse für den Rest deines Lebens beibehältst.

Charlie Jayne, du hast uns von dem Moment an, an dem du deinen ersten Atemzug auf dieser Welt getan hast, zum Lächeln gebracht und mir gefällt, mit welchem Herzen du dich um andere und ihre Gefühle kümmerst. Das ist sehr selten und ich will das unbedingt für den Rest deines Lebens bewahren. Du gibst anderen das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, und das ist eine Gabe von Gott. Ich bin so stolz, dass ich dein Papa bin!

Und meinem Sohn, Roman, dem Löwen: Du bist jemand, der die Welt verändert. Du bist eine Legende. Du bist ein Mann Gottes und du bist berufen und gesalbt, gewaltige Dinge auf dieser Erde zu tun. Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um dir einen Weg zu bahnen, der dein Leben bedeutend und wirkungsvoll macht, wenn du ihm folgst. Schon allein dein Papa zu sein, hat mich zu einem besseren Menschen gemacht. Du bist mein Junge, mein Kumpel, und ich bin stolz auf dich.

Ich danke der ganzen Familie Lentz für all die versäumten Abendessen, die geistesabwesenden Radtouren und die leeren Blicke, die es euch gekostet hat, während ich mich mit Haut und Haaren in dieses Buch investierte. Es wird die Mühe ganz bestimmt wert sein. Es ist ein Segen, das Leben mit euch vieren verbringen zu dürfen.

INHALT

Haftungsausschluss

Einleitung

Kapitel 1   Überraschung! Was du siehst, ist nicht das, was du bekommst

Kapitel 2   So ist es eben

Kapitel 3   Rückspiegel

Kapitel 4   Angst

Kapitel 5   Gold im Abfall

Kapitel 6   An all die Damen hier mit Anmut und Klasse

Kapitel 7   Was man auf einer einsamen Insel braucht

Kapitel 8   Erobere alle Straßen

Kapitel 9   Deine Sicherheit ist deine Gelassenheit

Kapitel 10   Ein traumhaftes Leben

Kapitel 11   Wenn Jesus Instagram hätte

Kapitel 12   Ich habe keine Ahnung, wohin ich gehe

Kapitel 13   The Walking Dead – die Zombies

Kapitel 14   Es ist nicht so schlimm, wie du denkst

Kapitel 15   Dieses Mädchen ist Gift für dich

Kapitel 16   Es war noch nie cooler, uncool zu sein

Kapitel 17   Du musst nicht alles gut können

Kapitel 18   Ich fordere etwas anderes

Kapitel 19   Ich höre mir an, was du sagst, aber ich stimme dir nicht zu

Kapitel 20   Das Problem mit den Menschen

Kapitel 21   Mein Beruf sind die Menschen

Kapitel 22   Vielleicht sind wir gar nicht alle so verschieden

Kapitel 23   Es ist nicht die Schuld des Dealers

Kapitel 24   Wenn du ein Rassist bist und es weißt, dann klatsche in die Hände

Kapitel 25   Kultur, in drei Akten

Kapitel 26   Auf der Flucht nach Nirgendwo

Kapitel 27   Liebgewordene Lügen

Kapitel 28   Du musst nicht die Welt retten

Danksagungen

Über den Autor

HAFTUNGSAUSSCHLUSS

ICH HABE DIESES BUCH GESCHRIEBEN. Das ganze Buch. Das sage ich nicht, weil ich damit angeben will, denn ich hätte nie gedacht, dass ich jemals selbst ein Buch schreiben würde! Aber als ich erfuhr, wie man professionell an diese Dinge herangeht, was aus geschäftlicher Sicht heute gängig ist und was nicht, habe ich herausgefunden, welche allgemeinen, einzigartigen und standardmäßigen Verfahren für das Bücherschreiben heutzutage gelten. Damit verrate ich nichts Neues und es soll auch nicht im Entferntesten abfällig gemeint sein. Es ist einfach wahr: Viele Autoren schreiben ihre Bücher gar nicht selbst. Und das zunächst einmal, weil es schlau ist. Effektives Schreiben ist extrem schwierig. Und wenn es dein Ziel ist, dass dein Buch so vielen Menschen wie möglich helfen soll, dann ist es sinnvoll, jedes einzelne Werkzeug zu nutzen, das du zur Verfügung hast – einschließlich eines Lektors, der höchstwahrscheinlich ein Profi ist und das zu Papier bringen oder in Worte fassen kann, was in deinem Herzen ist – besser, als du es selbst könntest! Die meisten nutzen diese Option. Ich mache das niemandem zum Vorwurf – und manchmal wünschte ich, ich hätte es auch so gemacht! Aber ich habe mich entschieden, mit diesem Buch das Risiko einzugehen und unter allen Umständen dafür zu sorgen, dass es meine Stimme, mein Herz und meine Leidenschaft ausdrückt – auch wenn das aus professioneller Sicht vielleicht nachteilig war! Aber ich habe Dinge noch nie nach den professionellen, kulturellen Maßstäben getan. Und ich will auch jetzt nicht damit anfangen. Wenn dieses Buch also einen unorthodoxen, ungefeilten, andersartigen Eindruck macht, mit Hochs und Tiefs, langen und kürzeren Kapiteln und manchmal sogar unvollständig scheint, dann, weil es so ist. In mancherlei Hinsicht soll es genau so sein. Dieses Buch entstand in einem schwarzen Chevy Tahoe auf den Straßen von New York City. Dieses Buch entstand in den Slums von Mumbai in Indien. Dieses Buch entstand über der endlos weiten Fläche des tiefblauen Ozeans, als ich an verschiedene Orte dieser großartigen Welt flog. Es entstand an meinem Küchentisch in Montclair, New Jersey. Es entstand in einem Krankenhauswartezimmer, als ein Freund von mir operiert wurde. Es entstand unter Tränen, vom Anfang bis zum Ende. Und auf eine merkwürdige Weise fühle ich mich richtig wohl dabei. Denn wenn ich dir sagen würde, du sollst den Moment leben, aber nicht wirklich echt und transparent in dem »Moment« wäre, in dem ich dieses Buch schreibe, wäre es sinnlos. Ich bete, dass es für dich ein Segen wird. Ich habe es so geschrieben, wie ich es selbst gerne lesen würde. Im Laufe der Jahre habe ich gemerkt, dass ich nicht wirklich gerne Bücher lese, weil meine Aufmerksamkeitsspanne stark schwankt. Manchmal kann ich lange sitzen und lesen. Dann wiederum schafft mein Verstand es gerade mal, drei Tweets zu verarbeiten. Darum habe ich gedacht, wenn ich jemals ein Buch schreibe, dann soll darin beides zu finden sein: lange Kapitel und kurze Kapitel. Einfach um sicherzugehen, dass jeder etwas damit anfangen kann. Ich neige dazu, Bücher an beliebigen Stellen aufzuschlagen. Das ist ein Problem, wenn ein Buch chronologisch gelesen werden muss, um es vollständig zu verstehen. Dieses Buch ist nicht so. Du kannst dir jederzeit jedes Kapitel einzeln vornehmen und es wird in sich selbst einen Sinn ergeben. Zusammenfassend lässt sich sagen: Wenn du auch von ADHS betroffen bist – dann ist dieses Buch für dich. Danke, dass du dein Geld dafür ausgegeben hast. Es ist eine überwältigende Ehre, die Chance zu erhalten, dir etwas Perspektive für dein Leben anzubieten. Wie schon mein Freund, der Radio- und TV-Moderator Charlamagne tha God sagt: »Ich werde mir von niemandem den Mund verbieten lassen.« Und wenn das bedeutet, dass ich es zu Papier bringe, damit die Welt es lesen, kritisieren, lieben und hassen kann, dann ist es so. Ich werde meine Momente leben. Ich habe das Gefühl, dass dieses Buch dir dabei helfen wird, dasselbe zu tun.

________

Ich verwende in diesem Buch jede Menge Geschichten von echten Menschen aus dem echten Leben, die wirklich passiert sind. Denn ohne die ist dieses Buch nichts anderes als eine Sammlung von Anregungen. Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber so sehr ich auch Gefallen an Anregungen finde, will ich trotzdem wissen, dass sie auch funktionieren! Weil mein Leben und das der Menschen, die mir vertrauen, etwas Persönliches ist, ändere ich manchmal einen Namen oder eine Eigenschaft ab oder gebe nur eine vage Beschreibung einer Sache, um die Privatsphäre zu schützen. Aber die Geschichten, die ich verwende, sind echt.

________

Ich bin ein bekennender, auffallend freimütiger Nachfolger Jesu. Das ist wichtig, weil alles, was ich tue oder sage, direkt aus dem Blickwinkel meines Glaubens kommt. Und der ist ausschließlich und völlig in Jesus Christus verwurzelt. Das ist nicht meine Religion. Das ist meine Beziehung mit Gott. Großer Unterschied. Wenn du dieses Buch liest, musst du nicht das glauben, was ich glaube. Die eiskalte Wahrheit über Jesus und darüber, wofür er stand und steht, ist, dass du überhaupt nicht glauben musst, dass er der war, der er zu sein behauptete. Du musst auch nicht glauben, was ich über ihn sage, um von seinem Leben zu profitieren. Die meisten erfolgreichen »Motivationsredner« klauen eigentlich nur bei den Lehren der Bibel – sie entfernen das Wort Bibel, beziehen sich nicht auf den Autor und kassieren ordentlich ab. Was ich herausgefunden habe, ist, dass es dein Leben auf dieser Erde definitiv verändern kann, wenn du das tust, was Jesus gesagt hat. Es kann dein Verhalten und deine Einstellung verändern. Aber das ist nicht der Grund, warum Jesus auf diese Erde kam. Er kam nicht als nette Zugabe und um »dein Leben besser zu machen«. Er ist die Errettung. Er ist der Preis. Er ist die Antwort. Er behauptete, Gott zu sein, und ich glaube, dass er es ist. Ich folge Jesus nach, weil er mein Leben gerettet und mir ein neues Leben gegeben hat, und er ist der Einzige, der etwas daran ändern kann, wo wir die Ewigkeit verbringen. Du kannst also das hier lesen und trotzdem bei dem bleiben, was du glaubst. Aber du musst verstehen, dass das, was mich »anders« macht, Gottes Gnade ist. Ja, ich strenge mich an. Ja, ich habe mir Prinzipien angeeignet, die mir bisher wirklich geholfen haben, in meinem Leben etwas zu bewirken. Aber ich kenne viele Menschen, die sich anstrengen – die sich sogar noch viel mehr anstrengen. Ich kenne viele Menschen, die ganz eifrig Zeit, Mühe und Leidenschaft in verschiedene Dinge ihres Lebens gesteckt haben, aber zu einem ganz anderen Ergebnis kamen. In Wirklichkeit wissen wir nicht immer, was zum »Bestimmer« in unserem Leben wird. Sei vorsichtig, wenn andere dir sagen: »Wenn du genau DAS hier tust, dann wird genau DAS dabei herauskommen!« So ist es nicht. Dieses Leben ist ein Wimpernschlag. Ein Hauch. Es ist also wichtig, was wir tief in uns glauben. Ich werde dir mit diesem Buch nicht »meinen Glauben aufzwingen«. Eigentlich genau das Gegenteil. Das ist kein »christliches Buch«. Was soll das überhaupt sein? Ich habe noch nie gesehen, dass irgendeiner anderen glaubensbasierten Gruppe jemals so sehr ein Stempel aufgedrückt wurde. Ich habe auch noch nie Sachen gehört wie: »Lies doch mal das Buch von diesem Kühe anbetenden Autor.« Oder: »Sieh mal, was dieser Hip-Hopper zu sagen hat. Er ist ein Autor, der nur sich selbst anbetet.« Das macht man nur mit Christen. Also tu das nicht. Aber sei dir auch bewusst, dass mein Glaube an Jesus der einzige Faden ist, der den Stoff meines gesamten Lebens verkettet. Du glaubst, was du glauben musst. Ich glaube, was ich glauben muss. Und selbst wenn es sich unterscheidet, wirst du vermutlich feststellen, dass wir uns in vielen wichtigen Dingen einig sind. Lies dieses Buch mit einer offenen Haltung, dann wird es dir ganz bestimmt einige Türen aufschließen.

________

Wenn notwendig, greife ich auch auf Geschichten über Menschen zurück, die für »berühmt« gehalten werden. Die Tatsache, dass diese Menschen berühmt sind, ist für mich eher unbedeutend. Ich liebe die Menschen unabhängig von ihrem Status. Doch in unserer Kultur erreicht man mit Prominenz viel. Prominenz ist die Vorstellung, dass Ruhm gleichbedeutend mit Wert ist. Ich bin anderer Meinung. Ruhm kann Einfluss bedeuten, aber oft bedeutet berühmt zu sein, einfach nur bekannt zu sein, ohne irgendetwas Positives bewirkt haben zu müssen. Trotzdem sind es die Namen von berühmten Personen und Organisationen, die Geschichten interessant machen, Clubs zu Bekanntheit verhelfen und irgendwelchen Dingen einen wertlosen Status verleihen. Ich freue mich, dass ich mir diese Logik zunutze machen kann, um auf etwas Erlösendes und Bedeutendes hinzuweisen. Man stellt mir häufig Fragen über Promis, und normalerweise sage ich dazu nicht viel, weil ich gar nicht die Zeit dazu habe. Hier schon. In unserer Gemeinde in New York City sind wahrscheinlich 99,9 Prozent keine Promis. Die Medien haben noch nie darum gebeten, eine Geschichte über unbekannte Menschen und ihre tollen Eigenschaften machen zu dürfen. So oft bekommen wir Begriffe wie »Promi-Gemeinde« zu hören. Das erzeugt ein falsches Bild. Aber genau das ist es: Es ist das Bild von jemand anderem. Der große Vorteil davon, ein Buch zu schreiben, ist, dass wir diesen einen Aspekt, der uns so viel Aufmerksamkeit bringt, genau beleuchten können. Darum habe ich auch Geschichten von Menschen eingebaut, von denen du vielleicht schon einmal etwas gehört hast – weil sie dem großen Ganzen andere Perspektiven hinzufügen. Aber ich glaube nicht, dass dies meinem Wert etwas hinzufügt. Ich bin 38 Jahre alt. Meine Frau Laura ist unglaublich toll und wahnsinnig in mich verliebt. (Wenn ich das sage, dann solltest du wissen, dass wir drei Kinder haben, und alle drei haben Anfang Juni Geburtstag. Es ist offensichtlich, dass sie verrückt nach mir ist, vor allem im Oktober. Hallo!) Und meine Kinder finden mich eigentlich auch ganz toll. Aus diesen Faktoren setzt sich mein Selbstwert zusammen. Ich fühle mich also in meiner Coolness absolut sicher, ohne überhaupt einen Promi kennen zu müssen, mit einem in Verbindung gebracht zu werden oder Geschichten von einem zu erzählen. Dennoch wäre es nachlässig, die oberflächliche Attraktivität des Ruhms nicht dafür zu nutzen, um zu zeigen, wie er trotzdem in manchen Situationen ein Licht sein kann.

EINLEITUNG

LEBE DEN MOMENT. Die Idee dahinter scheint ganz einfach zu sein. Es gibt buchstäblich Millionen und Abermillionen von Momenten in unserem Leben, die wir entweder maximal ausleben oder verpassen werden. Je nachdem, ob wir eher zu Ersterem oder zu Letzterem neigen, wird das große Auswirkungen darauf haben, wie das fertige Bild unseres Lebens letztendlich aussehen wird.

Ich war noch nie ein großer »Puzzler«. Und damit meine ich, dass ich Puzzles hasse. Aber wenn du Kinder hast, musst du einiges ertragen, wie ihnen dabei zuzusehen, wie sie ganz langsam zusammensetzen, was irgendwann einmal in der Zukunft – abhängig von der Aufmerksamkeitsspanne des besagten Kindes – zu einem Bild werden wird. Manche Teile sind ganz klein, andere größer, und du kannst ein oder zwei weglassen, wenn dir danach ist, aber am Ende wird es so aussehen, als ob da irgendetwas fehlt. Schlimmer noch, du kannst dasitzen und dir all die Teile ansehen und darauf warten oder hoffen, dass eines Tages jemand kommt, der all dem einen Sinn gibt und es für dich zusammensetzt.

Ich glaube, unsere Kultur – die auf schnelle Befriedigung aus ist, Abkürzungen auf dem Weg zum Erfolg sucht, ständig filmt, was gerade erlebt wird, um es später einmal, wenn überhaupt, ansehen zu können, und eine Opfermentalität hat, die so stark ist, dass es selten die eigene Schuld ist, wenn Dinge nicht wie gewünscht oder gewollt geschehen – treibt uns in die Hektikfalle. Was bedeutet, dass wir uns zwar in diesem Leben befinden, es aber nicht wirklich leben. Dass wir körperlich anwesend, aber geistig abwesend sind. Dass wir nur für Leistung, Erfolg und Errungenschaften leben, dass wir diese Dinge immer weiter anhäufen, nur um herauszufinden, dass sie nicht das sind, als was man sie angepriesen hat.

Weißt du, was mein Ziel ist? Ich will, dass die Momente meines Lebens mir gehören. Klar will ich ein Foto von meinem Sohn machen, wie er Fahrrad fährt … aber ich will auch mein Handy weglegen und wirklich zusehen, wie er es tut! Ja, ich will mich anstrengen und Geld sparen und dafür sorgen, dass meine Kinder, wenn sie eines Tages mein Haus verlassen, einen guten Start bekommen, der ihnen in jeglicher Hinsicht hilfreich sein wird. Aber ich will nicht, dass sie zu Hause ausziehen als völlig Fremde, weil ich so damit beschäftigt war, für ihre Zukunft zu sorgen, dass ich ihre Gegenwart verpasst habe.

Ich glaube an dieses Buch, mit meinem ganzen Sein. Weil es nicht immer um Leben oder Tod geht, wenn du mal eine Chance verpasst. Wenn du gezögert hast, dich mit jemandem zu verabreden, den du gerne magst, und stattdessen ein anderer die Chance genutzt hat und du jetzt immer noch Single bist, dann entspanne dich – es wird noch mehr solcher Momente geben. Wenn du den Hochzeitstag vergessen hast und es dir erst einen Tag später eingefallen ist und dein Ehepartner dann gesagt hat: »Schönen Dank auch«, musst du dich vielleicht eine Zeit lang mit der Couch begnügen, aber du kannst den nächsten Hochzeitstag zu etwas Besonderem machen. Uns allen entgehen mal wichtige Augenblicke. Meine größere Sorge – in meinem eigenen Leben und im Leben derer, die dieses Buch in die Hand nehmen –, gilt dem, dass Momente zu verpassen, die nicht so wichtig erscheinen, zu einem Verhaltensmuster werden kann und wir dadurch wichtige Momente, Verbindungen, Beziehungen und Erfahrungen versäumen, die das Leben ausmachen. Und sei versichert: Bei einigen Momenten geht es auch um Leben und Tod.

________

Unsere ersten paar Jahre in New York City, in denen wir diese großartige Gemeinde gegründet haben, waren sehr stürmisch. Wir hatten nicht so viel Erfahrung (eigentlich gar keine), aber dafür umso mehr Leidenschaft! Und die Menschen und das Tempo, die New York City bestimmen, erfordern jedes bisschen Leidenschaft, das man aufbringen kann. Zu lernen, wie man den Moment nutzt, kann entscheidend dafür sein, ob man ein Taxi bekommt oder nicht, ob man ein kleines Stückchen Platz in der nächsten U-Bahn ergattert oder ob ein Mixtape, ein Drehbuch oder eine vorgetragene Geschäftsidee Erfolg hat. Weil man in New York City nämlich ständig an Dinge oder Menschen gerät, die entscheidende Auswirkungen haben können. Sekundenbruchteile können über Millionenbeträge entscheiden! Was Menschen anbelangt, kann ein genutzter Moment auch Leben retten. Da wir keine Ahnung haben, was jemand anderes vielleicht gerade durchmacht, könnte der Moment, den wir uns nehmen, um Hallo zu sagen, eine ermutigende Textnachricht zu verschicken oder jemanden anzurufen, nur um ihm zu sagen, dass er geliebt wird, für diese Person einfach alles bedeuten. Momente sind wichtig.

Zwei meiner besten Freunde und ich hatten mit einem Freund zusammengearbeitet, den man als »klassischen New Yorker« bezeichnen könnte. Er war Model, Modedesigner und traf einige wirklich gute Entscheidungen am Aktienmarkt, die es ihm ermöglichten, viel Geld zu besitzen und auszugeben. Ich weiß nicht, wie viele Firmen er besaß, aber ich weiß, wie viele Millionen Dollar er für Dinge ausgab, die nicht wirklich wichtig waren. Sagen wir einfach mal, dass er in dem, was er tat, sehr, sehr gut war. Er hatte auch eine schlimme Kokain- und Heroin-Abhängigkeit, die ihm fast zwanzig Jahre lang zu schaffen gemacht hatte. Ich hatte schon von »funktionierenden Süchtigen« gehört, bevor ich nach New York City gekommen war, aber ich stellte mir darunter immer Menschen aus dem Film Joe Dirt vor, die in irgendeinem verschlafenen Nest leben und gerade so über die Runden kommen. Mir war nicht klar, dass man nicht nur funktionieren konnte, wenn man von tödlichen Betäubungsmitteln hochgradig abhängig war, sondern in manchen Bereichen tatsächlich noch Erfolg haben konnte.

Mein Freund war seit ganzen fünf Monaten clean, aber während der letzten zwei Wochen waren mir einige merkwürdige Dinge aufgefallen, die mir Sorgen machten. Ich fragte bei meinen zwei Freunden nach, die diesen Menschen genauso sehr liebten wie ich, und tatsächlich hatte keiner von uns während dieser ganzen Zeitspanne irgendetwas von ihm gehört. Wenn bei diesem Kerl alles rund läuft, dann ist er so einer, der zehn Textnachrichten pro Tag schreibt. Der Unterschied war also krass. Wir kamen alle zu demselben Schluss: Er hatte sich höchstwahrscheinlich zu einer Drogenorgie in seiner exklusiven Penthousewohnung eingebunkert. Bei Abhängigen ist das problematisch, weil man nie weiß, ob es dieses Mal das letzte Mal sein wird. Auch sie selbst wissen es nicht. Aber nach zwei oder drei Tagen Heroinkonsum verliert man gerne mal seinen gesunden Menschenverstand.

Wir fuhren zu seiner Wohnung und wir konnten Geräusche hören, sodass wir wussten, dass er da drin war. Ich rief ihn auf seinem Handy an. Ich konnte es klingeln hören. Und er ging ran und sagte: »Ich bin nicht da.« Ich fing an, gegen die Tür zu hämmern und sagte: »Das kann ich hören, Kumpel. Mach die Tür auf. Ich liebe dich. Ich will nur mit dir reden.« Das war eine Lüge, und er wusste, dass es eine war, denn ich hatte nicht vor, mit ihm zu reden. Ich würde ihn genau einmal fragen, ob er in den Entzug wolle. Und wenn die Antwort nein lautete, würde ich ihm eine verpassen und ihn rauszerren. Wir beide waren schon einmal in dieser Situation gewesen, nur dass er damals auf der anderen Seite der Tür mit mir war. Darum wusste er, was kommen würde.

Wir klopften für eine Weile an die Tür, redeten ihm gut zu und stellten schließlich fest, dass es hoffnungslos war. Wir dachten, wir hätten eine Chance, wir taten, was wir konnten, bis sich Niedergeschlagenheit breitmachte. Aber dann bot sich eine weitere Chance. Mein Freund Joe – der gegenüber seinen Freunden und Menschen im Allgemeinen so unnachgiebig ist wie kein anderer – sagte: »Wisst ihr was? Scheiß drauf. Der stirbt heute Nacht nicht.« Sein Bruder John – der genauso extrem drauf ist, wenn es darum geht, niemals aufzugeben – sagte: »Ja, da hast du recht.« Joe sagte: »Wir können diese Feuerleiter da hochklettern. John, ich kann mich hier dranhängen und dich hochziehen und du kannst auf meine Schultern klettern und dann können wir diesen Betonziegel durch sein riesiges Erkerfenster werfen. Und dir, Carl, machen wir die Tür auf und zu dritt können wir ihn dann rauszerren.«

Manchmal wirst du im Leben mit Momenten konfrontiert, die dich buchstäblich zu Tode erschrecken. Aber wenn das, was du liebst oder glaubst, wichtig genug ist, dann wirst du die sich bietende Chance ergreifen. Wenn auch widerwillig, taten wir gemeinsam in jenem Moment genau das, wir kauerten uns zusammen wie eine Football-Mannschaft und beteten, dass die Polizei uns nicht sehen und verhaften möge und dass keiner von uns sterben würde. Du weißt schon, das Wesentliche. Und dann machten sich die beiden Brüder ans Werk.

Es war wie die Szene aus einem Film. Joe kletterte irgendwie an der Feuerleiter hoch. Er streckte seinen Arm hinunter und John wurde beinahe wie mit einem Katapult von ihm nach oben geschleudert (so etwas haben die beiden ganz sicher nicht zum ersten Mal gemacht). Der Betonziegel lag neben dem Fenster und ich gab meinem Freund noch eine Chance.

»Kumpel, bitte. Mach die Tür auf. Vertrau mir.«

»Nein! Lass mich in Ruhe! Ich will keine Hilfe!«

Ich zeigte mit den Daumen nach oben und als Nächstes hörte man Glas zu Bruch gehen, ein wenig Gerangel und dann flog die Eingangstür auf. Joe hatte unseren Freund sehr liebevoll im Schwitzkasten. John war aus der Puste. In diesem Moment hatte unser Freund bereits aufgegeben.

»Ich geh ja«, sagte er.

Mein Freund blieb am Leben, um einen weiteren Tag anbrechen zu sehen und gegen diese höllische Sucht zumindest noch ein paar weitere Runden zu kämpfen.

________

Ich denke gerne an diese Szene zurück. Alle darin enthaltenen Faktoren gefallen mir. Aber meine Gedanken landen wieder bei Joe. Er verspürte für einen flüchtigen Moment Glauben und ergriff die Chance des Moments. Und das führte zu noch ein paar mehr Momenten, die jetzt, wenn wir auf sie zurückblicken, echt krasse Erinnerungen sind, die mir für allezeit im Gedächtnis bleiben werden. Aber dieses Puzzle setzte sich nicht von selbst zusammen. Wir haben es zusammengesetzt.

Ich habe dieses Buch geschrieben, weil es egal ist, wer du bist, was du machst oder wie gut oder schlecht es heute aussehen mag: Ich weiß, dass wir noch viel besser darin werden können, das Beste aus dem herauszuholen, was wir haben. Indem wir uns auf das konzentrieren, was wir tun können. Vielleicht, und nur vielleicht, liegt irgendwo ein Betonziegel herum, den du durch die Glaswände werfen kannst, die dein Leben umschließen. Das wird nicht plötzlich geschehen, aber der Prozess kann beginnen, wann immer du es willst! Tag für Tag. Schritt für Schritt. Entscheidung für Entscheidung. Stück für Stück. Wenn du die Chancen ergreifst, die direkt vor dir liegen, wird es eines Tages, wenn du dich hinsetzt, um deine Lebensgeschichte zu erzählen, wohl eine ganze Weile dauern. Dann wirst du nämlich eine Menge Momente erlebt haben, die ihr eigenes Mikrofon verdienen.

KAPITEL 1

ÜBERRASCHUNG! WAS DU SIEHST, IST NICHT DAS, WAS DU BEKOMMST

MEIN GANZES LEBEN LANG BIN ich immer wieder in überraschenden Situationen gelandet. An Plätzen, für die ich eigentlich nicht in Frage komme. Vor offenen Türen, um die ich nicht gebeten hatte. Ich habe Chancen erhalten, die viel, viel größer sind als meine natürlichen Fähigkeiten. Doch da war ich, hier bin ich und dort werde ich höchstwahrscheinlich auch in Zukunft sein.

Im kalten Wasser.

Das ist okay für mich, denn ich will nicht, dass man irgendwann einmal von mir sagt: »Was, dieser Carl Lentz? Der hat sein Potenzial ausgeschöpft!« Was für eine Schande wäre das. Potenzial ist etwas Tolles und ich spreche oft darüber. Aber auf keinen Fall will ich, dass mein Lebensweg sich nur mit meinem »Potenzial« deckt. Ich will weiterhin Dinge tun, die offensichtlich nichts mit dem zu tun haben, was ich von Natur aus kann. Mein derzeitiger »Beruf« – Pastor einer lokalen Kirche – ist ein eindeutiges Beispiel dafür.

________

Ich wuchs in einer Familie auf, die nicht perfekt war, aber die sich ziemlich nahestand. Meine Mama und mein Papa sind jetzt fast fünfzig Jahre verheiratet und ich habe gesehen, wie sie einander aufopferungsvoll und treu lieben, jeden Tag meines Lebens. Ich habe drei Schwestern, die alle auf ihre eigene Weise sensationell sind. Obwohl die Entfernung zwischen uns den Kontakt und die regelmäßige Kommunikation erschwert hat, da wir alle erwachsen geworden sind und unser eigenes Leben leben, waren sie immer meine drei besten Freundinnen und werden es auch immer bleiben. Mary, Bethany und Corrie haben mir immer den Rücken gestärkt und waren in jeder Phase meines turbulenten Lebens meine größten Unterstützer.

Es gibt ein Foto, das über meine Kindheit als einziger Junge in einem Haus mit vier Frauen definitiv Bände spricht. Ich habe einen Cowboyhut auf, trage ein Westernhemd, ein Halfter mit zwei Spielzeugpistolen, Jeans … und High Heels. Ich war ungefähr sechs Jahre alt, aber offensichtlich vertraute ich blind einer meiner Schwestern, die dachte: Das wird lustig, wenn er älter wird. Ich hab einfach mitgemacht. Was soll’s. Wir alle haben solche Fotos.

Unsere Familiendynamik war in einer Beziehung mit Jesus verwurzelt. Wir waren keine »religiöse Familie«, sondern eine mit einem echten, lebendigen und aktiven Glauben. Der Unterschied zwischen den beiden liegt darin, dass Religion fast immer als etwas weitergegeben wird, das nicht hinterfragt wird. Meine Eltern erzogen uns aber so, dass wir selbst nach der Wahrheit forschen sollten. Auch heute, wenn ich Menschen frage, warum sie glauben, was sie glauben, ist ihre Antwort oft: »Meine Mutter hat gesagt …« Oder: »Die Gemeinde, in der ich groß geworden bin, glaubt …« Worauf ich dann sage: »Das reicht nicht!« Irgendwann einmal muss jeder selbst entscheiden, was er denn glaubt. Meine Eltern machten das so gut, dass sie es sogar zuließen, dass ich mich vom Glauben abwandte. Sie vertrauten darauf, dass die Wahrheit letztlich siegen würde, und das tat sie.

Aber eine Zeitlang entschied ich mich, einen anderen Weg einzuschlagen. Ich spielte liebend gern Basketball, verschrieb mich ihm mit Haut und Haaren und das wurde mein Ein und Alles. Ich war auf der Highschool gerade oft genug anwesend, um meine Noten auf einem Niveau zu halten, dass ich mit dem Basketball nicht aufhören musste. Ich war überraschend gut. Ich bin 1,88 Meter groß und nicht besonders athletisch gebaut, aber ich lernte schnell, dass man ziemlich weit kommen kann, wenn man sich genügend anstrengt und halbwegs begabt ist. Das gilt für alles.

Mit meinen durchschnittlichen Fähigkeiten schaffte ich es bis an die Spitze des College-Basketballs, in das hochgelobte Team der Atlantic Coast Conference (ACC) und ergatterte irgendwie einen Platz im Team des Bundestaates North Carolina. Ich erinnere mich daran, dass ich bei der UNC (University of North Carolina) und in der Cameron-Stadionhalle der Duke-Universität spielte – Orte, die mir bis dahin wie eine Fantasiewelt erschienen waren – und dachte: Ich kann gar nicht glauben, dass ich hier bin! Jeder andere, der mich in dieser Mannschaft gesehen hat, wird mit Sicherheit dasselbe gedacht haben. Aber ich war da.

Das wurde zu meinem Lebensmuster. Nachdem ich mich dann entschieden hatte, mein konventionelles Studium abzubrechen und nach Australien auf die Bibelschule zu gehen, geschah dort dasselbe. Brian Houston sah etwas in mir, dem sehr rohen (was ich immer noch bin), unverblümten und leidenschaftlichen jungen Bibelschüler, und beschloss, mir zu helfen. Mich anzuleiten. Mich zu lehren.

Brian ist der globale Senior-Pastor von Hillsong Church und meiner Meinung nach der vielleicht bedeutendste Gemeindepastor seit sehr, sehr langer Zeit. Vieles von dem, was heute in den Gemeinden an der Tagesordnung ist, hat Brian ins Leben gerufen. Ein Zusammenwirken von mehreren Gemeinde-Campussen; eine Vision für eine Gemeinde, die an ganz unterschiedlichen Standorten nicht voneinander losgelöst, sondern zusammen arbeitet; und vor allem ein Predigtstil, der so praktisch und inspirierend ist, dass man die Gemeinde nicht verlassen will, wenn der Gottesdienst zu Ende ist. (Viele von uns waren doch schon in solchen Gottesdiensten, in denen wir ein Stoßgebet gen Himmel schickten: »Bitte Gott, mach, dass es aufhört.«) Brian war einer von wenigen mutigen Leitern, die ernsthaft neue Dinge ausprobierten, um Menschen zu erreichen. Dass er sich überhaupt um mich gekümmert hat, war echt eine Überraschung.

Aber das Sahnehäubchen auf dem »Ich sollte eigentlich gar nicht hier sein«-Kuchen ist die Tatsache, dass ich ein Prediger geworden bin. Ein öffentlicher Sprecher. Als ich mich für eine persönliche Beziehung mit Jesus entschied, sagte ich: »Gott, ich werde alles tun, worum du mich bittest! Nur kein Prediger werden.« Zugegebenermaßen, ein hervorragendes Schlusswort. Ich nahm an, dass ich froh sein kann, überhaupt am Leben zu sein. In meinem ganzen Leben hatte ich noch nie vor einer größeren Öffentlichkeit gesprochen und es mir auch nicht nur im Entferntesten gewünscht, weil ich wusste, dass Prediger und Sprecher eine gute Zielscheibe für die Angriffe anderer abgeben. Ich war mir ebenfalls bewusst, dass ich einfach nicht die nötige Begabung hatte. Obwohl ich mich mein ganzes Leben lang immer über meine »natürlichen Fähigkeiten« hinweggesetzt hatte, dachte ich irgendwann einmal, dass ich nun doch »realistisch« werden müsste und meine Ziele etwas herunterschrauben sollte. Doch Gott – wie ich inzwischen nur allzu gut weiß – ist an unserer Vorstellung von unserem eigenen Potenzial nicht besonders interessiert. Egal, wie sehr du dich anstrengst, dich zu verstecken.

________

Eines Tages tauchte ich nicht anders als sonst, im Vollbesitz meiner Bücher, meines Potenzials und meiner Angst und Abscheu vor dem öffentlichen Sprechen, in der Bibelschule auf. Nur war es dieses Mal kein gewöhnlicher Tag; es war ein Tag, der den gesamten Lauf meines Lebens verändern sollte. Jeden Dienstag hatten wir eine Andacht, die mir immer sehr gefiel. Erst machten wir Musik, dann stand jemand auf und predigte und danach nahmen wir den Tag in Angriff. Aber an diesem Tag stand Phil Dooley auf – inzwischen ist er Pastor von Hillsong Südafrika und einer der ermutigendsten, liebevollsten und fröhlichsten Mentoren, die ich je hatte. Er sagte: »Heute werden wir für andere Länder in Not beten. Ich werde verschiedene Schüler bitten, nach vorne zu kommen und für ihr Land zu beten.« Er fing an Namen aufzurufen: »Thomas aus Dänemark, komm nach vorne. Nick aus Australien, komm nach vorne.« Das Herz rutschte mir in die Hose, als er mit dem Verlesen seiner Todesliste fortfuhr. Dann kam: »Carl aus den USA, komm nach vorne und bete für dein Land.«

________

In dem Moment, in dem ich meinen Namen hörte, stahl ich mich vom vorderen Teil des Raums durch die Menge nach hinten. Dann fing ich an zu rennen, raste aus dem Raum und wollte mich verstecken. Die erste Möglichkeit, die sich mir bot, war die Toilette, und die nahm ich. Ich verriegelte die Toilettentür, klappte den Toilettendeckel herunter und stellte mich drauf, um sicherzugehen, dass nichts von mir zu sehen war. Ich blieb dort etwa fünfundvierzig Minuten. Und einen Moment lang betrachtete ich – zusammengekauert in einer Toilettenkabine, versteckt aus Angst, auf der meinem Geburtsort buchstäblich entgegengesetzten Seite unseres Planeten, nach allem, was ich bisher durchgemacht hatte – meine gegenwärtige Situation. Hier war ich nun, ein erwachsener Mann, der schon große Entscheidungen getroffen hatte, Schritte im Glauben zu wagen, die mich dazu gebracht hatten, mich über fast jedes bisschen meines gefühlt mageren Potenzials hinwegzusetzen, und versteckte mich, weil ich zu große Angst hatte, etwas zu tun, von dem ich glaubte, es nicht zu schaffen. Ich schüttelte den Kopf, schloss meine Augen und betete etwas, das ich heute manchmal bereue! Aber meistens danke ich Gott dafür, dass ich es getan habe: »Von nun an, Jesus, werde ich durch jede Tür gehen, die du mir auftust. Egal, wie dumm ich dabei aussehe. Auch wenn ich glaube, es nicht zu schaffen. Du hast mir nicht das Leben gerettet, damit ich mich voller Angst in einer Toilettenkabine verschanze. Das verspreche ich von nun an.«

An jenem Tag ließ ich einen Teil meiner Angst, meiner Zögerlichkeit und meines inneren Selbsturteils hinter mir. Ich sage bewusst »einen Teil«, denn es gibt keinen einzigen Menschen auf der Erde, der alle Schwächen, die seine Identität und Sicherheit betreffen und die Folge menschlicher Unvollkommenheit sind, vollständig überwunden hätte. Aber an jenem Tag setzte ich mich über mein gesamtes Potenzial hinweg. Seither überrasche ich andere mehr denn je. Ich überrasche sogar mich selbst! Durch Gebet, durch Ausprobieren und indem ich mich mit Menschen umgebe, die in so vielen Bereichen besser sind als ich, bin ich ein Beispiel dafür, was Gott mit jemandem tun kann, der nicht besonders toll, sondern einfach verfügbar ist. Offen dafür, gebraucht zu werden. Interessiert daran, herausgefordert zu werden. Ich habe mich dazu entschlossen, ein Leben zu führen, das ständig außerhalb meiner Komfortzone liegt. Es ist nicht einfach, es ist einfach besser.

________

Die einzige Person, die ich wohl nicht überraschen kann, ist Cathy Lentz. Sie ist meine Mutter, und Mütter sind die besten. Sie können in ihren Kindern irgendwie Dinge sehen, die diese in sich selbst nicht sehen können. Ich glaube, meine Mutter hat mich noch nie predigen gehört, ohne dabei zu weinen und mir hinterher zu sagen: »Das war DIE BESTE Predigt, die ich je gehört habe. Ich wusste, dass all das in dir steckt.« Jeder andere, der das sagt, lügt im Grunde. Cathy Lentz jedoch hat recht. Meine Mutter war immer so ermutigend zu mir, dass sie selbst in meinen schlimmsten Momenten etwas Gutes sehen konnte. Sie ist die Art von Mutter, die ihren Sohn gegen Kaution aus dem Gefängnis holt und sagt: »Du hast zwar eine Straftat begangen, aber wenigstens war es eine schwere Straftat! Wenn du schon einen Fehler machst, dann wenigstens einen großen!« (Ich wurde bislang erst einmal verhaftet und meine Mutter wusste nichts davon. Bis jetzt. Entschuldige, Mama! Ich hab dich lieb!)

Aber jetzt, mit 38 Jahren, weiß ich, wo meine Mutter den Stoff für ihren Glauben herhatte. Kein seltsames Zeug wie: »Du schaffst es, wenn du nur genügend glaubst!«. Ich spreche von einer Frau, die sagt: »Ja, es gibt natürliche Begrenzungen im Leben, aber Gott ist das einfach egal.« Es ist diese Art von Glaube, der sagt: »Mach dich auf den Weg, geh auf volles Risiko und schau, was dann passiert.« Der Glaube, dass dein Potenzial in Wirklichkeit ein Gefängnis ist. Kein bösartiges, aber dennoch ein Gefängnis. Denn wenn du dich auf dein Potenzial verlässt, was schaffst du dann? Dieses Leben, das ein wilder Ritt durch Siege, Verluste, Tränen und Freude sein sollte, wird dann gar nicht erst beginnen. Wenn du dir die Mentalität zu eigen machst, dass du auf dein Potenzial in diesem Leben beschränkt bist, wird es zum Gefängnis. Ein Gefängnis der Begrenzung, des Vertrauens auf sich selbst und der Meinungen von anderen, die keine Ahnung haben, was wirklich in dir stecken könnte und momentan nur nicht sichtbar ist. Als ich lernte, die Bibel wirklich zu studieren, fand ich echt interessant, dass Jesus sich weigerte, die Begrenzungen zu akzeptieren, die die Menschen ihm so gerne auferlegen wollten. »Dieser Typ ist ein Zimmermann aus einer kleinen Stadt.« Tatsächlich war er der größte Veränderer und Kulturwandler, der jemals auf dieser Erde gelebt hat. Das Gefängnis des Potenzials hat eine unverschlossene Tür, die viele Leute darin festhält. Ich habe beschlossen, aus dieser Gefangenschaft herauszutreten, und diese Option steht allen offen.

Immer wenn meine Mutter sagte: »Carl, träume groß. Liebe die Menschen. Fang nochmal an. In dir steckt noch mehr. Ich glaube an dich«, zitierte sie eigentlich eine Bibelstelle, die zu meiner Rettungsleine wurde, nämlich Epheser 3,20–21. Sie lautet so: »Dem aber, der weit über die Maßen mehr zu tun vermag als wir bitten oder verstehen, gemäß der Kraft, die in uns wirkt, ihm sei die Ehre in der Gemeinde in Christus Jesus, auf alle Geschlechter der Ewigkeit der Ewigkeiten! Amen.«

________

Dieses Buch richtet sich nicht an Menschen, die mit ihrem Potenzial zufrieden sind. Ich wäre nicht geeignet, darüber zu sprechen! Denn wenn mein Leben für irgendetwas steht, dann dafür, dass Gott schon immer kaputte, ungeeignete Menschen gebraucht hat und auch immer gebrauchen wird, um diese Welt zu verändern. Ich weiß nicht, ob du dich jemals in deinem Leben in der sprichwörtlichen Toilettenkabine versteckt hast. Vielleicht befindest du dich jetzt gerade dort! Oder dir wird klar, dass du irgendwann einmal dort landen könntest. Bitte erinnere dich daran, dass niemand an deinem natürlichen Potenzial interessiert ist. Potenzial hat noch nie die Welt verändert. Ich glaube nicht, dass der Gott, der dich erschaffen hat, an deinem Potenzial interessiert ist. Ich glaube, dass der Gott, an den ich glaube, nicht nach »perfekten« Menschen Ausschau hält. Er hält Ausschau nach Menschen, die »verfügbar« sind.

Vielleicht ist es an der Zeit, dass du anfängst, andere mit Dingen zu überraschen, die sie nicht von dir erwartet hätten. Ein neuer Traum, eine neue Zukunftsperspektive, neuer Elan. Ich glaube, es ist an der Zeit. Ich will, dass mein Leben letztendlich eine riesige Überraschungsparty ist. Vielleicht können andere irgendwann einmal über dich und mich sagen: »Diese Menschen haben mich wirklich überrascht! Ich hätte nie geglaubt, dass das alles in ihnen steckt!«

Dann können wir lächeln und sagen: »So war es auch nicht. Das war Gott. Und er kann dasselbe auch für dich tun.«

Lebe den Moment

________

Häufig kann das, was wir sagen, in unserem Leben zu dem werden, was wir sehen. Gewöhne dir an, das Richtige, das Positive, das Gesunde auszusprechen, auch wenn du extremen Widerstand oder Negativität erlebst. Es geht um mehr als ein positives Bekenntnis – es geht um einen Anker für dein Leben, der nicht zulassen wird, dass das, was dir widerfährt, Auswirkungen haben wird auf das, was durch dich kommt.

KAPITEL 2

SO IST ES EBEN

ICH HABE GERN DIE KONTROLLE über Situationen, wenn möglich. Ich brauche zum Beispiel manchmal mindestens fünf Anläufe, um die Beleuchtungssituation richtig einzustellen, bevor ich es mir zu Hause gemütlich machen kann. Meine Frau sagt, ich sei komisch und hätte eine Zwangsneurose. Darauf sage ich ihr, dass es mir Spaß macht, den Dimmer, den ich gekauft habe, auch maximal zu nutzen.

»Standard« war noch nie mein Ding. Ich finde, das sollte es für keinen von uns sein, um es klar zu sagen. Denn fast immer ist »Standard« der grundlegendste, durchschnittlichste, unspektakulärste Rahmen überhaupt. Der Standard der Menschheit? Die Geschichtsbücher sind voll mit Tod, Gemetzel und egozentrischen Vorurteilen. Der Standard von Beziehungen? Zwei Menschen, die in unterschiedliche Richtungen gehen. Wenn wir nicht ständig bemüht sind, von den »Standards« in unserem eigenen Leben wegzukommen – wie wir denken, wie wir lieben, wie wir andere behandeln –, führt diese Einbahnstraße in ein Leben, das niemanden berührt! Menschen, die nicht wissen, dass wir eigentlich eine Option auf Mehr haben, sagen Sachen wie:

»So wurde ich geboren. So bin ich eben.«

»Ich bin Ire! Und Iren trinken nun mal. Das ist unser nationaler Zeitvertreib.«

»Keiner aus meiner Familie hat je einen Hochschulabschluss gemacht. So ist es halt bei uns.«

»Meine Eltern waren geschieden. Deren Eltern waren geschieden. Ich will keine Scheidung, aber seien wir mal ehrlich: Das liegt in der Familie.«

»Ich bin weiß. Für spektakuläre Korbwürfe kann ich einfach nicht hoch genug springen, von daher wird auch kein Dunk Contest Teil meiner Zukunft sein.«

Obwohl die letzte Aussage tatsächlich stimmt (trotzdem ein Hoch auf Brent Barry!), ist es eine Lüge, dass wir die schon lange bestehenden Festungen in unserem Leben nicht verändern können. Vielleicht gefällt dir nicht, wo du jetzt stehst, aber das, worauf du innerlich festgelegt bist, hat dich dorthin geführt. Jedes einzelne Mal. Ist dein Leben voller kaputter Beziehungen? Dann gibt es eine Einstellung, irgendwo in deiner Seele, die du noch nicht geändert hast. Irgendwo hast du Worte oder Gedanken aufgeschnappt, die nicht wahr sind, aber sie haben dich genau dorthin gelenkt, wo du jetzt bist.

Manchmal ist es hilfreich, wenn du dir anschaust, wo du früher einmal warst und wo du hinwillst, um sicherzugehen, dass diese Koordinaten weit auseinanderliegen. Wie um alles in der Welt Menschen erwarten können, dass sie an neue Orte gelangen, neue Dinge erreichen, obwohl sie null neue Entscheidungen treffen, wird wohl immer ein Rätsel bleiben! Aber nicht für mich. Unser »Standard« gibt nie wirklich Ruhe. Er wird immer wieder ein Anziehungspunkt für uns sein. Aber wir können immerhin dafür sorgen, dass wir wenigstens wissen, dass wir auch andere Entscheidungen treffen können.

Akzeptiere nicht einfach die Richtung, in die du gehst, nur weil du bislang keinen anderen Ort kennengelernt hast.

________

Kürzlich sind wir mit unserer Familie in ein anderes Haus gezogen. Nur ungefähr drei Kilometer von unserem alten entfernt, aber wir brauchten mehr Platz und unser Mietvertrag war bald ausgelaufen. Wir fanden eine Haus in der Nähe, was toll war, weil unsere Kinder die Schule nicht wechseln mussten.

In den ersten zwei Wochen nach unserem Umzug ist mir etwas Lustiges passiert. Mindestens fünfmal war ich mit dem Auto unterwegs, um irgendwelche Besorgungen zu machen, und dachte – wie so oft – laut nach, während ich nach Hause fuhr. Dort angekommen, sah ich auf und bemerkte, dass ich bei unserem alten Haus war! Ich hatte es noch nicht verinnerlicht, dass wir umgezogen waren; wenn ich also nicht bewusst daran dachte, dann fuhr ich dorthin! Ich sah auf mein Handy und natürlich hatte ich meine Einstellung für »Zuhause« noch nicht geändert. Ich hatte einen neuen Wohnort. Aber ich hatte nicht daran gedacht. Es ist lustig und es ist viel zu oft passiert.

Aber weißt du, was ich nicht gemacht habe? Ich bin nicht zu meinem alten Haus gefahren, in dem jetzt neue Mieter wohnen, und habe einfach gesagt: »Oh, hallo, hier bin ich. Eigentlich habe ich hier nichts verloren, aber es ist alles so vertraut. Ich geh jetzt einfach rein, esse etwas und hänge ein bisschen auf der Couch ab. Warum denn nicht?« Nein, das ist ein Verbrechen, das man Hausfriedensbruch nennt!

Freunde, das ist ein fantastisches Bild dafür, was viele Menschen die ganze Zeit machen. »Tja, so denke ich eben. So war ich schon immer. So haben mich die Leute schon immer behandelt. So ist es nun mal.« Ich erlaube mir, da ganz und gar anderer Meinung zu sein! Es wird zwar eine Weile dauern, bis du den Lauf deines Lebens neu skizziert hast, und es wird Momente geben, in denen du mal wieder »in deiner alten Auffahrt stehst«, was dich frustrieren wird. Aber mach trotzdem einen Neustart! Es ist nie zu spät, sich zu bewegen. Es ist nie zu spät, damit zu beginnen, Menschen anders zu behandeln.

Der Haken dabei ist, dass kein anderer als du selbst deine Situation ändern kann. Nur du kannst deinen Standort ändern. Nur du kannst deine Ehe ändern. Nur du kannst deine Tätigkeit ändern. Aber der alte Spruch klingt wahr: »Egal, wo du hingehst, du nimmst dich selbst immer mit.« Denkst du etwa, es ist schon zu spät? Dann denke bitte noch einmal nach.

________

Ein Mann im Gefängnis erinnerte mich daran durch einen herzlichen Brief, der mich tief berührt hat.

Unsere Gemeinde hat eine eigene Fernsehsendung, die auf der ganzen Welt ausgestrahlt wird, auch in verschiedenen Gefängnissen in den Vereinigten Staaten. Das ist mir besonders wichtig, weil ich für mich ganz bewusst festgelegt habe, dass ich niemals irgendjemanden aufgeben werde und jeder Anerkennung und Würde in diesem Leben verdient hat, unabhängig davon, was er oder sie getan haben mag.